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Einleitung zu den Memoiren Giuseppe Garibaldis.
von Professor Dr. Walter Friedensburg

Wenn die Bildung eines einheitlichen und selbständigen Königreichs Italien zu den bedeutsamsten Ereignissen des 19. Jahrhunderts auf politischem Gebiet gehört, so bietet die Entwicklung, die zu jenem Ergebnis, der Einigung der Halbinsel unter einem Szepter, hingeführt hat, eins der anziehendsten Schauspiele, die die Weltgeschichte kennt. Geradezu trostlos erschien der Anblick, den Italien darbot, nachdem der Wiener Kongreß in souveräner Willkür das Schicksal des Landes bestimmt hatte, in dessen Umfang sich mehr als ein halbes Dutzend völlig unabhängig nebeneinander stehender Fürsten teilte, während der maßgebende Einfluß bei einer auswärtigen Großmacht, Österreich, lag, das die unmittelbare Herrschaft über den größten Teil von Oberitalien erstreckte, während Glieder seiner Dynastie mehrere der italienischen Fürstenthrone besetzten.

Aber schon bald begannen die Versuche der politisch so gut wie rechtlosen Bevölkerung der Halbinsel, die öffentlichen Zustände im Sinne des erwachenden Nationalgefühls umzugestalten und den Gewaltsamkeiten ihrer tyrannischen Herren Schranken zu setzen. Und wenn dann auch die ersten Anläufe scheiterten und die edelsten Patrioten die fürstlichen Kerker füllten oder im Ausland eine Zuflucht zu suchen gezwungen wurden, wenn selbst noch die in den Sturmjahren 1848 und 1849 in allen Teilen der Halbinsel mächtig emporlodernde Flamme der Erhebung schließlich unterdrückt und ausgetreten wurde, so war doch an ein Anhalten der Bewegung nicht mehr zu denken. Und endlich kam die Zeit, wo sie ans Ziel gelangte. Nach den großen Erfolgen von 1859 und 1860 stand Italien in der Hauptsache geeinigt da, 1866 verschwand die Fremdherrschaft vollständig vom Boden der Halbinsel, und als 1870 die Trikolore auch auf den Turm des Kapitols emporflog, war das hehre Ziel der Einigung und Selbständigkeit des Vaterlandes erreicht.

Es versteht sich, daß so bedeutsame Ereignisse viele Beobachter und Darsteller gefunden haben; auch von den Männern, die selbst zu ihrem Teile an dem großen Werke der »Wiedererstehung« (Risorgimento) Italiens mitgewirkt, hat eine nicht geringe Zahl zur Feder gegriffen, um ihre Taten und Schicksale der Nachwelt zu überliefern.

Wenn aber im allgemeinen der Wert solcher Memoiren um so größer ist, je näher ihr Verfasser den Ereignissen gestanden, je inniger sein Name mit der Befreiung seines Landes verknüpft ist, so ergibt sich der hohe Wert von selbst, der dem zukommen muß, was Giuseppe Garibaldi über sein Leben und seine Taten aufgezeichnet hat. Denn neben Camillo Cavour, dem genialen Baumeister des Königreichs Italien, und neben dem König Viktor Emanuel II., der im festen Glauben an den nationalen Beruf seines Hauses und seines Landes durch unzählige Hindernisse hindurch seinem Volke unerschrocken auf dem Wege zur Freiheit und Einheit vorangegangen ist, steht der Volksheld Garibaldi, der durch seine großen Taten und durch das Beispiel an Vaterlandsliebe und Uneigennützigkeit, das er gab, die heilige Sache seiner Nation unermeßlich gefördert hat.

