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X.
Magdalene Maupin an ihre Freundin Graziosa

Liebste Freundin, wie recht hattest Du, als Du mich von meinem Vorhaben abbringen wolltest, Umgang mit den Männern zu suchen und sie gründlich zu studieren, ehe ich einem mein Herz schenkte. Ich bin für immerdar von der Liebe geheilt. Ich habe mir sogar die weitere Möglichkeit genommen.

Ach, Graziosa, dreimal verflucht sei der Augenblick, da ich auf den Einfall geriet, mich in Männerkleider zu stecken! Wieviel Schändlichkeiten, Gemeinheiten und rohe Dinge habe ich sehen und hören müssen! Einen Schatz keuscher köstlicher Unwissenheit habe ich in kurzer Zeit verloren.

Erinnerst Du Dich? Es war in einer wunderschönen Mondnacht. Wir gingen hinten im Garten spazieren, die düstere einsame Allee hinaus. Ganz am Ende steht ein steinerner Faun, der die Flöte bläst. Er hat keine Nase mehr, und sein Körper ist von dunkelgrünem Moos überwachsen. Durch das noch dünne Laubdach der Buchen sahen wir die Blinklichter von ein paar Sternen und die glitzernde Silbersichel des Mondes. Duft von Knospen und Keimen wehte von den Beeten zu uns herüber auf den matten Fittichen eines müden Windes. Irgendwo im Verborgenen sang ein Vogel seine sehnsüchtige wundersame Weise.

Nach Mädchenart schwatzten wir von der Liebe, von Verehrern, vom Heiraten, von einem hübschen jungen Herrn, den wir in der Kirche gesehen hatten. Wir vertrauten einander das bißchen Weisheit an, das uns über das Leben und die Dinge da draußen in die Köpfchen geflogen war. Der Zufall hatte Dir oder mir ein paar Worte zugetragen, die uns geheimnisvoll dünkten und über die wir immer wieder unsere Betrachtungen anstellten. Tausend dumme Fragen flogen hin und her, wie sie unschuldigen Kindergemütern gern entquellen. Wieviel Urpoesie und allerliebste Naivität lachte in der heimlichen Plauderei von uns zwei kindischen kleinen Mädeln, die wir eben aus der Pension entlassen waren!

Du schmachtetest nach der Liebe eines stolzen mutigen Jünglings. Ein Schnurrbärtchen sollte er haben und rabenschwarzes Haar, kecke Federn an seinem Barett, einen langen Degen und Riesensporen. Mit einem Worte, nach einem verliebten Rittersmann. Du schwärmtest für Heldentaten und große Siege, träumtest von Zweikämpfen und Entführung, von fabelhafter Minne und Treue. Am liebsten hättest Du Deinen Handschuh in eine Löwengrube geworfen und Dein Ritter hätte ihn auf der Stelle herausholen müssen. Ach, wie drollig warst Du damals, Du kleines blondes Geschöpf, das immer gleich über und über rot wurde und im leisesten Windhauche erschauerte, und das doch mit blitzenden Augen große Worte und Gebärden machte!

Ich war nur ein halbes Jahr älter als Du, aber ein halbes Dutzend mal weniger romantisch. Mich beunruhigte eigentlich nur ein einzig Ding: ich wollte um alles in der Welt wissen, was die Männer reden, wenn sie unter sich sind, und was sie beginnen, wenn sie die Öffentlichkeit und die Gesellschaft hinter sich haben. Ich ahnte in ihrem Tun und Treiben manchen schwachen und dunkeln Punkt, den sie uns sorgfältigst verbergen. Darüber Aufklärung zu finden, schien mir außerordentlich wichtig. Zuweilen versteckte ich mich im Vorsaal hinter einem Vorhang und belauschte da die Herren, die in unser Haus kamen. Es war mir, als erspähte ich an ihrem äußeren Wesen etwas Unvornehmes, Zynisches, rohes Sichgehenlassen und ungesellige Rücksichtslosigkeit, kurz allerlei, was mir sofort unsichtbar ward, sobald sie die Schwelle des Empfangszimmers überschritten. Wie auf Zaubergeheiß fiel dies beim Eintreten von ihnen ab. Es kam mir vor, als bänden sich alle Männer, junge wie alte, die nämliche Maske des guten Tones vor die Gesichter; als temperierten sie ihre Gefühle auf den nämlichen kühlen Grad der Schicklichkeit; als haspelten sie in ihren Gesprächen immer wieder die nämlichen vorgeschriebenen Gegenstände ab, sobald Damen gegenwärtig waren. Ich setzte mich, steif wie eine Puppe, in eine Ecke des Salons, blieb da kerzengerade sitzen und spielte mit meinem Blumenstrauße. Dabei spitzte ich die Ohren und beobachtete alles, wenn auch mit niedergeschlagenen Augen. Ich sah, was vor, neben und hinter mir vorging. Wie die Fabelaugen des Luchses durchdrangen meine Blicke die Wände. Ich wußte, was in den Nebenzimmern geschah.

So nahm ich auch den auffälligen Unterschied in der Plauderei der Herren mit verheirateten und unverheirateten Damen wahr. Das war nicht die vorsichtige artige mit kindischen Floskeln ausgeschmückte Redeweise, wie sie mir und meinen Genossinnen zuteil ward. Da ging es freier und lustiger zu. Es gab weniger Zwang und mehr Natürlichkeit. Man war weit deutlicher im Angriff wie in der Abwehr. Offenbar spielte hier Verderbtheit mit Verderbtheit! Ich hatte die Empfindung, daß zwischen ihnen etwas Gemeinsames leben und weben mochte, das für uns junge Mädchen nicht bestand. Ach, ich hätte wer weiß was darum gegeben, wenn ich erfahren hätte, was dieses Etwas war.

Unruhig und leidenschaftlich neugierig verfolgte ich mit Augen und Ohren die lachenden schwatzenden Gruppen der jungen Männer, wenn sie von uns gingen. In ihren Gesichtern saßen Hochmut, Verachtung und Spott. Offenbar belachten sie, was sie soeben selber gesagt, und ironisierten die Galanterien, mit denen sie uns überschüttet hatten. Ihre Worte konnte ich nicht verstehen, aber ich las von ihren Lippen, daß sie jetzt eine mir fremde Sprache redeten, eine andre denn in meiner Gegenwart. Sogar die Artigsten und Bescheidensten fühlten sich sichtlich erleichtert.

