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Ich finde das Theater langweilig, aber es gibt Theaterstücke, die ich liebe: phantastische groteske unmögliche Stücke. Das gewöhnliche Publikum würde sie schon in den ersten Szenen erbarmungslos ablehnen, aus dem einfachen Grunde, weil sie ihm völlig unverständlich wären. Es sind für Märchenaugen gedichtete Ferien.
Unter diesen Stücken, die bei Mondschein gespielt werden müssen, entzückt mich eins ganz besonders. Es hat etwas so fluchtsam Ungreifbares, eine so ätherische Handlung, so seltsame Charaktere, daß selbst der Dichter nicht wußte, wie er sein Werk nennen sollte. Er gab ihm schließlich den Titel Wie es euch gefällt! Die Bezeichnung ist vieldeutig.
Beim Lesen dieses merkwürdigen Stückes fühlt man sich in eine fremde Welt versetzt, in eine Welt, deren man sich aber doch unklar erinnert. Man weiß nicht: ist man gestorben, lebt man, träumt oder wacht man? Liebliche Gestalten lächeln einem leise zu und nicken im Vorüberwandeln einen freundlichen Gruß. Bei ihrem Anblick ist man wirr und bewegt, als begegnete einem zufällig an einer Wegebiegung eine vergötterte Frau, oder als erinnere man sich urplötzlich der ersten Geliebten, der längst vergessenen. Bäche fließen durch frohe Gefilde und murmeln halb verklungene Klagen. Um Urwaldsbäume stöhnt mitleidsvoll des Windes Rauschen vor dem verbannten alten Herzog. Und wenn der schwermütige Jakob sein tiefsinniges Weh den Wellen anvertraut, die es mit den Blättern der Weiden wegführen, so dünkt es einem, als höre man sich selber reden, als bekämen die eigenen verborgensten dunkelsten Gedanken Licht und Sinn.
Hauptsächlich mit Theodor und Rosette habe ich lange Gespräche hierüber. Rosette findet wenig Geschmack an meinen Anschauungen. Sie ist für strenge Naturtreue. Theodor gewährt dem Dichter mehr Freiheit. Er gesteht das Problematische am sogenannten Realismus ein. Und ich, ich bleibe dabei, daß ein Schriftsteller frei schalten darf, und daß die Phantasie die allermeisten Rechte habe.
Die Andern machten vor allem geltend, daß diese Stücke über die Grenzen der Bühnenmittel hinausgingen und unaufführbar seien. Ich entgegnete, das sei ebenso richtig wie falsch. Eine solche Ansicht über die Aufführungsunmöglichkeit sei ungerecht und stütze sich nur auf ein starkes Vorurteil. Und gerade Wie es euch gefällt! – meinte ich – sei sehr wohl aufführbar, zumal für uns, die wir keine berufsmäßigen Schauspieler sind.
Die Aufführung ward beschlossen. Der Herbst ging zu Ende Man hatte Reiten, Jagd und Rudern bereits satt. Selbst das allabendliche kleine Hazard begann seinen Reiz zu verlieren. Umso allgemeineren Anklang fand unser Vorschlag.
Ein junger Mann, der Maler ist, hat sich erboten, die Bühnenbilder zu schaffen. Er arbeitet noch eifrig daran und will in ein paar Tagen damit fertig werden. Die Vorstellung soll in der Orangerie stattfinden, dem größten Räume des Schlosses. Ich denke, es wird sich alles trefflich machen.
Ich habe die Rolle des Orlando übernommen. Rosette sollte die Rosalinde spielen. Das wäre das Natürlichste und Richtigste gewesen. Ist sie doch meine Geliebte und die Herrin des Hauses. Aber aus einer an ihr unverständlichen Laune – prüd ist sie nicht – mag sie in einer Hosenrolle nicht auftreten. Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich meinen, sie hätte krumme Beine. Nun wollte keine der anderen Damen minder dezent sein denn sie, und so wäre unser ganzer Plan beinahe gescheitert. Da erklärte Theodor, der bis dahin die Rolle des melancholischen Jakob inne hatte, die Rosalinde zu spielen, die fast durchweg in Männerkleidung auftritt, ausgenommen im ersten Akt. Da Theodor bartlos ist und eine sehr schlanke Taille hat, wird ihm mit Hilfe von Schminke, Korsett und Schleppkleid die Täuschung genügend gelingen.
