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Geschichte

Der Hypnotismus ist uralt, so alt wohl, wie das Menschengeschlecht. Dort, wo uns die ältesten Ueberlieferungen im Stich lassen, führt uns die Keilschrift-Literatur der Länder am Euphrat und Tigris hinauf in eine graue Vorzeit, aus der jede andere Ueberlieferung erloschen ist, und zeigt uns, daß das älteste Kulturvolk der Erde, die Akkader oder Sumerier, ein Volk, das etwa 7000 Jahre vor Christi Geburt sich bereits auf einer hohen Kulturstufe befand, den Hypnotismus kannte und in genau derselben Weise anzuwenden verstand, wie dies heute geschieht. In der berühmten Priesterschule zu Erech wurde seit altersgrauer Zeit ein in assyrischer Interlinearversion geschriebenes Werk aufbewahrt, von welchem im 7. Jahrhundert v. Chr. der berühmte Assurbanhabal (der Sardanapal der Bibel) eine zum größten Teil noch erhaltene Abschrift anfertigen ließ. Im zweiten Buche dieses Werkes finden sich unwiderlegliche Beweise dafür, daß im alten Akkad bestimmte Beamte angestellt waren, welche Kranke durch hypnotische Suggestion, d. h. im Schlaf durch Worte heilen mußten.

Die älteste Sanskriturkunde der Inder, Manus Gesetzbuch, enthält bereits genaue Schlafeinteilungen. Es ist da die Rede von einem Wachschlaf, Traumschlaf und von einem Wonneschlaf, Einteilungen, die unseren modernen ziemlich genau entsprechen.

Die Priester der alten Aegypter, die gleichzeitig Aerzte des Volkes waren, hielten ihren Kranken glänzende Metallscheiben vor Augen und suchten dadurch einen Schlaf zu erzeugen, welcher die Heilung herbeiführen sollte.

Später begegnen wir dem Hypnotismus auch bei den alten Griechen und zwar unter dem Namen des Tempelschlafs. Es war zu Epidaurus der berühmteste Tempel des Aeskulap, wohin ganze Scharen wallfahrteten, um, wie sie glaubten, durch göttliche Träume erleuchtet zu werden und ihre zerrüttete Gesundheit wieder zu erlangen. Der Tempel stand in einer anmutigen Gegend, auf einer Anhöhe, von Lustgärten und heiligen Hainen umgeben. In dem Tempel selbst stand das Schlafhaus für die Kranken und nahe dabei ein marmornes Bad. Die Hilfesuchenden mußten vorerst eine bestimmte Diät beobachten und alles zu erfüllen geloben, was ihnen anbefohlen wurde. Dann zeigten die Priester den Kranken in den Vorhallen die göttlichen Bilder und Weihetafeln, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Baden war gleichsam die Vorkur und eine unerläßliche Bedingung, auch das Wassertrinken durfte nicht versäumt werden, so daß, wie Aristides erzählt, »durch den Wunderbrunnen zu Pergamus« selbst der Stumme wieder seine Sprache erhielt. Die Kranken pflegten in den Tempeln einzuschlafen und im Schlafe ihre eigene Krankheit und die Mittel zur Genesung anzugeben. Die Schlafenden waren in eigenen Zimmern in der feierlichsten Stille ihren Anschauungen und göttlichen Betrachtungen überlassen, wobei die Priester beim Erwachen der Kranken denselben die vorgeschriebene Heilart als von Gott erteilte Bestimmungen ansagten. Denn die Kranken hatten (wie Herodot berichtet) in den meisten Fällen keine Rückerinnerung an das im Schlafe Vorgefallene.

