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Das schönste Kind zu ihren Zeiten,
Selinde, reich an Lieblichkeiten,
Schön, wenn ich also sagen mag,
Schön, wie das Morgenrot, und heiter, wie der Tag;
Selinde soll sich malen lassen.
Sie weigert sich; der Maler ließ nicht nach;
Er bat, bis sie es ihm versprach,
Und schwur, sie recht getreu zu fassen.
Sie fragt, wieviel man ihm bezahlt?
Ich hätte sie umsonst gemalt,
Und hätt ich ja was fordern sollen:
So hätt ich Küsse fordern wollen.
So schön Selinde wirklich war,
So schön, und schöner nicht, stellt sie der Maler dar;
Die kleinste Miene muß ihm glücken,
Das Bild war treu, und schön bis zum Entzücken;
So reizend, daß es selbst der Maler hurtig küßt,
Sobald sein Weib nicht um ihn ist.
Der Maler bringt sein göttliches Gesicht.
Selinde sieht es an, erschrickt, und legt es nieder.
»Hier nehm er sein Gemälde wieder,
Er irrt, mein Freund, das bin ich nicht.
Wer hieß ihn so viel Schmeicheleien,
Uns so viel Reiz auf meine Bildung streuen?
Erdichtet ist der Mund, verschönert ist das Kinn.
Kurz, nehm er nur sein Bildnis hin;
Ich mag nicht schöner sein, als ich in Wahrheit bin.
Vielleicht wollt er die Venus malen:
Von dieser laß er sich bezahlen.«
So ist sie denn allein das Kind,
Das schön ist, ohn es sein zu wollen?
Wie viele kenn ich nicht, die wirklich häßlich sind,
Und die wir mit Gewalt für englisch halten sollen.
Der Maler nimmt sein Bild, und sagt kein einzig Wort,
Geht trotzig, wie ein Künstler, fort.
Was wird er tun? Er wird es doch nicht wagen,
Und so ein schönes Kind verklagen?
Er klagt. Selinde muß sich stellen.
Die Väter werden doch ein gütig Urteil fällen!
O fahrt sie nicht gebietrisch an;
So sehr sie unrecht hat, so edel ist ihr Wahn.
Hier kömmt sie schon, hier kömmt Selinde!
Wer hat mehr Anmut noch gesehen?
Der ganze Rat erstaunt vor diesem schönen Kinde,
Und sein Erstaunen preist sie schön.
Und jeder Greis in dem Gerichte
Verliert die Runzeln vom Gesichte;
Man sah aufs Bild; doch jedesmal
Noch längre Zeit auf das Original;
Und jeder rief: »Sie ist getroffen!«
»O«, sprach sie ganz beschämt, »wie könnt ich dieses hoffen!
Er hat mich viel zu schön gemalt,
Und Schmeichler werden nicht bezahlt.«
»Selinde«, hub der Richter an,
»Kein Maler konnt Euch treuer malen.
Er hat nach seiner Pflicht getan,
Abbittend sollt Ihr ihn bezahlen;
Doch weil Ihr von Euch selbst nicht eingenommen seid:
So geht nicht unbelohnt von diesem Richterplatze;
Empfangt ein Heiratsgut aus dem gemeinen Schatze,
Zum Lohne der Bescheidenheit.«
O weiser Mann, der dieses spricht!
Gerechter ist kein Spruch zu finden.
Du, du verdienst ein ewig Lobgedicht,
Und wärst du jung, verdientest du Selinden.
Selinde geht. Der Beifall folgt ihr nach;
Man sprach von ihr gewiß, wenn man von Schönen sprach;
Je mehr sie zweifelte, ob sie so reizend wäre,
Um desto mehr erhielt sie Ehre. |