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Siebentes Kapitel

Dartie contra Dartie

In dem Prozeß – Dartie contra Dartie – bei dem es sich um die Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft handelte, der gegenüber Winifred im Herzen so unentschlossen war, stand der entscheidende Termin nahe bevor. Es war nichts zu erreichen gewesen, bevor die Weihnachtsferien des Gerichts begannen, aber der Fall war der dritte auf der Liste, als die Sitzungen wieder anfingen. Winifred verlebte die Weihnachtsfeiertage ein wenig geselliger als sonst und ließ die Angelegenheit verschlossen in ihrem tief entblößten Busen ruhen. Um seine Teilnahme und seine Erleichterung über die nahende Auflösung ihrer Ehe mit diesem ›sauberen Halunken‹ auszudrücken, die sein altes Herz empfand, die alten Lippen aber nicht äußern konnten, war James diese Weihnachten ganz besonders freigebig gegen sie.

Dem Verschwinden Darties gegenüber war das Fallen der Konsols eine verhältnismäßig unbedeutende Angelegenheit; und was den Skandal betraf – die lebhafte Abneigung, die er gegen diesen Mann fühlte, und das zunehmende Übergewicht, das der Besitz in den Augen eines echten, sogar vor seinem Ende stehenden Forsyte über das Ansehen erlangt hatte, halfen ihn davon abzulenken, umsomehr als jede Anspielung auf die Sache (ausgenommen seine eigene) geflissentlich vermieden wurde. Was ihn als Anwalt und als Vater beunruhigte, war die Furcht, daß Dartie plötzlich wieder auftauchen und der Aufforderung des Gerichts nachkommen könnte. Das wäre eine schöne Geschichte! Die Furcht davor nagte dergestalt an ihm, daß er sagte, als er Winifred mit einem großen Scheck zu Weihnachten beschenkte: »Es ist hauptsächlich für den Burschen da draußen, um ihn am Zurückkommen zu hindern.« Es war natürlich weggeworfenes Geld, doch immerhin eine Art Versicherung gegen den Bankerott, der ihn nicht länger bedrohen würde, wenn die Scheidung nur zustande käme; und er ließ Winifred keine Ruhe, bis sie ihn versichern konnte, daß es an ihn abgeschickt war. Arme Frau! – es kostete sie große Überwindung, dies Geld abzuschicken, das seinen Weg in den Beutel ›jenes Geschöpfes‹ finden würde. Soames, der davon hörte, schüttelte den Kopf. Sie hätten es nicht mit einem Forsyte zu tun, der beharrlich an seinem Vorhaben festhielt. Es sei sehr gewagt, ohne zu wissen, wie die Dinge da draußen lagen. Allein vor dem Gericht würde es einen guten Eindruck machen, und er wollte dafür sorgen, daß Dreamer darauf hinwies. »Ich bin begierig, wohin das Ballett von Argentinien geht,« sagte er plötzlich, denn er versäumte nie eine Gelegenheit, daran zu erinnern, weil er wußte, daß Winifred zwar nichts an Dartie lag, aber doch daran, ihn nicht öffentlich bloßgestellt zu sehen. Wenn er seine Bewunderung auch nicht gern zeigte, gab er doch zu, daß sie sich außerordentlich gut benahm, wo alle ihre Kinder zu Haus die Schnäbel nach Mitteilungen über ihren Vater aufsperrten, wie junge Vögel – wo Imogen gerade im Begriff war, in die Welt eingeführt zu werden und Val sich sehr unruhig in der ganzen Sache zeigte. Er fühlte, daß Val die Hauptsache in der Angelegenheit für Winifred war, die ihn mehr liebte als ihre andern Kinder. Der Junge konnte den Gang dieser Scheidung aufhalten, wenn er es darauf anlegte. Und Soames vermied sorgfältig, seinen Neffen etwas von den Präliminarien des Gerichtsverfahrens wissen zu lassen. Er tat noch mehr. Er lud ihn zum Dinner in den ›Remove‹ ein und begann bei der Zigarre über den Gegenstand zu sprechen, von dem er wußte, daß er ihm am meisten am Herzen lag.

»Ich höre,« sagte er, »daß du in Oxford Polo spielen möchtest.«

»Riesig gern!« erwiderte er.

