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Meine wackere Anita Anita war von Garibaldi bei seiner Mutter in Nizza zurückgelassen worden, hatte es aber auf die Dauer nicht ausgehalten, von ihm getrennt zu bleiben, und sich daher nach Rom aufgemacht, an dessen Verteidigung sie wacker teilnahm. Die Vorgänge bei der Verteidigung von Rom sind eingehend in dem Werke eines Augenzeugen und Teilnehmers der Ereignisse, des Deutschen Gustav Hoffstetter »Garibaldi in Rom, Tagebuch aus Italien 1849« (Zürich 1860), geschildert. hatte ungeachtet aller meiner Versuche, sie zum Bleiben zu bewegen, sich entschlossen, mit mir zu ziehen. Die Erwägung, daß ich einem entsetzlichen Dasein voll von Beschwerden, Entbehrungen und Gefahren inmitten unzähliger Feinde entgegenging, hatte auf die mutvolle Frau nur anspornend gewirkt, und ebenso machte ich vergebens geltend, daß sie sich im Zustande der Schwangerschaft befinde. – In dem ersten besten Hause, das wir auf unserem Marsche erreichten, ließ sie sich von einer Frau die Haare abschneiden, legte männliche Tracht an und stieg zu Pferde. Ich aber gab, nachdem ich von der Höhe der Mauern aus Umschau gehalten, um zu sehen, ob eine feindliche Abteilung auf der Straße, die wir einschlagen mußten, sich aufhalte, den Befehl, den Marsch nach Tivoli anzutreten, bereit, es mit jedem Feinde aufzunehmen, der sich uns in den Weg stellte. Der Marsch erfolgte denn auch ohne Hindernis, und am Morgen des 3. Juli erreichten wir Tivoli. Hier gedachte ich, so gut wie es ging, die verschiedenen Bruchstücke von Truppenkörpern, die meine kleine Schar bildeten, zu ordnen.
Bis dahin ging die Unternehmung nicht eben schlecht. Allerdings fehlten mir meine besten Offiziere, die der Mehrzahl nach tot oder verwundet waren: Masina, Daverio, Manara, Mameli, Bixio, Peralta, Montaldi, Ramorino und viele andere; doch verblieben mir noch einige, wie Marrocchetti, Sacchi, Cenni, Coccelli, Isnardi, und wäre nicht die Stimmung der Truppe, Offiziere wie Gemeinen, eine gedrückte gewesen, so würde ich lange Zeit hindurch einen rühmlichen Krieg haben unterhalten und der Bevölkerung Italiens, nachdem sie von der Überraschung und Niedergeschlagenheit wieder zu sich selbst gekommen, Gelegenheit darbieten können, das Joch der fremden Räuber abzuschütteln. Aber unglücklicherweise war der Verlauf ein ganz anderer.
Ich wurde bald gewahr, daß wenig Neigung vorhanden war, die ruhmvolle und großartige Unternehmung, die das Schicksal uns vorbehalten zu haben schien, fortzuführen. Denn als ich nun von Tivoli aufgebrochen und nordwärts vorgedrungen war, um mich in die Mitte der kraftvollen Bewohner jener Gegenden zu werfen und ihre Vaterlandsliebe wachzurufen, da gelang es mir nicht nur nicht, auch nur einen einzigen Mann zum Anschluß an uns zu bewegen, sondern in jeder Nacht – als ob sie das Bedürfnis empfänden, die schimpfliche Tat mit schwarzer Dunkelheit zu bedecken – desertierten einige von denen, die mir von Rom her gefolgt waren.
Wenn ich bei mir die Standhaftigkeit und Selbstverleugnung jener Amerikaner, in deren Mitte ich gelebt hatte, die auf jede Bequemlichkeit des Lebens verzichteten, mit jeder Art von Nahrung vorliebnahmen, oft auch überhaupt nichts hatten, um sich genügend zu ernähren, und dennoch in den Wüsten und Urwäldern viele Jahre hindurch standhielten und den Krieg lieber bis aufs Messer fortführten, als daß sie das Knie vor dem Übermut eines Gewaltherrn oder eines Fremden gebeugt hätten; wenn ich (sage ich) diese kraftvollen Söhne des Kolumbus mit jenen meinen unkriegerischen, verweichlichten Landsleuten verglich, dann schämte ich mich, zu diesen entarteten Enkeln der größten Nation zu gehören, die sich unfähig zeigten, auch nur einen Monat ohne die im bürgerlichen Leben gewohnten drei täglichen Mahlzeiten im Felde auszuharren.
Andererseits stieß in Terni der hochgemute Oberst Forbes zu uns, ein Engländer, der für die italienische Sache begeistert war wie nur einer von uns, ein mutvoller und ehrenwerter Streiter; er schloß sich uns mit ein paar hundert wohlorganisierter Leute an.
Von Terni aus marschierten wir noch weiter nordwärts, indem wir den Apennin erst auf der einen, dann auf der anderen Seite durchzogen, aber nirgends entsprach die Bevölkerung unserem Aufruf. – Infolge der zahlreichen Desertionen blieben viele Waffen herrenlos. Wir luden sie auf Maultiere, aber deren übermäßig große Anzahl, verbunden mit den Schwierigkeiten der Fortschaffung, zwang uns, die Tiere samt der Munition denjenigen unter den Bewohnern zur Verfügung zu stellen, die uns am zuverlässigsten erschienen, um sie zu verbergen und für den Tag zu verwahren, an dem sie müde sein würden, Schande und Schläge ferner zu ertragen.
In unserer wenig beneidenswerten Lage hatten wir gleichwohl Grund, stolz zu sein. Wir hatten uns aus dem Bereich der Stadt Rom und der französischen Korps gezogen, die uns vergebens ein Stück Weges verfolgt hatten, und fanden uns nun inmitten österreichischer, spanischer und neapolitanischer Abteilungen, von denen letztere aber auch bereits zurückblieben. Die Österreicher aber stellten uns überall nach, da sie ohne Zweifel unsere wenig glänzende Lage kannten und danach lechzten, den Ruhm, den sie im Norden mit geringen Aufwendungen gewonnen hatten, noch zu vermehren, auch auf die Erfolge der Franzosen eifersüchtig waren. Daß unsere Schar täglich mehr zusammenschrumpfte, erfuhren sie aufs genaueste durch die zahlreichen Spione – nämlich Priester, die unermüdlichen Verräter des Landes, das sie zu seinem Unglück duldet! Diese Priester, die über die Bauern und das ganze Landvolk, das gewohnt und geeignet ist, nächtlicherweile die Gegend zu durchspähen, eine unumschränkte Herrschaft ausübten, unterrichteten unsere Feinde eingehend über alles, was bei uns vorging, über die Stellung, in der wir uns befanden, und über jede unserer Bewegungen. Auf der anderen Seite wußte ich wenig von den Feinden, weil der größte Teil der Bewohner demoralisiert und eingeschüchtert war und sich in Gefahr zu bringen besorgte, so daß ich selbst gegen hohen Lohn nicht in der Lage war, Führer zu bekommen. So wurden, während ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, daß Priester mit dem Kruzifix in der Hand die Feinde meines Vaterlandes gegen mich heranführten, wir unsererseits nur von unkundigen Führern geleitet, die Feinde aber vermochten uns stets am Tage aufzufinden, nachdem wir unsere Bewegungen in der Nacht vorgenommen hatten; freilich fanden sie uns in der Regel in starken Stellungen und wagten nicht uns anzugreifen. Immerhin ermüdeten sie uns und leisteten der Desertion in unseren Reihen Vorschub.
