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Prijamwada erhob sich und holte aus einer Ecke des Zimmers ein kleines Lacktischchen herbei, das sie vor Volmerange, der mit ängstlicher Neugier ihren Bewegungen folgte, niedersetzte. Eine rosenrote, eben erblühte Lotosblume neigte sich aus einer mit Wasser gefüllten Kristallschale. Prijamwada nahm die Blüte und goß das Wasser aus. Die Kristallschale setzte sie auf das Tischchen und füllte sie aus einer eigenartig ziselierten und sorgfältig verschlossenen Kanne neu mit Wasser.
»Dieses ist von dem geheimnisvollen Wasser, das der Himmel auf dem Berge Schimawontam ausgießt«, sagte die junge Inderin. »Es fließt aus dem Maul der heiligen Kuh, die von dem frommen Bagireta geweidet wird. Früher nannte man diesen heiligen Fluß Chialoros, heute heißt er Ganges. Ich habe es unter den vorgeschriebenen Formeln auf der Marmortreppe der Pagode von Benares kniend geschöpft. Es besitzt übernatürliche Eigenschaften und wird uns bei unserem Tun behilflich sein.«
Der Graf hörte Prijamwada aufmerksam zu, aber der Sinn ihrer Worte blieb ihm völlig unverständlich.
Sie öffnete jetzt mehrere Kästchen und entnahm diesen verschiedene Pulver, die sie auf den vier Räucherbecken aus Porzellan, welche sie an den vier Ecken des Tischchens aufgestellt hatte, verteilte. Leichte, bläuliche Wolkensäulen wirbelten in Spiralen auf und verbreiteten einen durchdringenden Geruch.
»So,« sagte Prijamwada, »nun neigt Euer Gesicht über diese Schale und heftet Eure Blicke mit der ganzen Eindringlichkeit, deren Ihr fähig seid, auf den Wasserspiegel, während ich mit den magischen Worten die geheimen Kräfte anrufen werde.«
Nichts konnte weniger an den üblichen Hexenzauber erinnern als diese Szene: es fehlte die Spelunke mit ihrem alten Gerümpel; es gab weder eine Hauskröte noch einen schwarzen Kater, noch das fettig abgegriffene Zauberbuch. Man befand sich in einem luftigen Prunkgemach vor einer Schale kristallklaren Wassers und hatte das schönste Mädchen vor Augen. Obwohl also jeder Anstrich des Unheimlichen fehlte, fühlte Volmerange sein Herz doch höher schlagen, als er sich jetzt über die Schale neigte. Das Unbekannte, in welcher Form es sich immer zeigen mag, beunruhigt das menschliche Gemüt.
Nun begann Prijamwada vor dem Tischchen stehend ihre Beschwörung mit halblauter Stimme und in unverständlicher Sprache vorzutragen. Sie war von heiligem Eifer beseelt; ihre zum Himmel emporgerichteten Blicke ließen nur noch die perlmutterschimmernden, weißen Augäpfel sehen. Ihre Brust hob und senkte sich unter heftigen Seufzern, und die Inbrunst ihres Gebetes malte Purpurröte auf ihre ambrafarbigen Wangen.
Eine Weile fuhr sie in dieser Weise fort; dann zu einer bestimmten Formel immer wieder zurückkehrend, sprach sie wie zu Wesen gewendet, die ihr allein sichtbar sein mochten: »Nun, ihr Roten und Goldenen! Tut eure Pflicht!«
Volmerange, der bis dahin trotz eifrigen Spähens nichts anderes als klares Wasser in der Schale wahrgenommen hatte, bemerkte jetzt eine milchige Trübung, die sich mehr und mehr verbreitete wie eine Rauchwolke, die vom Grund des Gefäßes aufzusteigen schien.
»Zeigt sich die Wolke?« fragte das indische Mädchen.
»Ja, es ist, als hätte eine unsichtbare Hand eine trübende Essenz in das Wasser gegossen.«
»Die Hand des Geistes bewegt das Wasser«, sagte Prijamwada in selbstverständlichem Ton.
Der Graf hob neugierig den Kopf.
»Eure Blicke dürfen den Tisch nicht verlassen!« rief Prijamwada flehend, »sonst ist der Zauber gebrochen.«
Gehorsam neigte der Graf sein Haupt wieder auf die Schale.
