Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Phantasie, Märchen, Sage, Geschichte.

Geheimnisvolle Mächte.

E

 

rstaunlich scharf unterscheidet des Alpenbewohners Auge, ohne einen Brillen zur Bewaffnung nötig zu haben, selbst kleinere Einzeldinge in beträchtlicher Ferne.

Eine Brille dagegen, und zwar diejenige der sehr trügerisch färbenden Voreingenommen­heit, setzt der noch wenig geschulte Natursohn sich gerne auf, um mit seinem Geistesauge die isolierten Erscheinungen zusammen­zuschauen. Die kultur- und menschenfeindliche Alpennatur bildet gerade in sehr praktisch veranlagten und intelligenten Bergbewohnern den Zug zum Mystischen und Mythischen 1 aus, und es bedarf dann einer außerordentlich seelenkundigen und feinfühligen Aufklärung, um nicht mit der Zerstreuung der «Nebel» auch die reizvollen Farbenspiele und den gemütbildenden Wert der so erzeugten Phantasiegewebe zu zerstören. Mit ihnen geht auch die Erzählungskunst und die natürliche «Luft zum Fabulieren» 2 verloren, welche in alter Zeit so manches Zelli, so viele Zelle̥ni zu verzellen gewußt hat. In diesen verschwand der tiefgreifende Unterschied 3 zwischen der Sage, welche Anspruch auf Wahrheit erhebt und dem Märchen, welches bloß um den Titel eines poetischen Unterhaltungs­produktes sich bewirbt, vor dem gemeinsamen 550 Gegensatze zur «Geschichte». Eppḁs Gschichtli chß aber ist etwas Gelehrtenmäßiges, Studiertes. Solches weiß allerdings zunächst der historisch Bewanderte, dann aber überhaupt der Gelehrte oder der «Geschickte»: der G’schicht vorzubringen. «Gschicht» ist dabei ein jeder, der sowohl ein ehemaliges «Geschehnis» deutlich durchschaut, als auch in alle ihm selber begegnenden «Geschicke» und deren Verkettung: das «Schicksal» sich tĭ̦fig (geistig und leiblich gewandt) zu «schicken» versteht. F rịị n ḁ lsó e n G’schicht, 4 e n schëënni G’schicht! ist besonders eppḁs Verdrï̦ssigs (Verdrießliches), das man von jeher g’schĭ̦chchen heed (gescheut hat) und gẹng no ch schịịchd. Unschön ist dabei nur die Tị̈ị̈felsïchtigi, womit die Fabulierlust es darauf anlegt, harmlosen Zuhörern und sogar (in eigentlich verbrecherischer Fahrlässigkeit) Kindern durch Lügen Furcht einzujagen: sie z’blị̈ị̈ggen, sie z’fï̦rchte n z’tuen. Solcher Appell an die Forcht ist obendrein um so entbehrlicher, da der Furchtsame, der tumm Fï̦rchti, sich der Schreckbilder ohnehin genug schon aus seinen eigenen Erlebnissen zurecht macht. Man denke nur an die tëëtlihe n Treïm (Tod bedeutenden Träume von Wasser und Wäsche, schwarzen Kirchen, ausgefallenen Zähnen) u. dgl. Derartige Träume konnten vormals furchtbare häusliche Szenen veranlassen. Welch, ein Schrecken noch in etlihem Hụụs, wenn bei trockenem Wetter d’s Toote ntroif geid: vereinzelte schwere Tropfen von unauffindbarem Ort fallen! Ein Zeihe n vor dem Tod, jetzt wenigstens noch Ankündigungen von Erger und Teïbi (Zorn) sind die Reefläcken: 5 gelbe Blutaussetzungen an den Fingern, welche einen oder zwei Tage lang sichtbar bleiben. Sind sie jedoch auf trockener Haut sich tli ch, so bedeuten sie nun wenigstens hinder Mï̦libach eppḁs Guets. Eine wahre Erholung bringt in solche Furchtgebilde hinein der foppende Rat an einen Orakelsüchtigen: Du̦ brụụchst nu̦mmḁn de n lingge n Schueh uber de n Rä̆ge nbŏgen ụụs z’rïehrren, dann erfüllt sich dir jeder Wunsch.

Ein noch längeres Warten als auf den nächsten Regenbogen fordert übrigens — für orakelbedürftige Mädchen — gleich dem Andreastag ( S. 604) 6 auch die heiligi Nacht. Doch ist diese auch des Wartens wert. Wer nämlich alsdann von sĭ̦ben Brunnen trinkt, erblickt im Wasser des siebenten den Zukünftigen. Übrigens offenbart sich dieser letztere auch im Wiehnachtsbrand. Er langt mit Gabel und Messer in das Fleisch, welches auf einem Teller in die Höhe gehalten wird unter Hersagung des Spruches: 551

Jetz staan i uf em Weihnachtsbrand,
Ha Fleisch u Täller i miiner Hand.
Miis Lieb, willt mit mir ässen,
Su chum u bring mer d’s Mässer!

Ein solches Messer habe — erzählt man sich — einst sogar aus Holland, von einem für die dortigen Kolonien angeworbenen Grindelwaldner, nach dessen alter Heimat hinübergelangt, in Holland selbst aber ein Duell veranlaßt, weil der Eigentümer des Messers einen andern des Diebstahls bezichtigte.

Weiteres ist sodann den Manipulationen des «den Bänze n chlopfen» und des «Schịịter ziehn» zu entnehmen. Je nachdem auf das Anklopfen an der Schafstalltür ein jüngeres oder älteres Tier antwortet, wird es um die Lebensjahre des Freiers stehen. Wem schließlich an der Schịịtertischen ( S. 186) der Zufall ein kurzes oder auch es blu̦tts Schịịt (ohne Rinde und Äste) in die Hand spielt, die muß mit einem Armen vorlieb nehmen. Ein rauhes, rindiges und harziges Scheit dagegen deutet auf einen reichen Mann.

Wer aber solchen Orakeln nicht traut oder von ihnen nicht befriedigt ist, wendet sich wohl lieber an einen recht ertrĭ̦bnen (erfahrnen und routinierten) Ggï̦̆ggler, Ggï̦̆gge̥ller, wă in däm Glas d’s Wäse n gsehd, wăn n er dḁrmi̦i̦d ze’m Pfeisterflĭ̦ge̥lli ụụs i n d’Wịịti achted. So unerchläärli chß das Wäsen ist: är hed ’mu̦s ei nmḁl gẹng no ch b’sŏgen (es getroffen); es grated ’mu̦ (er hat Glück); und wenn ihm auch einmal Fünfe gerade sein muß: mu̦ laad ’mu̦’s graaten (läßt es ihm als «gut» hingehen). Und zwar ist auch hier das weiteste das beste. Nach dem Lyßtokter 7 kommen die Strahme̥ni in Äschi, dann Charte nllĕge̥rri wie die nun längst ohne Nachkommen verstorbenen Almer-Elsi, Tschụ̆si-Lĭ̦si, d’s Hetzi oder d’s G’schletterwịịbli. Dás (letztgenannte) hed mid dem Spi̦i̦llĕgen nịịd chennen; d’s Lị̆si (des Hetzi’s Schwester) hinggä̆gen no ch wohl: das hed de nn d’s Wä̆se n b’hä̆ben!

Für allerwichtigste Angelegenheiten freilich ging man sonst ins Wallis oder noch häufiger in die Urkantone zum Kapuziner: da ist mu̦ denn obenụụs ze’m Tokter. Die schlimmen (klugen) Patres bewiesen jedoch zuweilen auch schonend abfertigende Weisheit statt eigennütziger Schlauheit. So der Sittener Pater, welcher 1778 um Beschwörung der so bedrohlich vorgerückten Grindelwald­gletscher angerufen wurde. 8 Sein ausweichendes Anerbieten, einen Jüngern mit seiner Kraft 552 auszustatten, entkräftete der Abgesandte mit der Einrede, selbst eine so niedrige Kunst wie das mälhen müsse ja erst mühsam erlernt werden, wie dann erst die so hohe des Beschwörens! Schließlich entzog sich der Pater der heiklen Mission mittelst der Erklärung: damit er die richtigen Maßnahmen nicht verfehle, müsse die Gemeinds­versammlung zuerst darüber abstimmen, ob Gott oder der Teufel die Gletscher habe vorrücken lassen.

Ein Beschwörungs­versuch hätte übrigens ebensogut dem ersten besten Grindelwaldner gelingen können, wenn er über das richtige B’sä̆gnerbuech verfügt hätte. Ein solches, das bloß «die sieben Wort, Wundsegen, für hauen, stechen, gfroren machen u. dgl. Düfelskünst» enthielt und dem Besitzer vierundzwanzig Stunden Gefangenschaft eintrug, 9 wäre freilich hiefür unzulänglich gewesen. Auch bedürfte es zur Beschwörung eines untadeligen Mannes. «Wer Geister b’schwöre n will, mues ganzi Hŏse n han», sagt der Walliser. 10 Dies gilt besonders für Gletscherbezwinger, die vor allem mit den armen Seelen des Gletschereises 11 zu rechnen hatten. «Arme Seelen» heißen die beiden riesigen Schneeaugen an der Südseite der großen Schreckhornfirste. Besonders aber wimmelt es von solchen Büßerinnen für das verpönte Tanzen 12 in den Gletscherspalten. Sie verursachen das ( S. 57 erklärte) unheimliche nächtliche Knacken und Krachen. Mit ihnen zusammengebracht zu werden, galt als schwere Beleidigung. Ein «geistlicher» Mann, welcher rumorenden Nachtbuben zurief, ihre Väter seien «als Verdambte in den höllen (Höhlen), welche im gletscher seyen, verbannet worden», reizte damit jene derart, da sie zu Zaunpfählen griffen und eine weitläufige Chorgerichts­verhandlung provozierten. 13 Die Vergünstigung, daß diese armen Seelen bald zu abenteuerlichen Tanznächten, 14 bald zu behaglichem Sichwärmen in einer Alphütte 15 oder gar in einem fromm eingeräumten Stübchen 16 besonders in den Anfangsnächten neuer Quartale ihrem kalten Verließ entschlüpfen dürfen, hat sich noch im Grindelwaldner Milch­brochche n­mahl der heiligen Nacht erhalten. (Näheres unter « Kirche».) Besonders aber gibt es für diese armen Seelen unter je hundert Jahren ein Erlösungs- und Jubeljahr, 17 auf welches sie schon mittelst ihrer wịịße n Gstalt von vornherein gerüstet sind. So sollte letztmals 1874 «geweissaget sein, daß im Jahre 1888 (mit den drei 8) 18 aber Ein Jahrhundert vorüber und abermal Ein Jubeljahr sei für die verbannten Geister, daß sei seich wider herfor laßen kennen aus Iren Helinen, daß sei gehert und zum theil gesächen werden». 19

Der obere Gletscher als Lindwurm.

Gemalt von Gottfried Straßer, Sohn.

