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Sechstes Kapitel

Der nicht mehr ›junge Jolyon‹ zu Hause

Bäume kehren sich wenig an die Zeit, und die alte Eiche auf dem Rasenplatz in Robin Hill sah nicht einen Tag älter aus seit damals, wo Bosinney lang ausgestreckt darunter lag und zu Soames sagte: ›Forsyte, ich habe den rechten Platz für Ihr Haus gefunden.‹ Seit damals hatte Swithin darunter geträumt und der alte Jolyon war unter seinen Zweigen gestorben. Und jetzt malte der nicht mehr ›junge‹ Jolyon dort dicht neben der Schaukel. Von allen Plätzen der Welt war es vielleicht der geheiligtste für ihn, denn er hatte seinen Vater geliebt.

Er betrachtete den umfangreichen, zerfurchten und ein wenig bemoosten Stamm, der aber noch nicht hohl war, und sann über den Gang der Zeit nach. Dieser Baum hatte vielleicht die ganze Geschichte Englands gesehen, er stammte sicher mindestens aus den Tagen der Elisabeth. Seine eigenen fünfzig Jahre waren so gut wie nichts verglichen mit dem alten Holz des Baumes. Wenn das Haus dahinter, das ihm jetzt gehörte, dreihundert Jahre alt wäre anstatt zwölf, würde der Baum, mächtig und hohl, wohl noch dastehen, denn wer würde solchen Frevel begehen ihn zu fällen? Vielleicht lebte dann noch ein Forsyte in dem Hause, um eifersüchtig über ihn zu wachen. Und Jolyon stellte sich vor, wie das Haus bei solchem Alter aussehen würde. Glyzinien rankten sich bereits um seine Mauern – das neue Aussehen war verschwunden. Würde es seine Eigenart bewahren, die Würde behalten, die Bosinney ihm verliehen hatte, oder würde der Riese London sich seiner bemächtigen und es zu einem Asyl mitten in einer unsolide bebauten Wildnis machen? Oft, ob er es von außen oder innen sah, glaubte er, daß Bosinney besonders inspiriert gewesen sein mußte, als er es baute. Hier war er wirklich mit ganzem Herzen bei der Arbeit gewesen. Es hätte sogar eins der ›Homes‹ von England werden können – es war ein selten vollendetes Haus für diese Zeit entarteten Baustils. Und mit seinem ästhetischen Gefühl und dem Forsyteschen Sinn für dauernden Besitz empfand er Stolz und Freude als dessen Eigentümer. In einer Anwandlung von Pietät für seine Vorfahren (wenn auch nur einen von ihnen) wünschte er dies Haus auf seinen Sohn und seines Sohnes Sohn übergehen zu lassen. Sein Vater hatte es geliebt, hatte die Aussicht, den Boden, diesen Baum geliebt, seine letzten Jahre waren da glücklich gewesen, und niemand hatte vor ihm darin gewohnt. Diese letzten elf Jahre in Robin Hill waren für Jolyon, als Maler, eine wichtige Periode des Erfolges gewesen. Er war jetzt auf der Höhe seiner Aquarellkunst und fand überall Anerkennung. Seine Bilder brachten hohe Preise, und da er sich mit der Hartnäckigkeit seiner Rasse auf diese eine Spezialität konzentriert hatte, war er ziemlich spät, aber nicht zu spät für ein Mitglied der Familie, die so sehr darauf hielt, ewig zu leben, zu seinem Ruhm gekommen. Seine Kunst hatte sich wirklich vertieft und vervollkommnet. Seiner Stellung angemessen trug er jetzt einen kurzen blonden Bart, der eben ein wenig grau zu werden begann und sein Forsytekinn verdeckte; sein braunes Gesicht hatte den gequälten Ausdruck seiner Verbannungsjahre verloren, er sah entschieden jünger aus. Der Verlust seiner Frau im Jahre 1894 war eine jener häuslichen Tragödien gewesen, die sich schließlich als gut für alle Teile erweisen. Er hatte sie zwar bis zuletzt geliebt, denn er hatte eine liebevolle Natur, aber es war immer schwieriger mit ihr geworden; eifersüchtig auf ihre Stieftochter June, sogar eifersüchtig auf ihr Töchterchen Holly, beklagte sie sich beständig, daß er sie nicht mehr lieben könne, nun da sie krank war und so ›überflüssig für jeden, daß der Tod das beste für sie wäre‹. Er hatte sie aufrichtig betrauert, doch sein Gesicht sah jünger aus, seitdem sie tot war. Wenn sie nur hätte glauben können, daß sie ihn glücklich machte, wieviel glücklicher wären die zwanzig Jahre ihres Zusammenlebens gewesen!

