Ludwig Ganghofer
Das Schweigen im Walde
Ludwig Ganghofer

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Drittes Kapitel

In der Sennhütte schien die weinfröhliche Stimmung in bedenkliche Wärme zu geraten. Man hörte zwei streitende Stimmen, neben einem rauhen Baß den kräftigen Tenor des Praxmaler-Pepperl. Aber die beiden Gegner schienen ihre Fehde nicht sonderlich ernst zu nehmen. Ihr Zankduett löste sich bald wieder in Gelächter auf, die Gläser klapperten, und ein übermütiger Jauchzer tönte in die stille Nacht hinaus.

Förster Kluibenschädl, der in einem der Jägerhäuschen noch lesend bei einer trüb brennenden Petroleumlampe saß, tat beim Hall dieses Jauchzers einen tiefen Zug aus der Pfeife, ohne zu merken, daß sie schon erloschen war, und las mit erregter Spannung weiter. Sein rundes Gesicht glühte, obwohl die Sommernacht nicht allzu schwül und der eiserne Sparherd, auf dem er sich zum Nachtmahl den gewohnten Schmarren bereitet hatte, schon längst erkaltet war. Förster Kluibenschädl war ein Freund literarischer Genüsse, hatte eine unglückliche Leidenschaft für »schöne Bücheln«, dazu eine leicht zu rührende Seele, und obwohl er in der Praxis des Lebens dem schönen Geschlecht nicht sonderlich freund war, bevorzugte er in der Kunst gerade jene »Büchel«, die von treuer Liebe handelten. Die aufregende Geschichte, die er just verschlang, heizte seinem in Spannung zitternden Herzen so schrecklich ein, daß ihm die innerliche Glut den Schweiß auf die Stirne trieb.

Die Erregung des Lesers war aber auch begründet. Man denke nur: in dem dreibändigen »frei nach dem Englischen bearbeiteten« Roman »Das Geheimnis von Woodcastle« hielt er soeben bei der wichtigen Szene, in welcher Lord Fitzgerald, der enterbte, von Unglück und Feinden verfolgte Held, die heimliche Botschaft seiner Geliebten empfängt und in mitternächtiger Stunde sich aufmacht zur heiß ersehnten Unterredung mit Lady Maud, der holdseligen, von Haß und Eifersucht bewachten Herrin von Woodcastle. Die Nacht ist rabenschwarz, eine Eule wimmert um die zerfallenen Zinnen, unheimlich murmelt der Fluß, und geheimnisvoll flüstern die alten Rüstern des Parkes. Wohl ahnt der Lord die Gefahr, die ihn umlauert; doch keine Macht der Welt kann ihn zurückhalten, in die Arme der Geliebten zu eilen, und so schreitet er furchtlos durch die finstere Nacht, nur begleitet von seinem treuen Neufundländer, der gleich dem Schatten eines Löwen an seiner Seite wandelt. Rosige Träume von Glück und Liebe erfüllen die große stolze Seele »unseres Helden«, und so ganz versunken ist er in die Gedanken an seine holde Maud, daß er die zischelnde Stimme überhört, die sich plötzlich im schwarzen Schatten der alten Mauer hören läßt: »Das ist er!« Doch Lion, der treue zottige Freund, hat blitzschnell die Gefahr erkannt, die seinen Herrn bedroht; seine Haare sträuben sich, er stößt ein drohendes Knurren aus, aber im gleichen Augenblick –

»Mar' und Joseph!« stotterte Kluibenschädl, dessen Augen sich erweiterten. »Jetzt gschiht ihm ebbes!« Wütend schlug er die Faust auf den Tisch. »Aber gleich hab ich mir's denkt, und grad heut muß er sein Revolver daheimlassen! So a verliebts Rindviech, so an unvorsichtigs!« Schnaubend legte er sich mit beiden Ellbogen über den Tisch und beugte die glühende Nase auf das Heft.

– Im gleichen Augenblick stürzen vier vermummte Gestalten aus der Mauernische hervor. Wohl springt der treue Hund dem ersten der Banditen heulend an die Kehle, doch ein wohlgezielter Dolchstoß streckt das mächtige Tier zu Boden.

»Ah, da hört sich aber doch alles auf!« Dem Förster traten vor Erbarmen um das schöne Tier die Tränen in die Augen. »Jetzt bringen s' mir den Hund um, der mir der liebste von allen gwesen is!« Nur mit mühe konnte er durch den Schleier seiner tropfenden Zähren weiterlesen.

Schon ist Lord Fitzgerald an Händen und Füßen gefesselt, ein Knebel erstickt seine Stimme, und während die Schurken ihn zu dem »in der Nähe bereitstehenden, dichtverschlossenen Wagen« schleppen, verblutet der arme Lion verlassen und hilflos im Staube. Noch einmal richtet er sich mit letzten Kräften auf, versucht der Spur seines geliebten Herrn zu folgen, doch die Füße tragen ihn nicht mehr; mit einem Winseln, welches »fast dem Todeslaut einer schmerzgebrochenen Menschenseele« gleicht, bricht er zu Boden und haucht auf den Fußtapfen seines Herrn die treue Seele aus.

Zwei große Tirolertränen fielen auf das schauerliche Geheimnis von Woodcastle nieder. Sie zerflossen auf dem schlechten Papier, und die Flecken wurden so schwarz, als hätte der Förster nicht klares Wasser, sondern Tinte geweint. In atemloser Beklemmung überflog er die nächsten Seiten, aber da half nichts mehr, der Hund war tot, kein Wunder geschah, um ihn wieder lebendig zu machen.

»Meiner Seel! Jetzt is er richtig hin!« Aus Kluibenschädls tiefer Ergriffenheit brach es mit heiligem Zorn heraus: »Die Raubersbuben, die gottverfluchten! Und dös will a Dichter sein? Der so a treus, unschuldigs Tierl z'grund gehn laßt? Ah nah! Der kann mir gstohlen werden!« Er packte mit grober Faust das Heft. »So martern muß ich mich doch net lassen!« Wütend schleuderte er das Heft in die Tischschublade, in deren schwarzem Schatten das Geheimnis von Woodcastle zwischen aufgedröseltem Rollknaster und alten Patronenhülsen verschwand.

Seufzend erhob er sich vom Tisch und ging auf die große zweischläfrige Bettstatt zu, um seine Ruhe zu suchen. Er war nun auch so weit schon Herr seiner Sinne, um den fidelen Spektakel nicht mehr zu überhören, der von der Sennhütte heraufklang. »Is denn da noch allweil net Feierabend?« Er sah nach der Uhr. »Halb zwölfe! Da muß ich Polizeistund machen!«

Aus der Almhütte quoll ein matt beleuchteter Qualm hervor, als wäre Feuer in der Sennstube ausgebrochen.