»Was seht Ihr jetzt?«
»Ein farbiger Kreis hebt sich vom Boden des Gefäßes ab.«
»Nur ein einziger?«
»Oh, jetzt verdoppelt er sich und schillert in allen Farben des Regenbogens!«
»Zwei sind noch nicht genug, es müssen ihrer drei sein: einer für Brahma, einer für Wischnu und einer für Schiva. Seht gut hin; ich werde den Zauber noch einmal sprechen«, sagte Prijamwada und nahm ihre vorherige feierliche Haltung wieder ein.
Jetzt erschien auch der dritte Kreis, im Anfang verschwommen und farblos, wie der Schatten eines Regenbogens neben dem wirklichen. Aber bald festigte sich sein Umriß, und er erschien hell und strahlend neben den beiden übrigen.
»Jetzt sind es ihrer drei!« rief der Graf, der trotz seiner europäischen Skepsis sich eines lebhaften Erstaunens über diese drei flammenden Ringe, die sich auf physikalischem Wege nicht erklären ließen, nicht erwehren konnte.
»Die drei Ringe sind da; der Kreis ist gezogen. Geister, holt ihn herbei, den wir brauchen. Welches der Winkel auf Erden sei, in dem er sich aufhält, welches die Zeit sei, in der er lebt – und wäre es vor Adams Tagen, der auf der Insel Serendile begraben liegt –, zwinget ihn, daß er sich zeige und sich selbst verrate: als Schatten, wenn er gestorben ist; als Bildnis, wenn er noch lebt.«
Bei diesen feierlich gesprochenen Worten beugte sich Volmerange noch gieriger über die Schale. Sollte er an die Wirksamkeit dieser Zauberformel glauben?
Die Vorurteile des zivilisierten Menschen lehnten sich gegen eine solche Zumutung auf. Und doch brachten schon die bereits eingetroffenen Zeichen seinen Unglauben ins Wanken. Aber die Ungewißheit sollte nicht lange dauern; denn plötzlich löste sich vom Grund des Wassers, innerhalb des von den drei Kreisen umrissenen Raumes aus einer scheinbar ungeheuren Tiefe heraus ein Fleck, der sich rasch näherte und immer deutlichere Formen annahm.
»Zeigt sich irgendeine Erscheinung?« fragte Prijamwada.
»Ein Mann, dessen Züge ich noch nicht zu unterscheiden vermag, kommt mir entgegen.«
»Sobald Ihr ihn deutlich erkennen werdet, prägt Euch seine Züge genau ein; denn ich vermag den Astralleib nicht zweimal von derselben Person loszulösen,« sagte die Inderin in ernstem Ton.
Wie von einem unsichtbaren Pinsel entworfen, bildete sich jetzt die beschworene Gestalt: ein Blitz zuckte durch das Wasser, und Volmerange erkannte ohne jeden Zweifel das scharfgeschnittene bleiche Gesicht Xavers. Ein Wutschrei entrang sich dem Munde des Grafen. Aber da verbreitete sich auch schon wieder die milchige Wolke in der Schale – das Bild trübte sich und verschwand.
»Dolfos, ein Mitglied unserer Junta«, stammelte Volmerange wie erstarrt.
Dolfos war in der Tat der wirkliche Name des Menschen, den Edith nur als Xaver gekannt hatte. Xaver – oder sagen wir jetzt besser Dolfos –, der dieses hydromantische Entdeckungsverfahren nicht vorausahnen konnte, hatte durch die falsche Benennung seine dunkeln Machenschaften noch mehr zu verwischen geglaubt.
Prijamwada zeigte über die wunderbare Enthüllung nicht die geringste Überraschung. Ruhig goß sie das heilige Gangeswasser in den Krug zurück, dem sie es entnommen hatte, und sagte: »Jetzt kann mein Gebieter sich rächen, wenn es ihm beliebt. Meine Kunst hat ihm den Schuldigen gezeigt.«
»Höre, Prijamwada,« schrie der Graf hoch aufgerichtet, »ich will dir nach Indien folgen, ich will tun, was du befiehlst; mein Herz und mein Arm sind dir in ewiger Dankbarkeit verpflichtet. Nur für jetzt gib mich frei. Denn ich kenne nur noch meine Rache.«
»Ziehe hin,« entgegnete Prijamwada. »Sei so furchtbar wie Durga, dessen gellender Schrei das Herz der Sünde erstarren läßt; und so schrecklich wie Narsingha, der Mannlöwe, der Hirangakasipus' Eingeweide zerreißt.« Damit nahm sie des Grafen Hand und führte ihn auf Umwegen zu einer Türe, die auf die Straße mündete.
