Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII

«Wenn du Vertrauen hast, Dinny, willst du mich nicht heiraten?» fragte Wilfrid sie unvermittelt an jenem zweiten Nachmittag auf einer Bank im Richmond-Park.

Hatte sie ihm vorher ihre Liebe irgendwie verraten? Unmöglich wußte sie das später zu sagen.

Seine Worte hatten ihr den Atem geraubt, sie wurde stets blasser. Plötzlich schoß ihr das Blut in die Wangen.

«Ich begreife kaum, wie du mich das fragen kannst. Du weißt ja nichts von mir.»

«Du bist wie das Morgenland, man liebt es auf den ersten Blick oder nie – und nie lernt man es ergründen.»

Dinny schüttelte den Kopf: «Aber ich bin doch nicht so unergründlich.»

«Ganz begreifen werd ich dich nie, so wenig wie jene Gestalten im Treppenhaus des Louvre. Bitte, gib mir Antwort, Dinny.»

Sie legte ihre Hand in seine, nickte und sprach: «Eine Blitzverlobung!»

Da drückte er einen langen Kuß auf ihren Mund. Als er sie freigab, schwand ihr das Bewußtsein.

So seltsam war es ihr noch nie im Leben ergangen. Fast im nächsten Augenblick kam sie zu sich und sagte ihm das.

«Etwas Schöneres hättest du gar nicht tun können!»

Früher war ihr sein Antlitz sonderbar erschienen, doch wie verändert war es jetzt! Die sonst so verächtlich zusammengepreßten Lippen bebten, halb geöffnet, sein Blick hing glühend an ihr. Dann hob er die Hand, strich sich das Haar zurück und dabei gewahrte Dinny zum ersten Mal eine Narbe auf seiner Stirn unterm Haaransatz. Sonne, Mond und Sterne, das Rad der Schöpfung stand still, während sie einander in die Augen sahn.

Endlich sagte sie:

«Das alles kommt so ungewöhnlich, ohne Werben, ja sogar ohne Verführung.»

Er lachte und schlang den Arm um sie. Dinny flüsterte:

«‹Eine Wolke von Glück spann die beiden ein.› Meine arme Mutter!»

«Ist sie eine liebe Frau?»

«Herzensgut. Zum Glück hängt sie sehr an Vater.»

«Wie ist denn dein Vater?»

«Der netteste General unter der Sonne.»

«Der meine ist ein Einsiedler. Na, du wirst nichts mit ihm zu schaffen haben. Mein Bruder ist ein Esel. Meine Mutter brannte durch, als ich ein dreijähriger Bub war. Schwestern hab ich keine. Dinny, du wirst deine liebe Not haben mit einem unangenehmen, brutalen Vaganten, wie ich es bin.»

«‹Wohin du gehst, dahin geh auch ich.› Aber der alte Herr dort drüben hat uns, scheint mir, eräugt. Da sendet er wohl eine Beschwerde an die Zeitungen über die haarsträubenden Szenen, die man im Richmond-Park zu sehn bekommt.»

«Tut nichts!»

«Tut gar nichts. Diese erste Stunde des Glücks erlebt man nur einmal und ich dachte schon, ich würde sie nie erleben.»

«Warst du noch nie verliebt?»

Dinny schüttelte den Kopf.

«Wie wunderbar! Wann feiern wir Hochzeit, Dinny?»

«Meinst du nicht auch, unsere Familien sollten es erst erfahren?»

«Allerdings. Die werden aber nicht wollen, daß du mich heiratest.»

«Junger Herr, Ihr seid von höherm Adel.»

«Wer kann einer Familie den Rang ablaufen, die ins zwölfte Jahrhundert zurückreicht? Unser Stammbaum läßt sich nur bis ins vierzehnte verfolgen. Ein Nomade und ein Dichter – noch dazu ein Dichter so bittrer Verse! Deine Leute werden wittern, daß ich dich nach dem Orient entführen will. Auch hab ich ja nur fünfzehnhundert Pfund im Jahr und fast gar keine Aussichten.»

«Fünfzehnhundert Pfund! Mir kann Vater vielleicht zweihundert zulegen – wie Clare.»

«Gott sei Dank, daß dein Geld kein Hindernis ist.»

Dinny wandte sich ihm zu, in ihrem Blick lag rührendes Vertrauen.

«Wilfrid, ich hab gehört, du seist zum Islam übergetreten. Mir würde das gar nichts machen.»

«Den Deinen aber bestimmt.»

Seine Miene war herb und düster geworden. Fest schloß sie seine Hand in ihre Hände.

«Steckt hinter dem Gedicht ‹Der Leopard› eigenes Erleben?»

Er versuchte, ihr die Hand zu entziehn.

«Sag mir's doch!»

«Ja. Dort draußen in Darfur. Fanatische Araber. Ich schwor das Christentum ab, um meine Haut zu retten. So, jetzt kannst du einen Stein auf mich werfen, Dinny.»

