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Als Dinny am Morgen nach ihrer Aussprache mit dem Vater erwachte, kam ihr Kummer ihr nicht gleich zum Bewußtsein. Dann aber fuhr sie erschrocken in die Höhe. Wie, wenn Wilfrid am Ende alles im Stich ließ und davonlief, nach dem Orient oder noch weiter? Vielleicht bildete er sich dabei gar noch ein, es sei zu ihrem Besten.
‹Ich kann unmöglich bis Donnerstag warten›, überlegte sie, ‹ich muß in die Stadt. Hätt ich doch nur Geld, falls er am Ende – –!› Sie kramte ihren Schmuck hervor und schätzte rasch seinen Wert. Jene beiden Herren in der South Molton Street! Als sie damals Jeannes Smaragdanhänger versetzte, hatten sich die beiden hochanständig benommen. Sie band die versetzbaren Schmuckstücke in ein kleines Paket und ließ nur zwei oder drei zurück, die sie gewöhnlich trug. Besonders wertvolle Juwelen befanden sich nicht darunter, mehr als hundert Pfund würden ihr die Herren trotz höchsten Wohlwollens schwerlich drauf leihen.
Beim Frühstück benahmen sich alle so, als sei gar nichts geschehn. Sie wußten also das Schlimmste!
‹Wie unschuldig sie sich nur stellen!› fuhr es Dinny durch den Sinn.
Als der Vater erklärte, er werde sich nach London begeben, sagte sie, sie wolle mitfahren.
Er warf ihr einen Blick zu wie ein Affe, der sich betrübt fragt, woher der Mensch das Recht nehme, sich dem Affen überlegen zu dünken. Wieso war ihr nur früher dieses unruhige Flackern, dieser bekümmerte Ausdruck seiner braunen Augen entgangen?
«Schön», gab er zur Antwort.
«Soll ich chauffieren?» fragte Jeanne.
«Dankend angenommen», murmelte Dinny.
Niemand verlor ein weiteres Wort über das Thema, das aller Gedanken so sehr in Anspruch nahm.
Im offenen Auto saß Dinny neben dem Vater. Erst jetzt, ziemlich spät stand der Hagedorn in voller Blüte und sein angenehmer Duft mischte sich mit dem Benzingeruch, der wiederholt emporstieg. Der Himmel war grau verhangen, regenschwer. Ihr Weg führte über die Chiltern Hügel, Hampden, Great Missenden, Chalfont und Chorley Wood, eine so unverkennbar englische Landschaft, daß selbst ein Reisender, der aus tiefem Schlaf emporfuhr, sich keinen Augenblick in irgendeinem andern Lande wähnen konnte. Dinny wurde dieser Strecke sonst nie müde; heute aber konnten weder das junge Grün, noch die Hagedorn- und Apfelblüten, noch die krumme, abschüssige Straße durch die alten Dörfer ihre Aufmerksamkeit von der starren Ruhe ihres Begleiters ablenken. Instinktiv erriet sie, daß er eine Unterredung mit Wilfrid im Schild führe. Wenn er wirklich mit ihm sprach, dann wollte auch sie mit Wilfrid sprechen. Doch als der Vater den Mund auftat, äußerte er sich über die Lage in Indien, und sie plauderte nur über die Vögel. Jeanne fuhr wie wild drauflos und warf keinen einzigen Blick zurück. Erst in der Finchley Road in London fragte der General:
«Wo möchtest du aussteigen, Dinny?»
«In der Mount Street.»
«Du übernachtest dort?»
«Ich bleibe bis Freitag.»
«Wir setzen dich dort ab und ich fahre weiter in meinen Klub. Du bringst mich doch heut abend noch zurück, Jeanne?»