Jedoch gab es damals Kranke in den Tempeln, welche nicht schliefen, wie es ja heute auch Menschen gibt, die nicht hypnotisierbar sind. Für diese wurden eigene Somnambulen gehalten, welche Priesterinwürde bekleideten. Im Apollo-Tempel zu Delphi setzte sich die Priesterin, Pythia genannt, auf einen goldenen Dreifuß, der über einem Riß im Gestein aufgestellt war, aus welchem Schwefeldämpfe aufstiegen. Durch diese geriet sie in den ekstatischen Schlaf und gab in demselben die Heilmittel für die refraktären Einige der Fremdwörter bezw. technischen Ausdrücke lassen sich nicht vermeiden und findet der Leser die Erklärung derselben in dem kleinen medizinisch-hygienischen Taschenbuch. (Verlag von Wilhelm Möller, Oranienburg bei Berlin. Preis 50 Pf.) Patienten an. Indessen gab es auch Kranke, die da schliefen und doch nicht geheilt werden konnten, was besonders, wie Arnobius berichtet, bei Schwindsüchtigen der Fall war. Auch dieser Umstand spricht dafür, daß es sich um hypnotische Phänomene handelte, da bekanntlich die Schwindsucht durch hypnotische Suggestion nicht beeinflußt werden kann.

Auch bei den Römern gab es in gleicher Weise Sybillen, welche nach Art der griechischen Pythien im autohypnotischen Schlaf wirkten. Mit der Einführung des Christentums hörte der Glaube an den göttlichen Ursprung dieser Erscheinungen nach und nach auf; ja man ging so weit, sie, wie wir im weiteren sehen werden, als Werke des Teufels auszulegen. Immerhin finden sich auch in der nachchristlichen Zeit viele Beweise dafür, daß man den Hypnotismus und seine Wirkung kannte. So berichtet der römische Dichter Porphyrius aus dem zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt, daß die Philosophen Plotinus und Olympius einen wissenschaftlichen Streit miteinander auszutragen hatten; Plotin forderte den Olympius »auf magische Künste heraus«, und in Gegenwart der beiderseitigen Schüler sollte dieser merkwürdige Kampf zum Austrage gelangen.

Plotin trat nahe an den Olympius heran, blickte ihm mehrere Minuten lang scharf und durchdringend in die Augen und sagte dann laut, so daß es die Umstehenden hören konnten: »Seht, nun zieht sich des Olympius Leib wie ein Geldbeutel zusammen.« Olympius fühlte den Schmerz und gestand, daß Plotinus größere Geisteskraft besitze als er selbst.

Im 11. Jahrhundert finden wir den Hypnotismus bei den Mitgliedern eines Mönchsordens, den Hesychasten auf dem Berge Athos. Diese pflegten eine Art Autohypnose dadurch herbeizuführen, daß sie den Blick ihrer beiden Augen auf den Nabel richteten; sie wurden darum Omphalopsychiker oder Nabelbeschauer genannt.

Auch erzählte späterhin der bekannte Arzt des Mittelalters, Theophrastus Paracelsus ab Hohenheim, daß die Mönche im Kloster Ossiach in Kärnthen Kranke dadurch geheilt hätten, daß sie dieselben glänzende Kristallkugeln anblicken ließen. Die Kranken wären gewöhnlich in einen tiefen Schlaf gesunken, und dieser Schlaf habe ihnen nach dem Befehl der Mönche Genesung gebracht.

Später, als allerorten in Deutschland und Frankreich die Scheiterhaufen der Inquisition aufflammten, fiel diese merkwürdige Heilkunst zum Teil der Vergessenheit anheim, denn alle jene, welche sie auszuüben verstanden, mußten fürchten, als Teufelsbanner und Teufelsbeschwörer verbrannt zu werden; ja man ging so weit, alle, die im Besitze »mystischer« Kräfte waren, als Hexen, Behexte oder Besessene zu verfolgen, und so manche hochnotpeinlich justifizierte Hexe war eine bedauernswerte Kranke, die eben zeitweise pathologisch somnambul wurde, etwa wie die Nachtwandler (Mondsüchtigen).

Der Hypnotismus erklärt auch Vorgänge, wie das Einschlafen gefolterter Hexen und die völlige Unempfindlichkeit der Gemarterten. Ja, die Abziehung der Gedanken von jeder leiblichen Empfindung war beispielsweise auch bei den Märtyrern eine so erstaunliche, daß sie – wie Johann Huß – auf dem Scheiterhaufen, von den sie verzehrenden Flammen umwogt, geistliche Hymnen singen konnten.