Ein volles Jahr meines Lebens hätte ich darum gegeben, um nur eine einzige Stunde ungesehen ihrer Unterhaltung beiwohnen zu dürfen. Des Öfteren entnahm ich aus gewissen Gesten und Seitenblicken nach mir hin, daß die Rede von mir war. Vielleicht machte man Bemerkungen über meine Gestalt. Dann saß ich wie auf glühenden Kohlen. Flüsterworte und halbe Sätze drangen hin und wieder bis zu mir und reizten meine Neugier auf das Höchste, ohne sie zu befriedigen. Ich ward die Beute von Zweifeln und mir unerklärlicher Verlegenheit.

Offenbar redete man meist Günstiges von mir. Das war es auch gar nicht, was mich beunruhigte. Es war mir gleichgültig, ob man mich für schön hielt oder nicht. Ich begehrte nichts zu wissen als den Sinn der Bemerkungen, die sie einander leise sagten, fast immer unter sonderbarem Augenzwinkern und spöttischem Lächeln. Für eine einzige dieser Heimlichkeiten hätte ich gern auf alle Komplimente der Welt verzichtet.

Jetzt weiß ich alles, und ich bedaure, daß ich es weiß. So ist es immer!

Mein Einfall war wahnwitzig. Doch Geschehenes läßt sich nicht ungeschehen machen. Was man erfahren, vergißt man nie.

Ich hätte auf Dich hören sollen, Graziosa! Jammerschade! Man folgt leider nicht der Stimme der Vernunft, zumal nicht, wenn sie einem ein junger Mund predigt. Eigentlich ist es unbegreiflich, weshalb man einen Rat nur dann für gut hält, wenn ihn ein bemoostes Haupt ausspricht.

Meine Unruhe hat die Schuld. Ich vermochte nicht zu widerstehen. Über mir am Baume hing lockend der verhängnisvolle Apfel. Wohl oder übel griff ich darnach. Ich dachte: Wenn er sauer schmeckt, werf ich ihn wieder weg! Mit einem Wort, ich war eine zweite Eva und biß ordentlich hinein.

Durch den Tod meines Onkels, des einzigen Verwandten, den ich noch hatte, ward ich Herrin über mein Tun und Lassen. Nunmehr verwirklichte ich meinen längst gehegten Plan.

Damit kein Mensch mein Geschlecht auch nur ahnen könnte, traf ich alle erdenklichen Vorsichtsmaßregeln. Fechten und schießen hatte ich längst gelernt. Auch war ich eine gute beherzte Reiterin, manchem Reitersmann überlegen. Ich eignete mir das nötige männliche Benehmen an, und nach ein paar Monaten hatte ich aus einem leidlich hübschen jungen Mädchen einen sehr feschen jungen Mann gemacht. Es fehlte ihm nichts als der Schnurrbart.

Ich setzte etliches Hab und Gut in bar Geld um und zog hinaus in die weite Welt, fest entschlossen, nicht eher in meine Heimat zurückzukehren, als bis ich in die sämtlichen Geheimnisse der Männerwelt gedrungen wäre.

Dieses Ziel zu erreichen, gab es nur diesen Weg. Durch einen Geliebten hätte ich nichts oder nur halbe Dinge kennen gelernt. Ich aber wollte den Mann bis auf die Knochen studieren, ihn auf meinem Operationstische zucken und zappeln sehen und ihm mit dem Seziermesser unerbittlich Glied um Glied zerstückeln. Dazu mußte ich ihn in seinem Dunstkreise aufsuchen, ihm guter Kamerad sein, ihn auf den Korso, in die Schenken und überallhin begleiten dürfen. Verkleidet ward mir das möglich. Da verdeckte und verstellte er sich mir nicht. Da fiel aller Zwang und jede Komödie weg. Da vertraute er mir seine Geheimnisse an. Durch Lügen kommt man hinter Wahrheiten. Ach, die Frauen kennen wohl den Roman des Mannes, niemals aber die Naturgeschichte des Mannes.

Wir Frauen sind unverbesserlich unwissend angesichts der Lebensweise und den Lebensbedingungen derer, die uns zu lieben vorgeben und uns heiraten. Ihr tatsächliches Dasein ist uns genau so unbekannt wie das der Geschöpfe auf dem Saturn oder auf irgendeinem andern Stern, der Milliarden Meilen vom Erdball entfernt durch den Weltenraum fliegt. Wir Frauen sollten die Männer für eine andre Art Menschen halten, denn zwischen Mann und Weib gibt es nicht die geringste höhere Gemeinschaft. Was Vorzug an einem der beiden ist, heißt Fehler am andern. Was einen Mann berühmt macht, schändet eine Frau.

Das Leben von uns jungen Mädchen liegt offen da. Mit einem Blick kann man es durchschauen. Ohne weiteres folgt man uns vom Vaterhaus in das Pensionat und von da wieder zurück. Unser Tun ist für niemanden Geheimnis. Jedermann kann unsre stümperhaften Zeichnungen betrachten, unsre in Aquarellfarben hingepinselten Blumensträuße mit ihrem Vergißmeinnicht, den klumpigen Rosen und dem rosa Band um die Stiele. Die Pantoffeln, die wir unsern Vätern und Großvätern zum Geburtstag sticken, haben ebenfalls nichts Rätselhaftes oder Beunruhigendes an sich. Und unsre Sonaten und Romanzen leiern wir mit kaum zu steigernder Gefühllosigkeit herunter. Wir kommen unsern Müttern nicht von der Seite, und abends um neun, spätestens um zehn, legen wir uns in die schneeweißen Betten unsrer sittsamen netten Jungmädchenstübchen, in die man uns bis zum nächsten Morgen einsperrt. Auch der eifersüchtigste Spürsinn kann nichts Schlimmes an uns entdecken. Solch ein Leben ist kristallklar.

Der uns dann nimmt, kennt also unsern Lebenslauf, soweit zurück er ihn wissen will. Aber das ist gar kein Leben, nur ein Hindämmern wie das der Blumen oder des Mooses.

Wir dürfen uns nicht entfalten. Immer und immer heißt es, gerade, steif, still sitzen, die Augen züchtig niedergeschlagen. Es ist uns verboten, das Wort zu ergreifen und an der Unterhaltung teilzunehmen. Wenn wir gefragt werden, dürfen wir nur mit Ja oder Nein antworten. Sobald jemand etwas Interessantes zu erzählen beginnt, schickt man uns aus dem Zimmer. Unsre Musiklehrer sind alte Mummelgreise, die gräßlich viel Tabak schnupfen. Die Nippfiguren in unserm Stübchen sind von fragwürdiger Muskulatur. Und wenn die Götter Griechenlands Einzug bei uns halten, müssen sie sich zuvörderst bei einem Kleiderjuden weite Mäntel umhängen lassen, bis sie wie Droschkenkutscher aussehen. Alsdann macht man für uns Gravüren nach diesen Modellen. Nichts an ihnen kann unser Gemüt in Glut bringen.