Der große, von einem flackernden Talglicht und dem schon erlöschenden Herdfeuer beleuchtete Stubenraum war so dick mit Pfeifenrauch erfüllt, daß Kluibenschädl, als er auf die Schwelle trat, die Gestalten der Sennerin und der vier Jäger, die um den mit Flaschen und Gläsern bestellten Tisch saßen, kaum zu unterscheiden vermochte. »A saubers Dampfl! Da könnt einer ersticken, da herin!«

Er wurde von der fidelen Kneipgesellschaft mit lautem Hallo begrüßt. Die junge Sennerin, die dem »kleinen Schwipserl«, das ihr der Praxmaler-Pepperl zugedacht hatte, schon bedenklich nahe schien, empfing den unerwarteten Gast mit einem trillernden Juhschrei, und Pepperl, das gefüllte Schoppenglas in der Hand, sprang auf, daß der dreibeinige Stuhl einen Purzelbaum machte. »Jeh, der Herr Förster!« jubelte er und schwang das Glas, wobei er seine zerzausten »Kreuzerschneckerln« mit einem ausgiebigen Spritzer taufte. »Der Herr Förstner soll leben! Hoooch!«

Burgi und die drei anderen Jäger fielen lachend ein, so daß der Förster den fröhlichen Spektakel kaum zu überbrüllen vermochte. »Stad, sag ich! Himmelkreuzteufel! Seids denn ganz verruckt? Droben im Fürstenhaus sind lang schon d' Lichte ausglöscht, und ös machts in der Nacht um halb zwölfe noch an Aufruhr wie a Träupl Rekruten! An unsern guten Herrn Fürsten denkt wohl gar keiner nimmer, was? Ös Lackeln überanand!«

Bei diesem Schlußwort knöpfte der Förster energisch seine Joppe zu.

In der Sennstube war es mäuschenstill geworden. Burgi fuhr sich verlegen mit der Schürze über das glühende Gesicht, und Pepperl stand so erschrocken , als hätte man ihm unversehens einen Kübel eiskalten Wassers über den Kopf gegossen. Und weil man bei solchem Stimmungswechsel, wenn man sein Gewissen nicht völlig rein weiß, die erste Schuld immer Gerd auf einen anderen schiebt, fuhr er mit heiserem Geflüster einen der Leutascher Jäger an: »No also, da hast es jetzt! Mit deiner Streiterei!«

»Ah, da schau!« brummte Birmoser in seinem tiefen Baß. »Du selber hast ja viel ärger gschrien als ich!«

Pepperl kam aus der Fassung. Er schien zu fühlen, daß seine Ausrede auf krummen Füßen ging; dazu begann der Wein unter seinen Kreuzerschneckerln zu rumoren. In Zerknirschung warf er einen Trauerblick auf die beiden noch ungeleerten Flaschen und stotterte: »Tuts mir die zwei Flaschen zustöpseln! Heut trink ich kein Tröpfl nimmer!«

Dieser ehrlichen Reue gegenüber hielt Kluibenschädls Ärger nicht stand. »No, no, no, no! Übers Knie muß man auch net alles abbrechen! Bleibts halt in aller Ruh noch a halbs Stündl sitzen, bis der Wein austrunken is. Und damit's gschwinder geht, hilf ich a bißl mit, in Gotts Namen!« Er füllte ein Schoppenglas und leerte es auf einen Zug. »Sooooo!« Als er das Glas niederstellte, gewahrte er, daß nur vier Jäger am Tische saßen. »Wo is denn der ander«, fragte er verwundert, »der Mazegger-Toni?«

»Fort is er«, antwortete Beinößl, der Jäger von Ehrwald, »schon gleich am Nachmittag, wie der Fürst kommen is.«

»Was? Fort? Da muß ich a bißl nachschauen.« Kluibenschädl ging zur Tür und brummte über die Schulter: »Also! Gscheit sein! Um zwölfe is Polizeistund!«

»Ja, ja! Gut Nacht, Herr Förstner!« erwiderten die Jäger. Nur Pepperl schwieg. Er hatte seinen Stuhl wieder aufgerichtet, saß mit gespreizten Beinen und machte ein Gesicht, als ginge ihm ein widerhaariger Wirbel im Kopf herum. Die Sennerin brach, als sie die trübselig verwandelte Gesellschaft sah, in Kichern aus. »Ui jegerl! Der hat enk bei der Kittelfalten derwischt! Und du?« Sie puffte den Praxmaler-Pepperl mit der Faust in den Rücken. »Was ist denn mit dir?«

»Gnug hab ich, scheint mir!« gestand Pepperl in ehrlicher Selbsterkenntnis. »Dir hätt ich 's Räuscherl gern anghängt, und ich selber hab's kriegt!«

Das Mädel lachte, daß ihr die Jäger beschwichtigend zuwinkten. Da drückte sie die Hand auf den Mund, huschte zur Hüttentür und guckte in die schwarze Nacht hinaus.

Der Fürst war in der Finsternis verschwunden. Nur seine stolpernden Schritte waren noch zu hören.

Aus dem kleinen Fenster des Hegerhäuschens, auf das er zutappte, schimmerte Licht. »No also, er muß ja daheim sein!« Kluibenschädl ging auf das offene Fenster zu, packte die Gitterstäbe und steckte den Kopf hinein.

Eine rußende Petroleumlampe brannte in dem Stübchen, das mit den zwei Betten, dem Tisch und dem eisernen Kochherd so reichlich angeräumt war, daß knapp noch schmaler Platz blieb, um aus und ein zu gehen. Das eine Bett war leer, auf dem anderen lag Toni Mazegger ausgestreckt, völlig angekleidet, die Hände hinter dem Kopf verschlungen, mit offenen Augen, die zur Decke starrten.

»He! Du!«

Mazegger fuhr auf. Als er den Förster am Fenster sah, nickte er wortlos.

