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I.
Der Chevalier d'Albert an seinen Freund Silvio

Lieber Freund, du beklagst dich über meine Schreibfaulheit. Aber was soll ich dir denn schreiben? Daß es mir gut geht und daß ich dir immerdar treugesinnt bin? Das weißt du auch so. Wenn man jung ist, versteht sich das von selbst. Es wäre also geradezu lächerlich, ein Blatt Papier in die weite Welt hinauszujagen, das nichts weiter verkündet als bloß dies. Wie sehr ich auch nachdenke, ich finde nichts, was der Mühe lohnte, berichtet zu werden. Mein Leben ist so gleichmäßig wie nur möglich. Nichts durchbricht seine Eintönigkeit. Das Heute fließt in das Morgen über wie das Gestern in das Heute. Ohne ein Prophet sein zu wollen, kann ich an jedem Morgen getrost voraussagen, was mir der Abend bringen wird.

Ich stehe auf. Das ist selbstverständlich. Damit beginnt eben der Tag. Ich frühstücke, mache ein paar Florettstöße, gehe ein wenig spazieren und komme wieder zurück. Ich esse zu Mittag, mache ein paar Besuche oder lese etwas. Einen wie alle Tage zur nämlichen Stunde gehe ich zu Bett. Ich schlafe ein, und da meine Phantasie durch neue Dinge nicht befruchtet worden ist, träume ich immer wieder die alten oft schon dagewesenen Träume, die ebenso einförmig sind wie mein tatsächliches Leben. Das alles ist nicht sehr ergötzlich. Indessen finde ich mich mehr und mehr in dieses Dasein, das ich nun schon seit einem halben Jahre führe. Ich langweile mich, gewiß, das ist nicht zu leugnen, aber in einer friedsamen, resignierten Art und Weise, die fast etwas Glückseliges in sich hat: das Wonnige, Süße der blassen lauen Herbsttage, das einem nach der sonnengrellen Sommerglut so unsäglich wohltut.

Dieses Dasein, in das ich mich offenbar ergeben habe, ist gleichwohl kaum das rechte für mich. Zum mindesten entspricht es nicht dem Leben, das ich mir erträume, für das ich mich geschaffen halte. Vielleicht täusche ich mich über mich selber, und ich eigne mich gerade für ein solches Hindämmern. Es fällt mir indessen schwer, es zu glauben. Wäre ich wirklich dazu bestimmt, dann müßte ich mich leichter dareingeschickt und mich zu Anfang nicht so qualvoll beengt gefühlt haben.

Das Abenteuerliche und Fremde übt eine mächtige Wirkung auf mich aus. Ich vergöttere alles Sonderliche, Maßlose, Gefahrvolle. Romane und Reisebeschreibungen verschlinge ich. Vielleicht gibt es keine so üppige zigeunerhafte Einbildung wie die meine. Muß es mir da nicht wie ein Verhängnis erscheinen, daß ich niemals ein Abenteuer erlebt, nie eine große Reise gemacht habe? Meine weiteste Reise ist immer wieder nur der Rundgang um die Stadt, in der ich wohne. Mein Daseinskreis ist in jeder Richtung buchstäblich greifbar. Ich führe das Leben des Heimchens am Herde. Wahrlich, ich wundere mich, daß meine Füße noch nicht im Boden Wurzeln geschlagen haben.

Ich habe einen Diener, einen recht tölpeligen und ziemlich dummen Burschen vom Lande. Aber der Kerl kennt die ganze Welt. Ich glaube, er ist sogar schon beim Teufel gewesen. Alles, was ich mir in Märchenfarben vorträume, hat dieser Mensch mit seinen blöden Augen wirklich gesehen, ohne daß es ihn auch nur ein bißchen aus dem Gleichgewicht gebracht hätte. Er hat sich in den verrücktesten Umständen befunden. Er hat die erstaunlichsten Abenteuer erlebt, die einem überhaupt zustoßen können. Zuweilen lasse ich ihn erzählen. Dann zapple ich vor Wut, daß alle diese Wunder solch einem Idioten widerfahren mußten, der keines höheren Gefühls, keines gescheiten Gedankens fähig ist, sondern gerade nur gut zu seinem Dienste, zum Kleiderklopfen und Stiefelputzen.

Unleugbar hätte sein Leben eigentlich meins sein müssen. Dabei findet mich dieser Mann beneidenswert und kann sich vor Verwunderung nicht lassen, wenn er mich trübsinnig sieht.

