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Ein mager aufgeschossenes vierzehnjähriges Bürschlein kam in den Garten gesprungen – wohl ein Hüterbub von einer der nahe liegenden Almen. Er trug ein mürbes, verwaschenes Kittelchen aus blauer Leinwand und ein abgewetztes Lederhöschen. Die hageren Beinchen waren von der Sonne so kupferbraun gebrannt, daß ihre lange Nacktheit gar nicht auffiel. Für einen Sennbuben, dessen Arbeit täglich sechzehn Stunden durch Schmutz und Unrat geht, war er auffällig sauber gewaschen. Und das glatte Blondhaar, das unter dem verwitterten Filzhütl hervorlugte, klebte ihm so naß an den Ohren, als hätte er vor wenigen Minuten erst den Kopf unter einer Brause herausgezogen. In der Hand trug er an einem Strick ein kleines Holzgeschirr, das mit Fichtenzweigen überbunden war.
So ehrfürchtig, als wäre er in eine Kapelle getreten, zog der Bub sein Hütl. »Recht schön guten Morgen, Fräuln Petri!«
Nun wußte Ettingen ihren ganzen Namen: Lolo Petri.
»Guten Morgen, Loisl! Bringst du mir war?«
»Ja, Fräuln! Aber den Vater muß ich verentschuldigen, daß er heut nix anders hat als bloß a Bröserl Butter und a Töpferl Milli. Morgen bring ich schon werden was. Gelten S', ich därf morgen wiederkommen?« Der Bub stellte diese Frage, als wär es für ihn ein Geschenk, wenn er kommen durfte.
»Morgen, Loisl? Büberl, morgen wird's schlecht ausschauen!« sagte sie, den Dialekt des Buben so geläufig plaudernd, als hätte sie von Kind auf keine andere Sprache geredet. »Weißt, morgen fahr ich heim zur Mutter.«
»Aber gelten S', Sie kommen bald wieder?«
»Ja, Loisl! Heut über drei Tag, da darfst du dich wieder einstellen bei mir.«
»Und gelten S', da erzählen S' mir wieder was?«
»Ja, Bürschel, komm nur! Und schau, wie nett und sauber du dich heut gemacht hast! So! Brav! So laß ich mir's gefallen!«
Der Bub kicherte in verlegener Freude. »Ja, wissen S', seit S' mich neulich so ausgscholten haben, trau ich mich nimmer eini mit eim schmierigen Gsicht. Aber gelten S', heut bin ich sauber?«
»Sauber, ja! Aber da schau her –« Sie nahm das Bürschlein bei der Hand und drehte an seiner Joppe den Ärmel vor, der einen spannenlangen Riß über den Ellbogen hatte. »Was is denn das?«
Der Bub wurde rot. »Mir scheint, dös is a Loch!«
Da lachte sie, hell und herzlich. »Ja, du, das scheint mir auch. Nur runter gleich mit'm Jöpperl!«
»Tun S' mir's flicken, Fräuln?«
»Freilich! Und bis ich fertig bin, kannst du das Gießkanndl nehmen und kannst mir Wasser holen, gelt? Jede Guttat muß der Mensch verdienen.«
»Ja, Fräuln!« Hurtig zog der Bub das Jöpplein herunter. »Und tausendmal vergelt's Gott derweil!« Er schoß auf die Gießkanne zu, packte sie und rannte davon. Während er durch die Latschen hinuntertrollte, nahm er die Brause von der Kanne, um das Rohr als Trompete benutzen zu können. So mißtönig diese Laute klangen, sie schienen dem Buben eine Feiertagsfreude zu bereiten. Und als er sich müd geblasen hatte, begann er unter lustigem Jodeln auf der Kanne zu trommeln.
Lolo war in die Hütte getreten, um zu verwahren, was der Bub ihr gebracht hatte. Dann kam sie mit Nähzeug, setzte sich auf die Türschwelle und begann die Wunde des Jöppleins in die Kur zu nehmen. Die Sonnenlichter, die durch das Rankenwerk der Efeulaube drangen, spielten mit Leuchten und Gezitter um ihre Gestalt.
Ettingen sah ihr lächelnd zu. »Geben Sie acht, Fräulein«, sagte er nach einer Weile, »wenn der Bub das nächste Mal wiederkommt, wird er sein Kittelchen übel zurichten, um Ihnen Arbeit zu machen und länger bleiben zu dürfen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Bevor er das nächste Mal wiederkommt, wird er sein Jöpperl genau untersuchen und die Alm nicht verlassen, bevor ihm nicht die Mutter jeden Schaden ausgebessert hat.«
»Wie gut Sie von dem Jungen denken!«
»Wie er es verdient! Er ist ein braver, lieber Bub und wird einmal ein tüchtiger, guter Mensch werden.«
»Denken Sie von allen Menschen so freundlich?«
»Von den guten, ja.«
»Aber von denen, denen Sie neu begegnen? Von denen Sie nicht wissen können, ob sie gut oder schlecht sind?«
»Auch von denen. Wer mißtrauisch ist, begeht ein Unrecht gegen andere und schädigt sich selbst. Ich glaube, daß wir die Pflicht haben, jeden Menschen für gut zu halten, solang er uns nicht das Gegenteil beweist.«
»Das ist eine warme und schöne Lebensregel.«
»Nur eine selbstverständliche, eine, die keiner entbehren kann, der am Verkehr mit den Menschen Freude haben will.«
»Ja, Fräulein, Sie haben recht! Im Grunde genommen denke auch ich nicht anders, nein, trotz allem nicht!« Es ging wie ein trüber Gedanke über seine Stirn. Gleich wieder lächelte er. »Und ich hörte das gerne von Ihnen sagen. Nun weiß ich doch, daß Sie auch mich für gut halten. Oder nicht?«
Sie hob das Gesicht, als hätte ihr diese Frage nicht gefallen. »Ich wüßte nicht, womit Sie mir das Gegenteil bewiesen hätten.«
»Vielleicht durch die unbescheidene Hartnäckigkeit, mit der ich mich hier festgesetzt habe?«
»Das beweist nur, daß es Ihnen hier gefällt.«
Der letzte Bergschatten, der noch auf einzelnen Beeten gelegen, war über die Hecke zurückgewichen, und Hütte und Gärtchen lagen in voller Morgensonne. Der Wind war still geworden, und in den Wipfeln des Harfenbaumes schwiegen die Glocken. Man hörte nur nach den Wasserfall, der fern in der Tiefe rauschte, und das leise Gesumm der wilden Bienen, die von überall zu den blühenden Beeten geflogen kamen und gleich schwirrenden Funken die sonnige Luft durchschnitten.