»Nun,« fuhr Soames fort, »das ist eine sehr kostspielige Geschichte. Dein Großvater wird wohl kaum seine Einwilligung dazu geben, wenn er nicht sicher ist, daß keine weiteren Anzapfungen erfolgen.« Und er schwieg, um zu sehen, ob der Junge verstanden hatte, was er meinte.

Vals dunkle dichte Wimpern verdeckten seine Augen, aber er verzog seinen breiten Mund und murmelte:

»Ich nehme an, du meinst meinen Papa.«

»Ja,« sagte Soames, »ich fürchte, es hängt davon ab, ob er fortfährt, ihm zur Last zu fallen oder nicht;« weiter sagte er nichts und überließ es dem Knaben, darüber nachzudenken.

Val dachte in diesen Tagen aber auch an einen Silberschimmel-Zelter und an ein Mädchen, das ihn ritt. Obwohl Crum in der Stadt war und er eine Einladung zu Cynthia Dark hätte haben können, wenn er ihn darum gebeten hätte, bat er nicht darum. Er mied Crum sogar und führte ein Leben, das ihm selbst sonderbar vorkam, außer wenn es sich um Schneiderrechnungen und Pferdemietställe handelte. Für seine Mutter, seine Schwestern und seinen jüngeren Bruder verbrachte er seine Ferien mit ›Besuchen bei Kameraden‹ und die Abende schläfrig zu Haus. Sie konnten am Tage nichts vorschlagen, ohne die Antwort: ›tut mir leid, habe mich mit einem Kameraden verabredet‹ zu erhalten, und er war zu den merkwürdigsten Notlügen gezwungen, um unbemerkt im Reitanzug aus dem Haus und wieder hinein zu kommen, bis er Mitglied des Goatsklubs wurde und Gelegenheit hatte, seine Sachen dorthin zu bringen, sich ungesehen umzukleiden und auf seinem Gaul in den Richmondpark zu entwischen. Er behielt seine wachsenden Gefühle geflissentlich für sich. Nicht um die Welt hätte er vor den Kameraden – die er garnicht aufsuchte – ein Wort über etwas verlauten lassen, das von ihrem und seinem Standpunkt aus gesehen so lächerlich war. Aber er konnte nichts dagegen tun, daß es ihm die Lust an allem andern nahm. Es stellte sich zwischen ihn und die rechtmäßigen Vergnügungen der Jugend, so daß er in den Augen Crums schließlich sicher als ›Muttersöhnchen‹ dastehen mußte. Das einzige, was ihn lockte, war, sich in seinem neuesten Reitanzug aus dem Hause zu stehlen, um ans Tor von Robin Hood zu eilen, wo dann der Silberschimmel gravitätisch mit seiner schlanken, dunkelhaarigen Reiterin herantrabte und sie Seite an Seite durch die laublosen Wege ritten, nicht viel sprachen, manchmal galoppierten und sich mitunter bei den Händen hielten. Mehr als einmal war er abends in einem Augenblick der Mitteilsamkeit in Versuchung gewesen, seiner Mutter zu erzählen, wie dieses süße, scheue Mädchen ihn berückt und sein ›Leben‹ zugrunde gerichtet hatte. Aber die bittere Erfahrung, daß alle Leute über fünfunddreißig Jahre Spielverderber waren, hielt ihn davon ab. Schließlich würde er wohl doch erst die Hochschule durchmachen und sie in die Gesellschaft eingeführt werden müssen, bevor sie sich heiraten konnten, also wozu die Dinge erschweren, solange er sie sehen konnte? Schwestern neckten nur und waren unsympathische Wesen, ein Bruder noch schlimmer, daher hatte er niemand, dem er sich anvertrauen konnte, und zu alledem nun noch diese verwünschte Scheidung! Ach, welch ein Pech, einen Namen zu haben, den andere Leute nicht hatten! Wenn er nur Gordon oder Scott oder Howard hieße oder irgend einen alltäglichen Namen hätte! Aber Dartie – den gab es nicht noch einmal im ganzen Adreßbuch! So ging alles weiter, bis eines Tages Mitte Januar der Zelter und seine Reiterin beim Stelldichein fehlten. Unschlüssig in der Kälte, überlegte er, ob er zu ihrem Hause reiten sollte. Aber Jolly könnte dort sein, und die Erinnerung an ihren düstern Zweikampf war noch frisch in ihm. Man konnte doch nicht immer kämpfen mit ihrem Bruder! Er kehrte daher traurig in die Stadt zurück und verbrachte den Abend in trübseligen Gedanken. Beim Frühstück am nächsten Morgen bemerkte er, daß seine Mutter ein Kleid trug, das er nicht kannte, und den Hut auf hatte. Das Kleid war schwarz mit einem Schimmer von Pfaublau, und der Hut schwarz und groß – sie sah ausnehmend gut aus. Doch als sie nach dem Frühstück zu ihm sagte: »Komm hier herein, Val,« und ihn ins Wohnzimmer führte, bemächtigte sich seiner ein beklemmendes Gefühl. Winifred schloß sorgfältig die Tür und hielt ihr Taschentuch an die Lippen; sie atmete den Duft des Violette de Parme ein, mit dem sie es angefeuchtet hatte, und Val dachte: ›Hat sie das mit Holly wohl entdeckt?‹

