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XVII.
Magdalena

Schon mehr als vierzehn Tage waren vergangen, seit der Chevalier seinen Liebesbrief auf Theodors Tisch gelegt hatte. Aber offenbar hatte das Schreiben nicht den geringsten Einfluß auf den Empfänger gemacht, und d'Albert vermochte sich dieses Schweigen nicht zu erklären. Sollte Theodor den Brief nicht gelesen haben? War er verloren gegangen oder in falsche Hände geraten? Kaum anzunehmen, da Theodor sein Zimmer unmittelbar nach dem Weggange des Chevaliers betreten hatte! Und unmöglich konnte er den auffällig mitten auf dem sonst leeren Tisch liegenden großen Brief übersehen haben.

Also war Theodor doch ein Mann und kein Weib? Oder wenn letzteres der Fall wäre, dann hegte er wohl eine so starke Abneigung gegen ihn und war so sehr hochmütig, daß er ihn nicht einmal einer Antwort würdigte?

Der arme Chevalier wagte alle diese Fragen weder mit Ja noch mit Nein zu beantworten. Traurig verblieb er in qualvoller Ungewißheit.

Eines Abends stand er schwermütig am Fenster, die Stirn gegen die Scheibe gedrückt. Er starrte auf die Kastanienbäume im Park, ohne sie zu sehen. Sie waren bis auf ein paar letzte gelbe Blätter schon kahl. Die weite Ferne über den Wipfeln war von Nebel verhüllt. Die schwarze Nacht schlich heran und kroch still in die Zweige. Der Fluß dampfte. Auf seiner Flut glitt ein Schwan dahin, der von Zeit zu Zeit seinen langen Hals wollüstig in die Tiefe tauchte. Sein Weiß leuchtete wie ein Schneefleck. Er war das einzige Lebende in der todtraurigen Landschaft.

In düstere Grübelei verloren stand der Chevalier da. Die Dämmerstunde, der Nebel, der Herbst, das Windesheulen und die nackten Baumkronen stimmten ihn weltmüde.

Sterbensgedanken überkamen ihn. Der Fluß drüben, das dunkle Wasser … Dann wieder fühlte er etwas wie Verlangen nach Sinnenlust … Sollte er sich eine neue Geliebte suchen? Oder gleich zwei auf einmal? Welch unsinniger Einfall! Er kannte nicht eine, die ihn gereizt hätte, nicht einmal eine, die ihn nicht reizte. Soll ich eine Liebelei mit einer Dame anfangen? Ach, war er nicht froh gewesen, sie allesamt los zu sein? Hatte er sie ehedem nicht manchmal durch seinen Diener an der Tür abweisen lassen?

Endlich beschloß er, einen zweiten Brief zu schreiben. Bis zu solcher Torheit war er gerade in seinem Hin- und Herdenken gekommen, da fühlte er eine weiche Hand auf seiner Schulter.

Es war Theodor-Rosalinde oder vielmehr Magdalene Maupin, um sie bei ihrem richtigen Namen zu nennen.

Der Einsame hätte sich das nicht träumen lassen. Er war so überrascht, daß er laut ausrief: »Oh!«

Magdalene, leibhaftig, schön und sonnig, ihre Perlenschnuren im Haar, in schimmernder Seide, einen kostbaren Fächer aus Pfauenfedern in der Hand, sah ganz so aus wie am Tage des Theaterspiels. Nur ein Unterschied von Bedeutung war an ihr zu bemerken: Hals und Busen waren unverhüllt. Keine Spitzen, keine Schleier. Der tiefe Kleidausschnitt zeigte die Brust, köstlich schimmernd wie aus antikem Marmor.

Der Chevalier erholte sich bei diesem Anblick sehr rasch. Willig überließ er sich andern, losen lüsternen Regungen.

