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XII.
Magdalene Maupin an ihre Freundin Graziosa

Ich habe Dir die Fortsetzung des Berichts meiner Abenteuer versprochen.

Wenn ich nicht irre, war ich mit meiner Erzählung bis zum Aufbruch aus dem Gasthof zum goldenen Löwen gekommen, wo ich eine so denkwürdige Nacht verbracht hatte und mit meiner Tugend sobald schon nach dem Verlassen des Hafens beinahe Schiffbruch erlitten hätte.

Wir ritten allesamt die nämliche Straße. Meine Kameraden fanden nicht Worte genug, die Schönheit meines Rosses zu rühmen. Es war in der Tat ein bildschönes Tier, Vollblut, ebenso flott wie ausdauernd. Dieser Besitz erhöhte mein Ansehen gewaltig. Gleichwohl ließen sie Zweifel verlauten, ob ich auch völlig Meister dieses Pferdes sei. Offenbar sei es sehr nervös und heftig. Ich ließ meinen Don Juan ein paar Kapriolen machen, nahm ein paar Hecken, die sich mir am Wege boten, und setzte schließlich einen Galopp über die Wiesen an. Ein paar meiner Kumpane galoppierten mir nach, die andern blieben auf der Straße halten, um uns zuzuschauen.

Als ich einen beträchtlichen Vorsprung vor meinen Verfolgern gewonnen hatte, ritt ich in einem großen Bogen kehrt und jagte ihnen entgegen. Ganz kurz vor ihnen brachte ich meinen Gaul aus dem vollen Galopp zum Stehen. Du weißt, oder auch nicht, daß dies nicht so einfach ist.

Ihre Achtung vor mir erhöhte sich nunmehr zum höchsten Respekt. Daß ein junger Mann, der eben die Universität verlassen, ein so passabler Reiter sein könne, hatten sie nicht erwartet. Und daß ich es war, nützte mir ihnen gegenüber mehr als eine Dissertatio summa cum laude. Sie behandelten mich fortan nicht mehr als Grünschnabel und unterhielten sich mit mir in vertrautester Weise, was mir viel Vergnügen bereitete.

Mit meinen Frauenröcken hatte ich meinen Stolz durchaus nicht abgelegt. Weib war ich nicht mehr. Ich wollte Mann sein, und zwar durch und durch, nicht bloß äußerlich. Ich war entschlossen, als Kavalier auch die Erfolge zu erringen, auf die ich als Weib keinen Anspruch hatte. Eines erfüllte mich mit Sorge. Wie mußte ich es beginnen, ein Held zu werden? Mut und Gewandtheit begründen am festesten eines Mannes Ruf. Ich bin für ein Weib nicht gerade feig und kenne auch jene alberne Geziertheit nicht, die viele haben. Aber von da bis zu der sorglosen Brutalität, die der Männer Ruhm bedeutet, ist es noch weit. Und ich trug mich mit der Absicht, ein Ohnefurcht und Allesüberwinder zu werden, um mir in der Welt Geltung zu verschaffen und alle Vorteile meiner Verwandlung auszukosten. In der Folge gewahrte ich, daß nichts leichter und einfacher war.

Der eine der Kavaliere, mein Bettgenoss, der, den ich in jener denkwürdigen Nacht beinahe am Ärmel gezogen, faßte eine leidenschaftliche Freundschaft zu mir und wich nicht mehr von meiner Seite. Den einen Umstand ausgenommen, daß ich ihn nicht zum Liebhaber mochte, selbst wenn er mir die kostbarste Krone angeboten hätte, mißfiel er mir nicht. Er war klug und witzig. Nur wenn er von den Frauen sprach, verächtlich und spöttisch, dann hätte ich ihm am liebsten die Augen ausgekratzt, besonders, weil seine Übertreibung oft grausame Wahrheit enthielt.

Wiederholt lud er mich herzlich ein, mit ihm zusammen zu seiner Schwester, einer jungen Witwe, zu kommen. Sie wohnte mit einer Tante auf einem alten Schlosse. Ich konnte nicht gut ablehnen. Um der Form willen machte ich ein paar Einwände. Im Grunde war es mir völlig gleich, ob ich hier- oder dorthin zog. Ich konnte mein Ziel auf diese Weise ebensogut erreichen wie auf eine andre. Kurz und gut, ich ließ mich bereden.

An einer Wegegabelung wies mein Begleiter auf die rechte Abzweigung mit den Worten: »Meine Herren, dies ist unsre Straße!« Die andern drückten uns die Hand und ritten links weiter.

Nach stundenlangem Ritt kamen wir beiden nach unserm Bestimmungsort.

Ein ziemlich breiter Graben, der, anstatt Wasser zu enthalten, mit üppigem Pflanzenwuchs bedeckt war, trennte den Park von der Landstraße. Die Grenzmauer bestand aus Quadern. Eine einbogige Brücke führte hinüber zum Tor. Von da geleitete eine hohe Ulmenallee nach dem Schlosse.

Eine weite Rasenfläche, mit Blumenbeeten übersät, dehnte sich vor dem Herrenhause aus. Verschnittene Sträucher, kugelrunde, würfelförmige und pyramidenartige, bildeten zu beiden Seiten der Allee bis zur breiten Freitreppe Spalier.

Vier oder fünf große Hunde kamen mit lautem Gebell herangesprungen. Sie umwedelten unsre Pferde und sprangen an ihnen hoch. Besonders toll gebärdeten sie sich gegen das Tier meines Genossen. Offenbar hatten sie es oft in seinem Stalle besucht und auf Ritten begleitet.

Auf all diesen Lärm hin erschien eine Art Diener, ein bäurischer Pferdebursche. Er nahm die Gäule bei den Trensenzügeln und führte sie in den Stall. Weiter zeigte sich kein menschliches Wesen, ausgenommen ein kleines Bauernmädel, das vor unserm Anblick erschrak und, scheu wie ein Reh, hinter einem Haufen von Strohschütten verschwand.

An den Fenstern des Schlosses ließ sich keine Seele erblicken. Es war wie ausgestorben. Nicht das geringste Geräusch ward vernehmbar.

Sporenklirrend stiegen wir die Freitreppe hinauf. Da hörten wir Türen gehen. Offenbar kam uns jemand entgegen.

In der Tat erschien alsbald vor uns auf der Terrasse eine junge Dame. Mit einem Sprunge war sie bei meinem Begleiter und flog ihm um den Hals. Er küßte sie, legte seine Rechte um ihren Leib und trug sie die Treppe bis zur Terrasse hinauf. »Weißt du, Alkibiades,« sagte sie alsdann, »du bist wirklich ein riesig galanter Bruder! – Nicht wahr, mein Herr, die landesüblichen Brudermanieren hat er nicht? Aber er ist wirklich mein Bruder, versichre ich Ihnen! Wenn es auch nicht so aussieht.«

Die letzten Sätze galten mir.

Ich entgegnete, es wäre in der Tat kaum glaubwürdig. Im übrigen sei es wirklich ein Unglück, wenn man ihr Bruder wäre, da man dann nicht ihr Verehrer sein könne. Alkibiades sei somit das glücklichste wie das unglücklichste Menschenkind.

Dazu lächelte sie ein wenig.

So plaudernd kamen wir in ein nicht allzu hohes Zimmer, dessen Wände mit alten flandrischen Gobelins behangen waren. Auf ihnen sah man gewaltige spitzblättrige Bäume mit einer Unmenge phantastischer Vögel. Durch die Sonne und die Jahre hatten alle die darauf dargestellten Menschen, Tiere und Dinge die unmöglichsten Farben bekommen. Der Himmel sah graugrün aus, die Bäume mattblau mit gelben Lichtern, und auf den Gewändern der Gestalten hatten die Schatten hie und da eine dem Stoff entgegengesetzte Färbung. Fleisch hatte das Aussehen von Holz, und die im weiß gewordenen Waldesdunkel spielenden Nymphen glichen ausgegrabenen Mumien. Nur ihre Lippen hatten ihr Purpurrot bewahrt und lächelten frisch wie einst. In den Vordergründen reckten sich hohe seltsame grüne Stauden mit buntscheckigen Blüten, deren Staubgefäße wie Pfauenkrönchen paradierten. In einem Weiher, in dessen Schwarz Silberfäden blinkten, philosophierten Reiher, die alle auf nur einem ihrer dürren Beine standen. Die Köpfe hatten sie eingezogen und die langen Schnäbel auf das Brustgefieder gedrückt. Im Hintergrunde lugten aus den Bäumen Pavillons mit spitzen Dächern und Balkonen, von denen schöne Damen in Prachtkleidern Jagdzügen nachschauten. Sonderbar zerklüftete Felsen, von denen Gießbäche herabschäumten, verschwammen am Horizont in weißen Wolkengebilden.

Am meisten in die Augen fiel mir eine Jägerin, die nach einem Vogel schoß. Ihre gespreizten Finger hatten soeben die Sehne des Bogens losgelassen, und der Pfeil war noch im Fluge. Da der Gobelin um die Ecke ging, sah man den Pfeil auf der Nachbarwand. Er hatte sozusagen einen Haken geschlagen. Der Vogel schwebte auf steifen Fittichen nach dem nächsten Baumzweig. Der Pfeil mit seiner goldnen Spitze, der immerdar durch die Lüfte sauste und doch nie sein Ziel erreichte, stimmte mich gar seltsam. Er kam mir vor wie ein wehmutsvolles Sinnbild des menschlichen Lebens. Und je länger ich ihn anschaute, umso Geheimnisvolleres und Unglückseligeres schien er mir zu sagen. Wieder und wieder sah ich mir die Jägerin an, die, den einen Fuß vorgesetzt und das eine Knie gebeugt, dastand. Ihre großen Augen mit den seidnen Wimpern waren weit geöffnet. Der Pfeil war ihren Blicken enteilt. In angstvoller Spannung spähte sie nach dem bunten Wundervogel, den sie erlegen wollte. Sie hatte erwartet, daß er zur Erde falle.

Ich weiß nicht, ob das Einbildung von mir war: die Jägerin sah so verzweifelt und todtraurig aus wie ein Dichter, den der Tod abholt, ehe er sein Lieblingswerk vollendet und der noch im letzten Todesröcheln zu diktieren versucht.