Giuseppe Garibaldi

Garibaldi anno 1861 in Neapel
Quelle: de.wikipedia.org

Giuseppe Garibaldi erblickte das Licht der Welt am 10. Juli 1807 In großen Zügen, wennschon ausführlicher als es hier geschehen kann, habe ich den Lebensgang Garibaldi's aus Anlaß des Säkularfestes seiner Geburt in Nr. 26 und 27 der Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung 1907 geschildert. in Nizza, an der Grenze italienischen und französischen Wesens, er selbst aber in seinem Denken und Fühlen vom ersten Augenblick an ein Italiener. Sohn einer Schifferfamilie, befuhr auch er, zuerst auf dem Schiffe seines Vaters, früh die See und lernte schon in jungen Jahren ein Stück der Welt – bis nach Konstantinopel und Odessa hin – kennen. Auch Rom betrat er schon als Knabe; er sah die alte Welthauptstadt unter der Priesterherrschaft verwahrlost und weihte sich angesichts ihrer erhabenen Trümmer der Aufgabe, den alten Glanz des Römernamens erneuern, Rom aber zur Hauptstadt Italiens machen zu helfen. Durch einen Zufall mit den Bestrebungen des »jungen Italien«, das unter Mazzini's Führung die bestehende Ordnung der Dinge gewaltsam umstürzen wollte, bekannt geworden, machte Garibaldi diese Bestrebungen zu den seinigen, wurde infolgedessen 1833 in die Katastrophe des »jungen Italien« verwickelt und rettete sich mit Mühe ins Ausland. Der Drang nach Kämpfen und Abenteuern führte den feurigen Jüngling bald über das Weltmeer nach Südamerika, wo er, begierig, seinen Arm den unterdrückten Vertretern freiheitlicher Grundsätze zu weihen, für die brasilianische Provinz Rio Grande, die sich von dem Kaiserreiche unabhängig zu machen suchte, gegen dieses und hernach für die Republik Uruguay gegen den Gewaltherrn von Buenos Aires, Rosas, stritt. Der verwegene Mut Garibaldi's, seine Tatkraft und seine Umsicht sowie seine glänzende militärische Begabung wiesen ihm in diesen Kämpfen bald eine bedeutsame Stellung an; insbesondere im Dienste von Uruguay führte er, an der Spitze einer von ihm aus Landsleuten gebildeten »italienischen Legion«, Heldentaten aus, die den Ruhm seines Namens durch die ganze Welt trugen, vor allem aber die Blicke seines Vaterlandes auf ihn richteten.

Als im Jahre 1848 der Unabhängigkeitskampf Italiens ausbrach, Mailand und Venedig das österreichische Joch abschüttelten, Karl Albert von Piemont die Waffen gegen den fremden Unterdrücker erhob, im Süden Palermo sich wider seinen Gewaltherrn empörte und in der Mitte der Halbinsel ein Papst erstand, der die nationale Sache zu der seinigen machte – da verstand es sich von selbst, daß Garibaldi's Platz nicht mehr in Südamerika war. Er eilte, begleitet von seinem heldenhaften Weibe, der Kreolin Anita, und einer erlesenen Schar seiner Landsleute, herbei und organisierte im äußersten Norden Italiens den Kleinkrieg gegen die Österreicher. Aber nach den schweren Niederlagen Karl Alberts am Mincio und der Preisgebung der Lombardei konnte sich Garibaldi nicht mehr halten und mußte in die Schweiz entweichen. In kurzem treffen wir ihn jedoch auf einem anderen Schauplatz innerhalb des Vaterlandes wieder, nämlich im Kirchenstaat. Nachdem der Papst, der sich der Reaktion genähert, seine Hauptstadt hatte fliehend verlassen müssen, war hier ein demokratisches Regiment errichtet worden. Eine konstituierende Versammlung, der auch Garibaldi angehörte, rief am 8. Februar 1849 auf dem Kapitol die römische Republik aus. Schon aber nahten, vom Papst gegen seine Hauptstadt zu Hilfe gerufen, von Süden die Truppen der Neapolitaner und von Norden die Franzosen, in der Absicht, der jungen Republik alsbald das Lebenslicht auszublasen. Bei der Verteidigung von Rom leistete Garibaldi das Beste; er schlug die Neapolitaner aufs Haupt, warf auch die Franzosen von den Mauern Roms zurück und zwang sie, einen Stillstand nachzusuchen, den sie dann freilich dazu benutzten, um sich derart zu verstärken, daß Rom ihnen auf die Dauer nicht widerstehen konnte. Als aber die Franzosen endlich eindrangen, zog Garibaldi mit einer kleinen Truppe aus der Stadt und führte die Seinen, die übermächtigen Feinde, Franzosen und Österreicher, stets auf den Fersen, in einem bewunderungswürdigen Rückzüge, den man dem des Xenophon an die Seite gesetzt hat, bis zur Adria. Mit dem Kern der Seinen suchte Garibaldi nun über das Meer nach Venedig zu gelangen, fand aber auch diesen Weg durch die Feinde verlegt und hatte, an das Land zurückgetrieben, den Schmerz, seine treue Lebensgefährtin den Strapazen und Entbehrungen erliegen zu sehen. Er selbst entkam, von der Bevölkerung geschützt, den Gegnern und suchte, nachdem überall auf der Halbinsel die Sache der Freiheit erlegen war, aufs neue eine Zuflucht jenseits des Weltmeeres.