»Was is denn mit dir? Wo warst du denn am Abend?«

»Dienst hab ich gemacht.«

»So? Wo denn? Leicht draußen beim Sebensee?«

»Nein!« Glühende Röte flog über das bleiche Gesicht des Jägers. »Im Hämmermoos.«

»Gegen Leutasch naus?« Kluibenschädl zog die Augenbrauen hoch. »Die Gschicht kommt mir a bißl brenzlig vor. Die gnädig Duhrlaucht gibt enk an freien Abend, und derweil sich deine Kameraden amassieren, schießt dir gahlings der Pflichteifer ein? Und du machst Dienst bis in d' spate Nacht? Und dös soll und glauben?«

Mazegger hob die Schultern und trat zum Tisch, um die rußende Flamme der Petroleumlampe herunterzuschrauben. Kluibenschädl musterte den Jäger mißtrauisch. »Leg dich nieder! 's Petroli für nix und wieder nix verbrennen? Dös leid ich net.«

Mazegger blies die Lampe aus, stieß in der finsteren Stube die Schuhe von den Füßen und warf sich aufs Bett.

Der Förster schüttelte seufzend den Kopf; mehr gutmütiges Bedauern als Ärger sprach aus seiner Stimme: »Paß auf, Toni, 's Leben wird dich noch zwiefeln! Und morgen in der Fruh machst Dienst gegen Leutasch zu, ins Hämmermoos! Verstanden?« Während Kluibenschädl langsam davonging, kalkulierte er: »So is er doch sonst net gwesen! Möcht nur wissen, was er hat die ganze Zeit her?« Ein paar Ländlertakte pfeifend, nickte er vor sich hin. Nun lachte er. »O du narrische Welt! Der Lapp, der dumme! Was der sich einbildt!« Da sah er vom Fürstenhaus das Licht einer kleinen Blendlaterne durch die Finsternis einherschwanken, gleich einem Stern, der auf unsichtbaren Stelzen wandert. »He? Wer kommt denn da?« Es war der Lakai des Fürsten. »Sie, Herr Kammerdiener? Was suchen S' denn so spat in der Nacht?«

»Zwei Briefe hab ich zu bestellen. Sind die Leutascher Jäger noch hier?«

»Ja, drunt bei der Sennerin.«

Vorsichtig leuchtete Martin auf die Erde, um nicht über die Steine und Krautbüschel des Almfeldes zu stolpern. Vor der Tür der Sennhütte nahm er das kleine Lodenmäntelchen ab, das er um die Schultern trug. Vermutete er in wärmere Luft zu kommen? Oder wollte er durch Enthüllung seiner kleidsamen Dienstgala den Eindruck seiner Persönlichkeit verstärken?

Sein lautloser Schritt störte die kleine Zechgesellschaft nicht in ihrer tuschelnden Heiterkeit.

Zum Gaudium der anderen Jäger hatte Pepperl, dem die weinselige Stimmung aus den Augen leuchtete, die Sennerin an beiden Armen gefaßt und suchte sie auf seinen Schoß zu ziehen. Unter Lachen und Schelten wehrte sich das Mädel. Aber Pepperl hielt fest, und seine derben Fäuste drückten, als hätte er nicht zwei warme, mollige Mädchenarme, sondern ein paar Holzscheite in der Hand.

»Au weh! Du Narr du! Brichst mir ja d' Arm ausanander!« Um sich frei zu machen, zerrte die Sennerin wie eine Forelle, die am Haken hängt. Dennoch schien sie dieses grobe Neckspiel nicht übelzunehmen. Jeder Wehlaut, den sie ausstieß, wurde durch neues Kichern abgelöst. »Auslassen! Oder –«

»Oder was?« Lachend griff Pepperl noch derber zu. »Her da! Deiner Lebtag bist noch nie auf eim schönern Bankl gsessen.«

»Au weeeh – ich weiß mir a bessers! Mein hölzerns Bankl hat feste Füß. Die deinigen wackeln schon!«

»So? Wackeln? Meinst?« Pepperl zog, daß der schwere Tisch, gegen den das Mädel sich stemmte, ins Rutschen kam. »Wenn s' wackeln, kannst dich schön hutschen drauf!«

»Ich mag net, 's Hutschen vertrag ich net. Au! Du Narr du! Jessesmaria, mein Arm!«

Ein paar leere Flaschen rollten über den Tisch, die Gläser klirrten, und das gab einen Lärm, daß Beinößl mahnte: »Der Förstner!« Um die Neckerei zu beenden, wollte er der Sennerin zu Hilfe kommen. Aber das war überflüssig. Pepperl, von einem blenden Lichtstrahl ins Gesicht getroffen, hatte die Arme der Sennerin fahren lassen. Burgi taumelte und wäre über die hölzerne Bank hinübergepurzelt, wenn sie nicht flink noch die Tischkante hätte erhaschen können. Das lustige Lachen, mit dem sie sich aufrichtete, erstickte zu einem leisen Schrei, als sie plötzlich die schwarze Gestalt mit der Blendlaterne gewahrte. »Alle guten Geister –« Sie wollte schon mit dem Daumen zur Stirn fahren, um sich zu bekreuzen. Da erkannte sie den Gast, kicherte vor sich hin und bestaunte den Lakaien vom glattfrisierten Kopf bis zu den blinkenden Schnallenschuhen. Für die vornehme Erscheinung, die er in dem rund geschweiften Frack, in den Eskarpins aus schimmerndem Atlas und in den schwarzen Seidenstrümpfen machte, hatte sie augenscheinlich nicht das richtige Verständnis. Wohl sprach aus ihren verdutzten Augen etwas wie Respekt und Scheu. Dennoch mußte sie schmunzeln.

Schweigend saßen die drei Jäger hinter dem Tisch und kauten an den Pfeifen. Pepperl hatte die Fäuste in die Joppentasche geschoben, saß zurückgelehnt auf dem Sessel, die Beine lang ausgestreckt, und machte mit aufgerissenen Augen ein höchst sonderbares Gesicht. Er wußte wohl, daß droben im Fürstenhaus ein Kammerdiener eingezogen war. Aber hier in der Hütte sah er zwei Kammerdiener, und die beiden hatten die wunderlichen Eigenschaft, daß sie sich im Kreis um ihn herumdrehten. Dabei hatten sie ein verdächtiges Lächeln, das dem Praxmaler-Pepperl, je länger er es ansah, das Blut immer heißer in die Stirn trieb. Schwül atmend griff er nach seinem Kopf und wühlte in den Kreuzerschneckerln. Da sah er plötzlich nur einen Kammerdiener. Der lächelte noch immer so – und in prüfender Beschaulichkeit hob er die Blendlaterne, um das Gesicht der Sennerin besser zu beleuchten. Wie hübsch dieses Mädel war! In dem strahlenden Lichtkreis, mit dem kirschroten Schnabel, mit den Schmunzelgrübchen in den runden, brennenden Wangen, mit den dunklen Feueraugen und dem wirr gezausten Braunhaar über der glühenden Stirn! Und von der Nachwirkung des energischen Widerstandes, den Burgi im lustigen Ringkampf mit Pepperl geleistet hatte, atmete der feste Busen so ungestüm, als möchte er den groben Kittel sprengen. Gleich einem wissenschaftlichen Forscher ließ Martin den Schein der Blendlaterne über die Sennerin gleiten. Er verstand sich in solchen Dingen genügend aufs Rätsellösen, um den jungen, stramm gesunden Mädchenkörper zu erraten, der sich in dem derben Arbeitskleid versteckte. Der Kenner nickte zustimmend und lächelte.