Wir sind dabei, unsre Rollen zu lernen. Wer nicht zu uns gehört, wird sich über unser Tun und Treiben den Kopf zerbrechen. In allen einsamen Ecken und Enden des Parkes begegnet man Menschen, die, ein Blatt in der Hand, leise vor sich hinmurmeln und wiederholt dieselben Gesten machen. Die Augen, die sie eben noch gen Himmel aufgeschlagen hatten, senken sich plötzlich. Wer nicht weiß, daß Theater gespielt werden soll, würde uns allesamt für Verrückte halten oder für Poeten, was ja dasselbe ist.
Ich glaube, die erste Probe kann bald stattfinden. Meinem Gefühl nach kommt etwas ganz Eigenartiges zustande. Aber vielleicht täusche ich mich auch.
Ich befürchtete erst, unsre Darsteller könnten, statt beim Spielen der natürlichen Eingebung zu folgen, die Posen und Mätzchen irgend eines Modemimen nachäffen. Aber Gottseidank sind sie keine so eifrigen Theatergänger, als daß sie in diesen Fehler verfielen. Es steht also zu erwarten, daß sie, abgesehen von einer gewissen unvermeidlichen Dilettantenunbeholfenheit, echtere und originellere Momente haben als das routinierteste Berufstalent.
Unser junger Maler hat wirklich Wunderbares geleistet. Die alten Baumstämme und der sie umkletternde Efeu sehen geradezu unheimlich aus. Die Bäume im Park haben Modell gestanden, aber der Künstler hat sie stilisiert und monumental gemacht. Anders wirken Bühnenbilder nicht. Alles ist bewunderungswürdig lebendig und eigenartig ausgefallen. Die Felsen und die Wolken haben einen Stich ins Romantische. Auf den zitternden Wassern spielen blitzende Lichter. Herbststimmung fließt aus dem Gelb, das im Blätterwerk vorherrscht. Die Farbenleiter des Laubes steigt vom Smaragdgrün bis zum Purpur des Karneol, die des Himmels vom Mattblau bis zum Feuerrot.
Die Kostüme sind vom Maler samt und sonders nach meinen Angaben entworfen. Es spricht Einheit aus ihrer Gesamtheit. Anfangs behauptete man allgemein, sie wären unausführbar, selbst in Samt und Seide nicht. Die Damen meinten, so viel Farbenpracht ließe ihre schönen Augen nicht genug zur Geltung kommen. Ich behauptete das Gegenteil. Neue Einwände kamen.
»In dieses Kleid komme ich gar nicht hinein!«
»Mein Rock ist mindestens zehn Zentimeter zu kurz! So wage ich mich nicht auf die Bühne!«
»Diese Halskrause ist viel zu hoch. Ich sehe darin aus, als hätte ich keinen Hals!«
»So eine Figur macht mich unglaublich alt!«
Was soll man darauf entgegnen?
»Gnädige Frau, mit Nähnadeln, Zwirn und gutem Willen geht alles! Besonders Sie mit Ihrer Wespentaille! Ich wette tausend Taler gegen einen Kuß, das Kleid muß noch enger gemacht werden, nicht weiter!«
»Ihr Rock ist absolut nicht zu kurz! Wenn Sie die entzückenden Linien Ihrer Fesseln sehen könnten, wären Sie sofort meiner Ansicht!«
»Ganz im Gegenteil! Gerade in dieser Spitzenhülle kommt Ihr Hals verführerisch zur Geltung!«
»Diese Haartracht macht durchaus nicht alt. Und wenn auch: bei Ihrer Jugend dürfen Sie schon einmal ein paar Jährchen älter erscheinen. Das kann sich nicht jede leisten!«
Es ist sonderbar, mit welcher Unmenge von Schmeicheleien man die Damen erst bestürmen muß, ehe sie sich entschließen, Kleider anzuziehen, die ihnen ganz allerliebst stehen. Was für einen Teufelsgeschmack haben doch die Weiber! Was für ein Titanentrotz steckt in einer nervösen kleinen Mondäne, wenn sie sich einmal eingebildet hat, schreiendes Strohgelb stünde ihr besser denn Narzissengrau oder Rosenrot. Wäre ich Diplomat, mit nur der Hälfte der Ränke und Listen, die ich hier anwende, würde ich es zum Staatsminister bringen.