Als sie zurückkehrte, stand Dakscha, der den ganzen Auftritt hinter seinem Vorhang beobachtet hatte, in der Mitte des Zimmers. Er schien in tiefes Nachdenken versunken. Nach wenigen Sekunden sagte er zu Prijamwada: »Mir scheint, Jungfrau, daß es unklug war, den geliebten Gebieter von dir zu lassen. Wenn er nicht wiederkehrte . . .?«
»Er wird wiederkehren«, sagte die Inderin, und hinter ihrem funkelnden Nasenring blitzte ein schelmisch-kokettes Lächeln auf.
*
Als Volmerange die nüchterne Straße betrat, war ihm, als hätte er die Geschehnisse der letzten Stunden nur geträumt. Und sollte er dieses Traumgewebe wirklich weiterspinnen? War Dolfos in Wahrheit der Schuldige? Ein inneres Gefühl sagte: ja. Aber es fehlte ihm zur letzten Sicherheit ein Zeuge. Und war er schuldig, wie wollte er es ihm denn beweisen? Der einzige Mensch, der die Wahrheit kannte, trieb dem Meere zu, wenigstens glaubte ihn Volmerange von den trüben Wellen der Themse fortgeschwemmt. Wie also wollte er Dolfos ausfindig machen? Er hatte ihn seit Jahren ganz aus den Augen verloren und ahnte nicht einmal, was für ein Leben er führte. Denn die herzlose und unaufrichtige Natur dieses Mannes hatte ihn von jeher abgestoßen. Nur selten waren sie einander begegnet, und ihr Verkehr hatte sich auf eine so knappe Höflichkeit beschränkt, daß sie schon beinahe an Beleidigung grenzte. Gemeinsame Erlebnisse mit Frauen, bei denen Dolfos den kürzeren gezogen hatte, mochten in ihm einen schleichenden Haß erzeugt haben, den er sorgfältig geheimhielt, der aber in dieser häßlichen Seele Giftschlangen ausgebrütet hatte.
Eine zweite, ganz andere Ungewißheit peinigte Volmerange. Vielleicht hatte nämlich Dolfos nur den Anweisungen der Junta gehorcht, und so würde ihn die mächtige Verbindung nun auch vor der verdienten Strafe schützen! Ja, vielleicht trug ihn zur selben Stunde schon ein Schiff in ferne Länder und entzog ihn auf immer der gerechten Vergeltung.
Soweit war Volmerange mit seinen Überlegungen gekommen, als er sich plötzlich durch einen jener Zufälle, die im Leben wahr, im Roman aber das gerade Gegenteil sind, bei einer Straßenbiegung demjenigen gegenübergestellt sah, den er suchte. Dolfos erkannte beim ersten Anblick des Grafen, daß er entdeckt war. Entsetzen ergriff ihn vor dessen fahlem Gesicht und den funkensprühenden Augen. Er suchte mit einer raschen Bewegung zu entfliehen. Aber Volmeranges Hand fiel wie eine Eisenkrampe auf seinen Arm nieder und hielt ihn fest.
»Dolfos«, sagte der Graf, »ich weiß alles! Versuche nicht zu leugnen. Du gehörst mir. Folge mir!«
Der Elende suchte sich dem Griff der nervigen Hand zu entwinden, aber es gelang ihm nicht. »Willst du mich zwingen, dir vor aller Augen ins Gesicht zu schlagen, damit du mir zur Verantwortung stehst«, fuhr Volmerange fort. »Wohl hätte ich das Recht, dich wie einen tollen Hund niederzumachen, aber ich werde mein Leben gegen das deinige in die Wagschale werfen, ganz als wärst du ein anständiger Mensch und nicht der Verächtlichste der Verächtlichen. Eine Frau zu verführen – dafür lassen sich Entschuldigungen finden: die Liebe erklärt manches. Aber eine Frau mit der kalten Berechnung des Hasses zu verderben! . . . die Hölle kennt kein scheußlicheres Verbrechen! Du hast mich zum Mörder gemacht, darum muß ich dich morden. Ich schulde Ediths Schatten deinen Tod.«
»Ich werde Ihnen folgen,« sagte Dolfos, »nur lassen Sie mich los; Sie zerbrechen mir den Arm.«
»Damit du mir entwischst! Keineswegs.« Und Volmerange winkte einem vorüberfahrenden Wagen und stieß den bleichen, zitternden Dolfos vor sich hinein. »Fahre uns nach †††«, befahl er dem Kutscher.
