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5. Kapitel: Die Mundang

Siehe die Kartenskizze.

Königtum, Königstod, Königsbegräbnis. – An allen äthiopischen Stämmen, d. h. rein äthiopischen Kulturen können wir die Beobachtung machen, daß sie, wenn sie auch eine sicherlich vertiefte materielle Kultur besitzen, doch entschieden sozial minder begabt, embryonal entwickelt oder doch mehr dem Verfall als der Zusammenfassung zu gerichtet sind. Wir wissen, daß die Zersplitterung das direkt Typische der äthiopischen Stämme ist. Wo wir aber eine weiter ausgedehnte Macht, eine politische Umfassung eines größeren Gebietes sehen, da ist es auch niemals schwer festzustellen, wie stark der Konflikt zwischen einer dynastischen Macht und einer zersetzenden prinzipiellen Uneinigkeit der »Völker«, der Sippenverbände ist. Das beste Beispiel, das ich hierfür überhaupt kenne, bieten aber die Mundang, wie wir sogleich aus der Einführung in deren Sittenart erkennen werden.

Die Mundang feiern, wie alle ihre südlichen Nachbarn, vor allem mit voller Begeisterung das Fest der Beschneidung, das Djang(u)re. Dieses kann aber nur dann stattfinden, wenn ein Gong, ein König, gestorben ist. Nun muß aber ein jeder König, ob er der große mächtige von Lære oder der irgendeines kleinen Dorfes ist, im siebenten oder achten Jahre seiner Herrschaft sterben. Er muß sterben, ob die Natur oder er es wollen oder nicht. Wer den etwa Widerstrebenden zum Ende zu zwingen hat, das ist aber kein anderer als sein Pulian, d. i. der Bruder seiner Mutter.

Wenn der König nämlich nicht acht Jahre nach seinem Regierungsantritt von selbst stirbt, so muß der Pulian den Schädel des verstorbenen Vaters des Königs, also seines Vorgängers, in eine weiße Kuhhaut gebunden an einem Stricke auf dem Boden da vorbeischleifen, wo der derzeitige »überfällige« König sich befindet, so daß der dies memento mori sieht. Wenn er das aber gesehen hat, dann wird er unbedingt in der folgenden Nacht sterben. Ist das geschehen, so fällt dem Pulian die zweite Aufgabe zu; er muß dem soeben verstorbenen Könige den Kopf abschneiden. Der frische Kopf wird dann seinerseits in eine weiße Kuhhaut genäht, so verhüllt in einen großen Topf gelegt und diese Urne sorgfältig auf den Berg hinausgetragen, in dem die Mausoleumshöhle der Königsköpfe sich befindet. Der übrige Körper wird aber in den Fluß geworfen. Niemand kümmert sich weiter um den königlichen Leichnam.

Und doch hat sich aus älterer Zeit wohl eine Erinnerung an eine andere Bestattungsform, an eine Parallelzeremonie erhalten, über deren Zusammenhang mit diesem rituellen Königsmorde ich augenblicklich nichts weiter zu sagen vermag. Nämlich außer der Schädelverwahrung und Körperverschleuderung erfolgt noch eine »Königsbestattung«. Es besteht ein Grab für den verstorbenen oder getöteten König, aber er findet, wie wir sahen, nicht selbst darin Aufnahme. Vielmehr hat der Pulian noch zwei junge Sklaven, einen Knaben und ein Mädchen zu töten durch Kopfabschneiden. Diese beiden finden samt ihren Köpfen Aufnahme in der Königsgrube. Wenn es nun aber ein ganz kleiner König war, der so ins Jenseits wanderte, ein armer Wicht, in dessen Nachlaß es nicht solche Sklavenmädchen und -knaben gibt, so begnügt man sich damit, zwei Hölzer zurechtzuschnitzen, sie schwarz zu färben und statt der fleischlichen Opfer in die Grube zu stoßen. Die Graböffnung wird danach mit einem großen glockenähnlichen Deckel, der mit einem Handgriff versehen ist, geschlossen. Danach schlachtet man für den verstorbenen König viel Rindvieh, für mächtige, wie den von Lære, bis an die hundert Stück, und zwar Buckelrinder, da man die kleine alte Rinderrasse hier nicht mehr kennt – sich übrigens im Mundanglande ihrer auch nicht mehr erinnert. Es ist eine große Festzeit.

Nun ist es im Mundanglande aber genau umgekehrt wie in höher entwickelten Staatszuständen. Im Mundanglande herrscht zur Zeit des Königs ununterbrochen Fehde; bei seinem Tode zieht ein Landfriede ein. Denn diese Könige sind aller Beschreibung nach mehr Räuber als Könige. Sie führen mit aller Welt kleine Raubkriege – mit diesem Flecken, um seine Kühe zu erobern, mit jener Familie, um ein hübsches Mädchen zu stehlen. Sie rauben und plündern im Inland und rauben und plündern im Ausland. Und wie die Könige es vormachen, so ahmen es sachlich und logisch alle starken Familien nach. Es sind Zustände wie im alten Florenz – nur daß der geniale Schöpfergeist fehlt, der den Stärksten und Überlegenen auch den Sinn für Neuschöpfungen verleiht. Jede starke Familie kämpft gegen die andere. Ja, ganz besonders einflußreiche scheuen sich nicht, gegen den eigenen König und sein Besitztum einen Streifzug zu unternehmen. Man gibt seinen Gelüsten eben nach, und wer die Beute hat, lacht über die andern. Es ist ein so echt äthiopischer Zustand, wie er nur im Kipirsigebiet oder bei den Tamberma oder im Lobigebiet herrscht, und eigentlich ist das einzig Merkwürdige bei der Sache, daß diese Sippen überhaupt einen König haben, hie und da sogar einen starken König, der nicht etwa Ordnung schafft, sondern der, ganz ähnlich dem Zustand im Mossilande, gleich allen andern, die in dieser Atmosphäre leben, dem Zwistigkeitsteufel anheimfällt und allen demnach in althergebrachter Weise mit räuberischem Beispiel vorangeht.