Lieblich lächelnd fragte Magdalene:

»Orlando, kennst du deine Rosalinde nicht mehr? Sind Liebe und Romantik im düsteren Ardennerwalde zurückgeblieben? Ist mein Orlando des Leides genesen, das ihm zu lindern er mich flehentlich gebeten? Es scheint mir beinahe so!«

»Nein, nein, Rosalinde! Mein Leid ist schlimmer denn je! Ich war eben dem Tode nahe!«

»So! Ich finde, Sie sehen trotz Ihres nahen Todes sehr gut aus! Gesünder als so mancher, der nicht ans Sterben denkt!«

Der Verliebte streichelte ihr die Hände.

»Ach, Rosalinde, was habe ich in diesen acht Tagen leiden müssen! Sie vermögen sich das nicht vorzustellen. Tausend Jahre Fegefeuer können nicht schlimmer sein! Darf ich fragen, warum die Antwort so spät kommt?«

»Warum? Weiß ich das? Einfach: darum! Ist Ihnen diese Begründung nicht ausreichend, so will ich Ihnen drei weitere zur Auswahl aufzählen. Erstens, weil vor lauter Leidenschaft Ihre Handschrift ganz undeutlich geworden ist. Ich habe acht volle Tage gebraucht, um Ihr Gekritzel einigermaßen zu entziffern. Zweitens, weil ich mich in meiner Keuschheit erst langsam daran gewöhnen mußte, einen Poeten zum Liebsten zu bekommen. Und drittens, weil ich erst einmal sehen wollte, ob er sich erschießen, vergiften oder an seinem Strumpfbande aufknüpfen würde. Das wars! Wählen Sie sich das Passende, Verehrtester!«

»Grausame Spötterin! Gut, daß Sie endlich gekommen sind. Morgen hätten Sie mich vielleicht schon nicht mehr hienieden gefunden!«

»Wirklich? Armer Junge! Nun machen Sie aber kein so untröstliches Gesicht mehr! Am Ende steckt mich Ihre Trübsal an, und dann käme ich mir dümmer vor als alle Passagiere der Arche Noah miteinander! Empfindsamkeiten bekommen Ihnen offenbar nicht. Wie wäre es mit drei schönen Küssen? Sie müssen aber die drei eben angegebenen schlechten Gründe gänzlich vergessen! Das ist Bedingung. Schließlich bin ich Ihnen soviel – und noch mehr schon schuldig …«

Sie legte ihm ihre bloßen Arme um den Hals. Der Chevalier zog sie an sich und küsste ihr berauscht die Wangen und dann den Mund; diesen mit einem endlosen Kuß.

Nach Tilgung ihrer Schuld setzte sie sich auf des Chevaliers Knie und streichelte ihm leis das Haar.

»All meine Grausamkeit ist hin, Geliebtester! Die letzten vierzehn Tage sollten ihr Genüge tun. Ich gestehe, die Zeit ist mir selbst lang vorgekommen. Werde mir aber nicht eingebildet, weil ich so offenherzig bin! Ich muß die Wahrheit sagen. Ich gebe mich in deine Hände. Räche dich für meine vergangene Unnahbarkeit! Wenn ich dich für einen beschränkten Kopf hielte, würde ich dir weder dies noch sonst etwas sagen. Ich mag dumme Menschen nicht.

»Es wäre mir ein leichtes gewesen, dir einzureden, daß ich über deine Keckheit unsagbar empört sei und daß mich deine verliebtesten Seufzer und deine schönsten Reden nicht dazu brächten, dir das zu verzeihen, was mich im Grunde beglückt. Nach dem Beispiel der andern hätte ich dich lange hinhalten und dir dann in Raten gewähren können, was ich dir gern auf einmal schenken will. Ich glaube nicht, daß du mich darum auch nur um einen Deut mehr lieb gehabt hättest. Ich verlange weder von dir den üblichen Schwur ewiger Liebe noch übertriebene Verehrung. Liebe mich, solange es dir gefällt! Ich werde desgleichen tun. Wenn deine Liebe verlischt, so werde ich dich nicht treulos und gemein schelten. Und du wirst die Güte haben, mir die entsprechenden häßlichen Worte auch nicht beizulegen, wenn es mir gefällt, dich wieder zu verlassen. Ich will dann einfach eine Frau sein, die dich zu lieben aufgehört hat. Nichts weiter. Es ist durchaus nicht notwendig, daß man sich ein Leben lang haßt, weil man ein oder zwei Nächte miteinander geschlafen hat. Komme was will, und wo ich auch immer weilen mag, ich verspreche dir, und dies mein Versprechen werde ich halten: dir immer ein gutes Angedenken zu bewahren und, wenn ich nicht mehr deine Geliebte bin, deine Freundin zu sein, wie ich vordem dein Kamerad gewesen!

