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Der farbige Anstrich, den die »Möwe« kurz vor ihrer Ausfahrt aus dem deutschen Hafen bekommen hatte, war durch das wilde Wetter zum größten Teile fortgewaschen worden.
Auch auf See gibt man viel auf das äußere Kleid eines Schiffes. Ein Schiff mit einem so heruntergekommenen Anstrich würde bald in den Augen der ihm begegnenden Kapitäne Verdacht erregen. Jeder würde bedacht sein, bald Namen, Herkunft und Fahrtziel des Schiffes zu erfahren.
Darum war der Kommandant auch darauf bedacht, den tristen Anblick, den sein Schiff bot, durch ein neues Farbenkleid zu verschönen.
Alle Mann müssen wieder mit Farbtopf und Pinsel hantieren. Aber nach einem Tage angestrengter Arbeit präsentiert sich die »Möwe« wieder gut. Der erste Offizier meint, »das Aussehen erwecke jetzt wieder Vertrauen!«
So kommt der 15. Januar heran.
Es ist noch nicht ganz heller Tag, da wird schon wieder eine Rauchfahne in der Ferne gesichtet, die sich beim Näherkommen als der englische Dampfer »Ariadne« entpuppt.
Das Schiff ist dreitausend Tonnen groß, mit Mais beladen. In den Zeremonien beim Anruf, der Übernahme der Mannschaft und Vernichtung des Schiffes wurde keine Neuerung eingeführt, da sich die bisherige Methode gut bewährt hatte.
Als die Mannschaft übernommen ist, wird der »Ariadne« das Todesurteil gesprochen. Diesmal soll das Schiff nicht durch Sprengpatronen in die Tiefe geschickt werden. Der Kapitän will es, wie schon bei dem »Farringford«, durch eine Granate vom Leben zum Tode bringen.
Will der Kapitän den Leuten an den Geschützen dabei Gelegenheit geben, sich im Zielen und Schießen zu üben? –
Der erste Schuß sollte auf das Kartenhaus der »Ariadne« abgegeben werden.
Die Granate schlägt ein und zündet. Doch zum Schrecken und Entsetzen aller beginnt das Schiff mit einer ungeheuren Rauchentwicklung zu brennen. Dieser furchtbare massenhafte Rauch ist meilenweit auf dem Ozean zu sehen. Die Aufmerksamkeit der Kapitäne würde sofort auf dieses sonderbare Phänomen gelenkt und der Ursache nachgeprüft werden.
Eine vorzeitige Entdeckung der »Möwe« wäre die sichere Folge davon.
Um dem Übel zu steuern, beschließt Graf Dohna, das qualmende Schiff durch ein Torpedo zu vernichten. Das Geschoß trifft unter Wasser die »Ariadne«, – in wenigen Minuten sackt das qualmende Ungeheuer fort.
Die »Ariadne« ist bestattet und aller Augen suchen den weiten Horizont nach neuen Opfern ab.
Auch diesmal nicht ohne Erfolg. Am Steuerbord kommt ein schnellaufendes Dampfschiff in Sicht. Es hat Kurs nach Norden. Wenn es nicht ausreißen soll, tut Eile not.
In allen Kesseln wird Dampf aufgemacht und in hoher Fahrt hält die »Möwe« auf den großen Dampfer zu.
Der Kommandant der »Möwe« ist zunächst wieder besorgt, daß dieses schnellfahrende Schiff Funkentelegraphie an Bord haben könne. Um sich nicht vorher zu erkennen zu geben, nimmt die »Möwe« einen anderen Kurs und fährt so, daß das gesichtete Schiff, wenn es nicht mit der »Möwe« Zusammenstößen soll, hinter ihr herumfahren muß.
Die List gelingt. Das fremde Schiff muß ausweichen, und nun liest man seinen Namen. Es heißt »Appam«.
An Bord befindet sich die Liste aller Dampfer der Welt. Eiligst sucht man darin »Appam«. Und zur Freude des Kommandanten wird das Schiff als ein der Elder-Dempster-Linie gehöriges, 7800 Tonnen großes Passagierschilfs ermittelt, das auch mit Funkentelegraphie ausgerüstet ist.