Ich schildere den Gobelin sehr ausführlich. Gewiß war er diesen Wortreichtum gar nicht wert. Aber die in der armseligen Klause eines Gobelinstickers geschaffene Fabelwelt hat mich von jeher eigentümlich bewegt. Ich liebe diese Phantastereien närrisch: die in der Wirklichkeit nirgends zu findenden Blumen und Blätter, die Wälder mit ihren unmöglichen Baumriesen, die Einhörner und die Paradiesvögel, die darauf sitzen, und die schneeweißen Hirsche darunter, mit goldenen Kreuzen zwischen dem Geweih, die von rotbärtigen Jägern in Sarazenentracht gejagt werden.

Als ich noch ein Kind war, betrat ich Gobelinsäle nur mit Grauen. Die Gestalten darauf, die mir zu leben begannen, wenn der Zugwind das leichte Gewebe streifte oder die Sonne darüber huschte, kamen mir vor wie böse Geister, die mein Tun und Treiben belauerten, um mich bei Gelegenheit vor den Richter zu bringen. Niemals hätte ich es fertig bekommen, einen heimlich geholten Apfel oder ein genommenes Stück Kuchen in ihrer gespenstigen Gegenwart zu verzehren.

Was könnten diese schweigsamen Wesen alles verkünden, wenn sie wirklich gelauscht hätten und wenn sie hinterher ihre Lippen zu öffnen vermöchten? Wieviel tausend Mordtaten, Verrätereien, ruchlosen Ehebrüchen und Ungeheuerlichkeiten aller Art haben sie still und stumm beigewohnt!

Doch genug, ich will meine Erzählung wieder aufnehmen.

»Alkibiades, ich möchte der Tante deine Ankunft vermelden!«

»Schwesterchen, das eilt nicht! Ich stelle dir hier einen Freund von mir vor, Herrn Theodor von Serannes. Er wird uns einige Tage Gesellschaft leisten. Ich brauche dir nicht erst ans Herz zu legen, es ihm recht gemütlich bei uns zu machen. Wie du siehst, empfiehlt er sich von selbst.«

Diese letzten Worte wiederhole ich nur der Vollständigkeit halber. Denke ja nicht, daß es aus Eitelkeit geschieht!

Die schöne junge Frau neigte den Kopf ein wenig, zum Zeichen ihres guten Willens. Sodann entspann sich ein gleichgültiges Gespräch. Währenddem betrachtete ich sie mir bis ins Einzelne. Bis dahin hatte ich dies nicht tun können.

Sie mochte drei- bis vierundzwanzig Jahre alt sein. Das Trauerkleid stand ihr entzückend. Es war keine Frage, daß sie weder besonders betrübt noch gar untröstlich aussah. Offenbar gehörte sie nicht zu den Witwen, die ihres Seligen Asche als Rhabarberpulver in die Suppe streuen. Hatte sie den Verstorbenen heiß beweint? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall war nichts mehr davon zu spüren. Das kokette Batisttaschentuch in ihrer Hand konnte unmöglich trockener sein. Auch waren ihre Augen nicht im geringsten rot. Im Gegenteil, hell und klar. Auf ihren Wangen suchte man umsonst Tränenperlen. Nur zwei tiefe Grübchen erblickte man. Sie lächelte also gern. In der Tat, für eine Witwe tat sie das ziemlich oft. Daß sie sich ihres toten Herrn und Gebieters wegen nicht verpflichtet fühlte, dicke Augenlider und eine violette Nase zu haben, gefiel mir besonders an ihr. Auch dafür wußte ich ihr Dank, daß sie sich kein konventionell-leidendes Aussehen gab und daß sie ihre Silberstimme heiter und natürlich erklingen ließ, ohne die Worte langzudehnen und ihre Rede mit tugendhaften Floskeln auszuschmücken. Das kam mir außerordentlich schick vor. Ich hielt sie für eine recht kluge Frau. Und darin täuschte ich mich auch nicht.

Sie war gut gebaut. Fuß und Hand elegant. Ihr schwarzes Gewand war nach Möglichkeit leicht und locker gearbeitet, so daß man die Trauerfarbe völlig vergaß. Sie hätte darin zum Ball gehen können, ohne daß einem dabei etwas aufgefallen wäre. Für den Fall, daß ich mich verheiraten und dann Witwe werden sollte, werde ich mir den Schnitt dieses Kleides von ihr ausbitten. Sie war engelschön darin.

Nach einigem Hin- und Herreden gingen wir zu der alten Tante hinauf. Wir fanden sie in einem großen würdesamen Lehnstuhle sitzen, ein Bänkchen unter den Füßen und neben sich einen zotteligen griesgrämigen Hund, der bei unserm Eintritt seine schwarze Schnauze hob und uns mit einem nicht besonders freundschaftlichen Knurren empfing.

Der Anblick alter Frauen hat mir von jeher Widerwillen eingeflößt. Meine Mutter ist ganz jung gestorben. Hätte ich sie altern und ihre Züge mit den Jahren leise verfallen sehen, so hätte ich mich ohne Zweifel daran gewöhnt. Während meiner Kindheit umgaben mich immer nur junge lachende Gesichter. Somit ist meine unüberwindliche Abneigung gegen alte Leute sehr erklärlich.

Unwillkürlich schauderte ich, als ich sah, wie die schöne junge Witwe mit ihren feinen roten Lippen die gelbe Stirn der alten Frau berührte. Dergleichen vermöchte ich nicht über mich zu bringen. Mit sechzig Jahren sehe ich freilich ebenso aus. Dagegen könnte ich nichts tun. Aber ich bete zu Gott, mich so jung wie meine Mutter sterben zu lassen.

Gewisse feine Linien verrieten die ehemalige Schönheit der alten Dame. Häßlich war sie also keineswegs. Obwohl ihre Augen an den Winkeln Krähenfüße aufwiesen und von längst schlaffen Lidern umrahmt wurden, funkelte und glühte in ihnen noch jugendliches Feuer. Vor etlichen Jahrzehnten hatten sie zweifellos zuckende Blitze der Leidenschaft ausgestrahlt. Die schmale dünne Nase, ein wenig wie der Schnabel eines Raubvogels gebogen, verlieh dem Profil den Ausdruck ernster Hoheit, den das nachsichtige Lächeln der habsburgischen Lippen milderte, die nach der Mode entschwundener Zeit karminrot bemalt waren.

Ihre Tracht war altfränkisch, aber nicht lächerlich, durchaus im Einklang mit ihrem Gesicht. Ein weißes Spitzenhäubchen wellte sich überm Haar. Die langen mageren wunderschönen Hände staken in fingerlosen Halbhandschuhen. Ein graubraunes Kleid mit dunkelvioletten Streifen, ein schwarzes Umschlagetuch und eine seidene Schürze vervollständigten ihren Anzug.

Alte Frauen sollten sich immer ähnlich schlicht kleiden und ihren baldigen Tod dadurch ehren, daß sie sich nicht mit Federn und Blumengewinden, leuchtenden Bändern und irgendwelchem Firlefanz behängen, die nur der Jugend anstehen. Sie mögen dem Leben noch so sehr nachwinken, es mag doch nichts mehr von ihnen wissen. Sie haben ihren Lohn dahin.

Die alte Dame empfing uns mit einer Gewandtheit und Höflichkeit, die mir sofort verriet, daß sie am ehemaligen Hofe verkehrt hatte. Es ruhen köstliche Geheimnisse in dieser Urbanität, die in der Welt leider mehr und mehr verloren geht. Ihre Stimme hatte, wenn sie auch zitterte, einen seltsamen feinen Klang.

Ich schien ihr recht gut zu gefallen, denn sie schaute mich sehr lang und höchst aufmerksam an, beinahe voll zärtlicher Rührung. Eine Träne blinkte in ihrem Auge und lief langsam herab in einer der Furchen ihrer Wange. Sie bat mich darob um Entschuldigung und erklärte mir, ich ähnle ihrem Sohne, der vor Jahren im Felde gefallen sei.

Während der ganzen Zeit, die ich im Schlosse verblieb, wurde ich von der alten Dame wegen dieser wirklichen oder eingebildeten Ähnlichkeit mit außergewöhnlichem, geradezu mütterlichem Wohlwollen behandelt. Ich fand hieran viel mehr Vergnügen, als ich dies zuerst für möglich gehalten hatte. Denn im allgemeinen bereiten mir betagte Leute die größte Freude damit, daß sie mich nie ansprechen und daß sie bei meinem Kommen gehen.

Ich erzähle Dir nicht weiter so ausführlich, was ich nun von Tag zu Tag im Schlosse angegeben habe. Wenn ich im Anfang etwas weitschweifig gewesen bin, so geschah dies als Einleitung von sonderbaren und doch wieder natürlichen Erlebnissen, die ich wohl hätte voraussehen müssen, als ich die Männerkleidung anlegte.

Meine angeborene Leichtherzigkeit hat mich zu einer Unklugheit verführt, die ich jetzt bitter bereue. Eine liebe schöne Seele ist durch mich in Herzensnot geraten, die ich nur lindern könnte, wenn ich mich entdeckte. Aber damit würde ich mich ernstlich bloßstellen.

Um gänzlich Mann zu sein und mich ein wenig zu vergnügen, hatte ich nichts Klügeres getan als der Schwester meines Freundes den Hof zu machen. Ich fand es zu spaßig, auf allen Vieren nach ihrem heruntergefallenen Handschuh zu fahnden und ihn ihr ehrerbietigst zu überreichen. Ich gefiel mir darin, mich mit schmachtender Miene über die Lehne ihres Stuhles zu neigen und ihr tausend nette Dinge ins Ohr zu flüstern. Ging sie von einem Zimmer zum andern, so bot ich ihr zuvorkommend den Arm. Wollte sie ausreiten, so hielt ich ihr den Steigbügel und wich während des Spazierrittes nicht von ihrer Seite. Abends las ich ihr gefühlvolle Verse vor oder sang mit ihr galante Opernduette. Kurzum, ich erfüllte gewissenhaft die Pflichten eines Cavaliere servente.