Seitdem die Aufführung eine beschlossene Sache ist, herrscht hier wüste Unordnung. Die Boten kommen und gehen in einem fort. Zwei oder drei sind beständig zwischen dem Schloß und der Stadt unterwegs.
Abends bin ich immer bleimüde und wie zerschlagen. Ich verstehe von dem ganzen Stücke kein Wort mehr. Da ich außer meiner Rolle auch noch die Leitung habe, bin ich doppelt beschäftigt. Ersteht irgendwo eine Schwierigkeit, so rennt man hilfeheischend zu mir, und da meine Entscheidung nicht immer gleich als unumstößliches Orakel geachtet wird, so entstehen aller Augenblicke endlose Erörterungen.
Mein Dasein besteht jetzt darin: immer auf den Beinen zu sein, zwanzig Menschen jederzeit Rede und Antwort zu stehen und den ganzen Tag über nicht eine Minute zum Nachdenken zu kommen. Noch nie bin ich so eifrig beschäftigt gewesen als seit acht Tagen. Dabei nehme ich an all dem Treiben in Wahrheit nur äußerlich teil. Die Erregung bleibt an der Oberfläche. Ein bißchen tiefer schlummern die stillen Wasser. So leicht durchdringt mich das Leben der andern nicht. Gerade darum lebe ich dann am wenigsten, wenn es so aussieht. Tätigkeit lähmt meine eigentliche Existenz. Wenn ich nicht tätig bin, dann denke oder träume ich. Das ist meine Fasson zu leben. Sobald ich aus meiner Porzellanpagodenruhe aufgescheucht werde, höre ich auf, ich zu sein.
Bis jetzt habe ich noch nichts geleistet. Ich weiß auch nicht, ob ich je noch etwas leisten werde. Ich bin nicht Herr meiner Phantasie. In mir gärt es und kämpft es fortwährend, aber ich bin nicht imstande, diesen Springquell, der vom Herzen zum Hirn treibt, zu meistern. All diese Kraft geht verloren. Es ist nicht Armut, wenn ich nichts schaffe, sondern Überfülle. Ich verstehe die Kunst nicht, in der Gegenwart zu leben, weder als Künstler noch als Liebender. Meine Visionen kristallisieren sich erst, wenn sie mich nicht mehr voll beherrschen. Und eine Frau durchdringt mich nur, wenn sie mir entrückt ist oder wenn ich eine andere bei mir habe. Ich bin stark gleichsam nur aus der Erinnerung heraus.
Heute war die Hauptprobe. Noch nie in meinem Leben bin ich so aufgeregt gewesen. Nicht etwa aus Lampenfieber, sondern aus einem ganz andern Grunde.
Wir waren kostümiert. Alles war bereit. Nur Theodor fehlte noch. Wir schickten nach ihm. Er ließ uns sagen, daß er fertig sei und sofort erscheinen werde.
Er kam. Ich vernahm seinen Schritt schon von weitem, obgleich er doch einen so federleichten Gang hat. Meine Vorliebe für ihn ist so stark, daß mir die unsichtbaren Schwingungen seiner Bewegungen durch Wände hindurch zum Bewußtsein kommen. Bei seinem Nahen bekam ich Herzklopfen. Mir war zumute, als sollte sich in meinem Leben etwas Wichtiges entscheiden, als sei ein langersehnter Augenblick im Anzuge.
Endlich erschien er.
Allgemeine Bewunderung!
Die Herren klatschten in die Hände; die Damen wurden rot. Nur Rosette ward totenblaß. Sie schwankte und mußte sich an die Wand lehnen. Eine plötzliche Offenbarung hatte sie ergriffen. Ich habe immer schon den Argwohn, daß sie Theodor liebt. Zweifellos stand sie im Augenblick unter dem Eindruck, die Pseudo-Rosalinde sei wirklich und wahrhaftig ein schönes junges Weib. Mit einem Schlag stürzte das Kartenhaus ihrer Liebessehnsucht in sich zusammen, während sich meines zu schwindelnder Höhe türmte.