 

Beschneidung. – Sobald nun aber, wie gesagt, der König gestorben ist, tritt sogleich allgemeiner Friede ein. Nach allen Seiten werden Boten entsandt, die tragen einen Stengel von Sorghum (= sorre) oder Okro (= luri), was ein Zeichen einer interimistischen Friedensperiode ist und überall meldet, jede Ortschaft solle sich nun für die bevorstehende Beschneidungszeit vorbereiten.

Gleichzeitig wird am Tage des »Verscheidens« des vorigen Königs ein neuer Gong eingesetzt, das ist gemeiniglich sein ältester Sohn. Dann werden vier tüchtige Burschen ausgesandt, die müssen im Busch einen weiten Plan reinigen, auf dem das Zeremonial stattfinden soll. Und dann kommt alles dahinaus, was die Operation über sich ergehen lassen will oder muß. Da das Fest der Beschneidung (= djangure) nur alle sieben Jahre stattfindet, so haben sich natürlich die verschiedensten Jahrgänge aufgespeichert. Aber noch mehr. Einige haben sich aus Furcht vor dem heiligen Tosen der Schwirren frühere Gelegenheiten entgehen lassen und so kommt es, daß neben jungen Burschen Männer auftreten, die schon Kinder haben. Und dann gibt es auch Eltern, die in ihren Kindern die Furcht vor dem Rauschen der Ahnenstimmen gar nicht erst aufkommen lassen wollen oder die ganz richtig meinen, in jüngeren Jahren heile solche Wunde schneller – kurz, auch Kinder, die noch von der mütterlichen Brust leben, werden dahinausgebracht.

Der Bakane, der die Operation ausführt, ist höchst eigentümlich aufgeputzt. Der Mann ist über und über mit Sale, d. i. rote Erdfarbe, bemalt. Sein Kopf ist von einem Stück Leopardenfell bedeckt, unter dem das Gesicht mit grellem Rot bemalt heraussieht. In jeden Mundwinkel hat er ein Beschneidungsmesser geklemmt; eins hat er noch in der Hand. So ausgerüstet steigt er in das Wasser, an dem die Beschneidungszeremonie vor sich geht. Man sagt, er tauche in dem Wasser ganz unter; aber das kann auch ein Irrtum sein. Jedenfalls befindet er sich im Wasser, während man ein Menschenkind nach dem andern, alt und jung, herbeibringt, daß er ihm das Präputium (= koake), abschneide.

Die Operation wird anscheinend von diesem Mann in schneller Reihenfolge vorgenommen. Man führt einen Burschen nach dem andern an den Fluß, aus dem der Beschneider seine Arme herausstreckt, um ein Häutlein nach dem andern vorzuziehen und schnell abzuschneiden. Die Koake werden alle in ein Loch geworfen, das an dieser Stelle am Ufer gegraben ist und das später zugeworfen wird. Die Operierten werden ihren Angehörigen übergeben, damit diese sie verbinden und weiter versorgen. Es ist verpönt, zu jammern oder zu schreien, und trotzdem dröhnen die gefürchteten Laute währenddessen durch die Luft.

Denn inzwischen schwingen die älteren Männer emsig die Schwirren, von denen man mehrere Arten unterscheidet. Da sind zunächst die Schwirreisen, die eigentlichen Mafalli, die mächtig surren sollen. Denen schließen sich gleichmäßig dröhnende Falliku, das sind Schwirrhölzer, an. Die Mundang haben besondere, vorn mit einer Kerbe versehene Exemplare, denen sie ganz besondere Klangfärbung zuschreiben. Diese Falliku surren die Stimmen der Mittellage. Dann gibt es endlich noch die Mafalli-serre, Schwirr-Rohre, die aus Sorghumstengel hergerichtet sind und die den entsprechenden Typen der Mossi, Tamberma und Jukum entsprechen. Hier sind sie aber nicht wie bei jenen Spielzeug; hier summen sie die höheren Klänge des Schwirrkonzertes. – Zur Vollständigkeit sei erwähnt, daß man mir auch noch von Mafalliku, aus Baumrinde, und von Mafalli-teffai, aus Kalebassen hergestellten Schwirren berichtete, die den eingeweihten Zöglingen später zur Übung dienen sollen. Es ist mir nicht gelungen, von diesen Varianten eine Vorstellung zu gewinnen, da sie dem Material an sich nach viel zu leicht sein müssen, um die Hervorbringung von Tönen zu ermöglichen. –

Jedenfalls vollführen während der Operation die eigentlichen ernsten Schwirren im Hintergrunde einen heillosen Lärm, der geeignet sein dürfte, einem jungen Menschen, der genügende Vorahnungen mitbringt, und der sich vor, im Augenblicke, oder hinter einer Operation befindet, das Herz schwer zu machen, so daß er gläubig mächtig düsterer Gewalten harrt, die ihn bedrängen könnten.