Ich setzte alle die Masken auf, die ich an verliebten Männern beobachtet hatte. Ich amüsierte mich dabei königlich und lachte toll, wenn ich hinterher, allein in meinem Zimmer, an die Kapriolen zurückdachte, die ich mit würdevollem Tone aufgeführt hatte.

Alkibiades und die alte Dame schienen unsere Vertrautheit gern zu sehen und ließen uns viel allein. Zuweilen tat es mir leid, daß ich nicht wirklich ein Mann war. Ich hätte es sehr leicht gehabt, das Alleinsein ordentlich auszunützen. Denn die reizende Witwe hatte den Verstorbenen sichtlich nunmehr völlig vergessen, oder wenn sie seiner manchmal noch gedachte, so war sie doch nahe daran, seinem Andenken endgiltig untreu zu werden.

Leider mußte ich eine gewisse Grenze einhalten. Ich durfte eben nur in Worten liebenswürdig sein. Ein Zurück aber gab es auch nicht mehr. Zum mindesten wäre das sehr schwierig gewesen. Ich mußte zunächst auf dem eingeschlagenen Wege weiterwandeln. Meine einzige Hoffnung war das Ende des Monats, an dem ich Abschied nehmen wollte, mit dem Versprechen wiederzukehren, ohne daran zu denken, es zu halten. Ich bildete mir ein, die schöne Frau werde sich trösten, nachdem sie mich aus den Augen verloren, und mich bald vergessen. Aber während ich nur mein Spiel trieb, hatte ich eine ernsthafte Leidenschaft erweckt, und so nahmen die Dinge einen andern Lauf, als ich gedacht. Das beweist wieder einmal die Wahrheit einer uralten Weisheit: Mit dem Feuer und der Liebe soll man nicht spielen!

Ehe Rosette mich sah, kannte sie die Liebe nicht. Sie war sehr jung an einen um vieles älteren Mann verheiratet worden, für den sie nichts als eine Art kindliche Freundschaft empfunden hatte. Ohne Zweifel war sie viel gefeiert worden; aber so außergewöhnlich dies scheinen mag: sie hatte keinen Geliebten gehabt. Entweder waren die Kavaliere, die ihr den Hof gemacht, Stümper in der Verführungskunst gewesen, oder, was wahrscheinlicher ist, Rosettens Stunde hatte noch nicht geschlagen. Die Provinzdandys, die nur von Rinder- und Schweinezucht und ihren Jagden auf Zehnender schwatzen und höchstens Kalenderwitze und Gassenhauer in ihre Rede verflechten, waren wahrhaftig nicht imstande, ihr zu gefallen. Somit hatte es ihre Tugend nicht schwer gehabt, sich zu behaupten. Zudem hütete ihr lebhaftes heiteres Temperament sie genügend vor der Liebe, jener Leidenschaft, die so viel Macht über Träumer und Grübler besitzt. Die Proben, die ihr ihr alter Ehemann von der Wollust gegeben hatte, waren offenbar so mittelmäßig gewesen, daß sie nach seinem Hingange nicht das geringste Wiederverlangen darnach verspürte. Vergnügt genoß sie den Frieden ihrer Witwenschaft und freute sich der Wahrscheinlichkeit, noch recht viele Jahre ihre Schönheit zu bewahren.

Mit meiner Ankunft änderte sich dies. Anfangs glaubte ich, mir alle Schuld zuschieben zu müssen. Hätte ich mich ihr gegenüber in den engen Grenzen kühler und bedachter Höflichkeit gehalten, so hätte sie mir vielleicht keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Sehr bald aber gewann ich die Einsicht, daß sich dies nicht so verhalten und daß ich mich geirrt hatte. Ach, niemand kann den verhängnisvollen Lauf seines Sternes hemmen und dessen gute oder böse Macht verhindern! Es war Rosettens Schicksal, daß sie nur ein einziges Mal in ihrem Leben der Liebe begegnen sollte und zwar einer unmöglichen Liebe. Dies, ihr Geschick, muß sie zu ertragen wissen.

Ich werde geliebt, Graziosa! Wie süß! Leider ist das mich liebende Wesen ein Weib. Meine Liebschaft hat also etwas der gewöhnlichen Liebe Fremdes an sich. Aber es ist doch köstlich, in der Nacht zu erwachen, sich auf den Ellbogen zu stützen und sich zu sagen: Jemand denkt an dich, jemand träumt von dir und ist auf dein Glück bedacht! Ein Blick, eine Miene von mir bedeuten für einen anderen Menschen Freud oder Leid. Ein Wort, aufs Geratewohl gesagt, wird sorgfältig aufbewahrt und stundenlang hin und her gedeutet. Ich bin der Pol, nach dem ein zitternder Magnet strebt. Mein Auge ist jemandes Himmel. Und mein Mund wird sehnsüchtiger begehrt als das Paradies. Wenn ich stürbe, würden heiße Tränenfluten meine Asche netzen. Mein Grab wäre blumenreicher als eine Hochzeitstafel. Geriete ich in Gefahr, so würde sich jemand zwischen die Degenspitze des Feindes und meine Brust werfen und sich für mich opfern. Wie ist das schön! Ich glaube, Herrlicheres kann man sich auf Erden gar nicht wünschen.

Solche Gedanken erfüllten mich derart mit Glück, daß ich mir Vorwürfe machte. Denn ich hatte so gar keine Gegengabe. Es ging mir wie einem Armen, der von einem großherzigen reichen Freunde Geschenke empfängt und genau weiß, sie niemals erwidern zu können. Aber es ist so entzückend, vergöttert zu werden, und so ließ ich mir die Anbetung artigst gefallen. Man behandelte mich als Mann; ich ward mit Herr angeredet, und ich vergaß nach und nach, daß ich ein Weib war. Meine Verkleidung kam mir wie meine wahre Tracht vor. Ich erinnerte mich kaum, je eine andre getragen zu haben. Ich dachte nicht mehr daran, daß ich im Grunde nichts als eine kleine Schwärmerin war, die sich aus ihrem Rock ein paar Hosen hatte machen lassen.

Es gibt viele Männer, die weiblicher sind als ich. Ich habe vom Weibe kaum mehr als den Busen, ein bißchen mehr Rundung in den Formen und die zarten Hände. Das Frauenkleid trag oder trug ich nur äußerlich. Meine Seele weiß nichts davon. Es mag oft vorkommen, daß Seele und Körper eines Wesens verschiedenen Geschlechtern angehören. Dieser Widerspruch muß notwendigerweise viel Verwirrung anrichten. Ich zum Beispiel wäre tief unglücklich geworden, hätte ich nicht den scheinbar so tollen, in Wirklichkeit aber höchst vernünftigen Entschluß gefaßt, auf meine Weiblichkeit zu verzichten, die ich leiblich und durch Zufall besitze. Ich liebe die Pferde, die Fechtkunst, allen Sport, das Klettern und Herumjagen wie ein Junge. Ich finde es sterbensöde, mit nebeneinandergestellten Füßen und an der Seite anliegenden Ellbogen stillzusitzen, die Blicke bescheiden zu senken, mit honigsüßer Stimme zu flöten und tausendmal den Wollfaden durch den Kanevas zu ziehen. Gehorchen müssen ist mir fürchterlich. Das Wort, das ich am meisten auf der Zunge trage, heißt: Ich will! Hinter meiner glatten Stirn und unter meinem seidigen Haar hausen kraftvolle männliche Gedanken. Die reizenden Nichtigkeiten, die Frauen im allgemeinen betören, berührten mich immer nur flüchtig. Ich bin das Gegenstück zu Achill, der sich in der Verkleidung eines jungen Mädchens gefiel. Ich gebe meinen Spiegel gern für einen Degen hin. Was mir einzig an den Frauen gefällt, das ist die ihnen eigentümliche Schönheit. Trotz aller Unannehmlichkeiten, denen meine weibliche Gestalt mich aussetzt, möchte ich auf sie nicht verzichten, wie wenig sie auch als Hülle für meinen Geist passen mag.

Mein Abenteuer war entschieden eigenartig und pikant. Es hätte mir unendliches Vergnügen bereitet, wenn die arme Rosette die Sache nicht tragisch genommen hätte.

Sie begann mich auf wundervoll natürliche und selbstverständliche Art zu lieben, mit der vollen Innigkeit ihrer schönen Seele. Es war eine Liebe, wie sie die Männer nicht verstehen, von der sie sich nicht die entfernteste Vorstellung zu machen vermögen, eine köstliche glühende Liebe. So möchte ich von einem Manne geliebt werden, und so würde ich mein Traumbild lieben, wenn ich ihm begegnete. Welcher Schatz ist dabei verloren gegangen, ein Kleinod von weißen Perlen, wie sie von keinem Taucher auf dem Meeresboden gefunden werden! Wie viele sehnsüchtige Seufzer sind in der Luft verklungen, anstatt von reinen liebenden Lippen weggeküßt zu werden! Wie hätte diese Liebe einen jungen Mann beglücken können! Unzählige Unglückliche, die schön, liebenswert, reichbegabt, hochherzig und geistvoll waren, haben umsonst kaltherzige und fühllose Götzen fußfällig angebetet. Wieviele zärtliche gütige Seelen haben sich verzweiflungsvoll in die Arme von Dirnen gestürzt! Wie viele sind stumm verloschen wie Grabeslampen. Eine solche echte Liebe hätte sie vor Schande und Untergang bewahrt.

Was ist das Menschenlos bizarr! Und was für ein großer Spötter ist der Zufall!

Was so viele andre heiß und vergeblich ersehnen, ist mir, die ich nichts davon wissen wollte und wissen durfte, in den Schoß gefallen. Es kommt einem launenhaften jungen Mädchen in den Sinn, in Männerkleidung durch die Lande zu ziehen, um zu erfahren, welch Geistes Kinder ihre künftigen Verehrer seien. Sie findet in einer Herberge einen fahrenden Ritter, der sie seiner Schwester zuführt. Und diese hat nichts Eiligeres zu tun als sich in sie zu verlieben, gerade wie eine Katze oder eine Turteltaube oder wie sonst was Verliebtes und Sehnsüchtiges. Das Glück liebt es, denen Schuhe zu schenken, die Holzbeine haben, und Handschuhe denen, die der Hände entbehren. Die Erbschaft, die ein behagliches Leben sichert, fällt einem immer erst auf dem Sterbebette zu.