Das Ziel war ein kleines Landhaus, das Volmerange in der Gegend von Richmond besaß. Die Fahrt ging rasch vonstatten. Aber den beiden erschien sie allzu lang. Dolfos saß in eine Ecke des Wagens gedrückt, wie eine vom Löwen in die Enge getriebene Hyäne. Mit düster flammenden Blicken beobachtete ihn Volmerange; er war ganz ruhig, während Dolfos seine Erregung kaum zu meistern imstande war.
Endlich hielt man an der Pforte des Landhauses, das der Graf nur selten aufsuchte, und immer nur, um sich mit ein paar Freunden dort zu vergnügen. Ein alter Diener ließ sie eintreten. Das Haus lag verschwiegen in einem von Palisaden eingehegten Park, der keinen fremden Blick zuließ. Die Liebe konnte hier ihre Seufzer unbelauscht verhauchen; die Orgie ihre wilde Stimme austoben.
Man konnte aber auch in aller Ungestörtheit erwürgt werden. Dem Liebestrunkenen wurde der Ort zur Grotte der Kalypso; dem Böswilligen zur Kakushöhle – der Leser möge die mythologischen Beispiele verzeihen.
Volmeranges Absichten waren durchaus nicht freundlicher Art – so wurde der Schauplatz für diesmal zur Mördergrube.
Der Tag ging zur Neige, und das Zimmer, in das Volmerange sein Opfer voranstieß, war kalt und feucht wie der Vorraum zu einem Grabe; es mußte seit langem nicht betreten worden sein.
Dolfos ließ sich auf einen Sessel fallen und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Er war vollkommen gebrochen. Trotz seiner kühnen Phantasie fehlte es ihm an körperlichem Mut. Die Reue überfiel ihn wie jeden Feigling, der sich in der Falle sieht. Wohl hatte er von der Junta den Auftrag erhalten, Volmerange von Edith zu trennen; aber er hatte seine Befugnisse in der abscheulichsten Weise überschritten und seine Mission dem niedrigsten Dienst persönlicher Rache unterstellt. Die giftige und unfruchtbare Reue des Verbrechers, dessen Sache fehlgeschlagen ist, zerfleischte ihn jetzt.
»Daniel, trage diesen Brief in die Stadt«, sagte Volmerange, nachdem er ein Papier gefaltet hatte, zu seinem alten Diener. »Aber eile dich; die Sache ist dringend.«
Der Alte nahm den Brief und machte sich auf den Weg. Als Volmerange die Haustür ins Schloß fallen hörte, sagte er zu Dolfos gewendet: »Und jetzt zu uns beiden!«
Er wählte unter den an der Wand befestigten Waffen zwei Degen und lenkte dann seine Schritte dem Garten zu. Bleich wie ein Gespenst, mit zusammengepreßten Zähnen und blutunterlaufenen Augen folgte ihm Dolfos wie der Sträfling seinem Henker. Er wollte schreien, aber seine ausgetrocknete Kehle versagte jeden Laut. – Überdies hätte ihn keiner gehört. Er war versucht, sich auf den Boden zu werfen, um sich durch einen untätigen Widerstand allem Weiteren zu entziehen. Aber Volmerange hätte ihn wie der Büttel, der einen Leichnam nach den Gemonien schleift, mitgeschleppt.
Er folgte also, er, der sonst so Schlaue, Redegewandte, dumm und stumm. Denn er fühlte das Vergebliche einer Bitte oder einer neuen Lüge. Im Vorbeigehen trat Volmerange in einen ländlichen Schuppen und kehrte mit einem Spaten in der Hand zurück. Dolfos fühlte sein Blut erstarren bei diesem unheimlichen Tun. So gingen sie weiter bis zum Ende des Parks, und dort blieb Volmerange stehen und sagte: »Dies ist der rechte Ort.«
Der Platz war in der Tat von besonderer Beschaffenheit. Die fast gänzlich entlaubten Bäume hoben sich mit ihren schwarzen Skeletten vom blutig roten Abendhimmel ab; der Ort war für Kampf und Bluttat wie geschaffen.
Der Graf legte die beiden Degen außerhalb Dolfos' Reichweite nieder, ergriff den Spaten und zeichnete auf dem Sand die Form eines Rechtecks in Menschengröße ab. Dann begann er zu graben, wobei er die Erde zu beiden Seiten auswarf.