553 Solcher Gesichte teilhaft werden zumal Sunntăgs­chind, Fraufáste n­chind, die in der heiligen Nacht Geborenen; ganz besonders die uf der topplete n Fraufásten (an den nach altem und neuem Kalender auf den nämlichen Tag entfallenden Frohnfasten) zur Welt Gekommenen. Sie sehen aber auch sonst noch eppḁs anders, will sagen: unheimliche Dinge. Neben U nghị̈ị̈ren wie z. B. g’fị̈ị̈rigen oder brinnende n Mandlinen erblicken sie z. B. wịịß Manna. Ein Grindelwaldner freilich, der angab, «ein weißer Mann sei tags zu ihm kommen, anzeigende, N. N. besitze unrecht Gut», erhielt dafür vom Chorgericht vierundzwanzig Stunden Gefangenschaft diktiert. 20

Die in ein wịịßes Gemschi verwandelte übermütige Jungfrau 21 führt über auf die Tiermythen — für Grindelwald zunächst auf den unheimlichen Stolle nwure̥m 22 mid ’nem Chammen uf dem Grind und zwee n Chnu̦blen. Dem auf S. 201 über «Wurm» Angebrachten ist hier das weitere Synonym «Drache» (neben «Lind» 23 und «Lindwurm») für «Schlange» beizufügen. Der verheerenden «Wasserschlange» des Emmentals 24 entspricht der in den mächtig vorstoßenden Eisstrom hineingeschaute Gletschertrachch. 25 Kann dieser in ferner Zukunft seine Verrwüstungen wiederholen, so ist dagegen für immer besiegt das Ungetüm, welches einst in Grindelwald Herden und Hirten verschlang. Ein Ungenannter aus den sechsunddreißig Helden, 26 welche nach Art des heiligen Georg und des seligen Beat 27 Drachen besiegten, bannte mit kräftigem Spruch das Untier. Dann zwang er es, ihm nach den Felsen des kleinen Schreckhorns zu folgen. Dort liegt ein tiefes Loch. Nach demselben gebieterisch weisend, befahl er dem Gezücht: Schlịịf da inhi! Das Scheusal gehorchte, und der Mann verschloß das Loch von außen mit einem eisernen Pflock. Der Ort aber, wo das Tal von seiner größten Plage befreit worden, heißt bis zur Stunde das Wure̥mbärgli oder der Wurmer. 28

Der zündende Blitz vom Himmel ward veranschaulicht durch die «Bocksprünge» der beiden Ziegenböcke, welche einst den Himmelswagen des Donnergottes zogen. Der Bock aber, welcher einst einen Teil der frevelhaften Rottalherren verschlang, ist in Grindelwald ersetzt durch die verblaßte Gestalt der Heideṇgeis. 29 Der Stier dagegen, 30 der Hüter 554 der Alptiere im Sommer, schützt im Winter auch die verlassene Alphütte. Ein kecker Jüngling hatte gewettet, demselben zum Trug im tiefsten Schnee den Wellhansli (Milchkesselstab, S. 497) aus seiner Hütte zu holen. Alle seine Einsteigversuche wehrte der Stier wütend ab. Endlich konnte er den Stab durch eine Wandritze herauspraktizieren. Allein kaum bei seinen Kameraden angelangt, sank er tot nieder. «Blindwütend» kann auch das Roos dem Trieb seiner ungebändigten Urahnen gehorchen. Unter ohrenbetäubendem Geklingel und Gerassel vollführt die Stăhelmä̆hra («Stahlstute») zu gewissen Zeiten ihre nächtlichen Rundfahrten mit Schlitten oder Wagen an Sennhütten und — so hei n sie’s verbb’richted — auch an Häusern z. B. der Spilstatt vorüber. Wer sich da zwischen den eigenen oder schleunig erreichten fremden Wänden geborgen wußte, hed si ch ja nid eppḁ erfrächched und ist gan achten. Wie die Stahelmäära, 31 spukte auch die Rochchel­moora. 32 Bald bei den Sennhütten an Grindel, bald bei der Chilchbrï̦gg an der Lütschine können weidende Schweine ohne merkbaren Grund plötzlich z’wä̆gschießen; andere springen vom Lager auf, schneuzen sich wild, schnauben und jagen verwirrt in die Ferne. D’Rochchelmoora ist da. 33 Das gespenstische Mutterschwein fegt halb durch die Lüfte, halb über den Boden hin, ein fürchterliches Getöse und Grunzen erhebend. Es mueled nid rächt wie Vë̆gel u nd nid rächt wie Moori, und doch von allem e n chlịịn. Hie tschä̆de̥rred’s u nd dert rochchled’s. Wenn dann aber ein beherzt Nachforschender etwa im Erlengebüsch der Lütschine einen nächtlich zankenden Meisenschwarm und deren Feinde oder auch Lagergenossen aufscheucht, so sucht er wohl nach einem ähnlichen Grund des Spuks auch am hellen Tage.

Wenn Hunda hị̈ị̈len anstatt z’bịịllen (zu bellen), ist Unglück vor der Türe. Drastischer (weil an den Fenriswolf erinnernd) gestaltet sich das Bild des riesigen Togg, welcher dann und wann aus dem Hexensee sich zu retten sucht, indem er unter gewaltiger Anstrengung und heftigem Schnauben sich an einen Eisblock anklammert. 34

Nicht bloß in des Teufel als «Verleumders» 35 Dienste, wie der Ei chhŏren, sondern geradezu an seinen Platz ist der Ggu̦gger getreten. Das soll der Gugger nään! Das hed der Ggugger g’sehn! Zum Glück für ihn bleibt doch auch noch seine weissagende Kraft in Erinnerung. Gu̦ggụụ, ho hoo! wie lang läben i ch noo ch! fragen 555 Kinder; und jeder darauf erfolgte Ruf bedeutet ein weiteres Lebensjahr. 36 Bekannt ist die Prophezeiung vom Geld, dessen Vorrat beim ersten Kuckucksschrei das ganze Jahr einem bleibt. Die Toote nvëgel übergehen wir hier; 37 ebenso das stoßen der Schä̆ren am Schäre̥m, die Glücksweissagung der Goldspinnen (Kreuzspinnen) und der Schwalben, die mystische Kraft der Flä̆der­mụụs­härzen und des Steins aus dem Nest der Schiltheeren ( S. 197). Versagt es uns ja doch der knappe Raum, all diese Grindel­waldner­fragmente einer einstigen großzügigen deutschen Mythologie durch Einbettung in ihren Zusammenhang interessant zu machen!

Das nämliche ist zu sagen von den kümmerlichen Überresten der einst überaus großartig gedachten Himmelsmythologie der Euphratländer. 38 Was diesen Splittern immer nuch Interesse verleiht, ist bei einigen der mystische Nimbus, bei andern der Stich ins Komische. Nur der Durchblick in jenen großen Hintergrund läßt uns immer noch mit einem gewissen Respekt dem ergrauten Hausmütterchen zusehen, wie es vor einem wichtigen Vorhaben sich erst de n Spiegel aufsetzt, dann die eileit Brattu̦g (den «dünnen», bloß das Kalendarium mit Himmelszeichen und die Märkte aufzeigenden Kalender) fï̦̆rha nimmt und der Brattu̦g­profizịju̦g 39 nachforscht oder schaut, was die Brattu̦g looßed. 40 Das älteste Himmelszeichen war das des März: der Wĭ̦der; 41 von ihm haben sich Fi̦i̦sch und Stier für Februar und April abgezweigt. Nun soll man im fị̈ị̈stre n Wĭ̦der (der in die Neumondszeit fällt, vgl. S. 138 f.) nicht Kartoffeln stecken, dagegen ŭ̦f dem Wider und uf dem Stier die Haare stutzen, um ru̦ppen (krausen) Haarwuchs zu erzielen. Uf dem Stier gerecht, bestockt sich das Getreide; in diesem Zeichen geschnitten, werden die Nelken dick. Das herbstliche Gegenbild des Widders ist der Skorpioón; nach ihm kam, als man die Tierbilder zur Ergänzung auf zwölf mit Bildern aus dem Sagenkreis des Herkules und andern vermehrte, der Schïtz (November). Finsterer Widder wie Skorpion sind sụụferri Zeihen; in beiden soll mu̦ d’Stŭ̦bi wäschen. Der Chrẹbs und der Leww sind die Summerzeichen des Juni und Juli, indes der Steinbock (Dezember) die hoffentlich bald wieder erwachende und zeugende Natur versinnbildlicht. Nun machen Löwe und Steinbock geschnittene Menschenhaare grau; dagegen soll man uf dem undergä̆nde n Steinbock d’s Veh schäären. Sonst aber ist der (in dem bekannten Bild ja eben aufsteigende) Steinbock es ụụfschießends 556 Zeihen. In ihm — und zwar vor Sonnenaufgang — gesäter Flax wird darum hoch, fällt nicht und erfụụled ni̦i̦d; im ihm gepflanzter Chăbe̥s aber wird ebenfalls heejja: vergeilt und machd nid Hei ptle̥ni; in ihm gehobelt, wird er hart und zähe. Der Krebs hinwieder ist es grïendschigs Zeihen, in welchem man daher Teekräuter sammelt, nicht aber etwa Härdepfla machd, wenn diese nicht vor G’wï̦rz u nd G’jätt überwuchert werden sollen. Er ist auch es frääsigs Zeihen; Quellwasser, in welchem man uf dem Chrebs stërrd, versickert. Ebenso ist der Leww es dorrigs Zeihen. In ihm gesäter Hafer beschleunigt seine Reife; in ihm geschorne Schafe aber erwịịßen oder werden wenigstens grĭ̦sel. Den August versinnbildlicht die Jungfrau: die Amazonenkönigin Hippolyta, welche als solche kei ns rächts Wịịb ist. Daher ist die Jungfrau es u nsụụfers Zeihen; in ihm geschnittene Haare werden flu̦gs von Läusen bevölkert. Den Mai beherrschen die Zwĭ̦le̥ni Kastor und Pollux. In ihrem Zeichen, uf dem Zwĭ̦li, soll mu d’Äärbs machen (Erbsen stecken). Vom Wassermaan des Januar weiß man nichts mehr besonderes zu sagen. Uf der Waag dagegen, welche die Tag- und Nachtgleiche des Septembers symbolisiert, soll man «alles mögliche» pflanzen; jedenfalls stecke man uf der Meie nwaag die Zwiebeln.

Rassiger als diese harmlosen und nur noch mit Mühe aufzutreibenden Reste alter Kalenderweisheit, zu denen etwa noch der alt und nï̦w Dietrich (4./14. Juni) kommt, gestaltete sich die Praxis noch vor hundert Jahren. Da ließ ein Vorgesetzter eines Oberländerdorfes von Zeit zu Zeit im Zeichen des Krebses Quecksilber in das Bett eines gefährlichen Bergwassers gießen. 42 Und zwar mußte das rückwärts schreitend geschehen, da ja auch der Chrẹbs lieber hindertsi ch wă n vordertsi ch geid. Denn die Wirkung der mystischen Handlungen besteht darin, daß man dem angerufenen höheren Wesen eine Heil bringende oder Schaden abwehrende Bewegung so lange vormacht, bis es sich zu deren Nachahmung entschließt. 43

Wie die Sternbilder der Sonnenbahn, üben auch die einzelnen Stärnen als Seelen oder als Wohnsitze Verstorbener 44 nach uraltem Glauben ihren unermeßlichen Einfluß auf die Geschicke der Menschen. Zum Rä̆genbŏgen als heidnischer Götterbrücke und biblischem Vermittler göttlicher Friedensgedanken 45 steht in scharfem Gegensatz der Komet mit der Rueten als göttliches Zuchtmittel. Besonders belangreich war 557 das Walten der sieben alten Planeten, zu welchen nicht die Erde, wohl aber in erster Linie Sonne und Mond zählten. Darum waren sie auch den römischen und danach mittelst Übersetzung den germanischen Hauptgottheiten unterstellt; und diesen wurden die sieben Wochentage gewidmet unter Feierlichkeiten, die noch heute spurweise durch den Volksglauben durchstechen. Der an Platz des jüdischen Sabbattages, sambastag, Sămstag 46 getretene Su̦nntag ist uns zwar als einziger und dafür ganzer Ruhetag verblieben. Allein schon der Umstand, daß es wie Su̦nntags- auch Donnstags­chind gibt, 47 und daß der Tag des deutschen Hauptgottes Donar (an Platz des entthronten Ziu oder Jupiter) noch jetzt in welschen Landen als «halber Sonntag» gilt, spricht für die einstige Feier auch der übrigen Tage. Der ganze und der «halbe» Sonntag haben darum auch ihre Vortage, deren Gottheiten bei uns vergessen sind. Nur z. B. der Engländer hat seinen «Saturnstag» ( Saturday) und «Wodanstag» ( Wednesday). Uns ist der Mittwuchche n kei n Tag. An ihm verrichtete Arbeiten gewisser Art, z. B. Hantieren mit Messern, unternommene Reisen, Umzüge und Viehfahrten ( S. 298), geborne Tiere, neu begonnene Schulkurse 48 usw. sind, weil sie «weder auf einen Tag, noch auf eine Nacht fallen», von Unsegen bedroht. 49 Daß aber neben dem neuern Hauptgott Donar (Donnergott) auch noch der ältere: Ziu (als Himmelsgott) in gleiche Linie vortrat, beweist die gleichmäßige Feier des Zị̈ị̈stăg wie des Donnstag als Fleischtag. 50 Darum hatte auch der Dienstag am Määndăg seinen Vortag, an welchem gewisse Verrichtungen mit Unsegen bedroht waren. 51 Als einziger einer Göttin ( Venus, Freya) geweihter Tag genoß von jeher auch der Frị̈ị̈tăg besonderer Ehren, und das Christentum hat ihm als Todestag unseres Religionsstifters nach dem Auferstehungstag die zweite Stelle eingeräumt. Das hindert nicht, daß ihm gleich jedem andern Arbeitstag seine ihm bestimmt zugeteilte Aufgabe werde. Einem Geschäftsmann verweigerte ein Grindelwaldner, der seine Zeit auszukaufen verstand, den Ersatz eines Stelldichein, das jener am verabredeten Montag versäumt hatte, mit der Erklärung: Jää, es ist nid gẹng Määndăg, und ist nid gẹng Zị̈ị̈stag und ist nid geng Mittwucha!