Zuweilen, doch beileibe nicht so oft, wie Rosette sich dies gewünscht, machte ich ihr einen Morgenbesuch. Im allgemeinen empfing sie nur nach dem Aufstehen Besuch. Nur mir zuliebe ging sie von dieser Gewohnheit ab, wie sie über noch manches andre ein Auge zugedrückt hätte, wenn ich nur gewollt hätte. Aber, du mein Gott! Ein altes Sprichwort besagt: Das schönste Mädchen kann nicht mehr geben, als es hat! Ich gab, was ich hatte.

Sie reichte mir ihre kleine Hand zum Kuß. Offengestanden, ich küßte dies Händchen nicht ungern, denn es war über die Maßen mollig und weiß und exquisit parfümiert. Ich fühlte, wie Rosette unter dem grausam verlängerten Druck meiner Lippen zitterte und sich krampfte. Aufgeregt und inbrünstig richtete sie ihre großen feuchtschimmernden Augen voll Sinnenlust auf mich und ließ ihr hübsches Köpfchen, das sie, um mich besser zu sehen, ein wenig erhoben hatte, in die Kissen zurücksinken. Ich sah, wie sich unter der Decke ihr Busen hob und senkte und wie sich ihr Körper wand. Wer imstande gewesen, etwas zu wagen, hätte hier viel wagen können. Ganz sicher hätte Kühnheit nur Dank geerntet.

Eine Stunde, auch zwei, verblieb ich so bei ihr, ihre Hand, die sie wieder auf die Decke gelegt, immer in der meinen. Wir plauderten, lachten und scherzten und konnten kein Ende finden. Rosette lebte nur ihrer Liebe, glaubte sich aber des Erfolgs zu sicher, um ihre Unbefangenheit und ihr schelmisches Wesen zu verlieren. Zuweilen nur warf ihre Leidenschaft den feinen Schleier leiser Schwermut über ihre Heiterkeit. Das machte sie mir noch reizvoller.

Es wäre in der Tat unerhört gewesen, wenn ein Anfänger in der Galanterie, wie ich sichtbarlich einer war, ob solchen Glücks nicht in tausend Seligkeiten geschwebt und es nicht nach Kräften genossen hätte. Rosette war wahrhaftig nicht dazu geschaffen, einem das Herz kalt zu lassen. Von meiner Unmännlichkeit nichts ahnend, verließ sie sich auf ihre Reize und meine Jugend.

Als die Geschichte aber anfing, sich über das übliche Maß hinzuziehen, ward sie von Unruhe erfaßt. Nur mit Mühe vermochten meine verdoppelten Schmeicheleien und meine schönsten Beteuerungen ihre frühere Seelenruhe zurückzurufen. Zweierlei an mir setzte sie in Verwunderung. Sie bemerkte an meinem Betragen Widersprüche, die sie nicht verstand: die Glut meiner Worte und die Kälte in meinem Tun.

Du weißt es am besten, liebste Graziosa, daß meine Freundschaft das Gepräge der Leidenschaft trägt. Sie ist unvermittelt, heiß, heftig, herrisch und eifersüchtig. Ich empfand für Rosette eine ähnliche Freundschaft wie für Dich. Zum mindesten konnte man sich über meine Gefühle täuschen. Und Rosette täuschte sich um so gründlicher, als meine Tracht sie auf den richtigen Gedanken nicht bringen konnte.

Da ich noch keinen Mann geliebt habe, so hat sich mein Überreichtum an Zärtlichkeit gewissermaßen in meinen Mädchen- und Frauenfreundschaften verbraucht. Ich trug in diese Bündnisse wie in alle geliebten Dinge meine Begeisterung und meinen Gefühlsüberschwang. Es ist mir unmöglich, bei irgend etwas maßvoll zu sein, besonders nicht in Herzensangelegenheiten. In meinen Augen gibt es nur zwei Sorten von Menschen: solche, für die ich schwärme, und solche, die ich hasse. Alle andern sind für mich gar nicht da. Ich galoppiere über sie hinweg wie über die Landstraße. Mein Geist unterscheidet sie nicht von Pflaster- und Meilensteinen.

Ich bin von Natur mitteilsam und zärtlich. Zuweilen vergaß ich die Tragweite meines Tuns und legte beim Spazierengehen meinen Arm um Rosette, wie ich es ehedem getan, wenn ich mit Dir in der einsamen Allee im Garten meines Onkels auf und ab wandelte. Ein andermal beugte ich mich über die Lehne des Stuhls, in dem sie saß und stickte, und wickelte die widerspenstigen blonden Härchen an ihrem vollen Nacken um meine Finger. Oder ich glättete mit dem Handrücken ihr schönes, vom Kamm gehaltenes Haar, oder ich machte mich irgendeiner Liebkosung schuldig, wie Du als meine liebste Freundin sie von mir kennst.

Rosette hütete sich wohl, meine Zärtlichkeiten bloßer Freundschaft zuzuschreiben. Was man im allgemeinen Freundschaft nennt, geht ja soweit nicht. Da ich mich aber immer wieder damit begnügte und nie weiter ging, verwunderte sie sich und wußte nicht, was sie davon halten sollte. Zu guter Letzt mochte sie denken, meine übergroße Schüchternheit sei schuld daran, meine Jugend und meine Unerfahrenheit in Liebesdingen. Man müsse mir durch verliebtes Entgegenkommen Mut machen.

Dies hatte zur Folge, daß sie ungezählte Gelegenheiten zum Alleinsein mit mir herbeiführte, immer an Orten, die, einsam und fern von allem Lärm und allen Störungen, mich an sich schon mutiger machen mußten. Sie führte mich in den Wald und versuchte, ob die lüsterne Verträumtheit und schwüle Sehnsucht, die zärtliche Seelen im Waldesdunkel, dem holden Tummelplatz der Liebe, überkommt, nicht ihre Wirkung ausübten.

Eines Tages waren wir schon eine Weile im traulichen Park hinter dem Schlosse herumgewandelt. Da führte mich Rosette auf einem kreuz und quer gehenden, mit Flieder- und Haselbüschen umsäumten Fußpfade nach einer einsamen Hütte, einem Blockhäuschen mit einem Schilfdach und einer roh gezimmerten Tür, die aus vier bis fünf derbgehobelten Holzbrettern bestand. In den Fugen sproßten Moos und Unkraut. In der Nähe sprudelte unter den Wurzeln einer silberrindigen Esche ein starker Quell hervor, der sich einige Schritte weiter über zwei Marmorstufen in ein mit smaragdgrünen Kressen umwachsenes Becken ergoß. Wo keine Kresse wucherte, erblickte man schneeweißen feinen Sand. Das Wasser war kristallklar und eiskalt. Es entströmte unmittelbar der Erde, in undurchdringlichem Schatten, und noch kein Sonnenstrahl hatte es je geküßt. So hatte es nicht Zeit gehabt, warm zu werden oder sich zu trüben. Trotz seiner Härte liebe ich das Quellwasser, und als ich dieses sah, da konnte ich dem Wunsche zu trinken nicht widerstehen. Ich beugte mich nieder und schöpfte zu wiederholten Malen mit der hohlen Hand daraus, dieweil ich kein andres Gefäß zur Verfügung hatte.

Rosette äußerte den Wunsch, auch zu trinken. Sie sei durstig. Und so bat sie mich, ihr ein wenig Wasser zu bringen. Sie selber wage nicht, sich so tief über die Quelle zu beugen. Ich tauchte meine beiden aneinander gepreßten Hände in die klare Flut, hob sie wie eine Schale an Rosettens Lippen und hielt sie so, bis Rosette alles Wasser darin bis auf den letzten Tropfen aufgesogen hatte. Lange währte das nicht, denn das Wasser rieselte zwischen meinen Fingern hindurch, so fest ich sie auch schloß. Wir bildeten eine reizende Gruppe. Es fehlte nur der Bildhauer, sie festzuhalten.

Als Rosette beinahe ausgetrunken, konnte sie sich nicht enthalten, meine Hände zu küssen, freilich so, daß ich denken mochte, sie schlürfe die letzte Wasserperle. Ich ließ mir jedoch nichts vortäuschen. Zudem errötete sie plötzlich aus reizendem Schuldbewußtsein.

Sie nahm meinen Arm, und wir lenkten unsere Schritte der Hütte zu. Die schöne Frau ging so dicht neben mir wir möglich und beugte sich beim Sprechen etwas vor, so daß sich ihre Brust an meinen Oberarm schmiegte. Eine kleine List, die jeden Andern arg verwirrt hätte. Deutlich fühlte ich den festen vollen warmen Busen. Obendrein nahm ich wahr, daß er stürmisch wogte, sei es, daß dies eine kleine Komödie oder wirklich so war. Schmeichelhaft und verführerisch war es zum mindesten.

So gelangten wir vor die Hütte, deren Tür ich mit einem Fußtritt öffnete. Den Anblick, der sich meinen Augen bot, hatte ich nicht erwartet. Ich vermutete die Innenwände mit Stroh ausgeschlagen, eine Matte auf dem kahlen Fußboden und ein paar Rohrstühle in den Ecken zum Sichhinsetzen. Nichts von alledem.

Der Raum war ein köstliches Plaudergemach von höchster Behaglichkeit. Über der Tür und um alle vier Spiegelwände lief ein Fries aus mattlilafarbenem Marmor mit Darstellungen der galantesten Szenen aus Ovids Metamorphosen. Allerlei bekannte Liebespaare aus den griechischen Legenden! Um die Pfeiler zwischen den Spiegeln rankten sich zierlich geschnitzte Rosen- und Margeritenketten aus Gold und Silber. Das Licht drang von oben herein, durch ein großes Auge aus Rubinglas. Mitten in diesem liebesseligen Schlupfwinkel winkte ein breiter Diwan, dessen zartblauen Bezug leuchtende Silberborte zur schönsten Geltung brachte. Auf diesem himmlischen Blau mußte sich ein schimmernd weißer Frauenkörper wie ein Wunder abheben! Mit einem Worte, ein Ort zu klösterlicher Andacht war das Innere der kleinen Waldhütte nicht.