June hatte eigentlich nie sehr gut mit ihr gestanden, die auf so sträfliche Weise den Platz ihrer eigenen Mutter eingenommen hatte; und seit dem Tode des alten Jolyon wohnte sie in einer Art Atelier in London. Doch als ihre Stiefmutter starb, war sie nach Robin Hill zurückgekommen und hatte dort die Zügel in ihre kleinen entschlossenen Hände genommen. Jolly war damals in Harrow, Holly wurde noch von Mademoiselle Beauce unterrichtet. Nichts fesselte Jolyon ans Haus, und er war mit seinem Kummer und seinem Malkasten daher ins Ausland gegangen. Dort war er, meist in der Bretagne, umhergewandert und schließlich in Paris gelandet. Er war mehrere Monate dort geblieben und dann mit dem jüngeren Gesicht und dem kurzen blonden Bart zurückgekehrt. Da er jedes Haus nur als Unterschlupf benutzte, hatte es ihm sehr gut gepaßt, daß June in Robin Hill schaltete und waltete, so daß er mit seiner Staffelei fortgehen konnte wohin und wann es ihm beliebte. Sie freilich betrachtete das Haus hauptsächlich als Asyl für ihre ›Protégés‹; seit den Tagen seiner eigenen Verstoßung hatte Jolyon immer Sympathie für jeden Ausgestoßenen empfunden, und so störten ihn Junes ›lahme Enten‹ im Hause nicht. Mochte sie sie nur aufnehmen und durchfüttern; und wenn er in seinem ein wenig zynischen Humor auch merkte, daß sie ihrer Herrschsucht ebenso dienten wie ihr warmes Herz bewegten, bewunderte er seine Tochter doch stets um ihrer vielen Schützlinge willen. Von Jahr zu Jahr wurden seine Beziehungen zu seinem Sohne und seinen Töchtern gelöster und dabei brüderlicher, und er behandelte sie in seiner gemütlichen Art fast wie seinesgleichen. Wenn er nach Harrow fuhr, um Jolly zu besuchen, wußte er nie ganz genau, wer von ihnen der ältere war, und konnte mit einem liebevollen und ironischen Lächeln, bei dem eine Braue sich etwas hochzog und die Lippen sich leicht kräuselten, Kirschen aus einer Tüte mit ihm essen. Und er sorgte immer dafür, daß Geld in seiner Tasche war und er selbst in einem modischen Anzug, so daß sein Sohn seinetwegen nicht zu erröten brauchte. Sie waren vollkommene Freunde, schienen aber nie Gelegenheit zu mündlichen Vertraulichkeiten zu haben, denn sie besaßen beide das gleiche Selbstbewußtsein der Forsytes. Sie wußten, daß sie einander in Verlegenheit beistehen würden, allein es war unnötig darüber zu sprechen. Vor allem Moralpredigen hatte Jolyon – teils aus angeborener Abneigung, teils aber als Resultat seiner frühzeitigen Immoralität – ein wahres Grauen. Das äußerste, was er seinem Sohne hätte sagen können, wäre gewesen: ›Sieh, alter Junge, vergiß nie, daß du ein Gentleman bist,‹ und hätte sich dann doch gefragt, ob es nicht ein wenig snobistisch von ihm gewesen wäre. Das große Kricketturnier jedes Jahr war vielleicht die schwierigste und peinlichste Zeit für sie beide, denn Jolyon war in Eton gewesen. Sie waren bei diesem Turnier ganz besonders bemüht einander aufzumuntern, wenn die Gegenpartei ein Mißgeschick hatte, mochte es ihnen auch noch so nahe gehen. Dann riefen sie einander zu: »Hurrah! – Ach, so ein Pech, lieber Junge!« oder »Hurrah! So ein Pech, Papa!« Und Jolyon trug einen grauen Zylinder anstatt seines gewohnten weichen Hutes, um die Gefühle seines Sohnes zu schonen, denn einen schwarzen Zylinder konnte er nicht ausstehen. Als Jolly nach Oxford ging, begleitete Jolyon ihn, es machte ihm Spaß, aber er war kleinlaut und ein wenig ängstlich, seinen Jungen unter all diesen jungen Leuten, die soviel sicherer und älter schienen als er selbst, in Mißkredit zu bringen. Oft dachte er: ›Gut, daß ich Maler bin‹ – denn er hatte die Stellung bei Lloyd längst aufgegeben – ›das ist so harmlos. Man sieht auf einen Maler nicht herab – man kann ihn gar nicht ernst genug nehmen.‹ Denn Jolly, der eine gewisse natürliche Vornehmheit besaß, war gleich Mitglied eines ganz kleinen Kreises geworden, der seinen Vater heimlich amüsierte. Der Junge hatte blondes, leicht gelocktes Haar und die tiefliegenden eisengrauen Augen seines Großvaters. Er war gut gebaut, hielt sich sehr gerade und entsprach völlig Jolyons ästhetischem Gefühl, so daß er sich ein klein wenig vor ihm fürchtete, wie Künstler es ihren eigenen Geschlechtsgenossen gegenüber, deren physische Schönheit sie bewundern, immer tun. Bei dieser Gelegenheit jedoch faßte er Mut und gab seinem Sohne folgenden Rat:

»Sieh, mein Junge,« sagte er, »du wirst sicherlich gezwungen sein, Schulden zu machen; komme dann ja zuerst zu mir. Ich werde sie natürlich immer bezahlen. Aber denke daran, daß man mehr Achtung vor sich selbst hat, wenn man sie selber bezahlt. Und borge dir nie etwas, außer von mir, verstanden?«

Und Jolly hatte erwidert:

»Schon gut, Papa.«

»Und dann noch eins. Ich weiß nicht viel von Moral und dergleichen, aber es lohnt immer zu überlegen, ob etwas, das man tun will, einen andern mehr verletzen würde als notwendig ist.«

Jolly hatte nachdenklich ausgesehen und genickt und dann seinem Vater die Hand gedrückt. Und Jolyon hatte gedacht: ›Ob ich wohl das Recht hatte, das zu sagen?‹ Er empfand immer eine gewisse Furcht, das stumme Vertrauen, das sie zu einander hatten, zu verlieren, und er erinnerte sich, wie er lange Jahre hindurch das seines Vaters verloren hatte, so daß nichts als Liebe aus großer Entfernung übrig geblieben war. Er unterschätzte ohne Zweifel die Wandlung im Geiste der Zeit, seit er selbst im Jahre 65 nach Cambridge gegangen war, und vielleicht unterschätzte er auch die Fähigkeit seines Sohnes zu verstehen, daß er bis zum äußersten tolerant war. Diese Toleranz und möglicherweise auch ein Skeptizismus gaben seinem Verhältnis zu June etwas so sonderbar Abwehrendes. Sie war ein so entschiedenes Wesen, wußte so schrecklich genau, was sie wollte, und war so hartnäckig in ihren Forderungen, bis sie erhielt, was sie wünschte, ließ es dann aber auch häufig wieder fallen wie eine heiße Kartoffel. Ihre Mutter war ebenso gewesen, und das hatte zu all den Tränen damals geführt. Zwar trat der Mangel an Übereinstimmung zwischen ihm und seiner Tochter keineswegs so stark hervor wie bei seiner ersten Frau. Es konnte Spaß machen, wo es sich um eine Tochter handelte, bei seiner Frau aber hatte es ihm keinen Spaß gemacht. June ihr ganzes Herz und ihren ganzen Willen für etwas einsetzen zu sehen, bis sie es erhielt, störte nicht, weil es Jolyons Freiheit – das einzige, woran er unbeugsam festhielt – eigentlich niemals beeinträchtigte. Es kam auch niemals zu ernsten Streitigkeiten zwischen ihnen. – Man konnte alles ins Ironische ziehen – wie er es allerdings auch häufig getan hatte. Das wirklich Schlimme war nur, daß June nie seinen ästhetischen Ansprüchen genügt hatte, trotz ihres rotgoldenen Haares, den hellen Wikingeraugen und dem Anflug von Berserkertum in ihrem Wesen. Sie war sehr verschieden von der sanften, stillen, scheuen und zärtlichen Holly mit dem Teufelchen von Mutwillen irgendwo in ihr. Er beobachtete seine jüngere Tochter in ihrem Stadium des häßlichen jungen Entleins mit außerordentlichem Interesse. Würde ein Schwan aus ihr werden? Mit ihrem blassen ovalen Gesicht und den ernsten grauen Augen mit den dunklen Wimpern war es möglich, oder auch nicht. Nur dieses letzte Jahr hatte ihm Anlaß gegeben daran zu glauben. Ja, es würde ein Schwan