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Wenn Jack Muskham wegen eines Rennens in London übernachten mußte, schlief er jedesmal in einem Zimmer des ‹Burton-Klub›. Eben hatte er im ‹Tagesfunk› einen Bericht über das Derby gelesen und wandte lässig die Blätter um. Die übrigen Nachrichten dieses ‹Schmierblatts› riefen kaum ein Interesse in ihm wach. Der Ton dieser Zeitung beleidigte seinen Sinn für gute Form, ihre Meinung seinen Geschmack und ihre politische Richtung verdroß ihn, weil sie aufs Haar seiner eignen glich. Doch obwohl er, wie berichtet, die Zeitung nur flüchtig durchsah, gewahrte er die Schlagzeile:
‹Mr. Deserts Abfall›
Er überflog die halbe Spalte, die dieser Artikel füllte, stieß die Zeitung fort und sagte: «Diesem Burschen muß man das Handwerk legen!»
Der Kerl protzte noch mit seinem Brandmal auf der Stirn und riß dieses hübsche Mädchen mit sich in Acht und Bann! Hatte sogar die Unverfrorenheit, sich am selben Tag, an dem er in diesem Schmierblatt seine Schande bekannte, mit ihr vor aller Welt zu zeigen!
In diesem alles verzeihenden, krankhaft toleranten Zeitalter legte Jack Muskham sich über seine Gedanken und Gefühle genaue Rechenschaft ab. Vom ersten Augenblick an war ihm der junge Desert verhaßt gewesen. ‹Desertieren› – der Kerl hatte wahrhaftig einen Namen, der zu ihm paßte! Man denke nur, dieser gallige junge Frechdachs würde jenem hübschen Mädchen, das als grüner Neuling so treffende Bemerkungen über die Rennpferde gemacht, das Leben verpfuschen! Das war zuviel! Nur die Rücksicht auf Lawrence hatte ihn davon abgehalten, schon früher gegen den Burschen vorzugehn. Doch plötzlich hielt er inne. Wie? … Hier in diesem Blatt gestand ja der Mensch öffentlich seine Schande ein! Uralter Kniff das, durch ein solches Schuldbekenntnis den Gegner zu entwaffnen! Aus der Not eine Tugend zu machen! Mit dem Verrat noch zu protzen! Na, wenn es nach ihm, Jack Muskham, ginge, würde dieser junge Hahn sich nimmer lang aufplustern! Doch nochmals hielt er inne … Ein Außenstehender konnte sich doch nicht einmengen. Und dennoch! Wenn die Aufführung dieses Burschen nicht augenfällig verurteilt wurde, glaubte er am Ende gar, alle seien damit einverstanden.
‹Bei Gott!› dachte er, ‹ich bring die Sache aufs Tapet. Wenigstens dieser Klub soll sich rühren und Stellung nehmen. Für Verräter ist im Burton-Klub kein Platz!›
Noch am selben Nachmittag trug er die Angelegenheit dem Ausschuß vor und war ganz starr über den Gleichmut, mit dem man die Sache aufnahm. Unter den sieben anwesenden Mitgliedern – Wilfrid Bentworth, der ‹Squire›, führte den Vorsitz – waren vier offenbar der Ansicht, Wilfrid Desert möge diese Affäre mit seinem Gewissen austragen, wenn es nicht überhaupt nur eine Zeitungsente sei. Seit den Tagen, da Lyall jenes Gedicht geschrieben, hatte die Welt sich verändert. Einer der Anwesenden ging sogar so weit zu sagen, man solle ihn in Ruhe lassen, er kenne Desert nicht, haben den ‹Leoparden› nicht gelesen und könne den ‹Tagesfunk› nicht riechen.
«Ich auch nicht», gab Jack Muskham zurück, «doch hier ist das Gedicht.» Er hatte sich den kleinen Band holen lassen und nach dem Lunch eine Stunde mit der Lektüre verbracht. «Darf ich daraus vorlesen? Es strotzt von Gift und Galle.»
«Um Himmelswillen, Jack, verschon uns!»
Das fünfte Mitglied, das bis jetzt geschwiegen, war der Meinung, wenn Jack Muskham drauf bestehe, müßten sie das Zeug doch lesen.
