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Im deutschen Kriegshafen legte Ende des Jahres 1915 ein schlichter Kreuzer an.
Auf dem Deck des Schiffes ist seit Tagen ein seltenes Hasten und Treiben.
Die geöffneten Luken nehmen schier unerschöpfliche Mengen an Kisten und Tonnen auf. Riesige Ballen, über deren geheimnisvolles Innere man sich vergeblich den Kopf zerbricht, wandern denselben Weg und verschwinden spurlos im Bauch des großen Schiffes.
Tage und Nächte dauert diese Arbeit fort. Auf vielen Kisten finden sich Vermerke, die auf deren gefährlichen Inhalt hindeuten.
Was mag darinnen sein? Pulver, Gewehrkugeln, Granaten? – Wohl von jedem etwas.
Niedrige kleine Wäglein folgten in zahlreicher Menge den großen Ballen.
Was sollen die kleinen Wagen auf dem Schiffe?
Immer seltsamere und fragwürdigere Formen nehmen die auf den Kreuzer wandernden Ballen an.
Und je länger der Transport dauert, je umfangreicher die Ladungen werden, je mehr und je gewaltiger die Kohlenmengen sind, die im Innern des Schiffsraumes verschwinden, umso verwundertere Gesichter machen die zahlreichen Mannschaften.
Einer fragt leise den andern, was denn das Ganze bedeuten solle, das Verstauen so vieler Güter auf einem Kriegsschiff. Denn daß es ein Kriegsschiff ist, kann ein Blinder merken. Die großen Kanonenrohre verstecken sich nicht. Ihre eisernen Mündungen blicken drohend nach allen Seiten.
»Kinnings, watt soll'n dat nur werd'n? – Wo wöll'n wi denn hin?«
Jeder zuckt die Achseln. Der Bootsmann fragt den Zimmermann, der Segelmacher den Schmied, der Zahlmeister den Rohrmeister, der Geschützführer den Torpederoffizier. Einer rät auf dieses, der andere auf jenes, und je gewagter die Antwort ausfällt, um so weniger Glauben findet sie.
Keiner weiß etwas Gewisses. Jeder ist in Erwartung. Und je länger das Verladen währt, je größer wird die Spannung, bis sich schließlich der gesamten Mannschaft eine Erregung bemächtigt hat, die in immer lauteren und derberen Gesprächen einen Ausweg sucht.
In einer Gruppe von Matrosen ist die Debatte besonders laut geworden.
»Und ich sag euch, wir gehen mit dem Schiff nach Schweden!« sagte der Bootsmann Dörp.
»Paßt nur auf! Noch kein Tag wird vergehen, dann fahren wir durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal«, antwortete Wessel, der Zimmermann.
»Mensch, du bist übergeschnappt! Du hältst wohl einen Priem für ein Kanonenrohr? – Was sollen wir in Schweden?« »Das kannst du dir nicht allein sagen? – Was wir eingeladen haben, sind Kaufmannsgüter. Dafür holen wir von da oben Tran.«
»Mir scheint,« antwortete der erste, »du bist wohl im Tran! – Die deutsche Kriegsmarine hat's noch immer nicht nötig, Paketfahrtdienste zu tun. Dazu gibt's noch zuviel Arbeit für die Kanonen.«
Der Segelmacher Krischan meinte, das Schiff würde doch in die Ostsee einfahren, aber mit der Richtung auf Petersburg. –
Ein Gelächter antwortete dem Schlaukopf.
»Du hast wohl seit gestern erst Seemann gelernt?«
»Hältst wohl einen Kreuzer für'n Äppelkahn?«
»Der Mensch will mit dem Schiff nach Petersburg!«
»Krischan hält den Kreuzer für'n Luftschiff!«
»Krischan scheint 'nen Balken auf'n Kopf gefallen zu sein.«
»Nicht doch,« riefen andere, »Krischan ist nichts auf den Kopf gefallen, Krischan hat Wasser im Kopf, statt Grütze.«
»Krischan ist'n Hauptkerl, – er hält die Nordsee für'n Teller Suppe.«
»Nein, Krischan, wie groß denkst du dir wohl einen Walfisch? – Wohl so groß wie 'ne Sardelle?«
Die Stichelreden und Witzworte flogen hin und her und trieben Krischan, dem Segelmacher, das Blut in den Kopf.
»Ihr Überklugen,« rief er wütend, »ihr wißt ebensowenig wie ich und wollt euch über mich lustig machen! – Verlangt ihr etwa, daß ich's wissen soll, wohin die Reise geht?«
»Nein, nein, Krischan, um Gottes willen nicht.«
»Nun also! Dann seid man friedlich und haltet den Dampf an .. Wie könnt ihr von einem einfachen Matrosen solche Wissenschaft verlangen, wenn's nicht mal unsere Offiziere wissen?«
»Da hat er wieder recht«, scholl's von allen Seiten. »Das wird wohl außer unserm Kommandanten keiner zu wissen kriegen.«
Das Gespräch verstummte. Der Kommandant, Korvettenkapitän Graf Dohna betrat in Begleitung des ersten Offiziers das Schiff.