Wir sollen um alles nicht Romantikerinnen werden. Eher Idiotinnen. Die Jahre unsrer Erziehung vergehen, nicht indem man uns etwas lehrt, sondern indem man uns hindert, etwas zu lernen. Wir sind leiblich und geistig Gefangene.

Der junge Mann hingegen ist sein eigener Herr. Wenn er noch so zeitig weggeht, braucht er erst am nächsten Morgen heimzukommen. Er hat Geld oder verdient sich welches und verfügt darüber nach Belieben. Niemand fragt ihn, wie er seine freie Zeit verwendet. Und kein Mann erzählt seiner Geliebten genau, wie er seine Tage und Nächte verbracht. Keiner, und gälte er sonst für noch so ehrlich.

Mein Pferd und die Kleidungsstücke hatte ich in einem kleinen mir gehörigen Pachtgute, das vor der Stadt liegt, bereit. Dort zog ich mich um, saß auf und ritt von dannen. Mir war eigentümlich beklommen zumute. Abschiedsweh war es nicht. Ich ließ nichts zurück, woran ich hing, Eltern nicht, noch Freundinnen, nicht einmal einen Hund oder eine geliebte Katze. Trotzdem war ich tief traurig. Ich weinte sogar ein wenig.

In dem kleinen Bauernhofe war ich keine zehnmal in meinem Leben gewesen. Es war kein Ort, von dem die Trennung mir aus irgendwelchem Grunde schwer gefallen wäre. Gleichwohl wandte ich mich ein paarmal nach ihm, um immer wieder das bläuliche Rauchwölkchen zu erspähen, das über dem Gebüsch in die Lüfte wirbelte.

Dort hinten ließ ich meine Röcke und damit mein Frauentum. In der Stube, wo ich mich umgekleidet hatte, blieben zwanzig Jahre meines Lebens zurück. Sie zählten nicht mehr, gingen mich nichts mehr an. Ich hätte an die Tür schreiben können:

HIER RUHT MAGDALENE VON MAUPIN

In der Tat war ich nicht mehr die Magdalene Maupin, sondern hieß nunmehr Theodor von Serannes. Niemand sollte mich fortan mit meinem süßen Namen Magdalena rufen. Ich war ein Mann geworden.

Als ich die Wipfel der Kastanien, die den Hof überragten, endlich nicht mehr erblickte, kam ich mir wie neugeboren vor. Ich dachte an mein bisheriges Dasein zurück wie an das eines andern Menschen, das ich nur von weitem beobachtet oder im ersten Kapitel eines Romans gelesen hatte. Allerlei Erinnerungen fielen mir ein und stimmten mich wieder fröhlich, kindliche kleine Erlebnisse, deren Naivität mich lächeln machte. Es war mir, als wollten mich alle diese Dinge noch einmal herzinnig grüßen.

Ich gab meinem Gaul die Zinken, um diesen rührseligen Reminiszenzen zu entrinnen. Rechts und links flogen nun die Bäume an mir vorüber. Aber die losen kleinen Schelme der Kindheitserinnerung flatterten mir immer noch händeklatschend zur Seite und riefen mich in einem fort:

»Magdalene! Magdalene!«

Ein lauter Schlag mit der Reitgerte, und mein Rößlein trabte noch einmal so schnell. Mein Mantel flatterte hinter mir wie ein wehendes Banner. Ich ritt wie toll darauf los. Noch einmal wandte ich den Kopf und erblickte jetzt nichts mehr am Horizont als die Staubwolke, die ich aufgewirbelt hatte.

Ich ging in Schritt über.

Am Wegrand in einem Rotdornbusch sah ich etwas Weißes leuchten. Ein silberglockenhelles Stimmchen schlug an mein Ohr:

»Magdalene! Magdalene! Wohin des Wegs? Sieh, schlohweiß ist mein Kleid, schlohweiß der Blütenkranz in meinem Haar, und schlohweiß mein Leib! Ich bin die, die du warst, die keusche Jungfer Magdalene. Sag mir mal, warum trägst du solche Riesenstiefel? Du hattest einen gar niedlichen Fuß! Reithosen trägst du auch und einen Federhut wie ein Rittersmann, der in den Krieg zieht. Wozu den langen lästigen Degen? Du bist wunderlich ausstaffiert, Magdalene! Soll ich denn da überhaupt mitkommen?«

»Wenn du Angst hast, Beste, so gehe getrost wieder heim! Begieße meine Blumen, füttre meine Tauben! Du sorgst dich unnötig! Unter dieser Männerweste ist meine Jungfräulichkeit mehr geschützt denn unter Batist und Seide. Diese Stiefel sollen meine kleinen Füße verstecken. Mit diesem Degen will ich mich verteidigen. Und die Feder an meinem Hut soll die bunten Vögel verscheuchen, die mir falsche Minnelieder vorpfeifen wollen!«

Ich trabte weiter. Im Windesgebrumm vermeinte ich das Finale der Sonate zu vernehmen, die ich meinem seligen Onkel zu seinem letzten Geburtstage vorgeklimpert hatte. Die Vergangenheit wollte mich immer noch nicht freigeben. Sollte ich nicht hinreiten in das neue Leben?

Ein paarmal war ich nahe dran, Kehrt zu machen. Aber das blaue Schlänglein der Neugier zischte mir die heimtückischen Worte zu:

»Weiter, Theodor! Weiter! Du bist auf dem rechten Wege zur Erkenntnis! Was du heut nicht lernst, lernst du nimmer! Willst du denn dein edles Herz so ohne weiteres dem Erstenbesten schenken, der treuherzige Augen macht und dir Liebe vorgirrt? Nein, Theodor, ergründe erst einmal die vielen seltsamen Geheimnisse der Männer!«

Ich begann zu galoppieren. Reiterhosen hatte ich, aber noch kein Männerherz. Ehrlich gestanden, ich empfand ein merkwürdiges Unbehagen, regelrechtes Gruseln, als ich einen düsteren Wald durchreiten mußte. Da fiel ein Schuß. Es war ein Wilderer in der Ferne. Ich war einer Ohnmacht nahe. Wäre mir ein Straßenräuber in den Weg getreten: meine Pistolen und mein scharfer Degen hätten mir nichts genützt.

Wieder in freiem Felde kehrte mein Mut zurück. Am Horizont versank die Sonne wie der Kronleuchter im Theater, wenn die Vorstellung zu Ende ist. Ein paar Hasen, ein Volk Fasane huschten über die Straße. Die Schatten wurden länger und länger. Die Himmelsfernen hatten zarte bunte Streifen, veilchenblaue, orangenrote und zitronengelbe. Dann zerflossen sie alle zu Grau. Die Vögel der Nacht begannen ihre Lieder. Tausend wundersame Töne drangen aus dem nahen Wald herüber.

