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Über den schattenschwarzen Bergwald sank schon die Sonne hinunter, als Ettingen mit dem Förster wieder im Jagdhaus eintraf.
Pepperl, der auf der Schwelle des Försterhäuschens hockte, erhob sich, als er die beiden kommen sah, und schüttelte die Füße, als wären sie ihm eingeschlafen. Das Viertelstündchen ausgenommen, das er um die Mittagszeit in der fürstlichen Küche verbrachte, hatte er vom Morgen bis zum Abend auf seinem Lauerposten ausgehalten, mit dem »Geheimnis von Woodcastle« auf den Knien. In diesen sieben Stunden war er bei der Lektüre nur um ein einziges Kapitel vorwärtsgekommen. Aber der Miene, mit der er die roten Hefte jetzt in die Schublade warf, konnte man es ansehen, daß er mit dem Ergebnis des Tages nicht unzufrieden war. Nicht das geringste war geschehen, was die »Verantwortigung« seiner moralischen Seele belastet hätte. Wohl hatte Martin ein paar verdächtige Spaziergänge im Umkreis der Sennhütte unternommen, aber ein freundlicher Zuruf des Praxmaler-Pepperl hatte den Kammerdiener immer wieder zur Umkehr nach dem Fürstenhaus veranlaßt. Drum konnte Pepperl, als der Förster in die Hütte trat, seinen Vorgesetzten in bester Laune empfangen. »Grüß Gott, Herr Förstner! Schon wieder daheim? Dös is recht! Jetzt kann ich grad noch a bißl Dienst machen bis auf d' Nacht. Jetzt is ja der Fürst wieder da!«
Der Förster schien den Zusammenhang zwischen Pepperls Diensteifer und der Heimkehr des Fürsten nicht recht zu begreifen und guckte verwundert dem Jäger nach, der, einen Ländler pfeifend, seine Büchse nahm und flink hinauswanderte in den schattigen Wald. –
Zwei Tage vergingen. Ettingen hatte keine Lust, eine Pirsch zu unternehmen. Er wollte ruhen, wie er sagte. Das hinderte nicht, daß er an jedem Morgen zeitig munter war und einsam einen mehrstündigen Spaziergang durch den Bergwald machte. Am Nachmittag saß er mit einem Buch im Wald, und die Abendstunden verplauderte er mit den Jägern.
Auch der Almhütte stattete er mit dem Förster einen Besuch ab und saß eine Stunde lang bei der Sennerin, die ihm ihre Arbeit schildern mußte. Das gedrückte Wesen des Mädels fiel ihm auf. »Haben Sie eine Sorge, Burgi?«
»Ich? Und Sorgen? Gottbewahr! 's Vieh is gsund, was will ich denn mehr?«
»Sie sind nicht heiter. Wenn ich Ihnen helfen kann, tu ich es gern. Haben Sie etwas auf dem Herzen?«
Sie wurde rot bis unter die Haare, aber gleichmütig sagte sie: »Ich? Auf'm Herzen? Den Janker! Sonst nix! Aber der Mensch kann net allweil lustige Fasnacht halten. Diemal muß er auch sein sinnierlichen Tag haben. So ein' hab ich halt heut grad, weiß selber net, warum!« –
Am dritten Morgen unternahm Ettingen mit dem Förster einen Pirschgang auf Gemsen.