Da brachte der Bub die zum Überlaufen gefüllte Wasserkanne. »So, Fräuln, da bin ich schon wieder!«
»Ich dank dir, Bürscherl, und schau, dein Jöpperl hab ich auch schon fertig!«
Lolo hielt dem Buben das Kittelchen hin, und er fuhr mit beiden Fäusten in die Ärmel. »Vergelt's Gott tausendmal!«
»Jetzt mach, daß du heimkommst! Drunten brauchen sie dich bei der Arbeit.«
Loisli drehte das mürbe Hütl zwischen den Händen, sah mit glänzenden Augen zu dem Mädchen auf und bettelte: »Krieg ich noch a Blümerl, Fräuln?«
»Ja, Bürschel, was willst du für eins?«
»A Brunellerl tät ich gern haben. Die Enkern schmecken viel feiner als die anderen von der Alm draußen.«
Lolo pflückte ein paar von den braunen Blütenköpfchen und reichte sie dem Buben. Sein Gesicht strahlte vor Freude, während er die Blumen achtsam hinter die Hutschnur schob. Und mit einem Jauchzer rannte er davon.
Das Mädchen nahm die Gießkanne und begann den Efeu zu besprengen.
»Der Bub hat recht, Fräulein«, sagte Ettingen, »die Blumen gedeihen in Ihrer Pflege, sie sind schöner als die anderen dort oben und draußen im Wald.«
»Gewiß nicht. Sie sehen in der Blüte nur reicher aus, weil sie dichter stehen. Ich tue nicht viel mehr, als daß ich sie wachsen lasse.«
»Da sind Sie aber wirklich zu bescheiden. Wie sehr diese Blumen Ihre Hand empfinden, kann ich Ihnen gleich beweisen.« Ettingen nahm das kleine Rosensträußlein von seinem Hut. »Ich habe ein paar Almrosen von dort oben mit heruntergebracht. Sehen Sie nur, wie klein die Blüten sind und wie matt in ihrem Rot! Die sind mit den Almrosen, die Sie im Garten haben, nicht zu vergleichen. Wie groß und üppig die Kelche hier sind, wie feurig in der Farbe!«
»Das ist richtig, ja. Aber der Unterschied kommt nicht von der Pflege, er liegt in der Gattung. Was Sie haben, das sind die gewöhnlichen Steinrosen, aber die meinen hier, das sind Edelrosen.«
»Edelrosen? Gibt es eine Aristokratie auch unter den freien Bergblumen?«
»Sie scheinen kein allzu eifriger Hochtourist zu sein, weil Sie diesen Unterschied nicht kennen.« Lolo stellte die Kanne nieder, brach von den mit glühenden Blüten übersäten Rosenstauden einen der schönsten Zweige und kam zur Bank. »Der Unterschied ist am besten an den Blättern zu erkennen. Das Blatt der Steinrose hat mattes Grün und ist behaart, die Blätter der Edelrose sind glatt, von tiefem wachsglänzendem Grün und auf der Unterseite braun angeflogen.« Sie wollte ihm das Rosenzweiglein reichen und sah ihn an. Da erschrak sie und lächelte wieder. »Ach Gott! Nun seh ich es Ihnen auch im Gesicht an. Sie sind wohl erst kurz aus der Stadt gekommen? Und noch nicht lang in den Bergen?«
»Seit drei Tagen erst.«
»Und gestern haben Sie wohl einen langen Marsch in der heißen Sonne gemacht?«
»Ja, das war gesunde Hitze gestern! Ich bin wohl sehr abgebrannt?«
»Mehr, als Ihnen lieb sein wird! Haben Sie denn keine Schmerzen im Gesicht?«
»Schmerzen? Ich? Aber ja, es ist wahr, mein Gesicht brennt wie Feuer.«
»Sie haben sich einen tüchtigen Sonnenstich geholt. Auf der Nase und auf den Wangen geht Ihnen die Haut schon los. Wenn Sie noch einen weiten Heimweg in der Sonne haben, wird die Sache schlimm werden. Dagegen müssen Sie was tun. Warten sie –«
Während Ettingen verblüfft zurückblieb, eilte sie in die Hütte und brachte eine kleine Schatulle und ein Spiegelchen in dünner Goldleiste. »Hier! Sehen Sie sich einmal an!«