Die letzte Helligkeit erstarb. Dunkel umfing mich. Die schwarzen Baumschatten verdichteten es noch. Noch nie war ich abends allein ausgegangen. Und jetzt befand ich mich Glock acht mitten in einem großen Walde. Kannst Du Dir das vorstellen, Graziosa? Du weißt doch, wie ich vor Furcht zitterte, wenn wir nur an das Ende des Parkes kamen? Von neuem packte mich das schönste Grauen. Mein Herz pochte zum Zerspringen; und ich muß gestehen, daß es mir im höchsten Maße angenehm war, als ich dann plötzlich die Lichter der Stadt, in die ich wollte, schimmern sah. Sie flimmerten wie fröhliche Sterne. All meine Angst war weg. Die fremden Lichtpünktchen grüßten mich wie liebe Freundesaugen, die für mich wachten.

Mein Pferd freute sich nicht minder. Es witterte Stalluft und führte mich geradenwegs zum Gasthof zum Goldenen Löwen. Heller Schein drang durch die Scheiben. Ich übergab den Gaul einem Stallknecht und trat in die Küche. Ein riesiger Herd gähnte im Hintergrund mit seinem schwarzroten Rachen. Er verschlang einen Holzklotz nach dem andern. Zu beiden Seiten der Feuerböcke lagen zwei große Hunde und ließen sich mit vollendeter Seelenruhe braten. Nur wenn ihnen die Hitze zu arg ward, hoben sie die Pfoten und stöhnten ein wenig. Gewiß aber hätten sie sich eher zu Asche verbrennen lassen, als daß sie auch nur einen Schritt abgerückt wären.

Meine Ankunft schien sie nicht zu ergötzen. Umsonst streichelte ich sie, um mit ihnen bekannt zu werden. Sie blinzelten mich von unten herauf an, mit Augen, die nichts Gutes verrieten Ich war erstaunt; denn sonst sind Tiere mir zutulich.

Der Wirt kam heran und fragte nach meinem Begehr. Ein dicker Mann mit roter Nase, glasigen Augen und breitem Grinsen. Beim Sprechen zeigte er zwei Reihen auseinanderstehender spitzer Zähne, wie sie den Menschenfressern eigen sind. Das große Küchenmesser an seiner Seite machte einen zweideutigen Eindruck; es konnte zu verschiedenerlei brauchbar sein. Als ich meinen Wunsch geäußert, gab er dem einen Hund einen Fußtritt. Der erhob sich und ging mürrisch auf eine Art Rad zu. Ich bekam einen vorwurfsvollen Blick. Als der Köter einsah, daß ihm keine Gnade blühte, fing er an, das Rad zu drehen und damit den Bratspieß, an dem das Huhn steckte, das für mich bestimmt war. Ich nahm mir vor, ihn für seine Mühe mit dem Reste meiner Mahlzeit zu beglücken. Unterdessen sah ich mich in der Küche um.

Breite Eichenbohlen quadrierten die Decke. Herdrauch und Kerzenruß hatten sie schwarzbraun gebeizt. Zinngerät auf den Schränken blitzte durch das Halbdunkel blanker als Silber. Daneben irdenes Geschirr, weiß mit blauen Blumen. Blitzblanke Pfannen hingen in langen Reihen an den Wänden, gleich den ehernen Schilden, die man nebeneinander an den antiken Schlachtschiffen angebracht sieht. (Verzeihe mir diesen pompösen historischen Vergleich, liebste Graziosa!) Ein paar dralle Mägde hantierten am Tisch und klapperten mit Geschirr und Gabeln. Wie lieblich dünkt einem solche Musik, wenn man Hunger hat! Ja, der Magen hat ein noch feineres Gehör als das Ohr. Alles in allem machte die Herberge trotz des Nußknackergesichts und der Sägezähne des Wirts einen einladenden und rechtschaffenen Eindruck. Und wäre sein Mund noch breiter gewesen und seine Zähne dreimal so lang, ich wäre doch geblieben. Der Regen begann nämlich draußen gegen die Scheiben zu schlagen, und der Sturm heulte, daß einem die Lust zum Weiterwandern verging. Ich kenne nichts Grausigeres als dies Stöhnen der Windsbraut in finsterer regnerischer Nacht.

Ich mußte lächeln. Es fiel mir ein, daß keiner meiner Bekannten darauf kommen könne, mich hier zu suchen. Wer konnte ahnen, daß Magdalenchen nicht in ihrem warmen Bette lag, mit der Alabasternachtlampe daneben, einem Roman unterm Kopfkissen und der Kammerjungfer im anstoßenden Gemach, die beim geringsten nächtlichen Spuk herbeigeeilt wäre? Wer konnte wissen, daß sie statt dessen viele Meilen von der Heimat entfernt in einer Dorfherberge auf einem Rohrstuhle saß, die gestiefelten Füße auf einem Feuerbock und ihre kleinen Hände verwegen in den Taschen?

Ja, Magdalenchen ist anders als ihre Gespielinnen! Sie blieb nicht daheim, um sich zwischen Jasmin und Jelängerjelieber auf den Balkon zu lehnen, in die Ebene zu träumen und den violetten Himmelsraum anzuschwärmen oder ein rosiges Maiwölkchen zu verfolgen. Sie baut keine Luftschlösser für ihre Lieblingsideen. Sie dichtet auch nicht wie ihr, schöne Träumerinnen, einem Schemen alle erdenklichen Vorzüge an. Ehe sie sich einem Manne hingibt, will sie die Männer kennen lernen. Alles verließ sie: ihre schimmernden Samt- und Seidengewänder, ihren Schmuck, ihre Vögel, ihre Blumen. Sie verzichtete freiwillig auf Anbetung, auf demütige Liebesbeweise, auf Blumengeschenke und Verse, auf das Vergnügen, für schöner und bessergekleidet befunden zu werden denn andere, auf ihren hübschen Mädchennamen, auf alles, was sie war. Mutterseelenallein ging sie davon, das mutige Mädchen, um in der Welt die hohe Weisheit vom Leben zu lernen.

Wüßte man das, so hieße es: Magdalene ist toll! Du wirst wohl auch so sagen, liebe Graziosa. Ich meine aber: wirklich toll sind alle die, die ihre Seele dem Winde überlassen, die ihre Liebe auf das Geratewohl über Stein und Felsen säen, ohne zu bedenken, ob nur ein einziges Körnchen aufgehen wird.