Ebenso beweist die Beschreibung der Empfindungen, welche von sogen. Besessenen oftmals gegeben wurde, die hypnotischen Zustände. Katalepsie, Lethargie, Somnambulismus, ja selbst Krämpfe stellten sich ein. Bei einzelnen ging die spontane Besessenheit so weit, daß sie sich für ein Tier hielten, z. B. für einen Vampyr (Vampyrismus) oder für einen Wolf (Lykanthropie). Hierbei galt als Heilmittel stets der Exorzismus (die Teufelsaustreibung), im Grunde genommen auch nichts anderes als eine besondere Form der Suggestion.

Erst im Jahre 1761 hörte man wieder mehr vom Hypnotismus, auch hier noch unter dem Namen Exorzismus, und zwar war es ein Jesuitenpater Namens Josef Gaßner, der durch Autosuggestion sich selbst geheilt hatte. Es befiel ihn ein heftiges Kopf-, Magen- und Brustleiden, gegen welches alle angewandten Mittel erfolglos blieben. Wie er selbst schriftlich berichtet, »wußte er keinen Rat mehr und wandte sich eines Tages während des Meßopfers an Gott und bat um Erleuchtung«. Als er so religiös erregt nach Hause gekommen war, fiel ihm ein vom Exorzismus handelndes Buch in die Hände, bei dessen Lektüre ihm der Gedanke kam, »daß bei seinem Uebel etwas Uebernatürliches sei und der Satan mit alter böser Tücke seinen Leib angreife«. In diesem Gedanken nahm er seine Zuflucht zum Exorzismus und es gelang ihm, sich selbst zu heilen. In Wirklichkeit hatte Gaßner entdeckt, daß man durch Autosuggestion Krankheiten des eigenen Körpers beeinflussen und Krisen hervorrufen könne. Er versuchte es, auch andere Menschen auf diese Weise zu behandeln, fand viele empfängliche Personen, und so verbreitete sich sein Ruf sehr bald über ganz Süddeutschland und die Schweiz. Gaßner übersiedelte nach Ellwangen, und dort hielten sich oftmals gleichzeitig 1500 Patienten auf, um von ihm geheilt zu werden. Es wird berichtet, daß er in 14 Tagen 328 Kranke von schweren Leiden befreit habe. Die bedeutendsten Mediziner kamen nach Ellwangen, um die Wunder Gaßners kennen zu lernen. Von der Ingolstädter Universität wurde eine Gelehrtenkommission entsandt, welche die Heilungen bestätigte und über dieselben Protokolle aufnahm. Das gleiche tat der berühmte Theatiner Professor Don Ferdinand Sterzinger von München, welcher sich mit zwei Schreibern mehrere Wochen hindurch in Ellwangen aufhielt. Aus einem der noch erhaltenen Protokolle geht hervor, daß Gaßner seine Patienten hypnotisierte, mit ihnen experimentierte und ihnen schließlich Suggestionen gab. In einem dieser Protokolle heißt es u. a. wörtlich: »Weiter befahl er (Gaßner), daß der Puls am rechten Arm schwach und kaum fühlbar, am linken hingegen stark und geschwind gehen solle. Die Leibärzte befühlten rechts und links den Puls und befanden die Sache also.« – Also ein rein hypnotisches Experiment, welches von jedem Hypnotiseur in derselben Weise ausgeführt werden kann.

siehe Bildunterschrift

Abbildung 1.
Einschläferung durch Fixation (Anstarren eines Hypnoskops).

Obwohl nun Sterzinger die Heilungen Gaßners anerkannte, setzte er dennoch wegen Mißbrauchs des Namens Jesu und Teufelskandal beim Bischof von Regensburg ein Verbot der Exorzismen Gaßners durch, worauf sich dieser viel verkannte, aber auch viel gefeierte Mann vom Schauplatz seiner Tätigkeit zurückzog und im Jahre 1779 in tiefer Einsamkeit verstarb.