Pepperl, der zwei Tage strengen Dienst gemacht hatte, blieb an diesem Morgen zu Hause. »Man kann net wissen, ob net d' Jungfer Köchin oder der Herr Martin wen braucht.« Und auf der Hüttenschwelle hielt er in brennender Sonne mit dem »Geheimnis von Woodcastle« bis Mittag aus. Da kam der Postbote. Den fragte. er: »He! Du! Was is denn mit'm Brenntlinger? Hast ihm die Botschaft ausgricht'?«
»Ja.«
»Warum kommt er denn net?«
»Der Schnaps laßt ihn net aus. Heut in der Fruh hab ich ihn wieder troffen im Wirtshaus. Da hockt er schon den dritten Tag.«
Pepperl fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn. Die Sonne hatte ihm eingeheizt. Und in schwüler Sorge brummte er vor sich hin: Mar und Joseph! Is dös a Mensch! A Vater! Und hat a Madl, dös in der ärgsten Gfahr is!« Dann sagte er laut: »Geh, ich bitt dich, red ihm zu, daß er kommt. Sag ihm: es pressiert!«
Während die beiden noch miteinander sprachen, kam der Fürst von der Pirsch zurück. Der Förster trug einen Gemsbock auf dem Rücken. »Und a zweiter liegt noch droben«, sagte er, »tummel dich, Pepperl, daß d' ihn runterbringst vor Abend!« Aber ehe Pepperl sich »tummeln« konnte, gab's vor dem Försterhäuschen noch ein langes, fröhliches Schwatzen über den Verlauf des glücklichen Pirschganges.
War es die seltene Jägerfreude, zwei gute Böcke erlegt zu haben, war es die ungetrübte Stimmung der vergangenen Tage oder die reine Bergluft, die an dem ernsten Flüchtling der Großstadt diese freundlich Wandlung bewirkt hatte – Ettingen war in so prächtiger, von Heiterkeit übersprudelnder Laune, daß die beiden Jäger ihre Freude an ihm hatten. Seine Augen blickten froh, sein sonnverbranntes Gesicht hatte so gesunde Farbe, als hätte er nie die Luft der Krankenstube geatmet und als wäre auch die letzte Erinnerung an allen Sturm und Schmerz, vor dem er in die Einsamkeit der Berge geflohen, in ihm versunken und erloschen. Und wie kräftig sein Schritt war, wie frei seine Haltung! Als hätte ein neuer und heißer Trieb des Lebens jeden Tropfen seines Blutes befeuert. Er selbst schien der Wandlung, die sich in ihm vollzogen hatte, mit keiner Frage nachzuspüren. Er fühlte sie nur, wie man mit geschlossenen Augen die Sonne fühlt, war heiter und zufrieden, dachte mit keinem Gedanken an das Gewesene, hatte keinen Wunsch an die Zukunft und freute sich in dieser lächelnden Ruhe jeder Stunde, wie sie kam und ging.
Der folgende Tag aber brachte ihm den Lebensgewinn, den er im Frieden des Waldes gefunden hatte, doch zum Bewußtsein. Da kam mit der Post ein Brief. Als Ettingen an der Adresse die Schrift des Freundes erkannte, an den er in jener ersten Nacht die lange Epistel gerichtet hatte, zögerte er einen Augenblick, den Brief zu erbrechen. Dann schüttelte er lachend den Kopf. »Mein Wald hat mich gesund gemacht!« Was dieser Brief auch enthalten mochte – es konnte seine Ruhe nicht mehr stören, keine Bitterkeit in seiner Seele wecken. Er hatte überwunden und vergessen, war geheilt und frei. Wie auch die häßliche Katastrophe jener Tollheit ausklingen mochte, er konnte das so ruhig und gleichgültig anhören wie das schale Ende einer Geschichte, die ein anderer erlebt hatte.
Er öffnete den Brief und las:
»Wien, den 30. Juli.
Mein lieber Heinz!