Das Kohlentrimmen hatte schon am frühen Morgen aufgehört. Das Oberdeck war längst einer gründlichen Reinigung unterzogen worden und seit Mittag lagen die Kessel unter Dampf.
Kapitän Nikolaus Burggraf zu Dohna-Schlodien schritt in ernstem Gespräch mit dem ersten Offizier auf dem Achterdeck auf und nieder.
Hundert Augen folgten ihm neugierig, als ob sie vermeinten, aus seinen ernsten Zügen das Ziel der kommenden Fahrt ablesen zu türmen.
Der schlanke, mittelgroße Mann mit den gemessenen Bewegungen, dem ernsten, hübschen Profil, war ganz dazu angetan, das Interesse aller, die mit ihm zu tun hatten, wachzurufen.
Wer einen flüchtigen Blick auf diesen Mann warf, täuschte sich bestimmt, wenn er ein harmlos-gutmütiges Temperament in ihm vermutete. Wehe, wenn er in Zorn geriet! Wenn sein gerechter Zorn losbrach, dann flammten seine braunen Augen in unheimlichem Feuer. Da beeilte sich jeder, wenn er nur konnte, ihm auszuweichen.
Und seinem scharfen Auge entging nicht das Geringste. Sein Wesen verkündete den ganzen Soldaten. Er stammte auch aus einer alten Soldatenfamilie. Seit Hunderten von Jahren war das Geschlecht der Burggrafen zu Dohna in deutschen Landen bekannt und geehrt. Und Nikolaus zu Dohna war dazu berufen, den guten Klang seines Namens zu neuen, großen Ehren zu bringen.
Der Kommandant betritt die Kommandobrücke. Ein Klingelzeichen nach dem Maschinenraum ertönt.
»Mit halber Kraft vorwärts!« ruft er in den Maschinenraum.
Die Mannschaft steckt die Köpfe zusammen.
Aha, nun wird sich's ja bald zeigen, wohin die Fahrt geht!
Man hört die Maschine ruhig arbeiten. Die Ufer treten zurück. Nach einer Stunde durchschneidet das Schiff mit seinem Kiel die offene See.
»Mit Volldampf voraus!«
Die Schraube arbeitet stärker und pfeilgeschwind saust das Schiff, jeder Wendung des Steuers gehorchend, durch die stahlblaue Flut.
Helgoland ist in Sicht.
Wird die Wißbegierde endlich ihre Befriedigung finden?
Eine allgemeine Enttäuschung malt sich auf allen Gesichtern. Der Befehl kommt, das Schiff zu wenden.
Heimwärts geht's wieder und am Abend liegt die »Möwe« wieder verankert an derselben Stelle, von der sie heut mittag ausgelaufen war.
Die Mannschaft darf nicht mehr an Land. Es war nur eine Probefahrt, der in der Nacht eine zweite folgte.
»Um so besser«, lassen sich wieder die Stimmen der Leute vernehmen, »übermorgen haben wir Heiligabend. Da gibt's vielleicht doch noch Urlaub, daß wir zu Muttern nach Hause können. – Es sind also nur Probefahrten gewesen, denen vielleicht noch einhalb Dutzend folgen werden. – Wo sollten wir auch hin? – Jede Vermutung wird falsch sein. Und wenn wir das Unmöglichste annehmen, – durch die Sperre der englischen Flotte kommen wir niemals durch.«
»Nein,« rufen sie im Chore, »die englische Blockade zu durchbrechen wäre ja der reine Wahnsinn. – Ja, wenn's noch ein paar große Panzerschiffe wären, da ließe sich vielleicht drüber reden, – aber mit der kleinen ›Möwe‹, – das ist ganz ausgeschlossen.«
Bei allen stand nunmehr ein Weihnachtsurlaub fest.
Briefe und Karten wurden geschrieben, daß die Angehörigen, – vorausgesetzt, daß der Kommandant den Urlaub genehmigt, – den Schreiber zu Hause erwarten dürften.
Die nächsten Stunden schon brachten den erregten Männern die so lang entbehrte Gewißheit.
Alles, was Arme und Beine hatte, wurde auf Deck befohlen. Jeder bekam einen Pinsel und einen Farbtopf in die Hand. Das Schiff wurde von oben bis unten neu angestrichen.
»Kiek mal eener an,« rief Dörp den Kameraden zu, »nu kriegt unsre ›Möwe‹ 'nen Anstrich, wie'n janz jewöhnlicher Frachtdampfer.«
Alle Aufbauten, die Takelage und Schiffswände, wurden bemalt, daß es nur so eine Art hatte. Und als der Abend kam, sah das Kriegsschiff in der Tat von außen einem Frachtdampfer verteufelt ähnlich.
Mit Wohlgefallen sah der Kommandant auf die Veränderung.
Es wurde bekannt, daß am kommenden Morgen das Schiff seiner Bestimmung zugeführt werden sollte.
Ein tolles Regenwetter war über Nacht eingetreten. Jupiter Pluvius hatte das Schiff mit seinen Regenmassen noch einmal gestrichen, war dabei aber nicht so kunstgerecht verfahren, wie die Menschenmaler. Die »Möwe« hatte jetzt das Aussehen eines Zebras bekommen.
