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4. Kapitel.
Die Schlacht von Calatafimi (15. Mai 1860)

Der frühe Morgen des 15. Mai fand uns in guter Ordnung auf den Höhen von Vita. Kurz darauf ging der Feind, dessen Aufenthalt in Calatafimi mir schon gemeldet war, in Schlachtordnung aus der Stadt in der Richtung auf uns vor. – Den Hügeln von Vita gegenüber erheben sich die Höhen der »Klage der Römer«, wo der Feind seine Truppen entfaltete. Nach der Seite von Calatafimi fallen diese Höhen sanft ab; der Feind erstieg sie daher ohne Schwierigkeit und besetzte alle Gipfel, die andererseits nach Vita hin in fürchterlicher Schroffheit abstürzen. Als wir nun die Höhen südlich vom Feinde besetzten, war ich imstande, die von den Bourbonischen eingenommenen Stellungen genau zu erkennen, während jene nur eben unsere Schützenlinie erblicken konnten, die, aus den genuesischen Schützen unter dem Befehl von Mosto gebildet, unsere Front deckten, während die übrigen Kompagnien wohlgeschützt in Echelons aufgelöst dahinter lagen. Unsere armselige Artillerie war zu unserer Linken auf der Hauptstraße aufgestellt unter dem Befehl von Orsini; sie brachte übrigens trotz ihrer Geringfügigkeit einige gute Schüsse an. So nahmen also sowohl wir wie die Feinde sehr starke Stellungen einander gegenüber ein, getrennt durch ein ausgedehntes Terrain, das von einer etwas gewellten Ebene eingenommen wurde und einige wenige ländliche Ansiedlungen trug. Das Vorteilhafteste war unter diesen Umständen, den Feind in der eigenen Stellung zu erwarten. Die Bourbonischen nun, die etwa 2000 Mann zählten und über mehrere Geschütze verfügten, schickten, da sie auf unserer Seite nur wenige Leute ohne Uniform und mit Bauern untermischt wahrnahmen, kühn einige Schützenzüge mit entsprechendem Rückhalt und 2 Geschützen vor. Als diese bis auf Schußweite herangekommen waren, eröffneten sie aus Kanonen und Gewehren das Feuer, fuhren aber gleichwohl fort, sich uns zu nähern. – Auf unserer Seite war Befehl gegeben, nicht zu feuern, bis die Feinde ganz in der Nähe wären, obschon bereits die hochgemuten Ligurer einen Toten und mehrere Verwundete hatten. Ein Hornsignal, eine amerikanische Reveille blasend, brachte, wie durch einen Zauber, den Feind zum Stillstand. Er hatte erkannt, daß er es mit anderen als nur mit den verachteten Picciotti zu tun hatte, und in seinen Reihen mit den Geschützen hob eine rückläufige Bewegung an: es war dies das erstemal, daß die Soldaten des Despotismus beim Anblick der »Flibustier« »Eine Bezeichnung, mit der uns unsere Feinde ehrten«, erläutert Garibaldi. von Schrecken ergriffen wurden.