Einige Jahre später kehrte er zurück und ließ sich auf der kleinen Insel Caprera im Norden von Sardinien nieder, wo er Grundbesitz erwarb und das Land urbar machte. Hier schrieb er auch seine Denkwürdigkeiten (bis 1849) zum ersten Male nieder.

Die Ereignisse von 1859 riefen Garibaldi wieder ins Feld. Er organisierte aufs neue den Kleinkrieg in den Alpengegenden und drang, dem diesmal siegreichen Hauptheere zur Seite, bis zum Garda-See vor. Nach dem Frieden von Villafranca treffen wir ihn in Mittelitalien, wo sein Erscheinen, seine unermeßliche Popularität den Bestrebungen der Angliederung jener Gegenden an Piemont den wertvollsten Vorschub leistete. Aber die größte Tat seines Lebens stand noch bevor: der unvergleichliche »Zug der Tausend« von 1860, der glänzende Siegeszug von Marsala in Sizilien bis Capua, der die Bourbonenherrschaft in Sizilien und Neapel wie ein Sturmwind hinwegfegte. Zwei Kronen setzte Garibaldi auf das Haupt Viktor Emanuel's, der sich nunmehr zum »König von Italien« erklären konnte.

Aber Garibaldi hielt das Werk seines Lebens solange nicht für abgeschlossen, als noch Rom außerhalb des Königreichs verharrte, der Priesterherrschaft unterworfen. Zweimal (1862 und 1867) versuchte er es, den Bann zu brechen, der auf Rom lag – beide Male jedoch trat ihm übermächtiger Widerstand entgegen. Dazwischen erschien Garibaldi während des Krieges von 1866 zum dritten Male mit seinen Freischaren in den Alpen; damals war er der einzige auf italienischer Seite, der militärische Erfolge davontrug. Die letzte Waffentat des alternden Helden war endlich das ihm nicht mit Unrecht viel verdachte französische Abenteuer von 1870: er zog den von Deutschland schwer bedrängten Franzosen zu, als diese sich der Napoleoniden entledigt und ihr Land zur Republik gewandelt hatten.

Bald nach seiner Rückkehr aus Frankreich hat Garibaldi in Caprera seine Memoiren, die er auch zwischendurch gefördert hatte, zum Abschluß gebracht Einen kurzen Nachtrag hat er 1875 hinzugefügt. und die früheren Teile überarbeitet: sie reichen bis 1871 und behandeln in schlichter, ungeschminkter Darstellung die Taten ihres Verfassers mit ebenso großer Wahrheitsliebe wie Bescheidenheit. Stets bemüht, die Verdienste seiner Genossen in das richtige Licht zu setzen, verschmäht es Garibaldi, sein eigenes Lob zu singen, wennschon er nicht verhindern kann, daß die Ereignisse, die er schildert, ihn rühmen. Allerdings schreibt Garibaldi mit Leidenschaft: seine glühende Vaterlandsliebe läßt ihn nicht nur alle Gegner Italiens in Bausch und Bogen verdammen, sondern es fällt ihm auch schwer, auf italienischer Seite denen gerecht zu werden, die nicht in allem seine Ansichten teilten, seine Wege zu gehen bereit oder imstande waren. Das gilt besonders von Cavour, der von Garibaldi gänzlich verkannt wird. Daß der geniale Staatsmann in jahrelanger, aufreibendster Arbeit gleichsam erst den Boden bereitet hat, auf dem Garibaldi's Großtaten hernach möglich wurden, hat letzterer ebensowenig begriffen, wie er für die diplomatischen Schwierigkeiten, die Cavour umringten und deren er am wenigsten durch bloßes Dreinhauen Herr werden konnte, Verständnis zeigt. –