Die weißt, wie stark ich unter Umständen für andere sein kann. Meinen eigenen Wünschen gegenüber bin ich ein Schwächling. Und mein Wunsch wär es, Dir für Deinen lieben langen Brief recht ausführlich zu danken, mit Dir zu plaudern, Dich zu warnen, Dir zu raten. Das muß ich mit für den Tag versparen, der mich zu Dir führt. Ich hoffe, das wird bald geschehen. Für heute geht's nicht, man tut mir Gewalt an. Vor kaum einer Minute hab ich mich zum Schreiben gesetzt, und da trommeln sie schon wieder an meine Tür und schreien: ›Onkel Goni, was machst du? Onkel Goni, wo bleibst du? Onkel Goni, so komm doch!‹ Seit drei Tagen hab ich ›Familie‹. Meine Schwester, deren Mann zu den Jagden nach Steiermark absauste, hat ihre vier Jungen aus den weißen Pfoten der Jesuiten in Empfang genommen. Da ist mir nun die liebe Seele mit ihrem tollen Viergespann unvermutet ins Haus gefahren, und die Jungen stellen mir meine friedliche Hütte auf den Kopf. Aber ich lasse mich geduldig martern. Jugend zu sehen, das ist für mich immer wie eine neue, große Entdeckung. Das nimmt meiner Borstigkeit jeden scharfen Stachel. Aber es macht mich auch schwermütig. Nicht, weil ich die eigene Jugend zurücksehne. Kein Kluger will ein zweites Mal leben. Nur, weil ich fühle, wie wenig mir von der Jugend geblieben ist. Graue Haare, die ›einstens‹ braun gewesen – sonst nichts. Warum ich nicht glücklich wurde? Das weiß ich. Aber warum ich nicht geheiratet habe? Das ist mir dunkel. Tu es, Heinz! Tu es! Und werde Vater! Mir scheint, als wäre in dieser Schatztruhe, die man Leben nennt, die Freude am Kind der einzig wirkliche Wert, auch wenn seine Süßigkeit sich ›mengt mit Bitternis‹! Oder glaub ich das nur, weil das am Leben das einzige ist, was mir fremd geblieben? Alles andere kenn ich. Und weiß, daß es die Spesen der Erfahrung nicht aufwiegt. Aber nein! Dieser einzige Lebensglaube – der Glaube an einen Gott, zu dem ich niemals beten durfte – soll mir bleiben für den Rest meiner Tage. Ich habe Deiner Mutter Freude an Dir gesehen. Und ich begriff, daß sie um dieser einzigen Freude willen alles andere verschmerzen konnte. Im kleinen seh ich es auch an meiner Schwester. Wenn die vier Fohlen sie gepeinigt haben, daß sie vor Wut und Verzweiflung heult – fünf Minuten später spielt sie ›Mutter der Gracchen‹ und sagt mit Aplomb und strahlenden Augen: ›Meine Söhne!‹ Da nasch ich nun ein bißchen an ihrer Freude mit, bin ›Onkel Goni‹ und lasse mich schinden, daß ein ehrgeiziger Märtyrer von mir lernen könnte. Ich tu es, weil ich Zeit habe. Denn meiner Freundschaft für Dich sind die Hände gebunden. Ich bin in der Schlichtung Deiner Affäre zu einem far niente verurteilt, das mir durchaus nicht ›süß‹ erscheint.
Wohl habe ich das möglichste versucht, um eine Auseinandersetzung herbeizuführen. Aber sie macht sich unsichtbar. Ihre Villa in Hietzing hat scheinbar im Sommerschlaf die Augen geschlossen, und der Portier schwört falsche Eide, daß die gnädige Baronin ›unbekannten Aufenthaltes. Aber sie macht sich unsichtbar. Ihre Villa in Hietzing hat scheinbar im Sommerschlaf die Augen geschlossen, und der Portier schwört falsche Eide, daß die gnädige Baronin ›unbekannten Aufenthaltes‹ wäre. Ihr Anwalt erklärte, daß er ›keinerlei Auftrag‹ hätte, und ›vermutet‹, daß sie in Ostende wäre. Aber sie ist hier, in ihrer Villa. Gestern früh brachte mir mein Agent die Mitteilung, daß am 28. abends neun Uhr ein Kupee vor der Villa angefahren wäre und eine Stunde gewartet hätte. Und weißt Du, wem das Kupee gehörte – am 28. Juli ein geschlossenes Kupee? –, dem ›süßen kleinen