Zögernd nahm Ettingen den Spiegel, und kaum hatte er einen Blick in das Glas geworfen, als er mit drolligem Entsetzen ausrief: »Ach, du lieber Himmel, was hab ich für ein Gesicht! Wie Zinnober, so lieblich!« Er lachte. Aber daß er nun so vor ihr sitzen mußte, das schien ihm nicht angenehm zu sein. »Ich bitte Sie, Fräulein – daß ich den Schaden habe, merk ich –, ersparen Sie mir wenigstens den Spott und lachen Sie mich nicht aus!«
»Auslachen? Im Gegenteil ich weiß doch selber, wie das tut.«
»Das Ausgelachtwerden?«
»Nein, der Sonnenstich! Ich bin wohl an Hitze wie Kälte gewöhnt. Aber wenn ich oft lange Stunden in der Mittagsglut sitze und arbeite, erwischt es mich auch noch manchmal. Aber ich weiß, was dafür hilft. Und dann ist's am anderen Tag wieder gut. Hier, nehmen Sie!« Sie hatte aus der Schatulle ein kleines Holzbüchschen mit weißer Salbe und frische Watte ausgekramt. »Das wird Ihnen gleich die Schmerzen lindern. Kommen Sie, ich will Ihnen den Spiegel halten.«
Er sah erlegen zu ihr auf. »Aber ich bitte, liebes Fräulein, ich kann doch unmöglich –«
» Was können Sie nicht?«
»Hier vor Ihnen die Toilette meiner Schmerzen machen und mich einsalben!«
»Warum denn nicht?«
»Nein! Das tu ich nicht!«
Nun schien sie den Grund seiner Weigerung zu verstehen. Leichte Röte überzog ihre Wangen. »Seien Sie doch nicht töricht! Wenn Sie so fortgehen, mit trockenem Gesicht und bei dieser Sonne, dann wird die Sache schlimmer, und Sie haben eine Woche damit zu tun.« Es zuckte leis um ihre Mundwinkel. »Und dann werden Sie noch übler aussehen als jetzt!«
»Ja, Fräulein, Sie haben recht, meine Weigerung war kindisch. Also? Wollen Sie mir assistieren?«
»Natürlich.« Sie setzte sich an seiner Seite auf die Bank und hielt ihm das Spiegelchen.
Er sah ihr lachend in die Augen, dann tauchte er die Watte in die Salbe und begann zu reiben. Da er die Sache ein bißchen eilig nahm, mahnte sie: »Nein, nein, machen Sie es nur genauer! Namentlich auf der Nase!«
»Ja, die sieht auch am schlimmsten aus!«
Als die Kur erledigt war, sprang er auf, warf die benützte Watte über den Zaun und säuberte mit dem Taschentuch die Finger.
Nun lachte sie.
»Na also, sehen Sie, da hab ich nun doch den Spott davon!« sagte er heiter. »Mein Gesicht muß aber auch aussehen wie –« Er fand keinen Vergleich, der ihm drastisch genug erschien.
»Wie ein gebratener Apfel, so schön glänzend! Aber nicht wahr«, fragte sie wieder völlig ernst, »Sie fühlen, daß es besser ist?«
»Wirklich, ja, das Brennen beginnt schon nachzulassen. Ich danke Ihnen herzlich für den Dienst, den Sie mir geleistet haben. Und da ich bereits den Namen meines freundlichen Arztes kenne –«
»Sie kennen meinen Namen?«
»Zur Hälfte hab ich ihn hier auf dem Baum gelesen. Dann kam der Bub und grüßte Sie: Fräulein Petri! Nun darf sich wohl auch der dankbare Patient Ihnen vorstellen? Ich heiße Ettingen.«
Sie nickte flüchtig, als wäre sein Name für sie etwas Nebensächliches. »Wenn Ihnen nur geholfen ist! Aber Dank? Nein! Wer in den Bergen lebt, ist das gewöhnt, daß man hurtig läuft, wenn der Nachbar ruft: Ich brauche dich! Nun gar in solcher Einsamkeit wie hier. Da sind die Menschen, die sich begegnen, aufeinander angewiesen.« Sie begann in der Schatulle Ordnung zu machen. »Mein kleines Kästchen hat sich schon oft auftun müssen. Nicht nur für einen leidenden Touristen wie heute. Viel häufiger noch für die Sennleute.«
Ettingen hatte sich wieder auf die Bank gesetzt. »Und da leben Sie hier so allein den ganzen Sommer?«
»Den ganzen Sommer nicht, aber doch jede Woche ein paar Tage.«
»Aber in diesen paar Tagen sind Sie doch immer allein?«
»Heuer, ja, heuer bin ich allein.« Sie beugte sich tiefer über die Schatulle.