aus ihr werden – freilich ein dunkler und immer scheuer, aber doch ein richtiger Schwan. Sie war jetzt achtzehn, und Mademoiselle Beauce war fort – die vortreffliche Dame war nach elf Jahren ununterbrochener Erinnerungen an die ›gut errzogenen kleinen Tayleurs‹ zu einer andern Familie gezogen, die jetzt durch die Erinnerungen an die ›gut errzogenen kleinen Forsytes‹ in Aufregung versetzt werden sollte. Sie hatte Holly französisch sprechen gelehrt wie sie selbst es sprach.

Porträts waren nicht Jolyons Stärke, aber er hatte seine jüngere Tochter bereits dreimal gezeichnet und tat es jetzt am 4. Oktober 1899 zum vierten Mal, als ihm eine Karte von

 
Mr. Soames Forsyte
Haus Zuflucht
Mapledurham
Connoisseus' Klub
St. James's

hereingebracht wurde, die ihn veranlaßte, die Brauen zu runzeln.

Hier aber wird wieder ein Abschweifen in der Geschichte der Forsytes notwendig ...

Die Rückkehr von einer langen Reise nach Spanien in ein düsteres Haus, zu einer kleinen Tochter, in Tränen aufgelöst, dem Anblick eines geliebten Vaters, der friedlich in seinem letzten Schlafe liegt, vermochte ein so empfänglicher und warmherziger Mann wie Jolyon nie zu vergessen. Dazu lag etwas Geheimnisvolles über diesem traurigen Tage und dem Ende eines Menschen, dessen Leben so wohlgeordnet und geborgen gewesen war. Es schien unfaßbar, daß sein Vater so dahingegangen war, ohne seine Absicht vorher anzukündigen, ohne ein letztes Wort für seinen Sohn und ohne ein richtiges Lebewohl. Und jene unzusammenhängenden Anspielungen der kleinen Holly und Mademoiselle Beauces auf die ›Dame in Grau‹ und eine Madame Errante (wie es klang) hüllte alles in einen Nebel, der sich erst etwas lichtete, als er das Testament seines Vaters und das Kodizill dazu las. Als Testamentsvollstrecker war es seine Pflicht gewesen, Irene, die Frau seines Vetters Soames, zu benachrichtigen, daß ihr eine Leibrente von fünfzehntausend Pfund zufiel. Er hatte sie aufgesucht, um ihr zu erklären, daß das Geld in India-Aktien sicher angelegt war und ihr an Zinsen netto etwa 430 Pfund im Jahr bringen würde, die frei von Vermögenssteuer waren. Er hatte die Frau seines Vetters Soames – wenn sie noch seine Frau war, was er nicht genau wußte – hierbei das dritte Mal gesehen. Das erste Mal, wie er sich entsann, im Botanischen Garten, wo sie auf Bosinney wartete – eine passive, faszinierende Gestalt, die ihn an Tizians ›.Himmlische Liebe‹ erinnerte, und dann wieder, als er im Auftrag seines Vaters an dem Nachmittag, wo Bosinneys Tod bekannt wurde, zum Montpellier Square gegangen war. Ihm stand noch deutlich ihr plötzliches Erscheinen damals in der Wohnzimmertür vor Augen – ihr schönes Gesicht mit dem wilden Ungestüm der Hoffnung, die in versteinerte Verzweiflung umschlug; er erinnerte sich des Mitleids, das er empfunden, Soames' brummigen Lächelns, seiner Worte: ›Wir sind nicht zu sprechen‹ und des Zuschlagens der Haustür.