Mucki‹! Dem Sensburg! Er brachte ihr wohl die Neuigkeit, daß er Dich in Innsbruck traf. Hoffentlich hast Du ihm nicht klipp und klar gesagt, wohin Du fährst? Na also, gestern mittag fuhr ich zu ihm, mit den vier Jungen im Wagen. Ausrede: ob er nicht einen jungen Engländer wüßte, der meine neveus im Tennis perfektionieren könnte. Den wußte er natürlich. Und dann fragte ich so nebenbei: ob er nicht bei der Pranckha gewesen wäre. Er wurde rot und leugnete. Das wunderte mich. Nicht, daß er log. Aber daß diese abgelaufene Gesellschaftswanze noch erröten kann. Und das ist alles, was ich Dir zu berichten haben. Aber ich warne Dich, lieber Heinz! Was sie mit diesem monatelangen Blindekuhspiel bezweckt, versteh ich nicht. Irgend etwas plant sie. Daß sie Dich ›friedlich ziehen‹ läßt, das bilde Dir ja nicht ein! Fürst Ettingen zu Bernegg ist ein liebes Hühnchen, das allzu schöne Federn besitzt. Sie wartet nur den günstigen Augenblick ab, um Dich wieder einzufangen. Daß sie dabei mit Deinem Herzen rechnen kann, das brauch ich wohl nicht mehr zu befürchten. Aber sie wird ihren Kalkul auf Dein Blut setzen. Ich warne Dich, Heinz! Wenn Dir die schöne Katze mit süßem Schnurren an den Hals springt – schüttle sie ab! Gleich! Nur in der ersten Sekunde wirst Du die Kraft dazu haben. Nicht mehr in der zweiten Minute. Da hat sie Dich.
Hörst Du: sie trommeln schon wieder! ›Onkel Goni, du bist unausstehlich!‹ Diesen Vorwurf muß ich entkräften. Also Schluß!
Dein ›Schweigen‹ sollst Du in wenigen Tagen bekommen. Ich habe eine herrliche Radierung aufgetrieben und einen richtigen Künstler beauftragt, dem Blatt einen Hauch Farbe nach dem Original zu geben. Morgen oder übermorgen wird das Bild an Dich abgehen. Am liebsten wär's mir, ich könnt es Dir selber bringen. Aber sobald ich die vier Jungen wieder los bin und sehe, daß ich Deinem ›Frieden‹ hier in Wien nicht weiter nützen kann, dann komm ich. Und dann wollen wir selbander schöne Klapphornverse erleben:
Zwei Knaben gingen durch einen Wald, Der eine jung, der andre alt – |
Die heitere Pointe wird sich finden. Bis dahin mit Gruß, mit herzlicher Treu, aber auch in Sorge
Dein alter
Goni Sternfeldt.«
Als Ettingen gelesen hatte, trat er, den Brief noch in der Hand, zum offenen Fenster und blickte lächelnd über den Bergwald hinaus.
»Sorge? Nein!«
Eine Stelle des Briefes las er ein zweites Mal: »Dein ›Schweigen‹ sollst Du in wenigen Tagen bekommen –«
Nun bemerkte er erst, daß die letzte Seite des Briefes noch eine Nachschrift hatte:
»Soeben kommt Deine Depesche. Emmerich Petri? Wo hast Du nur diesen Namen so plötzlich aufgefischt? Auf der Gemspirsche? Ist das einer, von dem die Steine reden, da die Menschen von ihm schweigen? Ich habe in einem Lexikon der ›Kunstentwicklung des 19. Jahrhunderts‹ nachgeschlagen. Der Name fehlt. Doch glaub ich mich dunkel zu erinnern, daß ich diesen Namen während des letzten Winters mehrmals in Künstlerkreisen nennen hörte. Aber dieser Winter! Da hatte ich doch meine liebe Sorge mit Dir und Deinem Wahnsinn! Wie wäre ich da kapabel für Kunstgespräche gewesen! Emmerich Petri? Der Name klingt mir im Ohr, doch meine Erinnerung ist leer. Aber ich fahre noch heut ins Künstlerhaus, um einen Augur in moderner Kunstgeschichte zu erfragen, und dann will ich sehen, was sich erfahren läßt.« –
Mit der gleichen Post, die diesen Brief gebracht hatte, war auch ein anderer gekommen – an Martin. Und sein Inhalt versetzte den sonst so gemessenen Herrn in solche Erregung, daß er in der gleichen Stunde noch den Förster aus seinem Mittagsschläfchen aufrüttelte.