 
1   Eivisch 146; vgl. Wals. Sch. 108; Lus. 81.   2  Vgl. Alphorn (zum Emmentalers Blatt) 1906, 187 f. Zellen (vgl. engl. tell) svw. sprechen: Pomatt 210.   3  Vgl. Singer M. 9.   4  Vgl. mhd. geschicht.   5  Ahd. hrêo (Genitiv -wes) = lat. corpus besonders i. S. v. cadaver: Graff 4, 1131.   6  Vgl. besonders Dr. Zahlers Ausführungen.   7  Vgl. Lf. 593; Wallis 207-211.   8  Einläßlich hierüber: Museum 2, 776-8; Dübi im SdB. 1906, 92-102.   9   Ch. 1676 ½.   10  Gast- und Alpwirt Lehner in Gampel.   11  Dübi. a. a. O.; Lf. 593; Str. Nj. 15.   12   Eivisch 144 und unser Kirchenkapitel.   13   Ch. 1732 14/ 1.   14   Wallis 73-76: Der Totentanz.   15   Täuber 73.   16   Wallis 65-68: Die Spinnerin am Aletschgletscher.   17   Singer M. 10, 48 f.   18   GlM. 2.   19   Cronegg 1874 im GlM. 187.   20   Ch. 1668 11/ 9   21   Wallis 131. 191. 156-158. 58-64; Wanderbild «Lötschental».   22   Tschudi 150 f.; Henne 526.   23   Kluge 238.   24   Lf. 55 ff.; vgl. JG. Sintram; Rohholz, Schweizersagen 2, 12 ff.   25  Der junge Künstler Gottfried Straßer hat sein Bild dem tatsächlichen Anblick gut nachempfunden.   26  Hak, christl. Bilderkreis 362.   27   Stückelberg 1; Dumermuth 6-9.   28  W 4.   29  Vgl. ÄFG. 104. So auch schloß mittelst eines von Petrus verliehenen Schlüssels der Papst Silvester einen Drachen in einer Höhle ein. (Der «Silvester» des Konrad von Würzburg 660 ff.; Kaiserchronik 64 a; das alte Passional ed. Köpke 90, 34 f.) GlM. 90.   30  Vgl. hiermit Wallis 140-143 und den Guggischuhmacher: Lötsch 47 f.   31  Vgl. die wütenden Rosse Wallis 165.   32  Vgl. die Fäärlisuw in Vals: A. f. Vk. 4, 177; Frauenheim 1907, 438 f.   33   Wyß 612; vgl. ÄFG. LVIII.; Jahn WB. 328 f.; Henne 66.   34   Gusset 75-77; BOB. 83 f. Der Teufel als Hund: Wallis 36.   35  «Teufel» ist ja aus « diábolos> gebildet.   36   Rothenb. 38.   37  Lebensvolle Reminiszenzen über die Raben sind verzeichnet in Wallis 8 f. 160. 216.   38  Vgl. Berd. 4 zu Anfang. Der Himmelsdrache: Singer M. 10, 81.   39   Str. Nj. 13.   40   GlM. 167.   41   Berd. 4, 21 f.   42   Kasth. B. 157.   43  Über diese tiefgreifende sympathetische Theorie s. Lf. 454 f.   44   Henne 431; vgl. die unnachahmlich anmutigen Stellen vom Meyeli in JG. AB. 2, 13, 59; Rosegger «Als ich noch der Waldbauernbub war» 2, 25.   45  1. Mos. 9, 13 f.   46   Kluge 311 f.   47   Rothenb. 21.   48  Ebd. 22.   49   A. f. Vk. 9, 190.   50   Rothenb. 22.   51  Ebd.  
 

Riesengestalten und Zwerggebilde.

Selbst große und starke, geschulte und durch Erfahrung gewitzigte Männer können si ch sälber b’lị̈ị̈ggen (vgl. S. 390), gleich wie mu̦ 558 vo’m g’hëëre nsä̆ge n lehrd leïgen. Eine schon an sich kräftige Gestalt, die allmählich aus dem einen Grau einer ausgedehnten Nebelmasse halb heraustritt und zuzeiten wieder in ihr verschwindet, 1 konnte den Kern abgeben, aus dem sich allmählich die riesige Gestalt des Challigroosi («Kalli-Großvater») am Eiger bildete. Bei Sturm geht dieser an die Mettenbergseite des untern Gletschers hinüber und spukt dort. Im alten Bäregg-Gasthaus hat man ihn in heftigen Sturmnächten oft gehört. In mächtigen Holzschuhen, wie n es Wäschzï̦̆berli, schlurfte er über den mit mächtigen Felsplatten besetzten Weg vor dem Hause hin und her. Kein Fẹllbalken ( S. 442) war so stark befestigt, er riß ihn los. Er soll auch die Leute heftig geplagt und mutwillig geneckt haben. Man stellt sich ihn vor als mächtigen Alten mit sprühenden Augen, wildem Blick, gewaltigem Bart, übermenschlicher Größe und riesiger Kraft. 2 Das Phantasiebild wird um so plastischer, je mehr wirkliche Riesenmenschen dazu ihre Züge leihen. Von einem Ri̦i̦s an Bueßalp erzählt man, er habe nie in geheiztem Raume gewohnt, noch je Warmes gegessen. Wenn er frühstücken wollte, ging er in die Milchkammer, schlug, wenn im Winter der Rahm in den Satten gefroren war, mit der Faust ein Loch in eine der Decken und behalf sich nach Art der Krieger Gideons. 3 Dazu kommen aber eindrucksreiche geschichtliche Züge. Die bastionartige Hụụne nflueh am Eingang des Lauterbrunnen­tales, die Hundschïpfa gegenüber der Schwendi, die Hundsflueh in der Faulhorn- und in der Jungfraugruppe, das Hundshŏren bei Mürren haben durch Hereinziehung erst der Hünen, dann der geschichtlichen Hunnen ein neues Ferment in die heimische Riesenmytholugie gebracht. Noch weittragender aber erwahrte sich als mythenbildender, geschichtlicher Faktor der Rückzug aus Rußland von 1812 mit seinem Vorbild des Jahres 1718: dem grauenvollen Untergang der schwedischen Armee Karl’s XII., dieses nordischen Napoleon. 4 Es bildete sich nämlich hieraus die so zäh im Volksgemüt haftende und so vielgestaltig verbreitete Überlieferung vom Nachtvolch. 5 Im Oberhasli amalgamierte sich damit die wegen ihres historischen Kerns so zähe haftende Sage vom friesischen und schwedischen Ursprung der Bewohner; und in der Gestalt des Friese nwäägs 6 drang die Sage über die Scheidegg auch nach Grindelwald hinüber.

Vorzugsweise die leer gewordenen und ihnen zulieb offen gelassenen Alphütten zu Rast und Erfrischung aufsuchend, zieht über Tal 559 und Ebene in nächtlicher Prozession die schwarzgekleidete Schar dahin. Feierliche Stille herrscht im Zuge; nur leise und unverständlich wird da und dort ein Wörtchen gelispelt. In der Regel flößen sie doch den Begegnenden Respekt ein; ja ein Burglauener-Gemsjäger mied voll Grauen die Jahre lang als Nachtlager bezogene Alphütte, seit einmal das Nachtvolk darin gerastet. Dieses läßt sich denn auch nur durch Kundige suchen, zitieren und befragen. Wer d’s Nachtvolk suehe n will, wickelt in ein erstes bestes, dreieckig zusammen­geschlagenes Nastuch zwei mit den Schneiden gegeneinander gekehrte Messer, rollt das Tuch, schlägt beide Zipfel darüber und nimmt es dreimal um seinen Rücken herum. Während dieser Manipulation rät ein Zuschauer, wo das Totenvolk nächtige. Errät er es, so findet man beim Aufwickeln des Nastuchs die Messer über statt unter dem Einwicklungs­zipfel. Wer das Nachtvolk zitierd, ihm dann aber nicht Platz gibt, dem kann Gleiches begegnen, wie jenem Grindelwaldner. Der wurde im Sturm durch die Lüfte nach der Grindelalp entführt, dort dreimal um den Felsstock des Schilt herumgewirbelt und halbtot liegen gelassen. 7

Der Mythus vom Nachtvolk greift auch seinerseis wieder in andere Kreise über. So gelten die Elfen- (oder Hexen-) Ringe — die tëëtliche n ( S. 550) Mădringa — im Gras ebenfalls als Friese nwääg. Und wie die Ostfriesen­prozession, will auch die wilde Jagd zwischen großer Scheidegg und Faulhorn alle Melkhaustüren offen finden. 8

Am rätselhaftesten aber handeln diese «Friesen», wenn sie zur Alpzeit in bekannter Weise je ein Tier 9 schlachten, braten und verzehren und der angstvoll zuschauende Eigentümer am Morgen das Tier gesund und ganz wieder findet. Nur das Stück, das er auf Einladung hin selber gegessen, fehlt dann. 10 Alle Knochen und Knöchelchen werden nämlich in ihrer natürlichen Lage wieder in die Haut eingenäht, und die vacca rediviva ist fertig. Das Nachtvolk in seinem mythischen Urgrund ist eben der nächtliche Zug aller Sterbenden und Gestorbenen, dessen Spuren mit jedem neuen Morgen wieder verschwinden. 11 In biblisches Gebiet hinüber griff der Riesenmythus, indem er die Legende vom ewige n Ju̦u̦d schuf, 12 der auch auf dem Eiger wie so vielfach anderwärts nacheinander Weinberge, Weiden und Steinöden antraf. Durch Menschen verschuldeten Kulturverfall weiß Grindelwald auf 560 doppelte Weise zu kommentieren. Die Kühersmaid auf der großen Scheidegg, 13 durch deren Versteinerung der (wirklich erst neuere) Rosenlaui­gletscher entstand, vertritt die gewöhnlich ins Spiel gezogene Frevelhaftigkeit gegen Angehörige. Ein neues Motiv, nämlich Arbeitsscheu, bringt die folgende Grindelwaldner-Sage herein. Auf der Blïemlisalp wuchs das Adelgras (was hier aber das isländische Moos bedeutet) so üppig, und es barg in seinen Becherchen so viel der milchspendenden Flüssigkeit, daß man alle Tage dreimal melken mußte. Da rief einmal eine Küherin, welche vom Älplersonntag weg zum dritten Melkgeschäft sich hinbegeben sollte: Wenn nu̦mmḁn das verfluecht Adelgras nid wää r! Da empörte sich die Natur, und die herrliche Weide versank unter donnernd hereinbrechendem Felsgeröll.

Anderm Übermute huldigten landauf, landab Burgherren, die nun zur ewigen Strafe sich im Kanonenschießen üben müssen, wenn vor Wetterumschlag der Föhnwind Lawinendonner in weite Fernen trägt. Der Brudermörder von Rothenfluh richtete nach der grausen Tat seine Waffe gen Himmel: Han i ch dän hie më̆gen, su̦ mag i ch dän da obna oo ch! Aber auch ein (freilich unbekannter und ungenannter) «General» im Sonderbundskrieg wird ins Spiel gezogen. Trotz dem Friedensschluß wollte er chriegen bis am jïngste Tag und muß es nun tun. Alle diese Züge vom Wätterschießen verschmolzen auch dem Namen nach mit dem Murte ngschï̦tz oder dem Burgunder­schießen ( S. 125), das an 1476 anknüpft, 14

Geschichtlichen Boden beansprucht der Ritter im Mättenbärg, an dessen Burgbiel von einigen die Schlacht und die Verwüstung von Grindelwald im Jahr 1191 verlegt wird. In der Nähe eines verfallenden Speichers von interessanter Bauart ( S. 411) präsentiert sich zuweilen der Zähringerherzog in prachtvoller, glänzender Rüstung. Vorn auf dem Waffenrocke trägt er zwei lange Reihen ungewöhnlich großer Knöpfe, die in der Nacht einen blendenden Schein verbreiten. Andere berichten von einem Ritter in eisernem Gewand mit talergroßen, glänzenden Knöpfen. An die Speicherwand gelehnt, läßt er seine grün und gelbe Rüstung unheimlich ins Dunkel hinein blitzen, oder er geht Vorüber­wandelnden entgegen. Wer ihn in mondhellen Nächten aus der Ferne sieht, kehrt lieber um.