Das bedachte ich im Augenblick. Vielleicht täuschte ich mich auch, denn ich war nicht gerade in der Verfassung, gründliche Seelenstudien anzustellen.
Außer Rosette waren drei oder vier hübsche Frauen zugegen. Neben der Sonne erblichen diese Sterne. An Rosalindens Seite sahen alle andern kaum noch leidlich hübsch aus, fast häßlich. Keine reizte mehr die männliche Begehrlichkeit.
Mein Traumbild stand endlich greifbar und lebendig vor mir; nicht mehr in trügerischer Dämmerung, sondern im hellsten Lichte der Gegenwart. Seligkeit durchströmte mich. Mir war, als wäre mein Herz von Bergeslast befreit. Ich fühlte mich frei aller Qual. Ich kam mir nicht mehr ungeheuerlich vor. Ein paar Augenblicke blieb Theodor oder vielmehr Rosalinde – es dünkt mich zu dumm, dies Weib für einen Mann gehalten zu haben – auf der Schwelle stehen, damit sich unser Erstaunen legen solle.
Ihr langes braunes, mit Perlenschnüren durchflochtenes Haar fiel in natürlichen Locken über ihre Wangen. Schultern und Hals waren entblößt. Wie aus herrlichstem Marmor. Am liebsten würde ich diese wundervolle Schönheit auf fünfzig Seiten genauestens zu schildern versuchen. Aber die Sprachen der Erde sind von Stümpern erfunden, die niemals den Busen oder den Rücken einer schönen Frau mit Andacht angeschaut haben. Es fehlen die unentbehrlichsten Wörter.
Ich möchte Bildhauer sein. Wenn man solche Schönheit vor sich hat und nicht die Mittel, sie irgendwie wiederzugeben, so wird man wahnsinnig. Ich habe ein Dutzend Gedichte auf Rosalindens Schultern gemacht. Aber das ist nichts. Ich muß etwas schaffen, das ich mit meinen Händen berühren kann. Das Werk muß dem Urbild gleichkommen. Verse sind nur ein Symbol, kein Abbild der Schönheit. Der Maler erreicht schon mehr, aber auch er bringt nur eine Illusion zustande. Die Skulptur allein nähert sich dem Leben. Was sie festhält, ist allseitig, wirft Schatten und läßt sich angreifen. Das Marmorbild einer Geliebten ist beinahe sie selbst. Nur daß es nicht reden kann! Das ist nur ein geringer Fehler.
Rosalindens Kleid schillerte in Blau und Gold. Ihre nackten vollen Arme schimmerten wie poliertes Silber. Als sie eintrat, flog über ihre Wangen flüchtiges Rot. Begeistert fragte man sich, ob das wirklich Theodor von Serannes sei, der kecke Reiter, der tolle Fechter, der unermüdliche Jäger. Man hatte die Empfindung, als habe diese weibliche Erscheinung niemals andre Kleider getragen. Sie war nicht im mindesten unbeholfen in ihren Bewegungen. Es gab kein Sichverwickeln der Schleppe. Kein linkisches Fächerspiel. Keine unweibliche Koketterie. Die Darstellung war vollkommen. Es war ein wirkliches Weib, was man vor sich sah.
