Christian Fürchtegott Gellert
Fabeln und Erzählungen
Christian Fürchtegott Gellert

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Der Jüngling

            Ein Jüngling, welcher viel von einer Stadt gehört,
In der der Segen wohnen sollte,
Entschloß sich, daß er da sich niederlassen wollte.
Dort, sprach er oft, sei dir dein Glück beschert.
Er nahm die Reise vor, und sah schon mit Vergnügen
Die liebe Stadt auf einem Berge liegen.
Gottlob! fing unser Jüngling an,
Daß ich die Stadt schon sehen kann;
Allein der Berg ist steil. O, wär er schon erstiegen!

Ein fruchtbar Tal stieß an des Berges Fuß.
Die größte Menge schöner Früchte
Fiel unserm Jüngling ins Gesichte.
O, dacht er, weil ich doch sehr lange steigen muß:
So will ich, meinen Durst zu stillen,
Den Reisesack mit solchen Früchten fällen.
Er aß, und fand die Frucht vortrefflich vom Geschmack,
Und füllte seinen Reisesack.

Er stieg den Berg hinan, und fiel den Augenblick
Beladen in das Tal zurück.
»O Freund!« rief einer von den Höhen,
»Der Weg zu uns ist nicht so leicht zu gehen.
Der Berg ist steil, und mühsam jeder Schritt.
Und du nimmst dir noch eine Bürde mit?
Vergiß das Obst, das du zu dir genommen,
Sonst wirst du nicht auf diesen Gipfel kommen.
Steig leer, und steig beherzt, und gib dir alle Müh;
Denn unser Glück verdienet sie.«

Er stieg, und sah empor, wie weit er steigen müßte.
Ach Himmel! ach, es war noch weit.
Er ruht und aß zu gleicher Zeit
Von seiner Frucht, damit er sich die Müh versüßte.
Er sah bald in das Tal, und bald den Berg hinan;
Hier traf er Schwierigkeit und dort Vergnügen an.
Er sinnt. Ja ja, er mag es überlegen.
Steig, sagt ihm sein Verstand, bemüh dich um dein Glück.
Nein, sprach sein Herz, kehr in das Tal zurück;
Du steigst sonst über dein Vermögen.
Ruh etwas aus, und iß dich satt,
Und warte, bis dein Fuß die rechten Kräfte hat.
Dies tat er auch. Er pflegte sich im Tale,
Entschloß sich oft zu gehn, und schien sich stets zu matt.
Das erste Hindernis galt auch die andern Male.
Kurz, er vergaß sein Glück, und kam nie in die Stadt.


Dem Jüngling gleichen viele Christen.
Sie wagen auf der Bahn der Tugend einen Schritt,
Und sehn darauf nach ihren Lüsten,
Und nehmen ihre Lüste mit.
Beschwert mit diesen Hindernissen,
Weicht bald ihr träger Geist zurück.
Und, auf ein sinnlich Glück beflissen,
Vergessen sie die Müh um ein unendlich Glück.

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