»Herr Förster! Ich komme mit einer Bitte. Sie müssen mir helfen!«
»No also! Schießen S' los! Was is denn?«
Es handle sich um eine »freudige Überraschung« für Seine Durchlaucht, erklärte Martin. Eine hohe Dame, natürlich eine nahe Anverwandte des Herrn Fürsten, käme nächster Tage zu Besuch ins Jagdhaus – wann, das wäre noch nicht genau bestimmt –, aber um Seiner Durchlaucht die »ungeahnte Freude« nicht zu verderben, müsse die Sache so geheim wie möglich gehalten werden. Vor allem müsse für den hohen Besuch das Grafenstüberl entsprechend eingerichtet werden, und da hätte er nun soeben von Innsbruck die Mitteilung erhalten, daß der Wagen mit dem Mobiliar und der Dekorateur mit seinen Gehilfen schon am nächsten Abend eintreffen würden. Und da müsse nun um jeden Preis ein Mittel gefunden werden, um die Durchlaucht für zwei Tage vom Jagdhaus zu entfernen – zwei Tage wären zur »Adaptierung« des Zimmers unumgänglich notwendig.
Der Förster, der sich ehrlich freute, bei einer angenehmen Überraschung für seinen Herrn mithelfen zu dürfen, brauchte nicht lang zu überlegen. Die Sache wäre leicht zu machen: man müsse dem Herrn Fürsten zureden, einen längeren Jagdausflug zu unternehmen, vielleicht zum Sebensee. »Denn wissen S', der Sebensee, der gfallt ihm. Dös hab ich schon gmerkt. Morgen um Mittag kann er mit'm Pepperl abmarschieren, in der Sebenwaldhütten bleibt er über Nacht – dös Hütterl is gut im Stand –, am ersten Tag macht er an Pirschgang übern Sebensee nauf, und für den zweiten Tag verarranschier ich a netts Treibjagderl. Dös macht ihm Freud. Da geht er.«
Mit Eifer nahm der Förster auch gleich die »Verarranschierung« in Angriff und schickte durch den Postboten die Nachricht an die Leutascher Jäger, binnen zwei Tagen mit sechs Treibern im Jagdhaus einzutreffen. Als er dabei hörte, daß Mazegger, den er die Tage her nicht gesehen hatte, am Abend zuvor in Leutasch gewesen wäre, gab's ein Gewitter mit Blitz und Hagelschlag. Und damit ihm Mazegger, wenn er spät am Abend in die Hütte zurückkehren würde, nicht wieder auskäme, legte er ihm einen Zettel auf den Tisch: »Morgen bleibst Du daheim. Ich muß was reden mit Dir! Förster Kluibenschädl.«
Beim Diner trug er dem Fürsten sein »Planerl« vor und schilderte ihm die Weidmannsfreuden einer Gemspirsche beim Sebensee und einer Treibjagd auf Hirsche im Geißtal mit so verlockenden Farben, daß Ettingen sofort einverstanden war. Martin, der dieses Gespräch beim Servieren hören konnte, atmete erleichtert auf.
Pepperl aber, als er von diesem »Planerl« hörte, schien nicht erbaut zu sein. Er machte ein langes, höchst bedenkliches Gesicht.
»Was hast denn?« fragte der Förster. »Zwei Tag mit'm Herrn Fürsten jagen? Dös muß dir doch Freud machen?«
»No ja, schon! Aber –« In beklommener Sorge scheuerte Pepperl über dem Scheitel die Kreuzerschneckerln durcheinander.