In der letzten Zeit war ich tiefer Mutlosigkeit verfallen gewesen. Ich hatte mich mit einem Gemisch von Staunen, Neugier und Abscheu betrachtet. Und vor allem erfaßte mich Schaudern, wenn ich daran dachte, daß ich noch niemals geliebt und daß die erste Liebeswallung, die erste Blüte meines Liebeslenzes dieser Art sein sollte. Waren meine zarten zärtlichen Träumereien von einer ungeheuerlichen Leidenschaft verdrängt? Hatte sich der Träumer, der auf den goldnen Pfaden des abendlichen Parkes dahinzuwandeln liebte, in ein frivoles Rätselwesen gewandelt? Das vermochte ich nicht zu glauben. Es wäre mein Tod gewesen. Meine Visionen sind meine Welt. Ohne diese Funken der Ewigkeit bin ich lebloser als eine ägyptische Mumie. In den Stunden, da ich in Theodor am verliebtesten war, warf ich mich in Rosettens Arme, voll Grauen und Widerwillen. Ich wollte sie zwischen mich und ihn stellen. Wenn ich neben ihr lag, beruhigte mich die Empfindung ihrer greifbaren Weiblichkeit. Ich liebe sie nicht mehr, aber sie mich doch noch genug, als daß unser Beisammensein etwas Unnatürliches gewesen wäre. Trotzdem spürte ich dabei schmerzliche Reue darüber, daß ich dem Ideal meiner unmöglichen Passion untreu war. Ich grollte mir ob meines Verrats. Ich wußte, daß meine Liebe niemals befriedigt werden könne, und doch war ich unzufrieden mit mir. Und kalt lag ich neben Rosette.
Die Aufführung ist besser ausgefallen, als ich erwartet hatte. Ganz besonders trefflich war Theodors Leistung. Auch mein Spiel hat Lob gefunden, aber keineswegs, weil ich die Fähigkeiten hätte, die ein guter Schauspieler haben muß. Bewahre! In jeder anderen Rolle würde ich versagen. Ein sonderbarer Zufall fügte es, daß meine Rolle dermaßen meiner jetzigen Lebenslage entsprach, daß ich wähnte, eigene, nicht einstudierte Worte zu sprechen. Hätte mich mein Gedächtnis stellenweise im Stich gelassen, so hätte ich gewiß rasch das Fehlende aus dem Stegreif gesagt. Ich war Orlando, spielte ihn nicht bloß.
In der Kampfszene, wo Rosalinde ihre Kette vom Halse nimmt und Orlando reicht, da sah sie mich sehnsüchtig und verheißungsvoll an, und ihre Worte klangen ganz eigentümlich: »Tapfrer Held, tragt dies zur Erinnerung an mich, an eine vom Glück Verstoßene, die gern mehr gäbe, wenn sie euch mehr geben könnte!« Ich ward ganz verwirrt und vermochte kaum fortzufahren.
Vielleicht habe ich mich getäuscht und etwas zu sehen vermeint, was in Wirklichkeit nicht bestand. Es war mir aber, als fühle Theodor meine Liebe, obgleich ich mit ihm nie davon gesprochen, als spiele er unter der Maske des Dichtwerks und seiner Bühnengestalt auf sein wahres Geschlecht und auf unsre beiderseitigen Beziehungen an. Eine so kluge und weltgewandte Frau muß mich und mein Herz vom ersten Augenblick an durchschaut haben. So dicht war der Schleier der Freundschaft nicht, den ich über meine Liebe gebreitet.
Zweifellos liegt für die schöne Frau ein wichtiger, mir unerforschbarer Grund vor, die verwünschte Verkleidung zu tragen. Wie anders wäre alles ohne dies! Längst hätte ich diese kleine weiche Hand meiner Göttin in der meinen. Ich führte das glücklichste Leben der Welt, immer im seligen Bewußtsein, zu lieben. Aber die Götter gönnen mir das nicht.
Ich habe mich in eine Amazone in Reithosen und hohen Stiefeln verliebt, in eine hochmütige Bradamante, die ihres Geschlechts Tracht verachtet. Gesicht und Leib hat sie weiblich, unleugbar aber Mannes Sinn und Art. Sie führt den Degen auf das vorzüglichste. Wer weiß, wie viele Duelle sie schon ausgefochten, wie viel Männer sie verwundet oder getötet hat! Über die breitesten Gräben springt sie mit ihrem Gaul, und auf der Hetzjagd versteht sie ihre Sache wie ein alter Landedelmann. Seltsame Fähigkeiten für eine Geliebte! Derlei kann auch nur mir widerfahren!
Ich lache, obgleich mir eigentlich durchaus nicht so zumute ist. Denn nie war mir so weh ums Herz. Und wie langsam die Zeit dahinschleicht! Die letzten beiden Monate kommen mir wie zwei Jahre vor, ach, wie zwei Jahrhunderte! Die Ungewißheit macht mich krank.