Aber es ereignet sich nichts Zauberhaftes oder irgendwie Überirdisches. Es geht vielmehr sehr irdisch und sogar recht kräftig irdisch zu. In dieser wunderbaren Zeit ist nämlich Prügelei für alle Gebenden fakultativ, für alle Nehmenden obligatorisch, und nur der Herr König macht hiervon eine Ausnahme, d. h. er darf nur prügeln, ohne selbst verpflichtet zu sein wie die andern, alle derben Prügel, die ihm etwa verabreicht werden, geduldig mit gebücktem Rücken hinzunehmen. Dieses Spiel beginnt der König selber, und zwar nimmt er das übliche Instrument, eine burre-huasuome, eine Peitsche aus Flußpferdhaut. Wenn der König die vor einem Mann aufhebt, so ist der Bedrohte verpflichtet, sich artig vornüberzubeugen und so seinen Rücken den königlichen Gnadenstreichen freiwillig bequem zu stellen. Die Sitte will, daß er das so tut und alles folgende hinnimmt, ohne zu zucken oder zu schreien. Wenn er jammert oder wegläuft, wird er gründlich verspottet.

Und wie der König es vormacht, so ahmen alle andern nach. Ein jeglicher muß dem guten Herkommen gemäß seinen Rücken hinhalten, wenn ein guter Freund seinen Knüttel an ihm versuchen will. Es bleibt ihm im Grunde nichts weiter übrig, als heute die Zähne zusammenzubeißen und darüber nachzudenken, wem er morgen diese fromme Gabe weitergeben kann. Diese amüsante Beschäftigung währt nicht weniger als zwei Monate, d. h. solange die Wunden der Burschen nicht geheilt sind, welcher Prozeß ungefähr diesen Zeitraum in Anspruch nimmt; und während dieser ganzen Zeit prügelt man sich allmorgendlich etwa vor Sonnenaufgang bis zur Sonnenhöhe. Und die beschnittenen Knaben prügeln einander genau ebenso, lernen das bei dieser Gelegenheit und gewinnen so vor allem die hochgeschätzte Kunst, Schmerzen zu ertragen, ohne etwas davon merken zu lassen – worauf das Ganze ja wohl hinauskommt.

Außer dem König selbst gibt es eine einzige Persönlichkeit, die diesem Verfahren nicht ausgesetzt ist, das ist des Königs Sohn, und zwar derjenige, der aller Wahrscheinlichkeit nach dereinst dem Vater nachfolgen wird. Dieser Jüngling wird nicht der allgemeinen Prügelei ausgesetzt, sondern daheim im Königsgehöft beschnitten.

Fernerhin muß bemerkt werden, daß es überhaupt recht viele Mundang zu geben scheint, die nicht beschnitten sind. Übereinstimmend wird angegeben, daß diese Unterlassung aus Furcht vor dem Dröhnen der Schwirren, nicht aber aus Furcht vor der Operation oder der Prügelei geschehe. Den meisten Europäern ist die Furcht der Leute vor den Schwirrhölzern und Schwirreisen einfach rätselhaft. Diese Angst besteht nicht nur bei den Weibern und Kindern, die nicht wissen, um welch ein Geräusch es sich handle, sondern in gewissem Sinne bei den Schwirrern selbst. Es ist, als ob die Furcht, die sie andern mit ihren harmlosen Luftkreiseln beibringen, in ihnen selbst ein Gefühl des Respektes vor der Macht der Instrumente, die in ihren Händen liegen, erweckt. Ich habe manchen alten Äthiopen Nordkameruns in meinem Studio die Schwirren in seine Hände nehmen und sein Gesicht in ernste Falten gleiten sehen.

Die Beschnittenen mögen nun also in ihrem Buschlager eine große Angst verspüren, wenn das unheimliche Rauschen allabendlich an ihr Ohr dringt. Zehn Tage läßt man sie über den Ursprung der Töne im Unklaren, dann aber werden sie aufgeklärt, und diese Aufklärung führt sie gewissermaßen in die Rechtsame eines Bürgers, eines stimmberechtigten Stammesgliedes hinüber.

Das Leben der Beschnittenen ist natürlich durch keinerlei Nahrungssorge bedrängt. Die Väter haben ihnen da draußen Häuserchen aus Sekko-( = hiki-)Wänden gebaut, in denen sie schlafen, während die Väter oder älteren Brüder, die es auf sich genommen haben, das Leben im Beschneidungslager zu teilen, draußen unter Bäumen oder unter dem freien Himmel ihr Haupt zur Ruhe niederlegen. Die Ernährung der Gesellschaft erfolgt vom Dorfe oder von der Stadt, jedenfalls vom heimatlichen Gehöft aus. Die Mütter und Schwestern bereiten daheim das Essen und bringen es in die Nähe des Beschneidungslagers, dem sie aber um alles in der Welt nicht allzu nahekommen dürfen. Sie setzen die Atzung zu festgesetzter Stunde an verabredeter Stelle im Busche nieder, und dann kommen die Väter oder älteren Brüder und holen es ab.

Nun sind aber auch ganz kleine Kinder unter den Beschnittenen, solche, die noch nichts anderes genießen, als was die Natur ihnen durch die Brust der Mutter bietet. Der Vater, der ein solches Kind mit in das Beschneidungslager zur frühzeitigen Operation bringt, muß sich der Mühe unterziehen, es alltäglich wohl eingewickelt hinab zum Gehöft der Mutter zu bringen, wo es dann seine Nahrung auf folgende gelungene Weise empfängt: Die Mutter darf das kleine Bübchen in dieser Zeit nicht sehen; sie muß sich also in einem Hause mit einer Sekkowand aufhalten, in der einige Maschen beiseite geschoben sind; der Vater kommt mit dem Kind von außen heran; die Mutter reicht durch den Sekkomattenspalt den Busen heraus und nun kann das Würmchen seinen Hunger stillen. Ist das zur Genüge geschehen, so wickelt der Vater den Säugling wieder ein und trägt ihn in das Beschneidungslager zurück, in dem ihm die ganze Wartung des Geschöpfchens, alles Waschen usw. zufällt. Und jeden Morgen trägt er das kleine Wesen wieder zu seiner Mutter hinab.