Burg verstand dieses Lächeln nicht. Aber das Schweigen währte ihr zu lang. Lustig sagte sie: »Der Herr Kammerdiener? Gelt? Und ich hab schon gmeint, der Leibhaftige steht vor mir in der schwarzen Stiefelwichs!«

Kichernd drückte sie das Kinn auf die Brust.

Martin wurde verdrießlich. »Na, hören Sie, mein schönes Kind, das ist gerade kein Kompliment. Ich glaube eher, daß ich Ihnen als rettender Engel erschien, um Sie aus den Fäusten dieses groben Lümmels zu befreien.«

»Oho!« Pepperls Gesicht war anzusehen, als hätte man ihm Zinnober auf die Stirn gestrichen.

»Sie wünschen?« Martin hob die Laterne. »Ist das einer von unseren Jägern?« fragte er die Sennerin und musterte wieder mit kühlem Blick die stumme Gesellschaft am Tisch. »So viel Manieren könntet ihr wohl haben, um zu wissen, daß man aufsteht, wenn jemand von der Herrschaft eintritt.«

Die Jäger hinter dem Tisch guckten einander mit großen Augen an und erhoben sich schwerfällig.

Pepperl blieb sitzen. Seine Augen funkelten. »Da muß schon wer andrer kommen, bis ich aufsteh. Wegen Ihnen reiß ich mir keine Haxen aus.«

»Aber Pepperl, geh, was hast denn?« stotterte Burgi erschrocken. Und Beinößl griff über den Tisch hinüber und schüttelte den Erregten mit derber Faust an der Schulter: »Peppi? Bist denn verruckt?«

»Na! Ich net! Aber in Ruh lassen soll er mich! Der!« Die Mahnung zum Frieden schien Pepperls Zorn noch geschürt zu haben. »Wenn er auch so pikfein dreinschaut wie an auszogner Tintenspritzer, deswegen is er doch net mehr als wie a Stiefelputzer, der sei' Bürsten daheim lassen hat!«

Martin legte vornehm den blonden Kopf zurück.

Der kalte Blick rührte in Pepperl den Zorn zum Sieden auf. »Sie! Bleankeln S' net so mit Ihrem ausgwaschnen Gschau! Mich verschlucken S' noch lang net! Und mit solchene Augen können 'S enkere Frauenzimmer in der Stadt drin anschauen, aber kein Madl bei uns da heraußen!«

Ohne auf Pepperl zu hören, war Martin zum Tisch getreten. »Geht einer von den Leutascher Jägern noch heut nach Hause?«

»Jawoll!« erwiderten Birmoser und Ruef.

Dem letzteren, der von beiden der minder bekneipte zu sein schien, reichte Martin ein großes Kuvert, das er aus der Brusttasche zog. »Übergeben Sie dieses Kuvert, das zwei Briefe enthält, morgen früh in Leutasch dem Postboten. Die Briefe sollen erst auf der Post in Seefeld aus dem Kuvert genommen werden. Das ist strenger Befehl Seiner Durchlaucht. Haben Sie verstanden?«

»Jawoll!«

Mit gnädigem Lächeln wandte sich Martin zur Sennerin, die wortlos dastand. »Gute Nacht, mein schönes Kind!« Freundlich klopfte er sie auf die Wange, dann hob er die Laterne, um seinen Weg zu beleuchten, und verließ die Hütte.

Mit keinem Blick sah Burgi dem Abziehenden nach, sondern hielt ihre zornblitzenden Augen auf Pepperl gerichtet. Die drei Jäger hinter dem Tisch begannen zu lachen und wollten mit derben Späßen über den unbehaglichen Augenblick hinüberturnen. Da trat die Sennerin vor Pepperl hin. »Du! Jetzt will ich dir was sagen!« Ihre Stimme zitterte. »Wir sind zwei gute Freunde gwesen in aller Lustbarkeit. Net mehr und net weniger. Aber von heut an hat's an End. Solchene Sachen leid ich net in meiner Hütten. Da kannst dir an anders Platzl suchen!«

»So? So?« kollerte Pepperl. »Is dir am End schon Angst um ihn, weil ich ihm seine schmalzigen Haar a bißl aufkampelt hab?« Höhnend deutete er mit beiden Armen nach der Tür. »So geh doch, geh – main scheenes Gindd – und führ ihn am Armerl, daß er net stolpert. Wann er sich's Nasenspitzl verstaucht, wer weiß, leicht gfallt er dir morgen nimmer.«

Den Ärger verbeißend, sagte das Mädel ruhig: »Sei stad, gelt! Du rauschiger Unfürm du! Und kümmer dich lieber, daß du an Helfer findst, der dich heut noch auf'n Strohsack lupft! Und der ander? Der soll mich anschaun, wie er mag! Dich frag ich noch lang net drum. Net heut und net morgen. Und überhaupt, heut hab ich gnug – von enk alle mitanander!« Sie packte den hölzernen Wassereimer und goß seinen Inhalt über das müde flackernde Herdfeuer, so daß unter dem plätschernden Guß auch das letzte Flämmchen erlosch. Es wurde ein bißchen duster in der Hütte. Das tränende Kerzenlicht, das die große Stube nicht aufzuhellen vermochte, sah aus wie das hilflose Waisenkind einer verlorengegangenen Sternmutter.

»Aber Madl, geh!« fiel Beinößl beschwichtigend ein.

»Der ander gibt eh schon Ruh. Jetzt sei net du die Narrische.«

Burgi warf den Eimer zu Boden, ging zum Tisch und pustete das in einer leeren Flasche steckende Talglicht aus.

»So! Polizeistund!« grollte sie in der Finsternis. »Gut Nacht mitanand!«

Die Jäger lachten, nur Pepperl nicht. Als er in der Dunkelheit die Kammertür gehen und drinnen den schweren Eisenriegel klirren hörte, sprang er auf. »He! Burgi! Du! Ich muß dir was sagen!« Als keine Antwort kam, begann er mit beiden Fäusten gegen die Kammertür zu trommeln.