Auch eines Mannes, der im vorigen Jahrhundert eine dem Hypnotismus ähnliche Entdeckung machte und wissenschaftlich begründete, müssen wir hier Erwähnung tun. Es ist der Wiener Arzt Franz Anton Mesmer, der Entdecker des tierischen Magnetismus, der neuerdings von einem bekannten Berliner Gelehrten mit Herostratus verglichen wurde. Eine Ehrenrettung Mesmers ist nicht notwendig, sein Name wird noch leben, wenn seine Widersacher längst der verdienten Vergessenheit anheimgefallen sind. Denjenigen jedoch, die geneigt sind, Mesmer für einen Schwindler zu halten, seien die Worte des bekannten Professors Dr. Gustav Jäger in Stuttgart ins Gedächtnis gerufen: »In allen Zeiten hat es Menschen gegeben, die im Ruf einer sogen. magnetischen Heilkraft standen. Nur das allergrößte Bornement und der frechste Ignorantenhochmut kann die aus allen Zeiten in der denkbar gründlichsten Weise dokumentierten Tatsachen für Schwindel und damit eine Masse der ehrenwertesten Menschen, denen der Beleidiger selbst vielleicht nicht einmal die Schuhriemen zu lösen wert ist, für Betrüger resp. Betrogene erklären.« Gerade die neuesten Forschungen und die Entdeckung menschlicher Ausstrahlungen sind geeignet, die Theorie Mesmers vollauf zu bestätigen. Mesmer selbst und seine Entdeckung können wir hier übergehen. Seine Kuren haben mit den hypnotischen Erscheinungen nichts zu tun, Mesmer kannte nicht einmal den Tiefschlaf und auch nicht die zielbewußte Anwendung der Suggestionen. –

Im Jahre 1813 trat der Hypnotismus in ein neues Stadium. Der portugiesische Abbé Faria kehrte aus Indien zurück, hatte dort jedenfalls bei den Fakiren und Joggis die hypnotischen Erscheinungen kennen gelernt und erklärte, es sei zur Erzeugung des hypnotischen Schlafes keinerlei Fluidum seitens des Experimentators notwendig, sondern der Schlaf würde durch eine physiologische Wirkung auf das Gehirn hervorgebracht. Die Methode Farias erregte großes Aufsehen, aber auch ihn hielten viele Gelehrte und Mediziner für einen Schwindler.

1841 produzierte sich in Manchester der Schweizer Magnetiseur Lafontaine. Seinen Schaustellungen wohnte der dortige Arzt James Braid bei, welcher, um Lafontaine zu entlarven, sich mit der Untersuchung der Experimente beschäftigte. Als Versuchsobjekte benutzte er seinen Freund Walker, seine Frau und seinen Diener, welche er, nachdem er durch Zufall entdeckt, daß anhaltende Fixation eines Gegenstandes Schlaf herbeizuführen vermöge, dadurch in jenen Schlaf versetzte, daß er ihnen den glänzenden Knopf seiner Lanzettbüchse in Stirnhöhe, der Nasenwurzel gegenüber, vor Augen hielt. Dadurch gelang es ihm, die Versuchspersonen in einen mehr oder minder liefen Schlaf zu versetzen, den er Hypnose nannte, hergeleitet von dem griechischen Wort »hypnos« = Schlaf. Braid ließ den tierischen Magnetismus neben dem Hypnotismus bestehen und stellte folgende Lehrsätze auf:

  1. daß die Annahme einer solchen Kraft, wie magnetisches Fluidum, mesmerischer Einfluß oder eines anderweitigen unbekannten Agens unnötig sei;
  2. daß der Zustand ein supernormal physiologischer sei, herbeigeführt durch eine physische, merkliche Einwirkung auf das Nervensystem.