Ich habe vergessen zu erzählen, daß auf einem kostbar eingelegten Tischchen eine prächtige Standuhr thronte. Die Spiegel warfen seltsam spielende Lichter auf sie. Übrigens ging sie nicht. Wahrscheinlich weil es ein Widerspruch gewesen wäre, die Stunden an einem Orte schlagen zu lassen, wo man ihrer nicht gedenken wollte.

Ich gestand Rosette meine Freude über diese Erlesenheit. Ich sagte ihr, wie leidenschaftlich ich gesuchte Eleganz unter dem Mantel schlichter Einfachheit liebe. Ich schätzte es ungemein, sagte ich, wenn eine Frau gestickte Unterröcke und spitzenbesetzte Wäsche unter einem einfachen Leinenkleid trüge.

Um mir zu beweisen, daß sie meiner Meinung sei, hob Rosette ihr Kleid ein wenig und ließ mich ein Stück ihres reich mit Blumen und Blättern bestickten Unterrocks sehen. Es hing nur von mir ab, in das Geheimnis noch traulicherer Herrlichkeiten eingeweiht zu werden. Mich gelüstete es jedoch nicht darnach, zu erfahren, ob die Kostbarkeit ihres Hemds der des Unterrocks entspräche. Sicherlich war es nicht minder prächtig. Rosette ließ den Saum ihres Kleides wieder fallen, betrübt, daß sie nicht mehr geoffenbart. Gleichwohl hatte die Schaustellung ihr gedient, indem sie den Anfang einer wohlgeformten Wade zeigte, der eine nicht üble Vorstellung vom Weiteren erweckte.

Um ihr Unterröckchen besser zur Geltung zu bringen, streckte sie ein Bein vor, das in seinem engen perlgrauen Seidenstrumpfe wirklich wundervolle verlockende Linien verriet. Und die kleinen Halbschuhe mit ihrem Schleifenschmuck konnte man für Aschenbrödels Glaspantöffelchen halten. Ich machte ihr mein aufrichtigstes Kompliment und erklärte, daß ich kaum ein hübscheres Bein und ein zierlicheres Füßchen wisse und daß ich mir nicht denken könne, es gebe noch schönere Beine, worauf sie mit allerliebster Freimütigkeit und Ungeniertheit entgegnete: »Sie haben recht, lieber Freund!«

Jetzt lief sie zu einem Wandschrank, langte eine Flasche süßen Weines heraus und ein paar Teller voller Kuchen und verzuckerter Früchte, stellte dies auf ein rundes Tischchen und ließ sich dicht neben mir auf dem blaßblauen Diwan nieder. Um nicht zu unbequem zu sitzen, war ich genötigt, meinen rechten Arm hinter sie zu legen. Sie hatte beide Hände frei. Ich konnte mich nur mit der Linken bedienen. Sie schenkte mir mein Glas ein und legte mir Früchte und Süßigkeiten auf den Teller. Als sie aber meine Ungeschicklichkeit sah, rief sie: »So geht das nicht, Sie kleiner Junge! Ich muß Sie füttern, dieweil Sie nicht allein zu essen verstehen!«

Und nun fütterte sie mich und zwang mich, die Bissen viel schneller zu verschlingen, als ich wollte, indem sie sie mir mit ihren niedlichen Fingerchen in den Mund stopfte, wie einer Gans, die man mästet. Dabei lachte sie herzlich. Ich konnte es mir nicht versagen, ihren Fingern den Kuß zu erwidern, den sie vorher meiner Hand beim Trinken gegeben. Sie tat, als wolle sie mich daran hindern. Im Grunde wollte sie mir nur bessere Gelegenheit zum Küssen geben, indem sie mir ein paarmal mit dem Handrücken auf den Mund tippte.

Rosette hatte zwei bis drei Schluck Malaga getrunken, ich ungefähr ebensoviel. Viel war das gewiß nicht. Es genügte aber vollständig, um sie, die nur an leichte Mischungen von Wasser und Wein gewöhnt war, in heitere Stimmung zu bringen. Rosette legte sich hintenüber und sank liebevoll in meinen Arm. Sie hatte ihren Schal abgeworfen, und so sah ich ihren in dieser zurückgebogenen Körperhaltung hochstehenden Busen. Er war bezaubernd zart und lichtschimmernd, von edler Form und wundersamer Festigkeit. Ich betrachtete ihn ein paar Augenblicke voll unbeschreiblichen Entzückens. Und der Gedanke kam mir, daß die Männer in der Liebe bei weitem besser daran sind denn wir. Sie besitzen die köstlichsten Schätze an uns und haben uns nichts Gleichwertiges zu bieten. Welch ein Genuß, seine Lippen über die zarte glatte Haut einer Frau gleiten zu lassen, über ihre wohlgerundeten Formen, die dem Kuß entgegenstreben und ihn herausfordern, über den Linienakkord ihres samtenen Fleisches! Wie süß, Küsse auf das seidenweiche Haar eines Weibes zu drücken! Ein Mann schöpft an uns aus Quellen der feinsten Wollust, die wir am Manne nicht finden! Unsre Liebkosungen können kaum anders denn gewährender Art sein. Gleichwohl liegt im Geben mehr Glück als im Empfangen.

Das sind Bemerkungen, wie sie vor einem Jahre sicher nicht aus meinem Munde gekommen wären. Empfindungslos hätte ich alle Mädchenbusen und Frauennacken der Welt sehen können, ohne mir über ihre schönen oder unschönen Formen und Linien Gedanken zu machen. Seitdem ich jedoch das Kleid meines Geschlechts aufgegeben und in Gemeinschaft mit jungen Männern lebe, hat sich in mir ein bis dahin unbekannter Sinn ausgebildet: der Sinn für Leibesschönheit. Im großen und ganzen fehlt er den Frauen, ich weiß nicht warum. Eigentlich sollte man sie für trefflichere Schönheitsrichter halten denn die Männer. Aber da sie es sind, die die süßere menschliche Schönheit besitzen, und da Selbstkenntnis die allerschwerste ist, so darf man sich nicht wundern, wenn sie kein rechtes Auge dafür haben. Gewöhnlich steht es so: findet eine Frau eine andre hübsch, so kann man unfehlbar sicher sein, daß selbige riesig häßlich ist und kein Mann von Geschmack ihr Beachtung schenkt. Andrerseits gelten alle Frauen, deren Schönheit und Anmut von Männern gerühmt werden, bei der gesamten Frauenwelt einstimmig für abscheulich und obendrein für kokett. Da kommen die lieben Lästerzungen gar nicht zur Ruhe. Wäre ich, was ich scheine, ich ließe mich bei der Wahl einer Geliebten von keinem andern Führer geleiten als von der Verunglimpfung durch andre Frauen. Das wäre mir ein genügendes Schönheitzeugnis.

Jetzt liebe und verstehe ich die weibliche Schönheit. Meine Tracht trennt mich von meinen Schwestern und nimmt mir jede Rivalität. Ich bin imstande, sie besser zu beurteilen als ein Mann. Ich bin nicht mehr Weib und doch nicht ganz Mann. Die Begierde wird mich nie so blenden, daß ich eine Äffin für eine Venus halte. Ich sehe die Dinge froschblütig ohne Eingenommenheit für oder gegen. Mein Standpunkt ist so unparteiisch wie nur möglich.

Lange und weiche Wimpern, durchschimmernde Schläfen, kristallklare Augen, die feinen Formen des Ohres, der Farbenton und die Beschaffenheit des Haares, die Vornehmheit der Hände und Füße, das Feingliedrige der Handgelenke und der Fesseln, dies und tausend andre Dinge, auf die ich früher nicht achtete, die aber gerade die wahre Schönheit ausmachen und allein die Echtheit der Rasse verbürgen, das führt mich jetzt bei meiner Einschätzung und läßt kaum eine Täuschung zu. Ich denke, man kann mit geschlossenen Augen jede Frau annehmen, von der ich sage: »Sie ist auf Ehre nicht übel.«

Aus alledem folgt naturgemäß, daß ich mich jetzt auch viel besser auf Gemälde und plastische Werke verstehe denn vorher. Obwohl ich nur eine oberflächliche Kenntnis der großen Meister besitze, kann man mir nicht mehr leicht einreden, irgendeine Stümperei sei gut. Ich finde, Studien über die Darstellung des Schönen in der Kunst schärfen das Auge ungemein. Die Schönheit, sei sie seelisch oder leiblich, erheischt wie jedes Ding auf Erden zunächst ein ernstes Sich-damit-Beschäftigen. Sie läßt sich nicht auf den ersten Blick erfassen.

Zurück zu Rosette! Der Übergang ist nicht schwer. Das sind Varianten über ein und dasselbe Thema.

Wie schon gesagt, lag die schöne Frau in meinem Arm, ihr Kopf an meiner Schulter. Ihre tiefe Erregung hatte zartes Rot auf ihre Alabasterwangen gezaubert. Wenn sie lachte, blitzten ihre Zähne wie Tautropfen auf flammenrotem Mohn. Unter ihren halbgeschlossenen Wimpern schimmerten ihre großen Augen wie nasses Perlmutter. Wo das Licht über ihr schwarzes Haar glitt, floß es wie Purpurlicht darüber. Ein paar Löckchen hatten sich gelöst und schlängelten sich den vollen runden Hals hinab, auf dessen warmleuchtendem Weiß sie sich reizvoll abhoben. Ein paar besonders widerspenstige und mutwillige Locken krausten sich in kapriziösen Spiralen, von seltsamen Lichtern durchsonnt. Alle Farben des Regenbogens glitzerten leise in ihnen. Man mußte unwillkürlich an den goldnen Heiligenschein denken, der auf alten Bildern die Köpfe der Madonnen umrahmt. Wir schwiegen beide. Es machte mir Vergnügen, die blauen Äderchen unter dem Marmor ihrer Schläfen zu verfolgen und den weichen kaum merklichen Flaum, in den die Brauen verliefen.

Rosette hatte ihre Umgebung sichtlich vergessen und sich in verliebte Träume verloren. Ihre Arme lagen schlaff am Körper. Ihr Kopf sank weiter nach hinten, als wären die Halsmuskeln zu schwach, ihn zu halten. Sie hatte ihre Füßchen heraufgezogen, und ihr Leib schmiegte sich in die Ecke des Diwans, die ich innehatte, so daß ein großer leerer Raum auf der andern Seite verblieb.