Irgendwie anregend ist das alles nicht und kaum wert, niedergeschrieben zu werden. Das gibst du mir wohl zu? Aber da du durchaus willst, daß ich es aufzeichne, so will ich dir erzählen, was ich denke und was ich fühle. Aus Mangel an Erlebnissen und Taten werde ich dir meine Innenwelt vorführen. Vielleicht ist es recht unbedeutend und auch nicht weiter neu, was ich Dir zu sagen habe. Aber du willst es ja hören. Du bist mein Jugendfreund; wir sind zusammen erzogen worden. Unser beider Leben war lange Zeit ein und dasselbe. Wir sind gewohnt, die geheimsten Gedanken einander auszutauschen. Ich kann dir also, ohne zu erröten, all das dumme Zeug berichten, das mein berufsloses Hirn durchkreuzt. Ich will kein Wort zu viel und keins zu wenig nehmen. Vor dir bin ich nicht eitel. Ich werde also offen und ehrlich sein, bis ins Kleinste und Beschämendste. Wozu sollte ich mich vor dir anders hinstellen als ich bin?

Hinter dem gleichmütigen, gelangweilten äußeren Menschen, den ich dir eben geschildert habe, regt sich zuweilen eine – nicht schon ganz gestorbene, aber wohl gewissermaßen eingerostete Idee. Höre zu! Ich bin nicht immer der sanfte, verzichtende Melancholiker! Ich habe meine argen Rückfälle, die mich in einen anscheinend überwundenen aufgeregten, sehnsuchtschweren, qualvollen Zustand zurückversetzen. Ach, nichts macht mehr matt als diese Unruhe, die keine Beweggründe hat, als dieses heiße Sichverzehren nach … man weiß selber nicht was! An solchen Tagen stehe ich sehr früh auf, obgleich ich nicht mehr und nicht weniger vorhabe als sonst; noch vor Sonnenaufgang. Ich habe das Gefühl, als hätte ich es ungeheuer eilig, als wüßte ich gar nicht, woher ich die nötige Zeit nehmen solle. Ich kleide mich in höchster Eile an, als ob es im Hause brenne, ziehe an, was ich gerade ergreife, und jammere über jede verlorene Minute. Wenn mich jemand dabei beobachten könnte, müßte er denken, ich wolle zu einem Stelldichein oder Geld holen. Keineswegs. Ich weiß nicht einmal, wohin ich gehen werde. Nur fort muß ich. Auf jeden Fall. Es ist mir, als riefe man mich hinaus, als wandle das Schicksal draußen auf der Straße, als wäre der Wendepunkt meines Lebens da.

Verstört und aufgeregt stürme ich hinunter, Haar und Anzug noch in Unordnung. Die Leute drehen sich nach mir um und lachen über mich. Man hält mich für einen jungen Leichtfuß, der die Nacht in einer Kneipe oder wer weiß wo durchgebracht hat. Ich bin auch wirklich berauscht, obgleich ich nichts getrunken habe. Ich laufe sogar unsicher wie ein Bezechter, bald langsam, bald rasch. Wie ein Hund, der seinen Herrn verloren hat, renne ich durch die Stadt, aufs Geratewohl suchend, rastlos, im höchsten Grade aufmerksam. Beim geringsten Geräusch wende ich mich um. Wo ein Zusammenlauf ist, dränge ich mich dazu, ohne auf das Geschimpfe der Leute zu hören, die ich anstoße. Und dabei bemerke ich alle Vorgänge mit einer Hellsicht, die ich sonst nicht kenne. Dann mit einem Male wird es mir klar, daß ich irre gehe, daß das, was ich suche, ganz sicher nicht hier ist, daß ich wo ganz anders hinmuß, ans andere Ende der Stadt … was weiß ich? Von neuem laufe ich los, als wäre mir der Teufel auf den Socken. Kaum berühre ich den Erdboden mit meinen Fußspitzen. Wie eine Feder so leicht, fliege ich hin. Ich muß wahrlich einen sonderbaren Anblick abgeben, aufgeregt und gehetzt, wie ich aussehe, mit den Armen herumfuchtelnd und unverständliche Laute ausstoßend. Bin ich schließlich wieder in kühler Gelassenheit, so lache ich mich selber herzlich aus, und doch hält mich das nicht ab, daß ich mich demnächst genau wieder so benehme. Wollte mich jemand fragen, warum ich so eile, so würde ich gewiß in die größte Verlegenheit geraten, was ich antworten solle. Ich habe ja kein Ziel, keinen Anlaß zum Hasten. Niemand wartet auf mich.

Was fehlt meinem Leben? Was suche ich in dunklem Drange? Ein Weib, ein Abenteuer, geistige Beschäftigung, Gelderwerb? Will ich meine Existenz erweitern? Ist es das Verlangen, mich von meinem Heim, von meinem Ich zu erlösen? Bin ich meiner Lebensweise überdrüssig? Sehne ich mich nach einer andern?