Niemand, nicht einmal Rosette, die doch schon aus eigenem Anteil über mein Inneres einigermaßen Bescheid wissen sollte, weiß etwas von meinem Zustande. Wahrscheinlich lebt auch sie viel zu sehr in Gedanken, die Theodor gelten, und so ist ihr die Erkaltung meiner Gefühle entgangen. Sonst müßte ich mich für einen Meister der Verstellungskunst halten. So anmaßend bin ich nicht.
Theodor hat sich bis zum heutigen Tage nicht anmerken lassen, daß er weiß, was heimlich in mir vorgeht. Er spricht immer freimütig und freundlich mit mir, just wie ein wohlerzogener junger Herr. Wir unterhalten uns gleichmütig über alles mögliche im Gebiete der Kunst, über Literatur und anderes mehr. In keinem Punkte wird dabei unser Innenleben berührt.
Vielleicht erledigen sich die Gründe, die Anlaß zu ihrer Verkleidung gegeben haben. Vielleicht verschwindet dann die Männertracht. Ich weiß es nicht. Sicher aber weiß ich, daß Rosalinde etliche Worte ihrer Rolle mit ganz besonderer Betonung gesprochen hat, sodaß sie doppeldeutig wurden.
In der Szene des Stelldicheins war sie unvergleichlich und zwar vom ersten Augenblick an, wo sie Orlando vorwirft, daß er nicht zwei Stunden zu früh gekommen sei, wie es einem rechten Liebenden gezieme, sondern zwei Stunden zu spät, – bis zu dem Moment, wo sie sich, über die Tiefe ihrer Liebe zu Tod erschrocken, in Clelias Arme wirft und schmerzerfüllt ausruft: »Ach, liebste Muhme, wenn du wüßtest, in welchen Abgrund mich die Liebe geschleudert hat!«
Wieviel Schwermut, Zärtlichkeit und Liebe drangen aus diesen Worten! Ihre Stimme zitterte.
Ich habe bisher vergessen zu erwähnen, daß Rosette, nachdem sie die Rosalinden-Rolle von sich gewiesen, gutmütig die Nebenrolle der Phöbe übernommen und gespielt hat. Phöbe ist eine Schäferin in den Ardennen. Silvius, der Schäfer, ist sterblich in sie verliebt, aber sie kann ihn nicht ausstehen, und deshalb behandelt sie ihn schlecht. Sie ist kühl wie Frau Luna, deren Namen sie trägt. Kaum aber hat sie Rosalinden gesehen, die in Verkleidung als der schöne Knabe Ganymed erscheint, so schmilzt das Eis ihres Herzens. Jetzt liebt die hochmütige Phöbe, die aller Liebe spottete, selber. Jetzt erleidet sie die Qualen, die sie ehedem andern zugefügt. Ihr Stolz sinkt soweit zu Demut herab, daß sie Rosalinden durch den armen Silvius einen leidenschaftlichen Brief schickt, der das Geständnis ihrer Liebe in flehentlichen Ausdrücken enthält. Rosalinde aber fühlt Mitleid für Silvius. Zudem hat sie Grund genug, Phöbes Liebe nicht zu erwidern. Nun ist sie grausam gegen Phöbe und macht sich über sie lustig. Trotzdem zieht die Verschmähte diesen Schimpf den verliebtesten Versen ihres unglücklichen Verehrers vor. Sie folgt dem schönen Fremdling überall hin und bedrängt ihn so lange, bis er verspricht, sie solle seine Frau werden, wenn er je ein Weib heirate. Inzwischen solle sie ihren Silvius gut behandeln und sich nicht allzuviel Hoffnungen machen.
Rosette spielte ihre Rolle voll Innigkeit, Schwermut und Grazie. Ihre Resignation ging mir zu Herzen. Bei Rosalindens Worten: »Ich wollte dich lieben, wenn ich könnte!« war sie dem Weinen nahe. Nur mit Mühe vermochte sie sich zu beherrschen. Phöbes Schicksal ist ja ebenso das ihre, wie Orlandos Geschick das meine ist. Es besteht nur der Unterschied, daß für Orlando alles glücklich endet, und daß Phöbe, in ihrer Liebe zu ihrem Idol getäuscht, zuguterletzt doch ihren Silvius heiratet. So ist es im Leben. Was des einen Glück, das ist des andern Mißgeschick. Mein Glück, daß Rosalinde in Wirklichkeit doch ein Weib ist, das ist Rosettens Unglück. Sie steht jetzt vor der nämlichen Unmöglichkeit, die mich bisher gequält.