»Heute Nacht habe ich vor dir meine Männertracht abgelegt. Morgen werde ich sie vor der Welt wieder tragen. Vergiß nicht, daß ich nur für die Nacht Rosalinde bin. Am Tage bin ich Theodor von Serannes und nichts andres!«

Was sie weiter sagen wollte, erstickte in den zahllosen Küssen des Chevaliers. Aber je zärtlicher und ungestümer er ward, desto nachdenklicher und leidenschaftsloser sah Magdalene aus. Er bemerkte es und ward unruhig darüber. Warum lachte und strahlte sie nicht?

Er fragte sie:

»Süße Herrin, was schaust du so keusch und unnahbar aus wie eine Diana, wo du der den Fluten des Meeres lächelnd entsteigenden Aphrodite gleichen solltest?«

»Weil ich Diana, der Jägerin, ähnlicher bin denn sonst wem. Ich trage mit Vorliebe Männerkleider, aus Gründen, die dir aufzuzählen langweilig wäre. Du bist der einzige, der mein weibliches Geschlecht erraten hat. Wenn ich vordem Eroberungen machte, war es immer bei Frauen. Unnütze Siege, die mich nur in Verlegenheiten gebracht haben! Mit einem Worte, so lächerlich und unglaublich es klingen mag: ich bin unberührt. Unberührt wie der Schnee auf dem Gipfel des Himalaya, wie Luna, ehe sie bei Endymion schlief, wie die Jungfrau Maria, ehe der Heiligegeist über sie kam! Ich bin sehr ernstgestimmt, wie das jeder Mensch vor einer Tat ist, die hinterher nicht wieder ungeschehen gemacht werden kann. Ich stehe vor einer Umwandlung. Ich soll den Namen Mädchen verlieren und soll Frau werden. Morgen werde ich nicht mehr geben können, was ich gestern noch besaß. Das wichtigste Blatt im Buche meines Lebens soll beschrieben werden. Darum, mein Lieber, sehe ich so versonnen aus! Du bist nicht schuld daran.«

Nach dieser etwas langen Rede drückte sie ihre Lippen auf des Geliebten Stirn. Er erfaßte ihre Hände, wundersam bewegt, und küßte andächtig ihre Hände, jeden Finger einzeln. Behutsam heftelte er ihr sodann das Kleid auf.

Sie ließ ihn willfährig gewähren und versuchte zärtlich zu sein. Ihre schneeweißen Brüste wurden frei. Der Chevalier küßte die beiden Paradiesrosenknospen.

»Du findest mich gewiß höchst kalt und linkisch, mein armer Junge. Aber ich weiß wirklich nicht, wie man sich dabei anstellt. Es ist keine leichte Mühe, mich zu unterrichten, sondern gewiß etwas recht Mühseliges.«

Der Chevalier sagte nichts, sondern zog sie noch verliebter in seine Arme und küßte ihr die nackten Schultern. Magdalene ward halb ohnmächtig. Ihr Haar löste sich zu braunen Wellen, und wie auf Zaubergebot glitt ihr Kleid zu Boden.