Mit aller Kraft zog sie seine Hand an ihr Herz.

«Was du getan hast oder nicht, gilt mir gleich. Du bist du!» Zu ihrem Schreck und Trost fiel er ihr zu Füßen und barg sein Gesicht in ihrem Schoß.

«Liebster!» rief sie, und Zärtlichkeit, der Trieb, ihn zu beschützen, drängte die Leidenschaft fast ganz zurück.

«Weiß jemand davon außer mir?»

«Man schwatzt in den Basaren von meinem Übertritt, hält ihn jedoch für freiwillig.»

«Ich weiß, es gibt so manches, wofür du in den Tod gingst, Wilfrid. Das genügt mir. Einen Kuß!»

Bei diesem Kuß schwand beiden fast die Besinnung.

Der Nachmittag verrann, sie blieben sitzen, schräg fielen die Schatten der Eichen, die flirrenden Sonnenstrahlen wichen von den jungen Farnen; langsam schritt ein Reh zur Tränke. Auf dem klaren, zartblauen Abendhimmel schwammen weiße Wolken, die Vorboten heitrer Tage; in sachten Wellen drang ein frischer Duft von Farnen und Kastanienblüten herüber, langsam fiel der Tau. Die frische, würzige Luft, der tief grüne Rasen, die blaue Weite, die knorrigen, plumpen Gestalten der Eichen machten diese Stunde so idyllisch, wie sie Liebende nur in England erleben können.

«Wenn wir noch länger sitzen bleiben, beginne ich zu schwärmen», sagte Dinny endlich. «‹Ach Liebster, sieh, schon fällt der Abendtau.›»

Spät abends im Empfangszimmer in der Mount Street sagte Tante Emily unerwartet:

«Lawrence, sieh dir doch Dinny an! Dinny, du bist verliebt.»

«Tante, du entringst mir das Geständnis: Ich bin's.»

«In wen?»

«Wilfrid Desert.»

«Wie oft hab ich Michael gesagt: ‹Dieser junge Mann gerät noch in die Patsche.› Liebt er dich auch?»

«Er ist so freundlich, es zu behaupten.»

«Du meine Güte! Ich muß ein Glas Limonade trinken! Wer von euch hat den Antrag gemacht?»

«Eigentlich er.»

«Sein Bruder soll kinderlos sein.»

«Allmächtiger, wohin denkst du, Tante!»

«Was ist schon dabei? Einen Kuß!»

Doch über die Schulter der Tante sah Dinny nach dem Onkel. Er sprach kein Wort.

Später, als sie hinter den beiden das Zimmer verlassen wollte, hielt er sie zurück.

«Dinny, wo hast du deine Augen?»

«Ich seh ganz klar. Ich kenne ihn schon neun Tage.»

«Ich mag nicht den strengen Onkel spielen, aber kennst du auch die Schattenseiten?»

«Seine Religion, die Geschichte mit Fleur, der Orient? Was noch?»

Sir Lawrence zuckte die magern Schultern.

«Die Sache mit Fleur liegt mir noch immer schwer im Magen. Wer dem Mann, dessen Trauzeuge er gewesen, so etwas antut, ist kein treuer Freund.»

Dinny schoß das Blut in die Wangen.

«Nicht aufregen, liebes Kind, wir alle haben dich viel zu lieb.»

«Onkel, er hat über alles rückhaltlos mit mir gesprochen.»

Sir Lawrence seufzte.

«Da sag ich lieber nichts. Aber ich bitte dich, überleg dir, was du tust. Ich kenne eine besonders feine Porzellanart, die läßt sich kaum kitten. Und du bist von der gleichen Sorte, Dinny.»

Sie lächelte, ging in ihr Zimmer hinauf und augenblicklich schweiften ihre Gedanken zu den Nachmittagsstunden zurück.

Vorüber war ihr Unvermögen, sich den Rausch der Liebe vorzustellen, vorüber die Scheu, ihre Seele einem andern Wesen zu erschließen. Alle Liebesromane, die sie je gelesen, alle Liebesgeschichten, die sich in ihrer Umgebung abgespielt, schienen ihr matt und farblos im Vergleich zu dem eigenen Erleben. Und dabei kannte sie Wilfrid erst neun Tage – bis auf jenen Blick vor zehn Jahren. War sie die ganze Zeit her von einem sogenannten ‹Komplex› besessen? Oder kam die Liebe immer wie ein Blitz? Eine wilde Blume, vom Sturmwind gesät?

Lange saß sie halbentkleidet da, gesenkten Haupts, die Hände zwischen den Knien, in berauschende Erinnerung verloren, und das seltsame Gefühl überkam sie, alle Liebenden der ganzen Welt weilten in ihr und mit ihr auf diesem bei der Firma Pullbred, Tottenham Court Road, erstandnen Bett.


 << zurück weiter >>