Auf diesem Stande blieben die Dinge eine Zeitlang, ohne daß es dem Feinde trotz seiner unermeßlichen Überlegenheit geglückt wäre, uns anzugreifen und unsere kleine Schar zu vernichten, und das beweist aufs neue, wieviel wir zugunsten unseres Vaterlandes hätten ausrichten können, wenn wir, statt die Priester und infolge davon die Bauern zu Feinden der Sache der Nation zu haben, sie uns günstig gesinnt gefunden hätten und imstande gewesen wären die Vaterlandsliebe aller gegen die fremden, räuberischen Zwingherren in Harnisch zu bringen. Hielten wir doch Truppenkörper wie jene Österreicher, die damals mit dem frischen Lorbeer von Novara In der Schlacht bei Novara vom 23. März 1849 wurden die Piemontesen unter König Carl Albert, die aufs neue die Offensive ergriffen hatten, von den Österreichern entscheidend besiegt. geschmückt waren und allein durch ihr Erscheinen den ganzen nördlichen Teil der Halbinsel zurückerobert hatten, auch uns an Zahl weit überlegen waren, in Schach, ohne daß sie gewagt hätten uns anzugreifen ...
Angesichts der Entmutigung der städtischen Bevölkerung und der offen feindlichen Haltung des, wie gesagt, in den Händen der Priester befindlichen Landvolks wurde unsere Lage kritisch, und wir bekamen bald die Wirkungen der in allen Provinzen Italiens wieder auflebenden Reaktion zu fühlen. – Ich war gezwungen, jede Nacht die Stellung zu wechseln, denn natürlicherweise schlossen sich, wenn ich länger als einen Tag in der gleichen Stellung verblieb, die von allem genau unterrichteten Feinde um mich zusammen und erschwerten mir meine Bewegungen. Und ich vermochte nicht einen einzigen Führer zu erlangen, während die Österreicher deren im Überfluß hatten. Das mögen sich die Italiener gesagt sein lassen, die in die Messe gehen und vor jenem schwarzen Volke der Mistkäfer ihre Beichte ablegen.
Die Folge war denn, daß Bedeutendes sich bis San Marino kaum ereignete; nur vereinzelt fielen kleine Scharmützel mit den Österreichern vor. – Zwei unserer Reiter, die als Kundschafter ausgesandt waren, wurden von den Bauern des Bischofs von Chiusi ergriffen. Man merke wohl: eines Bischofs; und ich glaube, noch heute im Jahre 1872 hat Chiusi einen Bischof. Ich ersuchte um Auslieferung der Gefangenen, da ich mich keiner Täuschung darüber hingab, in welcher Gefahr jene in den Klauen eines Nachkommen Torquemada's schwebten. Man verweigerte sie mir. Zur Vergeltung ließ ich sämtliche Mönche eines Klosters an der Spitze meiner Kolonne marschieren und drohte sie zu erschießen; allein der hartherzige Prälat ließ mich wissen, es sei in Italien genug Material vorhanden, Mönche daraus zu machen, und verweigerte hartnäckig die Herausgabe jener Gefangenen. Ich glaube sogar, er wünschte auch den Tod jener seiner Streiter, um sie dann dem dummen unwissenden Volke als heilige Märtyrer vorführen zu können. Ich aber setzte dann die Mönche in Freiheit.
Einen der für mich peinlichsten Umstände auf diesem Rückzug bildeten die Desertionen, zumal der Offiziere, selbst einzelner meiner alten Kriegsgefährten. Die Deserteure aber schweiften dann gruppenweise, jeder Disziplin bar, durch das Land und begingen Gewaltsamkeiten aller Art. Und das waren dann die Leute Garibaldi's! Die Feiglinge, die die heilige Sache ihres Vaterlandes schimpflich preisgaben, sanken dann natürlicherweise zu Landstreichern herab, die schändliche und grausame Missetaten an den Bewohnern verübten. Das schmerzte mich im innersten Herzen und machte unsere schon bedrängte Lage noch schlechter und kläglicher. Wie konnte ich jenen verbrecherischen Banden Einhalt tun, da ich mich beständig von Feinden umringt sah? Einzelne allerdings, die bei der Tat ertappt wurden, wurden erschossen, doch half das wenig, da die Mehrzahl ohne Strafe davonkam.
Als dergestalt die Lage für uns ganz verzweifelt wurde, suchte ich San Marino San Marino, kleine selbständige Republik in der Nähe des Adriatischen Meeres, südlich von Rimini. zu erreichen. Da ich mich nun der Hauptstadt dieser trefflichen Republik näherte, kam von dort eine Abordnung zu mir, und ich ging, da ich es erfuhr, ihr entgegen, um mich mit ihr zu besprechen. Als ich mich aber mit dieser Abordnung besprach, erschien in unserem Rücken eine österreichische Abteilung und verursachte bei der Nachhut eine so große Verwirrung, daß alles flüchtete, ohne doch großenteils den Feind auch nur gesehen zu haben. Da ich von diesem Zwischenfall benachrichtigt wurde, begab ich mich an jenen Ort und fand dort die Mannschaft fliehend und meine wackere Anita mit Hilfe des Obersten Forbes auf jede Weise bemüht, die Flüchtigen aufzuhalten. In den Zügen der unvergleichlichen Frau aber, die nie einer Regung von Furcht zugänglich war, malte sich die Entrüstung, und sie konnte sich nicht zufrieden geben über die Feigheit von Männern, die sich noch kurz vorher so tapfer erzeigt hatten. – Hier muß ich erwähnen, daß einige unserer hochgemuten römischen Artilleristen, die sich während der Belagerung der Stadt so ausgezeichnet hatten, von Anfang an ein kleines Geschütz auf unserem Rückzuge mitgeführt und es mit unvergleichlicher Standhaftigkeit ohne Pferde und Geräte unter großer Mühe über die unzugänglichsten Bergpfade geschleppt hatten. An diesem Tage der Flucht aber verteidigten sie das Geschütz eine Zeitlang ganz allein, da sie von den anderen im Stich gelassen waren, und gaben es erst preis, nachdem sie es bis zum äußersten verteidigt hatten, auch ein Teil von ihnen gefallen war. – Jene Österreicher aber, die schon daran gewöhnt waren, die Italiener in Schrecken zu setzen, bedienten sich dazu auch der berühmten Raketen, die sie in reichstem Maße und mit Vorliebe anwandten, ohne daß ich freilich je gesehen hätte, daß sie auch nur einen Mann verwundeten. Ich hoffe, daß meine jungen Mitbürger an dem vielleicht nicht fernen Tage, an dem wir jene unsere Herren von Tirol lehren werden, daß die Luft südlich von den Alpen ihnen verderblich ist, derartiges Spielzeug mit der gebührenden Verachtung behandeln werden.
Nachdem wir San Marino erreicht hatten, schrieb ich auf den Stufen einer Kirche vor der Stadt einen Tagesbefehl nieder, der ungefähr folgendermaßen lautete: »Soldaten! ich entbinde Euch von der Pflicht, mir weiter zu folgen. Begebt Euch in Eure Heimat zurück, aber bleibt eingedenk, daß Italien nicht in Knechtschaft und Schande bleiben darf!«
Von seiten des österreichischen Generals war an die Regierung der Republik von San Marino eine Aufforderung mit für uns unannehmbaren Bedingungen ergangen, und das brachte in dem Geist unserer Streiter eine heilsame Reaktion hervor, so daß sie sich jetzt entschlossen, lieber den Kampf bis zum äußersten fortzusetzen, als einen schimpflichen Vergleich einzugehen. – Es kam dann mit der Regierung der Republik zu einer Übereinkunft, die besagte, daß die Waffen auf jenem neutralen Gebiet niedergelegt würden und jeder ungefährdet in seine Heimat zurückkehren dürfe. So wurde es mit jener Regierung vereinbart, mit den Feinden Italiens aber wollten wir nichts zu tun haben.