Etwas hiervon ist es, vielleicht alles zusammen. Auf jeden Fall ist mein Zustand ganz abscheulich: eine fieberhafte Aufgeregtheit, der gewöhnlich die ödeste Teilnahmlosigkeit folgt. Mitunter quält mich der Gedanke, daß ich eine Stunde früher zur rechten Zeit gekommen wäre. Ich hätte noch einmal so rasch gehen müssen oder einen andern Weg! Ich hätte mich durch nichts aufhalten lassen sollen! So aber habe ich das Gesuchte, dem ich schon so lange ins Blaue hinein nachjage, wieder verfehlt!

Die tiefste Schwermut, die düsterste Verzweiflung umfängt mich, wenn ich sehe, daß alles das zu keinem Ziele führt, daß mir meine Jugend entschwindet, ohne daß mir irgendeine Befriedigung zuteil wird. Dann fahren die hungrigen Leidenschaften in meinem Herzen jäh auf und zerfleischen einander wie die Bestien im Tiergarten, wenn der Wärter vergessen hat, ihnen ihr Fressen vorzuwerfen. Bei allen den mich insgeheim schwer bedrückenden Enttäuschungen lebt und webt etwas in mir, das sich nicht unterkriegen und morden läßt. Hoffnung ist es nicht, denn um zu hoffen, muß ein Wunsch da sein, eine ausgesprochene Sehnsucht, daß sich die Dinge nach einer gewissen Richtung wenden möchten. Ich wünsche nichts, weil ich mir alles wünsche. Etwas Bestimmtes erhoffen, kommt mir töricht vor. Und was um mich existiert, ist mir im höchsten Maße gleichgültig.

Ich warte. Worauf? Das weiß ich nicht. Aber ich warte. Es ist ein banges Harren, voller Ungeduld, Unruhe, Nervosität. So muß der Zustand eines Verliebten sein, der seine Geliebte erwartet. Niemand kommt. Ich gerate in Wut oder fange an zu weinen. Ich warte auf eine überirdische Offenbarung durch ein himmlisches Wesen. Eine Revolution könnte kommen und mich zum Welteroberer machen. Die Sixtinische Madonna könnte aus ihrem Rahmen steigen und mich küssen. Mir bisher unbekannte Verwandte könnten sterben und mir alle Schätze aus Tausend und Eine Nacht vermachen. Ein Flügelroß könnte herbeifliegen und mich nach sagenhaften Gegenden entführen … Ach, worauf ich auch warten mag: etwas Alltägliches und Mittelmäßiges ist es ganz gewiß nicht.

Mein Wahn beherrscht mich dermaßen, daß ich jedesmal, wenn ich nach Haus komme, fragen muß: »Niemand dagewesen? Auch kein Brief gekommen? Sonst nichts Neues?« Ich weiß ganz genau, daß nichts da ist, daß nichts da sein kann. Einerlei. Ich bin immer arg verwundert und stark enttäuscht, wenn ich die gewohnte Antwort vernehme: »Nein, nichts, gar nichts!«

Manchmal, doch das ist ziemlich selten, wird das Ziel meiner Sehnsucht bestimmter. Irgend eine schöne Frau wird da sein, eine Unbekannte, die mich nicht weiter kennt, die mich im Theater, in der Kirche, irgendwo, flüchtig, im Vorübergehen gesehen hat. Ich laufe durch das ganze Haus, und bis ich nicht auch in das letzte Zimmer geschaut habe, – kaum wage ich es zu sagen, so toll ist das! – glaube ich, daß sie gekommen ist und daß sie wartet! Dabei bin ich keineswegs eingebildet. Im Gegenteil. Verschiedene Male habe ich durch Dritte erfahren, daß mir die oder jene Dame insgeheim zärtliche Gedanken gewidmet hat, während ich der Meinung gewesen, sie mache sich gar nichts aus mir. Zu vermuten, daß sie sich für mich interessiert, hätte ich nie gewagt. Das ist es also nicht!

Tagelang träume ich mir die seltsamsten Umstände aus, unter denen ich mit der ersehnten Unbekannten in unvorhergesehener mich beglückender Weise bekannt werden möchte. Alle die Ränke und Listen, die ich ersinne, um mich bei ihr einzuführen und ihr meine Liebe zu gestehen, würden einen dickeren und amüsanteren Band füllen als die hundert Historien des Messer Boccaccio oder die Abenteuer des Seigneur Casanova.

Nach allen diesen Bekenntnissen könnte man mich reif fürs Narrenhaus halten. Aber trotzalledem bin ich äußerlich ein ganz vernünftiger Mensch. Meine tollen Phantasien setzen sich nicht in Taten um. Alle meine Bizarrerien bleiben sorglich behütet im tiefsten Grunde meiner Seele verborgen. Niemand merkt etwas davon. Ich gelte allgemein für eine kühle, stille Natur, für einen Weiberfeind, für einen jungen Mann, der sich den dummen Streichen seiner Altersgenossen fernhält. Ein neuer Beweis, wie unzulänglich und grundfalsch das Urteil der Welt zu sein pflegt!