Ihre Stimme unterbrach ihn:

»Willst du mir etwas zuliebe tun, lieber Junge?«

Val grinste unschlüssig.

»Willst du heute mit mir kommen –«

»Ich muß –« begann Val, aber etwas in ihrem Gesicht hielt ihn zurück. »Ich meine,« sagte er, »du willst doch nicht –«

»Ja, ich muß heute aufs Gericht.«

»Schon! –« diese verdammte Geschichte, die er beinah vergessen hatte, da niemand sie je erwähnte. Er hatte Mitleid mit sich selbst und zupfte kleine Stückchen Haut von seinen Fingern. Als er aber bemerkte, daß die Lippen seiner Mutter zuckten, sagte er impulsiv: »Gut, Mutter, ich komme. Diese rohen Kerle!« Welche Kerle er meinte, wußte er selbst nicht, aber der Ausdruck entsprach genau dem Gefühl beider und stellte ihren Gleichmut einigermaßen wieder her.

»Ich möchte mich doch lieber umziehen,« murmelte er und floh in sein Zimmer. Er wählte einen Gehrock, einen höheren Kragen, eine Perlennadel und seine feinsten grauen Gamaschen und fluchte dabei leise. Dann betrachtete er sich im Spiegel und sagte: »Der Teufel hole mich, wenn ich mir etwas anmerken lasse!« und ging hinunter. Er fand den Wagen seines Großvaters vor der Tür und seine Mutter im Pelz, als ginge sie zu einem Empfang des Bürgermeisters. Sie setzten sich nebeneinander in den geschlossenen Wagen, und auf dem ganzen Wege zum Gericht spielte Val nur einmal auf die Sache an, indem er fragte: »Es wird doch nichts über die Perlen gesagt, nicht wahr?«

Die kleinen buschigen Schwänze an Winifreds Muff begannen zu zittern.

»O nein,« sagte sie, »es wird heute ganz harmlos sein. Deine Großmutter wollte auch kommen, aber ich ließ es nicht zu. Ich dachte, du könntest mich hinbringen. Du siehst so gut aus, Val. Nur ziehe deinen Kragen hinten etwas höher – so ist's gut.«

»Wenn sie dich anbrüllen –« begann Val.

»O! Das tun sie nicht. Ich werde sehr kühl sein. Das ist die einzige Art.«

»Sie werden mich doch nicht als Zeugen für irgend etwas aufrufen?«

»Nein, mein Lieber, dafür ist gesorgt.« Und sie streichelte seine Hand. Ihr entschlossenes Trotzbieten beruhigte die Erregung in Vals Brust, und er beschäftigte sich damit, die Handschuhe aus- und anzuziehen. Wie er jetzt sah, paßte das Paar nicht zu seinen Gamaschen, sie hätten grau sein müssen, waren aber aus dunkelbraunem Hirschleder, und er war unentschieden, ob er sie anbehalten sollte oder nicht. Sie trafen kurz nach zehn ein. Er wohnte zum ersten Mal einer Gerichtsverhandlung bei und das Gebäude machte großen Eindruck auf ihn.