Der Schutzherr der Stadtbürger wurde also zum Schreckbild der Grindelwaldner, ähnlich wie etwa die im Berg «gehehlte» oder «verborgene» Hulda oder Berchta 15 unter ersterem Namen zur «Frau Holle», 561 Fasnḁcht­chlu̦mmle̥rra oder Sĭ̦be n­chlu̦mmle̥rra der Kinder. — Und sie war es doch gewesen, welche sonst als Familiengöttin die Kinder aus ihrem Huldabrunnen, allenfalls hinder n’em Stei n fi̦rha, gebracht; auch die Hébanna 16 ist durch ihre Vermittlung eine Nachfolgerin der altgermanischen «weisen Frauen» ( sages-femmes).

Freundlicher hat man im Gegenteil die drei Nornen (Parzen), welche den menschlichen Lebensfaden andrehen, spinnen und abschneiden, zu den drei biblischen Marien oder Mayen 17 umgedeutet und mit dem Kniereiter­liedchen: «rịti rịti Rößli» 18 verwoben. Die Grindelwaldner-Variante, ein wunderliches Konglomerat dreier Bruchstücke, lautet:

Hị̈ppi, hị̈ppi, Rësselli!
Z’Bääre steid es Schlesseli.
Z’Thun, da ist es Tuubenhuus,
Achten drii Jumpf’ri druus:
Eini wie Siida,
Die ander wie Chriida,
Die dritt wie rootes Gold.
Im ob’re Lland ist niemmen,
Im und’re Lland ist niemmen,
Aalta Maan, wie läbst du lang!
I ha gmeind, du sigist gstorben;
Jetz bist du eso en aalta Chindlifrässer worden!

In übertragenem Sinn wird einem der zurecht­weisungs­bedürftigen G’waxnen (Erwachenen) d’s Măji oder d’s Maje̥lli gsungen. 19

Unheimlich gestaltet sich hinwieder der Z ä̆he ntụụsig-Ritter-Tag für den Älpler, der an ihm die Alpfẹrt wagt. Er muß nämlich gewärtigen, daß ’mu̦ d’s Veh e ntrï̦ckd wird. 20 Es kommt über Nacht dem Eigentümer plötzlich abhanden. Der Erfahrene gewahrt freilich am Abend zuvor, wie die gesamte Herde plötzlich mit gesenktem Kopfe stille steht, als führe sie etwas im Schilde. Er bringt sie zum ruhigen Weitergrasen, indem er ruft: Wartid iṇ Gotts Nămen! Ist aber das Unheil bereits im Zuge, so kann der Älpler allenfalls noch unter Pfeifen und Rufen ihnen nachrennen und die Kühe, über welche hinweg er den Melkstuhl zu schleudern vermag, zum Stehen bringen; die andern entweichen. Doch auch diesen schadet in der Regel solches Veh rï̦cken nicht; sie kommen nach einer gewissen Zeit wieder, und 562 dem Älpler blieb nur die Angst. So berichtet uns z. B. ein hübsches Zelli vom Hewzwärgli, das wir in der umständlichen Erzählungsart des echten Grindelwaldners wiedergeben. 21

Das cha nn’s schon no ch gään, daß’s wenig Hew gi bd, und daß d’Här depfla nid gg’raaten. Hinggä̆gen weis s mŭ̦ den n hị̈tige n Tăgs nịịmmeh vo n tị̈ị̈re n Zịịte n wie frị̈ejjer, wa d’Änigroosa 22 die gärstige n Chuehe̥ni 23 no ch sälber ’bachchen heed. Das hed’s denn eppa dick g’gään, daß d’s Veh, we nn s’ frịej in Ụụstăgen nịị mmeh hein in der Schị̈ị̈r g’hä̆ben, mit Strouw u Chri̦i̦s 24 ghirted hein. Su̦st hed mu̦ den n o ch g’seid, da heige n Zwärgle̥ni ’ne n d’s Veh versorged. Richtig 25 hed’s e̥s o ch scho n ’troffen, daß sie de n Taallị̈ị̈ten hein Hew ’bättled, we nn s’ eppa oben dï̦ï̦r ch g’hewwed hein. Da sịịg 26 wịịt hinder Itramen 27 uehi newwan 28 o ch ei ns e̥s Manndli am hewwe n g’sịịn. Wa 29 n e̥r 30 si ch ei n umsehn heig, wie d’s Wätter welli, steid es Zwärgli in e’r Zottelchappe n 31 vor ’mu̦ zuehi u fräägd n en um n es Aa nwäärd 32 Hew. Der Pụụr hed das Zwärgli g’must’red; u nd duo 33 där 34 Hellwĭ̦scher (s̆) 35 nid grëëser ist g’sịị n wan es achtjährigs Bïebi, hed er ’se̥ṇ g’lached, u nd seid zue ’mmu: Was d’ in einer Fert furt bringst, magst haan! Das wää r duḁ newwan däm Zwärgli ’b’reichd’s 36 gsịịn! Das sịịg i n d’Schị̈ị̈r uehi, un d nid uber lang heig’s den hindristen 37 Bitz ze’m Gĭ̦bel ụsa g’hä̆ben. Wa ị̈ị̈ ns’s Manndli g’sehn heed, daß das Zwärgli das Hew all’s in ei ns Pu̦lggi lăded, ist ’mu̦ schier g’schmuechd worden. Und är seid ei nmmḁl zue ’mmu̦: Ja, së̆vel han i ch denn nid g’meind, daß d’ nä̆hmist! Wenn das ḁ lsó soll gaan, su̦ mag i ch denn mid dem Hewli schlächtli ch z’sä̆men! 38 Aber das Zwärgli hed g’meind: Är selli jetz das ḁ lsó laaṇ g’raaten. 39 Wen n äär denn alls verhirted’s heig, su̦ sëll er si ch de nn laa n merken. Flu̦gs dru̦u̦f hed’s Zwärgli sịịn Burdi g’ladni g’häben und ist dḁrmid hinder Wald und Hu̦bel vergold g’gangen. 40

Es ist e n strụụba, lẹnge Winter in ị̈ị̈ n’s Tẹllti choon. U nd scho n lang vor Ụụstăgen hed ị̈ị̈ nsa Pụụr das Hew bis uf de n Tĭ̦lisoller a bhi n g’etzt’s g’häben. Är hed ’mu̦ 41 von Eersti aa n vëllig nịịd g’wißd 563 z’tuen. Und wa n er ăber ei ns ḁ lsó g’schlăgna im Stallsgĭ̦bel gstotzed ist, 42 chund nä̆be’m Schị̈ị̈rg’wätt 43 d’s Zwärgli fï̦rha u nd seid: är sëll d’s Veh nummḁn 44 ihm 45 aa nvertru̦wwen. 46 Wenn äär, der Pụụr, jetz all Tag chëm găn mmache n wie su̦st: gan hirten, wie we nn d’s Veh im Stall wää r, wen n äär derglịịhe tiej z’mälhe n, z’miste n, z’trẹihen u nd d’s Hew ahaz’stooßen, u wen n er bi n allem däm nid fluehi, su̦ sëll sịị’m Vehli nịịd g’schehn.

Das hed ’mu̦’s chënnen! U nd d’s Zwärgli ist mit der Trịịbete n Veh ze’r Pengellïcken 47 ụụf, und der Pụụr hed’ mu̦ naa chg’sehn, bis das s er nịị-mmeh g’sehn u nd g’hëërd heed. Aber gä̆ge’n Ụụstăgen anhi, wa’s su̦nnenhalb hed aa ng’fangen ääbe̥rren, ist ị̈ị̈ nsem Itramer das hirten im läärre n Stall ei ns lẹngs g’nueg g’sịịn. Är hed aa ng’fangen an däm G’schäft dụụrhaftig wärden. 48 U nd wa n e̥r ei nmmḁl aber ei ns vor ’nem läärren Baarnilooch zuehi ist am «mälhe n» gsịịn, hed er aa ng’fange n fluehen, ei ne Zeisi 49 in die ander inhi.

D’Stallsti̦i̦r ist offe̥nni gsịịn. U nd flugs dru̦u̦f hed n en ’tụụchd, är g’chëëri sịị n Chlopfa. 50 Är ist i’ n Stallsgĭ̦bel g’sprungen und hed däm Zị̈ị̈g g’lŏsd. Z’erstist is’ ’s g’sịịn, ḁ ls ob är die Chlopfa ganz uehi und’r dem Eiger g’chëërti. Aber es hed n e n ’tụụchd, sie chëmëṇ gẹng bịịer und bịịer, un d es chlii n’s Rastli dḁrna ch ist ’mu̦ gsịịn, die Chlopfa chëm gä̆ge’ n Wwald uberha r. U nd wie ’s anha r g’sịịn ist, hed er d’Gloggi allu̦ z’säme n g’chëërd. Dem Glị̈ị̈t naa ch hed das nu̦mmḁ n sịị’s Veh chënne n sịịn. Wa n äär die ganz Trịịbe̥ta g’sehd us dem Waald ụsa gä̆g’ sịị n Schịịr uehi choon, hed ’mu̦ aa nfaan unheimli ch wärden. Är hed e n je gl ihi Chueh ganz gued chënnen us dem Zug ụsa b’chennen. Die sịị n schschëënnu̦ u nd feißtu̦ g’sịịn, 51 wie n äär no ch keinu̦ nie g’sehn u nd g’chä̆ben heed! Un d näb’ n e’r jelhen ist e̥s chlịị ns hï̦bsches Chälbschi g’gangen. Uf der hindristen ist d’s Zwärgli g’sässen. Un d wa s’ sịị n vor der Schị̈ị̈r g’sịịn, hed ’s ze’m Pụụr g’seid: Hättist nid g’fluehed, su̦ hätt i ch de̥r d’s Veh lẹnger b’hä̆ben, u nd der leste n Chueh wä r nịịd g’schehn. 52

Dḁrmi̦i̦d ist d’s Zwärgli niena meh g’sịịn. Aber an der Chueh, wa der Pụụr bi’m flueheṇ grad hed g’molchni g’häben, sịịn nu̦mmḁn no ch drịị Strichche n g’sịịn.

564 So reicht das Zwäärgli als weitere freundliche Erscheinung ins Menschenleben hinein. Und gerade Grindelwalds Berge hatten die Zwäärgle̥ni zu ihrem Lieblingsrevier auserkoren. Sie wohnten in dem herrlichen Zeltbau des Wetterhorns; 53 sie belebten das Rosenlauigebiet, des Faulhorns Kuppe und Umgebung; sie ließen sich blicken an den Gehängen des Tschuggen und Männlichen, wie auch am emmentalischen Furgge nggü̦tsch. Überall freilich nur, we nn’s ’nen ist drum g’sịịn. Denn sie konnten mittelst ihrer Nebelkappe (Tarnkappe) si ch u nsich tlihi machen. Ein Jäger, der am Wetterhorn den Eingang zu ihrer Höhle entdeckt hatte, ließ Sack und Seil als Erkennungszeichen dort. Allein beim nächsten Suchen fand er weder Sack noch Seil noch Höhle. Die Zwerge verwandelten sich auch in alles, was sie wollten; sie versteckten sich als Däumlinge, und sie nahmen Riesengestalt an. 54 Immer aber unterschieden sich durch Gutartigkeit und Herzensgüte diese Alben («Weiße») oder Elfen, Lichtelfen von den «Schwarzelfen»: ihren dem dunklen Meer entstammten und die Menschen in die Tiefe des Wassers lockenden Vorfahren. 55 Sie waren der Sterblichen Schutzgeister, ihre Vorsehung im Kleinen, liebreiche Helfer der Armen und treue Ratgeber in allerlei Not. Wo Menschenkraft und guter Wille nicht langte, da traten sie als «Heinzelmännchen» über Nacht mit emsiger Arbeit in die Lücke; und wo es spezifisch weibliche Hülfeleistung galt, legten die weiblichen Zwerge, die kleinen weißen «wilden Fräulein», Hand an.

Überlegenes Wissen und Können der Menschen aber anerkannten sie in der Regel neidlos und freudig. In sinnvoller Weise läßt denn auch da von Schleidt vertonte Straßer’sche Festlied zur Einweihung der Eisenbahn Interlaken-Grindelwald (vgl. S. 529) den Alten vom Berge beim ersten Anblick des daher schnaubenden Eisenrosses seine Bergmännchen fragen, ob wohl wieder der «Stollenwurm» ( S. 553) anrücke, «sich hier mit der Föhnbrut zu paaren?» Machtvoll und sorgenvoll ruft er sie auf zum Schutze des Gletschertals. Die Zwerge belehren und beruhigen ihn und bitten, er möge gleich ihnen am Freudenfeste die Triumphe der Neuzeit feiern helfen. Und

Der Alte stieß nieder vom Wetterhornsitz
Im flatternden Kleid der Lawine
Und freute sich dessen, was menschlicher Witz
Ersonnen, mit sonniger Miene.