»Was, aber?«
»Die ganze Zeit her wart ich schon allweil auf den Brenntlinger. Morgen oder übermorgen, hätt ich gmeint, müßt er kommen.«
»Was willst denn von dem Schnapsbruder?«
»Was z'reden hätt ich halt mit ihm – wegen meiner Mutter, ja, und – a bißl arbeiten sollt er halt.«
»Der? Und arbeiten? Laß dich net auslachen! Auf den kannst lang warten! Neulich, in Leutasch, is er an der Straß im Graben gsessen, und da hat ihm der Herr Fürst an Zehner gschenkt.«
»So is schön!« stotterte Pepperl erschrocken. Und im stillen kalkulierte er gleich: einen Gulden bringt der Brenntlinger durch am Tag, da braucht er sich nicht zu plagen; fünf Tage sitzt er bereits; also hat er noch einen Fünfer, und bevor er mit dem nicht fertig ist, kommt er nicht. »Da kann ich freilich noch lang warten! Derweil bin ich wieder daheim!« –
Am anderen Vormittag gab's in der Jägerhütte zwischen Mazegger und Kluibenschädl einen erregten Auftritt. Das heißt, erregt war nur der Förster, Mazegger lächelte und schwieg. Und je länger der Jäger mit diesem stummen Lächeln dastand, in desto heißeren Zorn geriet der Förster. »Jetzt sag ich dir im guten 's letzte Wörtl! Wenn du von morgen an den Dienst net in der Ordnung machst, so wachsen wir zamm. Weil in drei Wochen den Kufer packen mußt, deswegen därfst net glauben, daß d' mit deiner Zeit jetzt machen kannst, was dir einfallt! Übrigens – was hast denn vorgestern in Leutasch draußen zum Suchen ghabt?«
»Nichts.« Das war das erste Wort, das Mazegger sprach.
»So? Nix? Warum bist denn nacher naus?«
Der Jäger hob schweigend die Schultern und grub die Hände in die Taschen.
»Gelt, du, kegel dir nur dein Züngl net aus! Aber ich kann mir schon denken, was dich naustrieben hat. Ich weiß ja, wer draußen is. Du bist ja rein wie der hungrige Fuchs im Winter, wo er die Hasenfährt gleich gar nimmer auslaßt. Ja, schau mich nur an mit deine wällische Guckerln!«
Mazeggers Gesicht wurde fahl wie Kalk; doch er schwieg.
»Morgen gehst nunter nach Ehrwald und bleibst beim Jager über Nacht. Und übermorgen in der Fruh um drei, da seids alle zwei beim Sebener Almzaun. Da haben wir 's Randewuh zum Treibjagen. Und dös sag ich dir, Toni: wenn ich erfahren sollt, daß d' an andern Schritt machst, als den ich dir vorschreib, da brauchst deine drei Wochen nimmer warten. Da kannst marschieren auf der Stell und kannst –«
Erschrocken verstummte der Förster.