Ihr leichter geschmeidiger Körper drückte sich wie warmes Wachs an den meinen, wie Wasser um einen Stein im See. So dicht an meine Seite gerückt, glich sie jener Doppellinie, die die Maler der Schattenseite ihrer Gestalten verleihen, um sie voller und körperlicher erscheinen zu lassen. Nur ein verliebtes Weib besitzt solche Schlangenbieg- und schmiegsamkeit. Efeu und Klematis können nicht mit ihm wetteifern.

Ihre süße Körperwärme drang zu mir durch die Kleidung. Tausend magnetische Ströme flössen von ihr auf mich über. Ihre ganze Lebenskraft schien von ihr gewichen und in mich geflohen zu sein. Sie entgeisterte, verflutete und erstarb mir immer mehr. Kleine Perlen erschienen auf ihrer leuchtenden Stirn. Ihre Augen wurden immer feuchter, und ein paarmal machte sie den Versuch, sie mit den Händen zu verdecken. Auf halbem Wege aber fielen ihre matten Arme wieder auf ihre Knie zurück. Sie erreichten ihr Ziel nicht. Eine dicke Träne quoll unter dem Lid hervor und rollte über die glühende Wange, auf der sie bald verlosch.

Meine Lage wurde immer fragwürdiger und beinahe lächerlich. Ich fühlte, daß ich ungeheuer geistlos aussehen mußte, was mir in hohem Grade unangenehm war, obgleich es nicht in meiner Macht stand, mir eine andre Miene zu geben. Eine kecke Attacke war ich nicht imstande zu unternehmen – und doch war dies das einzige, was hier zu tun gewesen wäre. Ich durfte nichts wagen, da ich gewiß keinen Widerstand gefunden hätte! Ich wußte wahrhaftig nicht, wie ich mich aus dieser fatalen Lage ziehen sollte. Schmeicheleien und Verse sind eine sehr nette Ouvertüre, aber auf dem jetzigen Standpunkte der Geschichte waren ganz andre Dinge angebracht. Aufstehen und hinausgehen wäre taktlos gewesen. Zudem möchte ich beinahe glauben, daß Rosette mich wie Frau Potiphar am Mantel zurückgehalten hätte. Ich hätte ihr keinen plausiblen Grund für meine Josefsrolle nennen können. Bei aller meiner Beschämung muß ich aber gestehen, daß diese zweideutige Szene durchaus nicht ihres Reizes für mich entbehrte. Deshalb verlängerte ich sie mehr als nötig. Rosettens heißes Verlangen entflammte mich. Ich war höchst ärgerlich, es nicht befriedigen zu können. Ich wünschte, ein wirklicher Mann zu sein, um Rosettens Glut auf den Gipfel zu bringen. Es tat mir leid, sie betrogen zu sehen. Mein Atem ging rascher. Ich fühlte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg. Ich war kaum weniger erregt als meine arme Verliebte. Allmählich schwand mir das Bewußtsein an unser gleiches Geschlecht. Wollust überkam mich. Meine Augen verschleierten sich. Meine Lippen bebten. Wäre Rosette ein Kavalier gewesen anstatt auch nur ein Weib, so hätte sie gewiß leichten Handel mit mir gehabt.

Da wurde es ihr zuviel. Mit einem Sprung erhob sie sich und begann mit lebhaften Schritten auf und ab zu gehen. Auf einmal blieb sie vor einem Spiegel stehen und strich sich das Haar zurecht. Ich machte während ihres Hin- und Herwanderns eine sehr klägliche Figur. Ich wußte wirklich nicht, wie ich dreinschauen sollte. Rosette stellte sich schließlich vor mich hin. Offenbar dachte sie über mich nach. Sie schien zu vermuten, daß mich einzig und allein übertriebene Schüchternheit zurückhalte und daß ich mehr Anfänger sei, als sie geglaubt hatte. Außer sich und in höchster Liebesraserei beschloß sie den letzten Versuch zu machen und alles einzusetzen, selbst auf die Gefahr hin, alles zu verlieren.

Sie trat ganz dicht an mich heran, saß blitzschnell auf meinen Knien, wand ihre Arme um meinen Hals, schloß ihre Hände hinter meinem Kopf und preßte ihre Lippen mit verzweifelnder Gewalt auf meinen Mund. Ich fühlte ihren halbentblößten stürmischen Busen auf meiner Brust und ihre verschlungenen Finger fest auf meinem Haar. Ein Schauer flutete durch meinen Körper. Auch mein Busen hob und senkte sich wild.

Rosette ließ nicht ab von meinem Munde. Ihre Lippen tranken an den meinen, und ihre Zähne berührten meine Zähne. Unser Atem vermählte sich. Einmal wich ich zurück, und ein paarmal wandte ich mein Gesicht ab, um diesem endlosen Kuß zu entgehen, aber ich wurde so unwiderstehlich wiederangezogen, daß ich Rosette beinahe mit der gleichen Glut küßte wie sie mich.

Ich weiß nicht, wie dies geendet wäre, wenn sich nicht plötzlich vor der Tür lautes Gebell und ein kratzendes Geräusch hörbar gemacht hätten. Die Tür gab nach. Ein bildschöner Schäferhund stand schweifwedelnd und keuchend vor uns.

Im Nu war Rosette an der Tür. Das schöne Tier sprang glücklich und voller Freude an ihr in die Höhe und versuchte, ihr die Hände zu lecken. Sie war so verwirrt, daß es ihr Mühe kostete, ihr Tuch über Brust und Schultern zu nehmen.

Der Schäferhund war der Liebling ihres Bruders. Er verließ ihn nie. Wenn man seiner ansichtig wurde, durfte man sicher sein, daß sein Herr nicht fern war. Das hatte die arme Rosette so heftig erschreckt.

In der Tat betrat Alkibiades eine Minute später, gestiefelt und gespornt, einen Reitstock in der Hand, die Hütte.

»Ach, hier seid ihr!« rief er. »Ich suchte euch seit einer Stunde und hätte euch sicher nicht entdeckt, wenn euch nicht der brave Kerl da in eurem Versteck aufgestöbert hätte!« Dabei warf er seiner Schwester einen halb ernsten, halb lachenden Blick zu, unter dem sie bis unter die Haarwurzeln errötete. »Sicherlich hattet ihr euch etwas sehr Wichtiges zu erzählen, da ihr euch hier in die Einsamkeit verkrochen habt. Was war es für ein hochgelehrtes Thema? Von der Seelenwanderung oder so?«

»Du lieber Gott!« stammelte Rosette. »In das Hochgebirge der Lebensweisheit sind wir bei weitem nicht gekommen. Wir haben uns damit begnügt, Süßigkeiten zu naschen und uns über die neuste Mode zu unterhalten!«

»Ich glaube dir kein Wort. Ihr saht alle beide zu versunken aus in irgendeine empfindsame Sache. Damit ihr ein bißchen aus eurer Schwärmerei herauskommt, schlage ich vor: wir wollen alle drei ausreiten! Ich will meine neue Stute erproben. Theodor, du setzt dich auch einmal eine Weile darauf. Ja? Ich möchte dein Urteil hören, ob der Gaul etwas wert ist.«

Nunmehr verließen wir die Hütte: ich an Alkibiadessens Arm, Rosette an dem meinen. Unsre Gesichter zeigten den verschiedensten Ausdruck. Alkibiades sah nachdenklich aus, ich stillvergnügt, Rosette wütend.

Für mich war mein Freund als Retter in der Not erschienen, für Rosette als Störenfried. Durch sein Erscheinen verlor sie – das glaubte sie wenigstens – alle Früchte ihrer schlauen Taktik. Nun mußte sie gelegentlich wieder von vorn anfangen. Der Fuchs soll mich holen, wenn ich wüßte, welchen Ausgang dies Abenteuer eine Viertelstunde später genommen hätte! Ich kann mir keine rechte Lösung denken. Vielleicht wäre ich besser daran, wenn Alkibiades nicht im kritischen Augenblick erschienen wäre wie ein deus ex machina. Auf die eine oder andere Art hätte sich doch vielleicht ein gutes Ende gefunden. Während der unterbrochenen Szene war ich ein paarmal in Versuchung, mich Rosetten zu entdecken. Nur die Furcht, für eine Abenteuerin zu gelten und mein Geheimnis verraten zu sehen, hielt die enthüllenden Worte auf meinen Lippen zurück.

So durften die Dinge nicht weitergehen, und einzig und allein meine schleunige Abreise vermochte dem ziellosen Spiel ein Ende zu setzen. Beim Mittagsmahl verkündete ich also feierlich, daß ich am nächsten Tage abreisen müsse. Rosette, die meine Tischnachbarin war, wurde bei dieser Nachricht beinahe ohnmächtig. Sie ließ ihr Glas fallen. Plötzliche Blässe jagte über ihr schönes Antlitz. Sie warf mir einen so wehen vorwurfsvollen Blick zu, daß ich ebenso verwirrt ward wie sie.

Die Tante hob vor Überraschung ihre faltigen Hände und wandte sich mit ihrer zitternden Altfrauenstimme, die noch matter als gewöhnlich klang, mir zu:

»Mein lieber Herr Theodor! So wollen Sie uns verlassen? Das ist nicht recht von Ihnen! Gestern haben Sie sicherlich noch mit keinem Atemzuge an die Abreise gedacht. Heute ist keine Post gekommen. Sie haben also keine Briefe erhalten und somit keinen Grund, uns so schnell zu verlassen. Sie haben gesagt, daß Sie uns noch vierzehn Tage schenken wollten, und jetzt ziehen sie Ihr Geschenk unvermittelt zurück. Dazu haben Sie wahrhaftig nicht das Recht. Was man gegeben, nimmt man nicht wieder. Schauen sie Rosette an! Sie grollt Ihnen. Ich warne sie. Aber auch ich würde zum mindesten ebenso ungehalten sein wie Rosette. Ich werde Ihnen eine furchtbar böse Miene machen. Und achtundsechzig Jahre sehen im Zorn ein bißchen graulicher aus denn dreiundzwanzig. Setzen Sie sich nicht mutwillig dem Zorn von Tante und Nichte aus, und dies aus keinem andern Anlaß als aus schlechter Laune, die Sie zufällig beim Nachtisch heimsucht!«

Alkibiades schwor mit einem Faustschlag auf den Tisch, daß er die Ausgänge des Schlosses verbarrikadieren und eher meinem Gaule die Sehnen durchschneiden als mich abreiten lassen wolle.