So viele schöne Dinge mir wohl entgangen sein mögen, einige meiner Wünsche haben sich doch erfüllt. Da mir diese Erfüllungen aber sehr wenig Genuß bereitet haben, so fürchte ich mich längst vor der Verwirklichung meiner übrigen Träume.

Mit brennender Begierde, wie ein Kind, wünschte ich mir ein gutes Reitpferd. Vor kurzem hatte mir meine Mutter eins geschenkt, genau so eins, wie ich mir ersehnt hatte: einen englischen Vollblüter, eine schnittige Rappenstute, kohlpechrabenschwarz, einen kleinen weißen Stern auf der Stirn, wundervoll fein im Haar, mit prächtigem Fasanenschweif und langer seidiger Mähne. Als mir das Tier zum ersten Male vorgeführt ward, konnte ich eine Weile kein Wort hervorbringen. Blaß und zitternd stand ich da. Dann aber ging es in den Sattel, und, noch immer wortlos, galoppierte ich hinaus ins Freie. Länger als eine Stunde stürmte ich querfeldein. Meine Freude war unbeschreiblich! So trieb ich es über eine Woche lang. Heute wundert's mich, daß die Stute dabei kein Bein gebrochen hat oder nicht mindestens kreuzlahm geworden ist. Allmählich legte sich meine Passion. Bald machte ich meine Ausritte im Trabe, dann im Schritt, und jetzt reite ich so gemächlich des Wegs dahin, daß mir der Gaul mitunter stehen bleibt, ohne daß ich's merke. Überraschend schnell ist der Genuß zur Gewohnheit geworden.

Ich habe die Stute Beatrice getauft. Ein entzückendes Tier. Voll Temperament und doch lammfromm. Wenn sich mein Reitkoller auch ziemlich gelegt hat, so liebe ich das Pferd doch über die Maßen. Es hat einen liebenswürdigen Charakter. Ich ziehe es aufrichtig vielen Menschen vor. Wenn ich in den Stall komme, wiehert es mir entgegen und schaut sich mit seinen klugen Augen nach mir um. Diese Zeichen der Zuneigung rühren mich. Ich fasse meine Beatrice um den Hals und küsse sie so zärtlich, als wäre sie ein schönes Mädchen.

Lange Zeit hatte ich noch einen andern Wunsch, einen glühend heißen, wilden Wunsch, der niemals einschlummerte und den ich mit tausend zärtlichen Träumereien nährte. Er wohnte in dem wunderbarsten Märchenschloß meiner Phantasie, das oft genug in sich zusammensank, das ich aber mit der Geduld der Verzweiflung immer wieder neu aufbaue. Ich wünschte mir eine Geliebte, eine Geliebte, besonders für mich geschaffen. Wenn sich mir dieser Wunsch erfüllt hätte, ich weiß nicht, ob es mir so ergangen wäre wie mit dem Pferd? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Nein, sicherlich nicht! Oder sollte ich doch unrecht haben, und wäre die Ernüchterung ebenso rasch gekommen? Es ist ganz eigentümlich: was ich begehre, begehre ich leidenschaftlich, und doch rühre ich keinen Finger, um es zu erringen. Gelange ich aber durch einen Zufall oder sonstwie in den Besitz des Ersehnten, dann verfalle ich so sehr in seelische Öde, Willensmangel und Unlust, daß es mir an der Kraft zum Genusse gebricht. Daher kommt es, daß mir das, was mir unvorhergesehen zuteil wird, meist mehr Freude bringt als langerträumte Dinge.

Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt. Nicht mehr unschuldig. Ach, in unsrer Zeit ist man das in meinem Alter nicht mehr, weder körperlich noch (was viel schlimmer ist) seelisch. Abgesehen von den gekauften Dirnen, bei denen ich mir die bloße Sinnlichkeit befriedigt, habe ich hier und da in stillen Winkeln auch etliche anständige Frauen gehabt oder solche, die dafür galten. Sie waren weder schön noch häßlich, weder jung noch alt. Wie sie einem jungen Manne, der nichts im Kopf und nichts im Herzen hat, just in die Arme laufen. Mit etwas gutem Willen und einer ordentlichen Dosis romantischer Einbildung nennt man das Geliebte. Ich, ich habe es nicht vermocht. Tausende von dieser Sorte … und meine Sehnsucht bliebe doch ungestillt wie zuvor!