565 Jegliche Belohnung noch so großer Dienste aber wiesen sie von der Hand. 56 Ein Grindelwaldner, dem ein Zwerg das Vieh ganz vortrefflich gerwintert hatte, hing ihm ein von der Frau geschneidertes Aa nllege̥lli G’wand ( S. 490) ungesehen vor den Stall. Der Zwerg deutete das Geschenk als Prüfung seiner Ehrlichkeit und machte sich erzürnt für immer davon: äs hed si ch angänds g’strichchen. Statt der auch nur geschenkweisen Ablöhnung erwarteten sie gegebenenfalls Gegenseitigkeit in familiären Nöten und lohnten dann ihrerseits splendid ( S. 570). Nur benutzten sie dann etwa den Anlaß zu Kinderraub und Unterschiebung ihrer häßlichen Wechselbälge. Darin, sowie in andern Schelmereien suchten sie gelegentlich als Kobolde im Kleinen und Geheimen das immerhin gefürchtete Menschengeschlecht zu schädigen. Sie taten es auch schon zur Rache für listige Ausnützung ihrer Gutmütigleit oder ihrer Plauderhaftigkeit bi ’beiztem Wịịn (Wein, den man sie scheinbar zufällig hatte finden lassen). Ein solchergestalt beduselter Zwerg antwortete dem Lauscher, der in böser Pestzeit ihn um ein Heilmittel gefragt, in kindlicher Listigkeit: Ich weiß es wohl, Schwarzgärst (Diktam, Diptamnus) und Bibernäll, aber das sag ich dir nicht! Größer stehen die Zwerge da, wenn sie in mitleidiger Offenheit auch den Grindelwaldnern vom Berg herunter zurufen:

Ässid Schwarzgärst und bääjjid Brod,
So stärbid ier nid so gääjjaa Tod!

oder in dieser andern hiesigen Variante:

Ässid Astränza u Bbibernäll,
So stärben die Chranken nid so g’schnäll! 57

Eigentümlich grindelwaldnisch ist folgende Besegnung der Migräne: Petrus und Andreas gie̥nge n mit einandren uber einen Bärg. Da bigä̆gnete ĭhnen der Maargtropf. «Margtropf, wo willt dŭ̦ hin!» «‹Ịịch will in ein Gli̦i̦d găn Fleisch und Bluet verzĕren›». 58 «Margtropf, das muest du nicht tuen! Du muest ĕdligs Holz 59 und Kĭ̦selsteine knirtschen 60 und darzue kalts Wasser trinken!» Indeß der Besegner solches spricht, steckt der Patient die Hände in kaltes Wasser und wird vom Scheitel abwärts mit den Händen gestrichen.

Bezeichnenderweise bedeutet Margtropf nicht bloß diesen Zwerg, sondern auch die genannte Krankheit. Zu den nicht wenigen andern 566 Namen 61 kommt der des Grindelwaldner Zwergenkönigs Mugge nstŭtz. 62

Ihre Kräuterkunde verdanken die Zwerge ihrem Tagesaufenthalt auf den Bergen. Uf dem ob’ren Bärg, wie vormals das gesamte Wetterhorn hieß ( S. 5), war ihr Lieblings­tummelplatz. Da, beim Gläckstein, dessen Umgebung jetzt im engern Sinn «der ober Bärg» heißt, molken sie ihre Kühlein: die Gemsche̥ni, die gleich einer g’hị̈ị̈sige n Chueh ( S. 376) sich zur Melkzeit einstellten. Mit der Milch nährten die Zwerge ihre Kinder, die drum auch alsbald nach der Geburt wie flinke Gemslein sich tummelten. 63 Der unverbrauchte Rest wurde zu Gems­mŭ̦tschlinen verkäst. Diese wanderten in arme Hütten, und wie gesegnet waren alle diese Zwärgli­chäsleni! Was am Abend als Rest im Tischkasten verblieb, ja auch nur was davon versï̦wweds (achtlos fallen gelassen) unter den Tisch geriet, wuchs in der Nacht wieder zum vollen ganzen Laibe nach. Der Käse ging nur aus — aber dann für immer! — wenn gedankenlos und unvorsorglich alles aufgegessen wurde. 64 Ja, ein Gemsjäger im Lauterbrunnental wurde von einem Zwerg, den solche Gefräßigkeit erzürnt hatte, in die Tiefe geschleudert. 65 Gelinder verlief die folgende Geschichte vom Zwärge n­mŭ̦tschli.

Es sịịg ei ns en armi Hụshaltu̦g g’sịịn, wa nịịd g’rächts heig z’ässe n g’hä̆ben. Duḁ hätten ei nmmḁl no ch Zwärgleni in ị̈ị̈ nsem Tẹllti g’läbd; und ei ns von dene n, wa die Hụshaltu̦g hätt b’chennd, heig ’nen e̥s Mu̦tschli ’braachd. Äs heig ’ne n g’seid, daß s’ mit dem Hĕgel nie tërffen uber d’Mitti grịịffen, su̦st waxi ’nen denn der Mu̦tsch nịị-mmeh naha. U nd  66 we nn s’ nie meh wa n den halben nä̆hmen, su̦ heige n s’ gẹng Spịịs im Tischchasten.

Na ch un d nah sịn die Lị̈ị̈t ze ’nem Sachchli chchoon und hei n’s ganz guet chënne n g’machen. Das ist ḁ lsó g’gangen, bis se̥ si ch hein aa nfaa n mmeinnen u nd sịịn hochmị̈etig worden und hei n g’meind, e̥s më̆gi alls erlịịden. Sie hei n g’sinned, jetz chënne n s’ mache n, was s’ wellen. U nd rrichtig: ei ns an ’em Aaben d hed’s den Atten ei nmmḁl verzennd u nd zëëkd, e̥s Schnäfi meh wa n d’Hälfti z’nään. Der Tị̈ị̈fel u nd der G’wu̦nder 67 hein n e n g’stï̦pfd, und äär hed ei nmḁl z’lest un d am End e n waartliha 68 Bitz meh abg’hï̦wwen.

567 Aber am andre n Tag, wa s’ hei n welle n tischinierren (s̆), hei n s’ lang chënne n d’Mị̈ị̈ller verziehn u nd d’Oige n verträäjjen: ganza ist der Mu̦tsch nĭ̦-mmĕh worden.

Brach aber der Abend herein, dann schlüpften die Zwerge in ihr Nachtquartier: eine Höhle nahe dem Fuße des Wetterhorns, bi’m ob’ren Ịịschpfad. Da pflegten sie jedoch keineswegs nur des Schlafes. Vielmehr lagen sie emsiger Bergmannsarbeit in tiefen Schachten ob. Der Schlussel­bluemmen, der eben deswegen den Namen führt, eröffnete die Erzschätze, dies unantastbare Eigentum der Zwerge. 69 Entweder der Bärgspiegel, 70 oder das Zucken der die Metallkugel umfassenden Hand, 71 oder «das Kreuz in der Nuß und der Karfunkelstein» 72 (der Kompaß) lenkten Hammer und Meißel. Da gab es wirkliches und gab es «dreieckiges Gold» ( S. 568): Kristallquarze oder Splint zu Spitzen der Wurfspieße. 73 Und so reich fand sich das Gestein vor, 74 daß nach altem Wort der nach einer Kuh geworfene Stein wertvoller sein konnte, als die Kuh. 75

Von solchen Schätzen gaben bisweilen die Berggeister den Menschen zu träumen, stets mit Erfolg, wiewohl nicht immer zum Heil. 76

Hans Chïehschwanz 77 uf der Trịịhelégg heig 78 etliha Aaben d nah n enandre n ’troimd, är sëlli uf Thun ahi gaan, uf d’Si̦nnibrï̦gg. Dert vernähm er eppḁs, wa ’mu̦ ze’m Glï̦ck verhälffi. Wa ’mu̦ áber ei ns ’troimd heed, ist er gä̆ge n Thun ahi ’zottled. Wa n er z’Thun uf der Sinnibrï̦gg ist g’sịịn, ist da es alts tschi̦tters 79 Mannde̥lli cho n plampen und hed mid ’mu̦ aa nfaan dorfen. Wa s’ schon e n tolla Rast z’sämen hei n g’worted g’hä̆ben, fräägd das Mannde̥lli, was är denn eige ntli ch da welli und wahar das s er chëmi. Duḁ gi bd där ’mu̦ churz B’scheid u nd bb’richted ’mu̦’s. Duḁ seid das Manndli: Du̦ bist denn ei nmmḁl wohl schier en goiha! 80 Mier hed jetz o ch under Maale n ’troimd, i ch sëllti uf Grindelwald uehi (wuohi). 81 Da wää r newwan bi’nem Hans Chïehschwanz uf der Trịịhelegg under der Fị̈ị̈rblatten es Chessi volls Gäld; aber da gaan i ch ei nmḁl nid gan achten! Das ist ị̈ị̈ nsem Hans Chïehschwanz bb’reichds g’sịịn! Där sịịg z’glịịhe Tags umhi gägeṇ Grindelwald e̥mm uehi g’weigged. Wan er ist e̥m zuehi g’sịịn, hed er g’rad d’Fị̈ị̈rblatta fï̦rhag’schrissen. Und alls sịịg ḁ lsó g’sịịn, wie däär ’mu̦ g’seid heigi. Wa n er duḁ ḁ lsó rịịha sịgi g’sịịn, heig er ’mu, nĭ̦-mmĕh gäre n «Chïehschwanz» la n sä̆gen. Är ist ze’m Landvogt gan Hinderlachchen, 568 und där hed ’mu̦ duḁ z’lest und am End uf sịịs bitten und bbätten en Năme n g’gään, wa no ch jetz ïepli ch u nd bbrị̈ị̈chli ch ist. 82

Auch im Heide nllooch ( S. 16) liegt eine Unmasse Geld, sowie jenes «dreieckige Gold». Wer sich den unermeßlichen Schlund, der es birgt, eröffnen will, muß an einem Seidenfaden einen Hahn — nach anderer Version: einen Idioten — hinunterlassen. Ungeheure Goldschätze liegen auch auf den Böden des abgrundtiefen Häxe nseewli und des Hăgelsees, 83 in letzterem unter einem Plattenstück. Zum Abmeißeln desselben liegen auf ihm Hammer und Meißel bereit für den ersten, der Räte und Winke der Zwerge zu befolgen unternimmt.

Damit ist nicht gesagt, daß diese ohne weiteres jeglichem Schatzgräber auf die Sprünge helfen. So wollten sie z. B. keineswegs zugeben, daß Landleute im Chrääjjenbiel am Eiger Strahli suchen. ( Die Strahla: der Bergkristall.) Sie zogen sich vor den Strahle̥rren zurück in die Tiefe des Gebirges hinein und verunmöglichten damit die Ausbeute. 84

Aber auch wer zu solcher zugelassen wird, hat sich strengen Bedingungen zu unterziehen. Der glückliche Finder darf nicht nach dem Hort der Schätze zurückblicken, 85 und die Hebungsarbeit muß in feierlicher Stille geschehen.

Uf der Egg hinder Scheitegg stieß das sondierende Stemmeisen immer wieder auf einen klirrenden Kessel, der endlich gehoben werden konnte. Während er schwebte, kam plötzlich ein Fux daher und schreckte die Männer, so daß sie den Kessel unrettbar zurückfallen ließen. In einem (1892 mitverbrannten) Haus an der Spilstatt, genannt d’s Vreeni’s Ue̥llis, hoben zwei Männer auf den Schultern e̥s Chessi volls Gäld. Allein ein Hund saß als Wächter darauf. Niemand wagte es, ihn wegzuheben. Endlich rief man den wegen seiner Unerschrockenheit auch außerhalb Grindelwalds bekannten Pfaarer Lehmann ( S. 638) herbei. Där hed n en dänna g’lï̦fted wien es Äär mve̥lli Heww! Dennoch gelangte der Schatz nicht ans volle Tageslicht, sondern Kessel und Sparren sanken polternd und klirrend in die Tiefe zurück. Was war geschehen? Einer hatte dem andern vergnüglich zugeblinzelt, und das genügte, den «Ring des Polykrates» sich wiederholen zu lassen. Nach weniger feiner Version hatte einer mitten durch seine rasch vollzogene Teilungsrechnung den Gedanken fliegen lassen: wenn nu̦mman där Tonnders Jaagge̥ller nid wää r! Ebenso dachte ein anderer beim Heben eines Schatzes im Heidenhụụs a n Scheitegg: Eh, wä r jetzen das Gold alls 569 mii ns! Kaum gedacht, sank der Kessel mit Blitzesschnelle so tief, wie er vormals nie gewesen; u nd sie hei n ’mu̦ na ch g’seh ns g’hä̆ben. Den Fluch, der auf dem Golde liegen kann, versinnbildlichen die Schlangi, in deren Gestalt noch heute dort Ungeheuer hausen.