Jeanne nickte, ohne sich umzuwenden, und glitt zwischen zwei scharlachroten Autobussen so blitzschnell durch, daß zwei Chauffeure gleichzeitig knurrten: ‹Verdammtes Frauenzimmer!›
Dinny sann hin und her. Durfte sie es wagen, Stack telephonisch zu bitten, er solle sie verständigen, sobald ihr Vater käme? Dann würde sie ihren Besuch auf die Minute danach einrichten können. Dinny gehörte zu den Leuten, die sofort persönliche Beziehungen zur Dienerschaft herstellen. Nie legte sie eine Kartoffel auf den Teller, ohne unbewußt ein gewisses Interesse an der Person des Servierenden zu bekunden. Nie vergaß sie, ‹danke!› zu sagen, und verschwand selten aus dem Gesichtskreis des Dienstbeflissenen ohne ein leutseliges Wort. Erst dreimal hatte sie Stack gesehn und doch war ihr bereits klar, daß er sie für einen Menschen hielt, wenn sie auch nicht aus seiner Gegend stammte. Sie rief sich diesen Mann in die Erinnerung zurück, seine nicht mehr jugendliche Gestalt, die mönchischen Züge, die breite Nase, das schwarze Haar, die ausdrucksvollen Augen, den zugleich scharfen und wohlwollenden Zug um die geschwungenen Lippen, den aufrechten, flotten Gang. Unlängst hatte sie einen Blick von ihm aufgefangen, der zu sagen schien: ‹Wenn du unser Schicksal wirst, könnt ich mich damit abfinden? Jawohl.› Deutlich empfand sie, daß er Wilfrid treu ergeben war. Drum beschloß sie, einen Versuch zu wagen. Als der Vater und Jeanne sie in der Mount Street abgesetzt hatten und davonfuhren, schoß es ihr durch den Kopf: ‹Hoffentlich erleb ich nie solche Elternfreuden!›
«Darf ich telephonieren, Blore?»
«Selbstverständlich, Miss.»
Sie rief bei Wilfrid an.
«Wer dort? Stack? Hier Miss Cherrell … Könnten Sie mir nicht einen kleinen Gefallen tun? Mein Vater, General Sir Conway Cherrell, wird heute Mr. Desert besuchen. Ich weiß nicht genau, wann er bei Ihnen vorspricht, doch ich möchte gern selbst hinkommen, während er dort ist … Könnten Sie mich also sogleich nach seiner Ankunft hier anklingeln? Ich erwarte Ihren Anruf … Herzlichen Dank! … Mr. Desert wohlauf? Bitte, sagen Sie weder ihm noch meinem Vater, daß ich komme. Recht herzlichen Dank!»
‹Wenn ich Vater richtig kenne›, dachte sie, ‹geht er jetzt hin! Wilfrid gegenüber liegt eine Bildergalerie, von einem ihrer Fenster aus kann ich den Vater fortgehn sehn.›
Kein Anruf kam vor dem Lunch, den sie mit der Tante einnahm.
«Dein Onkel hat mit Jack Muskham gesprochen», erklärte Lady Mont während der Mahlzeit, «in Royston, weißt du. Den andern, den Menschen mit dem Affengesicht, nahm er im Auto nach London mit – die beiden halten reinen Mund. Aber Dinny, Michael meint, Desert sollte das bleiben lassen.»
«Was, Tante Emily?»
«Die Veröffentlichung jenes Gedichtes.»
«Oh, darauf geht er nicht ein.»
«Weshalb? Ist es so gut?»
«Das beste, was er je geschrieben.»
«Überflüssige Komplikation!»
«Tante Emily, Wilfrid hat nichts zu verbergen.»
«Äußerst peinlich für dich! Sag doch, könntet ihr euch nicht mit einer Kameradschaftsehe begnügen?»
«Ich bin starr, liebe Tante!»
«Bis der Tod euch scheidet – eine lange Zeit – und wieviel liegt dazwischen? Es handelt sich doch auch um unsern Namen. Und die Sachen sprechen sich so herum. Mir wär es bis in die Seele zuwider, wenn du in die Zeitung kämst, Dinny.»
«Mir nicht weniger, Tantchen.»
«Fleur kam einmal in die Zeitung – eine Verleumdung.»
«Wie heißt doch das Ding, das zurückkehrt und einen dabei unversehens verletzt?»
«Bumerang?»