»Daß Ihnen die Tage nicht zu lang werden, das begreif ich. Es ist so schön hier. Jede Stunde muß Ihnen eine Fülle tiefer Eindrücke bringen. Aber so einsam hier auszuhalten, dazu gehört für ein junges Mädchen ein seltener Mut.«
Das schien sie nicht zu verstehen. »Mut? Ist man nicht am sichersten, wenn man allein ist? Und was sollte ich hier zu fürchten haben? Der Sommer in den Bergen hat keine Gefahr, wenigstens hier in dieser Höhe nicht. Und der Platz, auf dem mein Häuschen steht, ist sicher gegen Wildwasser. Lawinen und Schneestürme gibt es im Sommer nicht. Und eine Gewitternacht? Da sitz ich am liebsten dort auf der Türschwelle und schaue hinaus in das Toben und Leuchten.«
»Aber die Menschen, die der Zufall vor Ihre Tür führt! Und alle Menschen, mein liebes Fräulein, alle sind nicht gut!«
»Die Bauern in der Gegend kennen mich, und ich weiß mit ihnen umzugehen. Von ihnen hab ich nur Gefälligkeiten zu erwarten, keine Roheit zu fürchten. Und die fremden Touristen, die manchmal vor meine Tür kommen? Das sind nette, manierliche Leute, mit denen ich gerne plaudere. Wenn ich auch keine Sehnsucht habe nach der Stadt, so hör ich doch gerne von ihr erzählen. Wer Freude an der Natur hat, der hat auch immer ein gutes Herz. Und wenn manchmal einer kam, der ein bißchen übermütig und zudringlich wurde, weil er sah, daß ich allein war und jung bin und nicht häßlich –«
»Sehen Sie!« rief Ettingen, wie von einer bangen Sorge um das schöne, einsame Geschöpf befallen, »sehen Sie, das ist also doch schon geschehen!«
»Nicht oft.« Sie blickte freundlich zu ihm auf, als hätte sie gefühlt, was aus dem Klang seiner Stimme redete. »Ich habe dann immer das rechte Wort gefunden, auf das sie hörten.« Sie lächelte. »Nein! Ich habe nichts zu fürchten hier. Die einzige Sorge, die ich habe, geht nur meinen Garten an. Den haben sie mir manchmal bös geplündert, wenn ich ein paar Tage fort war. Wenn ihnen die Blumen nur Freude machten, in Gottes Namen! Ich hab mir wieder neue geholt von da draußen. Nur das Edelweiß – sehen Sie, dort auf dem Steinhügel hab ich ein paar Stöckchen eingepflanzt – das Edelweiß ist im Wettersteingebirge selten, und ich bekomme nur manchmal von den Jägern einen Setzling –, aber da kann ich mit aller Pflege kein Blümchen aufbringen. Kaum guckt ein Sternchen heraus, da ist es schon wieder weg, mitgenommen von einem, der's gefunden hat. Da muß ich mir eben denken: wer drunten im Tal das weiße Sternchen auf seinem Hut herumträgt, hat an ihm noch größere Freude, als ich sie gehabt hätte. Nein! Sonst hab ich nichts zu fürchten. Und es ist so schön hier! Ich bin auch nicht allein. Hier wohnt mein Erinnern mit mir, als wär es noch immer ein Wirkliches, und jeder neue Tag ist für mich eine neue Freude, die mein Leben reich macht.«
Ettingen betrachtete sie schweigend, gefesselt von dem Reiz dieses ruhigen Lächelns, von dem reinen Glanz der stillen, tiefen Mädchenaugen. Dann sagte er: »Wie glückliche sind Sie in Ihrem guten Glauben, in Ihrer furchtlosen Freude, in Ihrer reichen Einsamkeit!«
»Glücklich? Ja, ich war es. Und ich bin es.«
Ein leichter Windhauch, wie sanftes Sonnenatmen, strich über den blühenden Garten hin, und durch die Zweige des Harfenbaumes ging ein leises Flüstern. Doch die Glocken schwiegen.
Ettingen sah zu den Wipfeln hinauf, als hätte er sich gefragt: »Warum klingen sie nicht?« Und da gewahrte er, was er noch nicht gesehen hatte: daß an einem der Stämme ein kleines Bild mit hölzernem Dächlein angebracht war, nach Art jener Martertäfelchen, die das Landvolk zu frommem Gedächtnis an Stellen errichtet, an denen ein Unglück geschah oder eine fromme Rettung sich vollzog.
Um das hoch hängende Bildchen besser betrachten zu können, erhob sich Ettingen.
Das kleine Gemälde war von Schnee und Regen schon übel zugerichtet, doch in Zeichnung und Farbe noch deutlich zu erkennen. Man merkte gleich, daß die Hand eines geschulten Malers dieses Bildchen geschaffen hatte, obwohl es ganz den steifen, naiven Stil und die grellen Farben der ländlichen Marterbildchen zeigte – es sprach beabsichtigter Humor aus dieser Anlehnung an den bäuerlichen Kunstgeschmack. Die Landschaft war trotz aller Karikaturen unverkennbar: dieser blaue Kreis, das war der Sebensee, diese giftgrünen Zungen, das waren die Almgehänge und Latschenfelder, diese gelben Zuckerhüte stellten die beleuchtete Sonnenspitze und ihre Nachbarberge vor, und die sieben grün gefransten Spieße, die an die Bäumchen eines Nürnberger Spielbaukastens erinnerten, das waren die sieben Wipfel des Harfenbaumes. In seinem Schatten kniete ein bärtiger Mann mit steif gefalteten Händen und einem schwebenden Kreuzlein über dem Scheitel. Vor ihm stand, mit segnend ausgestreckten Händen und von einem Heiligenschein umgeben, die Gestalt eines Weibes, das an Genoveva denken ließ, denn die gelösten Haare umhüllten gleich einem Mantel den streng gezeichneten Leib, dessen einziger Schmuck ein grünes Kränzlein war. Die Erscheinung dieser heiligen Frau, die auf den betenden Mann erlösend und friedlich wirkte, schien zwei abenteuerliche Spukgestalten in entsetzte Flucht zu jagen: eine üppige Teufelin in bedenklich dekolletierter Balltoilette und einen schmerbäuchigen Faun, der ein Schwein am Stricklein führte und einen Kranz von Würsten um den Leib geschlungen trug. Die beiden Unholde schnitten in ihrem Schreck so drollige Gesichter und waren mit so heiterer Laune karikiert, daß Ettingen lachen mußte.