Als sie in die Halle traten, sagte er: »Das gäbe ja vier oder fünf gute Tennisplätze ab.«

Soames erwartete sie am Fuß einer Treppe.

»Da seid ihr ja!« sagte er, ohne ihnen die Hand zu reichen, als wäre das bei dieser vertraulichen Gelegenheit eine zu vertrauliche Förmlichkeit. »Wir haben Happerly Browne, Abteilung I. Wir kommen als erste heran.«

Ein Gefühl, wie er es gehabt, wenn er beim Kricketspiel zum Schlage ausholte, bemächtigte sich Vals, aber er folgte mißmutig seiner Mutter und seinem Onkel, sah sich nicht mehr um als nötig war und fand, daß es ›muffig‹ in dem Raume roch. Überall schienen Leute zu lauern, und er zupfte Soames am Ärmel.

»Hör mal, Onkel Soames, du wirst doch nicht diese ekligen Zeitungsleute hereinlassen?« Soames warf ihm von der Seite einen jener Blicke zu, die seinerzeit so manchen zum Schweigen gebracht hatten.

»Hier herein,« sagte er. »Du brauchst deinen Pelz nicht abzulegen, Winifred.«

Ärgerlich, mit erhobenem Kopf, trat Val hinter ihm ein. In diesem verwünschten Loch schien jeder – und es waren eine ganze Menge Leute da – dem andern auf dem Schoß zu sitzen, obwohl die Plätze von einander getrennt waren; und Val hatte das Gefühl, daß sie allesamt zugleich in die Tiefe versinken könnten. Wie in einer Vision sah er jetzt Mahagoniholz und schwarze Roben, weiße Perücken, Gesichter und Papiere vor sich, überall geheimnisvolles Flüstern, bis er sich neben seine Mutter in die erste Reihe setzte, mit dem Rücken zu allem, froh über ihr Violette de Parme, und die Handschuhe zum letzten Mal auszog. Seine Mutter sah ihn an; er war sich plötzlich bewußt, daß sie ihn wirklich hier neben sich brauchte und er bei dieser Sache mitzuzählen war. Gut! Er wollte ihnen schon zeigen! Er reckte sich, schlug die Beine übereinander und starrte unentwegt auf seine Gamaschen. Gerade da aber kam ein sonderbarer ›alter Kauz‹ in der Robe und langer Perücke, der aussah wie eine komisch aufgetakelte Frau, durch eine Tür in den hohen Richterstuhl gegenüber, und er mußte sich schleunigst mit allen andern erheben.

»Dartie contra Dartie!«

Es schien Val unsagbar widerwärtig, seinen Namen so öffentlich ausrufen zu hören! Und plötzlich merkte er, daß jemand ganz dicht hinter ihm angefangen hatte, über seine Familie zu sprechen; er wandte sich um und sah einen alten komischen Kerl mit Perücke, der sprach, als verschlucke er seine eigenen Worte – einen drollig aussehenden alten Kauz, wie er ihn zuweilen bei Dinners in Park Lane fleißig dem Portwein hatte zusprechen sehen; jetzt wußte er, wo sie solche Leute auftrieben. Trotz allem aber fand er den Alten sehr fesselnd und hätte immer weiter hingestiert, wenn seine Mutter nicht seinen Arm berührt hätte. Dafür heftete er seinen Blick jetzt auf das Gesicht des Richters vor ihm. Weshalb sollte dieser alte ›Knabe‹ mit seinem sarkastischen Mund und dem lebhaften Blick die Macht haben, sich in ihre Privatangelegenheiten zu mischen – konnte er sich nicht um seine eigenen kümmern, die sicher zahlreich und ebenso garstig waren? Und fast krankhaft regte sich in Val das tiefwurzelnde Selbstgefühl seiner Rasse. Die Stimme hinter ihm ertönte: »Differenzen in Geldangelegenheiten – Verschwendungssucht des Beklagten« (welch ein Wort! War das sein Vater?) – »gespannte Situation – häufige Abwesenheit Mr. Darties. Meine Klientin war, wie erklärlich, bemüht dem Einhalt zu tun – es hätte zum Ruin geführt – machte ihm Vorstellungen – Kartenspiel und Turfwetten –« (›Das stimmt,‹ dachte Val, ›nur weiter!‹) »Krisis Anfang Oktober, als der Beklagte ihr diesen Brief aus seinem Klub schrieb.« Val reckte sich und seine Ohren brannten. »Ich schlage vor, ihn zu lesen und dabei zu berücksichtigen, daß er von einem Manne geschrieben ist, der – sagen wir – von einem guten Dinner kam, Mylord.«