Ich für meine Person hatte jedoch nicht die Absicht, die Waffen niederzulegen. Ich vertraute darauf, daß es mit einer Handvoll Begleitern nicht unmöglich sein werde, sich durchzuschlagen und Venedig zu erreichen. Und so wurde es beschlossen. Eine unendlich teure, aber auch schmerzliche Bürde war hierbei meine Anita, die bei vorgeschrittener Schwangerschaft leidend war. Ich bat sie auf das dringendste, an jenem Zufluchtsort zu bleiben, wo anzunehmen war, daß wenigstens für sie eine sichere Unterkunft zu beschaffen sein werde, und wo die Bewohner uns so liebenswürdig entgegengekommen waren. Aber alles war vergebens: ihr mannhaftes, edelmütiges Herz versagte sich allen meinen Warnungen, und sie gebot mir Stillschweigen, indem sie ausrief: »Du willst mich verlassen!«
Ich entschloß mich, San Marino gegen Mitternacht zu verlassen und irgendeinen Hafen der Adria aufzusuchen, von wo ich nach Venedig in See gehen könnte. Da eine größere Anzahl meiner Gefährten entschlossen war, mich unter allen Umständen zu begleiten, besonders einige hochgemute Lombarden und Venetianer, die in den Augen der Österreicher als Deserteure gegolten hätten, so verließ ich die Stadt mit einigen wenigen Gefährten und erwartete die übrigen an einem verabredeten Punkte. Diese Verabredung aber zog Zeitverlust nach sich, indem ich gezwungen war, zu warten, bis alle beisammen waren. – Den Tag über schweiften wir durch das Land, um Erkundigungen einzuziehen, welche Punkte der Küste für uns am leichtesten zu erreichen sein möchten. Das Glück, auf das ich nicht verlernt habe stets bis zu einem gewissen Grade mein Vertrauen zu setzen, sandte mir jemanden, der mir in jener schwierigen Lage von größtem Nutzen war. Ein mutiger junger Mann aus Forlì, namens Galopini, erschien mit einem Wägelchen bei mir und diente mir als Führer und Kundschafter, indem er mit blitzartiger Geschwindigkeit sich in die Gegenden verfügte, wo die Österreicher standen, von den Einwohnern Erkundigungen einzog und mich über alle Umstände unterrichtete. Nach dem Ergebnis seiner Erkundigungen entschloß ich mich, auf Cesenatico Hafen von Cesena, nördlich von Rimini. zu marschieren, und Galopini verschaffte mir Führer, die mich dorthin geleiteten. Gegen Mitternacht erreichten wir Cesenatico. Beim Einzug in den Ort stießen wir auf eine österreichische Wache, die über unser plötzliches Erscheinen nicht wenig betroffen war. Diesen Augenblick der Verwirrung benutzte ich und rief einigen meinen Gefährten, die sich beritten in meiner Nähe befanden, zu: »Sitzt ab und entwaffnet sie!« Das war Sache eines Augenblicks, und wir konnten somit in das Städtchen einziehen und waren Herren der Lage, nachdem wir auch noch einige Gendarmen entwaffnet hatten, die uns sicherlich in jener Nacht nicht erwarteten. – Eine meiner ersten Maßnahmen war nun, der städtischen Behörde aufzutragen, mir diejenige Anzahl von Booten zur Verfügung zu stellen, deren ich für den Transport meiner Leute bedurfte.
Allein das Glück hatte aufgehört, mich in jener Nacht zu begünstigen. Ein Sturm hatte sich auf dem Meere erhoben und dieses aufgewühlt, und am Ausgang des Hafens war die Brandung so gewaltig, daß die Ausfahrt so gut wie unmöglich war. – Hier halfen mir nun meine nautischen Kenntnisse. Es war schlechterdings notwendig für uns, den Hafen zu verlassen; der Tag graute bereits, die Feinde waren in der Nähe, und für unseren Rückzug blieb nur das Meer übrig.
So begab ich mich zu den Fischerbarken, ließ einige Schiffstaue, die je zwei kleine Anker trugen, aneinanderknüpfen und versuchte, auf einem Boote aus dem Hafen zu gelangen, um für die Anker Grund zu finden und die Barken mittels der Taue vorwärts zu bringen. Die ersten Versuche mißlangen. Vergebens sprang ich ins Meer, um mein Boot gegen die Brandung zu schieben, vergebens ermutigte ich mit Worten und reichen Verheißungen die Ruderer. Erst nach wiederholten, sehr anstrengenden Versuchen gelang es endlich, die Anker in die richtige Entfernung zu bringen und ihnen Halt zu geben. Als wir nun aber uns in den Hafen zurückwandten, dadurch nämlich, daß wir die Taue schlaff machten, nachdem wir sie verankert hatten, und schon bei dem letzten Tau angekommen waren – da riß dieses, weil es dünn und nicht mehr in gutem Zustande war, und alle Mühe war verloren: man mußte von vorne anfangen. Das waren Widerwärtigkeiten, um aus der Haut zu fahren! Doch blieb nichts übrig, als wieder eine Barke zu besteigen, andere Taue, andere Anker zu suchen, und das mit Leuten, die schläfrig und übelwollend waren, so daß man mit der flachen Klinge auf sie einhauen mußte, um sie in Bewegung zu bringen und das Erforderliche von ihnen zu erhalten. Endlich aber wurde der Versuch aufs neue in Gang gesetzt, und dieses Mal waren wir glücklicher und konnten die Anker so weit wie nötig aussetzen.
Die gesamte Mannschaft wurde auf 13 Fischerbarken eingeschifft. Man sieht daraus, daß die Zahl derer, die mir folgen wollten, nicht unbeträchtlich war – es waren ihrer etwa 200 – und sie hatten sich nicht übel beraten; wurden doch viele der Unsrigen, die in die Hände der Österreicher fielen, der Prügelstrafe unterworfen – um derer zu geschweigen, die erschossen wurden. Das mögen die Italiener im Gedächtnis behalten. – Als letzter schiffte sich Oberst Forbes ein, der während der ganzen Zeit, die die Vorbereitungen zur Ausfahrt in Anspruch nahmen, am rückwärtigen Ausgang des Ortes geblieben war, wo er Barrikaden errichten ließ, um die Feinde abzuwehren, falls sie sich gezeigt hätten.
Nachdem die sämtlichen Boote, indem man eins nach dem anderen an den Tauen vorwärts gezogen hatte, mit der ganzen Mannschaft an Bord aus dem Hafen gebracht worden waren, erhielt jedes seinen Anteil an den Lebensmitteln, die von der städtischen Behörde requiriert worden waren. Dann gab ich noch einige mündliche Weisungen, indem ich empfahl, möglichst nahe beieinander zu bleiben, und so stachen wir nach Venedig in See. Mittlerweile war aber der Tag schon heraufgekommen, das Wetter war schön geworden und der Wind günstig. Wäre ich nicht durch die Lage meiner Anita, die sich in einem erbarmenswürdigen Zustand befand und entsetzlich litt, betrübt worden, so hätte, nachdem wir so viele Schwierigkeiten überwunden hatten und uns nun auf dem Wege der Rettung befanden, unsere Lage als eine glückliche bezeichnet werden können. Aber die Leiden meiner geliebten Lebensgefährtin waren zu groß, und noch größer war mein Schmerz, ihr keine Erleichterung verschaffen zu können.
Bei der Knappheit der Zeit und den Schwierigkeiten, denen das Fortkommen aus Cesenatico begegnet war, hatte ich mich um die Beschaffung von Lebensmitteln nicht kümmern können. Ich hatte damit einen meiner Offiziere beauftragt, und der hatte denn auch zusammengebracht, so viel ihm möglich gewesen war. Gleichwohl hatte er nächtlicherweile in einem ihm unbekannten Orte, den wir ganz überraschend angefallen hatten, nur wenige Vorräte sich verschaffen können, und diese waren nun unter die einzelnen Boote verteilt worden. – Der Mangel, der sich am fühlbarsten machte, war der an Wasser, und dabei hatte meine leidende Gefährtin einen verzehrenden Durst, als ein untrügliches Anzeichen des Leidens, das ihr Inneres durchwühlte. Auch ich hatte, erschöpft von den voraufgegangenen Mühen, Durst, von Trinkwasser aber war nur sehr wenig vorhanden. – Während jenes ganzen Tages folgten wir der Richtung der italienischen Küste der Adria, in einiger Entfernung von ihr, bei günstigem Winde. Auch die Nacht war herrlich. Es war die Zeit des Vollmonds, aber ich sah den Gefährten der Seefahrer, den ich so oft mit der innigen Hingabe eines Anbeters betrachtet hatte, dieses Mal mit einem unbehaglichen Gefühl sich am Himmel erheben. Schön war er, wie ich ihn kaum je gesehen hatte, aber für uns unglücklicherweise zu schön. Und wirklich wurde der Mond in jener Nacht uns verhängnisvoll!