Ich habe also noch keine Geliebte gehabt. Gleichwohl ist es mein höchster Wunsch, eine zu besitzen. Dieser Gedanke quält mich in seltsamster Weise. Nicht, daß meine Natur darnach verlangte, daß mein Blut wallte, daß meine Jugend es erheischte! Nicht Frauen begehre ich, sondern eine Frau, eine Geliebte! Die will ich und die werde ich finden und nicht weit von hier! Gelingt mir das nicht, dann bin ich ein gebrochener Mann, dann werde ich mich im geheimen vor mir selber fürchten, und eine dumpfe Mutlosigkeit wird schwer auf mir lasten, so lange ich noch lebe. Dann muß ich mich in vielerlei Beziehung für mangelhaft, für zerrissen oder für sonderlich halten, für eine körperliche wie seelische Mißgeburt. Im Grunde fordere ich nichts als mein gutes Recht, nichts, was die Natur nicht jedem schuldig wäre. Solange mein Traum unerfüllt bleibt, will ich mich als ein Kind betrachten und auf das Selbstbewußtsein des Mannes verzichten, das ich längst haben müßte. Eine Geliebte ist für mich das, was dem jungen Römer die Toga virilis war.

Wenn ich sehe, daß eine Unmenge Männer, die in jeder Hinsicht unvornehm sind, schöne Frauen haben, Frauen, deren Lakaien zu sein sie nicht einmal wert wären, dann steigt mir Zornesröte ins Gesicht – ihretwegen und meinetwegen. Ich habe eine erbärmliche Meinung von den Frauen, da ich sehe, wie sie sich in den ersten besten Trottel vernarren, der sie mißachtet und betrügt, anstatt daß sie sich einem schlichten treuen jungen Menschen schenkten, der überglücklich wäre und in der Geliebten eine Heilige sähe. Mir zum Beispiel! Es ist wirklich wahr: während jene die Salons überfluten und den Frauen den Hof machen, stehe ich zu Haus am Fenster, drücke das Gesicht gegen die Scheiben und schaue hin, wie der Fluß dampft und die Nebel steigen. Dabei baue ich in meinem Herzen an dem weihrauchduftenden Heiligtum, dem Wundertempel, den meine künftige Göttin bewohnen soll. Eine keusche Romantik, für die einem freilich die Frauen recht wenig Dank wissen!

Die Frauen haben keinen Sinn für die beschaulichen Naturen unter uns. Sie schätzen den Tatenmenschen merkwürdig hoch ein. Im Grunde haben sie damit nicht ganz unrecht. Erziehung und gute Sitten gebieten ihnen stumm zu warten. So geben sie natürlich dem Manne den Vorzug, der zu ihnen kommt und redet. Er macht ihrer unwahren, langweiligen Rolle ein Ende. Ich weiß das wohl, aber niemals in meinem Leben brächte ich es über mich, wie ich es von vielen andern sehe: in einer Gesellschaft meinen Platz zu verlassen, quer durch den Salon auf eine Dame loszugehen und ihr unvermittelt ins Gesicht zu sagen: »Gnädige Frau, in diesem Kleide sehen Sie aus wie ein Engel!« oder »Ihre Augen schimmern heut abend ganz eigentümlich!«

Das hat aber eigentlich gar nichts damit zu tun, daß ich unbedingt eine Geliebte haben muß. Ich weiß nicht, wer sie sein wird. Unter meinen Bekannten wüßte ich keine, die sich zu dieser hohen Würde eignete. Sie haben samt und sonders herzlich wenig von dem, was ich begehre. Die leidlich jung wären, denen fehlt es an körperlicher Schönheit oder an geistigen Gütern. Manchmal sind sie jung und hübsch, aber sie haben irgend etwas Gewöhnliches oder Unangenehmes im Wesen, oder sie sind mir nicht beweglich genug. Obendrein ist immer der Ehemann, der Bruder, die Mutter, irgendeine Tante oder weiß der Teufel wer da, mit glotzenden Augen und gespitzten Ohren, mit denen man sich gutstellen soll oder die man wegekeln muß. Keine Rose ohne Dornen – und kein Weib ohne eine Schar von Verwandten! Erst wenn man sich geschickt davon befreit hat, kann man sich seines Sieges freuen. Die allerentferntesten Vettern aus den gottvergessensten Nestern, Leute, die sich sonst kaum haben blicken lassen, tauchen urplötzlich auf, um die keusche Unschuld einer geliebten Base ewig unberührt zu erhalten. Das ist widerlich. Nie werde ich die nötige Geduld haben, all das Unkraut auszurotten und all die Hindernisse zu beseitigen, die den Weg zu jedwedem hübschen Weibe sperren.