Sie stand in ihrem dünnen Batisthemd da, wie eine Märchengestalt. Der Chevalier kniete vor ihr nieder und zog ihr Schuh und Strümpfe aus. Von selbst fiel das Hemd von den Schultern, von keiner Hand gehalten.

Geblendet schaute er auf die nackte Schönheit, die sich ihm im milden Lampenschimmer offenbarte. Er war seiner Sinne nicht mehr mächtig.

»Ich friere,« flüsterte Magdalene und kreuzte die Arme über ihren Brüsten.

»Nur einen Augenblick noch!« bat er.

Sie ließ die Hände wieder sinken und bog sich selbstgefällig ein wenig nach der einen Seite, so daß sich die Hüftlinie der andern Seite straffte. Sie sah noch immer marmorkalt aus. Nicht einmal ihre zartrosigen Wangen gewannen Glut. Nur das Herz klopfte ihr etwas rascher denn sonst, und ihr linker Busen zitterte leise.

Der schönheitsdurstige junge Mann konnte sich nicht satt sehen. Er erlebte das Glück des Einmal-nicht-enttäuscht-sein. Die Wirklichkeit übertraf seine Träume.

Alles einte sich in dem schönen Körper da vor ihm: Grazie und Kraft, Farbe und Form, Linie und Nuance. Das Meisterwerk eines Praxiteles in Tizians Farbenfülle! Leibhaft und nahe stand mit einem Male das hehre Traumbild vor ihm, das ihm immer zerflossen und verronnen war, wenn er danach hatte greifen wollen.

Als seine Künstleraugen befriedigt waren, ward er sich der Verliebtheit seiner anderen Sinne bewußt. Er nahm die schöne Eva und trug sie ins Bett. Alsbald war auch er nackt und neben ihr. Magdalene drückte ihn an ihr Herz und schlang ihre kühlen Arme um ihn. Diese Kälte verdoppelte des Verliebten Glut.

 

Magdalene war nun Wisserin des dunklen Geheimnisses, das sie einst so beunruhigt hatte. Eine gründliche Wisserin. Der Chevalier ließ sie die ganze Nacht nicht aus seinen Armen.

Sie hatte vorzügliche Anlagen zur Liebeskünstlerin, und so lernte sie in dieser einzigen Nacht ungeheuer viel. Ihre körperliche Unerfahrenheit, die über alles staunte, und ihre Lebensanschauung, die sich über nichts wunderte, verliehen ihr einen pikanten Reiz. Der Chevalier war entzückt, berauscht, im siebenten Himmel.

Nach tausend Küssen und Liebkosungen, Zärtlichkeiten und Liebesspielen sank er gegen Morgen am Busen seiner Geliebten, ohne daß er es wollte, in tiefen Schlaf.

Magdalene betrachtete ihn versonnen und voller Schwermut. Und als das weiße Licht der Frühe durch die Vorhänge drang, schob sie den Schläfer behutsam beiseite und sprang leichtfüßig über ihn hinweg. Rasch kleidete sie sich an. Darnach trat sie noch einmal an das Bett, beugte sich über den Geliebten und küßte ihn auf die schlummernden Augen. Noch immer den Blick auf ihm, verließ sie leise das Gemach.

Sie kehrte nicht in ihr Zimmer zurück, sondern trat bei Rosette ein und legte sich zu ihr ins Bett.

Erst gegen Mittag verließ sie Rosette wieder.

Theodor erschien weder zum Diner noch zum Nachtmahl. Weder d'Albert noch Rosette wunderten sich darüber.

Nachdem Theodor zeitig schlafen gegangen war, sattelte er beim Morgengrauen sein Pferd und das seines Pagen.

Einem Lakaien übertrug er die Mitteilung, man solle zu Tisch nicht auf ihn warten. Er käme sobald nicht wieder.

Dann ritten die beiden zum Tore hinaus.

Weder d'Albert noch Rosette vermochten sich den Grund dieses rätselhaften Verschwindens zu erklären; besonders der Chevalier nicht, der nach seinen Heldentaten in der ersten Nacht ein Anrecht auf eine zweite zu haben vermeinte.