›Brutaler Kerl!‹ dachte Val und errötete noch tiefer; ›du wirst nicht bezahlt, um Witze zu machen!‹

»›Du wirst keine Gelegenheit haben, mich in meinem eigenen Hause wieder zu beschimpfen. Ich verlasse morgen England. Es ist zu Ende‹ – ein Ausdruck, Eure Lordschaft, der nicht unbekannt ist im Munde derer, die keinen sichtbaren Erfolg gehabt.«

›Eulengekrächze!‹ dachte Val, und sein Erröten vertiefte sich.

»›Ich habe es satt, mich von dir beleidigen zu lassen.‹ Meine Klientin wird Eurer Lordschaft sagen, daß diese sogenannten Beleidigungen darin bestanden, daß sie ihn ›Lump‹ nannte – ein sehr milder Ausdruck unter diesen Umständen, wage ich zu behaupten.«

Val blickte von der Seite auf das teilnahmslose Gesicht seiner Mutter, sie hatte einen gehetzten Blick in den Augen. ›Arme Mutter,‹ dachte er und berührte ihren Arm mit dem seinen. Die Stimme hinter ihm fuhr fort:

»›Ich bin im Begriff, ein neues Leben zu beginnen. – M. D.‹

Und am nächsten Tag, Mylord, reiste der Beklagte mit dem Dampfer ›Tuscarora‹ nach Buenos Aires. Seitdem hörten wir nichts von ihm bis auf die gekabelte Weigerung als Antwort auf den Brief, den meine Klientin am folgenden Tage mit der Bitte, zu ihr zurückzukehren, in großer Betrübnis schrieb. Mit der Erlaubnis Eurer Lordschaft wird Mrs. Dartie sich jetzt zum Worte melden.«

Als seine Mutter sich erhob, hatte Val eine rasende Lust, ebenfalls aufzustehen und zu sagen: ›Ich bitte mir aus, daß Sie sie anständig behandeln.‹ Allein er unterdrückte es, hörte sie ›die Wahrheit‹ sagen, ›die ganze Wahrheit, nichts als Wahrheit‹, und blickte auf. Sie machte eine gute Figur in ihrem Pelz und dem großen Hut, mit einer leichten Röte auf den Wangen, war ruhig und sachlich; und er war stolz auf sie, wie sie all diesen ›verwünschten Anwälten‹ gegenüberstand. Das Verhör begann. Da er wußte, daß dies nur die Präliminarien der Scheidung waren, folgte Val mit einem gewissen Vergnügen den Fragen, die so gefaßt waren, daß man den Eindruck gewann, sie habe den Wunsch, seinen Vater zurückkehren zu sehen. Es kam ihm vor, als ›trieben sie die alten Perücken schließlich in die Enge‹. Und es rüttelte ihn unangenehm auf, als der Richter plötzlich sagte:

»Und weshalb verließ Ihr Gatte Sie – doch nicht, weil Sie ihn ›Lump‹ nannten, nicht wahr?«

Val sah seinen Onkel den Blick auf die Zeugen richten, ohne sein Gesicht zu bewegen, hörte ein Rascheln von Papieren hinter sich, und sein Instinkt sagte ihm, daß der Ausgang in Gefahr sei. Hatten Onkel Soames und der alte närrische Kauz da hinten die Sache verpfuscht? Seine Mutter sprach ein wenig zögernd:

»Nein, Mylord, aber es war eine lange Zeit so gegangen.«

»Womit war es so gegangen?«

»Mit unseren Differenzen um Geld.«

»Aber Sie versorgten ihn mit Geld. Glauben Sie, daß er Sie verließ, um seine Lage zu verbessern?«