Schon 1843 ließ er sein Hauptwerk über seine neue Entdeckung erscheinen. In diesem Neurypnology; or the rationale of nervous sleep, considered in relation with animal magnetism. Illustrated by numerous cases of its succesful application in the relief and cure of disease by J. Braid, London and Edinburgh. 1843. 287 Seiten. beschreibt er eine Reihe von Experimenten über »Phreno Hypnotismus«. Es blühte ja gerade damals die Phrenologie ganz besonders und Braid glaubte, daß, wenn man die phrenologischen Organe berühre, jede beliebige Stimmung bei dem Hypnotisierten erzeugt werden könne. Drückte er die Organe der »Ehrfurcht«, so kniete der Hypnotisierte in betender Stellung nieder, und wenn es das Organ der »Begehrlichkeit« berührte, so stahl das Objekt usw. Braid übersah ohne Zweifel das suggestive Moment in seinen Experimenten. Wir wissen, daß der Hypnotisierte meist feiner empfindet als der Wachende und daß nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch der Blick und die Bewegung zur Suggestion werden können. Braid wurde, obwohl er darauf hinwies, daß seine Entdeckung für die Medizin von großem Wert sein dürfte, zunächst wenig beachtet. Seine ärztlichen Kollegen und selbst Geistliche überschütteten ihn zum Teil vielmehr mit Spott und Hohn, ja, es erschienen sogar Schmähschriften gegen diesen Mann.

Sieben Jahre später versuchte der Chirurg Dr. Azam in Bordeaux einige der Braidschen Experimente nachzumachen und veröffentlichte seine Resultate in dem Pariser Archiv für Medizin. Gleichzeitig unterwarf auch der Pariser Arzt Dr. Liébeault die Experimente einer Nachprüfung, fand sie durchweg bestätigt und veröffentlichte 1866 ein bedeutsames Werk unter dem Titel: Der künstliche Schlaf und ähnliche Zustände. Das Werk wurde damals von der medizinischen Fakultät in Paris mit Ironie aufgenommen und erst in allerneuester Zeit ist es entsprechend gewürdigt worden. Liébeault ließ sich indessen durch den Skeptizismus seiner Kollegen nicht abschrecken. Nach Nancy übersiedelt, arbeitete er unermüdlich weiter und gewann endlich den berühmten Professor Bernheim für seine Methode. Dieser war der erste Arzt, der den künstlichen bezw. den hypnotischen Schlaf als ein wertvolles therapeutisches Hilfsmittel erkannte. Bernheim, anfangs selbst skeptisch, erzielte so überraschende Erfolge, daß er nicht umhin konnte, dieselben bekannt zu geben, und nun erst kam der therapeutische Hypnotismus langsam zu Ehren. 1884 erschien Bernheims großes Lehrbuch über den Hypnotismus und die Suggestion und Nancy wurde das Hauptquartier der französischen Hypnotiseure.

In Paris beschäftigte sich der 1896 verstorbene Professor Charcot eingehend mit der Sache. Die Charcotschen Experimente haben dem Hypnotismus indessen unendlichen Schaden gebracht. Charcot machte nämlich den Fehler, nur mit Kranken zu experimentieren, auch brachte er den hypnotischen Schlaf, entgegen den Regeln der Nancyschule, meist durch Schreckwirkungen hervor. Es ist selbstverständlich, daß bei Schwerkranken, besonders bei Hysterischen, unangenehme Nebenwirkungen eintraten, die aber Professor Charcot nicht seiner unrichtigen Einschläferungsmethode, sondern dem Hypnotismus überhaupt zur Last legte. Als er von Nancy aus darauf aufmerksam gemacht wurde, daß man bei den dort üblichen Methoden niemals eine unangenehme Nebenwirkung bemerkt habe, obwohl mit Gesunden und Kranken beiderlei Geschlechts und verschiedener Altersstufen experimentiert worden war, fühlte sich der Pariser Professor verletzt und es entbrannte ein heftiger Streit zwischen den beiden Schulen. Die Nancyschule hat den Sieg davongetragen, sie hat großartige, ans Wunderbare grenzende Heilerfolge erzielt, während die Charcotsche Schule nur Mißerfolge zu verzeichnen hatte.

Deutschland ist bei Erforschung dieser Frage am weitesten zurückgeblieben. Als man endlich anfing, sich damit zu beschäftigen, nahm man meist die irrige Theorie Charcots auf, der in Deutschland bekannter war als die Männer von Nancy.