Unter der Tür der Jagdhütte stand der Fürst. Bei einem Spaziergang über das Almfeld hatte er die laute Stimme gehört, und nun sagte er lächelnd: »Nicht ärgern, lieber Förster!«
»Ich bitt um Entschuldigung, Duhrlaucht«, stotterte Kluibenschädl, während Mazegger den Fürsten mit funkelnden Augen maß, »aber wenn ich mein Gallenhinkerl gleich zubinden möcht mit sieben ausglühte Dräht, es hilft ja nix. D' Leut reißen's wieder auf.«
»Sie haben Verdrust gehabt?«
«Ja! Wieder amal! Und weil Duhrlaucht grad dazukommen – sagen hätt ich's doch amal müssen –, der Mazegger-Toni hat die vorig Wochen den Dienst aufgsagt.«
»Weshalb?« Ettingen wandte sich an den Jäger und sagte freundlich: »Fühlen Sie, daß Ihnen der harte Gebirgsdienst zu beschwerlich ist? Sie sind nicht in den Bergen geboren, und da kann ich begreifen, daß Ihnen der Dienst nicht so leicht fällt wie den anderen Jägern. Aber deshalb brauchen Sie die Stelle nicht aufzugeben. Der Herr Förster wird Ihnen jede Rücksicht gewähren und nicht mehr von Ihnen verlangen, als Sie ohne Überanstrengung leisten können. Oder haben Sie eine andere Klage? Was macht Sie unzufrieden? Sie können sich offen aussprechen. Wenn Ihre Wünsche nicht unbillig sind, wird sich über alles reden lassen. Deshalb brauchen Sie nicht gleich zu gehen! Nun? – Aber so sprechen Sie doch! – Kommen Sie vielleicht mit Ihrem Gehalt nicht aus?«
Ein paarmal hatte Mazegger die Lippen geöffnet, ohne daß ihm ein Laut von der Zunge kam. Es schien, als könnte er den freundlichen Blick des Fürsten nicht ertragen. Die brennenden Augen senkend, preßte er mühsam die Worte heraus: »Ich habe keine Klage, Herr Fürst! Gehalt bekomm ich mehr, als ich verdien. Aber der Förster hat nicht die Wahrheit gesagt. Den Dienst hab nicht ich gekündigt. Der Herr Förster hat mir aufgesagt.«
Ettingen sah verwundert auf den Förster.
Dem schoß das Blut ins Gesicht. »Ja, Duhrlaucht, stimmt! Aber wenn ich d' Wahrheit a bißl übers Knie bogen hab – es is bloß geschehen, daß ich's dem Burschen leichter mach, und daß ich ihm net schad.«
»Was hat er verschuldet?«
»Er hat sich – er hat –« Nein! Daß Mazegger ungebührlich über den Fürsten gesprochen hatte, das konnte Kluibenschädl seinem Herrn nicht ins Gesicht sagen. »Er hat sich unanständig geäußert. Über mich. Ja, über mich.«
Aber der Förster verstand sich so schlecht aufs Lügen, daß Ettingen die Wahrheit leicht erriet. Er betrachtete den Jäger, und da begegnete ihm ein so glühender Blick des Hasses, daß Ettingen befremdet zurücktrat. Was hatte er diesem Menschen getan, um solchen Haß in ihm zu erwecken? War das der törichte Zorn des widerwillig Dienenden gegen seinen Herrn? Die Eifersucht des Unbemittelten gegen den Besitzenden? Oder war es etwas anderes?
Ettingen hatte sich aufgerichtet. Auch ihm war das Blut in die Stirne gestiegen. Doch ruhig sagte er: »Wenn der Jäger sich unziemlich gegen Sie benommen hat, so bitt ich Sie, Herr Förster, ihm das nachzusehen. Ich hätt es auch getan, wenn er sich ungebührlich über mich geäußert hätte. Und würde mir gedacht haben, er weiß nicht, was er redet. Will er bleiben, so erweisen Sie mir den Gefallen, Herr Förster, und seien Sie gut zu ihm. Machen Sie ihm den Dienst so leicht wie möglich! Es sollte mich freuen, wenn er sein Unrecht einsähe und seine Stellung bei mir noch liebgewänne.« Ettingen nickte einen stummen Gruß und verließ die Hütte.
Der Förster vermochte vor Erregung kaum zu sprechen. »Da schau her, du!« sagte er, dicht vor Mazegger hintretend. »So is der Herr Fürst! Und wie bist du? Jetzt tu, was d' magst! Geh oder bleib! Ich will's halten, wie's der Herr Fürst von mir verlangt hat. Der gachzornige Katzensprung von neulich soll dir vergessen sein! Aber wenn ich dir noch a letztes Mal im guten raten därf – sei gscheit, Toni, und schlag dir um Gottes willen die unsinnige Narretei aus'm Kopf! Nimm Vernunft an, Bub, und verscherz dir wegen nix und wieder nix net an Posten, wo dir an ehrenhafte Stellung fürs ganze Leben machen kannst! Mehr hab ich nimmer z'sagen. Bhüt dich Gott!« Er ging.