Nach zwei Monaten schlachtet der Vater dann Hühner, Hähne, Ziegen, einen Bock oder gar ein Stück Rindvieh. Die Beschnittenen werden alle gemeinsam vom Beschneidungslager herüber in den Ort geführt. Sie haben an diesem Tage den großen wichtigen Wechsel in der Tracht vorgenommen. Vordem hatten die Buben als »Kleidung« das Djelle, ein kleines Penisfutteral als Flechtwerk, das anscheinend genau dem von den Moba getragenen gleicht. Und größere Burschen haben sich mit einem Sassae, einem Baumwolläppchen behelfen müssen. Nun aber erhalten sie das Hoke, ein tüchtiges Leder, das mit Kaurimuscheln besetzt ist. Alles Blätterwerk haben sie im Busche gelassen. In dieser »Gewandung« nun ziehen sie also erst vor das Haus des Königs. Der nimmt aus der Schar die Kinder seiner Familie heraus. Es wird da noch etwas getanzt, und dann macht jede Familie die Ansprüche an ihre Sprossen geltend. Jeder Vater greift sich seinen Sohn aus der jubelnden Rotte und führt ihn im Triumph heim zur Mutter. Da wird nun gründlich gefeiert. Daß die Mutter der reichlichen Fleischspende des Vaters eine nahrhafte Breimasse zugrunde gelegt hat, ist ganz sicher. Dann gibt es Bier, von dem die Mundang zwei Arten unterscheiden, nämlich Idere, eine dicke, warm zu trinkende, frisch bereitete Suppe, mehr an eine Brotsuppe als an Bier erinnernd, und Himi, ein stark gegorenes Bier. An diesem Tage trinkt man natürlich Himi. – Mit dieser Empfangsfestlichkeit ist die große Zeit im Leben der Burschen abgeschlossen und für das Volk die Periode des Landfriedens verstrichen. Plünderei und Raub werden wieder legitim – soweit die Macht reicht.

 

Altersklassen, Jugendliebe, Ehe, Totemismus, Schmiede, Geburt. Beschneidung der Mädchen fehlt.

Die Altersklassen, in die die Mundang die männlichen Stammesgenossen zergliedern, sind nun folgende:

1. wia-lan-poën, das sind Säuglinge.

2. wenje faïn, kleine, zumeist noch nicht beschnittene Buben.

3. tibana, große, meist schon beschnittene Buben.

4. dobli, ältere Leute, die erwachsene Kinder haben und durch diese die Farmen bestellen lassen können.

5. maga-dschogge, ganz alte Männer, in dem Sinne gänzlicher Verbrauchtheit nicht nur der körperlichen, sondern auch der geistigen Kräfte.

Diese naturgemäße und bei diesen Äthiopen immer wiederkehrende Gliederung birgt innere Trennungsgesetze in sich. Es gibt wenige ganz scharf ausgesprochene äußerliche Einschränkungen. So dürfen Unbeschnittene unbedingt keine Eier essen; – eigentlich ist das nur ganz alten Leuten genehmigt; – Tibana und Dobli sollen ferner keine Alligatoren und Hühner genießen. Bei der Besprechung dieser Speiseverbote ward mir erzählt, daß eine Familie unter den Mundang sei, die Djallume, die auch Hunde verspeist, was im allgemeinen die Mundang als Ausnahme bezeichnen, unbedingt aber der Jugend sonst vorenthalten.

Die »Freundschaft« zwischen Bursche und Mädchen stellt sich ganz von selbst ein und hat sittengemäß abgerundete Formen. Irgendwo beim Spiele oder Tanze werden sie aufeinander aufmerksam. Hat der Bursche sie beim Tanze mehrfach beobachtet und seine Schlüsse gezogen, so sendet er ihren Eltern entweder kpai, d. h. Eisenschaufeln, oder Ziege oder Schaf, und damit ist Absicht und Wunsch klar. Sind nämlich Vater und Mutter einverstanden, so senden sie Bier zurück. Das gilt als Zusage, und der Bursche sendet seinerseits wieder einige Schaufeln zum Zeichen der Dankbarkeit. Wenn dann abends wieder Tanz gewesen, trennt sich das junge Paar nicht mehr, sondern die Jungfrau begleitet den Jüngling in das väterliche Heim des Burschen, wo dieser ein behagliches Häuschen bereitgestellt hat.

Das Mädchen schläft von dem Tage an bei ihrem Gesellen – Nacht für Nacht. Die Mundang schworen mir, das sei harmlos und bleibe harmlos; es sei ein Spiel, das auch nur Spiel bleibe. Sie müssen dabei wohl aber von dem »harmlosen Spiel« andere Begriffe gehabt haben als ich, denn als ich ihnen später die wichtige Frage nach der Stellung bei der Begattung vorlegte, da sagten sie mir: Verheiratete Leute pflegten den Beischlaf meist in der Seitenlage, manche auch in der Überlage (europäische Form) auszuüben. Einige blieben aber auch der Sitte der Gwebe treu. Ich fragte nun, welches denn die Sitte der Gwebe sei, und erhielt darauf die schöne Antwort: »Gwebe nennen sich der Freund und die Freundin gegenseitig. Wenn die Freundin mit zum Freunde geht, um bei ihm zu schlafen, so suchen die beiden gewöhnlich in der Hockstellung miteinander zu koitieren«. In dieser Form würde denn auch die Ehe vollzogen.