So töricht die Blindheit ist, die alles Glänzende für Gold hält: noch törichter ist die Meinung, alles Gold müsse glänzen. Das sagten auch die Zwerge den Menschen. Unter jedem möglichen Aussehen: in Säckchen oder Körbchen oder Schürzen voll Asche, Kohlen, Lehm, Eicheln reichten sie Gold dar als königlichen Sold für freundliche Dienste. Sie warnten dann auch — in den Wind redend — vor Mißachtung der unscheinbaren Gabe. So meldet eines unserer ausholenden Zellinen von der Zwärge nchĭ̦nigi:

Da wää r wịịt hinder 86 Mĭ̦hlibach uehi e̥s Wịịbli 87 o ch no ch spaat in der Nacht anhi am Gstïedel 88 g’sässen und hed g’wä̆ben. Es ist ’mu̦ lingig g’gangen: im Schwi̦ck hed’s e n Tschuppen El le n g’hä̆ben. D’s Schiffli ist hin u nd wĭ̦der g’flŏgen, und äs hed im Si̦i̦ nn g’hä̆ben, das Wu̦bb no ch glịịhen Aabe nd’s abz’wä̆ben, we nn schon der Harzfeißtitä̆gel 89 ist am ergaa n g’sịịn. Wie n ääs no ch eppa äär nstig ist d’ră n g’sịịn, g’chëërd’s newwḁ an der Hụụstïïr pŏlen. Äs hed de n Taahen im Tä̆gel angänds en Bitz obsi ch g’schrissen un d ist gan achten, wär da ’twä̆ga sịịg. Wa’s vor d’Hụụstï̦ï̦r ụsi chunnd, steid e̥s Zwärgli vor ’mu̦ zuehi und hed ’mu̦ mid Bitt u nd Bbätt aa nghä̆ben, ääs mëchti mid ’mu̦ choon: d’Zwärge nchï̦nigi sịg Chimpette̥rra, u sie wisse n ’mu̦ nịịd z’tuen, keinigerlei nịịd!

Das Wịịbli hed aangänds d’Hụụba a ngg’leid und ist mit däm Zwärgli drŭ̦ber ụụf. Sie ṣịi n g’gangen u nd g’gangen, bis daß s’ wịịt im Bärg uehi vor n e̥s chlịị ns Tĭ̦ri sị n choon. D’s Zwärgli tued ụụf u nd ggeid vorab inhi; u nd d’s Wịịbli ist ’mu̦ naa ch. Da ist z’erstist nu̦mmḁn e̥s ẹngs, nĭ̦ders Gẹngli us dem Felsen ụsa g’hï̦wwe n’s g’sịịn, u nd mu̦ heig si ch gued mị̈eßen ịịnhaan, fï̦r das s mu̦ d’s Hoi pt nid aa ngrïehrd heig.

Das Gẹngli ist e n llẹnga, llẹnga Gang worden. Ganz z’hindrist d’ri̦i̦n hed mu̦ e̥s chlịị ns Fị̈ị̈re̥lli g’sehn. Sie sị n g’gangen u nd g’gangen, u nd där Gang ist gẹng grëëser u nd ggrëëser worden; där ist 90 heejja u nd bbreita g’sịịn, daß d’Chi̦lha u ng’schiniert d’rĭ̦n hätt chënne n stahn. Läst 91 u nd Läst Zwärgleni sịgen umha g’sịịn; tụụsig u nd tụụsig Liechtle̥ni heige n ’bru̦nnen; alls heig g’gli̦tzined u nd g’schĭ̦nen! Daas ist eppḁs g’sịịn, das s e̥s ei nfaalts 92 Wịịbli sịn Llä̆be ntaag nịịd sëli chß g’sehn u nd ’troïmd heed. Eh, b’hïet i̦s Lä̆be ntaag!

570 Angänds d’ru̦uf hed sie 93 der Zwärge nchï̦nigi Hilf ’braachd. Da d’ru̦ber sịịg im ganze n Zwärge nrịịch großi Freïd g’sịịn, und e n Tschu̦ppe n Zwärga hein mid ĭ̦hra dï̦r ch d’s Wätterhŏre̥n e̥m anhi sëllen. 94 Aber no ch ẹb s’ ze’r Zwärgenhëhli ĭ̦m ụsi g’sịn sịịn, hed e̥s Zwärgli u̦s ’nem alten G’wandschaften dem Wịịbli e̥s Hụụffli Chŏhlen i’ n Schurz g’schï̦tted. Sie hed nid g’wißd, was das z’bidị̈ị̈ten heig. A n Chŏlen ist ’rḁ de nn rrichtig ni̦d vi̦i̦l g’lä̆ge n g’sịịn. U nd we nn ’rḁ hie u nd da ei ns 95 us dem Schurz ụsa g’schloffen ist, so ist das ĭ̦hrḁ éi n tue n g’sịịn. Aber de nn sịịn die Zwärgle̥ni alli im Schwi̦ck dru̦f los g’schossen u nd hein die Chŏhlen ụụfglä̆sen u nd ’ra sie umhi i’ n Schurz g’hịjd, u nd g’seid:

Wie meh daß d’zattst,
Wie minder hast!

Dḁrmid wää ren sie us der Hëhli e̥m ụsa g’sịịn, u nd d’s Wịịbli hed si ch dḁrzue g’hä̆ben, fi̦r no ch vor Tag e̥m zuehi z’choon. Wa ’s hei m chunnd, lëësd’s de n Schurz uber der Fị̈ị̈rblatten ụụs.

Mornist, wa ị̈ị̈ ns’s Mï̦̆hlibachwịịbli i n d’Chu̦chchi geid, g’sehd’s uf der Fị̈ị̈rblatten e̥s Hụụffli Goldmï̦rggla. Dḁrmid hätt ’s duḁ g’wißd, waraan daß’s mit deneṇ gestrige n Chchŏhle nr g’sịịin! Wie’s däm no chlsó na chsinned, u nd tẹichd, was fï̦r n eṇ ganzi Broxle̥ta Chŏhlen das s ääs dï̦r ch alls Wätterhŏren a bha r versï̦wwed heig, da hed das ’s e̥s schier më̆gen. Ääs ist ụụf u nd z’wääg, fï̦̆r die Chŏhle n z’suehen — und hed nịịd g’funden. 96

Die auffallende Verbreitung ähnlicher Zwergenmärchen über Europa hinaus 97 hat die Aufmerksamkeit der Forscher längst auf deren urgeschichtlichen Kern hingelenkt: Zwergvölker der jüngern Steinzeit, die vom Mittelmeer immer weiter landeinwärts bis in den äußersten Westen Europas vorgedrungen sind, um von den nachrückenden Indogermanen entweder ins Gebirge interniert oder nach den äußersten Enden ihrer Gebiete abgedrängt zu werden. 98

Verschiedene Namen stellen diese Zwergvölker hin als «Kleinmeister» (wie die Norken der norischen Alpen, die «Nörggeler», wozu am Ende auch die Örtlichkeit in der Nï̦rggen, Nürggen 99 zu rechnen wäre?) oder als Vorläufer der Venediger (Vineder, Venediker, «Fänken»?), oder als «Walen» (Kelten, S. 587). 100

Heidenhaus mit Heidenkreuz an der Front.

a Heidechriiz.

571 Zusammenfassend benannte man sie nachmals als Heiden. An die große Zahl der Zusammen­setzungen mit diesem Wort («Heidensteine» usw.) 101 steuert auch Grindelwald sein gutes Teil. Man denke an das ehemals für unerreichbar gehaltene Heide nllooch 102 über dem Chessibach, welcher unter dem Felsvorsprung der Heide n­schnaaren am Bäreggweg der Gletscherwand entfließt. Eine Quelle in der Nähe heißt der Heidenbrunnen. Als Heide nschrift gelten phantasiereichen Leuten gewisse Karrengebilde eines Felsstücks an Wasserwendi. Dem Gassenbŏden ( S. 580) aber stellt die Überlieferung als Konkurrenten um den Ruf der ältesten Ansiedlung den Heidbïel an die Seite. 103 Hier, an der sonnigen Roßalp am Fuße des Gemsberges, stand also das älteste, jetzt nur noch von Gespenstern ( S. 569) besuchte Heidenhụụs Grindelwalds. «Heidenhäuser» standen und stehen ebenso in Brienz, 104 in Unterseen, in Oberhofen, und ganz besonders im Wallis, 105 wo das «Heidechrị̈ị̈z» als Andenken an Verstorbene die Hinterseiten alter Häuser schmückt. In Brienz (auf Planalp) bis 1207 zurückreichend, 106 zählen diese Heidenhäuser vor 1892 auch Grindelwaldner- Hụụse̥lle̥ni zu ihren Altersgenossen. Das Danielhị̈ị̈sli zu Gidisdorf und Schwendi-Je̥llis an der Spilstatt (das Bastlihị̈ị̈sli) waren so klein und niedrig, daß man die Dachrinne mit der Hand erreichte. Der halb oder 572 ganz in die Erde gegrabene Keller unterschied sie besonders charakteristisch vom eigentlichen Grindelwaldner-Baustil. In übertriebener Freigebigkeit dehnte man später wenigstens anderwärts die Bezeichnung «Heidenhụụs» nachgerade auf jedes durch einen neuern Bau verdrängte Gebäude aus. Es entspricht dies übrigens ganz dem Sprachgebrauch, wonach «Heide» und «heidnisch» — als Übersetzung von paganus, païen — alles bezeichnet, was der Verlassenschaft einer vorangegangenen Bevölkerung und ihrer Kulturstufe angehört. 107

Eiger, Mönch, Jungfrau. *

Davor Männlichen, Tschuggen, Lauberhorn.

* Die hier folgenden sieben Bilder, ebenso wie die auf den Seiten 365, 375, 377 und 508, Früchte einer spätsommerlichen Wanderung zwischen Schyniger Platte und Faulhorn, entstanden erst geraume Zeit nach dem Druck des Anfangskapitels, in welches sie eigentlich gehört hätten. Sie verbreiten jedoch etwas Höhenluft und Höhenduft über die Berge Grindelwalds auch hier, wo von der letztern ältester Beziehung zu Menschen die Rede ist.

Die Herabdrückung nun, welche die mit dem offiziellen Christentum verknüpfte Kultur allem «Heidnischen» angedeihen ließ, bekamen in ganz besonderm Maß auch Grindelwalds Zwerge zu fühlen. Erhöhte Geistesbildung zeitigte als schlimme Kehrseite Verweichlichung, Überfeinerung, Raffiniertheit, bemäntelte Bosheit. Schurken durchsägten den Ahornast 573 oder durchglühten den Stein, auf welchem Zwerge in wohlwollendem Behagen menschlicher Beschäftigung zuschauen wollten. Selbst Weiber verjagten ihnen die durch so wohl verdiente Gastfreundschaft. Der erste Eindruck solchen Gebahrens auf das harmlos freundliche Gemüt der so schnöd Behandelten war namenlos schmerzliche Enttäuschung. Ergreifend malt dies das Zelli von der Biesttu̦rten.

Zwischen Schynigen und Horen.

Schreckhorn, Finsteraarhorn, Viescherhörner, Eiger, im Mittelgrund Sägishörner und Burg.