Ach, Graziosa, an eines habe ich immer voll Entsetzen gedacht: einen Mann zu lieben, der es nicht wert wäre! Die Seele einem gemeinen Blicke zu offenbaren! Einen Unheiligen in das Heiligtum des Herzens einzulassen! Die klare Flut des Ichs mit fremdem schmutzigem Wasser zu vereinen! Wenn man sich auch auf ewig wieder trennt: es bleibt doch etwas vom Schlamme zurück. Nie erhält unser Lebensstrom seine einstige lichte Reinheit wieder.

Der Gedanke wäre mir unerträglich, daß ein Unwürdiger mich berührt und geküßt hätte, daß er meinen Leib kennt und sagen kann: »So und so ist sie. Sie hat da und dort dies und jenes Mal. Ihre Seele hat die und die Eigentümlichkeit. Sie lacht über dies und weint um das. So sieht ihre Traumwelt aus. Diesen Ring hat sie mir aus ihrem Haar flechten lassen. Einen Teil von ihrem Herzen enthält dieser Brief. So liebkoste sie mich, und dies flüsterte sie mir in der Verliebtheit zu.«

O Kleopatra, jetzt verstehe ich, warum du beim Morgenlichte den töten ließest, mit dem du die Nacht verlebtest! Erhabene Grausamkeit, die ich ehedem nicht genug verdammen konnte! Königin der Wollust, wie kanntest du die menschliche Natur! Welche Größe liegt in deiner Barbarei! Kein Sterblicher sollte die Geheimnisse deines Lagers ausplaudern dürfen. Die Liebesworte, die deinen Lippen entflohen, sollten nicht wiederholt werden. So bewahrtest du dir ungetrübt deine Illusion. Die nüchterne Wirklichkeit durfte nicht die reizende Traumgestalt zerstören, die du in deinen Armen gewiegt. Lieber wolltest du den Gefährten durch rohe Henkershand verlieren denn durch langsam wachsenden Überdruß. Welche Pein in der Tat, den Erkorenen stündlich das Bild Lügen strafen zu sehen, das wir uns von ihm gemacht! Tausend Schwächen entdecken zu müssen, die wir nicht argwöhnten! Zu erkennen, daß alles, was uns mit dem Blick der Liebe gesehen so schön dünkte, in Wahrheit recht häßlich ist! Man hielt ihn für einen Romanhelden, und er entpuppt sich als prosaischer Philister vom reinsten Wasser, der Hauspantoffeln und Schlafrock trägt! Kleopatras Macht besitze ich nicht. Und hätte ich sie, so fehlte mir sicherlich die Kraft, sie zu gebrauchen. Da ich also einen Liebhaber beim Verlassen meiner Ruhestätte weder köpfen lassen kann noch will, aber nicht geneigt bin, zu ertragen, was andere Frauen auf sich nehmen, so muß ich doppelt auf meiner Hut sein, wenn ich mir einen nehme; vielleicht sogar dreifach, wenn mich überhaupt je die Lust anwandelt, was ich stark bezweifle nach allem, was ich gesehen und gehört. Ich müßte denn gerade in einem gesegneten unbekannten Lande einer mir verwandten Seele begegnen, wie es in den Romanen heißt, einem unberührten reinen Herzen, das nie geliebt hat, aber im wahrsten Sinne zu lieben fähig wäre. Aber dies ist nicht leicht zu finden.

Mehrere Kavaliere betraten die Herberge. Das nächtliche Unwetter hinderte sie am Weiterreiten. Sie waren samt und sonders jung. Der Älteste hatte sicher nicht die Dreißig überschritten. An ihrer Kleidung erkannte man, daß sie Edelleute waren; aber auch sonst ließ sich ihr Stand aus der ungenierten Ungezwungenheit ihres Benehmens genügend ersehen. Ein paar Gesichter zogen einen an. Die andern zeigten alle, mehr oder minder scharf ausgeprägt, jenen Ausdruck derben Frohsinnes und gedankenloser Kameradschaftlichkeit, den Männer unter sich zur Schau tragen, den sie aber in unserer Gegenwart abwerfen.

Hätten sie ahnen können, daß der auf seinem Stuhl am Kamin halbeingeschlummerte fremde junge Mann nichts weniger war, denn was er schien, vielmehr ein junges Mädchen, Jagdbeute – wie sie es nennen –, so hätten sie gewiß alsobald ihren Ton geändert. Sie hätten sich hochgereckt, sich in Positur gebracht und sich mir mit tiefer Verneigung genähert, Lächeln um Mund, Nase, in den Augen, im Haar und wer weiß wo. Sie hätten nur ausgesuchte Worte, Sätze voller Milch und Honig gesprochen. Bei meiner geringsten Bewegung hätten sie getan, als wollten sie sich als Teppich zu Boden werfen, damit seine Unebenheit meine zarten Füßchen nicht verletze. Alle Hände hätten sich ausgestreckt, mich zu stützen. Der weichste Sitz wäre mir am besten Platz bereitet worden. Ich sah aber, wie gesagt, wie ein hübscher Bursche aus und nicht wie eine hübsche junge Dame.

Als ich bemerkte, wie geringe Beachtung sie mir schenkten, hätte ich mich – offen gestanden – beinahe nach meinen Röcken gesehnt. Ich fühlte mich ein Weilchen ernstlich gekränkt. Zeitweise vergaß ich nämlich meine Jünglingstracht. Ich mußte mir immer wieder mein neues Geschlecht ins Gedächtnis rufen, um nicht mißlaunig zu werden.

Stumm mit verschränkten Armen saß ich da und betrachtete mit scheinbar aufmerksamer Miene das Huhn, das sich mehr und mehr bräunte, und den unseligen Hund, den ich so unziemlich gestört und der sich beim Rostdrehen gebärdete wie der Teufel am Weihwasserbecken.

Der Jüngste der Ankömmlinge trat an mich heran und versetzte mir einen Schlag auf die Schulter, derart, daß mir Hören und Sehen verging und ich unwillkürlich aufschrie. Er fragte, ob ich nicht lieber mit ihnen statt allein zur Nacht essen wolle. Zudem trinke es sich in Gesellschaft besser. Ich entgegnete, es sei mir ein unverhofftes Vergnügen. Nur zu gern nahm ich die Einladung an. Die Gedecke wurden aufgelegt, und wir setzten uns zu Tisch.

Keuchend nahm der Hund, nachdem er mit drei Schlucken einen Riesennapf Wasser ausgetrunken, seinen früheren Platz wieder ein. Sein Kamerad hatte sich nicht gerührt, als wäre er aus Porzellan. Die neuen Gäste hatten, Dank einer besonderen Gnade des Himmels, kein Huhn verlangt.