In unsern Nachbarländern Italien, Frankreich, England, Schweden und selbst Spanien gewann der Hypnotismus sehr schnell Boden. In Deutschland stand die Sache so, daß der dänische Hypnotiseur Karl Hansen, welcher hypnotische Schaustellungen veranstaltete, noch Ende der 70er Jahre auf medizinische Gutachten hin von der Polizei als Schwindler behandelt wurde, und als die Wahrheit sich nicht mehr leugnen und aus der Welt schaffen ließ, da erwirkten die preußischen Medizinaldeputationen, obwohl sie das Wesen und die Wirkungen der Hypnose gar nicht kannten, bei dem damaligen Minister v. Puttkamer einen Erlaß, der das Hypnotisieren verbieten und der Bewegung ein Ziel setzen sollte.

Natürlicherweise wurde damit gar nichts erreicht. Die Zeit für die Hypnose war gekommen. Die Literatur wuchs in ungewöhnlichem Maße an und es traten zunächst die Aerzte Berger, Haidenhain und Grützner in Breslau, v. Krafft-Ebing in Wien sowie der Astrophysiker Zöllner in Leipzig für den Hypnotismus energisch ein. In Berlin waren Dr. Albert Moll und sein Freund Max Dessoir unermüdlich tätig. In München wurde der Arzt Dr. Freiherr Albert v. Schrenck-Notzing zum Apostel der neuen Lehre, nachdem schon vorher der bekannte Mystiker Dr. Karl du Prel in Wort und Schrift auf die Realität der Phänomene hingewiesen hatte. In Zürich erzielte Professor Forel bedeutende Erfolge, und so sahen sich denn auch die Gegner gezwungen, wenigstens die Tatsachen anzuerkennen.

Gegenwärtig wagt kein wissenschaftlich Gebildeter mehr, die Wahrheit hypnotischer Phänomene und den Heilwert der Suggestion zu bestreiten; und wenn hier und da in Aerztekreisen noch Stimmen laut werden, welche den therapeutischen Wert der Suggestion wirklich zu bemängeln suchen, so beweisen dieselben nur, daß sie mit den Forschungen der neuesten Zeit nicht vertraut sind, und der gebildete Patient, den sie vor der Anwendung der Hypnose warnen, wird über die Unwissenheit seines Arztes lächeln oder sich dieser Unwissenheit für seinen Arzt schämen.

Seit 1887 wirke ich für die Ausbreitung der Hypnose zu Heil- und Erziehungszwecken öffentlich im Volke, da ich den Wert dieser Behandlungsmethode schätzen lernte. Nicht zum wenigsten haben meine Bemühungen auch dazu beigetragen, daß die meisten Aerzte und Praktiker der Naturheilkunde die Suggestion zielbewußt anwenden, nachdem sie sich deren Technik angeeignet. Die hypnotische Suggestion gehört gegenwärtig zu den allgemein anerkannten Faktoren des Naturheilverfahrens, und es ist erfreulicherweise so weit gekommen, daß ein Lehrbuch, welches dieses wichtige Hilfsmittel nicht wenigstens beschreibend erwähnt, auf Vollständigkeit kaum Anspruch erheben dürfte.

Auf dem »Internationalen Kongreß für Neurologie, Psychiatrie und Hypnologie in Brüssel vom 14.-21. September 1897« sprach sich Dr. van Velsen, einer der bedeutendsten Vertreter der Psychotherapie, wie folgt aus über den Wert derselben:

»Ich kann sagen, daß, wenn man überall in der ganzen Welt die psychotherapeutischen Kliniken sich entwickeln sieht, wenn man die sehr große Zahl von Heilungen (und von Besserungen), die in all den Werken und Revuen zusammengestellt sind, betrachtet, daß die Psychotherapie eines der mächtigsten Hilfsmittel ist, welches sich erfahrenen Aerzten als Handhabe darbietet. Es ist nur zu bedauern, daß man auf den Universitäten kaum von Hypnotismus bei den Medizinstudierenden spricht. Wenn diese dann in die Praxis eintreten, sind sie darin vollständig unorientiert, mißtrauen wie ihre Vorfahren der Sache und geben sich nicht die Mühe, zu prüfen, ob ihr Mißtrauen gerechtfertigt ist.«

Auch gegenwärtig hat der Arzt noch keine Gelegenheit, auf einer deutschen Universität die Suggestionstherapie praktisch zu üben. Er ist im gewissen Sinne noch immer Autodidakt auf diesem wichtigen Gebiete.


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