D’Zwärgle̥ni si n frommi Lịịtle̥ni gsịịn. Deßtwä̆gen hei n s’ vịịl meh chënne n wan die g’wëhnlihe n Lị̈ị̈t. Tĭ̦figer sịị n s’ g’sịịn u nd g’merkiger; sie hein o ch vịịl besser g’sehn u nd g’chëërd. U nd Chchraft hein denn die Pë̆fe̥ni 108 g’hä̆ben, daß dääm niena nịịd bịị choon ist! — Aber sie hein nid nu̦mmḁn uber alls ụụs gued g’sehn u nd g’chëërd; die hein o ch d’s Nä̆si g’wißd z’brụụhen, das s nịịd së̆li chß erhëërd worden ist! Wen n im Winter anhi d’Chiëh hein aa nfaa n chalb’ren 109 su̦ hed’s es den n o ch g’gään, daß d’Lị̈ị̈t under Málen eppa en Biestturta 110 a ng’reised 574 hein. Aber nid uber lang hei n s’ denn das z’ob’rist im Wätterhoren uehi g’wißd, das s eppḁs fï̦ï̦r si ’twä̆ga wää r. Biestturta hein de nn d’Zwärgle̥ni grăd e̥s Brëësi gääre n g’hä̆ben, die hätt ’ne n ’s denn newwa n chënnen! D’Taallị̈ị̈t hein das g’wißd und hein ’ne n ’ra 111 gäären es Aa nwärd innä̆be n 112 gstelld. — Da hätte n s’ ei nmmḁl o ch aber ei ns in e’m Hụụs fï̦r z’nachtnen 113 en Biestturta uf de n Tịịsch gstellti g’häben, wa s’ g’chëërren e̥s Zwärgli uber d’Summerloiba zueha und i n d’s Gẹngli inha träppe̥llen. Där vergị̈ị̈ nstig Hellsaatḁ n 114 von e’m Wịịbli hed g’merkd, waran daas s ’s ’mu̦ fählti 115 und ist aṇgänds mit der Tụrten i n d’s Ofe nllooch inhi. D’s Zwärgli chunnd i n d’Stŭ̦ba und hed si ch no ch chlịịnder g’machd, wan das s 116 ’s scho n su̦st ist g’sịịn. U nd wie n e̥s si ch da no chlsó a n d’s Bịịstaal zuehi trï̦ckd, hed’s um d’s Gott’s Willen aa nghä̆ben, sie sëlle n ’mu̦ e̥s Schnä̆fi Biesttu̦rta gään. Was hein die Lị̈ị̈t ’taan? Sie hei n ’mu̦ e n g’sottna Hääpel 117 und e̥s Aa nwärd măge̥rra Zĭ̦ger aa nbb’ŏten und hei n ’seṇ g’lached u nd g’seid: was ihm o ch z’Si̦i̦ nn chë̆mi! von Biestturte n wisse n sie newwan nịịd. —

Dḁrmid hed’s Zwärgli g’wïßd, waraan daß’s ist! Uf der Tï̦ï̦rschwelle n trääid e̥s si ch no ch ei ns um u nd seid: Ịe̥r heid d’Trï̦wwi o ch im Ofen u nd d’U ntrï̦wwi in der Stŭ̦ben ụsa!

Andere Zwerge rufen: O wie ist der Himel so hejja und d’Untrï̦̆wwi so großi! 118 Dem Zwergenkönig im Wetterhorn aber bricht vor Gram das Herz, und ein Untertan ruft einem andern Namens roui Rinda vom Berg herunter die Totenklage zu:

Ho ho, roui Rinda!
Muggestutz ist g’storben!
Är ist g’storben! är ist g’storben!

Darauf aber heißt es: «Heute hieher und nimmermehr!» In wehmütigem Danke für bisher genossene Freundschaft nehmen die Zwerge des Faulhorns Abschied von den Bewohnern des Gassenbŏdens, die es aus der Idylle des Gebirgs in das kultivierte Treiben des Dorfs hinunter lockt. 119 Nicht so harmlos jedoch räumen sie das Feld, wo es so exemplarische Bosheit wie Verweigerung der Gastfreundschaft in fürchterlicher Gewitternacht zu strafen gilt. Da stellen sich denn auch die 575 entfesselten Elemente selber in den Dienst des bisher Wehrlosen und verliehen ihm Macht, ganze Orte samt den schuldbeladenen Menschen wegzufegen. In diesem Sinn wiederholte sich der Untergang von Roll (Ralligen) 120 an Schillingsdorf, an dessen Platz heute Burglouinen steht. Auch hier gießen die Zwerge gewaltige Wassermassen in die Felsenspalten. Die durch Frost gelösten Trümmer werden vom Schlammstrom eines Hochgewitters talwärts gespült und vernichten Häuser und Hütten, Mensch und Vieh. In letztem Aufflackern des einstigen Mitgefühl riefen sie noch warnend durch den Donner der Felsstürze und das Brüllen der Fluten hindurch:

Schillingsdorf,
Zieh uus mit dinem Volk!
Die Burg ist g’spaltni,
Schlegel u Wegge si g’haltni,
Schillingsdorf muß untergaan!

Morgenstimmung auf der Wanderung von der Schynigen Platte zum Faulhorn.

Gleichwie g’halten (wohl geborgene, unverbrauchte und darum sehr leistungsfähige) Weggen (Spaltkeile) und der eiserne Schlĕgel 576 in energischer Arbeit Holzklötze spalten, so ist die festungsartige Burg über Schillingsdorf infolge intensiven Waltens der Elementarmächte bereits g’spaltni, und zum rettenden Auszug ist es höchste Zeit!

Aber alle ereilte das Verderben; verschont blieb einzig das arme alte Ehepaar, das die Pflicht der Gastfreundschaft nicht verleugnet hatte. Das Häuschen desselben stand etwas über dem Platze, wo jetzt das Schulhaus sich erhebt. Wenige Schritte über demselben liegt der halb hausgroße, freundlich begrünte Zwärglistein. Auf diesem tanzte lustig in jener Gewitternacht das Rache übende Zwerglein bergab und wies ihn mittelst des Ruders in der Rechten an seinen Ort, indes eine in der Linken nachgeschleppte Riesentanne die Felstrümmer und den Schlammstrom vom Häuschen seitwärts ablenkte. 121

 
1  Vgl. Wallis 141.   2  Lehrer Ernst Nobs.   3  Richt. 7, 5 f. Vgl. den Wegerbaschi ( Goms), den Riedbueb im Lötschental ( Wallis 49 ff.), den Graubündner Tschänni (Frauenheim 1907, 438).   4  Vgl. Widmanns ergreifendes Gedicht «Totenvolk».   5   Henne 99 ff. 436; AR. 1815; Wallis 93 f. 169.   6  Vgl. Romangs schönes Gedicht.   7   ÄFG. LIX.   8   Henne 398.   9  Vgl. das Zytgeißli Wallis 123.   10  Vgl. Wallis 170 f.   11  Vgl. Henne 99. 105. 392. 436. Auch Thorr schlachtet und belebt alte Tage seine Böcke, und die Helden Walhallas verzehren alle Tage den Eber Fährimir.   12  Seine Identifikation u. a. mit Pilatus s. Henne 378 und Dübi in einem Vortrag vor dem hist. Verein Bern 1906/7. Vgl. weiter Henne 257 ff.; Wallis 197-199; 200-202; Str. BO. 15 f.   13   JG. Jacob 2, 129 ff.   14  Vgl. Henne 354; JG. Brandis; Lf. 582.   15  So nach Mogk in Pauls Grundriß der german. Philologie.   16  Die zu «Hebamme» umgedeutete ahd. hevianna ist die «Hebende»: Kluge 158.   17  M. Salome, M. Magdalena, M. Kleophä; vgl. Henne 285 ff.   18  KL. von Gertrud Züricher und deren zu erwartende Werk «Ryti ryti Rößli».   19  Also eben das «Marienlied» in sarkastischer Deutung.   20   Tschudi 510 f.; ÄFG. LX; Henne 97-159; Wyß, Idylien 2, 329. 414.   21  Wir verdanken es, gleich den nächsten drei, dem Sammelfleiß des Lehrers Ernst Nobs, nun in Wynau.   22  Urgroßmutter.   23   S. 269.   24   S. 285.   25  Allerdings.   26  Einsetzen des referierenden Konjunktivs.   27  Weit weg von der untern Grenze der Bergschaft, welche «Hinter Itramen» heißt.   28   Ne weiz man = was weiß ich!   29  Als.   30  Bemerke den raschen Wechsel zwischen «er» und «es» (Mandli und Mann), zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen beiden Modi.   31   S. 489; Lf. 405 f.   32  Kleinigkeit «ohne Wert».   33  Da = weil.   34  Der da.   35  Aschenbrödel des Teufels, der die Hölle kehren muß.   36  «Getroffen».   37  Letzten.   38  Zusammenkommen ( trouver les deux bouts) = auskommen.   39  Gut sein lassen, so hingehen lassen.   40  Verschwunden; vgl. S. 142. 300.   41  Sich.   42  Angelehnt da stand.   43   S. 439.   44  Nur getrost.   45  Betontes «ihm», zum Unterschied von unbetontem mu, alt ihmo, ahd. imu.   46  Spezifischer Ausdruck für Übergabe von Vieh zur Besorgung.   47  Aus Bengeln gefertigtes Alpenzaunthor; als Eigenname auch zu Lauterbrunnen.   48  Es verdrießlich zu finden; vgl. S. 267, Note 8 a. «Es ist ihm erleidet», weil er am guten Ausgang zweifelte.   49  Vgl. S. 18.   50  Hier die Schelle ( S. 359) des Tieres, das zur Tränke und Weide vorangeht.   51  Dies mit gebührender Emphase vorzutragen.   52  Nämlich Übles: prägnant wie S. 215 und ö.   53   Stud. P. 34; Leo Melitz, Schweizermärchen.   54   Henne 185 ff. 227; Singer Z. 31.   55   Henne 111. In diesen Kreis gehören Loreley und Erlkönig, die Nixen, welche den «Fischer» magisch hinunter ziehen und die Wesen, um deren willen alljährlich «der See seine Opfer haben will».   56  Vgl, die Literatur bei Singer Z. 29; dazu Henne 159. 165; Wallis 102 f.   57  Vgl. die Literatur bei Singer Z. 80, Note 1.   58  Mhd. ( WB. 3, 902) zir, zar, zâren, gezorn, zeren = reißen, brechen, zerstören. Vgl. «zart» S. 75. 97. 233. 270 und zur Sache die «Blut(adern)­verrenkung» ( bluotirenki) im ersten Merseburger Zauberspruch.   59  Erlenholz.   60  Zermalmen, wobei es knirscht.   61   Henne 141; Wallis 98. 103.   62  Verdunkelt aus «Stutz und Mutza» (Gestutzter und Verstümmelter). Henne 140. Vgl. damit das romantisch klingende «Oberon» ( Auberon aus Alberich), d. i. Elfenherrscher.   63  Pinius 8, 23 bei Singer Z. 30 f.   64   ÄFG. LXIII.   65   Henne 94.   66  Dagegen.   67  Der Teufel der Neugierde ( hen dia dys).   68  Vgl. S. 492.   69   Henne 320 f.; Singer M. 10, 81.   70  Literatur darüber: Singer Z. 25.   71  Vgl. Berd. 4, 255 ff.   72   Henne 125. 148.   73  Ebd. 148.   74  Vgl. Singer Z. 25 f.   75  Ebd. 29, Note 3.   76   Wallis 86-88.   77  Bemerke den artikellosen Eigennamensdativ.   78  Habe es.   79  Gebrechliches.   80  Dummer.   81  Hinauf. Bemerke den gelegentlichen halbvokalischen Anschlag, der umgekehrt öfters (z. B. bei «ja» und «jetz») wegfällt.   82  Konzept von Jakob Nobs.   83   BOB. 83 f.   84   Reise 2, 627.   85   Henne 149.   86  Hier wirklich örtliches «hinter».   87  Ehefrau, Hausfrau.   88  Webstuhl: S. 481.   89   S. 463.   90  Ergänze: an seinem Ende.   91  Schaaren; vgl. S. 78.   92  Einfach, schlicht, dann erst «einfältig».   93  Die um ihren ganzen Wert zur Geltung bringende Frau.   94  Wurden dazu beordert.   95  Vgl. S. 74.   96  Vgl. Wallis 99. («Wie mehr du zatt, je weniger du hatt!»); Henne 202; Dumermuth 13 f. Weitere Literatur bei Singer Z. 29, Note 4.   97   Singer Z. 31.   98  Kollmann: Die Grabhöhle zum Dachsenbühl, nach Weltall II; Singer Z. 24 ff; Hehns Urgeschichte.   99  E 3.   100   Henne 139. 147. 155; Singer Z. 26. 30; Wallis 190; Baltz. 1, 291.   101  Jahn Emm. 62; HÖW. 78 ff; Henne 139.   102   BOB. 74.   103   ÄFG. XLVII.   104   Gusset 36. 45. 66.   105   Goms 61.   106   Gusset 45.   107   Öchsli 16.   108  Kleine Kerle, Wichte (in kosender Schelte).   109  Nämlich eine nach der andern, wie man dies bei den Meischkühen ( S. 338) gerne sieht; vgl. «g’reiset» Lf. 284.   110  Auflaufartiges Gebäck aus Biestmilch; vgl. Briesch Lf. 285.   111  «Ihrer», derselben (sc. von der Torte); fz. en.   112  Bei Seite (näbet si): umdeutend aufgefrischt aus inëben = nëben. Altes « in ëban» hieß: «in gerader» Linie mit etwas, in nächste Nähe von etwas.   113   S. 498.   114  Der «vergünstige» (nur Böses gönnende) «Höllensatan».   115   Ce qu’il lui «fallait», what he «wanted».   116  Bemerke die Fügung.   117   S. 266.   118  Nebenstellung statt Vergleichungssatz. (Vgl. «der Himmel ist hoch und der Czar ist weit».) Auch an den alttestamentlichen Stil sei erinnert.   119   Faulh. 46; Gusset 82; übrige Literatur: Singer Z. 31, Note 1.   120   Wyß 288; Dumermuth 15 f.   121   ÄFG. XXXIX; GlM. 127; Str. BO. 48 f.; Wyß 289 und die Hexamenter in AR. 1813, 210-227.  
 