Daraus ersieht man also, daß das Spiel dieser Gwebe in unserm Sinne kaum als harmlos bezeichnet werden kann, wenigstens im allgemeinen nicht, wenn auch aus nachfolgender Schilderung klar zu ersehen ist, daß hie und da auch bei Mundang auf die Keuschheit der Braut Gewicht gelegt wird. Jedenfalls dauert der Zustand der Gwebe etwa drei Jahre, und dann kann man wohl annehmen, daß die beiden sich auch heiraten werden. Viel Wechsel in Liebschaften kommt nicht vor, wenn auch der Ehevollzug durch Mittellosigkeit des Bräutigams weit hinausgezögert werden kann. So kann es gar leicht vorkommen, daß ein anderer ihm die Frau noch in letzter Stunde wegschnappt.

Der Bursche arbeitet im allgemeinen naturgemäß auf der Farm seines Vaters; aber zweimal im Jahre muß er dem Schwiegervater Knechtdienste leisten. Damit macht er sein Verhältnis zu diesem offenkundig. Will er aber endgültig heiraten, so hat er eine umfangreiche Zahlung zu leisten: ca. fünfzehn Ziegen, zwei Kühe und einen Ochsen. Danach bringt der Schwiegervater seine Tochter samt ihrer Ausstattung, die in Kalebassen (nhere), Töpfen (tschiri), einem Mörser (sangne), einer Mörserkeule (kussan) usw. besteht, in das Haus des Burschen, d. h. in das Gehöft des Vaters des jungen Ehemannes, in dem er noch eine geraume Zeit weilt, bis er sich endlich eine eigene Behausung bauen kann.

In der Hochzeitsnacht schenkt der Bursche dann der Braut noch eine Ziege, und auf diese Gabe hin gewährt sie ihm die Eherechte. Der Ehevollzug erfolgt seitens des Mannes in äthiopischer Hockstellung. Sind diese beiden noch nicht lange miteinander befreundet oder hat der Bursche vorher wohl überhaupt nicht mit ihr im Gwebeverhältnis gestanden, so erwartet er unbedingt reichlichen Bluterguß auf der Beischlafmatte als Beleg der bisherigen Keuschheit der Braut zu finden. Wird diese Erwartung erfüllt, so ist er sehr erfreut. Die junge Frau kann dann am andern Tage mit ihrer Ziege zu den Eltern gehen, gibt dadurch den Beleg der Zufriedenheit des Gatten offiziell ab und dem Vater dieses symbolische Tier zur Aufbewahrung. Ganz ebenso wird es verlaufen, wenn zwei sich nach längerem Gwebezustand heiraten und wenn der Bursche vorher selbst im »harmlosen Spiele« die Möglichkeit raubte, die Hochzeitsmatte zu röten. Dann wird er sich hüten, irgendwelchen Streit heraufzubeschwören, und vielmehr die junge Frau sehr gern am andern Tage mit ihrer Ziege dem väterlichen Hof zuwandern sehen.

Anders aber wird die Sache, wenn ein Bursche, der selber die Keuschheit bis dahin wahrte, in der Hochzeitsnacht vergeblich nach dem Keuschheitsbeleg der jungen Frau auf der Matte Umschau hält, wenn er sich also sicher weiß, keinerlei Einbrüche in die Jungfräulichkeit des soeben geehelichten Wesens vorher ausgeübt zu haben. Dann wird er ärgerlich. Er nimmt der jungen Frau die Ziege wieder weg, so daß sie andern Tages nicht dieses Keuschheitssymbol in ihr Elternhaus führen kann. Und oft begnügt er sich nicht damit. Es kommt dann nicht selten vor, daß er eine Eisenschaufel nimmt, in ihre Mitte ein tüchtiges Loch schlägt und das so zum Symbol gestempelte und entwertete Gerät dem Schwiegervater als schweigende, aber doch beredte Mitteilung und Tatsachenschilderung zusendet. Wenn die junge Frau dann statt mit der Ziege mit der durchlochten Schaufel im Hause der Eltern ankommt, so entsteht darin ob der Schande, die sie hineinträgt, große Wut. Darum wird die junge Sünderin daheim gründlich verhauen und dann voller Zorn wieder herausgeworfen, so daß ihr nichts anderes übrigbleibt, als zu ihrem Gatten zurückzukehren, bei dem sie aber nun einen schlimmen Einzug und eine wenig beneidenswerte Einführung als Gattin findet. Immerhin nimmt man die Sache nur so lange wichtig, als die Wellen der augenblicklichen Erregung sich nicht geglättet haben. Wenn die junge Frau bald guter Hoffnung wird, dann ist alles ganz in der Ordnung. Es kommt noch dazu, daß die Mundang wie alle Äthiopen bei aller sexuellen Genußfreudigkeit und Hingabebereitschaft doch in ihren Worten und Gedanken unendlich keusch sind, eine Sache, auf die ich nachher noch zu sprechen kommen werde, die aber ganz entschieden diese Schwierigkeiten des Ehebeginnes leichter überwinden hilft. Denn worüber der Mensch in Gedanken und Worten schweigen kann, darüber hilft ihm ein stärkeres Gefühlsleben stets ohne Schwierigkeit und schnell hinweg. – Vor der Ehe gehen die Mundangweiber nackt; die verheiratete Frau ist durch einen zwischen den Beinen durchgezogenen Baumwollstreifen ausgezeichnet, der sin oder sen heißt.