Östlich von Kap Goro lag die österreichische Flotte, die die patriotischen Regierungen von Sardinien und Neapel unangefochten als Herrin der Adria belassen hatten. Ich wußte infolge der Auskünfte, die ich von Fischern eingezogen hatte, von dem Vorhandensein jener Flotte, die möglicherweise hinter jenem Kap vor Anker liegen mochte; aber ganz Sicheres hatte ich darüber nicht in Erfahrung gebracht. Da wir nun unsere Fahrt in der Richtung auf Venedig fortsetzten, war das erste österreichische Schiff, dessen wir gewahr wurden, eine Brigantine, ich glaube der »Orient«, und auch dieses wurde uns westlich von sich gewahr. Nachdem es uns entdeckt hatte, suchte das feindliche Schiff an uns heranzukommen. Ich verständigte die mich begleitenden Barken, sich nach links näher an die Küste heran zu halten, um auf diese Weise möglichst aus dem Bereich des Mondlichtes, in dem der Feind unsere kleinen Fahrzeuge um so leichter im Auge behalten konnte, zu gelangen. Doch war diese Vorsicht wirkungslos, da die Nacht klar war, wie ich sie nie gesehen hatte, und der Feind behielt uns nicht nur im Auge, sondern er begann auch von fern her zu feuern und Raketen steigen zu lassen, um seine Flotte damit auf uns und unsere Annäherung aufmerksam zu machen. Ich versuchte nichtsdestoweniger, ohne mich um die gegen uns gerichteten Kanonenrohre zu kümmern, zwischen den feindlichen Schiffen und der Küste hindurchzukommen; aber die anderen Boote wandten sich, erschreckt durch das Geräusch der Schüsse und die zunehmende Zahl der Feinde, rückwärts und, da ich sie nicht verlassen wollte, so tat ich das gleiche. Der Tag brach an und wir befanden uns in der Bucht des Kap Goro, von feindlichen Kriegsschiffen umgeben, die fortfuhren, uns zu beschießen. Zu meinem Schmerze bemerkte ich, daß schon einige unserer Boote sich ergeben hatten. Auch für uns war es bereits unmöglich, sei es vorwärts, sei es rückwärts zu fahren, da die feindlichen Schiffe sehr viel schneller waren als die unsrigen, und es blieb uns somit nichts anderes übrig, als nach der Küste zu steuern, wo wir denn auch, von den Beibooten der Gegner verfolgt, in der Zahl von nur 4 Booten landeten. Alle übrigen befanden sich schon in der Hand des Feindes!
Ich überlasse es dem Leser, sich auszumalen, wie mir in diesen unglücklichen Stunden zumute war. Mein Weib sterbend, der Feind uns vom Meere her auf den Fersen mit einer Schnelligkeit, die leichten Erfolg verhieß, und vor uns nur die Aussicht, an einer Küste zu landen, wo aller Wahrscheinlichkeit nach zahlreiche andere Feindesscharen unser harrten, nicht nur Österreicher, sondern auch Truppen des Papstes, der sich damals schon der wildesten Reaktion in die Arme geworfen hatte. – Wie dem nun sei, wir landeten. Ich nahm meine Gefährtin, meinen höchsten Schatz, in meine Arme, sprang ans Land und legte sie dort nieder. Meine Gefährten, die mit dem Blick mich fragten, was sie tun sollten, hieß ich sich verteilen und einzeln Zuflucht suchen, wo immer sie eine solche finden möchten; in jedem Fall sollten sie sich von dem Punkte entfernen, wo wir uns befanden, da dort die Ankunft der feindlichen Beiboote zu erwarten war. Mir war es dagegen nicht möglich, mich zu entfernen, da ich meine sterbende Gattin nicht verlassen konnte.
Aber auch die Männer, denen ich jene Weisungen gab, standen meinem Herzen nahe, es waren Ugo Bassi und Ciceruacchio mit seinen beiden Söhnen. Ugo Bassi war ein freiheitlich gesinnter Barnabitenmönch, der schon in Rom sich in Garibaldi's Begleitung befunden hatte. Angelo Brunetti, wegen seiner volkstümlichen Beredsamkeit Ciceruacchio zubenannt, war ein Römer aus dem Volke, der seit dem Beginn der Reformen Pius' IX. gleichsam als Vertreter und Haupt der niederen Klassen in Rom eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hatte. Näheres über Ugo Bassi und Ciceruacchio findet der Leser in dem schon angeführten Werke der Gräfin Eveline Martinengo-Cesaresco »Italienische Patrioten« (Deutsche Ausgabe, Leipzig 1903), S. 240–274. Bassi sagte mir: Ich suche mir irgendein Haus, wo ich ein Paar Beinkleider zum Wechseln finden kann, da die meinigen allzuleicht Verdacht erregen! Er trug nämlich rote Hosen, die wohl von einem der Unsrigen der Leiche eines französischen Soldaten abgenommen und vor wenig Tagen Ugo Bassi geschenkt worden waren, um die seinen, die allzu fadenscheinig geworden waren, zu ersetzen. Ciceruacchio rief mir ein bewegtes Lebewohl zu und entfernte sich ebenfalls mit seinen Söhnen. So trennte ich mich von jenen tugendreichen Italienern, um sie nicht wieder zu sehen. Die Österreicher und Priester sättigten ihren wilden Blutdurst durch die Erschießung jener Edlen und rächten sich so nach wenig Tagen für die Furcht, die sie ausgestanden hatten. Sowohl Bassi wie Ciceruacchio mit seinen Söhnen fielen bei Comacchio den Österreichern in die Hände und wurden in Bologna erschossen (8. und 10. August 1849). In Begleitung Ciceruacchio's befanden sich auch außer den beiden Söhnen ein Kapitän Parodo aus der Zahl meiner hochgemuten Begleiter von Montevideo und ein genuesischer Priester namens Ramorino; der übrigen entsinne ich mich nicht mehr.
»Hebt 9 Gruben aus!« befahl ein österreichischer Hauptmann auf Geheiß eines österreichischen Prinzen, der in jenen Gegenden Italiens gebot und 9 meiner Gefährten ergriffen hatte. »Hebt 9 Gruben aus!« befahl jener österreichische Hauptmann barsch einer Anzahl Bauern, die, dank den Priestern, vor den italienischen Liberalen, die ihnen als Mörder geschildert worden waren, nicht aber vor den österreichischen Soldaten Abscheu hatten. Und in wenigen Minuten wurden die Gruben in jenem sandigen, leichten Boden gegraben.
Armer alter Ciceruacchio, wahrer Typus des ehrlichen Volksmannes! Da stand er und vor ihm die ausgehobenen Gruben, die ihn, seine Leidensgefährten und seine Söhne aufnehmen sollten. Einer der letzteren zählte 13 Jahre! Alle wurden niedergeknallt und eingescharrt – natürlich von italienischen Händen. – Der fremde Soldat war Herr im Lande, er befahl seinen Sklaven, und augenblicklich mußten diese gehorchen, sonst gab es Schläge! Auch Ugo Bassi wurde ergriffen und zusammen mit Levré, ebenfalls einem der Meinen von Montevideo, einem hochgemuten, allgemein beliebten Mailänder, erschossen. Vor der Exekution aber wurde Ugo Bassi von den Priestern gefoltert; da er Priester gewesen, so war die Wut jener um so größer.