Sobald seine Herkunft festgestellt ist, befiehlt die »Möwe« dem britischen Schiff unter gleichzeitiger Hissung der deutschen Kriegsflagge, sofort zu stoppen.
Der Kapitän der »Appam« tut aber so, als ginge ihn dieser Befehl gar nichts an. Mit Volldampf sucht er zu entfliehen. Erst ein scharfer Schuß läßt es seine Fahrt verlangsamen.
Doch im selben Augenblick sieht der Kapitän, daß das Schiff dabei ist, Funksprüche auszuschicken. Um die Telegraphie zu stören, wird von der Funkerbude der »Möwe« aus in die Funksprüche hineintelegraphiert, so daß der »Appam« der Funkspruch gar nichts nützt, zum mindesten aber, wenn er die Küste erreicht, ganz verstümmelt ist.
Um eine weitere Funkentelegraphie zu verhindern, werden die Geschütze auf ihre Funkenstation gerichtet.
Das Beginnen ist denn auch von großer Wirkung.
Als die »Möwe« sich der »Appam« mehr nähert, entdeckt sie, daß englische Kriegsschiffmatrosen in Uniform auf dem Schiff sind und gerade im Begriff, eine Schnellfeuerkanone auf die »Möwe« zu richten.
Die englische Regierung, die bisher stets abgeleugnet hatte, daß sie Passagierdampfer kriegsmäßig bewaffnet, wird in diesem Falle, wie auch früher schon oft, ihrer vollendeten Lügenhaftigkeit und Heuchelei überführt.
Die Vorbereitungen der englischen Kriegsschiffmatrosen hatten allein schon genügt, die »Appam« zu beschießen. Die englische Regierung hat damit wieder in leichtfertiger Weise das Leben der Passagiere aufs Spiel gesetzt. Nur dem vornehmklugen Zurückhalten des »Möwe«-Kommandanten haben es die Passagiere der »Appam« zu danken, daß großes Unglück verhütet wurde.
Da die Kriegsschiffmatrosen noch immer an der kleinen Schnellfeuerkanone auf der »Appam« sich zu schaffen machen, schickt die »Möwe« eine scharfe Granate über die Köpfe der tolldreisten Leute hinweg. Trotzdem versuchten sie, einen Schuß auf die »Möwe« abzugeben. Erst als aus Gewehren scharf geschossen wird, ziehen sie sich zurück.
Zwei Boote mit Offizieren und Mannschaften stoßen von der »Möwe« ab. Währenddessen kann man sehen, wie die zahlreichen Passagiere angsterfüllt auf Deck erscheinen. Ganz im Gegensatz zu einem Häuflein Menschen, die sich an der Reeling drängen und den Leuten auf der »Möwe« mit Händen und Tüchern freudig zuwinken.
Als die deutschen blauen Jungen an Bord der »Appam« sind und alle Passagiere in Totenstille auf das ihnen zu verkündende Schicksal harrten, hörte man in deutscher Sprache einen Mann rufen:
»Hier sollen Deutsche an Bord sein?«
Es war der Schiffsarzt vom Kriegsschiff. »Ja«, tönt es ihm von allen Seiten entgegen. »Ja, hier sind Deutsche! Und Sie kommen, uns zu befreien? Ja, kann denn das möglich sein?«
Es waren etwa dreißig Deutsche, darunter Frauen und Kinder. Und unter ihnen Kriegsgefangene von der Kameruner Schutztruppe, die heldenhaft bis zur letzten Patrone in treuer Pflichterfüllung auf dem Posten geblieben waren.
Die Armen, die mit einem Male unverhofft und unvermittelt aus ihrem Gefängnis befreit waren, wußten vor Glück, Stolz und Bewunderung nicht, was sie sagen sollten.
Da scholl es durch die Reihen:
»Alle Deutschen auf die Kommandobrücke!«
Und erhobenen Hauptes, strahlend vor unsagbarer Freude, schritten die gefangenen Deutschen durch die Reihen der englischen Passagiere, die bang und leise die Frage an sie richteten: »Wird die ›Appam‹ versenkt?«
Was wußten die Deutschen davon?! Sie wußten nur das eine, daß sie aus dem Gefängnis befreit und daß wieder deutsche Laute an ihr Ohr schlugen.