«Jawohl, ich bestehe drauf!»
Der ‹Squire›, der bis dahin stumm und gewichtig dagesessen, ergriff endlich das Wort: «Der Sekretär wird einige Exemplare besorgen und sie dem Ausschuß zusenden, am besten vielleicht auch die betreffende Nummer des ‹Tagesfunk›. Wir besprechen die Sache dann in der nächsten Sitzung am Freitag. Nun zu der Angelegenheit des Rotweins.» Und sie gingen zur Erörterung wichtigerer Dinge über.
Wenn Zeitungen einer gewissen Sorte bei der Aufklärung eines Vorfalls Gelegenheit finden, mit ihrem Tugendsinn aufzutrumpfen und dabei auch ins Horn ihrer Politik zu stoßen, dann pflegen sie bekanntlich den Fall soweit auszuschroten, als es nur irgendwie möglich ist, ohne mit dem Strafgesetz in Konflikt zu geraten; auf das Empfinden der betroffenen Person wird keine Rücksicht genommen. Gestützt auf Deserts Geständnis im Briefe des Verlegers, schlug ‹Der Tagesfunk› allen erdenklichen Vorteil aus der Sache und nahm im Lauf der folgenden acht Tage den Ausschußmitgliedern fast jede Möglichkeit, Unkenntnis oder Gleichgültigkeit vorzuschützen. Alle Welt las den ‹Leoparden› und sprach darüber; und am Morgen vor der Sitzung brachte ‹Der Tagesfunk› eine lange anzügliche Abhandlung über die ungeheure Tragweite des Benehmens der Engländer im Orient. Außerdem enthielt die Nummer in großen Lettern ein Inserat: «‹Der Leopard und andere Gedichte› von Wilfrid Desert. Verlag Compson Grice. 40+000 Exemplare abgesetzt. Dritte, vermehrte Auflage erschienen.»
Eine Debatte über die Ächtung eines Klubgenossen lockt fast jedes Mitglied in eine Ausschußsitzung; ja, es hatten sich sogar einige eingefunden, die seit Menschengedenken nicht mehr erschienen waren.
Jack Muskham hatte folgenden Antrag formuliert:
‹Der Ehrenwerte Wilfrid Desert möge auf Grund des Paragraphen 23 wegen seines der Ehre des Klubs abträglichen Verhaltens aufgefordert werden, auf die Mitgliedschaft des Burton-Klubs zu verzichten.›
Er eröffnete die Diskussion mit folgenden Worten:
«Sie alle haben Deserts Gedicht ‹Der Leopard› und den ‹Tagesfunk› vom Donnerstag der vergangenen Woche zugeschickt erhalten. Die Sache liegt sonnenklar. Desert gibt öffentlich zu, daß er vor dem Pistolenlauf des Feindes den Glauben abschwor; drum ist er meiner Ansicht nach nicht länger würdig, Mitglied dieses Klubs zu bleiben. Unser Klub wurde zu Ehren eines berühmten Weltreisenden gegründet, der allen Teufeln Trotz geboten hätte. Wir brauchen in unserer Mitte keine Leute, die der Ehre Englands ins Gesicht schlagen und dabei noch Verse darüber schmieren.»
Kurzes Schweigen. Dann bemerkte Mitglied Nummer 5 von der vorigen Sitzung:
«Immerhin, das Gedicht ist und bleibt verteufelt gut.»
«Hatten wir Wilfrid Desert nicht zu dieser Sitzung vorladen sollen?» fragte ein bekannter Gerichtsrat, der einst die Türkei bereist hatte.
«Wozu?» fragte Jack Muskham, «er kann uns doch auch nichts andres sagen, als er in dem Gedicht oder in dem Brief an den Verleger mitteilte.»
Mitglied Nummer 4 der vorigen Sitzung brummte: «Mit dem ‹Tagesfunk› geb ich mich lieber gar nicht ab. Wir sind doch ein unpolitischer Klub.»
«Wer kann dafür, daß er sein Bekenntnis gerade in diesem Sensationsblatt erscheinen ließ?» fragte Jack Muskham.
«Höchst peinlich», fuhr das vierte Mitglied fort, «sich derart in die Gewissenfragen andrer Leute einzumengen. Dürfen denn wir mit vollem Recht von uns behaupten, wir hätten in seiner Lage anders gehandelt?»
