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Während bei allen Errungenschaften, Entdeckungen und Erfindungen nur das Urteil derer Geltung hat, die sich mit den betreffenden Dingen vertraut gemacht haben, glaubt über Hypnotismus und Suggestionsbehandlung alle Welt urteilen zu dürfen. In allen Kreisen ist der Hypnotismus – dem Namen nach – bekannt, er ist Tagesgespräch, und dennoch kennen ihn so recht eigentlich nur die allerwenigsten. Albert Moll, doch auch ein vorzüglicher Kenner der Materie, sagt in seinem grundlegenden Werk »Der Hypnotismus« u. a. wörtlich:
»Es ist öfter die Frage aufgeworfen worden, woher es wohl komme, daß so viele Autoritäten sich gegen die Suggestivtherapie ausgesprochen haben. Darauf ist dreierlei zu erwidern: 1. Auch eine Autorität kann sich irren; ja es ist in Wirklichkeit nur der eine Autorität, der nicht an seine eigene Unfehlbarkeit glaubt. 2. Viele werden für Autoritäten gehalten, ohne daß sie es sind. 3. Viele, die auf einem Gebiet Autorität sind, brauchen es deshalb nicht auf einem andern zu sein.
Es genügt keineswegs, Autorität in einem Fach zu sein, um auch in einem anderen ein autoritatives Urteil zu beanspruchen. Es genügt z. B keineswegs, ein großer Historiker oder ein großer Astronom zu sein, um über die Therapie ein Urteil zu fällen. Nun sind aber viele jener Autoritäten, die gegen die therapeutische Verwertung des Hypnotismus auftraten, gerade Autoritäten auf Gebieten, die mit der Therapie zunächst nichts zu tun haben. Dieser Gesichtspunkt geht nicht nur dem Laienpublikum, sondern auch den Aerzten leicht verloren. Es kann jemand z. B. vorzügliches in der Histologie des Gehirns geleistet haben, und er kann doch inkompetent sein in bezug auf die Therapie.«
Wenn sich diese Worte doch jeder merken wollte, der sich absprechend verhält dem Hypnotismus gegenüber. Ich bringe jene Leute gewöhnlich zum Schweigen, indem ich sie frage, welche Werke über Hypnotismus sie denn eigentlich kennen.
Während mehrere Vertreter der Suggestivtherapie die verschiedensten Krankheiten glauben heilen zu können und die kühnsten Behauptungen ausstellen, will ich hier nur von wirklichen, bereits wiederholt geprüften, unbestreitbaren Heil- und Erziehungserfolgen sprechen.
Moll giebt eine Zusammenstellung derjenigen Fälle, die sich für die Suggestionsbehandlung eignen, und zwar sind dies:
Allerlei Schmerzen, die keine anatomischen Grundlagen haben (Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Ovarie, rheumatische Schmerzen, neuralgische Schmerzen).
Schlaflosigkeit.
Hysterische Störungen, besonders Lähmungen der Extremitäten. Aphonie (Stimmlosigkeit).
Menstruationsstörungen.
Spontaner Somnambulismus (Mondsucht). Unruhige Träume.
Alkoholismus, Morphinismus (nach Schrenck-Notzing und Wetterstrand auch Nikotinismus).
Neurasthenische Beschwerden. Agoraphobie (Platzfurcht, Platzangst).
Stottern. (Wetterstrand hat von 48 Stotterern 15 vollständig geheilt und 18 gebessert, einige blieben leider nach kurzer Behandlung weg).
Nervöse Sehstörungen.
Enuresis nocturna (nächtliches Bettnässen).
Pruritus cutaneus nervosus (nervöses Hautjucken).
Konträre Sexualempfindung (verkehrte Geschlechtsempfindung Näheres darüber in meiner Schrift: » Das dritte Geschlecht und die Enterbten des Liebesglücks.« 2. Aufl. Preis 1 M. Verlag von Wilhelm Möller, Oranienburg-Berlin., wenn nicht angeboren.
Ohrensausen – Schreibkrampf (wo zentrale Ursache).
Verschleppte Fälle von Chorea (Veitstanz).
Auch sind viele Erfolge erzielt bei habitueller Stuhlverstopfung, bei lancierenden Schmerzen der Tabiker (Rückenmarksleidenden), Schwindelanfällen, Gelenkrheumatismus, Ischias, Schwerhörigkeit usw.
Hierzu sei bemerkt, daß die bei verkehrter Geschlechtsempfindung erzielten Heilungen nicht von Dauer sind. Die Disposition ist eben leider nicht zu beseitigen und diese ist ohne Zweifel und trotz aller Gegenreden angeboren.
Dr. Ringier, ein talentvoller Hypnotiseur, Schüler des Prof. Forel, behandelte 210 Personen der Schweizer Landbevölkerung mit Suggestion und veröffentlichte seine Beobachtungen – Erfolge wie Mißerfolge – in der offenherzigsten Weise. Demnach wird der Erfolg im Prozentsatz wie folgt ausgedrückt: Bei Ischias, Migräne, Neuralgien, Schlaflosigkeit, Neurasthenie, Hysterie, Muskel- und Gelenkrheumatismus, Delirium tremens, Alkoholismus, Bettnässen, Stottern, Menstruationsstörung usw. wurden 45 % definitive Heilungen, 33 % bedeutende, zum Teil bleibende Besserungen, 19 % leichtere Besserungen und nur 3 % erfolglose Behandlungen beobachtet. Im ganzen waren nur 17 % Rückfälle zu verzeichnen. – Dr. Ringier blieb mit seinen Patienten in dauernder Verbindung, um über Rückfälle sich orientieren zu können.