»Ein köstlicher Scherz!« sagte er. »Und der Humor dieses Bildchens wirkt auf mich, obwohl ich das Wunder, das hier verherrlicht ist, nicht recht verstehe. Darf ich wissen, was es bedeutet? Aber da steht ja auch eine Inschrift! Und gar eine lateinische!« Er übersetzte: »Ich bete dich an und singe mein Lob dir, göttliche Mutter Natur, deren schönes Wunder mich erlöste aus den Klauen des Teufels, die da heißen: Unverstand des Pöbels und eitle Torheit der Menschen! Mein Leben soll dir, o heilige Mutter, zum Dank geopfert sein wie ein Lämmlein mit schneeigem Fell, und meine Kunst, die vor die Säue geworfen war, soll einsam und sorglos blühen zu deinen Füßen, frei und schön wie eine Blume deiner Berge!«
Der Klang seiner Stimme war ernst geworden. Die seltsame Inschrift ließ ihn vermuten, daß hinter dem Scherz dieser Farben sich ein tiefes Weg verbarg. Und als er aufblickte, sah er, daß die Augen des Mädchens in Tränen schwammen.
»Fräulein?«
Sie wandte sich schweigend ab. Seine Frage schien in ihrer Seele ein Heiliges berührt zu haben, das sie dem Fremden nicht preisgeben wollte. Und als möchte sie auch ihre Bewegung vor ihm verbergen, nahm sie die Schatulle vom Tisch, um sie in die Hütte zu tragen.
Ettingen vertrat ihr den Weg. »Nein, Fräulein, so dürfen Sie nicht gehen. Mag ich für Sie auch ein Fremder sein, an den Sie schon morgen nicht mehr denken – aber ich habe hier eine so schöne Stunde verlebt, daß ich es mir nie verzeihen könnte, wenn ich Ihnen Ursache zu einer Verstimmung gegeben hätte. Ich fühl es, daß ich Sie durch meine Neugier und durch mein Lachen verletzt habe. Aber ich wußte nicht, daß ich es tat. Seien Sie mir nicht böse!«
Da reichte sie ihm die Hand. »Ich bin Ihnen nicht böse. Dazu hätte ich kein Recht. Sie konnten nicht wissen, daß Ihr Lachen mir weh tat. Das Bildchen muß doch auch so heiter auf jeden wirken, der nicht weiß, was es bedeutet. Ehe mein Vater das lustige Ding da malen konnte, mußte er alle Enttäuschungen seines Lebens überwinden. Als er das Bildchen an den Baum hängte, das bedeutete für ihn, daß er jede Hoffnung begrub, für sein Talent die Anerkennung der Welt zu gewinnen. Deshalb dürfen Sie nicht glauben, daß ihm der Mut oder die rechte Kraft gefehlt hätte.«
»Nein, liebes Fräulein! Was ich hier sehe und was ich von Ihnen hörte, läßt mich vom Wesen Ihres Vaters manchen Zug erraten. Er muß als Mensch und Künstler gesucht haben, was abseits von der Landstraße und ihren ausgefahrenen Geleisen liegt. Alles Ungewöhnliche begegnet leicht dem Mißverstand. Und ich kann mir denken, daß eine fein besaitete stolze Künstlernatur auf die Dauer des Kampfes müde wird und der Welt verbittert den Rücken wendet.«
Sie nickte. »Das war es! Sein Stolz war zu tief verwundet. Kunst, das war für ihn nur das Große, Reine und Schöne. Auch das Wahre. Aber er hatte Augen, denen die Dinge anders erschienen, als sie sonst den Menschen erscheinen. Da malte er nun alles, wie er es sah, nicht so, wie es die Leute sehen wollten. Das verstanden sie nicht –« es zuckte wie Schmerz um ihren Mund, »und lachten über ihn. Das konnte er nicht ertragen, dieses Lachen immer! Das hat seinen Mut gebrochen. Nur den Mut des Künstlers. Als Mensch ist er ein fester und ganzer Mann gewesen. Das hat er bewiesen, als er starb.«
»Sie haben Ihren Vater verloren?«
»Verloren?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein! Was man tief in seinem Herzen besitzt, was mit uns verbunden ist in jedem Gedanken und Gefühl, das kann man nicht verlieren. Er starb. Das ist nur ein Wort, das den Überlebenden weh tut. Mehr ist es nicht.«
Vom nahen Latschenfeld ließ sich das Klirren eines Bergstockes und der Hall schwerer Tritte hören.
Sie blickte auf, wie erwachend. »Ich muß gehen. Dort unten wartet meine Arbeit.«
Er meinte ihr nachzufühlen, weshalb sie diesen raschen Abschied nahm. Sie sah den Jäger kommen und wollte jetzt nach allem, was sie gesprochen hatte, nicht von alltäglichen Dingen reden oder das lustige Geschwatz des Jägers anhören. Deshalb machte er keinen Versuch, zurück zurückzuhalten.