Gegen Ende der Woche traf folgender Brief Theodors ein:

 

Mein lieber Chevalier,

zweifellos sind Sie nach dem Vorangegangenen sehr erstaunt über meine Tat. Ich gestehe Ihnen, daß Sie Anlaß dazu haben. Wollen wir wetten, daß Sie mir schon mindestens ein Dutzend jener Beinamen gegeben haben, die vertragsmäßig nicht in unserm gemeinsamen Wortschätze stehen sollen, als da sind: Treulose! Wankelmütige! Verräterin!

Ist es nicht so?

Freuen Sie sich über Eines! Sie können mich wenigstens nicht grausam oder prüde schelten.

Sie verwünschen mich, aber damit tun Sie mir Unrecht. Sie haben mich begehrt und geliebt. Ich war die Königin Ihrer Träume. Schön! Daraufhin gewährte ich Ihnen unverzüglich, was Sie begehrten. Sie hätten es auch früher haben können. Das lag lediglich an Ihnen. Ich verlieh Ihrer Traumgestalt auf die gefälligste Weise die Körperlichkeit. Ich schenkte Ihnen, was ganz gewiß keiner je wieder von mir bekommt. Das war etwas, auf das Sie gar nicht einmal gefaßt waren. Sie sollten mir dafür umso dankbarer sein!

Nun ich Sie befriedigt, gefällt es mir, von dannen zu gehen. Was ist dabei so Ungeheuerliches?

Sie haben mich eine volle Nacht ohne Zwang und ohne Grenzen besessen. Was wollen Sie mehr? Eine zweite Nacht? Und dann eine dritte? Vielleicht würden Sie sich auch bisweilen die Tage zunutze machen. Und das ginge so fort, bis Sie eines schönen Morgens meiner überdrüssig wären.

Ich höre im Geiste, wie Sie sich gegen diese Prophezeiung auf das Galanteste verwahren. Sie beteuern mir, mich könne man gar nicht satt kriegen. Du lieber Gott, mich genau so wie jede andre!

Vielleicht erst nach einem halben Jahre, nach zwei, drei, meinetwegen nach zehn Jahren. Aber unabwendbar einmal doch. Dann behielten Sie mich aus Rücksicht und Anstand, oder weil Ihnen der Mut fehlte, mir den Laufpaß zu geben. Wozu sollen wir es soweit kommen lassen?

Oder ich wäre es, die zuerst aufhörte zu lieben!

Ich habe Sie entzückend gefunden. Durch den täglichen Verkehr könnten Sie mir unausstehlich werden. Verzeihen Sie mir, daß ich die Möglichkeit annehme! Wenn ich in engster Vertrautheit mit Ihnen lebte, hätte ich zweifellos die Gelegenheit, Sie in wer weiß welcher spießbürgerlichen oder banalen Situation zu sehen. Dann müßten Sie vor mir den geheimnisvollen romantischen Reiz verlieren, der mich verführt hat. Wenn ich Ihr Wesen immer besser kennen lernte, dann hätte es am Ende nichts Rätselhaftes mehr. Wenn ich Sie immer um mich hätte, würde ich mich weniger und weniger mit Ihnen beschäftigen. Ich würde körperliche Mängel an Ihnen finden oder Schwächen an Geist und Gemüt; oder Nachlässigkeit in Ihrer Kleidung. Tausenderlei Enttäuschungen würden mir Leid verursachen, und zu guter Letzt käme ich zu der Einsicht, daß Sie weder Herzensgüte noch Seelengröße hätten, und daß ich eine Liebeseinsame sei.

Sie beten mich an und ich Sie! Sie können mir nicht den leisesten Vorwurf machen, und ich habe nicht die geringste Ursache, über Sie zu klagen. Während der ganzen Zeit unsrer Liebe war ich Ihnen unverbrüchlich treu. Ich habe Ihnen nichts vorgetäuscht. Meine Empfindungen waren ebenso echt wie mein Busen. Sie haben mir das sehr liebenswürdige Geständnis gemacht, ich sei noch schöner als Sie sichs erträumt.