Unruhe, mißbilligendes Füßescharren, dann murmelte ein runzeliger Mann, der die alte Kultur Ceylons erforscht hatte: «Meiner Meinung nach hat Desert sich ehrlos benommen, nicht wegen des Abfalls vom Glauben, sondern weil er auch noch ein Gedicht darüber geschrieben hat. Sein Anstandsgefühl hätte ihm Schweigen gebieten müssen. Nichts als Reklame für sein Buch! Jetzt erscheint es schon in dritter Auflage und die Leute reißen es sich aus den Händen. Auch noch Profit zu schinden aus dieser Affäre – das schlägt dem Faß den Boden aus!»
«Desert hat das wohl kaum beabsichtigt», meinte das vierte Mitglied. «Es wurde zufällig eine Sensation draus.»
«Er hätte doch das Buch zurückziehen können.»
«Das hängt von seinem Vertrag mit dem Verleger ab. Zudem hätte das wie eine Flucht vor dem Sturm ausgesehn, den er selbst entfesselte. Eigentlich finde ich sein öffentliches Geständnis sehr mutig.»
«Theatralisch!» murmelte der Gerichtsrat.
«Wenn das ein Klub von Regierungsbeamten wäre», erklärte Jack Muskham, «sie besännen sich keinen Augenblick.»
«Es ist aber keiner!» gab der Verfasser des Buches ‹Zweite Reise durch Mexiko› trocken zurück.
«Ich weiß nicht, ob man einen Dichter mit demselben Maßstab messen darf wie andre Leute», meinte das fünfte Mitglied nachdenklich.
«Warum nicht?» fragte der Erforscher der Kultur Ceylons, «sofern es sich um Fragen des allgemeinen Anstands handelt?»
Ein kleiner Mann, der an der Schmalseite des Tisches dem Vorsitzenden gegenüber saß, stotterte: «Der ‹T-T-Tagesf-funk›!» und blies dabei die Luft durch die Zähne.
«Die Affäre ist in aller Leute Mund», behauptete der Gerichtsrat.
«Meine jungen Leute daheim», sagte ein Mann, der bis dahin geschwiegen hatte, «lachen einem ins Gesicht. ‹Und wenn er's getan hätte! › meinen sie. ‹Was liegt schon dran!› Sie reden von Pharisäertum, spotten über Lyalls Gedicat und erklären, es wäre ganz gut für England, wenn es einmal vom hohen Roß herabstiege.»
«Natürlich!» bemerkte Jack Muskham, «so reden die jungen Menschen von heute! Alle Ehrbegriffe über Bord geschmissen. Sind wir auch schon so weit?»
«Ist einer der Anwesenden mit dem jungen Desert bekannt?» fragte Nummer 5.
«Ich, nur ganz flüchtig», erwiderte Jack Muskham.
Kein andres Mitglied wußte von persönlicher Bekanntschaft zu melden.
Plötzlich erklärte ein starker, sonnverbrannter Mann mit lebhaften, tiefliegenden Augen:
«Nächsten Monat fahr ich nach Afghanistan, hoffentlich ist die Geschichte dort noch unbekannt – mehr sag ich nicht.»
«Warum?» fragte Nummer 4.
«Weil das bloß die Verachtung noch steigern wird, die man uns dort ohnehin zu spüren gibt.»
Diese Bemerkung eines wohlbekannten Forschungsreisenden machte mehr Eindruck als alle bisherigen Argumente. Zwei Mitglieder, die ebenso wie der Vorsitzende bis jetzt geschwiegen hatten, riefen wie aus einem Munde: «Sehr richtig!»
«Vor dem Urteilsspruch müßte man auch den Angeklagten hören», meinte der Gerichtsrat.
«Was halten Sie davon, Squire?» erkundigte sich Mitglied Nummer 4.
Der Vorsitzende nahm die Pfeife aus dem Mund.
«Hat noch jemand etwas zu bemerken?»
«Jawohl», rief der Verfasser des Werks ‹Zweite Reise nach Mexiko›. «Begründen wir die Aufforderung zum Austritt mit der Veröffentlichung seines Gedichtes.»