Aus ein paar Reden der jungen Leute erfuhr ich, daß sie sich auf dem Wege nach dem Hoflager zu *** befanden, wo sie noch andere Freunde zu treffen gedachten. Ich erzählte, ich sei ein junger Edelmann, der die Universität verlassen und nun nach rechter Studentenweise den längsten Weg eingeschlagen habe, um seine Eltern in der Provinz zu besuchen. Sie lachten, taten ein paar Äußerungen über mein unschuldiges biederes Gesicht und fragten mich, ob ich eine Geliebte hätte. Ich erwiderte, davon verstände ich nichts. Worauf sie noch mehr lachten. Flasche auf Flasche wurde mit rasender Geschwindigkeit geleert. Obgleich ich darauf bedacht blieb, mein Glas nie ganz auszutrinken, stieg mir der Wein doch etwas zu Kopfe. Aber ich verlor mein Ziel nicht aus den Augen und wußte das Gespräch auf die Frauen zu bringen. Es war dies keine schwere Aufgabe, denn darüber reden die Männer im Rausch am allerliebsten.

Meine Gefährten waren nicht eigentlich betrunken. Dazu vertrugen sie das Trinken viel zu gut. Nun fingen sie an, sich in endlose moralische Erörterungen zu verlieren, wobei sie ungeniert die Ellbogen auf den Tisch lümmelten. Einer schlang sogar seinen Arm um die umfängliche Taille der Magd und drückte seinen Kopf verliebt an ihren Busen. Ein anderer verschwor sich, auf der Stelle wie eine Kröte zu krepieren, der man Tabak gegeben, wenn ihm Jeannette nicht einen Kuß auf ihre feisten roten Wangen zugestände. Jeannette wollte natürlich nicht, daß er wie eine Kröte platze, und gewährte bereitwilligst, was er verlangte. Sie hielt nicht einmal die Hand fest, die dreist durch die Öffnung des Busentuches nach ihrer Brust griff, die ein Goldkreuzehen umsonst hütete. Erst nach leisem Geflüster gab er sie frei und ließ sie den Tisch abdecken.

Trotzalledem gehörten die jungen Herren zum Hofe und hatten im übrigen die besten Manieren. Wenn ich es nicht mit meinen Augen gesehen, wäre es mir nie in den Sinn gekommen, sie derartiger Vertraulichkeiten mit Mägden zu zeihen. Möglicherweise kam der und jener von einem reizenden Schätzchen, dem er noch eben die schönste Treue gelobt. Es wäre mir wahrhaftig bis dahin nie eingefallen, meinen etwaigen Geliebten davor zu warnen, an Mägdewangen seine eben von mir geküßten Lippen zu entheiligen.

Dem verliebten Schelm schien der Kuß zu schmecken, als habe er eine Schöne aus Tausendundeine Nacht geküßt. Es waren kräftige Küsse, die auf den beiden brandroten Wangen der Dirne weiße Flecken zurückließen. Sie wischte mit dem Rücken ihrer Hand darüber, die soeben Geschirr abgewischt hatte.

Ich glaube nicht, daß er die Göttin seines Herzens je so herzhaft geküßt hat. Offenbar hatte er denselben Gedanken. Denn er murmelte halblaut mit verächtlicher Armbewegung: »Zum Teufel mit den magern Weibern und den erhabenen Gefühlen!«

Dies geflügelte Wort gab offenbar den Geschmack der Anwesenden wieder. Zustimmend nickten alle mit dem Kopfe.

»Zum Henker!« fuhr der andere fort, »ich bin ein riesiger Pechhengst. Ich muß euch unter dem Siegel heiligster Verschwiegenheit anvertrauen, meine Herren, daß ich mich wieder einmal bis über die Löffeln verliebt habe. Die große Leidenschaft hat mich gepackt!«

»Hoho!« riefen die andern. »Die große Leidenschaft! Das klingt ja grauenhaft! Was willst du mit der großen Leidenschaft?«

»Es ist eine anständige Frau. Jawohl, ihr braucht gar nicht zu lachen. Warum soll ich nicht auch einmal eine anständige Frau haben? Habe ich was Lächerliches gesagt? Warte, da unten du! Ich werf dir wer weiß was an den Schädel, wenn du nicht aufhörst zu grinsen!«

»Ruhe! Weiter im Text!«

»Sie ist rein toll auf mich. Die schönste Seele auf Gottes Erdboden. Was Seelen anbetrifft, darauf verstehe ich mich zum mindesten so gut wie auf Gäule. Ich wette sogar, daß sie eine exquisite Seele hat. Diese Unnahbarkeit, diese Schwärmerei, diese Selbstverleugnung und Aufopferung, diese himmlische Zärtlichkeit, diese Übersinnlichkeit! Aber, hol mich der Fuchs, sie hat keinen Busen, nicht einmal die Paradiesäpfel eines Backfisches! Im übrigen ist sie ja ganz nett. Sie hat entzückend niedliche Hände und noch niedlichere Füße. Mit einem Worte: sie hat zuviel Seele und zu wenig drumherum! Am liebsten machte ich wieder Kehrt. Ich bin todunglücklich. Beklagt mich, ihr lieben Freunde!«

Er hatte viel getrunken, wurde rührselig und fing an wie ein Schloßhund zu heulen.

»Jeannette wird dich über dein Unglück trösten, daheim mit einer Sylphide schlafen zu müssen!« sagte sein Nachbar und schenkte ihm sein Glas von neuem bis an den Rand voll. »Deren Seele steckt in genügend Fleisch!«

 

O Du reine edle Maid! Wenn du wüßtest, was im Wirtshaus vor fremden Menschen ins Blaue hinein der von dir redet, der dir am teuersten ist auf Erden! Alles gabst du ihm hin! Und er? Schamlos entkleidet er dich und liefert dich nackt den frechen Blicken seiner bezechten Genossen aus. Währenddessen schaust du in Sehnsucht, das Kinn in der Hand gestützt, in der Richtung aus, in der er wiederkehren soll.

Käme jemand und sagte dir, daß dein Freund, vierundzwanzig Stunden nach dem Abschied von dir, einer unwürdigen Magd Liebe vorschwatzt und mit ihr ausmacht, die Nacht bei ihr zu verbringen, so würdest du erwidern, es sei erlogen, und es nicht glauben. Vielleicht würdest du nicht einmal deinen eigenen Augen und Ohren Glauben schenken. Und doch ist es so.

Die Unterhaltung, toll und zügellos, zog sich den ganzen Abend hin. Aus allen den übertriebenen Scherzen und oft schmutzigen Witzen spreizte sich ungeheuchelte gründlichste Verachtung der Frau. An diesem einzigen Abend lernte ich mehr als aus einer Wagenladung moralisierender Bücher.