Kurz nach Garibaldi's Tode (2. Juni 1882) sind seine Memoiren auf Grund seiner eigenen Niederschrift in dem Verlag Barbèra in Florenz zum ersten Male erschienen und haben von da an zahlreiche Neuauflagen erlebt; ganz neuerdings, 1907, hat die Società tipograficoeditrice in Turin eine »diplomatische« Ausgabe der Memoiren veranstaltet, die von Ernesto Nathan, dem Großmeister der Freimaurer Italiens und seit kurzem Bürgermeister von Rom, besorgt worden ist; sie verfolgt den Zweck, den Text des Werkes mit peinlichster Treue, unter Beibehaltung der eigenartigen Interpunktion des Verfassers sowie selbst gelegentlicher Schreibfehler usw. wiederzugeben.

Weniger als man erwarten sollte, sind diese Memoiren in fremde Sprachen übergegangen. Doch liegt eine deutsche Ausgabe schon seit 1861 vor; sie ward besorgt von einer Frau Schwarz, die unter dem Namen Elpis Melena schrieb, eine der enthusiastischsten unter den zahlreichen Verehrerinnen Garibaldi's. Dieser überließ ihr, als sie ihn bald nach seiner Niederlassung in Caprera dort besuchte, das Manuskript seiner Memoiren, soweit sie damals vorlagen, nämlich bis zu seinem Aufbruch aus Südamerika im Frühling 1848. Die deutsche Übertragung, die die Genannte davon veranstaltete, erschien 1861 in Hamburg.

Ein zweites Mal hat Garibaldi sein Manuskript, nachdem er es von Elpis Melena zurückgefordert und bis zum Ausmarsch aus Rom im Sommer 1849 geführt hatte, dem Franzosen Alexander Dumas (Vater) anvertraut, der es ins Französische übertrug, so zwar, daß er es mit eigenen Zutaten bereicherte und in eine halb historische, halb romantische Darstellung umarbeitete, außerdem selbständig eine Fortsetzung bis 1860 hinzufügte, und dieses Buch hat dann Dr. Gottlieb Fink ins Deutsche übersetzt und in 3 Bändchen 1860 in Stuttgart erscheinen lassen.

Demgegenüber liegt unserer Übertragung der authentische Text der Memoiren Garibaldi's zugrunde. Da indes die vollständige Wiedergabe den Umfang eines Bandes der »Bibliothek wertvoller Memoiren« beträchtlich überschreiten würde, so mußte der erste Teil, die Schilderung der Jugend Garibaldi's und seine Kämpfe und Abenteuer in Südamerika, fortfallen. Von dem Zeitpunkt der Rückkehr Garibaldi's in sein Vaterland zu Anfang des Jahres 1848 an ist dagegen die Übertragung vollständig, abgesehen nur davon, daß vereinzelt einige störende Längen der Darstellung getilgt wurden, was durch Punkte in der Zeile angezeigt ist. Die Übertragung selbst hat sich bestrebt, die Schreibart Garibaldi's nicht etwa nur dem Inhalt nach, sondern selbst im einzelnen Ausdruck, in der einzelnen Wendung, so genau wiederzugeben, wie es mit dem Geiste der deutschen Sprache sowie einem gewissen Fluß der Erzählung vereinbar schien.

Stettin, im April 1908
Dr. Friedensburg


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