«Unmöglich!» knurrte Jack Muskham, «es handelt sich um die ganze Sache. Folgendes steht in Frage: Darf er weiter Mitglied dieses Klubs bleiben oder nicht? Ich bitte den Vorsitzenden, diese Formulierung den Versammelten vorzulegen.»
Doch unbekümmert rauchte der ‹Squire› seine Pfeife weiter. Noch war der rechte Zeitpunkt für die Frage nicht gekommen, das wußte er aus Erfahrung. Jetzt gab es noch Einzeldebatten oder allgemeine. Das führte gewöhnlich zu gar nichts, aber die Mitglieder hatten den Eindruck, man habe den Gegenstand erschöpfend behandelt.
Jack Muskham mit seinem langen Gesicht sah starr vor sich hin, schweigend streckte er die langen Beine aus.
«Nun?» fragte schließlich der Mann, der zum zweiten Mal in Mexiko gewesen.
Der ‹Squire› klopfte die Pfeife aus.
«Meiner Ansicht nach», gab er zur Antwort, «sollten wir Mr. Desert auffordern, uns über seine Gründe für die Veröffentlichung jenes Gedichtes Aufschluß zu geben.»
«Hört, hört!» rief der Gerichtsrat.
«Sehr richtig!» stimmten die zwei Mitglieder bei, die auch zuvor denselben Ausspruch getan hatten.
«Ich schließe mich dieser Ansicht an», erklärte die Autorität über Ceylon.
«Ist jemand dagegen?» fragte der ‹Squire›.
«Ich seh nicht ein, was das nützen soll», brummte Jack Muskham. «Er war fahnenflüchtig und hat es eingestanden.»
Da niemand anders Einwand erhob, fuhr der ‹Squire› fort:
«Der Sekretär wird ihn ersuchen, hierherzukommen und uns Aufschluß zu erteilen. Sonst steht heute nichts auf der Tagesordnung, meine Herren.»
Trotz des allgemeinen Übereinkommens, daß der Ausschuß in noch ungeklärten Angelegenheiten Schweigen wahren müsse, erfuhr Sir Lawrence im Vertrauen diese Vorgänge noch vor Anbruch der Nacht von drei Mitgliedern, unter denen sich auch Jack Muskham befand. Er brachte diese Neuigkeit zum Abendessen ins Haus seines Sohnes in der South Street mit.
Seit dem Erscheinen jenes Gedichts und dem Brief des Verlegers hatten sich beinah alle Gespräche Michaels und Fleurs um diese Affäre gedreht – die Äußerungen und Fragen fast jedes ihrer Bekannten zwangen sie ja, immer wieder davon zu sprechen. Ihre Meinungen gingen weit auseinander. Michael war zwar ursprünglich gegen die Veröffentlichung des Gedichts gewesen, doch jetzt, da es erschienen war, verteidigte er mit Nachdruck die Ehrlichkeit und den Mut, den Wilfrid durch sein Geständnis bekundet hatte. Fleur konnte Wilfrid dieses ‹mit dem Schädel durch die Wand rennen› nicht verzeihn. Hätte er sich nur ruhig verhalten und seinem Gewissen oder Stolz nicht nachgegeben, die ganze Sache wäre spurlos im Sand verlaufen. Ihrer Ansicht nach hatte er durch dieses Bekenntnis unschön an Dinny gehandelt und für sich selbst dadurch ganz und gar nichts gewonnen. Aber so sei er ja stets gewesen, meinte sie. Auch jetzt noch konnte sie ihm nicht verzeihen, wie unnachgiebig er sie vor acht Jahren bestürmt hatte, seine Geliebte zu werden, und wie unwiderruflich er vor ihr geflohn, weil sie ihm nicht willfahren wollte. Nach ihres Schwiegervaters Bericht über die Vorgänge im Burton-Klub fragte sie kurz:
«Konnte er etwas andres erwarten?»
«Warum ist Jack Muskham so erbittert?» murmelte Michael.
«Manche Hunde fallen sich gleich bei der ersten Begegnung an, andre erst nach einigem Überlegen. Hier trifft offenbar beides zu. Der Knochen, um den sie sich balgen, heißt Dinny.»
Fleur lachte.