Während Birmoser auf dem Tisch herumtappte, um die noch ungeleerte Flasche für sich zu retten, legten sich Ruef und Beinößl bei der Kammertür ins Mittel und lotsten den Praxmaler-Pepperl unter gütlichem Zureden hinaus in die stille, sternschöne Sommernacht.

Pepperl wehrte sich wie ein Wilder. »Laßts mich aus! Ich rat's enk im guten! Ich muß ihr was sagen! Laßts mich aus!«

Die beiden hielten ihn fest und zogen, daß Pepperl auf den vorgestemmten Füßen eine Rutschpartie übers Almfeld machte.

»Na! Und na! Und ich geh net heim! Ich muß ihr was sagen!«

»Jetzt halt dein Schnabel, du Giftgockel, du eifersüchtiger!« schnauzte ihn Beinößl an.

»Was? Eifersüchtig? Daß ich net lach!« Und richtig, Pepperl lachte laut in die Nacht hinaus. »Was geht denn mich die Burgi an! Die is mir net mehr als der Wind hinterm Ohrwaschel! Auf Ehr und Seligkeit! Und ich will und ich mag nix von ihr! Und net um d' Welt! Ös seids mir die richtigen Freund! Dös muß ich sagen! Saubere Freund! Und bringen eim solchene Sachen auf! Was? Helfts am End auch schon zum anderen? Ja?«

»Geh, du Narr! Was hast denn davon? Der wird dich ghörig verklampern beim Fürsten!«

»Verklampern? So? Meintwegen! Soll er mich halt verklampern! Und meine Freunderln, meine guten? Die machen ihm leicht noch an Zeugen? Ja? Öl seids mir die richtigen Freund! Laßts aus! Mit enk will ich nix mehr z'schaffen haben! Auslassen! Himmelherrgottsackerment!«

Mit einem Athletenruck befreite Pepperl seine Arme und rückte trotzig das Hütl übers Ohr, wie einer, der weiß: jetzt hat mich alles verlassen, jetzt bin ich auf mich allein gestellt! Und während ihm die Jäger lachend nachsahen, stolperte er einsam durch die Finsternis seiner nahen Hütte zu.

In seinen Ohren war ein böses Wort zurückgeblieben: »Verklampern! Der wird dich ghörig verklampern beim Fürsten!«

Aus bedrückter Seele seufzend, erreichte Pepperl die Tür des Försterhäuschens. Ohne zu prüfen, ob sie offen oder geschlossen wäre, suchte er eine Viertelstunde lang in allen Taschen nach dem Schlüssel. Als er ihn nicht fand – weil der Schlüssel im Schloß steckte –, ließ er sich in einem Anfall dumpfer Seelenzerknirschung auf die Schwelle nieder und nahm seinen sumsenden Kopf in die Hände. Verworren tauchten die Ereignisse, die sich in der Sennhütte abgespielt hatten, vor seinem wach gerüttelten Gewissen auf, an dem schon die Reue zu nagen begann wie die Maus an der Speckschwarte. »Teufi, Teufi, Teufi! Was hab ich denn da für Sachen gmacht! Jetzt glaub ich schon selber, daß ich a bißl z'viel derwischt hab!«

Schwül atmend erhob er sich, tappte unter den Bäumen bis zum Röhrenbrunnen und steckten den heißen Kopf in den Wasserstrahl. Unter Schnauben und Prusten stand er über den Rand des Troges gebückt. Das eiskalte Wasser, das ihm die Ohren und das Gesicht umpritschelte und durch den Joppenkragen über den Rücken rann, machte ihn schauern und zittern. Geduldig hielt er den kalten Guß so lange aus, bis es in seinen vom Wein umdusterten fünf Sinnen wieder hell zu werden begann. Dann zog er die Joppe herunter und rüppelte mit ihr den Kopf, bis die Kreuzerschneckerln wieder leidlich trocken waren. Seufzend kehrte er zur Hütte zurück. Und da war es ihm fast leid, daß er die radikale Wasserkur unternommen hatte. Im Weindusel hätte er bald den Schlaf gefunden und wäre die verwünschten Gedanken losgeworden. Jetzt, da er zur klaren Erkenntnis der »Dalkerei« gekommen war, die er in der Sennhütte angestiftet hatte, jetzt wußte er, daß es für diese Nacht vorbei war mit Schlaf und Ruhe.

Ob's nicht am besten wäre, gleich alles dem Förster ehrlich zu beichten?

Trotz dieser Einsicht zog Pepperl vor der Tür die Schuhe herunter, um durch kein Geräusch den Förster aus seinem Schlaf zu wecken. Als er in das finstere Stübchen trat, hörte er dumpfes Stöhnen und abgerissene Worte, wie sie ein Kranker im Fieber redet. Erschrocken machte er Licht und leuchtete mit einer Kerze über das Bett.

Kluibenschädl, der halb entkleidet, mit der Lederhose, auf der Matratze lag, hatte die wollene Decke über die Knie hinuntergestrampelt und arbeitete mit den Fäusten in der Luft herum. Sein Gesicht war dunkelrot, und röchelnd sprach er im Schlaf: »Raubersbuben! Abfahren! Laßts mir den treuen Hund in Ruh! Abfahren, sag ich! Oder es kracht!«

Pepperl griff zu und rüttelte, bis der Förster wach wurde und mit schlaftrunkenen Augen aufblickte. »Was – was is denn?«

»Ich hab Ihnen wecken müssen. An schiechen Traum haben S' ghabt. Von Raubersbuben haben S' gredt, und von eim treuen Hundl!«

Kluibenschädl setzte sich auf und rieb die Augen.

»Schau, da is mir jetzt richtig der arme Lion im Schlaf kommen! Weißt, heut aufn Abend hab ich noch a bißl im Geheimnis von Wohdekastel glesen – ja, denk dir, Pepperl, jetzt haben s' mit den guten Lion derstochen, die Haderlumpen!«

»Geh! Is's wahr?«

»Und den Lord Fitzgerald haben s' überfallen und knebelt und bunden und davongschleppt – der Teifel weiß, wohin.«

»No mein, trösten S' Ihnen, es wird ihm schon wieder einer helfen!« meinte Pepperl sanguinisch.