Frauen, die schon Kinder gehabt haben, mag ich nicht besonders. Junge Mädchen gleich gar nicht. Aber ich muß gestehen, auch die jungen Frauen reizen mich nicht absonderlich. Es ist da Unklarheit und Halbheit mit im Spiele, und das empört mich. Der Gedanke, die Geliebte mit einem Andern zu teilen, wäre mir unerträglich. Für einen von beiden, für den Geliebten oder den Gatten, ist sie doch die Dirne, die sich preisgibt. Oft für alle beide. Es wäre mir unmöglich wegzugehen, weil der Andre kommt. Ich bin viel zu stolz, um eine derartige Selbsterniedrigung zu ertragen. Und wenn ich die Frau dadurch gefährdete, wenn sie verloren wäre, wenn ich über ihren Leib hinweg mit dem Andern kämpfen müßte, um Leben oder Tod, – ich bliebe! Hintertreppen, Wandschränke, kleine Kämmerchen und all die schlauen Rückzugswege der Ehebrecher wären mir schlechtweg zu armselig!

Wenig Geschmack finde ich an der sogenannten jungferlichen Frische, kindlichen Unschuld und ähnlichen entzückenden Dingen. Die machen sich wunderhübsch in lyrischen Almanachen. Für mich ist es Albernheit, Unerfahrenheit, Stumpfsinn oder Heuchelei. Solche Jungfräulichkeit, die sich immer bloß auf die Stuhlkante setzt, mit niedergeschlagenen Augen und steif angezogenen Armen, die nur zu lispeln wagt, wenn es die Großeltern erlauben, – solche Primitivität, mit dem üblichen glatt hinausgekämmten Haar und dem weißen Kleidchen, – solch kindliche Einfalt, die ihr hochgeschlossenes Kleid doch nur trägt, weil sie an Hals und Schultern noch nichts zu zeigen hat: Verführerisches finde ich daran wahrlich nicht!

Ich sehe keinen Reiz darin, einem kleinen Dummchen das Liebesalphabet beizubringen. Um Vergnügen hierbei zu finden, bin ich nicht alt und nicht verdorben genug. Außerdem würde es mir gar nicht gelingen. Habe ich doch nie jemanden etwas lehren können. Nicht einmal Dinge, in denen ich Meister war. Ich gebe mich lieber mit Frauen ab, die fließend lesen können. Mit ihnen kommt man schneller zum Ende des Kapitels. Bedenke das Ende! Das ist nun einmal bei jedem Ding die Hauptsache, ganz besonders aber in der Liebe. Ich gehöre somit gleichsam zu den Leuten, die einen Roman auf der letzten Seite beginnen, um erst einmal zu sehen, wie die Geschichte ausgeht. Man blättert wohlgemut von hinten nach vorn und dann erst von vorn nach hinten. Diese Art zu lesen und zu lieben hat ihre Vorzüge. Man genießt die Einzelheiten viel inniglicher, wenn man über das Ende beruhigt ist. Unerwartetes bringt in Verwirrung.

Die jungen Mädchen und die verheirateten Frauen streiche ich also von der Liste. Blieben mir die Witwen bei der Wahl meiner Göttin! Die letzte Rettung! Indessen, ich fürchte, auch unter ihnen finde ich die Gesuchte nicht.

Verliebte ich mich in solch eine tränenbetaute blasse Trauerrose, die sich in graziöser Melancholie über den Grabstein ihres jüngst glücklich verschiedenen Gatten beugt, so würde ich sicherlich, und zwar in kürzester Frist, genau so unglücklich sein, wie es der Selige zu seinen Lebzeiten war. So jung und reizvoll Witwen sein mögen, eine fürchterliche Schattenseite haben sie doch den anderen Frauen gegenüber. Steht man sich nicht ganz vorzüglich mit ihnen, so heißt es beim Anzug jedweden Wölkchens am Liebeshimmel immer gleich hochmütig und verachtungsvoll: »Wie du nur heute bist! Genau wie Felix! Wenn er sich mit mir zankte, hatte er genau dieselben Redensarten. Merkwürdig, du hast ganz seine Stimme. Auch denselben Blick. Offenbar hast du keine Ahnung, wie sehr du ihm ähnelst, wenn du böse bist! Richtig zum Fürchten!« Es ist kein Vergnügen, derlei ins Gesicht gesagt zu bekommen! Manche treiben die Taktlosigkeit noch weiter. Sie schwärmen von dem Toten mit der Geschwätzigkeit einer Leichenrede. Er habe über ein besseres Herz verfügt und über schönere Beine als unsereiner. Hingegen mit Frauen, die bloß einen Geliebten, oder auch mehrere, gehabt haben, hat man den unschätzbaren Vorteil: sie verhimmeln den Vorgänger nie in unsrer Gegenwart. Das ist viel wert. Frauen sind Legitimisten. Man ist stets der erste Geliebte. Unbedingt.