In sozialer Hinsicht ist bezüglich der Eheverbindungen noch nachzutragen, daß die Verehelichung innerhalb der Familiengruppe durch überaus streng eingehaltene Exogamie bedingt wird. Ich hörte von folgenden Familien oder vielmehr Sippen, deren Namen und Speiseverbote ich hier wiedergebe, bei deren Aufführung ich aber ausdrücklich betone, daß Mißverständnisse meinerseits in bezug auf das Speiseverbot durchaus nicht ausgeschlossen sind und daß sie nur einen Bruchteil aus der großen Zahl der Sippenbildungen repräsentiert:

Die Sippe Gonkoda ißt nicht pii, den Leoparden,
" Gondschelo " mbolle, den Löwen,
" Gontaba " oi, gelber Fisch mit dickem Kopf,
" Dabesokko " mungiri die Hyäne,
" Bamdere " bussame, das Schaf,
" Tosoko " ssuo, die Schlange,
" Bandju " tumburi, den Raben,
" Towaja " tigirgan, Fisch mit Hundezähnen,
" Bangue " guo, den Hund,
" Basse " se, den Büffel.

Das betreffende Tier ist für die Familie Ssiri, d. h. eine heilige, gewissermaßen unantastbare Sache. Wenn z. B. ein Mitglied der Familie Tosoko eine ssuo, eine Schlange in seinem Hause trifft, so darf er sie um alles nicht etwa totschlagen oder auch herausjagen. Vielmehr muß der Mann schnell eine Mischung aus Benniseed und Salz herstellen und diese in einer Kalebasse der Schlange hinreichen. Die Schlange wird sich dann ein wenig aufrichten, davon genießen und sich wahrscheinlich entfernen. Übrigens halten unter den Mundang einige Familien, denen sie besonders heilig sind, Schlangen daheim, genau wie gewisse Westäthiopen Nordtogos und der Mossiländer in ihren Kornspeichern Schlangen halten, die dann eindringende Ratten und Mäuse verzehren. – Oder aber: wenn ein Mitglied der Gonkodafamilie (der Königsfamilie) die Spuren eines Leoparden in seiner Farm sieht, so weiß es, daß sein Lebensende nahe herbeigekommen ist. – Oder aber: die Mitglieder der Bassefamilie sagen, es würden einem jeden von ihnen die Hände abfallen, sobald er Büffelfleisch genießen würde. – Oder aber: das Volk glaubt, wenn ein Mann der Bandjufamilie einen Raben ißt, daß er dann sogleich krank, nämlich über und über gelb werden würde. – So trennen allerhand Anschauungen jede Familie von dem Tier, das ihnen heilig ist. Sozial wichtig ist aber die streng eingehaltene Exogamie, und daß niemals zwei Menschen mit gleichem Speiseverbot einander heiraten dürfen, wenn sonst auch bis in weite Ferne rückwärts keine Familienverwandtschaft nachweisbar ist. –

Da in diesen Ländern die soziale Stellung der Schmiede und deren Heiratsanschluß sehr schwankt, so mag auch diesen hier ein Wort gewidmet werden. Die Familie der Schmiede heißt Tro. Angeblich haben ihre Mitglieder weder ein heiliges Tier noch ein Enthaltungsgebot. Man sagt, sie äßen alles, bis auf »Gift«. Die Schmiede sind aber im Mundanglande außerordentlich geachtet. Jeder wird einem Schmiede gern seine Tochter geben und jeder wird eines Schmieds Tochter gern heiraten. Denn die Schmiede stehen immer zusammen mit den Leuten, die die heiligen Zeremonien leiten, die das heilige Gerät in Verwaltung haben; das ist also vor allem die Königsfamilie, dann aber auch jede andere, die Besitz, Macht und weites Ansehen genießt.

Natürlich ist auch den Mundang der wesentlichste Zweck der Ehe Kindersegen. Man erwartet, daß die junge Frau sich nach zwei Monaten schwanger fühle. Die Geburt soll ordnungsgemäß etwa neun bis zehn Monate nach dem Eheschluß erfolgen, und zwar der Regel nach im Hause vor sich gehen. Sowohl die Mutter der Frau als die des Mannes finden sich beim Eintritt der Wehen zur Hilfeleistung ein. Die Gebärende nimmt auf dem nächsten Hausboden sitzend Platz. Sie lehnt sich rückwärts gegen die eine hinter ihr hockende Helferin, die ihr mit den Armen den Leib umspannt. Sie spreizt die Beine, die Knie leicht hochziehend, so daß dazwischen die andere Pflegerin kniend Platz findet, bereit, die Frucht in Empfang zu nehmen. Der Nabel (Sa-fun) wird mit dem scharfen Splitter eines Sorghumstengels abgeschnitten. Saghirre, die Nachgeburt, wird im Boden der Hütte vergraben.