›Dieser gemeine Kerl! Der gemeine alte Kerl!‹ dachte Val plötzlich. ›Er riecht die Ratte – und versucht an den Speck zu kommen!‹ Sein Herz stand still. Und wenn – wenn ihm das gelang, dann natürlich würde er wissen, daß seine Mutter den Vater nicht zurückwünschte. Seine Mutter sprach wieder, ein wenig mehr von oben herab:

»Nein, Mylord, aber Sie sehen, daß ich mich weigerte, ihm mehr Geld zu geben. Es währte eine lange Zeit, bevor er es glaubte, doch schließlich tat er es – und als er es tat –«

»Ich verstehe, weigerten Sie sich. Aber Sie haben ihm seitdem etwas geschickt.«

»Ich wollte, daß er zurückkomme.«

»Und Sie dachten, daß ihn dies dazu bewegen würde?«

»Ich weiß es nicht. Ich handelte auf den Rat meines Vaters.«

Etwas im Gesicht des Richters, in dem Rascheln der Papiere hinter ihm, der Art, wie sein Onkel plötzlich die Beine übereinanderschlug, sagte Val, daß sie genau die richtige Antwort gegeben hatte. ›Wie schlau!‹ dachte er, ›Herr des Himmels, welch ein Humbug das alles ist!‹

Der Richter sprach:

»Nur noch eine Frage, Mrs. Dartie. Lieben Sie Ihren Gatten noch?«

Vals Hände ballten sich zu Fäusten. Was gingen den Richter diese Dinge an? Sollte seine Mutter hier vor all diesen Leuten etwa aus dem Herzen sprechen und vielleicht etwas sagen, das sie selbst nicht wußte? Das ist doch keine Art! Seine Mutter antwortete ziemlich leise: »Ja, Mylord.« Val sah den Richter nicken. ›Dir möcht' ich den Kopf zurechtsetzen!‹ dachte er unehrerbietig, als seine Mutter auf ihren Platz neben ihm zurückkehrte. Zeugenaussagen über die Abreise und fortgesetzte Abwesenheit seines Vaters folgten – selbst von einem ihrer eigenen Dienstmädchen, was Val ganz besonders widerwärtig fand; dann wurde wieder gesprochen, alles Humbug, und endlich verkündete der Richter den Beschluß, einen Sühneversuch zu machen, und sie konnten gehen. Val ging gesenkten Blicks und mit einer Miene, als finde er alles verächtlich, hinter seiner Mutter hinaus. Ihre Stimme draußen im Gang erweckte ihn aus seiner zornigen Erregtheit.

»Du benahmst dich wunderbar, lieber Junge. Es war mir solch ein Trost, dich zu haben. Dein Onkel und ich gehen jetzt zum Lunch.«

»Gut!« sagte Val, »dann habe ich Zeit, meinen Kameraden aufzusuchen.« Er verabschiedete sich jäh und rannte die Treppe hinunter und ins Freie. Dort sprang er in eine Droschke und fuhr in den Goatsklub. Seine Gedanken waren bei Holly, und er überlegte, was er tun müsse, bevor ihr Bruder ihr die Sache morgen in der Zeitung zeigte.

 

Als Val sie verlassen hatte, machten Soames und Winifred sich auf den Weg zum Cheshire Cheese. Er hatte dies Lokal als Treffpunkt mit Mr. Bellby vorgeschlagen. Zu dieser frühen Tagesstunde würden sie es für sich allein haben, und Winifred dachte es sich ›amüsant‹, diese weitberühmte Kneipe zu sehen. Nachdem sie zur Bestürzung des Kellners eine leichte Mahlzeit bestellt hatten, warteten sie schweigend und abgespannt nach den anderthalb Stunden Folterqualen vor der Öffentlichkeit auf das Essen und zugleich auf Mr. Bellbys Erscheinen. Mr. Bellby kam sehr bald, die Nase voran, und war ebenso aufgeräumt wie sie verstimmt. Sie hatten doch durchgesetzt, daß der Sühneversuch beschlossen wurde, was fehlte denn noch?