Als er draußen am Fenster vorüberschritt, sah er, daß der Jäger noch immer mitten in der Stube stand, wie er ihn verlassen hatte.
Mazegger lächelte. Er durfte bleiben, wo es ihn festhielt mit allen Klammern seiner Leidenschaft. Alles andere war ihm gleichgültig.
Als er den Schritt des Försters verklingen hörte, hob er das Gesicht. »Nach Ehrwald?« Wieder lächelte er. Nach Ehrwald gab es zwei Wege, von denen der eine nicht weit am Sebensee vorüberführte. Und am verwichenen Abend, als Mazegger neben der Geißtaler Almstraße im Wald gelegen, war Lolo Petri an ihm vorübergewandert, das Grautier führend, auf dem ihr Bruder ritt. –
Nachmittags, gegen vier Uhr, wanderte Ettingen mit Pepperl, der im schwer gepackten Rucksack den Proviant für zwei Tage trug, zur Jagdhütte im Sebenwald.
Ettingen was schweigsam. Der Auftritt mit dem Jäger ging ihm nach, und immer wieder mußte er sich fragen: Was hab ich diesem Menschen getan, warum haßt er mich?
Und Pepperl trug auf seinem Herzen einen Binkel Sorgen , nicht minder schwer als der Pack auf seinem Rücken. Ein Zufall hatte ihm wohl seine »Verantwortigung« ein bißchen erleichtert; von Innsbruck war am Nachmittag eine Touristengesellschaft, die zur Zugspitze wollte, auf der Tillfußer Alm eingetroffen und hatte sich für die Nacht in der Sennhütte einquartiert. Bis zum nächsten Morgen also war das »dumme Gansl« außer Gefahr! Aber dann? Zwei unbehütete Tage! Bei dem Gedanken, was in einer solchen »Ewigkeit« alles geschehen konnte, lief es dem Praxmaler-Pepperl kalt durchs Herz, obwohl ihm von der Stirn die heißen Perlen über den Schnurrbart kollerten. Seufzend nahm er das Hütl ab, trocknete sich mit dem Taschentuch das Gesicht und erklärte innerlich dem alten Brenntlinger: »Mein lieber Mensch! Wenn jetzt was gschieht – ich kann nix dafür! Ich bin außer Verantwortigung!« –
Während des stillen Marsches dieser beiden ging es im Jagdhaus laut und lebendig zu. Schon um fünf Uhr war ein mit vier Pferden bespannter Planwagen eingetroffen, der hoch mit großen Ballen und Kisten beladen war. Und während der Dekorateur und seine Gehilfen im Grafenstüberl schon zu hämmern und zu kleistern begannen, überwachte der Förster im Hof das Auspacken der Kisten und Ballen, aus denen so zierliche und kostbare Geräte, so zarte Seidenstoffe und so merkwürdige »Sacherln« zum Vorschein kamen, daß Kluibenschädl und die Küchenmagd sich vor Staunen und Wundern kaum zufassen wußten. Bis zum Einbruch der Dunkelheit ging es im Jagdhaus zu wie in einem Bienenkorb. An diesem Hasten, Schleppen und Rennen beteiligte sich nur eine einzige nicht: die Jungfer Köchin.
Sie erschien nur manchmal unter der Küchentür, sah mit zornrotem Gesicht dem Lärm und Treiben eine Weile zu und nickte verdrossen vor sich hin. Als ihr Martin zumutete, ein wenig mitzuhelfen, murrte sie mit bösem Blick: »Ich dank schön! Mit der Arbeit hab ich nichts zu schaffen!« Sprach's und warf hinter sich die Küchentür zu.
»Was hat denn die Jungfer?« fragte der Förster. »Vergunnt s' leicht unserem guten Herrn Fürsten die freudig Überraschung net?«
Martin zuckte die Schultern und schmunzelte.