Ich blieb mit meiner Anita und mit dem Leutnant Leggiero, meinem unzertrennlichen Begleiter, der auch im Jahre zuvor nach dem Treffen von Morazzone bei mir geblieben war, in der Nähe des Meeres in einem Buchweizenfelde. Die letzten Worte des Weibes meines Herzens galten ihren Kindern; sie fühlte, daß sie diese nicht wiedersehen würde. – Wir verweilten eine Zeitlang auf diesem Felde, unschlüssig, was wir beginnen sollten. Endlich gebot ich Leggiero, landeinwärts zu gehen, um irgendein Haus in der Nähe zu suchen. Stets willig, wie er war, machte er sich sogleich auf. Ich wartete noch eine Weile; nach nicht langer Zeit aber hörte ich, daß Leute herankamen. Ich kroch aus meinem Schlupfwinkel hervor und sah Leggiero zurückkommen in Begleitung einer Persönlichkeit, die ich sogleich wiedererkannte und deren Anblick mir sehr tröstlich war. Es war der Oberst Nino Bonnet, einer meiner ausgezeichnetsten Offiziere, der bei der Belagerung Roms verwundet worden war; auch hatte er dort einen tapferen Bruder verloren. Er war dann in seine Heimat gegangen, um sich zu kurieren. Nichts Glücklicheres konnte mir geschehen als dies Zusammentreffen mit meinem Waffenbruder. Auf eigenem Grund und Boden in jener Gegend angesessen, hatte er den Kanonendonner vernommen und daraus auf unsere Landung geschlossen. So war er nach der Küste geeilt, um uns zu finden und zu unterstützen. Mutig und klug suchte Bonnet unter eigener großer Gefahr nach uns und fand, was er suchte. Nachdem ich einmal einen solchen Helfer gefunden, überließ ich mich gänzlich seinem Ermessen, und das war dann auch meine Rettung. Er schlug sogleich vor, uns nach einem benachbarten Bauernhause auf den Weg zu machen, um dort meiner unglücklichen Gefährtin Erleichterung zu verschaffen. Wir schlugen, indem wir Anita zwischen uns nahmen, den Weg dorthin ein und erreichten mit Mühe jene Behausung armer Leute, wo wir aber wenigstens Wasser, den dringendsten Bedarf für die Leidende, und ich weiß nicht was sonst noch fanden. Von dort kamen wir nach dem Hause der Schwester Bonnets, die uns in liebenswürdigster Weise begegnete. Nun durchwanderten wir einen Teil der Täler von Comacchio und näherten uns Mandriola, wo ein Arzt wohnen sollte. Wir erreichten auch den Ort; ein Wagen führte uns hin, auf dem Anita auf einer Matratze ausgestreckt lag. Als der Doktor Zannini nun herantrat, sagte ich ihm: »Versuchen Sie, die Frau zu retten!« Er erwiderte: »Bringen wir sie ins Bett.« Jeder von uns vieren nahm nun einen Zipfel der Matratze und so brachten wir Anita in einem Zimmer des Hauses, zu dem eine Treppe hinaufführte, auf ein Bett. Allein da wir nun meine Frau auf das Bett niederlegten, glaubte ich in ihrem Antlitz den Ausdruck des Todes zu erblicken. Ich fühlte ihren Puls – das Herz schlug nicht mehr! Ich hatte vor mir die inniggeliebte Mutter meiner Kinder als Leiche! Sie werden von mir, sobald ich sie wiedertreffe, die Mutter zurückverlangen!
Bitterlich beweinte ich den Verlust meiner Anita, meiner unzertrennlichen Gefährtin in den abenteuerlichsten Wechselfällen meines Lebens. Ich empfahl den braven Leuten, die um mich waren, die Sorge, ihren Leichnam zu bestatten, und entfernte mich, von ihnen selbst, die mein längeres Verweilen gefährdete, angespornt. Indem ich mich mit Mühe aufrecht erhielt, schlug ich den Weg nach Sant' Alberto ein mit einem Führer, der mich zu einem armen, aber ehrenwerten und hochherzigen Schneider brachte.
Mit Bonnet, dem ich, wie ich offen gestehe, mein Leben verdanke, setzt die Reihe meiner Beschützer ein, ohne die ich nicht in 37 Tagen von den Pomündungen bis zum Golf von Sterbino, wo ich mich nach Ligurien einschiffte, hätte das Land durchstreifen können. – Von dem Fenster des Hauses in Sant' Alberto aus, wo ich mich befand, sah ich die österreichischen Soldaten, herrisch und frech wie stets, vorüberziehen. Ich fand Obdach bei 2 Familien jenes kleinen, aber wackeren Ortes, und von beiden wurde ich mit einer Großmut, die über die wirtschaftliche Lage jener braven Leute weit hinausging, behütet, verborgen und unterhalten. Von Sant' Alberto aus fanden es meine Freunde dann gut, mich in die benachbarte Pineta Der schon von Dante erwähnte ausgedehnte Pinienhain südlich von Ravenna. zu bringen, wo ich mich einige Zeit verborgen hielt, indem ich größerer Sicherheit wegen meinen Aufenthaltsort beständig wechselte. – Zahlreich waren die Mitwisser des Geheimnisses, das mich wie mit einer Zauberwolke umhüllte und den Nachforschungen meiner Verfolger entzog, nicht nur den Österreichern, sondern auch den Päpstlichen, die noch schlimmer waren als erstere; meist waren es Jünglinge, jene mutvollen Romagnolen. Man mußte wirklich sehen, mit welch hingebender Sorgfalt sie auf meine Rettung bedacht waren. Wenn sie glaubten, daß ich an einem Orte gefährdet sei, so sah ich sie nächtlicherweile mit einem Bauernkarren ankommen, um mich daraufzusetzen und viele Miglien weit an einen anderen Punkt zu führen, der sicherer erschien. – Auf der anderen Seite ließen die Österreicher und die Priester nicht nach, alles in Bewegung zu setzen, um meiner habhaft zu werden. Jene hatten ein Bataillon in kleine Abteilungen geteilt, die die Pineta in allen Richtungen durchzogen. Die Priester ihrerseits bemühten sich, von der Kanzel herab und im Beichtstuhl die unwissenden Bäuerinnen dazu zu bringen, zum höheren Ruhme Gottes die Spione zu machen.
Meine jungen Beschützer hatten ihre nächtlichen Signale, mittels deren sie sich verständigten, mich von einem Punkte zum anderen zu bringen, und Alarm gaben, wenn sich Gefahr zeigte, zu bewunderungswürdiger Meisterschaft ausgebildet. Wußte man, daß Gefahr drohte, so wurde, falls an einem bestimmten Punkte ein Feuer brannte, der Weg fortgesetzt; wurde man aber keines Feuers gewahr, so ging es zurück oder es wurde eine andere Richtung eingeschlagen. Zuweilen auch, wenn wir ein Mißverständnis befürchteten, hielt der Führer den Wagen an, stieg ab und ging selbst vor, um das Terrain zu rekognoszieren, oder er wartete, ohne abzusteigen, bis er in Kürze auf jemanden stieß, der ihn über alles unterrichtete. – Diese Maßnahmen wurden mit einer planvollen Genauigkeit getroffen, die Bewunderung erregen mußte. Man vergegenwärtige sich, daß, wenn irgendetwas verlautet wäre, wenn meine Verfolger auch nur einen Wink von dem, was vorging, erhalten hätten, sie ohne Umstände erbarmungslos alle diejenigen, die mich mit so großer Hingebung schützten, ohne auch nur der Kinder zu schonen, erschossen haben würden. – Wie sehr betrübt es mich, der Nachwelt die Namen jener braven Romagnolen, denen ich zweifellos mein Leben verdanke, nicht überliefern zu können! Auch wenn ich nicht der heiligen Sache meines Vaterlandes geweiht gewesen wäre, so würde jener Umstand allein mir die Verpflichtung dazu auferlegen.