Rosette sah mich so todtraurig und flehentlich an, daß es der ganzen Bestialität eines seit acht Tagen hungernden Tigers bedurft hätte, um ungerührt zu bleiben. Ich widerstand nicht länger und gab im seltsamsten Widerstreit meiner Gefühle das feierliche Versprechen, zu bleiben. Rosette hätte mich am liebsten umarmt und mir mit einem Kuß für meine Nachgiebigkeit gedankt. Alkibiades nahm meine kleine Hand in seine große Pranke und schüttelte sie so derb, daß er mir beinahe die Schulter auskugelte, meine Fingerringe breitdrückte und mir drei Finger quetschte. Die alte Dame nahm in ihrer Freude eine doppelte Prise Schnupftabak.

Gleichwohl fand Rosette ihren vorherigen Frohsinn nicht wieder. Dass ich abreisen könnte, dies sogar wünschte, das war ihr bis jetzt nicht in den Sinn gekommen. Der Gedanke machte sie versonnen. Die blühenden Farben, die meine Nachricht von ihren Wangen verscheucht hatte, kehrten nicht wieder. Sie blieb blaß, aus Sorge im Herzen. Mein Betragen gegen sie verwunderte sie immer mehr. Nach ihrem unverkennbaren Entgegenkommen war ihr mein kühles Benehmen recht rätselhaft. Auf jeden Fall wollte sie mich vor der Abreise in feste Fesseln schlagen. Dann, so dachte sie, könne es weiter kein Kunststück sein, mich zu ihrer Herzenslust im Schloß zurückzuhalten.

Gewiß. Wäre ich kein Weib, so hätte ihre Rechnung gestimmt. Denn was man auch sagen mag vom Überdruß des Genusses und vom Ekel, der dem Besitz folgt: jedweder Mann, dem das Herz auf dem rechten Flecke sitzt und der nicht gerade ein erbärmlicher Kerl oder rettungslos verlebt ist, fühlt seine Liebe mit seinem Glücke wachsen. Und oft gibt es kein besseres Mittel, sich einen entweichenden Geliebten zu sichern, als die völlige Hingabe.

Rosette nahm sich also vor, mich vor meinem Weggang zur Entscheidung zu zwingen. Sie wußte, wie schwer eine Liebschaft nach einer Zwischenzeit auf die alte Höhe zu bringen ist. Obendrein war es wenig wahrscheinlich, daß wir uns unter so günstigen Umständen je wieder begegneten. Deshalb versäumte sie keine Gelegenheit, mich in eine Lage zu versetzen, in der ich mich deutlich erklären und die Tatenlosigkeit aufgeben sollte, hinter der ich mich verschanzte. Ich dagegen, ich war fest entschlossen, einer Wiederholung des Idylls im Gartenpavillon aus dem Wege zu gehen. Um mich aber nicht lächerlich zu machen, durfte ich vor Rosette weder allzuviel Gleichgültigkeit zur Schau tragen noch mich wie ein dummer Junge betragen. Mit einem Worte, ich wußte wahrhaftig nicht, wie ich mich geben sollte, und bemühte mich, Rosette immer nur in Gegenwart Dritter zu begegnen. Hingegen tat sie alles, ein zweites Ganz-Allein mit mir zu erreichen. Es gelang ihr ziemlich oft, denn das Schloß lag entfernt von der Stadt und sah nur selten Gäste aus den benachbarten Edelsitzen.

Mein Widerstand betrübte und verwunderte Rosette. Zuweilen befielen sie Zweifel über die Macht ihrer Schönheit, und dann war sie nahe daran, sich für häßlich zu halten, weil sie sich so ungeliebt sah. Sie verdoppelte ihre Bemühungen und Koketterien. Ihre Trauer erlaubte ihr nicht, alle Hilfsmittel der weiblichen Tracht zu entfalten; aber sie verstand ihre schwarzen Kleider so auszuschmücken und mannigfaltig zu machen, daß sie täglich durch Neues von Neuem entzückte, was nicht so einfach ist. Auch sonst ließ sie nichts unversucht. Heute war sie heiter, morgen schwermütig, übermorgen zärtlich, bald leidenschaftlich, bald süß-schmeichelnd, einmal kokett, ein andermal schmollend. Der Reihe nach trug sie alle die entzückenden Masken, auf die sich die Frauen so gut verstehen, daß man sich zuweilen verwundert fragt: Ist dies Verstellung oder ist es ihr wahres Gesicht? So führte sie mir ein Dutzend von einander verschiedenen Rosetten vor, um zu erfahren, welche mir wohl am besten gefiele. Ein ganzer Harem marschierte vor mir auf. Ich brauchte nur zu wählen. Natürlich mißglückte das alles.

Angesichts der Erfolglosigkeit dieser Kriegslisten wußte sich Rosette keinen Rat mehr. Sie hätte selbst dem alten Nestor den Kopf verdreht und die Eiskruste um das unnahbare Herz des keuschen Hippolyt gebrochen. Und ich sah doch nichts weniger denn uralt oder unverführbar aus! Vielmehr jung, leichtherzig, selbstbewußt, keck und siegesgewohnt; das heißt: ausgenommen unter vier Augen!

Rosette mußte zu der Ansicht kommen, daß ich verhext oder zum mindesten mit einem Talisman gegen die Liebe ausgerüstet sei. Und meine Männlichkeit mochte einen jämmerlichen Eindruck auf sie machen. Sie ist ja auch nicht weit her. Gleichviel geriet sie offenbar niemals auf den richtigen Gedanken. Sie legte meine sonderbare Zurückhaltung lediglich als Mangel an Liebe aus.

Die Tage entschwanden, ohne daß Rosette vorwärts kam. Sie litt sichtlich darunter. Um ihre vordem lebenslustigen Lippen lag jetzt ein Ausdruck von Qual und Kümmernis. Ihr ganzes Gesicht ward ernst und herb. An den Lidern traten ein paar Äderchen mokant hervor. Die ehedem pfirsichroten Wangen verloren ihre Farbe. Zuweilen sah ich sie von meinem Fenster aus, wie sie durch die Blumenbeete des Gartens wandelte. Kaum hob sie die Füße. Die Hände gefaltet, den Kopf gesenkt, so schlich sie dahin, gebeugt wie ein Weidenzweig, der ins Wasser taucht. Es lag etwas Drückendes über ihrer Erscheinung. So stelle ich mir Psyche vor, als sie Amor verloren.

Es gab Tage, an denen Rosette keine Anstrengungen machte, meine Kälte und mein Zaudern zu besiegen. Dann lag in ihrer Liebe so unsagbar viel Schlichtheit und Herzlichkeit, daß sie mich – als wirklichen Mann – entzückt hätte. Dann war sie ganz Schweigen und Vertrauen. Ihre Liebkosungen gewannen etwas Engelhaftes. Mit unerschöpflicher Güte verschwendete sie unbedenklich alle Schätze ihrer schönen Seele. Nichts war darin von jenem kleinlichen Getue, wie es beinahe allen Frauen eigen ist, selbst den ungewöhnlichsten. Nichts von Komödie. Voll Seelengröße ließ sie mich die Tiefe ihrer Leidenschaft erkennen. Ihre Eigenliebe empörte sich nicht einen Augenblick darüber, daß ich so viel Entgegenkommen so wenig erwiderte. Sobald die echte Liebe in ein Herz zieht, weicht jeder Hochmut. Wenn je ein Mensch wahr geliebt worden ist, so ich von Rosette! Sie litt, aber ohne Klage und Bitterkeit. Sie schrieb den geringen Erfolg ihrer Bemühungen nur sich selber zu. Ihre Blässe aber ward von Tag zu Tag merklicher. Die Lilien hatten mit den Rosen auf dem Feld ihrer Wangen eine große Schlacht geliefert und sie gründlich in die Flucht gejagt! Ich war außer mir, konnte aber beim besten Willen nicht helfen. Je sanfter und zärtlicher ich mit Rosette sprach, je liebevoller ich sie behandelte, umso tiefer stieß ich ihr den widerhakigen Pfeil einer ewig unfruchtbaren Liebe ins Herz. Wenn ich sie heute tröstete, vermehrte ich nur ihre morgige Verzweiflung. Meine Heilmittel linderten zwar scheinbar ihren Schmerz, vergifteten aber in Wirklichkeit die Wunde. Meine Versuche, sie ein wenig glücklich zu machen, bereiteten mir fast Gewissensbisse. Um der innigen Freundschaft willen, die mich für Rosette beseelte, wünschte ich, sie möchte mich hassen. Mehr war nicht in meiner Macht. Es hätte mir herzlich leid getan, aber das Beste wäre es gewesen.

Ein paarmal unterfing ich mich, ihr harte Worte zu sagen. Aber schnell kehrte ich zu Liebenswürdigkeiten zurück. Denn vor ihrem Lächeln hatte ich nicht so viel Furcht wie vor ihren Tränen. Als galanter Mann darf man Frauentränen nicht von einem Taschentuche trocknen lassen, und wäre es das feinste Batistgewebe. Man muß sie wegküssen. Damit vernichtete ich aber immer wieder, was ich mit Mühe erreicht hatte. Tränen sind schnell vergessen, nicht so ein Kuß. Ich rief folglich immer neue und doppelte Wirren hervor.

Rosette merkte, daß ich ihr entrinnen wollte. Hartnäckig klammerte sie sich an den letzten Rest ihrer Hoffnung. Meine Lage ward von Tag zu Tag schwieriger. Die sonderbaren Wallungen, in die mich die Liebkosungen der schönen Verliebten damals im Pavillon gebracht, kehrten ein paarmal wieder, wenn auch minder heftig. Oft wenn ich neben Rosette saß, ihre Hand in der meinen hielt und ihre süße lockende Stimme hörte, bildete ich mir ein, ich sei wirklich ein Mann. Und daß ich ihre Liebe nicht erwiderte, sei nur Grausamkeit von mir.