Klar und sicher erklären alle Berichterstatter auch bei den Mundang, daß die Nabelschnur bei Knaben drei Tage, bei Mädchen vier Tage nach der Geburt abfalle. Sie wird alsdann in einen kleinen Lehmkloß gehüllt und in dieser Form im Hause aufgehängt. Später, wenn das Kind laufen kann, wird das Lehmklümpchen ins Wasser geworfen. –

 

Krankheit, Zauberei, Begräbnis, Ahnendienst, Seelenwanderung. – Vom Lebensanfang begeben wir uns nun zum Lebensende. Wenn ein Mensch erkrankt, wird er zunächst auf Brust, Stirn und Schläfen mit einer Buschzwiebel, die auch zu medizinischen Zwecken angepflanzt ist, betupft. Diese Zwiebel heißt bei Mundang Kolli, bei Fulbe Gadell, bei Haussa Gadelli, bei Kanuri Gadell. Wir werden von ihr und ihren medizinischen Kräften mehr hören, wenn wir gelegentlich der Beschreibung der Tauwa der Tschamba auf sie zurückkommen. Die Mundang nehmen an, daß, wenn der Kranke diese Tupfen wegkratze, er sterben werde, wenn er es aber nicht tue, am Leben erhalten werden könne. Eigentümlicherweise behaupteten meine Mundangberichterstatter, daß sie andere Medikamente nicht kannten. Ich kann es mir nicht anders denken, als daß hier ein Mißverständnis vorliegt, denn solches habe ich noch von keinen Völkern Afrikas gehört. Sehr wohl vertraut sind sie aber mit der Massage, die hier Jassu heißt und folgendermaßen ausgeführt wird. Man kocht Wasser und wirft Blätter hinein. Die heißen, dampfenden Blätter werden herausgenommen und mit ihnen der Kranke von den Beinen nach oben, von den Händen dem Körper zu geknetet.

Außerdem und vor allen Dingen aber wendet man sich an einen Paphasa, d. i. ein Orakelmann, von dessen Manipulationen man auf jeden Fall die Aufklärung darüber erwartet, ob der Kranke seinen schlimmen Zustand etwa einem Masa-a, einem Zauberer, verdanke oder nicht.

Wenn ein Mensch stirbt, sei es auch aus welchem Grunde, so richtet sich das Mundangvolk nach dem äthiopischen Grundsatze, daß der Verlust eines jungen Mannes ein Verlust für die gesamte Arbeitskraft, der Tod eines Greises aber eine Ersparnis an Ausgaben und ein guter Wechsel auf Vermehrung des Familienzuwachses bedeute. Wenn ein junger Mann stirbt, so weint man, weil seine Zeit noch nicht gekommen sei. Wenn ein alter Mann stirbt, so tanzt und jubiliert man. – Die Leiche wird in hockender Stellung zusammengepreßt, so daß die Hände zwischen den Beinen nach unten hängen und der Kopf auf den Knien liegt. So wird die Leiche mit Stricken verschnürt und dann in einem Tcholle, das ist ein Korb aus Sekkorolle, der gleich dem Bienenkorb der Boko in Nordkamerun und der Mande am obern Niger ist, eingepackt. Aber vorher erhält die Leiche noch ein Kleid. Für eine männliche Leiche wird ein Schaf getötet, ihm die Haut abgezogen und der Leiche zwischen den Beinen durch um den Unterleib gelegt und fest angezogen. Die Blößen der Frauenleichen werden aber mit Streifen aus Baumwollstoff bedeckt. Fernerhin werden die Leichen über und über mit roter Erdfarbe bedeckt. Für jede Leiche wird ein eigenes Loch gegraben, das etwa schultertief ist. Dem patriarchalischen Grundsatze getreu, werden Männer im Gehöft, Weiber aber außerhalb desselben eingescharrt. Ist die Leiche in die Grube gelegt, so schüttet man sie einfach zu. Solche Bestattung findet für jedes Glied des gemeinen Volkes statt. Nur für den König allein wird jene Bestattungsform geübt, die ich im Anfange dieses Kapitels schilderte und die darin gipfelt, daß man der Leiche den Kopf abschneidet. Dabei ist es ganz gleich, ob es sich um die Leiche des mächtigen Königs von Lære oder den Häuptling eines ganz kleinen Dorfes handelt. Jeder König wird eben nach siebenjähriger Herrschaft sterben müssen und seine Leiche dann enthauptet.

Wenn ein alter Mann stirbt – und nur dann, nicht aber wenn ein altes Weib oder ein junges oder ein junger Mann oder gar ein Kind das Zeitliche segnet –, werden die Schwirren geschwungen. Ist das eigentliche Begräbnis bei Nacht, so ziehen die Schwingenden durch das Dorf; ist es bei Tage, so dröhnen und rauschen diese Stimmen vom Busch. Dann müssen Weiber und Kinder und alle Unbeschnittenen sich eilig in die Gehöfte zurückziehen und hinter Matten verstecken, denn sonst könnte es ihnen nach dem Volksglauben ganz schlimm ergehen.

Neben das Grab setzt die Familie des Toten viel Speise und Trank. Kein eigenes Mitglied darf davon genießen; andere Leute können solche Speise aber forttragen und verzehren. Dann wird um die Grabstätte ein Kreis von Steinen gelegt und die Innenfläche mit Sand ausgefüllt. Über dieser Stelle schlachtet der Sohn des Verstorbenen alljährlich zur Erntezeit einen Hahn.

Auch dem Glauben an die Totenstädte oder den irdischen Weiterwandel der Verstorbenen begegnen wir wieder bei den Mundang. Sie sagen, die Toten, die Holi, wandern in die nächste Stadt und bleiben da. Aber jeder Verstorbene weilt da nur seine Zeit und bis es ihm gefällt, in jugendlicher Form wieder in den Schoß seiner Familie zurückzukehren. Auch hier ist es unbedingt anerkannte Überzeugung, daß jeder Verstorbene in einem Gliede der Familie wiedergeboren werde.