So verbrachte ich mehrere Tage in der schönen Pineta von Ravenna, eine Weile in der Hütte eines teuren, ehrenwerten und hochherzigen Mannes aus dem Volke, namens Savini, sonst auch wohl im Dickicht, an dem es in jenem Walde nicht fehlt, versteckt. – In dieser Lage ereignete es sich einst, daß, als ich mit meinem Gefährten Leggiero auf der einen Seite eines Dickichts ausgestreckt lag, auf der anderen Seite die Österreicher vorbeizogen, und ihre uns sicherlich wenig angenehm klingenden Stimmen störten die schweigende Ruhe des Waldes und unsere ruhigen Meditationen. Sie gingen wenige Schritte von uns vorüber, und sicherlich bildeten wir den Gegenstand ihrer lebhaften Unterhaltung.
Von der Pineta aus brachte man uns nach Ravenna, in ein Haus außerhalb des Tores, dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere; wir wurden dort mit der nämlichen Sorgfalt und Hingebung aufgenommen wie überall. – Dann ging es weiter nach Cervia, An der Küste südlich von Ravenna und wenig nördlich von Cesenatico, wo, wie wir hörten, Garibaldi sich nach der Auflösung seines Korps eingeschifft hatte. nach dem ländlichen Heim einer anderen, teuren Person, deren gütige Züge noch deutlich vor meinem geistigen Auge stehen, während ich mich des Namens nicht mehr erinnere. Wir verweilten dort mehrere Tage und nahmen dann die Richtung nach Forli. Forli, westlich von Cervia, an der Straße von Rimini nach Bologna. – Beiläufig möchte ich bemerken, daß unter jener hochherzigen Bevölkerung kein einziger fähig ist, den Angeber zu machen, und daß, wenn sie einen Verfehmten bei sich aufnehmen, sie ihn wie ein Heiligtum verwahren, ihn mit unvergleichlicher Güte retten, unterhalten und geleiten. Das lange Bestehen der niederträchtigsten, verderblichsten aller Regierungen Nämlich der päpstlichen. ist nicht imstande gewesen, den Charakter jener mannhaften, großherzigen Bevölkerung zu entnerven und zu verschlechtern. Die Räuberregierung der Gegenwart freilich (1872), die der allerschlechtesten Priesterregierung gefolgt ist, weiß jene Leute, die zu ihrem Unglück unter ihre Verwaltung geraten sind, nicht zu schätzen und plagt sie in rücksichtsloser Weise. Sie wird sie aber an dem Tage kennen lernen, da von dem Lande der Vesper Nämlich Sizilien. und von der Romagna bis zu den Alpen von ihr Rechenschaft über ihre Verwaltung gefordert werden wird.
Wir überschritten die Grenze der Romagna und kamen nach Toskana. Auch in diesem Teile Italiens, das durch die Priester und durch lange Leiden gespalten, aber ein einziges Volk zu bilden bestimmt ist, begegneten wir der nämlichen Beflissenheit und der nämlichen Güte. Unter anderen nahm uns ein gewisser Anastasio auf und behütete uns in einem seiner Häuser im Gebirge. Dann – ein Priester! Als ein wahrer Schutzengel der Verfehmten suchte und fand er uns und führte uns in sein Haus in Modigliana. Südwestlich von Forli am Fuß der Apenninen. Ich möchte hier das wiederholen, was ich schon viele Male gesagt habe: ich hasse den falschen, niederträchtigen Charakter des Priesterstandes, aber den einzelnen Priester, von seiner Eigenschaft als Betrüger abgesehen und wieder Mensch geworden, betrachte ich wie jeden anderen. – Pater Giovanni Verità von Modigliana war ein wahrer Priester Christi, und zwar verstehe ich hier unter Christus den tugendhaften Menschen und den Gesetzgeber, nicht jenen Christus, den die Priester zu einem Gott gemacht haben und dessen sie sich bedienen, um die Anstößigkeit und den Betrug ihres Daseins zu bemänteln. Pater Giovanni Verità pflegte, so oft ein wegen seiner Liebe zu Italien von den Priestern Verfolgter in jene Gegenden gekommen war, es auf sich zu nehmen, ihn zu beschützen, zu unterhalten und ihn an einen vor Verfolgungen sicheren Ort führen zu lassen oder selbst zu führen; er hatte auf diese Weise Hunderte verfehmter Romagnolen gerettet, die sich auf toskanisches Gebiet geflüchtet hatten. Von der unerbittlichen Leidenschaft des Klerus verurteilt, hatten sich jene nämlich nach Toskana gewandt, dessen Regierung zwar auch keine löbliche, aber doch eine weniger verbrecherische als das Priesterregiment war. Unter jenen unglücklichen, aber mutvollen Leuten gab es nämlich damals zahlreiche Verfehmte, und so oft ich solche auf meinen Irrfahrten angetroffen, hatte ich von ihnen den Namen jenes echten Priesters segnen hören. – Wir blieben einige Tage im Hause des Don Giovanni, das inmitten des Fleckens Modigliana liegt, wo die Achtung und Liebe, die der Besitzer allgemein genoß, seinem gastlichen Hause als Schutzwehr dienten. Dann wurden wir von ihm selbst quer über den Apennin geleitet, da ich die Absicht hatte, über die Höhen des Gebirges hinweg mir den Weg zu den sardinischen Staaten zu bahnen.
Als wir in die Nähe von Filigari gekommen waren, ließ uns eines Abends unser hochherziger Führer an einem geeigneten Punkte zurück und wandte sich nach jenem Orte, um einen Führer zu suchen. Bei diesem Anlaß ereignete sich ein Mißverständnis, das uns der werten Begleitung unseres Beschützers beraubte. Ein Führer, den er uns zugeschickt hatte, verirrte sich unterwegs, vielleicht vom Schlafe übermannt, da es tief in der Nacht war, und kam verspätet bei uns an. Wir erreichten daher den Ort erst, nachdem Don Giovanni ihn, in der Absicht uns aufzusuchen, schon wieder verlassen hatte, da er wegen der Verzögerung des Eintreffens des Führers ungeduldig geworden war. Doch hatte er einen entgegengesetzten Weg eingeschlagen. Darüber kam der Tag herauf und wir fanden uns auf der Landstraße, die Bologna und Florenz verbindet. An einer so ausgesetzten Stelle konnten wir nicht verweilen. Wir entschlossen uns daher, ein Wägelchen zu nehmen und die Straße entlang in der Richtung nach Florenz zu fahren; doch trennten wir uns nur mit größtem Bedauern von dem edelmütigen Manne, der uns bis dahin geleitet hatte. – Wir folgten also der Hauptstraße nach Florenz hin; schon war es vollends Tag geworden. Wir stießen auf eine österreichische Abteilung, die von Florenz nach Bologna marschierte. Wir machten notgedrungen gute Miene zum bösen Spiel und setzten unsern Weg gegen die westlichen Abhänge des Gebirges fort. – Als wir zur Linken der Straße, die wir entlang fuhren, ein Wirtshaus erreichten, hielt der Führer an und empfahl, dort zu bleiben. Wir traten in das Haus ein, entließen den Fuhrmann und bestellten bei dem Wirt eine Tasse Kaffee. Während wir dann auf den Kaffee warteten, setzte ich mich auf eine Bank links vom Eingang, neben einen langen Tisch, wie sich ein solcher gewöhnlich in Wirtshäusern findet. Da ich nun so saß, übermannte mich die Müdigkeit, und ich breitete die Arme auf dem Tische aus, stützte das Haupt darauf und versank in leichten Schlummer. Da berührte Leggiero meine Schulter mit einem Finger, ich fuhr auf, und mein Auge hatte den wenig erfreulichen Anblick mehrerer Kroaten, die in das Wirtshaus eingedrungen waren. Es war wiederum eine feindliche Abteilung, vielleicht ein Teil von denen, die wir bereits unterwegs getroffen hatten. Ich legte wieder das Haupt auf die Arme und tat, als hätte ich niemanden gesehen. Als das Wirtshaus wieder leer war und wir unsere Erfrischung genommen hatten, kreuzten wir die Straße und suchten und fanden rechts von ihr in einem Bauernhause Unterschlupf.