Und den bisher Eingesperrten machten die Engländer eifrig und willig Platz. Denn jetzt hatte sich die Situation geändert.
Der englische Kapitän war völlig geknickt. Er stand bestürzt da und konnte sich gar nicht fassen. Zum dreizehnten Male hatte er die Fahrt mit der »Appam« gemacht. Nun sollte er sein schönes Schiff verlassen und war ein Gefangener?!
Als ihm befohlen wurde, seine Koffer zu packen und auf die »Möwe« zu gehen, verstand er erst gar nicht, um was es sich handele. Erst als zum zweiten und dritten Male die Aufforderung an ihn erging, wandelte er wie im Traume, von einem Posten mit Gewehr begleitet, nach seiner Kabine, um seine sieben Sachen zu packen.
Die Engländer ließen die Deutschen von schmutzigen, brutalen Negern eskortieren. Hier konnten sie sich überzeugen, wie vornehm die Deutschen mit ihren Gefangenen umgingen.
In aller Eile hatten sich alle Engländer mit Rettungsgürteln versehen. Sie waren auf das Schlimmste gefaßt. Als ihnen bekannt wurde, daß der Dampfer nicht versenkt wurde, atmeten sie erleichtert auf.
In die allgemeine Aufregung der Menschen auf der »Appam« fiel ein Befehl, der die deutschen Frauen hart traf. Die deutschen Männer wurden sämtlich auf die »Möwe« gebracht. Freudetrunken erstiegen sie die Treppe zur Kommandobrücke, um dem Kommandanten für ihre Befreiung zu danken.
Jedem wurde ein Glas Schaumwein gereicht. Nachdem sie den deutschen Wein getrunken hatten, sprach Herr Petersen dem Kapitän seinen Dank aus und bat um die Erlaubnis, ein Hoch auf Kaiser Wilhelm ausbringen zu dürfen.
Drei Hurras für den deutschen Kaiser erklangen. Nach einer flüchtigen Beratung wurden die deutschen Ansiedler wieder zu ihren Frauen nach der »Appam« hinübergeschickt.
Die englischen Offiziere, die an Bord waren, wurden auf die »Möwe« gebracht, ebenso die englischen Matrosen. Sie wurden sämtlich Kriegsgefangene.
Nun übernahm die »Appam« die bereits gefangenen Mannschaften nebst sieben Kapitänen. Im ganzen waren somit 450 Personen auf der »Appam«.
Das Erstaunen des »Möwe«-Kommandanten wuchs, als ihm gemeldet wurde: auf der »Appam« befände sich eine dreitausend Tonnen große, sehr wertvolle Ladung.
Eine Million Mark in Gold fand sich vor, sechzehn eiserne Kisten, in denen Goldbarren und Goldstaub lag, die unverzüglich an Bord der »Möwe« gebracht wurden.
Die Feinde Deutschlands haben überall in der Welt die deutsche Kriegführung schmählich verleumdet. In den von ihnen bezahlten, feilen Blättern haben sie verbreitet: die deutschen Krieger schlachten nicht nur wehrlose Menschen, sie töten auch mit teuflischer List alle Kriegsgefangenen.
Die englischen Passagiere auf der »Appam« zitterten um ihr Leben und baten flehentlich, sie nicht zu töten.
Als die deutschen Offiziere sie auslachten, glaubten sie zu träumen. An eine so gütige, menschenfreundliche Behandlung hatten sie nicht im entferntesten gedacht.
Für den Kapitän der »Möwe« entstand nun die Sorge, wie er sich der vielen Passagiere entledigen könne. Denn der Proviant auf seinem Schiff war auch schon stark gelichtet und hätte in keinem Falle noch für die Ernährung einer so großen Anzahl Menschen für längere Zeit ausgereicht.
Sein Entschluß war kurz und rasch.
Er stellte die »Appam« unter den Befehl des Leutnants der Reserve Berg. Mehr als zweiundzwanzig Mann Prisenbemannung konnte er ihm nicht mitgeben. Er mußte sehen, wie er damit zurecht käme.
Auf Leutnant Berg konnte er sich aber verlassen. Er kannte ihn als einen energischen, zielbewußten Mann, mit dem nicht zu spaßen war.