Meine tiefe Abneigung ist schwer zu erschüttern. Ich gebe gern zu: Witwen ermangeln durchaus nicht eines gewissen Reizes, wenn sie jung und hübsch sind – und noch Trauer tragen. Sie haben etwas allerliebst Schmachtendes im Gesicht, eine reizende Lässigkeit in ihren Gliedern, bestimmte amoureuse Bewegungen des Kopfes und Rückens. Unter dem durchsichtigen Krepp treiben tausend Verführungskünste ihr Spiel. Mit der Trostlosigkeit läßt sich wunderbar kokettieren. Im passenden Augenblick ein Seufzer, ein paar schimmernde Tränen im rechten Moment, das hat seine Wirkung! Tatsächlich, nach dem Wein, oder sagen wir: neben ihm, ist mir der Tau, der an einer braunen oder blonden Frauenwimper glitzert, der köstlichste Trank. Kann man da kalt bleiben? Niemals!

Schwarz steht überhaupt den Frauen gut. Weiße Haut, an und für sich schon ein holdes Wunder, glänzt im schwarzen Rahmen wie Elfenbein, wie Schnee, wie Alabaster. Braune Haut erscheint heller und matter und läßt die Glut und das wilde Blut darunter nur noch leise ahnen. In Trauer machen alle Frauen Eroberungen! Schon deswegen möchte ich mich niemals verheiraten, weil ich fürchtete, meine Ehegattin könnte sich meiner entledigen, lediglich, um in Schwarz gehen zu dürfen. Allerdings, man muß auch das Weinen verstehen. Mit einer roten Nase kann man lange auf Trost warten.

Man wird fragen: Jungfrauen liebt er nicht, verheiratete junge Frauen nicht, Witwen nicht! Mütter nicht, also Großmütter erst recht nicht! Zum Teufel, was liebt er denn?

Schwer zu sagen! Wenn ich das wüßte, würde ich mich nicht so sehr quälen. Bis jetzt habe ich keine Frau geliebt. Ich habe die Liebe geliebt und liebe sie noch. Obgleich ich also eine Geliebte noch nicht geliebt habe, – die Frauen, die ich besessen, haben in mir nur Sehnsucht nach Liebe erweckt, – weiß ich doch, was Liebe ist. Ich habe sie empfunden und gefühlt. Ich habe mich in die Eine verliebt, die ich noch nie geschaut, die aber irgendwo lebt und die ich finden werde, wenn es mir bestimmt ist. Ich weiß genau, wie sie aussieht. Wenn ich ihr begegne, werde ich sie sofort erkennen.

Hunderttausendmal habe ich mir ausgeträumt, wie sie wohnt, wie sie sich kleidet, was sie für Augen hat und was für Haar. Ich kenne ihre Stimme. Unter Tausenden würde ich ihren Gang herausfinden. Wenn zufällig jemand ihren Namen ausspräche, würde ich mich umsehen; von dem halben Dutzend, die ich ihr in meinen Träumereien beigelegt habe, muß einer der ihre sein.

Sie ist keine Unschuld mehr, aber auch nicht verdorben – und genau sechsundzwanzig Jahre alt. Das ist das beste Alter zur Liebe ohne Zimperlichkeit und ohne Frivolität. Sie ist mittelgroß. Riesinnen und Liliputanerinnen mag ich nicht. Ich will meine Aphrodite bequem von der Chaiselongue in das Bett tragen können. Sie drinnen suchen zu müssen, das würde mich verdrießen. Wenn sie sich ein bißchen auf die Fußspitzen stellt, sind ihre Lippen gerade in Kußhöhe. Im übrigen ist sie mehr mollig als mager. Hierin bin ich ein wenig Türke.

Meine Geliebte hat blondes Haar und schwarze Augen, eine Haut von der Zartheit der Blondinen mit der Farbenfülle der Brünetten. Wenn sie lacht, röten Licht und Feuer ihr Gesicht. Ihre Unterlippe ist voll; die Brüste sind rund und klein; die Handgelenke schmal, die Hände schlank und fleischig. Beim Gehen wiegt sie sich ein wenig in den Hüften. So ist sie graziös und kräftig, rassig und derb, Fee und Erdentochter: eine Vision von Giorgione, gestaltet von Rubens!