Jetzt begannen die Tausend den Angriff, voran die genuesischen Schützen, mit ihnen aber eine erlesene Schar von Jünglingen, die ungeduldig waren, an den Feind zu gelangen. Der Zweck des Vorstoßes war, die feindliche Vorhut in die Flucht zu schlagen und die beiden Kanonen fortzunehmen, und dies wurde mit einem Eifer ausgeführt, der der Kämpen für die Freiheit Italiens würdig war. Keineswegs aber war es unsere Absicht, die von den Bourbonischen mit starken Streitkräften besetzte furchterregende Stellung in der Front anzugreifen. Allein wer vermochte jene feurigen, hochgemuten Freiwilligen aufzuhalten, nachdem sie sich einmal auf den Feind gestürzt hatten? Vergebens bliesen die Hörner das Haltsignal, die Unsrigen hörten es nicht und verfuhren wie Nelson in der Schlacht bei Kopenhagen. Hier erläutert Garibaldi: »In der Schlacht von Kopenhagen signalisierte der Höchstkommandierende auf englischer Seite, Admiral Parker, Nelson, der im Kampfe engagiert war, zurückzugehen. Von seinen Offizieren auf die Signale aufmerksam gemacht, setzte Nelson sein Fernglas vor das Auge, auf dem er blind war, und sagte: Ich sehe nichts! Die Schlacht ging weiter und er errang den Sieg.« Die Unsrigen hatten also dem Haltsignal gegenüber taube Ohren und setzten mit gefälltem Bajonett der feindlichen Vorhut nach, bis diese von dem Gros aufgenommen wurde. – Jetzt war keine Zeit zu verlieren, sonst wäre jene hochgemute Schar dem Untergang geweiht gewesen. Ich ließ also sofort zum Hauptangriff blasen: und das ganze Korps der Tausend ging, begleitet von einigen mutvollen Sizilianern und Calabresen, beschleunigten Schrittes vor, um die Vorhut herauszuhauen. Der Feind hatte die Ebene verlassen und sich gänzlich auf die Höhen gezogen, wo seine Reserven standen. Hier hatte er festen Fuß gefaßt und verteidigte seine Stellung mit einer Zähigkeit und Tapferkeit, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre. Der am meisten gefährdete Teil des offenen Geländes, das wir durcheilen mußten, war jene gewellte Ebene, die uns vom Feinde trennte. Hier regnete es Geschosse aus den Kanonen der schweren Artillerie wie aus den Gewehren, und ein beträchtlicher Teil meiner Leute wurde verwundet. Als wir dann aber den Fuß des Römerberges erreicht hatten, fanden wir uns vor den Belästigungen der Feinde nahezu geschützt. An dieser Stelle nun vereinigten sich die an Zahl schon etwas verminderten Tausend mit ihrer Vorhut

Die Lage war kritisch: wir mußten siegen! Mit diesem festen Entschluß begannen wir unter einem Hagel von Geschossen die erste Stufe des Berges zu ersteigen. Ich weiß nicht mehr die Zahl, aber es waren sicherlich mehrere Stufen zu überwinden, ehe man den Gipfel der Höhen erreichte, und jedesmal, wenn wir von einem Absatz zum folgenden emporkletterten, was stets fast ohne jede Deckung geschehen mußte, empfing uns ein mörderisches Feuer. Der Befehl, den ich den Unsrigen gegeben, selten zu feuern, paßte sich der Beschaffenheit der Flinten, mit denen uns die sardinische Regierung beschenkt hatte, aufs beste an, da sie nämlich fast immer versagten. So war es auch bei diesem Anlaß ein sehr bedeutsamer Dienst, den die hochgemuten Söhne Genuas uns leisteten, da sie, mit ihren vortrefflichen Karabinern ausgestattet und im Schießen ausgebildet, die Ehre unserer Waffen aufrechterhielten. Das möge der italienischen Jugend den Antrieb geben, sich in den Waffen zu üben; auf den heutigen Schlachtfeldern, das möge sie sich gesagt sein lassen, genügt der persönliche Mut allein nicht, man muß im Gebrauch der Waffen geübt sein, und zwar im höchsten Maße.

Calatafimi! Wenn ich, der Überlebende aus 100 Schlachten, in meinen letzten Zügen liege und meine Freunde zum letzten Male ein Lächeln des Stolzes auf meinem Antlitz wahrnehmen, dann wird es die Erinnerung an dich sein, die dieses Lächeln hervorbringt, denn ich erinnere mich keiner Schlacht, die ruhmvoller gewesen wäre. Die Tausend, die noch ihr bürgerliches Gewand trugen, wahre Vertreter des Volks, stürmten mit heldenmütiger Todesverachtung von einer festen Stellung zur anderen gegen die Söldner der Tyrannis an, die in buntgesäumten Uniformen mit Tressen und Achselstücken strahlten, und warfen sie in die Flucht. Wie kann ich des Häufleins Jünglinge vergessen, die, in der Besorgnis, ich könne verwundet werden, mich umgaben, sich eng aneinander drängten und dergestalt mit ihren kostbaren Leibern einen undurchdringlichen Wall um mich bildeten? Wenn ich bei der Erinnerung hieran bewegten Herzens schreibe, so ist das wohl begreiflich, und ist es etwa nicht meine Pflicht, Italien wenigstens die Namen seiner tapferen Söhne, die damals den Heldentod gefunden haben, zu überliefern: die Montanari, Schiaffino, Sertorio, Nullo, Vigo, Tükery, Taddei neben vielen anderen, deren Namen ich mich zu meinem Schmerz nicht mehr erinnere?