«Hab's doch gewußt, etwas Australisches. Und Beuteltiere gibt's dort auch, gelt? Blore, schenk Miss Dinny nach!»
«Danke, mir nichts mehr, Tante Emily. Darf ich jetzt hinuntergehn?»
«Gehn wir beide!» Lady Mont stand auf und sah geneigten Kopfs prüfend ihre Nichte an. «Tief atmen und Karotten essen, das kühlt das Blut. Warum heißt es Golfstrom, Dinny? Was für ein Golf soll das sein?»
«Der Golf von Mexiko, Tante.»
«Aha, von dort kommen die Aale, hab es neulich gelesen. Gehst du fort?»
«Ich erwarte einen Anruf.»
«Nette Mädels am Telephon. Wenn nur nicht so viele Fehlverbindungen wären! Eine Tasse Kaffee?»
«Bitte, sehr gern!»
«Eine Gottesgabe. Nach einem Täßchen setzt sich das erregte Gemüt wie ein Pudding.»
‹Tante Emily sieht wirklich mehr, als man glaubt›, dachte Dinny.
«Auf dem Land draußen», fuhr Lady Mont fort, «macht einem die Liebe mehr zu schaffen, dort hört man den Kuckuck rufen. In Amerika, sagte unlängst jemand, soll es keinen Kuckuck geben. Vielleicht gibt's dort auch keine Verliebten, dein Onkel wird es wohl wissen. Aber bei uns nützt dir alles nichts, du mußt verliebt sein. So war es wenigstens immer. Ich seh den Menschen ins Herz hinein», fuhr die unheimliche Tante fort und fragte:
«Wo ist dein Vater hin?»
«In seinen Klub.»
«Hast du ihm das erzählt, Dinny?»
«Ja.»
«Du bist sein Liebling.»
«Ach nein. Clare.»
«Papperlapapp!»
«Tante Emily, wie stand es mit deiner jungen Liebe? Lief da alles glatt ab?»
«Ich hatte eine gute Figur», erwiderte ihre Tante, «natürlich zu viel Figur. So waren wir alle zu meiner Zeit. Lawrence war meine erste Liebe.»
«Wirklich?»
«Abgesehn von einigen Chorknaben, unserm Pferdeknecht und ein oder zwei Soldaten. Da war solch ein kleiner Hauptmann mit schwarzem Schnurrbart. Unvorsichtig von einer Vierzehnjährigen.»
«Ihr wart wohl sehr förmlich in der Brautzeit?»
«Nein, dein Onkel war leidenschaftlich. Anno 1891. Seit dreißig Jahren hatte es nicht mehr geregnet.»
«Nicht mehr so viel geregnet, meinst du?»
«Nein, überhaupt nicht. Doch ich weiß nimmer, wo. Horch, das Telephon!»
Dinny war noch vor dem Kammerdiener beim Apparat.
«Es gilt mir. Danke, Blore!»
Mit zitternder Hand griff sie nach dem Hörrohr.
«Ja? … Verstehe … Danke, Stack! … Herzlichen Dank! … Blore, wollen Sie mir nicht ein Auto besorgen?»
Sie ließ das Taxi vor der Galerie, Wilfrids Wohnung gegenüber, halten, kaufte einen Katalog, eilte die Treppe hinan und trat ans Fenster. Hier prüfte sie allem Anschein nach eingehend Bild Nummer 35 – ‹Rhythmus›, hieß es, eigentlich ein irreführender Titel – und spähte unablässig nach der gegenüberliegenden Haustür. Unmöglich konnte der Vater Wilfrid schon verlassen haben, seit dem Anruf waren ja erst sieben Minuten vergangen. Doch bald darauf sah sie ihn aus der Tür treten und die Straße hinabgehn. Er hielt den Kopf gesenkt und schüttelte ihn ein paar Mal; sie konnte zwar sein Gesicht nicht sehn, sich aber ohne Mühe sein Mienenspiel vorstellen.
‹Er kaut an seinem Schnurrbart!› dachte sie, ‹armer Vater!›
Kaum war er um die Ecke verschwunden, lief sie hinab, huschte über die Straße und flog die Treppe empor. Vor Wilfrids Tür hielt sie inne, die Hand an der Klingel. Dann läutete sie.