»Dös will ich hoffen! Wenn so aber bravs Mannsbild z'grund gehn muß, nacher wird's mir z'dumm! Nacher schreib ich dem Buchhändler in Innsbruck a Briefl! Der soll sich gfreun! Und 's Geld muß er mir wieder zruckgeben. Für so was zahl ich net. Derschlagen und derstechen und betrügen und belügen tun sich d'Leut sowieso schon im Leben gnug. Was brauch ich denn da noch a Büchl dazu? Wenn ich a Büchl lies, möcht ich mei' Freud dran haben! Daß ich 's ganze Sauleben drüber vergessen kann! Und 's Herz muß mir sein, als hätt's a frisch gwaschens Hemmed an und a Feiertagsgwandl! Sonst pfeif ich auf die ganze Dichterei!« Kluibenschädl zog die Decke bis zum Hals herauf, mummelte sich ein und drehte sich gegen die Wand. »Sei froh, Pepperl, daß du net der Dichter vom Geheimnis von Wohdekastel bist! Sonst tätst heut deine Prügel kriegen!«

Pepperl seufzte. »Wer weiß, ob ich's net so auch verdient hätt!«

»Na, na! Ich bin dir schon werden gut! Ös seids halt lustig gwesen! Schwamm drüber! Gut Nacht!«

Schweigend starrte Pepperl die Kerze an und stocherte mit dem kleinen Finger in die Flamme. Dann seufzte er wieder, blies das Licht aus, legte die Joppe über einen Stuhl, streifte die Hosenträger von den Schultern und kroch unter die Decke.

Schon nach kurzer Weile verriet ein sanftes Schnarchen, daß Förster Kluibenschädl seinen Schlummer wiedergefunden hatte. Pepperl lag mit offenen Augen und kaute an einem Seegrasstengel, den er aus der Matratze gezogen hatte.

»Teufi, Teufi, Teufi! Morgen in der Fruh, bis ich heimkomm von der Pirsch, da hat er mich schon verklampert!« – Und was der Herr Fürst wohl sagen würde? – »Nobel, Pepperl, nobel! Fein hast dich aufgeführt!«

Er dachte sich diese Worte nicht, nein, er hörte sie, hörte so klar die ernste Stimme seines Herrn und sah so deutlich seine vorwurfsvollen Augen auf sich gerichtet, daß ihm vor Zerknirschung und Reue der Schweiß aus den Schläfen brach. Und wie sollte er sich verteidigen? Wie seinen Herrn wieder freundlich stimmen? »Teufi, Teufi, Teufi! Was tu ich denn nur?« Da fiel ihm der herrliche Vierzehnender ein, der in den Latschenfeldern über dem Sebensee seinen Standort hatte. Wenn es das Glück wollte, daß er den Fürsten auf diesen Staatshirsch zum Schuß bringen könnte, gleich bei der ersten Pirsch! Solche Weidmannsfreude würde den Groll seines Herrn gewiß besänftigen, oder ihn doch in eine Stimmung bringen, in der siech Pepperl alle Reue über seine »rauschige Lümmelei« vom Herzen schwatzen und sich halbwegs verteidigen konnte.

Aber wie verteidigen?

Daß ihm der Blick, mit dem der Kammerdiener die Sennerin gemustert hatte, wie Feuer ins Blut gefahren war? Das konnte er doch dem Fürsten unmöglich sagen. Was hat sich ein Jäger um die Augen zu kümmern, die der fürstliche Herr Kammerdiener macht? Und was ging den Praxmaler-Pepperl die Burgi an? Gott behüt! Das wär doch die reine Narretei! Wenn ein Jäger, der selber nicht viel mehr als seine Büchse hat, an so was denkt, muß er doch ein bißchen rechnen, muß schauen, daß er sich ein Bröserl einheiratet. Die Burgi? Ui jegerl! Wenn sich die nicht im Winter ein Paar Strümpfe strickt, dann kann sie im Sommer barfuß laufen! Das Mädel eine hungrige Sennerin und der Vater ein alter Notnickel, der für fünfzig Kreuzer Monatszins in einem Stüberl hauste, in dem die Mäuse am Strohsack nagen mußten, weil's was anderes nicht zu knuspern gab! »Na! Da dank ich schön! So was fallt mir net ein!« Und was seine Mutter sagen würde, wenn er eines Tages mit der Nachricht käme: »Du, Mutter, ich denk mir, ich nimm die Burgi!« Das alte Weibl würde vor Schreck und Jammer die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: »Ja, Bub, ja, Pepperl, bist denn narrisch? Hast selber nix zum Beißen, vierhundert Gulden liegen vom Vater her noch Schulden auf unserem Häusl, und da bringst mir so a Weibsbild, dös bloß an einzigen Rock für Kirch und Arbeit hat!«

Gott bewahre! Für solche einen Narrenstreich war der Praxmaler-Pepperl viel zu gescheit! Und überhaupt, wenn er an die Burgi hätte denken wollen – sie war doch auf der Tillfußer Alm schon Sennerin im zweiten Sommer –, da hätte er doch nicht warten müssen bis heut! Bis ihm der fürstliche Herr Kammerdiener die Nase auf das Butterlaibl stieß! Daß die Burgi ein nudelsauberes Mädel war, das brauchte sich Pepperl von keinem anderen sagen zu lassen, am allerwenigsten von so einem. Er hatte doch selber Augen im Kopf. Aber zum Heiraten gehört eben mehr als ein rotes Göscherl. Diese praktische Weisheit steckte dem Pepperl so tief im Blut, daß er an die Burgi gar nicht denken konnte!

Wo käme da Eifersucht her? Zum Lachen! Eifersucht! Die Burgi und er, sie waren halt zwei junge, lustige Leut, und da sitzt man gern beisammen und kudert und lacht. Mehr will man nicht voneinander. Gott bewahr! Auf Ehr und Seligkeit! Und das Lachen ist noch lang kein Sünd. »'s Leben is eh nur lauter Plag, und hätt man dös bißl Lachen net, wär gar nix dran.« Und aufs Lachen verstand sich die Burgi! Mit ihren Grübchen und ihren Blitzäugerln! Wenn einer aufs Heiratsgut nicht anstehen müßt und könnt die Burgi nehmen, wie sie geht und steht – »Teufi, Teufi, Teufi! Der krieget a lustigs Leben! Der wär zum Neiden!«

Als Pepperl zu diesem Gedanken kam, spürte er auf der linken Brustseite einen merkwürdig schmerzenden Druck. Er meinte, das käme von der unbequemen Lage auf der harten Matratze, und wälzte sich auf die andere Schulter. Aber das Mittel half nicht – ganz natürlich, denn die Matratze wurde nicht linder, weil der Praxmaler-Pepperl sich umgedreht hatte.