Da reichte sie ihm plötzlich die Hand, sah mit feuchten Augen zu ihm auf und sagte: »Ich danke Ihnen!«
Das kam so überraschend, daß er im ersten Augenblick nicht wußte, was er sagen sollte. Und da löste sie schon ihre Hand aus der seinen und ging, um die Schatulle in die Hütte zu tragen. Als sie ins Freie trat, hatte sie einen grob geflochtenen Basthut aufgenommen, dessen breite Krempe ihr Gesicht überschattete. Sie versperrte die Hüttentür, und ehe sie den Garten verließ, nickte sie noch einen Gruß zu Ettingen hinüber. Während sie langsam zwischen den Büschen gegen den See hinunterstieg, kam Praxmaler von der anderen Seite auf den Garten zugegangen.
Ettingen war an den Zaun getreten und sah dem Mädchen nach. Er fühlte sich von dieser Begegnung tief ergriffen. Was hatte ihn nur so sehr bewegt? Der stille, schöne Reiz dieses Ortes? Oder die Erscheinung dieses Mädchens, ihre freie, ruhige Art, sich zu geben und zu sprechen? Oder der Einblick, den er in das wunderliche Schicksal ihres Vaters gewonnen hatte, dieses weltflüchtigen Künstlers, der alle Dinge anders sah, als die Menschen sie zu sehen pflegen? Und wie mußte diese Tochter ihn geliebt haben, wie mußte auch jetzt noch der Gedanke an ihn ihr ganzes Leben füllen, da sie es wie ein kostbares Geschenk betrachtete, daß sie eine Stunde von ihm hatte sprechen dürfen! »Ich danke Ihnen!« Wie gut ihm dieses Wort gefiel! Es war ein Wort, das so tief blicken ließ wie der klare See dort unten. Was ihr Vater auch als Künstler aus seiner träumerischen Seele herausgebildet haben mochte – er hatte sicher der Welt kein edleres Werk seines Blutes und Geistes hinterlassen als dieses junge, schöne Menschenkind mit seiner freien und furchtlosen Lebensruhe, mit seinem tiefen, reinen Gefühl und seinem guten Denken.
Da weckte ihn die Stimme des Jägers. »Grüß Gott, Herr Fürst! A bißl lang hat's dauert, gelt? Aber der Tag wird heiß, da hab ich den Hirsch net liegen lassen können. Drum bin ich gleich ummi gsprungen auf d' Sebenalm und hab a paar Leut auftrieben, die den Hirsch heut noch aussi liefern ins Jagdhaus.« Pepperl hatte den Garten erreicht und schwang sich über den Zaun. »Gleich hab ich mir denkt, daß ich Ihnen da im Gartl von der Fräuln Petri find.« Er guckte zur Hütte hinüber. »Schad! Sie muß net daheim sein, 's Hüttl is gsperrt. Aber gelten S', schön is daherin! So a Platzerl findet man net leicht in der Welt. Dös hat er verstanden, ihr Vater!«
»Sie haben ihn gekannt?«
»Den Maler-Emmerle? Freilich hab ich den kennt!«
» Wie sagten Sie, daß er hieß?«
»Emmerich Petri hat er gheißen. Aber d' Leut haben allweil gsagt: der Maler-Emmerle. In der ersten Zeit, wie er von der Münchnerstadt kommen is und hat sich in der Leutasch dös Häusl kauft, da haben d' Leut a bißl glacht über seine gspaßigen Sachen. Aber spater haben s' ihn gern mögen. Er is aber auch a lieber, guter Mann gwesen.«
»Er war ein Künstler?«
»A Künstler? Ah na! Gott bewahr! Der is schon was Bessers gwesen!« beteuerte Pepperl, der nach ländlicher Anschauung unter »Kienschtler« nur die »Seiltanzler« und »Komödispieler« verstand. »Wissen S', a Taferlmaler is er gwesen. A Marterl hat keiner net schöner malen können als wie der Herr Petri. Und die Heiligen, die er an d' Häuser hingmalen hat, die schauen nobel aus. Für ihn selber hat er diemal auch so Bildln gmalen, kleine und endsgroße.«
»Sie haben solche Bilder von ihm gesehen?«
»Aber freilich! Hängen ja draußten in seim Häusl alle Stuben voll. Herr Fürst, dö Bildln müssen S' Ihnen mal anschauen!« Pepperl kicherte. »Was da für narrische Sachen dabei sind! Am liebsten hat er allweil die jungen Buben gmalen, und völlig nacket – aber bloß in der oberen Hälft. Statt die menschlichen Füß hat er ihnen Geißbockhaxln hingmalen. Und Rösser hat er gmalen mit Mannsbilderköpf. Und Tigerkatzen mit Frauenzimmergsichter. Und Weibsbilder mit Karpfenschwanzl statt die Füß. Und lauter so verruckte Gschichten!« Pepperl schüttelte sich vor Lachen. »Gleich hinwerden könnt man vor lauter Gaudi, wann man so was anschaut!«
Auch Ettingen lächelte. Zentauren, Faune, Tritonen und Sphinxe – und dazu der Kunstverstand des guten Praxmaler-Pepperl: in diesem Kontrast lag eine Komik, der auch die ernste Stimmung Ettingens nicht zu widerstehen vermochte. Aber es widerstrebte ihm, noch weitere Fragen zu stellen. Schweigend trat er zum Tisch, warf die schon welk gewordenen Steinrosen über den Zaum und schmückte seinen Hut mit der Edelrose, die ihm Lolo Petri gereicht hatte.