Die ungeheuerlichen unerhörten Dinge, die ich da vernahm, prägten meinem Gesicht einen Anflug von Schwermut auf. Meine Zechgenossen bemerkten es und versuchten, meinen Ernst auf verbindliche Weise zu verscheuchen. Meine Heiterkeit kehrte aber nicht wieder. Ich hatte die Männer wohl im Verdacht gehabt, nicht so zu sein, wie sie sich vor uns geben; daß sie aber so viel anders waren, als sie schienen, hatte ich nicht geglaubt. Erstaunen und Widerwillen waren gleich groß in mir.

Ich wünschte jedem schwärmerischen jungen Mädchen nur eine halbe Stunde solcher Unterhaltung. Das wird sie für immer heilen und besser wirken als alle mütterlichen Ermahnungen.

Die einen rühmten sich, so viele Frauen haben zu können, wie ihnen gefiele; sie brauchten nur ein einziges Wort zu sagen. Die andern teilten sich Mittel und Wege mit, zu einer Geliebten zu kommen. Sie redeten hin und her über die Taktik bei der Bestürmung der Tugend. Etliche machten die Frauen lächerlich, deren Liebhaber sie waren, und nannten sich die größten Einfaltspinsel auf Erden, daß sie sich an offensichtliche Dirnen gehängt hätten. Alle schätzten sie die Liebe sehr niedrig ein.

So sehen also die Gedanken aus, die sich hinter dem schönen Getue der Männer verbergen! Man hält es kaum für möglich, daß das die nämlichen Wesen sind, erst so ergeben und beflissen. Nach ihrem Siege über uns heben sie keck das Haupt und treten schamlos in den Staub, was sie eben noch von fern demütiglich angehimmelt! Wie grausam sie sich für ihre vorübergehende Unterwerfung rächen! Wie teuer lassen sie sich ihre Aufmerksamkeiten bezahlen! Mit wie vielen Kränkungen wiegen sie die Verse auf, die sie gedrechselt! Welch sinnlose Roheit im Denken und Reden! Welch unvornehme Angewohnheiten und welch taktloses Benehmen! Eine völlige Umwandlung, die gewiß nichts zu ihren Gunsten sagt! Wieviel ich auch vorausgeahnt, es stand weit hinter der Wirklichkeit zurück.

Traumesglück, blaue Blume mit dem Goldherz, du öffnest dich im weichen Lenzeswind, voll süßen Duftes und glitzernden Taus, unter lichtem Frühlingshimmel. Deine zarten Wurzeln, tausendmal feiner als das Seidenhaar einer Fee, senken sich tief in unsre Seele, um unser reinstes Ich zu trinken. Bittersüße Blume, man vermag dich nicht aus dem Herzen zu reißen, ohne ihm schluchzendes Weh anzutun. Von deinem abgebrochenen Stiel perlen rote Tropfen herab und fallen langsam in den See unsrer Tränen. Sie klagen von den schleichenden Stunden unsrer Totenwacht am Lager der sterbenden Liebe.

 

Endlich war die Mahlzeit zu Ende, und wir dachten ans Schlafengehen. Die Zahl der Gäste übertraf die der Schlafstätten um das Doppelte. Die unvermeidliche Folge war, daß entweder einer nach dem andern ruhen oder je zwei ein Bett teilen mußten. Für die übrigen war die Sache höchst einfach. Nicht so für mich, in Anbetracht gewisser Hügel, die mein Rock und meine Weste leidlich verbergen, die aber ein schlichtes Hemd in aller ihrer verwünschten Rundung offenbart. Ich war wahrlich nicht geneigt, mein Inkognito zugunsten eines dieser Herren aufzugeben, die mir wie urwüchsige echte Ungeheuer vorkamen. Seitdem habe ich erfahren, daß sie riesig gutmütige Burschen sind, nicht schlechter und nicht besser als andre ihrer Art.

Mein Bettgenoß war total beschwipst. Er warf sich auf das Lager, einen Arm und ein Bein über den Rand hängenlassend, und ratzte augenblicklich ein. Es war kein Schlaf des Gerechten, aber er war so fest, daß er nicht einmal erwacht wäre, wenn ihm der Engel des Jüngsten Gerichts mit seiner Posaune ins Ohr geblasen hätte. Dieser Schlaf vereinfachte meine peinliche Lage. Ich legte Rock und Stiefel ab, stieg über den Schläfer und streckte mich an der Wandseite aus.

So lag ich neben einem Manne! Dieser Anfang war nicht übel. Offen gestanden war ich trotz meines Selbstvertrauens merkwürdig verwirrt und erregt. Meine Lage war so neu und ungewohnt, daß ich beinahe glaubte zu träumen. Mein Kamerad schlief wie ein Murmeltier; ich schloß kein Auge.

Er mochte vierundzwanzig Jahre alt sein. Er hatte hübsche Gesichtszüge, schwarze Wimpern und einen braunblonden Schnurrbart. Das Haar umfloß sein Haupt wie Wasser einen Stein im Bach. Leichte Röte überzog seine Wangen wie ein überm Weiher ziehendes Rosenwölkchen. Die Lippen waren halb geöffnet. Weiches verschmitztes Lächeln lag darauf.

Ich stützte mich auf den Ellbogen und betrachtete ihn lange beim flackernden Kerzenschein. Das Talglicht tropfte, und der Docht rußte.

Es war ziemlich viel Raum zwischen uns. Er lag nahe am Rande, und ich hatte mich aus übertriebener Vorsicht ganz an die Wand gedrückt.

Was ich gehört, war gewiß nicht angetan, mich für Zärtlichkeit und Wollust empfänglich zu machen. Ich entsetzte mich vor den Männern. Gleichviel fühlte ich mich rastloser und erregter, als ich es hätte sein sollen. Mein Leib teilte das Widerstreben meines Geistes nicht so recht. Mein Herz pochte wild. Mir war siedend heiß. Ich warf mich hin und her und fand keine Ruhe.

Tiefste Stille in der Herberge. Von Zeit zu Zeit hörte man den dumpfen Hufschlag eines Pferdes im Stall oder einen klingenden Regentropfen, der durch den Schornstein in die Kaminglut fiel. Die Kerze brannte nieder und verlöschte qualmend.

Wie Vorhänge legten sich die schwarzen Schatten der Dunkelheit zwischen uns. Du kannst dir nicht vorstellen, welchen Eindruck das plötzliche Verschwinden des Lichtes auf mich machte. Es schien mir, als wäre alles aus, als sollte ich nie wieder bei Tage leben. Einen Augenblick hatte ich Lust aufzustehen. Was aber tun? Es war erst zwei Uhr und stockfinster. Ich konnte nicht gut wie ein Gespenst durch das fremde Haus irren. Es hieß also stille halten und den Morgen erwarten.