«Jack Muskham und Dinny!»
«Im Unterbewußtsein, meine Liebe. Die Vorgänge im Unterbewußtsein eines Weiberfeindes sind nicht so leicht aufzuspüren. Nur in Wien kann man dir haargenau Bescheid darüber sagen, dort enthüllt man dir sogar die seelische Ursache, wenn du Schlucken hast.»
«Glaub kaum, daß Wilfrid sich dem Ausschuß stellen wird», sagte Michael düster.
«Was geschieht dann?»
«Man schließt ihn höchstwahrscheinlich auf Grund irgendeines Paragraphen aus.»
Michael zuckte die Achseln. «Daraus macht er sich kaum etwas, was liegt an einem Klub mehr oder weniger?»
«Allerdings», sagte Fleur. «Aber vorläufig ist die Angelegenheit noch in Schwebe, man schwatzt nur darüber; doch der Ausschluß aus dem Klub bedeutet für ihn das unwiderrufliche Verdammungsurteil. Es könnte kaum ein besseres Mittel geben, gegen ihn Stimmung zu machen.»
«Oder für ihn.»
«Allerdings auch für ihn. Aber wir wissen, was das heißt, schief angesehn zu werden.»
«Das alles trifft nicht den Kern der Sache», meinte Michael ungeduldig. «Ich kenne seine Gefühle. Sein erster Impuls war, diesem Araber Trotz zu bieten, und jetzt bereut er bitter, daß er dieser Regung nicht gehorchte.»
Sir Lawrence nickte.
«Dinny hat mich gefragt, ob Wilfrid denn gar nichts tun könne, um der Welt seinen Mut zu beweisen. Vielleicht gäb es irgendein Mittel, aber man findet es nicht so leicht. Die Leute lassen sich nicht gern in Lebensgefahr bringen, damit ihr Retter in die Zeitung kommt. Scheu gewordne Lastpferde sprengen selten durch die Piccadilly. Vielleicht könnte er einen Passanten von der Westminsterbrücke hinabwerfen und ihm nachspringen, aber das wäre nur Mord und Selbstmord. Seltsam, daß der Mensch bei allem Heldensinn so schwer Gelegenheit findet, sich als Held zu zeigen.»
«Er sollte doch vor den Ausschuß treten», erklärte Michael, «hoffentlich tut er's. Er hat mir etwas erzählt, das ganz unsinnig klingt, doch wer Wilfrid näher kennt, der weiß, daß es für sein Verhalten entscheidend war.»
«Nun?» fragte Fleur, «was denn?»
«Sein Mörder habe ihm leid getan.»
Fleur hatte die Ellbogen auf die polierte Tischplatte und das Kinn auf die Hände gestützt; in dieser vorgebeugten Haltung gemahnte sie an das junge Mädchen, das den chinesischen Götzen (auf Alfred Stevens' Bild in ihres Vaters Gemäldesammlung) betrachtet. Weder Fleur noch Sir Lawrence sprachen ein Wort, zogen nur ein wenig die Brauen hoch.
Trotzig fuhr Michael fort:
«Es klingt freilich lachhaft, aber Wilfrid sagt, der Bursche habe ihn flehentlich gebeten, ihn nicht zum Mord zu zwingen – er hatte ein Gelübde getan, Ungläubige zu bekehren.»
«Das dem Ausschuß zu berichten», erklärte Sir Lawrence langsam, «hieße wohl Perlen vor die Säue werfen.»
«Wilfrid tut es bestimmt nicht», meinte Fleur, «der stirbt lieber, als daß er sich lächerlich macht.»
«Sehr richtig. Ich erwähnte es ja auch nur, um euch zu beweisen, daß die Sache keineswegs so einfach liegt, wie es dem hundertprozentigen Sahib scheinen mag.»
«Ausgezeichnet!» meinte Sir Lawrence sachlich, «hab schon lang nichts so Gelungenes gehört. Doch damit ist ja Dinny nicht geholfen.»
«Ich geh nochmals zu Wilfrid und spreche mit ihm», sagte Michael.
«Am einfachsten wär es», bemerkte Fleur, «er träte sofort aus dem Klub aus.»
Und mit dieser nüchternen Bemerkung schloß die Debatte.