Er atmete schwer, und unter der wollenen Decke begann ihm schwül zu werden. So viel wie in dieser nächtlichen Stunde hatte er schon lange nicht gedacht. Die ungewohnte Kopfarbeit machte ihn völlig schwitzen. Aber nach aller Gedankenmühe war er doch wenigstens zu der beruhigenden Überzeugung gekommen, daß er »von der Burgi nichts wollte«, und daß es »reine Narretei« war, wenn ihn seine Kameraden mit der Eifersucht aufzogen. Was ihn zu der »rauschigen Wut« gegen den fürstlichen Herrn Kammerdiener verführt hatte, war etwas ganz, ganz anderes! Der Praxmaler-Pepperl war mit einem »gschamigen Gmüt« behaftet, und da hatte jener Blick des Lakaien auf ihn gewirkt, als hätte man ihm eine Handvoll Schmutz ins Gesicht geworfen. Das wäre auch so gewesen, wenn es sich um ein Nannerl oder um eine Stasie gehandelt hätte. Wenn Menschen in der Einsamkeit nebeneinander hausen, müssen sie füreinander einstehen in Not und Gefahr, jedes ist verantwortlich für das Wohl und Wehe des anderen. Und da sitzt nun solch ein junges, bildsauberes, dummes Ding in der unbewachten Sennhütte, ist an nichts anderes gewöhnt als an den gefahrlosen Verkehr mit »so unfürmigen Lümmeln«, wie der Praxmaler-Pepperl einer war – und da kommt nun so ein Pikfeiner aus der Stadt, mit silbernen Schnallen auf den Schuhen, mit seidenen Strümpfen und mit süßen Redensarten wie »Main scheenes Gindd!« – ja du lieber Herrgott, da ist doch ein Unglück geschehen, eh man sich umschaut! Und da sollte Pepperl nicht die heilige Pflicht haben, das zu verhindern? Der Burgi zulieb? Gott bewahr! Aber nun hatte das arme Mädel doch schon die Mutter verloren, und ihr alter Vater stand auch nur noch ein Katzensprüngl vom Grab entfernt! Freilich hatte Pepperl sich in den vergangenen Jahren sehr wenig um den alten Brenntlinger gekümmert. Jetzt aber war der gewissenhafte, unter Verantwortungsdruck und selbstlosem Pflichtgefühl heftig schwitzende Praxmaler-Pepperl in seinen Gedanken plötzlich ein Herz und eine Seele mit dem »guten, braven Mannderl«. Wohl hatte der alte Brenntlinger eine bedenkliche Vorliebe für den Doppeltgebrannten, aber er trug doch auch ein richtiges Vaterherz in seiner Brust! Und was wird er sagen, wenn er's einmal erfahren muß – das ganze schreckliche Unglück der Burgi!

Bei dieser Vorstellung krampfte sich Pepperls Herz in stechender Qual zusammen, wie sich ein Igel wollt, wenn der Hund ihn apportieren will. Er dachte mit keinem Gedanken an die Burgi, Gott behüt, nur an den armen, alten, braven Vater! Er sah ihn durch den Wald einherkommen, wankend und gebeugt, wie zu Boden gedrückt durch die Last dieses Kummers. Und nun stand der Unglückselige vor dem Praxmaler-Pepperl, schaute ihn todestraurig mit den rot geränderten Säuferaugen an, in denen das Wasser glitzerte, und sagte mit seiner Stotterstimme: »Aber, Pepepepepperl, hörst, das hätt ich mir doch net denkt von dir, daß d' mir gar net aufpassen tust aufs Madl! Und jetzt schschschau dir dös Unglück an!«

Dem Pepperl wurde fürchterlich weh um die selbstlose Menschenseele. »Himmelkreuzteufi noch amal!« Er streckte drohend die Arme in die Finsternis. »Zerreißen und schlitzen tu ich den Kerl in der Luft, wann er 's Madl net in Ruh laßt!« Schnaufend schob er die wollene Decke von der Brust. »Herrgott, so was von Hitz! Da steh ich schon lieber auf. Schlafen kann ich eh nimmer.«

Achtsam, um den schnarchenden Bettkameraden nicht zu wecken, erhob er sich, strich ein Zündholz an und sah nach der Uhr. Ein paar Minuten fehlten noch bis drei. »No also, is ja eh schon Pirschzeit!« Sinnend stand er in der finsteren Stube und starrte das Zündholz an, das sich im Erlöschen krümmte wie ein feuriger Wurm. Dann packte er mit der einen Hand seine Joppe und die Schuhe, mit der anderen den Hut, die Büchse und den Rucksack.

Lautlos zog er hinter sich die Tür zu und machte sich unter freiem Himmel zum Pirschgang fertig.

Schon begann im Ostern ein mattes Dämmern, und die Sterne wollten erlöschen. Schwarzgrau dehnte sich das betaute Almfeld, der Brunnen plätscherte, und halblaut bimmelte die Glocke eines Rindes, das irgendwo im Grase lag. Ganz deutlich unterschied man schon im Zwielicht die grobe Mauer der Sennhütte und in dem trüben Morgengrauen das schwarze Fensterchen.

Dieses Fenster betrachtete Pepperl unter angestrengtestem Nachdenken. Das heilige Pflichtgefühl, die Verantwortung, die er dem alten Brenntlinger gegenüber zu tragen hatte, war ihm in solcher Heftigkeit »eingeschossen«, daß er ganz unmöglich zur Morgenpirsche ausziehen durfte, ohne dem »dalketen Madl« eine ernste Warnung zu erteilen.

Mit langen Sprüngen rannte er über das Almfeld hinunter, wie einer, der gestohlen hat. Da hörte er im nahen Hegerhäuschen den rasselnden Wecker gehen. Erschrocken hielt Pepperl inne. »Dös braucht ja keiner z'wissen, daß ich ihr a bißl predigen muß!« Und just, als hinter den trüben Scheiben des Jägerstübchens der Lichtschein aufging und Mazeggers Silhouette im hellen Fenster erschien, drückte Pepperl sich um die Ecke der Almhütte. Die verriegelte Tür verursachte dem Tugendwächter mit den Kreuzerschneckerln nicht das geringste Kopfzerbrechen. Er kannte den primitiven Mechanismus dieses Schlosses. Mit dem Messer fuhr er durch eine Spalte der Bretter und hob innen ohne Mühe den Riegel auf. In der Sennstube herrschte rabenschwarze Finsternis. Da war der Weg zu Burgis Kammertür ohne einiges Stolpern und Gepolter nicht zu finden.

Hätte die junge Sennerin auch den Schlaf einer alten Bärin gehabt, sie hätte bei diesem Spektakel erwachen müssen. »Mar und Joseph! Was is denn?« klang die schlaftrunkene Stimme des Mädels aus der Kammer.