Dies dritte Mal fand er ihr Antlitz und ihre Gestalt – frei von jenem Überschwang wilder Hoffnung und Verzweiflung – noch schöner. Bei ihrem Anblick begriff er die Bewunderung seines Vaters, und die sonderbare Geschichte seines Nachsommers ward ihm allmählich klar. Sie sprach vom alten Jolyon voll Ehrfurcht und mit Tränen in den Augen. »Er war so einzig gütig gegen mich, ich weiß nicht warum. Er sah so schön und friedlich aus, wie er in dem Stuhl unter dem Baume saß; ich war die erste, die ihn dort fand. Ein so wundervoller Tag war es. Ich glaube nicht, daß ein Ende schöner sein könnte. Wir alle würden gern so enden.«

›Allerdings,‹ hatte er gedacht, ›wir würden alle gern in vollem Sommer enden, wenn Schönheit über den Rasen auf uns zuschreitet.‹

Und mit einem Blick auf das fast leere Wohnzimmer hatte er sie gefragt, was sie zu tun gedenke. »Ich werde wieder ein wenig leben, Vetter Jolyon. Es ist herrlich, eigenes Geld zu haben. Ich hatte niemals welches. Diese Wohnung werde ich behalten, denke ich; ich bin an sie gewöhnt, aber ich werde die Möglichkeit haben, nach Italien zu gehen.«

»Gewiß!« hatte Jolyon gemurmelt und dabei auf ihre leise lächelnden Lippen geblickt. Und als er ging, hatte er gedacht: ›Eine faszinierende Frau! Schade um sie! Ich freue mich, daß Papa ihr dies Geld vermacht hat.‹ Er hatte sie nicht wiedergesehen, aber jedes Quartal den Scheck für sie auf die Bank und einen Brief in die Wohnung nach Chelsea geschickt, um ihr anzuzeigen, daß er es getan. Und immer hatte sie, meist aus London, zuweilen aber auch aus Italien, den Empfang des Geldes bestätigt, so daß ihre Persönlichkeit sich in leise duftendem grauen Papier, einer steilen feinen Handschrift und den Worten ›Lieber Vetter Jolyon‹ verkörperte. Als der reiche Mann, der er jetzt war, dachte er oft, wenn er den kleinen Scheck unterzeichnete: ›Ich denke, sie wird eben damit auskommen,‹ wunderte sich aber, wie sie sonst in einer Welt von Männern fertig wurde, die Schönheit nicht unangetastet zu lassen pflegen. Anfangs hatte Holly oft von ihr gesprochen, aber ›Damen in Grau‹ schwinden bald aus dem Gedächtnis von Kindern; und Junes zusammengepreßte Lippen in jenen ersten Wochen nach dem Tode ihres Großvaters, sobald der Name ihrer ehemaligen Freundin erwähnt wurde, hatte zu keiner Anspielung ermutigt. Einmal nur hatte sie ganz entschieden gesagt: »Ich habe ihr verziehen. Es freut mich außerordentlich, daß sie jetzt unabhängig ist« ...