«Komm ich zu spät, Stack?»
«Der General ist soeben fort, Miss.»
«Oh! Könnte ich Mr. Desert sehn? Bitte, melden Sie mich nicht!»
«Nein, Miss», entgegnete Stack. Hatte sie je einen so verständnisvollen Blick gewahrt wie seinen?
Sie holte tief Atem und öffnete die Tür. Wilfrid stand am Kamin, den Kopf auf die verschränkten Arme geneigt. Leise glitt sie näher und wartete drauf, daß er sie bemerke.
Plötzlich hob er den Kopf und sah sie an.
«Liebster!» rief Dinny. «Verzeih, wenn ich dich erschreckt hab!» Mit leicht geöffneten Lippen warf sie den Kopf zurück, so daß ihr Hals hervortrat. In seiner Miene las sie schweren Kampf.
Er konnte nicht widerstehn und gab ihr einen Kuß.
«Dinny, dein Vater –»
«Ich weiß. Hab ihn fortgehn sehn. ‹Mr. Desert, nicht wahr? Meine Tochter hat mir von Ihrer Verlobung und – eh – Ihrer Situation berichtet. Vermutlich können Sie – eh – ermessen, was – eh – geschehn wird, wenn Ihre – eh – Eskapade bei Darfur in London – eh – bekannt wird. Meine Tochter ist volljährig, sie kann nach eigenem Gutdünken handeln, aber wir alle haben sie sehr, sehr lieb und Sie stimmen mir vermutlich bei, daß Sie es angesichts eines derartigen – eh – Skandals nicht verantworten könnten, sich im gegenwärtigen Augenblick als ihren Verlobten zu betrachten?›»
«Stimmt fast wörtlich!»
«Und was hast du ihm erwidert?»
«Ich würde mir's noch überlegen. Er hat vollkommen recht.»
«Vollkommen unrecht. Ich hab dir's doch schon gesagt: ‹Liebe, die sich ändern kann, ist wahre Liebe nicht.› Michael meint, du solltest den ‹Leoparden› nicht drucken lassen.»
«Ich muß, muß die Sache los werden! Wenn du nicht bei mir bist, bin ich kaum bei Trost.»
«Ich weiß ja. Aber Liebster, die beiden halten reinen Mund. Muß also die Geschichte überhaupt herauskommen? Wenn eine Sache nicht bald ans Licht kommt, kommt sie oft überhaupt nicht ans Licht. Wozu mit dem Kopf durch die Wand?»
«Drum handelt sich's hier nicht. Mich quält diese verdammte Angst, daß ich wirklich feig war. Deshalb will ich ja, daß alles ans Licht kommt. Dann kann ich den Kopf wieder hoch tragen, geächtet oder nicht. Begreifst du das nicht, Dinny?»
Sie begriff es. Seine Miene verriet ihr genug. ‹Was er auch fühlt›, dachte sie, ‹es ist meine Pflicht, seine Gefühle zu teilen, auch wenn ich anders denke; nur so kann ich ihm helfen; nur so kann ich ihn vielleicht behalten.›
«Ich begreife vollkommen. Michael hat unrecht. ‹Wir wollen stehn wie starke Eichen, unsere Kronen werden vielleicht brechen, aber nie sich beugen.›»
So entlockte sie ihm ein Lächeln und zog ihn neben sich auf den Diwan. Nach langem, tiefem Schweigen schlug sie die Augen auf mit jenem sachten Blick, auf den sich alle Frauen so gut verstehn.
«Wilfrid, morgen ist Donnerstag. Hättest du etwas dagegen, wenn wir auf dem Heimweg einen Sprung zu Onkel Adrian machten? Er steht auf unsrer Seite. Und was unsere Verlobung angeht, können wir den Leuten ja sagen, daß wir nicht verlobt sind, und es trotzdem bleiben. Auf Wiedersehn, Liebster!»
Als sie unten die Haustür öffnete, sagte Stack:
«Verzeihung, Miss.»