»Nix is 's! Gar nix! Na, na! Bloß ich bin's!« flüsterte Pepperl durch die Klumsen der Kammertür, sanft und freundlich, wie ein guter Hirte zu seinem Schäflein reden muß. »A bißl was sagen muß ich dir! Ganz ebbes Wichtigs! Geh, sei gscheit und komm a bißl aussi!«

»Fahr ab, du da draußen! Und laß mich schlafen!«

Diese widerspenstige Antwort brachte dem Praxmaler-Pepperl die bittere Erkenntnis bei, welch eine undankbare Aufgabe es ist, den Menschen das Gute zu predigen. Einige Sekunden blieb er lautlos vor der schwarzen Tür stehen. Dann pochte er schüchtern mit dem Knöchel an die Bretter und flüsterte: »Schau, Burgerl, tu net trutzen! Sei gscheit und mach a bißl auf! Ich mein' dir's gut. Soviel sorgen tu ich mich um deintwegen.«

»Schlafen laß mich!«

»Na, Burgerl! Heut därf ich dich net schlafen lassen! Ich muß dir a paar Wörtln sagen. Ich hab die Verpflichtung.«

»Was? Verpflichtung? Ja, freilich«, klang es gereizt aus der Kammer, »die Verpflichtung hast, daß dich niederlegst auf deine Ohrwaschln und dein Dampus verschlafst!«

»Auf Ehr und Seligkeit, Madl, ich bin so nüchtern wie der Pfarr vor der Fruhmeß!«

»Laß die heiligen Sachen aus'm Spiel! So was vertrag ich net. Z'mittelst in der Nacht schon gar net!«

»Madl, ich sag dir's im guten, tu mich net abweisen! Dein Glück ich am Spiel. Mach auf, sag ich! Oder es reut dich noch amal, daß d' ein' abgwiesen hast, der's ehrlich mit dir gmeint hat.«

»Jetzt wird's mir aber z' dumm!« Heißere Unmut bebte in der Stimme der Sennerin. »Bis um zwölfe hab ich enker rauschige Metten in der Hütten leiden müssen. In der Fruh muß ich wieder frisch bei der Arbeit sein. Und da soll ich net amal die paar Stündln schlafen können? Fahr ab! Mit dir bin ich fertig! Verstehst? Dös is 's letzte Wörtl gwesen. Gut Nacht!«

Pepperls Geduld war zu Ende. Er sah es ein: bei dieser verstockten Seele war in Güte nichts auszurichten. Dem heiligen Zweck zuliebe mußte er »sanfte Gewalt« gebrauchen. Also faßte er mit beiden Fäusten die Klinke und rüttelte an der Kammertür, daß die Bretter rasselten. »Mach auf! Ob d' willst oder net. Anhören mußt mich! In meiner Verpflichtigung steh ich da, als ob ich dein armer, alter Vater wäre. Oder als ob d' an Bruder hättst an mir, der sich in Kümmernis um d' Schwester sorgen tut! Zum letztenmal sag ich dir's: mach auf!«

Das wirkte. Noch ehe Pepperl völlig ausgesprochen hatte, öffnete sich die Kammertür, freilich nur um einen schmalen Spalt. Aus diesem Spalt, in welchem undeutlich etwas Weißes schimmerte, kam etwas Schwarzes herausgeflogen, wie eine Nachteule aus ihrem finsteren Felsenschlupf. Dieser sonderbare, aber sehr gewichtige Vogel flog dem Praxmaler-Pepperl grob in die Kreuzerschneckerln, fuhr ihm wie mit scharfen Klauen übers Ohr und klatschte zu Boden. Im gleichen Augenblick schloß sich die Kammertür wieder, und der Riegel klirrte.

»Da hört sich aber die Gemütlichkeit auf!« brummte Pepperl, weniger beleidigt als verblüfft. In begreiflicher Neugier bückte er sich, tappte mit den Händen auf dem Boden herum – und als er den merkwürdigen Vogel haschte, zeigte es sich, daß er keine Flügel hatte, sondern sich anfühlte wie ein Pantoffel mit genagelter Sohle. Bei dieser Entdeckung schoß dem Praxmaler-Pepperl eine »gache Hitz« bis unter die zerzausten Schneckerln hinauf, wie überschürtes Feuer in den Schornstein fährt. »So also? So dankst mir du?« Seine Stimme klang, als wäre ihm die Kehle zugeschnürt. »Meinetwegen!« Dabei schleuderte er den Pantoffel gegen die Kammertür, daß es krachte wie ein Schuß. »So renn halt ins Verderben, wie 's Hehndl in' Fuchsbau! Dir sag ich nix mehr!«

Er griff nach seiner Büchse und stürmte zur Hüttentür hinaus. Da vernahm er Schritte. Um nicht gesehen zu werden, duckte er sich hinter den Holzstoß, der an der Hüttenmauer aufgeschichtet war.

Im fahlen Grau des Morgens schritt Mazegger an der Hütte vorüber, die Büchse auf dem Rücken, das bleiche Gesicht tief vorgebeugt und zu Boden starrend, wie einer, der sucht, was sich nimmer finden läßt.

Trotz allem Aufruhr, den Pepperl in seiner enttäuschten Hirtenseele toben fühlte, hatte er doch noch Augen für das Gedrückte, das aus Mazeggers Haltung sprach. »Mir scheint, der spinnt schon wieder! Der arme Narr!« Den fremden Kummer nicht minder schwer als die eigene Sorge fühlend, guckte er dem Jäger nach, bis Mazegger zwischen den Bäumen verschwunden war. Dann schlich er um den Holzstoß herum, warf einen spähenden Blick zum Fürstenhaus hinauf und rannte mit langen Sprüngen dem nahen Walde zu.

Sobald ihn die Bäume deckten, fiel er in ruhigen Schritt, als wäre jäh aller Sturm in seinem Innern still geworden.

Er konnte sich sagen, daß er seine »Verpflichtigung« gewissenhaft erfüllt hatte. Wenn er nicht dazu gekommen war, seine Warnung auszusprechen, so war das nicht seine Schuld! Und sollte, Gott behüt, der alte Brenntlinger einmal kommen und ihn ansehen mit den traurigen Vateraugen, so konnte Pepperl mit reinem Gewissen erklären: » Ich kann nix dafür!« Das war unleugbar ein Trost. Dennoch war dem Praxmaler-Pepperl so seltsam schwül zumute, daß er das Hütl lüften und mit dem Ärmel über die Stirn wischen mußte.


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