Nachdem die Nahrungsmittel und der Kohlenvorrat festgestellt waren, war es Zeit, sich zu verabschieden.
»Also, mein lieber Leutnant, Sie werden die ›Appam‹ nach Amerika führen. Die ›Appam‹ ist jetzt ein deutsches Schiff. Machen Sie die Menschen, die sämtlich Ihrem Kommando unterstellt sind, darauf aufmerksam, daß bei dem geringsten Versuch eines Widerstandes Sie das Schiff in die Luft sprengen. Lassen Sie alle sehen, wie das Schiff mit Bomben belegt wird. Zeigen Sie den Leuten den Ernst ihrer Lage.
Und noch eins: halten Sie die Rationen so kurz als möglich. Sparen Sie mit dem Brennstoff! Sie wissen, es handelt sich darum, daß Sie erst so spät als möglich Amerika erreichen. Bis jetzt stellt man über die verschwundenen Schiffe noch Vermutungen an. Sobald aber die ersten Passagiere die amerikanische Küste betreten haben, ist es mit dem Geheimnis der ›Möwe‹ aus.
Das Geheimnis der ›Möwe‹ hat dann aufgehört zu bestehen. Man weiß hoffentlich dann, daß die englische Blockade nur ein englischer Bluff war, und man wird auf der Heimreise höllisch aufpassen, um unsere gute ›Möwe‹ zu vernichten und unsere reiche Beute uns wieder abzujagen.
Nicht wahr, Sie verstehen mich, mein lieber Berg: fahren Sie recht langsam und landen Sie recht spät in Amerika.
Und nun, leben Sie wohl! Gebe der Himmel, daß wir uns dereinst noch heil und gesund wiedersehen.«
»Auch ich wünsche dem Herrn Kapitän eine glückliche Heimreise«, sprach Leutnant Berg.
Die Männer schüttelten sich die Hände. Sie verstanden sich.
Doch einer gewissen Besorgnis konnte sich Kapitän Dohna nicht erwehren. Vierhundertfünfzig Menschen, von denen weit über die Hälfte kräftige Männer waren, darunter erprobte Soldaten, gegen das kleine Prisenkommando von zweiundzwanzig Mann! – – Wenn die Feinde es sich einfallen lassen sollten, zu meutern, – gar so schwer war es wohl nicht, daß die Handvoll Menschen von der Übermacht erdrückt wurden. – Was dann?
Dann waren seine tapfern blauen Jungen dahin und das schöne große Schiff war auch verloren.
Er ließ die gefangenen Kapitäne sämtlich zu sich in seine Kajüte kommen. Dazu entbot er die zwei angesehensten englischen Passagiere, die sich auf der »Appam« befanden, in seine Kajüte. Es waren dies die Gouverneure der englischen Kolonien von Nigeria und Sierra Leone, Mister James und Sir Edward Merewether.
Graf Dohna ist sehr ernst. Er erklärt beiden Gouverneuren besonders, daß sie die ihnen widerfahrene gute Behandlung nur ihrem taktvollen Benehmen gegenüber den deutschen Gefangenen zu verdanken hätten. Es bliebe ihnen jetzt nur noch übrig, auf der Reise, die sie antreten, ihren Einfluß aufzubieten, um jegliche Ungehörigkeit unter den Passagieren zu unterdrücken.
Der »Möwe«-Kommandant teilte ihnen mit, daß sie nicht als Gefangene behandelt werden, sondern so behandelt werden sollen wie bisher. Jedoch unter der einzigen, ausdrücklichen Bedingung, daß sie allen Anordnungen des deutschen Befehlshabers unbedingt zu folgen hätten. Sie hätten sich alle schweren Strafen, die aus dem Gegenteil hervorgingen, selbst zuzuschreiben. Er wies sie nochmals darauf hin, daß Kapitän Berg das Schiff unfehlbar in die Luft sprengen würde, sobald auch nur das leiseste Anzeichen eines Widerstandes gegen seine Befehle bemerkbar würde.
Die Männer versprachen mit Wort und Hand, ihren Einfluß in der angegebenen Weise aufzubieten. Dann verabschiedeten sie sich von dem »Möwe«-Kommandanten und als auch die »Möwe« Dampf aufmachte, folgte die »Appam« zunächst in ihrem Kielwasser.