Nachdem wir ein wenig geruht und die erforderlichen Nachrichten eingezogen hatten, wandten wir uns nach der Gegend von Prato in der Absicht, die ligurische Grenze zu erreichen. Wir gingen den größeren Teil des Tages, bis wir an ein Seitental kamen. Hier fand sich ein ländliches Gasthaus, wo wir für die Nacht um Obdach baten. – In dem nämlichen Wirtshaus befand sich ein junger Jäger aus Prato, der dort wohlbekannt und mit den Hausleuten vertraut zu sein schien. Sein Äußeres war wohlanständig; er hatte eine ungezwungene Art sich zu geben und in seinen Zügen lag eine ehrliche Freimütigkeit, die selten täuscht. Ich beobachtete ihn eine Zeitlang, so zwar, daß ich den Wunsch blicken ließ, mit ihm zu sprechen, und ging dann zu ihm. Nach einigem Hin- und Herreden sagte ich ihm, wer ich sei, und bemerkte sogleich, daß ich mich in ihm nicht getäuscht hatte. Er sagte mir: »Ich gehe nach Prato, das nur wenige Miglien entfernt ist, dort werde ich mit meinen Freunden sprechen und in Kürze wieder zu Ihnen kommen.« – Der treffliche Pratese war sehr pünktlich; er kehrte in kurzem zurück, und wir folgten ihm nach Prato, wo seine Freunde, allen voran der Advokat Martini, einen Wagen beschafft hatten, der uns auf der Straße von Empoli, Colle und so fort nach den Maremmen von Toskana führen sollte; Statt also nordwärts ziehend die sardinische (ligurische) Grenze zu erreichen, sollte Garibaldi südlich sich nach dem Meere zu wenden, um an einem abgelegenen Punkte der Küste zu Schiffe zu gehen. Empoli liegt am Arno westlich von Florenz, Colle südlich davon in der Richtung auf Siena; von dort sollte es dann westlich nach den öden, sumpfigen Küstenlandschaften der sogenannten Maremmen gehen. dort wurden wir anderen braven Italienern empfohlen, und man sagte uns, wir würden mit großer Wahrscheinlichkeit Boote finden, die uns nach irgendeinem Punkte des ligurischen Gebiets bringen würden. – Diese Anordnung, die die wackeren Patrioten von Prato trafen, uns nach den Maremmen zu schaffen, hatte ihren Grund in den zahlreichen und lästigen Beobachtungsmaßnahmen, die die großherzogliche Regierung an der sardischen Grenze getroffen hatte, um den Übergang politisch Verdächtiger zu verhindern, die damals in großer Zahl Rettung jenseits der Westgrenze suchten auf demjenigen Gebiete Italiens, auf dem die österreichische Übermacht niemals Raum finden sollte, ihrer Begierde nach Raub und Mord zu fröhnen. – Der Advokat Martini aus Prato erwarb in der Zahl unserer Wohltäter einen unbegrenzten Anspruch auf unsere Dankbarkeit. Er bemühte sich nicht nur, unsere Weiterreise zu erleichtern, sondern empfahl uns auch auf das wärmste seinen Freunden und Verwandten im Gebiet der Maremmen, was uns in hohem Maße zugute kam. Lebhaft bedauere ich, daß mir der Name jenes wackeren jungen Mannes entfallen ist, der zuerst und so wirksam zu unserer Rettung beitrug und dem ich zur Erinnerung und als Zeichen meiner Zuneigung einen kleinen Ring von geringem Wert überließ.
Unsere Fahrt von Prato bis zu den Maremmen war wahrhaft seltsam. Wir durchfuhren weite Landstrecken in einem geschlossenen Wagen, indem wir nur von Zeit zu Zeit zum Pferdewechsel anhielten. Freilich zog sich an verschiedenen Orten dieser Aufenthalt sehr in die Länge, da die Kutscher, die uns fuhren, nicht eben große Sorgfalt uns gegenüber anwandten. So hatten die Neugierigen Muße, sich um unseren Wagen zu sammeln, und wiederholt wurden wir auch genötigt, auszusteigen und eine Erfrischung zu uns zu nehmen, wobei wir dann etwas erfinden mußten, um unsere seltsame Lage zu erklären. In den kleinen Orten bildeten wir natürlich für die Neugierigen einen willkommenen Gesprächsstoff, und sie ergingen sich in tausend Vermutungen über uns, nur allzu geneigt, über Personen zu schwatzen, die ihnen unbekannt waren und die die böse Zeit einer schrecklichen Reaktion mit dem Schleier des Geheimnisses umgab. Besonders in Colle, heute einem patriotischen und fortgeschrittenen Städtchen, wurden wir von einer Menge umlagert, die unzweideutige Zeichen von Mißtrauen und Abneigung gegen uns gab, da wir ihnen das Aussehen von nichts weniger als friedlichen, gleichgültigen Reisenden zu haben schienen. Doch kam es zu nichts weiterem als einigen ungehörigen Worten, die wir uns natürlich die Miene gaben zu überhören. Leider waren wir eben noch in den Zeiten, da die Priester den Leuten sagten, die Liberalen seien eine Bande Mörder. Einige Jahre später freilich wurde ich von der nämlichen Landschaft mit einer derartig begeisterten Freudigkeit auf genommen, daß ich dessen mein ganzes Leben lang eingedenk bleiben werde. – Wir fuhren unter den Mauern von Volterra vorüber, Volterra, westlich von Colle, Hauptort jener Distrikte. wo sich damals Guerazzi und ein Teil der politisch Verdächtigen Toskanas befanden. Wir begnügten uns, beim Vorbeifahren den Hut über die Augen zu ziehen. Der erste sichere Zufluchtsort, den wir in der Nähe der Maremmen erreichten, war in San Dalmazio das Haus des Doktor Camillo Serafini, eines hochherzigen Mannes und wahrhaften italienischen Patrioten, der sich durch eine nicht gewöhnliche Beherztheit und Energie auszeichnete. Später, nach der Befreiung seines edlen Vaterlandes, hat er als toskanischer Abgeordneter zum Parlament von 1859, wie der wackere Giovanni Verità, sicherlich an jeder mutvollen Maßnahme jener Versammlung teilgenommen, sich dann aber, wie so viele andere, verdrießlich zurückgezogen, da er sich in Gemeinschaft mit Leuten sah, die es nicht verdienten, Italien zu vertreten. – Wir blieben mehrere Tage im Hause Serafini's und siedelten von dort in eine Badeanlage über, die einem anderen Martini gehörte, einem Verwandten des obenerwähnten Martini, der ebenso gastfrei war wie dieser. Dann kamen wir in das Haus eines Guelfi, in der Nähe des Meeres, und an allen diesen Stellen wurde uns eine Gastfreundschaft zuteil, die uns zu größter Dankbarkeit verpflichtet.