Wenn also ein Mädchen heiratet, so geht es mit seiner Mutter zusammen und wohlausgerüstet mit vielem Essen zum Grabe eines Vaters oder Großvaters. Dort betet es: »Sieh, mein Großvater, ich habe noch kein Kind geboren. Gib, daß ich jetzt ein Kind bekomme. Sprich mit deinen Vätern und Brüdern, daß sie mir helfen mögen. Ich will für meine Kinder gut sorgen. Ich will sie gut waschen!« Danach ruft das Mädchen viele kleine Kinder (ich glaube Knaben!), so viele als zu haben sind, in den Hof und gibt einem jeden von der Speise ab, die es mitgebracht hat, und zwar dies, damit (nach der Angabe eines Berichterstatters) »die Holi (das sind die Verstorbenen) sich wünschen, von dem Mädchen auch so gutes Essen zu erhalten.« – Nach dieser Zeremonie wird das Mädchen bei gleichzeitiger Begattung durch den Ehemann schwanger und das Kind ist dann klar ersichtlich ein wiedergeborener Holi.

 

Erntefeste, Regenopfer, Disallesteine. – Wer es irgend leisten kann begeht zur Erntezeit auch ein Opferfest, das Siki genannt wird und genau dem gleichen Fest der Mossi entspricht. Die Opfertiere, die der Familienvater hierzu benötigt, bestehen in einem Hahne, der rot sein soll, einem Schafbock, der, wenn irgend möglich schwarzer Farbe sei, im äußersten Notfalle aber durch einen weißen ersetzt werden kann, endlich aber in einem schwarzen oder roten, niemals aber weißen Ziegenbock. Es wird nach Möglichkeit genau auf diese Farbenverteilung geachtet, und andere als männliche Tiere sollen überhaupt nicht genommen werden.

Das Opfer selbst findet dann im Hofe statt und zwar vor einem Sorghumspeicher, um dessen Vorplatz sich alle Familienglieder, natürlich vor allem die Männer versammeln und niederhocken. Außer den Familiengliedern sind aber möglichst viele Kinder zusammengerufen. Die Frauen bereiten Brei. Der Familienvater schlachtet die Tiere. Es wird abgekocht. Dann erfolgt das Gebet. Der Familienvater nimmt ein wenig Brei und ein Stückchen Fleisch – womöglich Leber –, er legt es auf die Erde vor dem Speicher und sagt: »Das ist für dich, mein Vater!« Danach nimmt er wiederum ein wenig Brei und Fleisch, legt es auf die Erde und sagt: »Das ist für dich, mein Großvater!« Er vollführt die gleiche Opferspende zum dritten Male und sagt: »Das ist für meine andern Holi.« Darauf kostet er selbst zweimal von der Speise. Hierauf reicht er zweimal seiner Frau, die als zweite von den Gaben der neuen Ernte speisen muß, und den ganzen Rest bekommen die rund herum versammelten Kinder.

Ehe dieses Opferfest Siki nicht begangen ist, darf niemand von den neuen Feldfrüchten genießen. Damit beginnt aber die Zeit des neuen Reichtums an Nahrungsmitteln. Sonst sind keinerlei heilige Handlungen mit dem Fest verbunden, auch erklingen am Abend nicht die Schwirren. – Nur im Herbste wird derart den Ahnen geopfert, nicht aber in der Frühlingszeit.

Ein Opfer wird dagegen in der Saatzeit veranstaltet, wenn der Regen ausbleibt und die Nahrungssorge am Horizont dämmert. Dann holt die Gemeinde vom König die Genehmigung ein, einen Guale, d. i. einen Regenmeister herbeizurufen. Wird sie erteilt, so muß ein schlohweißer Schafbock besorgt werden. Das Tier muß schlohweiß und fleckenlos und männlich sein, und wenn kein geeigneter Schafbock aufzutreiben ist, so wird statt seiner ein ebenfalls makellos weißer Bulle ausgewählt. Mit diesem Opfertier zieht dann der Guale in den Busch. Eine große Menge von Buben folgt ihm. Es darf aber unbedingt kein Knabe darunter sein, der schon etwas mit einem Weibe zu schaffen gehabt hat. Außer diesen folgen die Greise des Dorfes, soweit sie das Alter der geschlechtlichen Betätigungsfähigkeit überschritten haben. In dieser Zusammensetzung geschlechtlich noch nicht oder nicht mehr tätiger männlicher Wesen zum Prozessionsmarsch liegt wiederum eine wichtige Übereinstimmung mit den Sitten der Dakka.

Diese Gesellschaft wird vom Guale zu einem heiligen Platze geführt, der immer im Westen der Ortschaft liegt und den Namen Bame führt. An diesem Platze liegen stets zwei weiße Steine, anscheinend Quarzstücke. Sie heißen Disalle und gelten als Mann und Weib. Über diesen Disalle opfert der Guale das Opfertier, so daß das Blut auf sie niedertropft. Dazu spricht er: »Hier bringe ich für die Ortschaft einen weißen Schafbock. Er ist weiß. Die Leute haben ihr Korn in die Erde gelegt; aber es will nicht regnen. Das Korn vertrocknet. Es ist kein Essen mehr vorhanden. Alle fürchten, daß nichts wachsen wird. Gebt, daß es regnet, damit die Leute nicht sterben. Gebt, daß es ein gutes Jahr werde und Gesundheit bleibe.« Nach diesem Gebet wird abgekocht. Es gibt ein ausgezeichnetes Essen, das den Knaben und Greisen vorgesetzt wird. Nur die noch keuschen Knaben und die nicht mehr geschlechtlich wirksamen Greise dürfen davon genießen. Wenn alles verzehrt ist, verläßt die Prozession den Bameplatz und begibt sich wieder heim. Die Zeremonie ist damit abgeschlossen. Irgendein Schwirren erfolgt auch an diesem Tage nicht. Man behauptet, daß es danach unbedingt regnen müsse. – Etwas Näheres über die Disallesteine vermochte ich nicht zu erfahren. –


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