«Ja?»
«Ich lebe schon ziemlich lang bei Mr. Desert – ich bin auf eine Idee gekommen. Wenn ich nicht irre, sind Sie ja mit ihm verlobt, Miss?»
«Ja und nein, Stack. Doch ich hoffe, ihn zu heiraten.»
«Sehr richtig, Miss, ein Glück für ihn, wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben. Doch Mr. Desert faßt manchmal Hals über Kopf einen Entschluß, drum dacht ich, wenn wir sozusagen als Verbündete vorgingen, wär das vielleicht zu seinem Besten.»
«Ganz Ihrer Meinung. Drum klingelte ich Sie ja heute morgen an.»
«Ich hab die Jahre her schon viele junge Damen gesehn, doch keine hätt ich ihm so sehr zur Frau gewünscht, wie Sie, Miss. Drum hab ich mir jetzt die Freiheit genommen.»
Dinny streckte ihm die Hand entgegen. «Ich bin herzlich froh darüber. Das war ja auch mein Wunsch. Es gibt da nämlich einige Schwierigkeiten und ich fürchte, es kommt noch zu neuen.»
Stack wischte sich die Hand ab, dann ergriff er Dinnys Rechte und sie tauschten einen kräftigen Händedruck.
«Er hat einen Kummer, ich weiß es», erklärte Stack. «Na, das geht mich nichts an. Aber ich weiß auch, daß er oft im Handumdrehn eine Entscheidung trifft. Wenn Sie mir Ihre Telephonnummer geben wollten, Miss, könnt ich Ihnen beiden von Nutzen sein.»
Dinny schrieb die Nummer auf. «Da ist die Nummer meines Onkels Sir Lawrence Mont in der Mount Street, bei dem ich in London wohne; und da die Nummer unseres Besitzes Condaford in Oxfordshire. Durch die eine oder die andre bin ich fast sicher zu erreichen. Vielen Dank! Ein Stein fällt mir vom Herzen.»
«Mir auch, Miss. Ich bin Mr. Desert sehr ergeben und wünsche ihm das Allerbeste. Er ist nicht nach jedermanns Geschmack, aber nach dem meinen.»
«Auch nach meinem, Stack.»
«Ich möchte Ihnen keine Komplimente machen, Miss, aber, Sie verzeihn schon, meinem Herrn steht ein großes Glück bevor.»
Dinny lächelte. «Nein, mir! Leben Sie wohl! Nochmals vielen Dank!»
Langsam schritt sie durch die Cork Street hin. Nun hatte sie einen Bundesgenossen in der Löwenhöhle, einen Spion im Lager des Freundes, einen treuen Verräter! Die Bilder gerieten durcheinander und sie eilte ins Haus ihrer Tante zurück.
Vor seiner Heimkehr nach Condaford würde ihr Vater so gut wie sicher hierher kommen.
Da sah sie auch schon seinen alten, unverkennbaren, steifen Hut in der Halle; wohlweislich legte sie den eignen Hut ab, ehe sie das Empfangszimmer betrat. Ihr Vater unterhielt sich eben mit der Tante, doch als sie zur Tür hereinkam, verstummten beide. Nun würden alle bei ihrem Eintritt immer so verstummen! Sie sah ihnen ruhig und gerade ins Gesicht und nahm Platz.
Der Blick des Generals begegnete dem ihren.
«Dinny, ich habe mit Mr. Desert gesprochen.»
«Ich weiß, lieber Vater. Er will sich's überlegen. Jedenfalls werden wir es vorläufig abwarten, bis die Geschichte bekannt wird.»
Unruhig rutschte der General auf seinem Stuhl.
«Und zu deinem Trost will ich dir mitteilen, daß wir nicht offiziell verlobt sind.»
Der General machte ihr eine leichte Verbeugung, Dinny wandte sich zur Tante, die ihrem rotglühenden Gesicht mit einem lila Löschpapier Kühlung zufächelte.
Schweigen. Dann fragte der General:
«Wann fahrt ihr nach Lippinghall, Emily?»