Wie ich schon erzählt habe, war der südliche Abhang des Römerberges, den wir erstürmen mußten, aus Terrassen gebildet, die in jenen Berggegenden von den Ackerbauern benutzt werden. Wir suchten stets, indem wir den Feind vor uns her trieben, rasch unter den Überhang dieser Terrassen zu gelangen und machten dann dort Halt, um, von dem Überhang gedeckt, Atem zu schöpfen und uns zum Angriff auf die nächste Terrasse vorzubereiten. Indem wir so vorgingen, eroberten wir eine Terrasse nach der anderen bis zur höchsten Spitze des Berges, wo die Bourbonischen eine letzte Anstrengung machten, indem sie ihre Stellung hier mit großer Unerschrockenheit verteidigten, in dem Grade, daß manche feindliche Jäger, nachdem sie ihre Munition verbraucht hatten, uns mit Steinen beschossen. Endlich schritten wir zum entscheidenden Angriff. Die tapfersten der Tausend schlossen sich unter dem letzten Überhang eng zusammen, maßen mit den Augen den Raum ab, den sie noch zu durchlaufen hatten, um mit dem Feinde die Säbel kreuzen zu können, holten Atem und stürzten dann vorwärts wie Löwen in der Gewißheit des Sieges der heiligen Sache, für die sie stritten. Die Bourbonischen hielten den fürchterlichen Ansturm der mannhaften Kämpen der Freiheit nicht aus; sie ergriffen die Flucht und machten erst in der Stadt Calatafimi, die mehrere Miglien vom Schlachtfelde entfernt ist, wieder Halt. Wir stellten erst in geringer Entfernung vor dem Eintritt in die Stadt, die eine sehr starke Lage hat, die Verfolgung ein. Wenn man kämpft, muß man siegen! Dieser Grundsatz ist unter allen Umständen richtig, besonders aber zu Beginn eines Feldzuges.

Der Sieg von Calatafimi, der in Ansehung dessen, was wir dadurch eroberten – nämlich eine Kanone, wenige Gewehre und wenige Gefangene – unbedeutend erschien, war, was den Eindruck anlangt, den er hervorbrachte, dennoch von unermeßlicher Wichtigkeit, indem er die Bevölkerung ermutigte und die feindlichen Truppen demoralisierte. Das Häuflein Flibustier ohne Tressen und Achselstücke, von dem man bis dahin mit äußerster Verachtung sprach, hatte mehrere Tausende bourbonischer Kerntruppen geschlagen, die mit Artillerie und allem Bedarf ausgerüstet und von einem General befehligt waren, aus der Zahl derer, die wie Lukullus in einer Mahlzeit den Ertrag einer ganzen Provinz verzehren. Eine Schar von Bürgern, seien es auch Flibustier, können also, wenn sie nur von Liebe zum Vaterlande beseelt sind, doch siegen, ohne daß sie goldener Tressen und dergleichen bedürfen!

Das erste wichtige Ergebnis war der Rückzug des Feindes aus Calatafimi, das wir am folgenden Morgen, den 16. Mai 1860, einnahmen. Das zweite sehr beachtenswerte Ergebnis war die Erhebung der Einwohner von Partinico, Borgetto, Montelepre Ortschaften zwischen Calatafimi und Palermo. und anderer gegen den zurückweichenden Feind. Überall bildeten sich ferner bewaffnete Abteilungen, die sich mit uns vereinigten, und die Begeisterung in der ganzen Umgegend stieg zum Gipfel. Der aufgelöste Feind aber machte erst in Palermo wieder Halt, und hier brachte er das Entsetzen in die Reihen der Bourbonischen und Zuversicht in die der Patrioten.