Mittlerweile verhandelten jene großherzigen Freunde mit einem genuesischen Fischer, der uns nach Ligurien bringen sollte. Eines Tages erschienen mehrere junge Leute aus den Gegenden der Maremmen, mit ihren doppelläufigen Gewehren bewaffnet wie die ravennatischen Jäger, und elastisch, kraftvoll und mutig wie diese, in dem Hause des wackeren Guelfi, um uns abzuholen. Sie gaben jedem von uns eine Waffe von der Art der ihrigen und führten uns durch Wald an die Meeresküste, wenige Miglien östlich von Follonica, einem Hafen zur Verladung von Kohlen im Golf von Sterbino. Es ist dies die der Insel Elba gegenüber gelegene Küstengegend, wo sich, südlich von Piombino, die flache Einbuchtung von Follonica oder Sterbino findet. Dort fand sich das Fischerboot, das uns erwartete, schon vor, und wir gingen an Bord, gerührt von den Beweisen der Liebe, die uns unsere jungen Befreier so reichlich gegeben hatten. – Wie war ich doch stolz, in Italien geboren zu sein! In diesem Lande der Taten! Unter diesem Volke, das sich, wie unsere Nachbarn behaupten, nicht schlägt, wo seit vielen Jahrhunderten, nachdem wir von dem Throne, von dem aus unsere Väter die Welt beherrschten, herabgesunken waren, eben diese unsere übermütigen Nachbarn, die wohl wußten, was in uns steckte, die schwarze Schlange der Theokratie uns aufgezwungen hatten, um uns zu demütigen, zu erniedrigen, uns an Leib und Seele zu verderben, damit wir gekrümmt und blöde nicht mehr das Pfeifen der Peitsche wahrnähmen, zu der sie uns in Ewigkeit verdammt hatten – gleich als ob ihr Zwergenreich ewig dauern würde, während doch die Zeit mit ihren kalten Fittichen auch den Riesen unter allen vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen menschlichen Größen fortgefegt hat, dessen Trümmer heute auf den sieben Hügeln wieder zum Vorschein kommen. Stolz bin ich, in Italien geboren zu sein, sagte ich, wo trotz der Herrschaft der Priester und der Diebe eine Jugend ersteht, die, Gefahren, Qualen und Tod verachtend, unerschrocken zur Erfüllung ihrer Pflicht, zur Befreiung des Sklaven schreitet!
Nachdem wir also im Golf von Sterbino an Bord eines ligurischen Fischerbootes gegangen waren, segelten wir zuerst nach der Insel Elba, wo Geräte und Lebensmittel eingenommen werden sollten. Wir brachten einen Teil des Tages und eine Nacht in Porto Longone Porto Longone an der Ostküste von Elba. zu. Von dort gelangten wir längs der toskanischen Küste zur Reede von Livorno, fuhren aber, ohne uns aufzuhalten, weiter westlich. – Ich machte mir über die unfreundliche Aufnahme, die mich seitens der Regierung in den sardinischen Staaten erwartete, keine Illusionen, und so kam mir auf der Reede von Livorno der Gedanke, an Bord eines englischen Schiffes, das dort vor Anker lag, eine Zuflucht zu erbitten. Jedoch die Sehnsucht, meine Kinder wiederzusehen, ehe ich Italien verließe, wo, wie ich einsah, meines Bleibens nicht war, überwog alle anderen Erwägungen. So gingen wir denn gegen Anfang September in Porto Venere An der Westseite des Golfs von Spezia. wohlbehalten ans Land. – Auf dem Wege von Porto Venere bis Chiavari begegnete uns nichts Besonderes. In letzterer Stadt fanden wir Unterschlupf im Hause meines Vetters Bartolommeo Pucci teuersten Andenkens. Wir wurden von der trefflichen Familie meines Verwandten festlich aufgenommen, ebenso von den lieben Einwohnern von Chiavari und den zahlreichen Lombarden, die sich nach der Schlacht von Novara dorthin geflüchtet hatten. Aber General La Marmora, Der bekannte Alfonso La Marmora, der im Krimkriege die Piemontesen befehligte sowie auch bei den kriegerischen Ereignissen von 1859 und 1866 eine führende Stellung einnahm. der damals königlicher Kommissar in Genua war, befahl, nachdem er von meiner Ankunft erfahren, mich verkleidet unter dem Geleit eines Hauptmanns der Carabinieri in jene Stadt zu bringen. Dieses Vorgehen des Generals La Marmora befremdete mich durchaus nicht; er war das Werkzeug, und zwar das vertraute Werkzeug der in unserem Vaterlande damals vorherrschenden Politik, außerdem auch seiner ganzen Richtung nach Feind eines jeden, der wie ich den Mantel republikanischer Neigungen trug.
Ich wurde in einem abgelegenen Teil des Genueser Dogenpalasts eingeschlossen und von dort nächtlicherweile an Bord des Kriegsschiffes San Michele gebracht; an beiden Stätten wurde mir jedoch rücksichtsvolle Behandlung zuteil, sowohl von Seiten La Marmora's, wie an Bord von seiten des ritterlichen Kapitäns Persano. Graf Carlo Persano, i. J. 1866 der Anführer der italienischen Flotte in der unglücklichen Schlacht von Lissa. – Ich erbat mir nur 24 Stunden, um in Nizza meine Kinder zu umarmen und dann an meinen Verbannungsort zu gehen. Auf mein Ehrenwort gestattete General La Marmora alles. – Ich weiß nicht, ob sich an Bord des Dampfers San Giorgio, der mich nach Nizza brachte, andere Agenten in Verkleidung befanden; sicherlich aber war meiner Ankunft in Nizza eine Benachrichtigung dorthin vorangegangen, und die Carabinieri wachten. Nach den Gepflogenheiten der königlichen Behörden ließ man mich mehrere Stunden warten, ehe ich ans Land gehen durfte. So blieb mir nur eben soviel Zeit übrig, um nach Cavas zu eilen, wo meine Kinder sich befanden, dort die Nacht zuzubringen und dann sogleich wieder abzureisen.
Der Anblick meiner Kinder, die ich genötigt war, wer weiß für wie lange Zeit zu verlassen, schmerzte mich im tiefsten Herzen. Zwar blieben sie in befreundeten Händen zurück, die beiden Söhne bei meinem Vetter Augusto Garibaldi und meine Theresa bei dem Ehepaar Desidery, das an ihr Elternstelle vertrat. Aber ich mußte fort ins Unbestimmte, indem man mir nämlich vorgeschlagen hatte, selbst einen Verbannungsort zu wählen. Hier darf ich nicht vergessen, der mannhaften Verteidigung zu gedenken, die die Abgeordneten der Linken Nämlich im piemontesischen Parlament. Bekanntlich hatte Piemont i. J. 1848 eine Verfassung (Statuto) erhalten. meiner Angelegenheit widmeten: Baralis, Borella, Valerio, Brofferio erhoben machtvoll die Stimme zu meinen Gunsten, und wenn es ihnen nicht gelang, mich der Verbannung zu entreißen, so entrissen sie mich sicherlich einem schlimmeren Geschick. Unersättlich war, wie immer, der Blutdurst der österreichisch-priesterlichen Partei, die allerorten auf der Halbinsel den Sieg davongetragen hatte.
Aufgefordert, mir einen Verbannungsort zu wählen, wählte ich Tunis. Meine Hoffnung auf eine bessere Zukunft für mein Vaterland ließ mich einen nahegelegenen Ort vorziehen. In Tunis befand sich überdies ein Jugendfreund von mir, Castelli aus Nizza, und ein Pedriani, der mir seit 1834 eng befreundet und gleich mir damals verfehmt worden war. – So schiffte ich mich auf der Tripoli, einem Dampfer der Kriegsmarine, nach Tunis ein. Allein in Tunis wollte mich die Regierung auf Einflüsterungen Frankreichs hin nicht aufnehmen, und so wurde ich zurückgeschafft und auf der Insel Maddalena ausgesetzt, wo ich etwa 20 Tage blieb. Insel nördlich von Sardinien in der Straße von San Bonifazio.
Lächerlich! Es fehlte nicht an Anklägern gegen mich bei der sardinischen Regierung, und diese nahm die Miene an, solchen Anklagen zu glauben: nämlich, daß ich jene Insel, wo damals die Hälfte der Einwohner im königlichen Dienst oder im Genuß einer Pension war, aufhetzen und zur Empörung bringen wolle. Übrigens waren dort liebenswürdige Leute, die mich sehr freundlich behandelten.
So wurde ich von der Insel Maddalena auf dem Kriegsschiff Colombo nach Gibraltar eingeschifft. Der englische Gouverneur dieses Platzes gab mir 6 Tage Zeit, um mich aus dem Staube zu machen. Die Zuneigung und Dankbarkeit, die ich mit gutem Grunde stets für jene hochherzige Nation gehabt habe, ließen mir dieses Verhalten um so unhöflicher, unbegründeter und unwürdiger erscheinen.