«Nächste Woche», erwiderte Lady Mont. «Oder die übernächste? Lawrence weiß schon. Ich lasse meine beiden Gärtner bei der Blumenschau von Chelsea ausstellen. Boswell und Johnson, Dinny.»
«Aha! Du hast sie also noch immer?»
«Mehr denn je. Conway, du solltest auch Pestifera pflanzen, nein, so heißt's nicht, eine haarige Anemone, weißt du.»
«Pulsatilla, Tantchen.»
«Entzückende Blumen! Sie brauchen kalkhaltigen Boden.»
«Davon ist in Condaford nicht viel zu finden», bemerkte der General. «Das wird dir ja bekannt sein, Emily.»
«Tante, heuer waren unsere Azaleen ein Traum.»
Lady Mont legte das Löschpapier hin.
«Ich hab es deinem Vater gesagt, Dinny.»
«Danke, liebe Tante.»
«Daß es zwecklos ist, dich zu quälen.»
Dinny betrachtete das düstere Gesicht ihres Vaters und fragte: «Tantchen, kennst du vielleicht jenen netten Laden in der Bond Street, wo man die hübschen Tierplastiken bekommt? Ich hab eine reizende Füchsin mit ihren Jungen dort erstanden, damit Vater die Füchse lieb gewinnt.»
«Ach ja, die Jagd!» sagte Lady Mont mit einem Seufzer. «Wenn man die armen Dinger aus dem Bau holt, tut einem wirklich das Herz weh.»
«Selbst Vater mag sie nicht gern ausgraben oder verschütten, nicht wahr, Vater?»
«N–nein», erwiderte der General, «im Grunde nicht.»
«Die armen Jungen bluten zu sehn», klagte Lady Mont. «Conway, dich sah ich einmal bluten!»
«Peinliche Geschichte, und noch dazu ganz überflüssig! Heutzutag holen nur noch die abgebrühten Jäger der alten Schule Füchse aus dem Bau.»
«Er sah so scheußlich aus, Dinny!»
«Vater, du hast nicht das Zeug zur Jagd. Um aus reiner Mordlust zu morden, muß man schon einer jener stumpfnasigen, rothaarigen, sommersprossigen Buben sein.»
Der General erhob sich.
«Ich muß in den Klub zurück. Jeanne holt mich von dort ab. Dinny, wann sehn wir dich wieder? Deine Mutter –» Er schwieg.
«Tante Emily behält mich bis zum Samstag.»
Der General nickte. Die Küsse der Schwester und der Tochter ließ er mit einer Miene über sich ergehn, als wollte er sagen: ‹Ja – aber!› –
Vom Fenster aus sah ihn Dinny die Straße hinabgehn, das Herz tat ihr weh.
«Dein Vater!» sagte die Stimme der Tante hinter ihr. «All das ist sehr betrüblich!»
«Vater hat mit keinem Wort drauf angespielt, daß ich von ihm abhängig bin. Das find ich wirklich reizend!»
«Conway ist wahrhaftig ein lieber Kerl», meinte Lady Mont. «Seiner Aussage nach benahm sich der junge Mann durchaus respektvoll.»
Dinny wandte sich vom Fenster fort.
«Tantchen! Ich fühl's, ich bin nicht mehr dieselbe wie vor zwei Wochen. Ich bin ganz und gar verwandelt. Früher glaubte ich mich frei von allen Wünschen, jetzt aber brenn ich vor Verlangen und scher mich gar nicht drum, ob ich anständig bin oder nicht. Bitte, empfiehl mir nicht Bittersalz dagegen!»
Lady Mont streichelte ihren Arm.
«‹Ehre Vater und Mutter›», sagte sie, «aber freilich steht auch geschrieben: ‹Gib alles auf, was du hast, und folge mir› – weiß wirklich nicht, was ich da sagen soll.»
«Ich schon», erwiderte Dinny. «Weißt du, was ich jetzt möchte? Daß schon morgen alles herauskäme. Dann könnten wir sofort heiraten.»
«Nehmen wir den Tee, Dinny. Blore, Tee! Ziemlich stark!»