Eines Abends fand ich mich durch Zufall allein mit der alten Dame im grünen Zimmer. Sie arbeitete an einer Stickerei. Trotz ihrer achtundsechzig Jahre sah man sie nie müßig. Ein wenig ermüdet, legte sie die Arbeit zur Seite und lehnte sich in ihren Großvaterstuhl zurück. Forschend ruhten ihre Blicke auf mir. Ihre grauen Augen leuchteten in seltsamem Feuer hinter ihren Brillengläsern. Ein paarmal strich sie mit ihrer faltigen Hand über ihre gefurchte Stirn. Offenbar hing sie bestimmten Gedanken nach. Die Erinnerung an längst entschwundene Zeiten verlieh ihrem Antlitz den Ausdruck schwermütiger Trauer. Ich verhielt mich still, um sie nicht in ihrer Träumerei zu stören. Langes Schweigen waltete zwischen uns. Endlich brach sie es.

»Sie haben Heinrichs, meines geliebten Heinrichs Augen. Denselben feuchtschimmernden Blick. Dieselbe Kopfhaltung. Dieselben feinen und doch so stolzen Züge. Ich sollte meinen, Heinrich sei bei mir … Herr Theodor, Sie haben keine Ahnung, wie sehr Sie ihm ähneln. Wenn ich Sie sehe, vermag ich nicht mehr an Heinrichs Tod zu glauben. Dann bilde ich mir ein, er habe nur eine lange, lange Reise gemacht, von der er nun endlich heimgekehrt. Sie haben mir viel Freude und viel Schmerz bereitet. Freude, weil Sie mich an meinen guten Heinrich gemahnen; Schmerz, weil Sie mir die Größe meines Verlustes von neuem und vermehrt fühlbar machen. Zuweilen halte ich Sie für eine Erscheinung aus anderer Welt. Und mit dem Gedanken, daß Sie uns verlassen, kann ich mich durchaus nicht befreunden. Es ist mir, als sollte ich meinen Heinrich zum andern Male verlieren.«

Ich entgegnete, daß ich gern länger bliebe, wenn mir das nur möglich wäre. Mein Aufenthalt habe längst die Grenze überschritten, die ich ihm von Anfang an gesteckt. Zudem hätte ich die Absicht, wiederzukommen. Das Schloß ließe zu angenehme Erinnerungen in mir zurück, als daß ich es so bald vergessen könne.«

Darauf sagte sie zu mir:

»So sehr mich Ihre Abreise auch betrübt, jemandem andern wird sie noch mehr zu Herzen gehen. Sie wissen, von wem ich spreche. Was soll aus Rosette werden, wenn Sie fort sind? Unser altes Schloß ist zu öde für sie. Alkibiades ist den ganzen Tag auf der Jagd. Und die Gesellschaft einer müden alten Frau bringt einem jungen Gemüt wenig Sonne.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Wenn jemand Bedauern empfinden muß, gnädige Frau,« erwiderte ich, »so sind Sie dies nicht, auch nicht Rosette, sondern ich bin es. Sie verlieren nur wenig, ich viel. Mit Leichtigkeit werden sie angenehmere Gesellschaft finden als mich. Hingegen kann mir niemand Ihre oder Rosettens Freundschaft ersetzen.«

»Bester, Ihre Bescheidenheit ist rührend. Aber was ich weiß, das weiß ich, und was ich sage, das stimmt. Wir werden Rosette wahrscheinlich so bald nicht wieder heiter sehen. Denn Sie zaubern Sonnenschein und Regen auf ihre Wangen. Rosettens Trauerzeit naht dem Ende, und es wäre betrüblich, wenn sie mit den schwarzen Kleidern auch ihren Frohsinn wegschlösse. Sie gäbe damit ein schlechtes Beispiel und verstieße gegen die herkömmliche Sitte. Sie können und müssen dies ohne große Mühe verhindern!«

Diese letzten Worte betonte die alte Dame ganz besonders. Ich erwiderte:

»Sicherlich werde ich mein Möglichstes tun, Ihrer lieben Nichte ihre schöne Fröhlichkeit zu erhalten, da Sie mir einen solchen Einfluß auf sie zutrauen. Zunächst wüßte ich jedoch wahrhaftig nicht, wie ich zu Werke gehen soll.«

»Wissen Sie das wirklich nicht? Wozu haben Sie denn Ihre Augen? Kurzsichtig sind Sie doch nicht! Rosette ist frei. Sie besitzt ein Jahreseinkommen von dreißigtausend Talern ohne jeden Abzug. Und Frauen, die sich bei weitem nicht mit ihr messen können, findet man noch wunderhübsch. Sie sind jung, wohlgestaltet und – wie ich vermute – Junggeselle. Die Sache scheint mir ungeheuer einfach, vorausgesetzt, daß Sie gegen Rosette keine unüberwindliche Abneigung empfinden, was ich kaum glauben möchte …«

»Was nie und nimmer möglich wäre!« unterbrach ich die Sprecherin. »Rosettens Seele ist so schön wie ihr Körper! Sie gehört zu den Frauen, die häßlich sein könnten, ohne daß man sich dessen bewußt würde oder daß man sie anders wünschte.«

»Ja, sie könnte ungestraft häßlich sein. Gott sei Dank ist sie aber charmant. Und was ich nun sagen wollte: Ich stehe Ihnen dafür, daß Sie ihr nicht gleichgültig sind. Mehr noch! Ich will offen sein. Sie tragen da am Finger einen Ring, der ihr vorzüglich passen muß, denn Ihre Hand ist beinahe so klein wie Rosettens. Sie würde diesen Ring mit Freuden annehmen. Des bin ich ziemlich sicher!«

Die alte Dame machte eine Pause. Sie wollte sehen, welchen Eindruck ihre Worte auf mich ausübten. Ich weiß nicht, ob ihr der Ausdruck meines Gesichts recht war. Ich befand mich in der schrecklichsten Verwirrung und suchte vergeblich nach einer Antwort. Seit dem Beginn der Aussprache wußte ich, wo hinaus sie wollte. Ich war auf das gefaßt, was ich zu hören bekam. Und nun überraschte es mich doch. Mir war beklommen zumute. Ich mußte Nein sagen! Aber welchen triftigen Grund sollte ich angeben? Ich hatte keinen andern, als daß ich ein Weib war. Das ist allerdings ein höchst gewichtiger Grund, aber gerade der einzige, den ich nicht sagen wollte.

Halsstarrige und lächerliche Eltern konnte ich nicht gut ins Feld führen, denn jedwedes Elternpaar hätte in eine solche Verbindung mit Begeisterung eingewilligt. Wäre Rosette nicht schön und gut und vornehm gewesen, wie sie dies alles ja war, so hätten die dreißigtausend Taler Rente alle Schwierigkeiten beseitigt. Und sagen, ich liebte sie nicht, das wäre weder wahr noch schicklich gewesen. Ich hatte sie wirklich sehr lieb, lieber als sich sonst Frauen untereinander haben. Mich anderweitig gebunden hinzustellen, dazu dünkte ich mich zu jung. Ich fand es schließlich am besten, mich für den jüngsten Sohn meiner Familie auszugeben, deren Pläne meinen Eintritt in einen frommen Orden erheischten. Dies verbiete mir jeden Gedanken an eine Heirat, was mich, seitdem ich Rosette kennen gelernt, mit größtem Kummer erfülle.

Meine Antwort taugte keinen Pfifferling. Ich fühlte dies selber am besten. Die alte Dame ließ sich auch gar nichts vortäuschen und sah sie nicht für endgültig an. Sie meinte, ich hätte das nur gesagt, um Zeit zum Überlegen zu gewinnen und meine Eltern um Rat zu fragen. Die Verbindung mit Rosette war in ihren Augen so vorteilhaft und unerhofft für mich, daß eine Ablehnung ihr unmöglich erschien. Nicht einmal, wenn ich Rosette nur wenig oder gar nicht liebte. Solch ein Glück verscherzt man sich nicht.

Ich weiß nicht, ob mir die Tante diese Eröffnung auf Antrieb der Nichte hin machte, neige aber zu der Annahme, daß Rosette nichts davon ahnte. Sie liebte mich auf zu ursprüngliche und heftige Weise, um an etwas anderes als meinen augenblicklichen Besitz zu denken. Die Ehe wäre sicherlich das letzte Mittel gewesen, das sie aufgeboten hätte. Die alte Dame hatte nicht umhin gekonnt, unsre Vertrautheit zu bemerken, die sie offenbar für viel größer hielt, als sie wirklich war. Und so hatte sie sich in ihrem Sinn diesen Plan zurechtgelegt, um mich zu halten. Ich sollte ihr ihren geliebten Sohn Heinrich ersetzen, der den Heldentod gefunden und dem sie mich so sprechend ähnlich fand. Sie hatte sich in diese Vorstellung eingewiegt und unser Alleinsein benützt, um sich mit mir auszusprechen. An ihrer Miene sah ich, daß sie sich nicht für besiegt hielt, sondern sich vorgenommen hatte, denselben Gegenstand bald wieder heraufzubeschwören. Das war mir höchst unerwünscht.

Rosette machte nun in der Nacht, die jenem Tage folgte, einen letzten Versuch, der so ernste Folgen nach sich zog, daß ich Dir besonderen Bericht darüber erstatten muß. In diesem schon übermäßig dicken Briefe kann ich Dir unmöglich noch davon erzählen. Du wirst sehen, zu welch seltsamen Abenteuern ich auf die Welt gekommen bin und daß mich der Himmel zur Romanheldin geschaffen hat. Freilich weiß ich nicht so recht, welche Nutzanwendung man aus alledem ziehen könnte. Im Leben geht es nicht zu wie in den Fabeln. Es hat nicht jeder Abschnitt seinen gereimten Schlußspruch. Des Lebens Sinn ist oft nur der, daß man nicht tot ist.

Lebewohl, Liebste! Ich küsse Dich auf Deine schönen Augen. Die Fortsetzung meiner glorreichen Historie folgt demnächst.

Deine MAGDALENE


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