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Die Stadien der Hypnose.

Der Name Hypnose umfaßt eine Menge verschiedener Zustände des Nervensystems. Von einem unbedeutenden Gefühl der Schwere in den Gliedern, von jenem leichten, schlummerähnlichen Zustand, in welchem der Beeinflußte jedes Geräusch hört, bis zum Tiefschlaf, in welchem der größte Lärm den Hypnotisierten nicht zu erwecken vermag, wo jede Verbindung mit der Außenwelt geschwunden ist bezw. nur durch den Hypnotiseur vermittelt werden kann, gibt es eine Menge Uebergangsformen. Nicht zwei Menschen habe ich gefunden, bei denen die Erscheinungen wie die Tiefe des Schlafes völlig gleichartig gewesen wären. Aber es mußte doch in diese verschiedenen Abstufungen des Schlafes einige Ordnung gebracht werden, und so haben denn mehrere Forscher verschiedene Einteilungen getroffen.

Liébeault, der eigentliche Begründer der Nancyschule, unterscheidet folgende sechs Grade:

1. Grad. Somnolenz: Schwere der Lider, Unvermögen, die Lider zu öffnen (nicht immer vorhanden), Gefühl der Müdigkeit, Bewußtsein vollkommen erhalten. – Dieser Grad kommt am häufigsten vor, besonders beim weiblichen Geschlecht.

2. Grad. Katalepsie: Das erhobene Glied (Arm usw.) bleibt einige Sekunden in der gegebenen Stellung und fällt dann schwankend herunter. – Die Finger behalten nicht die gegebene Stellung. Die Lider sind geschlossen, die Glieder hängen schlaff herunter. Verbindung mit der Außenwelt vollkommen erhalten, ebenso Bewußtsein und Erinnerung vorhanden.

siehe Bildunterschrift

Abbildung 6.
Drehautomatismus.
(Die Hände drehen sich automatisch umeinander.)

3. Grad. Drehautomatismus: Drehbewegungen der Arme werden automatisch fortgesetzt, sobald man dem Hypnotisierten versichert, er könne nicht anhalten. – Suggestiv- Kontraktur, herabgesetzte Sensibilität.

Die übrigen Zeichen wie in Grad 2. Bewußtsein vollkommen erhalten. – (Die meisten Hypnotisierten versichern nach dem Erwachen aus den drei ersten Graden, nicht geschlafen, sondern die suggerierten Bewegungen dem Hypnotiseur zu Gefallen ausgeführt zu haben.)

4. Grad. Alleinige Beziehung der schlafenden Person zum Hypnotiseur: Unempfänglichkeit für Eindrücke anderer, außer auf Suggestion durch den Hypnotiseur. Sonst wie Grad 3. Bewußtsein vollkommen erhalten.

5. Grad. Leichter Somnambulismus: Herabgesetzte oder erloschene Sensibilität. Suggestiv-Halluzinationen oft möglich. Bewußtsein getrübt, Erinnerung undeutlich. Sonst wie im 4. Grad.

6. Grad. Tiefer Somnambulismus: Sämtliche Symptome des 5. Grades stärker ausgeprägt. Bewußtsein ganz erloschen, völlige Erinnerungslosigkeit nach dem Erwachen.

Professor Bernheim teilt den hypnotischen Schlaf in neun Grade. Von denselben bleibt bei 1–6 das Bewußtsein erhalten und es besteht völlige Erinnerung nach dem Erwachen.

1. Grad. Suggestibilität für bestimmte Akte (z. B. Erzeugung von Wärmegefühl in einer zirkumskripten Gegend des Körpers oder Aufhebung von Schmerzen durch Suggestion). Es besteht kein einziges der von Liébeault erwähnten Symptome, weder Katalepsie noch das Unvermögen, die Augen zu öffnen. – Die Subjekte behaupten nach dem Erwachen mit aller Bestimmtheit, nicht geschlafen zu haben.

2. Grad. Unvermögen, die Augen spontan zu öffnen. Sonst dieselben negativen Symptome.

3. Grad. Suggestivkatalepsie mit der Fähigkeit, sie willkürlich zu brechen. (Dieser Grad erklärt die sogen. Entlarvungen, denen die Hypnotiseure bei Demonstrationen oft ausgesetzt sind. Das »Medium« steht plötzlich auf und erklärt, es habe nur simuliert.)

4. Grad. Suggestivkatalepsie mit der Unfähigkeit, sie willkürlich zu brechen (außer auf Suggestion). Automatische Drehbewegung bei vielen Personen vorhanden. Sonst wie III.

5. Grad. Suggestivkontraktur.

6. Grad. Automatischer Gehorsam. Der Schlafende kann schwerfällig gehen. Unempfänglichkeit für Halluzinationen und Illusionen.

(B. Grad 7–9) Somnambulismus. Das Bewußtsein ist erloschen und nach dem Erwachen herrscht Erinnerungslosigkeit.

7. Grad. Unmöglichkeit, Halluzinationen zu erzeugen. Sämtliche Symptome früherer Grade können vorhanden sein.

8. Grad. Empfänglichkeit für Halluzinationen in der Hypnose.

9. Grad. Empfänglichkeit für hypnotische und post-hypnotische Halluzinationen.

Professor August Forel beschreibt nur drei Stadien:

  1. Schläfrigkeit.
  2. Unfähigkeit, die Augen zu öffnen. Gehorsam für Suggestion.
  3. Somnambulismus. Verlust des Gedächtnisses.

Dr. Lloyd Tuckey unterscheidet ebenfalls drei Stadien, auch Dr. Albert Moll glaubt mit drei Stadien auszukommen, ebenso begnügen sich die ärztlichen Hypnotiseure Wetterstrand, van Renterghem, van Eeden, Fontan, Ségard mit der Einteilung in drei Stadien, während Edmund Gurnay nur zwei Grade kennt.

Alle Einteilungen haben jedoch ihre Mängel und in der Praxis gestaltet sich die Sache immer anders als in der Theorie. Um jenen Mängeln abzuhelfen, hat Prof. Dr. Max Dessoir eine einfache und übersichtliche Einteilung der hypnotischen Zustände getroffen. Er zerlegt dieselben in zwei Gruppen. In der ersten Gruppe zeigen nur die willkürlichen Bewegungen Veränderungen, in der zweiten Gruppe zeigen sich auch Aenderungen in der Funktion der Sinnesorgane.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die Gradeinteilungen sehr geistreich und gewiß auch wertvoll für das Verständnis der Erscheinungen sind. Aber der praktische Hypnotiseur darf sich nicht allzu streng an dieselben halten, denn es ist sehr schwer, oft gar nicht möglich, die Grenzen der einzelnen Grade zu erkennen. Der Uebergang vom wachen Zustande in die Hypnose ist ein allmählicher, und stufenweise vollzieht sich auch der Uebergang von einem Grade des Schlafes in den andern. Ich habe gefunden, daß der Hypnotiseur mit der Einteilung Liébeaults auskommen kann. Allerdings habe ich niemals den 3., 4. und 5. Grad in der Weise ausgeprägt finden können, wie der Meister berichtet. Ich fand vielmehr, daß Liébeaults 4. Grad überflüssig ist, weil die meisten Erscheinungen schon im 3. Grad beobachtet werden können und die alleinige Beziehung des Schlafenden zum Hypnotiseur ein Charakteristikum des leichten Somnambulismus (d. i. des 5. Liébeaulischen Stadiums) ist. Ich bin also ebenso wie meine Schüler und Kollegen stets mit fünf Graden vollständig ausgekommen.


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