Von Entsetzen gelähmt, lehnte sich Dolfos an einen Baum und fragte mit schwacher Stimme: »Barmherziger Himmel, was machen Sie da?«
»Was ich da mache?« wiederholte Volmerange, ohne sich in seinem Geschäft zu unterbrechen. »Ich schaufle Ihr Grab oder das meinige – je nachdem. Der Überlebende wird den andern verscharren.«
»Grauenhaft!« röchelte Dolfos.
»Das finde ich nicht,« erwiderte Volmerange mit kalter Ironie. »Ich denke, wir sind uns beide darüber klar, daß wir uns nicht nur mit den Degen kitzeln werden, wiewohl im allgemeinen gegen diese bequeme und anständige Sitte nichts einzuwenden ist. Überdies könnten Sie mir bei meiner Arbeit etwas behilflich sein! Es ist wirklich nicht gerecht, daß ich die ganze Mühe allein tragen soll. Bereiten wir das Bett gemeinsam, in dem einer von uns beiden sich ausstrecken wird!« Damit stieg er aus der halb ausgeschaufelten Grube und händigte Dolfos den Spaten ein.
Dieser stach mit zitternden Gliedern ein paarmal in die Erde. Aber es löste sich unter seinen kraftlosen Stößen kaum eine Scholle.
»Lassen Sie mich vollenden,« sagte Volmerange und nahm die Arbeit wieder auf. »Merkwürdig, Sie sind doch ein so ausgezeichneter Komödiant und können die Totengräberrolle aus dem Hamlet dennoch nicht spielen. Sie graben schlecht, mein Herr!«
Die Nacht war völlig hereingebrochen, als der Graf sein düsteres Tun beendigt hatte.
»So, nun wäre genug gegraben, jetzt zu den Klingen!« Damit warf er Dolfos einen der Degen zu und behielt den anderen für sich.
»Man sieht ja gar nichts mehr,« jammerte der Elende. »Sollen wir uns denn aufs Geratewohl aufspießen?«
»Zum Abfahren ist es immer noch hell genug, und der Übergang von der Nacht zum Tod wird um so leichter sein. Wir werden es schon spüren, wenn uns das Eisen zwischen die Rippen dringt,« sagte der Graf und tat einen so wilden Stoß, daß Dolfos aufstöhnte.
»Touchiert,« sagte der Graf, »mein Degen ist naß.«
Jetzt machte Dolfos einen verzweifelten Ausfall. Aber der Graf parierte während einer geschickten Retirade und, seine Klinge geschickt mit der des Gegners verflechtend, schlug er ihm diese mit einem Ruck aus der Hand.
Als Dolfos sah, daß er verspielt hatte, warf er sich wie ein Tiger platt auf die Erde und umklammerte Volmeranges Beine so, daß dieser zu Boden stürzte.
Jetzt hub ein grauenvolles Ringen an: Gehemmt durch die wütende Umklammerung seines Opfers, dem die Todesangst Raubtierkräfte verlieh, konnte Volmerange seinen Degen nicht gebrauchen. Wohl versuchte er, ihn Dolfos in den Rücken zu stoßen auf die Gefahr hin, daß die Klinge, sie beide aneinanderheftend, sein eigenes Herz durchbohren würde. Aber der Versuch mißlang, und die Waffe entglitt ihm. Mit der freigewordenen Hand schnürte er jetzt seinem Feinde die Kehle zu. So wälzten sich die beiden Gegner auf der Erde – nicht weit von ihrem offenen Grabe, und bei ihrem rasenden, menschenmörderischen Ringen geschah es, daß sie beide engverschlungen in den gähnenden Schacht rollten.
Dolfos kam nach unten zu liegen, und Volmeranges würgende Hände krallten sich in sein Fleisch ein. Schaum quoll dem Unglücklichen zwischen den Lippen hervor. Ein dumpfes Röcheln gurgelte aus seiner Kehle, seine Glieder reckten sich. Nicht lange, so hörten die Zuckungen auf, und Volmerange befreite sich aus den Umarmungen einer Leiche. Dann sprang er aus der Grube heraus und sagte: »Ein Toter, der sich selbst begräbt – das ist mehr, als man verlangen kann.«
Er ergriff den Spaten und deckte in aller Eile den toten Körper mit der aufgeworfenen Erde zu, die er mit den Füßen niedertrat, bis die Stelle geebnet war.
»Diese Rechnung wäre beglichen. Nun zu Prijamwada! Und dann leb wohl, altes Europa, in dem ich zwei Leichname zurücklasse!«