»Gewiß,« sagte Soames mit angemessen leiser Stimme, »aber wir müssen wieder von vorn anfangen, um Beweise zu erhalten. Er wird wahrscheinlich über die Scheidungsfrage verhandeln – und es wird dumm aussehen, wenn es herauskommt, daß wir seine Verfehlungen von Anbeginn kannten. Seine Fragen zeigten klar genug, daß er von dem Kniff mit dem Sühneversuch nichts wissen wollte.«

»Pah!« sagte Mr. Bellby aufmunternd, »das vergißt er wieder! Er wird an hundert Fälle zu erledigen haben bis dahin. Außerdem ist er verpflichtet, die Scheidung zu bewilligen, wenn die Zeugenaussagen genügen. Wir werden ihn nicht wissen lassen, daß Mrs. Dartie die Tatsachen bekannt waren. Dreamer hat es sehr gut gemacht – er hat so etwas Väterliches an sich.«

Soames nickte.

»Und ich mache Ihnen mein Kompliment, Mrs. Dartie,« fuhr Mr. Bellby fort. »Sie haben eine natürliche Gabe, Beweise zu führen. Fest wie ein Felsen.«

Jetzt kam der Kellner mit drei Platten, die er auf einem Arm balancierte, und sagte: »Ich habe mich mit dem Pudding beeilt, Sir. Sie werden heute eine ganze Menge Lerchen darin finden.«

Mr. Bellby würdigte diese Vorsorglichkeit durch ein Untertauchen seiner Nase. Aber Soames und Winifred blickten mit Schrecken auf die bedenklich braune Masse und stocherten in der Hoffnung, die schmackhaften kleinen Sänger herauszufinden, mit ihren Gabeln vorsichtig darin herum. Beim Essen aber merkten sie, daß sie hungriger waren als sie dachten, und verzehrten alles mit einem Glas Portwein für jeden zum Schluß. Sie kamen auf den Krieg zu sprechen. Soames glaubte, daß Ladysmith fallen werde, doch könne es ein Jahr dauern. Bellby meinte, er würde im Lauf des Sommers vorüber sein. Beide stimmten darin überein, daß sie mehr Mannschaften brauchten. Jetzt konnte nichts helfen als ein vollständiger Sieg, da es eine Prestigefrage geworden sei. Winifred brachte die Dinge wieder auf etwas solideren Grund, indem sie sagte, daß sie mit dem Scheidungsprozeß nicht beginnen möchte, bevor die Sommerferien in Oxford angefangen hätten, dann würden Vals Kameraden die ganze Sache vergessen haben, ehe er wieder zurück mußte, die Londoner Season würde dann auch vorüber sein. Die beiden Anwälte versicherten, daß eine Pause von sechs Monaten notwendig sei – danach aber – je früher desto besser. Es kamen jetzt Leute herein und sie trennten sich – Soames begab sich in die City, Bellby in seine Büros und Winifred, die eine Droschke nahm, nach Park Lane, um ihre Mutter wissen zu lassen, wie es ihr ergangen war. Der Ausgang war im ganzen so befriedigend gewesen, daß es ratsam schien, es James mitzuteilen, der nie versäumte, Tag für Tag zu sagen, er habe nichts von Winifreds Angelegenheiten gewußt, er könne nichts erklären. Da seine Zeit nahezu abgelaufen war, erhielten die weltlichen Dinge eine immer ernstere Bedeutung für ihn, als habe er das Gefühl: ›Ich muß die Zeit noch ausnutzen und mir gründlich den Kopf zerbrechen, bald werde ich nichts mehr haben, über das ich mir den Kopf zerbrechen kann.‹

Er nahm den Bericht grollend entgegen, fand, daß es eine neumodische Art sei, die Dinge zu behandeln – er wisse nicht! Aber er gab Winifred einen Scheck und sagte:

»Ich nehme an, daß du eine Menge Ausgaben hast. Das ist ein neuer Hut, den du da aufhast. Weshalb kommt Val garnicht mehr zu uns?«

Winifred versprach, ihn bald zum Dinner mitzubringen. Und als sie zu Haus ankam, suchte sie ihr Schlafzimmer auf, wo sie allein sein konnte. Jetzt, da ihr Mann aufgefordert war, unter ihre Obhut zurückzukehren, um dann für immer von ihm getrennt zu werden, wollte sie nochmals versuchen, ihr wundes, einsames Herz zu befragen, was sie wirklich wünschte.


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