Mit einer solchen Bemalung würde das Schiff jedem Feinde aufgefallen sein.
Von neuem mußte die Mannschaft wieder zu Pinsel und Farbtopf greifen und das ganze Werk noch einmal wiederholen.
Und der Himmel hatte ein Einsehen. Der Regen hatte aufgehört. Die Farbe hielt fest, und einen Tag vor Heiligabend hieß es »Anker auf!« und wiederum dampfte die »Möwe« gegen Abend aus dem Hafen, einer ungewissen Zukunft entgegen.
Den Matrosen zeigte sich das nämliche Bild.
Die Küsten verschwanden.
Mit halber Kraft nur wird gefahren.
Es ist ein trübes, nebliges Wetter.
Gespenstisch ist für einen Augenblick der Felsen von Helgoland sichtbar.
Das Wetter ist unsichtig und bald ist auch dieses scharf bewehrte Eiland verschwunden. Der Kurs geht nach Nordwesten.
Immer schwärzer wird die Nacht, immer dichter der Nebel.
Die Posten strengen die Augen an, um durch das tiefe Dunkel zu dringen.
Mit halber Fahrt geht's vorwärts. Die Spannung steigt mit jeder Minute mehr. In jedem Moment kann das Schiff auf englische Streitkräfte stoßen. Feindliche Unterseeboote patrouillieren, wie man wußte, unausgesetzt als Vorposten.
Torpedoboote und Zerstörer waren tagsvorher in großer Anzahl gesichtet worden.
Die »Möwe« ist kampfbereit. Alle Mann sind an den Geschützen. Der Feind soll schon gebührend empfangen werden.
Bei völlig abgeblendeten Lichtern wird die Fahrt noch mehr verlangsamt.
Jetzt hält der Kommandant den Augenblick für gekommen, um der Mannschaft zu sagen, wohin die Fahrt gehen soll.
Auf Deck werden alle versammelt.
Graf Dohna tritt unter sie. Tiefe Stille herrscht. Man hört nur das Arbeiten der Maschine. Alle Augen sind auf ihren Führer gerichtet.
»Kameraden, ich habe euch um mich versammelt, um euch zu sagen, daß es gegen den Feind, – daß wir gegen England gehen.
Unsere Aufgabe ist schwer und groß. Wir wollen an den feindlichen Küsten Minen legen. Dann wollen wir dem englischen Seeräuber soviel Schaden zufügen, als wir können.«
Eine mächtige Bewegung ging bei diesen Worten durch die Reihen der Seeleute.
»Ihr wißt, daß Englands große Flotte unsere heimatlichen Küsten seit Kriegsausbruch von jeder Zufuhr abgesperrt hat. Es rühmt sich vor aller Welt, uns blockieren, unser deutsches Volk aushungern zu können. In diesen eisernen Absperrgürtel wollen wir eine Bresche legen. Wir wollen dem Feinde zeigen, daß seine Blockade ein Trugbild ist, mit dem er die Welt täuscht. Wir wollen ihm zeigen, was unsere Flotte in harter Friedensarbeit gelernt hat.
Unsere Arbeit wird nicht leicht sein und wohl mancher unter uns wird, wenn es Gott so gefällt, – die Heimat nicht wiedersehen. – Doch darauf sind wir alle vorbereitet. Wir Deutschen fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt! Wir kämpfen für unsere Freiheit, für unser Vaterland. – Ich weiß, daß jeder von euch seine Pflicht tun wird, vom ersten bis zum letzten Mann.
Nun gehe jeder auf seinen Posten.« – –
An den Ausgucken werden die Leute alle zwei Stunden abgelöst. Die Offiziere ziehen alle vier Stunden auf Gefechtswache. Kein überflüssiges Wort wird gesprochen. Durch den dicken Nebel gleitet die »Möwe« wie ein Geisterschiff.
Die neuen Wikinger ziehen furchtlos gegen einen riesenstarken Feind aus. Noch wissen sie nicht, wo er auf Beute lauert. Sie sind auf der Suche nach ihm. Und sie werden ihn, trotz Nacht und Nebel, finden und packen und mit ihren scharfen Waffen ihn fühlen lassen, was deutscher Mut und deutsche Kraft vermag.
Der Mann am Steuer ist seelenruhig. Er weiß, daß das Schiff den richtigen Kurs hält.
Ein schwacher Dämmerschein im Osten kündigt den neuen Tag an.
Noch ist die Luft mit dickem Nebel voll. Die Sonne steigt und mit einem Male zerreißt die Nebelwand. Und freudig schauen die Blaujacken auf himmelhohe, mit Schnee bedeckte Berge.
Die norwegische Küste ist erreicht.
Der Tag verspricht schön zu werden, doppelt schön, weil die »Möwe« alle Hindernisse, die von der feindlichen Küste drohten, zunächst überwunden hat und nun daran gehen kann, ihre erste Aufgabe zu erfüllen: um die englische Küste einen Gürtel von gefährlichen Minen zu legen.