Unsere und die feindlichen Verwundeten wurden in Vita und Calatafimi aufgenommen. Wir zählten in unseren Reihen sehr kostbare Verluste. Montanari, mein Gefährte in Rom und der Lombardei, war schwer verwundet worden und starb nach wenigen Tagen. Er war einer von denen, die die Theoretiker Demagogen nennen, weil sie die Knechtschaft nicht ertragen, ihr Vaterland lieben und ihr Knie nicht den Launen der Großen huldigend beugen. Montanari war aus Modena. Schiaffino ferner, ein junger Ligurier aus Camogli, der ebenfalls den Alpenjägern und ihren Führern angehört hatte, fiel in der Schlacht unter den ersten, indem er Italien eines seiner besten und tapfersten Streiter beraubte. Er war in der Nacht unserer Abreise aus Genua besonders tätig und half Bixio bei dieser bedeutungsvollen und schwierigen Unternehmung. Auch De Amici, ebenfalls einer der Anführer der Alpenjäger, fand, tapfer kämpfend, unter den ersten auf dem Schlachtfelde seinen Tod. – Nicht wenige aus der erlesenen Schar der Tausend fielen bei Calatafimi, gleichwie unsere Vorfahren, die Römer, fielen, indem sie ihre Feinde mit dem Schwerte angriffen, in der Brust getroffen ohne einen Klagelaut, ohne einen Schrei, es sei denn der Ruf: »Es lebe Italien!« Ich habe Schlachten erlebt, die vielleicht noch erbitterter und verzweifelter waren – aber in keiner habe ich prächtigere Streiter gesehen, als es meine bürgerlichen Flibustier bei Calatafimi waren.

Der Sieg von Calatafimi war unbestritten für den glänzenden Verlauf des Feldzuges von 1860 entscheidend. Es war schlechterdings nötig, daß die Expedition mit einer Aufsehen erregenden Waffentat beginne. Diese demoralisierte die Gegner, die dann aus ihrer glühenden südlichen Einbildungskraft heraus Wunder von der Tapferkeit der Tausend berichteten. Unter anderem wollten sie gesehen haben, daß die Kugeln aus ihren Karabinern von der Brust der Freiheitskämpfer absprangen wie von einer Steinplatte. – Palermo, Milazzo, der Volturno sahen ebenfalls viele Verwundete und viele Leichen; aber meiner Ansicht nach war die eigentlich entscheidende Schlacht die von Calatafimi. Nach einem Kampfe, wie dieser gewesen war, waren die Unsrigen gewiß, daß sie siegen würden, und die hochgemuten Sizilianer, die bis dahin von der Wucht der bourbonischen Rüstungen und der großen Zahl ihrer Truppen in Zaum gehalten worden waren, wurden befreit. Wenn man eine Schlacht mit diesem Ausblick, mit dieser Verheißung beginnt, dann siegt man. – Novara, Custozza, Lissa Die bekannten Niederlagen der Italiener 1859 und 1866. und vielleicht Mentana Über Mentana vgl. unten das 8. Kapitel des 4. Teils. waren trotz der so großen Ungleichheit der Kräfte und Mittel ein Unglück für Italien, nicht sowohl wegen unserer Verluste an Leuten und Kriegsbedarf, als wegen der Überhebung, die unserer Feinde sich bemächtigte, die doch sicherlich nicht mehr wert sind als die Italiener, die aber, falls sie uns noch einmal bekämpfen sollten, sich auf uns wie auf eine leichte Beute stürzen werden, wie auf Leute, die man mit dem Kolben vorwärts stoßen muß.

Für die künftigen entscheidenden Proben wird Italien eines Fabius bedürfen, der, wenn es not tut, zu zügeln verstehe. Unser Land ist so beschaffen, daß man den Krieg nach Belieben führen, eine Schlacht annehmen oder ausschlagen kann. Wenn aber Stellung und Umstände günstig sind, dann soll man die Italiener, die ungeduldig geworden sein und die Schlacht herbeisehnen werden, und die glücklicherweise hohen Schwunges fähig sind, zum Angriff vorschicken. Dann wird ein zweites Zama kommen, wo ein Scipio, ohne nach der Zahl der Feinde zu fragen, diese aufsuchen und in die Flucht schlagen wird. Auch hier aber beunruhigt mich der Gedanke an den Priester, der aus den Italienern lauter Sakristane machen möchte. Wenn Italien sich nicht vorsieht, so ist dies eine bedenkliche Sache. Die Jesuiten können lediglich Heuchler, Lügner und Feiglinge züchten. Das bedenke der, den es angeht, und sei vor allem eingedenk, daß man, um zu marschieren und das Bajonett gut zu führen, starker Männer bedarf!


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