Als Jolyon Soames' Karte gebracht wurde, sagte er zu dem Mädchen – denn Diener konnte er nicht ausstehen – »Führen Sie ihn ins Lesezimmer, bitte, und sagen Sie, ich würde im Augenblick dort sein.« Dann sah er Holly an und fragte:

»Erinnerst du dich der ›Dame in Grau‹, die dir Musikstunden zu geben pflegte?«

»O ja, weshalb? Ist sie gekommen?«

Jolyon schüttelte den Kopf, vertauschte seinen Leinenkittel mit einem Rock und schwieg in der plötzlichen Einsicht, daß solche Geschichten nicht für so junge Ohren waren. Sein Gesicht aber war die verkörperte Verwunderung, als er sich ins Lesezimmer begab.

Er sah zwei Gestalten, eine mittleren Alters und eine junge am Fenster stehen und über die große Terrasse auf die Eiche draußen blicken, und er dachte: ›Wer ist der junge Mann? Sie hatten doch nie ein Kind?‹

Die ältere Gestalt wandte sich um. Die Begegnung dieser beiden Forsytes der zweiten Generation, die um so viel erklügelter war als die erste, in dem Hause, das für den einen gebaut, nun dem andern gehörte und von ihm bewohnt wurde, hatte trotz des deutlichen Versuches herzlich zu sein, etwas versteckt Defensives. ›Ist er seiner Frau wegen gekommen?‹ dachte Jolyon, während Soames sich fragte, ›wie soll ich anfangen?‹ und Val, der mitgebracht worden war, das Eis zu brechen, durch seine dunkeln dichten Wimpern nachlässig dieses ›bärtige Geschöpf‹ musterte.

»Das ist Val Dartie,« sagte Soames, »der Sohn meiner Schwester. Er ist eben im Begriff nach Oxford zu gehen. Ich hätte gern, daß er deinen Jungen kennen lernte.«

»Ah! Es tut mir leid, daß Jolly fort ist. Welche Abteilung?«

»Brasenose College,« erwiderte Val.

»Jolly ist in Christ Church, aber er wird sich sehr freuen, dich aufzusuchen.«

»Danke vielmals!«

»Aber Holly ist hier – wenn du dich mit einer weiblichen Verwandten begnügen willst, sie kann dich herumführen. Du findest sie in der Halle, wenn du durch die Vorhänge gehst. Ich malte sie gerade.«

Mit abermaligem »Danke vielmals!« verschwand Val und ließ die beiden Vettern zurück, ohne das Eis gebrochen zu haben.

»Ich sah, daß du einige Bilder in der Aquarellausstellung hast,« sagte Soames.

Jolyon war peinlich berührt. Er war sechsundzwanzig Jahre lang ohne Berührung mit der Familie Forsyte gewesen, aber in Gedanken sah er sie immer in Verbindung mit Friths ›Derby-Tag‹ und Landseer Drucken. Von June hatte er gehört, daß Soames ein Kenner sei, doch das machte es nur schlimmer. Er ertappte sich auch bei einer sonderbaren Abneigung gegen ihn.

»Ich habe dich lange nicht gesehen,« sagte er.

»Nein,« sagte Soames zwischen fest geschlossenen Lippen, »nicht seit – übrigens bin ich deswegen gekommen. Du bist ihr Berater, wurde mir gesagt.«

Jolyon nickte.

»Zwölf Jahre sind eine lange Zeit,« sagte Soames rasch. »Ich – ich habe es satt.«

Jolyon fand keine passendere Antwort als:

»Willst du nicht rauchen?«

»Nein, danke.«

Jolyon zündete sich eine Zigarette an.