Sie geht wie eine Fürstin gekleidet, trägt Perlen und Diamanten, Seide und Batist. Einen Filzhut, kapriziös aufgeschlagen wie der der Helene Systermann. Und immer frische Blumen. In meinen Träumen habe ich Kaiserinnen und Königinnen, Prinzessinnen und Herzoginnen besessen, hohe Damen und berühmte Kurtisanen, niemals aber Bürgerfrauen oder arme Mädchen. Ich kann in keinem Bett von ordinärem Stoff küssen. Schönheit und Überfluß müssen beieinander sein. Eine schöne Frau ohne Reichtum ist etwas Unharmonisches. Weibesschönheit ist ein Edelstein, der Goldfassung erheischt. Ein hübscher Fuß gehört in einen feschen Schuh, ein fescher Schuh auf dicke Teppiche, in einen eleganten Wagen usw. Eine hübsche Frau in dürftiger Kleidung und armseliger Umgebung ist für mich ein schmerzlicher Eindruck, der mir die Liebe unmöglich macht. Nur schöne und reiche Menschen dürfen lieben, ohne lächerlich oder bemitleidenswert zu erscheinen. Liebe ist der erlesenste Luxus.

Nach diesem Spruche hätten nur ganz wenige Menschen das Recht auf Liebe. Ich selber wäre aus diesem Paradiese verstoßen. Gewiß, aber es bleibt meine Ansicht.

Ich weiß: eines Abends sehen wir uns zum ersten Male, bei einem wunderbaren Sonnenuntergang. Der Himmel prangt in mattroten, hellgelben und blaßgrünen Farben wie auf den Bildern der frühen Meister. Eine lange Allee läuft vor uns hin, mit blühenden Kastanien und hundertjährigen Ulmen, schönen hell- und dunkelblättrigen Bäumen, die geheimnisvoll kühlen Schatten spenden. Dazwischen lauschige Lauben, schneeweiße Standbilder und große Marmorvasen. Auf einem kleinen Teiche zieht ein Schwan seine Kreise. Dahinter schimmert das Schloß, ein Bau aus der Zeit Heinrichs des Vierten, mit steilem Schieferdach und schlanken Schornsteinen, mit Wetterfahnen auf allen Giebeln und hohen, schmalen Fenstern. In dieser Umgebung begegne ich meiner Herzogin. Ein Negerboy mit einem Riesenfächer trippelt hinter ihr her …

Das ist vollendeter Blödsinn, gewiß, aber ich weiß, so werde ich es erleben.

Die Schöne verliert einen Handschuh. Ich hebe ihn auf, drücke ihn an meine Lippen und überreiche ihr ihn. Es entspinnt sich ein Gespräch. Ich lasse den Geist spielen, den ich nicht besitze, und rede allerliebstes dummes Zeug. Ebensolches bekomme ich zu hören. Ich gebe mir noch mehr Mühe. Meine Reden und Gedanken sprühen wie Brillantfeuerwerk. Mit einem Worte: ich bin entzückt – und entzückend.

Es ist die Zeit des Abendessens. Ich werde eingeladen und nehme an. Ein Souper ohnegleichen. (Meine Phantasie ist eine famose Köchin!) Edlen alten Wein in Kristallgläsern. Getrüffelter Fasan auf drachengeschmücktem Porzellan.

Das Mahl währt bis tief in die Nacht hinein, die ich selbstverständlich nicht im eigenen Bett beschließe.

Ein andermal treffe ich meine Fee im Walde. Ich gehe spazieren. Eine Fuchsjagd saust an mir vorüber. Hörnerklang, bellende Meute, der Master und das rote Feld der Reiter, alles fliegt blitzschnell über meinen Weg. Meine Schöne in Dreß, auf einem schlohweißen feurigen Araberhengst. Auf den ersten Blick erkenne ich die kühne schöne Reiterin! Da … der Schimmel scheut … wird ungehorsam … sie reißt ihn in den Zügeln … er geht ihr durch … und in Karriere auf einen tiefen Abgrund zu …

Natürlich stehe ich – vom Himmel hingesetzt – dort bereit, halte den durchgebrannten Gaul mit kecker Hand auf und nehme die ohnmächtig gewordene Prinzessin in meine Arme. Ich bringe sie ins Leben zurück und in ihr Schloß.

Welche edle Frau versagt ihrem mutigen Lebensretter ihr Herz? Keine! Dankbarkeit ist immer schon halbe Liebe.

Das ist nicht nur romantisch; das ist ebenso verrückt wie unmöglich! Meinetwegen! Ich liebe nun einmal alles, was aus dem Alltag führt.

Genug der Ungereimtheiten und des Aufkritzelns! Du siehst, wenn ich einen Brief zu schreiben beginne, wird gleich ein ganzes Buch daraus! Jetzt lege ich aber die Feder für heute hin. Nun will ich etwas erleben … Ach, da bin ich wieder bei meinem alten Liede: bei der Sehnsucht nach einer Geliebten. Von neuem gehe ich auf die Suche. Wo sie auch verborgen sein mag: ich muß sie finden! Und wohnte sie am Nordpol oder auf dem Mars!

Ich werde mich auf das Allersorgfältigste kleiden, mein Haus verlassen und nicht anders heimkehren als mit der Geliebten meiner Träume!


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