Ich lag auf dem Rücken, hielt die Hände gefaltet und versuchte an etwas zu denken, verfiel aber immer wieder auf das eine, nämlich, daß ich mit einem Manne schlief. Ich wünschte sogar, er möchte erwachen und gewahren, daß ich ein Weib wäre. Ohne Zweifel war der Wein, wenn ich auch nur wenig getrunken, der Urheber dieses ungereimten Gedankens, der mich nicht losließ. Ich war im Begriff, meine Hand nach meinem Nachbar auszustrecken, ihn zu wecken und ihm zu sagen, wer ich sei. Eine Falte unserer Decke hinderte meinen Arm, diese Absicht auszuführen. Dadurch gewann ich Zeit, mich zu besinnen. Während ich meinen Arm befreite, kehrte meine verlorene Vernunft wenigstens so weit zurück, daß ich mich zu beherrschen vermochte. Wäre es nicht höchst kurios gewesen, wenn eine spröde Schöne, die eben noch mindestens zehn Jahre aus dem Leben eines Anbeters genau kennen wollte, ehe sie ihm nur einen Handkuß gewährt, sich in einem Dorfwirtshaus auf elendem Lager dem Erstenbesten hingegeben hätte? Wahrhaftig, viel fehlte nicht daran.

Vermag so ein plötzliches Aufwallen des Blutes die schönsten Entschlüsse unterzukriegen? Übertönt die Stimme des Fleisches die des Geistes? Jedwedes Mal, wenn mein Stolz zu üppig wird, will ich mich an diese Nacht erinnern. Ich beginne zur Ansicht der Männer zu neigen: Was für ein erbärmliches Ding ist doch Frauentugend! Wovon hängt sie manchmal ab? Großer Gott!

Ach, man versucht vergeblich, seine Schwingen auszubreiten. Sie sind voll Erdenstaub. Der Leib ist ein Anker, der die Seele an die Erde fesselt. Sie mag ihre Segel noch so sehr straffen im Wehen hoher Ideen, das Schiff bleibt unbeweglich, als hingen alle Hindernisse des Ozeans an seinem Kiel. Die Natur treibt gern solchen Spott mit uns. Wenn sie merkt, daß ein Gedanke wie ein Säulenheiliger auf dem Hochmut hockt und den Himmel berühren möchte, so veranlasst sie die rote Flüssigkeit, unversehens ein wenig rascher zu kreisen, läßt sie an die Aderwände pochen, gebietet den Schläfen zu klopfen, den Ohren zu klingen. Und es erfaßt Schwindel den vermessenen Gedanken. Alles verschwimmt und zerfließt vor ihm. Die Erde schwankt wie ein Boot im Sturm, der Himmel dreht sich rundum, und die Sterne tanzen Menuett. Die Lippen, die erhabene Grundsätze verkündet, verlangen nach heißen Küssen. Die Arme, die derb zurückstießen, erschlaffen, werden weich und weicher und schmiegsamer denn ein Stück Samt. Denkt euch dazu die Berührung mit fremder Haut, jemandes Atem in eurem Haar, und alles ist dahin! Zuweilen tut es noch weniger: Heuduft, der durchs halboffene Fenster hereindringt. Zwei sich schnäbelnde Vögel. Eine sich erschließende Margeritenblume. Ein altes Liebeslied, das einem wider Willen in den Sinn kommt und das man singt, ohne seinen Sinn zu erfassen. Ein warmer Wind, der einen verwirrt und berauscht. Das Mollige des Bettes oder eine gemütliche Sofaecke. Ein einziger solcher Umstand genügt. Die Einsamkeit des Gemachs verführt zu dem Gedanken, wie hübsch es hier zu zweit sein müsse. Die zugezogenen Vorhänge, das Helldunkel, die Stille, alles verstärkt diesen verhängnisvollen Gedanken, der einen mit seinen trügerischen Taubenflügeln immer wieder schmeichelnd streift und leise umgirrt.

Gewiß liebte ich den Mann nicht, der mir so seltsame Unruhe verursachte. Er besaß nur den Reiz, daß er kein Weib war. Für meinen derzeitigen Zustand war das genug. Ein Mann! Das Geheimnis, das man uns so sorgfältig verbirgt! Das fremdartige Wesen, dessen Geschichte wir so unvollkommen kennen. Der Dämon oder Gott, der allein alle die Träume gestaltloser Lust zu erfüllen vermag, die der Frühling weckt. Unser einziger Gedanke vom fünfzehnten Jahre an!

Ein Mann! Wirre Vorstellung von Wonne gaukelte durch meinen schweren Kopf. Das wenige, das ich erst wußte, entfachte mein Begehren um so mehr. Glühende Neugier trieb mich, ein für allemal die lästigen Zweifel zu heben, die meinen Geist unaufhörlich bestürmten. Auf der nächsten Seite stand des Rätsels Lösung. Ich brauchte nur das Blatt umzuwenden. Das Buch lag neben mir. Ein schöner Jüngling, ein schmales Bett, eine finstere Nacht! Ein junges Mädchen mit ein paar Gläsern Sekt im Hirn! Welch verdächtige Zusammenstellung! Gleichwohl, es kam nichts weiter heraus als ein rechtschaffenes Nichts.

Ich hielt meine Augen auf die Wand gerichtet. Die Dunkelheit wich. Ich unterschied den Fensterrahmen. Die Scheiben wurden durchdringlicher. Das graue Morgenlicht dahinter ward hell und heller. Der Himmel bekam Farbe. Es ward Tag. Du stellst dir nicht vor, mit welcher Freude ich den ersten blassen Schein auf dem grünen Kattunvorhang begrüßte, der das Schlachtfeld umgab, darauf meine Tugend über mein Verlangen gesiegt! Er grüßte wie ein Siegerkranz.

Mein Kamerad lag am Boden.

Ich erhob mich, machte mich flink zurecht und lief an das Fenster. Ich riß es auf. Die kühle Morgenluft tat mir wohl. Zum Haarmachen stellte ich mich vor den Spiegel und staunte über mein bleiches Gesicht. Ich hatte geglaubt, es sei purpurrot. Die Andern kamen um nachzusehen, ob wir noch schliefen. Sie stießen ihren Gefährten mit dem Fuß an. Der schien nicht sonderlich erstaunt, als er gewahrte, wo er lag.

Die Rosse wurden gesattelt, und wir setzten unsere Reise fort. Doch für diesmal genug! Meine Feder schreibt nicht mehr, und ich habe keine Lust, mir eine neue zu schneiden. Ein andermal sollst du meine weiteren Erlebnisse erfahren. Liebe mich inzwischen, wie ich dich liebe, Graziosa, im wahren Sinne des Wortes! Habe aber nach dem, was ich dir erzählt, keine zu schlechte Meinung von meiner Tugend!


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