Das Stück hat uns drei auf das lebhafteste beschäftigt. Den Zuschauern verborgen, lag, nur für uns sichtbar, eine Komödie in der Komödie, die unser Leben symbolisierte und uns unsre heimlichsten Wünsche aussprechen ließ.
Ich habe zwar bestimmte Vermutungen, aber durchaus keine Beweise dafür, daß Theodor ein Weib ist. Diesen ungewissen Zustand halte ich nicht länger mehr aus. Ich muß mich mit ihm aussprechen.
Schon ein dutzendmal bin ich mit einer wohlvorbereiteten Rede auf der Zunge auf Theodor zugeschritten, aber ich vermag meinen Vorsatz nicht auszuführen. Ich habe keinen Mut. An Gelegenheiten, mit ihm ungestört zu reden, fehlt es nicht. Wir gehen ja täglich zusammen im Park spazieren. Aber ich lasse sie immer wieder unausgenützt verstreichen. Hinterher ärgere ich mich darüber bis zur Wut gegen mich selber. Ich bringe es einfach nicht fertig, das zu sagen, was ich will. Statt meine Liebe zu beichten, halte ich Vorträge über Regenwetter und Sonnenschein und tausend dumme Dinge. Dabei vergeht die Zeit des Landaufenthalts. Sehr bald wird man allgemein in die Stadt zurückkehren. Dann bieten sich nicht gleich wieder so günstige Gelegenheiten. Wer weiß, ob uns der Strom des Lebens nicht in zwei ganz verschiedenen Richtungen voneinander treibt.
Das Landleben ist entzückend!
Der Herbst hat die Bäume zwar schon ein wenig entblättert. Trotzdem spenden sie dem Traume meiner jungen Liebe den köstlichsten Schatten. In solch wunderschöner Landschaft muß man erliebt sinnen! Die Vögel jubilieren, die Blumen durchduften die Luft, und auf den Hügeln schläft der sonnengoldne Rasen. Die Einsamkeit spielt mit Sehnsucht und Melancholie.
So war es noch gestern. Heute ist es wahrhaft herbstlich. In der Frühe habe ich einen Spaziergang gemacht. Die Luft war mild, aber am perlgrauen schläfrigen Himmel ließ sich nicht ein einziges Fleckchen Blau sehen. Ein paar kleine weiße flockige Wolken krochen langsam hinter der im Dunst verlorenen Höhe am Horizonte hervor. Ein leiser müder Wind, kaum stark genug, die Wipfel der Zitterpappeln zu bewegen, schob sie heraus. An den großen Kastanienbäumen, dort, wo der Fluß rinnt, den man von meinem Wege nicht sah, hingen langgezogene graue Nebelschleier.
Über den Wiesen dampfte es, und die blassen Weiden dahinter sahen kaum wie Bäume aus, eher wie Gespenster. Ein feines Spinnengewebe deckte alle festen Umrisse zu. Es gab keine bestimmbaren Entfernungen mehr.
Während ich hinwandelte, kam ich mir selber herbstlich öde und verlassen vor. Der Blick auf die sterbende Landschaft erschütterte mich. Ach nein, noch keinen Herbst in die Seele lassen!
Wieder in meinem Zimmer, stand mein Entschluß fest. Zu reden vermag ich nicht. Also muß ich mein Schicksal einem Bogen Papier anvertrauen!
Wohl ist es lächerlich, jemandem zu schreiben, mit dem man unter ein und demselben Dache wohnt, mit dem man täglich, stündlich zusammen sein kann. Was liegt mir daran, ob etwas lächerlich ist oder nicht!
Ich habe den fertigen Brief versiegelt – mit zitternder Hand. Dann habe ich den Augenblick erlauert, da Theodor sein Zimmer verließ, und habe mein Schreiben mitten auf seinen Tisch gelegt. Mir war zumute, als beginge ich eine Greueltat.