Praxmaler riß die blauen Augen auf, als hätte er etwas Unerhörtes erlebt. »Aber Duhrlaucht! Mar und Joseph! Dö Blümeln, dö S' da wegwerfen – dös is ja der Bruch für'n Hirsch!«
»Dieser Zweig gefällt mir besser.«
Pepperl schwieg; doch er schüttelte die Kreuzerschneckerln und sah seinen Herrn von der Seite an. Daß es einen blühenden Zweig auf Erden geben konnte, der einem Jäger besser gefiel als der grüne Bruch für einen Vierzehnender? Das war für den Praxmaler-Pepperl etwas Unverständliches.
Ettingen setzte den Hut auf und griff nach dem Bergstock.
Da sagte der Jäger, als hätten seine Gedanken eine jähe Wendung gemacht: »Ja, schauen wir, daß wir heimkommen. Der Herr Kammerdiener wird eh schon auf der Paß liegen!«
Sie gingen zum Zauntürchen. Lächelnd blickte Ettingen noch einmal über die blühenden Beete hin und empor zu den still gewordenen Wipfeln des Harfenbaumes, die mit umleuchtetem Grün hinaufstiegen in das reine Blau des Himmels.
»Welch ein schöner Morgen! Wie diese Luft sich atmet! Wie leicht und froh man sich fühlt! Als ginge man einer großen Freude entgegen!«
Pepperl seufzte. Denn er – in seinem verantwortungsvollen Herzen war der Gedanke an das »unbetreute dumme Gansl« wach geworden – er ging einer schweren Sorge entgegen.
Während sie auf schmalem Pfad über das Latschenfeld hinunterstiegen, fuhr Praxmaler plötzlich aus seinen Gedanken auf: »Was is denn dö gewesen jetzt?«
»Was haben Sie?« fragte Ettingen.
»Gwesen is mir, als hätt ich was ghört in die Latschen drin. Ich muß mich aber täuscht haben. Es rührt sich nix mehr.«
Sie schritten weiter und verschwanden im Schatten des nahen Waldes.
Als ihre Schritte verhallt waren, tauchte aus den Latschen das bleiche Gesicht Mazeggers auf. Eine Weile stand der Jäger unbeweglich und spähte mit funkelnden Augen gegen den Wald hinunter. In hartem Lächeln preßte er die schmalen blutlosen Lippen zusammen. Dann wand er sich durch die lichten Büsche auf den Pfad heraus. Hier legte er Büchse und Bergstock ab, kniete auf den Boden nieder und holte mit zitternder Vorsicht aus seinem Rucksack ein blühendes Edelweißstöcklein hervor, dessen Erdballen mit einem Taschentuch umbunden waren. Er entfernte das Tuch, kniff mit den Nägeln ein paar welk gewordene Blätter fort, schöpfte mit der Hand von dem Wasser, das neben dem Pfad in dünnem Faden sickerte, und besprengte den dürr gewordenen Wurzelballen und die erst halb entwickelten weißgrünen Blütensterne. In Unruh und dennoch geduldig wartete er fast eine halbe Stunde, bis sich die schmachtenden Pflänzchen wieder erholt hatten und frisch erschienen. Dann erhob er sich und stieg zum See hinunter. Als er den Waldsaum erreichte, schlug ihm brennende Röte über das bleiche Gesicht. Hastig lehnte er Bergstock und Büchse an einen Baum
Am Ufer einer seicht verlaufenden Seebucht saß Lolo Petri auf einem Stein. Vor ihr stand eine leichte Feldstaffelei mit kleiner Leinwand, deren frische Farben eine begonnene Studie zeigten: ein Stück des Ufers mit dem Spiegelbild der überhängenden Blumen und einem halb versunkenen Wurzelstock. Die Skizze war nur erst in den Grundtönen angelegt, und dennoch verriet sie schon, mit welcher Treue die klaren ruhigen Mädchenaugen alle Farben der Natur zu erfassen wußten. Aber sie schien mit ihren Gedanken nicht bei der Arbeit zu sein. Der Arm mit der Palette hing lose nieder, und während sie lächelte wie in freundlichem Erinnern, glitt ihr Blick über den stillen See.
Da weckte sie der Schritt des Jägers. Als sie Mazegger erkannte, glitt ein Schatten des Unbehagens über ihr Gesicht. Doch als er sie mit seiner rauhen, erregten Stimme grüßte, dankte sie ruhig. Dann nahm sie die Arbeit auf, als wäre sie allein.
Er stand hinter ihr und umklammerte mit der Hand so fest den Wurzelballen der kleinen Pflanze, daß die Erde zu Boden bröselte. »Schauen Sie doch her, Fräulein, was ich Ihnen gebracht hab!«
Sie hob das Gesicht, und der Anblick der seltenen Pflanze schien ihr Freude zu machen. »Ein Edelweiß! Wo haben Sie das gefunden?« Schon wollte sie die Blume nehmen. Da begegnete ihr Blick seinen heißen Augen. Sie zog die Hand zurück. »Ich danken für Ihren guten Willen, Mazegger, aber ich kann diese Blume nicht nehmen.«
Aus dem Gesicht des Jägers war alles Blut gewichen. »Nicht nehmen? So? Und warum nicht?«
»Weil – weil die Pflanze in der Blütezeit ausgegraben ist und verwelken muß. Sie gewöhnt sich nicht mehr an neuen Boden.«
»Das ist eine Ausred! Vorige Woche hat Ihnen der Förster ein Edelweiß gebracht. Das hat doch auch schon geblüht. Warum soll das meinige nicht fortkommen? Oder wollen Sie es nur nicht nehmen, weil es von mir ist?«
Sie schwieg und mischte auf der Palette eine Farbe.