Ich gab Ihnen Schönheit, Sie mir Wonnen. Wir sind quitt. Ich gehe meinen Weg, Sie den Ihren. Vielleicht treffen wir uns hunderttausend Meilen fern von hier zufällig einmal wieder. Leben Sie in dieser Hoffnung!

Vielleicht denken Sie, ich liebte Sie nicht, weil ich von Ihnen lasse. Der Tag wird kommen, wo Sie die tiefe Wahrheit meiner Erkenntnis einsehen. Wären Sie mir weniger wert, so bliebe ich und ließe Sie den Trank schlürfen, bis er Ihnen fad und schal schmeckte. Ihre Liebe würde versiechen und vergehen. Und dann kämen Trennung und Vergessen. Beim zufälligen Wiederlesen meines Namens auf der Liste Ihrer Eroberungen würden Sie sich zerstreut fragen: Zum Teufel, wer war die doch gleich? – So aber weiß ich zu meinem Stolze, daß Sie sich meiner lebhafter entsinnen werden als sonst irgendeiner anderen. In ungestilltem Begehren werden Sie nach mir dürsten. Ich werde immer ein Ziel Ihrer Sehnsucht bleiben, eine der fernen Visionen, zu denen Sie immer wieder auf den Schwingen Ihrer Phantasie fliegen. Und ich hoffe, Sie werden sich in den Betten der Frauen, die Sie nach mir lieben werden, zuweilen der einen einzigen Nacht erinnern, die Sie mit mir verlebt haben.

Diese glückliche Nacht hat Sie auf die Höhe Ihrer Liebesfähigkeit gebracht. Nie wieder werden Sie der sein, der Sie da waren. Und wenn Sie es wären, so wäre es nicht darüber hinaus. Und es ist in der Liebe wie in der Kunst: Stillstand ist Rückgang.

Sie haben es denen sehr schwer gemacht, an die ich mich nach Ihnen verschenken könnte. Aber wer weiß, ob ich dies tue? Keiner wird die Kraft besitzen, die Erinnerung an Sie auszulöschen.

Wenn Sie über meinen Verlust untröstlich sein sollten, so verbrennen Sie diesen Brief. Es ist der einzige Beweis dafür, daß ich die Ihre gewesen bin. Dann können Sie glauben, einen holden Traum geträumt zu haben. Eine Fee ist Ihnen beim Morgenrot entschwunden, just zur Stunde, da die Traumgestalten wieder nach ihrer Heimat zu entschweben pflegen. Wieviele weniger Glückliche denn Sie sind in den Tod gegangen, ohne ihr zur Wirklichkeit gewordenes Ideal auch nur ein einziges Mal geküßt zu haben!

Ich bin weder launisch noch toll noch zimperlich. Ich weiß genau, was ich will. Ich habe Sie nicht verlassen, um Sie von neuem verliebt in mich zu machen. Solche Koketterie ist mir fremd. Versuchen Sie gar nicht erst, mich zu verfolgen und mich wiederfinden zu wollen. Es wird Ihnen nicht gelingen. Ich habe alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, um die Spur zu tilgen.

Sie bleiben für mich auf immerdar der Mensch, der mir eine neue Welt des Seins erschlossen hat! Das vergißt eine Frau nicht so leicht. Und wenn ich Ihnen auch fern bin, so werde ich doch viel an Sie denken; mehr, als wenn wir zusammen geblieben wären.

Trösten Sie die arme Rosette, so gut Sie das im Stande sind! Sie wird über meine Flucht mindestens ebenso betrübt sein wie Sie. Liebt Euch beide innigst im Gedanken an mich, die Ihr beide mich geliebt habt, und flüstert Euch im Kusse zuweilen meinen Namen zu:

Magdalena.


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