Nach v. Schrenck-Notzing kommen von 8705 Personen in den I. Grad der Hypnose 2557, in den II. Grad 4316, in den III. Grad 1313 Personen. Ganz unempfindlich blieben 519, – also ist auch der oft gemachte Einwand hinfällig, daß nur wenige Menschen hypnotisch beeinflußt werden können.
Bei Zwangsvorstellungen verschiedener Art (Platzangst usw.) hat sich die Suggestion im Wachzustande nach der Methode Kampmanns bestens bewährt.
Auch der Einwand kann hier nicht gelten, daß nur »eingebildete« Krankheiten der Suggestion weichen. »Eingebildete Krankheiten!« – Gibt es denn überhaupt eine eingebildete Krankheit? Nur der Ignorant wird diese Frage bejahen, weil er sich nicht den Unterschied klar machen kann zwischen » eingebildeter Krankheit« und » Krankheit der Einbildungskraft«. Wenn ein sonst vernünftiger Mensch überzeugt ist, ernstlich krank zu sein, Schmerzen und Unbehagen zu empfinden, so ist die Ursache dieser Ueberzeugung in einer Erkrankung des Körpers oder aber des Geistes zu suchen. Ist der Körper erkrankt, so handelt es sich nicht um Einbildung und – der Arzt hat zu heilen. Liegt eine organische Veränderung nicht vor oder läßt sich eine solche mit den bekannten Untersuchungsmitteln und -Methoden nicht nachweisen, hat vielleicht nur eine Bewußtseinsverschiebung stattgefunden, ist der Wille geschwächt, die Einbildungskraft erregt, so ist das ein psychisch-krankhafter Zustand und – der Arzt hat zu heilen, nicht aber seine Unwissenheit und Ohnmacht hinter der Redensart von den eingebildeten, d. h. »nicht vorhandenen« Krankheiten zu verbergen.
In früheren Auflagen dieses Buches brachte ich eine Tabelle der bekannt gewordenen Fälle, die mit Hilfe der hypnotischen Suggestion geheilt bezw. gebessert worden waren. Von 697 Fällen wurden 332 geheilt, 246 gebessert und nur 119 blieben ungeheilt. Die Tabelle würde nach den Erfolgen der letzten Jahre mehrere tausend Fälle aufweisen und den mir gesteckten Raum überschreiten: ich lasse sie deshalb fort und gebe nur die bisher wiederholt geheilten bezw. gebesserten Krankheitserscheinungen alphabetisch geordnet an:
Appetitlosigkeit.
Asthma, nervöses.
Bettnässen.
Bleichsucht.
Blutandrang.
Diarrhöe.
Düstere Ideen.
Erbrechen, krankhaftes.
Gelenkrheuma.
Hautjucken, nervöses.
Husten, nervöser.
Hysterie.
Hystero-Epilepsie.
Impotenz, psychische.
Ischias.
Kopfschmerzen.
Krankhafte Störungen des Geschlechtssinnes (Sadismus, Fetischismus, Algolagnie usw.).
Lähmungen, funktionelle.
Magenschmerz.
Melancholie.
Menstruationsstörungen.
Migräne.
Mondsucht.
Morphinismus.
Nägelkauen.
Nervschmerzen (Neuralgien).
Nikotinismus.
Neurasthenie und Platzangst.
Onanie.
Schlaflosigkeit.
Sehstörungen, nervöse.
Schmutzscheu.
Schwermütigkeit.
Stottern.
Stuhlverstopfung, habituelle.
Trunksucht.
Unarten.
Veitstanz.
Verdauungsstörungen.
Zwangsvorstellungen.
Hierzu treten noch die Erziehungssuggestionen mit durchgreifenden Erfolgen bei üblen Angewohnheiten, Gespensterfurcht, Linkshändigkeit, Lügenhaftigkeit, Nägelkauen, Naschhaftigkeit, Onanismus, Faulheit, Unaufmerksamkeit, Stehlsucht usw. Näheres darüber in meinem » Handbuch der hypnotischen Suggestion«. Preis 4,50 M. 3. Aufl., bearbeitet von Jacques Groll. Zu beziehen durch Wilhelm Möller, Oranienburg-Berlin.
Bedenkt man, daß es sich hier meist um Erscheinungen handelt, denen die bekannten Heilmethoden bezw. -Faktoren fast ohnmächtig gegenüberstehen, so wird man die Hypnotherapie erst voll zu werten wissen und den Einwand einer möglichen Gefährdung des Patienten als unbegründet und unbeachtlich abweisen. Auch eine Abhängigkeit vom Hypnotiseur oder eine Schwächung der Willenskraft kommt nur in Betracht bei ungeschickter und unrichtiger Anwendung der hypnotischen Suggestion. Wer derartige Erfahrungen gemacht hat, stellt seinem eigenen Können ebenso wie seiner Literaturkenntnis und seinem Wissen das denkbar schlechteste Zeugnis aus.