»Fräulein?« Die Stimme des Jägers zitterte. »Ich bin um das Blüml einen harten Weg gestiegen. Schauen S' hinauf zur Tejawand! Von da droben hab ich's heruntergeholt. Weil ich gemeint hab, das Blüml macht Ihnen Freud. Jetzt frag ich in allem Ernst: wollen Sie das Edelweiß nehmen?«
»Nein!« erwiderte sie ruhig.
Mit ersticktem Fluch zerquetschte er die Pflanze in der Faust und schleuderte sie weit in den See hinaus.
Da sah sie zu ihm auf. Dann rückte sie die Staffelei beiseite, um das Motiv, das sie begonnen hatte, breiter überschauen zu können.
Mit geballten Fäusten stand er hinter ihr und wartete, als müßte sie ihm noch ein Wort zu sagen haben. »Also wirklich?« unterbrach er die Stille mit heiseren Worten. »Das einzige kurze Wörtl ist alles gewesen? Alles für mich?«
Sie schwieg und setzte die gemischte Farbe mit sicheren Pinselstrichen auf die Leinwand.
»Und vor den anderen hat man sich hinstellen können eine geschlagene Stund, daß ein End schier nicht zu erleben war?«
Sie schien nicht zu hören, was er sagte.
»Aber der! Natürlich! Der ist halt was Feineres als unsereiner! Ein Fürst! Da rentiert sich's freilich, daß man 's Göscherl aufmacht! Aaah! So ein gnädiger Herr Fürst!«
Nun blickte sie doch verwundert auf. »Ein Fürst? Wer?«
Mazeggers Antwort war ein Lachen, das sein ganzes Gesicht verzerrte. »Gut verstellen können Sie sich auch, das muß ich sagen! Aber Sie wissen schon, wen ich mein'! Er hat sich ja so gnädig bei Ihnen verhalten, daß er schier aufs Fortgehn vergessen hat!«
Da huschte eine leichte Röte über ihre Wangen. »Das war der Fürst? Der die Jagd im Geißtal gepachtet hat?«
»Geh, Fräulein, tun S' nur nicht, als ob Sie das nicht gewußt hätten!«
»Nein, das hab ich nicht gewußt.« Sie wandte sich wieder zu ihrer Arbeit.
»Aber gefallen hat er Ihnen, gelt? Natürlich, wenn so einer kommt, mit seinem hochfeinen Spinnwebengsicht und seinen glanzigen Frauenzimmeraugen, aaah, da springen gleich alle verriegelten Türen auf!«
Ohne die Arbeit zu unterbrechen, sagte sie mit kaum merklicher Erregung in der Stimme: »Wenn es der Fürst ist, von dem Sie sprechen, dann ist es auch Ihr Herr, dem Sie Achtung schulden. Ich will mir danken, daß Sie nicht wissen, was Sie da geredet haben. Und jetzt gehen Sie, Mazegger! Sie sehen, ich arbeite.«
Sein rauhes Lachen unterbrach sie. Er würgte an Worten, die ihm nicht über die Zunge wollten, und plötzlich faßte er mit rohem Griff ihren Arm. Aus ihren Augen traf ihn ein so ruhig stolzer Blick, daß ihm die Hand hinunterfiel wie gelähmt. Schweigend legte sie den Farbenkasten zu und stellte ihn mit der Staffelei in den Schatten eines nahen Baumes. Prüfend betrachtete sie noch einmal ihre Arbeit, nahm den Basthut ab und strich die Haare von den Wangen zurück. Dann stieg sie gegen die Hütte hinauf.
Mazegger stand wie versteinert, solange er sie noch sehen konnte. Als sie verschwunden war, reckte er seine Gestalt, wie von einem Bann erlöst, und brach in ersticktes Lachen aus. Das Gesicht von Blässe überzogen, ging er zu dem Baum zurück, an den er seine Büchse gelehnt hatte. Zitternd klammerten sich seine Hände um die Waffe, während sein Blick die Höhe suchte, über deren Büsche das von Efeu umsponnene Dächlein herunterblickte. Eine wilde Drohung flammte aus den brennenden Augen des Jägers.
Er warf die Büchse auf den Rücken und schritt in den Wald hinein. Jeden Pfad vermeidend, kletterte er zwischen dem Gewirr der bemoosten Blöcke an der Lehne des Berges hin. Und plötzlich warf er sich ins Moos und grub das Gesicht in die Arme. Fast eine Stunde lag er so. Müd, als wären ihm alle Glieder wie gebrochen, richtete er sich endlich auf. Sein Gesicht brannte, und die Falten des Ärmels hatten ihm Striemen auf die Wangen gedrückt.
Er zog die Uhr. Es war Mittag geworden. Da konnte er ins Tal hinuntersteigen, ohne fürchten zu müssen, daß ihm der Förster oder einer der Jäger auf dem Weg begegnen könnte, der ihm verboten war.