»Ich möchte frei sein,« sagte Soames plötzlich.

»Ich sehe sie nicht,« murmelte Jolyon durch den Dampf seiner Zigarette.

»Aber du weißt vermutlich, wo sie wohnt?«

Jolyon nickte. Er dachte nicht daran, ihm ohne Erlaubnis ihre Adresse zu geben. Soames schien seinen Gedanken zu erraten.

»Ich will ihre Adresse nicht,« sagte er, »ich kenne sie.«

»Was wünschest du dann eigentlich?«

»Sie verließ mich. Ich will eine Scheidung.«

»Ein wenig spät, nicht?«

»Ja,« sagte Soames. Es trat eine Pause ein.

»Ich weiß nicht viel von diesen Dingen – wenigstens habe ich es vergessen,« sagte Jolyon mit gezwungenem Lächeln. Er selbst hatte auf den Tod zu warten gehabt, der ihm eine Scheidung von seiner ersten Frau ermöglichte.

»Wünschest du, daß ich mit ihr darüber rede?«

Soames blickte seinem Vetter in die Augen.

»Ich vermute, sie hat jemand,« sagte er.

Jolyon zuckte die Achseln.

»Ich weiß von nichts. Ich denke, ihr hättet beide leben können, als ob der andere tot wäre. Es ist gewöhnlich so in diesen Fällen.«

Soames wandte sich zum Fenster. Ein paar frühzeitig abgefallene Eichenblätter lagen verstreut auf der Terrasse und wirbelten im Winde umher. Jolyon sah die Gestalten Hollys und Val Darties sich über den Rasenplatz auf die Ställe zu bewegen. ›Ich will nicht mit dem Hasen laufen und mit den Hunden hetzen,‹ dachte er. ›Ich muß für sie handeln. Papa hätte es sicher gewünscht.‹ Und einen Augenblick lang glaubte er seines Vaters Gestalt in dem alten Lehnstuhl, dicht neben Soames, mit übereinandergeschlagenen Beinen, die ›Times‹ in der Hand, zu sehen. Dann verschwand sie wieder.

»Mein Vater mochte sie sehr gerne,« sagte er leise.

»Weshalb er es tat, weiß ich nicht,« erwiderte Soames, ohne ihn anzusehen. »Sie brachte Kummer über deine Tochter June, sie brachte Kummer über jeden. Ich gab ihr alles, was sie brauchte. Sie hätte sogar meine Verzeihung haben können, aber sie zog vor, mich zu verlassen.«

Der harte Ton seiner Stimme drängte alles Mitgefühl in Jolyon zurück. Was in dem Manne machte es einem nur so schwer ihn zu bedauern?

»Ich kann zu ihr gehen, wenn du willst,« sagte er. »Ich vermute, daß sie froh über eine Scheidung wäre, aber ich weiß es nicht.«

Soames nickte.

»Ja, geh, bitte. Ich kenne, wie gesagt, ihre Adresse, aber ich wünsche nicht, sie zu sehen.« Er netzte die Lippen mit der Zunge, als wären sie trocken.

»Willst du Tee?« sagte Jolyon und unterdrückte die Worte: ›und das Haus sehen?‹ Er ging voran in die Diele. Nachdem er geklingelt und den Tee bestellt hatte, ging er an seine Staffelei, um die Zeichnung nach der Wand umzudrehen. Er konnte es nun einmal nicht vertragen, daß Soames, der dort mitten in dem großen Raume stand, dessen Wände ausdrücklich dazu bestimmt gewesen waren, seinen eigenen Bildern Platz zu gewähren, seine Arbeit sah. Als Jolyon den Ausdruck im Gesicht seines Vetters mit der ungreifbaren Familienähnlichkeit zwischen ihnen sah und seinen harten, scharfen, konzentrierten Blick, kam ihm der Gedanke: ›Dieser Mensch wird nie etwas vergessen – oder wird sich niemals eine Blöße geben. Er ist pathetisch!‹


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