Siedelungspunkte.

Auch als bloßer Plan, der auf jegliche Andeutung oder gar Zeichnung der Bodengestalt verzichtet, zeigt Straßer’s Wiedergabe des ständig bewohnten Grindelwald, wie fast ausschließlich dessen Bevölkerung sich auf den untersten Talstufen über der Lütschine angesiedelt hat. Augenfällig werden, wo nicht die Vorteile sonniger Einzellage oder die Zwecke des Erwerbs wie z’Mättenberg 1 Ausnahmen veranlassen, die Ufergebiete am Oberlauf des Sammelflusses gemieden (Vgl. S. 128). Wer möchte auch ohne den Zwang der Not an dessen eisigen Windzügen, düstern Nebelherden und regelmäßig bedrohten Über­schwemmungs­stellen den ständigen Wohnsitz aufschlagen? Sie locken gleich wenig wie Gletscherbahnen und Lawinengeleise zur Ansiedelung. Wie anders die sonnigen und windgeschützten Halden des Faulhorngehängs und gewisse Berglehnen des Männlichen, die hi̦lwen Gesenke des Tschuggen, des Lauberhorns, der kleinen Scheidegg! Hier denn auch breiten sich in idyllischer Behaglichkeit Grindelwalds Häuser und Hütten und gruppieren sich, bloß durch die Enge der Ortweid ( S. 16) 2 unterbrochen, zu der immer dichter sich schließenden Umgebung des werdenden Straßendorfs 3 als des Kerns inmitten der Schale.

Als Plänkler gleichsam sendet die ständig bewohnte Talschaft nach der Schwarzhorn­gruppe hinan ihr Einsiedlergehöft under der Flueh, 4 nach dem Röthihorn die fünf Häuser in der Matten, 5 nach der Burg die zwei in der Weid. Zum Itramenberg hinauf streben die Heimwesen 577 des Tschingelbärgs, um im Feißtenboden 6 wenigstens noch eins ihresgleichen neben drei abgegangenen als Wahrzeichen ältester Ansiedlungsart aufzuweisen. Diese «abg.» und diese «unb.» (unbewohnt) reden eine Sprache, die zum Nachdenken auffordert. Wir finden verlassene Orte wie in dieser Höhe von kaum 1200 m ü. M., so auch im benachbarten Ursprung, 7 am Zị̆hlenmaad, 8 zen Bị̈elen, 9 im Spi̦i̦s, 10 uf dem Schopf, 11 am Hŏfstattli, 12 uf dem Blatti, 13 uf der Sulz, 14 z’Horbach, 15 bi’r hëëjjen 16 und bi’r alte n Schị̈ị̈r, 17 ze’n Boimen 18 und am Hohstand. 19 Die vier «unb.» in der Matten 20 und das eine je in der Fŭ̦hre nweid, 21 Chuenzweid, 22 Roßhalten 23 und Stächelegg 24 führen uns wieder auf den beinahe verwaisten Feißtenboden zurück.

Zwischen Schynigen und Horen.

Jungfrau bis Blümlisalp, im Mittelgrund Tschuggen und Männlichen.

Welch ein Merkmal unserer Zeit! D’Lị̈ị̈t laa n si ch sị̈ị̈fe̥rli vo̥răhi. Stufenweise verlegen sie ihre Siedlungen aus der Höhe nach 578 der Niederung, aus dem Revier einsam stiller Alpwirtschaft nach den lärmenden Stätten raschen und leichten Erwerbs. Gerade in der Straßen quetschender Enge, «bei meinen Gästen zur Miete», da bin ich Mensch, da darf ich sein. Auch hierin eine Welt für sich, spiegelt doch Grindelwald mit seiner Wohnsitz­verschiebung im kleinen diejenige seines Amtsbezirts wieder. Die Gemeinde Interlaken ist zwischen 1888 und 1900 um volle 47,7% angewachsen, das übrige Bödeli um fast die Hälfte dieses Betrags. So gewann die Metropole des Bezirks auf Kosten von Berggemeinden wie Saxeten und Isenfluh, denen in unbestimmter Zukunft ein Schicksal zu drohen scheint wie den einstigen Orten «Frienisberg» unter der Bußalpburg, 25 Greichen (Grenchen) bei Wilderswil, 26 Ammerten zu Lauterbrunnen u.a. 27 (Vgl. S. 506.)

Am Sägistalsee.

Welch ein Gegensatz zur Art der ersten Ansiedlung! Die ältesten Alpenbewohner im geographischen Sinne trieb es naturgemäß nach der Alp in deren wirtschaftlicher Bedeutung. Erst der Talfluß schreckte sie 579 von seinen Gestaden zurück, dann von seinen untern Säumen weg der tief heruntergreifende, dichte, von reißendem Wild durchstreifte Wald, dessen untere Grenze emporzutreiben nur der systematischen Arbeit unter großen mittelalterlichen Grundherren gelang ( S. 174). Über welche armseligen Werkzeuge zur Bodenbearbeitung die ältesten Ansiedler verfügten, läßt sich aus dem Inventar ersehen, von welchem noch heute alte Grindelwaldner zu berichten wissen. Eine Sichla zum Schneiden des Hampfe̥lli Hew für die paar Ziegen und die vormals nicht viel größeren Kühlein; ein Houwli (kleine Hacke) von der Größe und Form einer halbwüchsigen Hand ohne Daumen zum Bestellen der Gerstenäckerchen ( S. 269), und dorf­genossen­schaftliches Eigentum von etwa zwei Pickeln und paar Schaufeln bildeten die Folie zum Inventar eines heutigen Flachlandbauers. Damit, samt Axt und Säge, ließ sich bloß das Revier unserer heutigen Alpwirtschaft neben dem obern Waldsaum und dessen Vorposten bezwingen.

D’s Reeti.

So wird es mehr als erklärlich, daß und warum wir auch in Grindelwald wie anderwärts die ältesten Ansiedler in der Hëëji zu suchen haben. Kamen zu den erwähnten Gründen noch so günstige klimatische Perioden wie die geschichtlich letztbezeugte um 1540 ( S. 53), so 580 durfte es selbst von recht hoch gelegenen Orten heißen: da ist schon eppa no ch z’sịịn! oder: da cha nn si ch schon eppa no ch sịịn! Stellt Juf im Aversertal (2133  m/ M.) die oberste ständige Winterwohnung dar, 28 trägt der Faulhorngipfel (2683 m) die höchste auch winterliche Gastwirtschaft und die Eura (2805 m) am Südabhang des Matterhorns die gegenwärtig höchste Alpstaffel: 29 wer wundert sich, daß einst das heutige Gassendorf Grindelwalds seinen Gegenpol im Dorf z’Gassen nahe der Faulhornspitze fand! Zwischen dieser und dem Röthihorn, durch beide vor Stürmen und rauhen Winden geschützt, liegt unter dem Gassenhŭ̦bel die 2543-2611 m hohe Einsattelung z’Gassen, gewöhnlicher der Gassenboden geheißen — nach heutiger Schätzung e̥s grị̈ị̈sli chß Winternäst, wie ja schon das 1630 m hohe Mürren heißen muß. Aber selbst Grindelwalds Schattseite verzeigt zufolge zäher Überlieferung deutliche Spuren uralter ständiger Wohnsitze in Bu̦stiglen, der vor Zeiten durch Arvenwaldung ( S. 162) geschützten obersten Wärgistaler­staffel. — In seiner Anlage etwa dem Scheitegg-Oberläger vergleichbar, breitete sich also im Gassenboden das Dorf z’Gassen hin. Ein ähnliches Dörfchen soll auch weiter unten an Bußalp (2175 m): auf dem Burgboden gestanden haben. 30 Sind an dieser letztern Stätte alle Ansiedlungsspuren verwischt, so findet der genaue Ortskenner solche im Gassenboden und desgleichen seit Herbst 1864 in Egriz, sowie an andern Partien der Grindelalp. Dort nämlich, ganz besonders aber i’n Schmĭ̦digen Bĭ̦dme̥rren (1800 m), birgt der Boden mineralische Substanzen, die mit Sicherheit als Schmitte n­schlacken gedeutet werden. Ihr Gemenge von Eisen und Holzkohle deutet auf einstige Bergmannsarbeit, begonnen durch «Bergkelten» 31 und fortgesetzt bis zur Erödung fast aller Wälder der Grindelalp. Noch sicherere Siedelungsspuren bieten jedoch Überreste von Mï̦̆hlinen. Auf solche uralte Mühlen paßt freilich eher das urdeutsche «Quirn» 32 als die römische Lehnform molina oder molinum. 33 Es ist etwa an die Bauermühlen des Oberwallis 34 zu denken, deren senkrechter Wandelboim ohne jegliche Transmission den Läufer als Krönung trägt. Wie überall im Alpen- und Voralpengebiet, 35 finden sich auch u̦f Duft und uf dem Anggistalden Fragmente gehauener Mühlsteine. Reicher ist Grindelwald an hergehörigen Namen: d’Mï̦̆li; 36 Walther z’der Müli 37 (1347), das einstige Heim in der Mï̦̆limatten, 38 die Mï̦̆lihaalta, das Mï̦̆lischïïrli und 581 Mï̦̆ligăden, der Mï̦̆libach 39 und die Mï̦̆libacher als die hinder Mï̦̆libach hausenden urchigsten Grindelwaldner. Ihre äußere Grenze bildet die Mï̦̆lï̦̆brigg 40 nahe dem Chlụụsi und der Mühle, welche hier gestanden hat. Von einer Mühle im Grund lesen wir 1770, von einer solchen am Endwääg 1760. 40a

Im Angesicht des Wetterhorns.

Das Hauen und Schärfen der primitiven Mühlsteine besorgte ein Steinmetz mittelst der Spitzhacke oder des billes. Ein solches bil, dessen Handhabung billen hieß, 41 kann dem Ortsnamen in der Steinbĭ̦llen 42 zu grunde liegen. (Auch Därstetten und das Unteremmental weisen je eine Steinbillen auf.) Noch an manchem ungenannten Ort werden Mühlchen mit einem einzigen Mahlhụụffli (Mahlgang) gemäß der Schall­nach­ahmung des Wortes «Quirn» g’chroosed u nd g’chrä̆schled haan. Eine Anzahl Nachbarn bauten sich da und dort ein gemeinsames Mühlchen solcher Art und betrieben es im Chehr um selbst. Jeder ging mit seinem Sack voll Dinkel hin, hed ụụfg’schï̦tted, d’s Wasser aa nglaan und gmălen, wenn nid schon eina vor ’mu̦ ist da 582 g’siin. Das so vorbereitete Brotgut wurde in einem der Backöfen, deren vor 1892 noch mehrere sich wenigstens in Spuren vorfanden, sogleich verbacken. — Die noch einzig verbliebene Tu̦ffbachmï̦̆li ( S. 583) bezieht nunmehr ihr Backmehl vo n fu̦rt (von auswärts).

Wortbildungen wie Schleif-, Säge- und dgl. Mühle sind der Mundart fremd. Man sagt Saagi ( S. 179) wie Rịịbi ( S. 478) und Bleiki. Eine «Schlịịffi» aber besteht noch heute nicht. Die diesen Namen tragende Sennhütte im Bachläger heißt vielleicht so, weil in der Nähe Schleifsteine gebrochen wurden. Ja man kennt sogar den von Hand umdrehbaren Troolstein erst seit wenig Jahrzehnten, weil man bislang mit dem abziehstein­ähnlichen Rịịbstein aus Tonschiefer vom Bachläger sich begnügte.

Noch höher oben als hier schauten also die ersten Bewohner Grindelwalds hinunter auf die Stätten der spätern «Dörfer in Nebel und Rauch.» Wie lange wohl? Darauf weiß die Sage Antwort: Es chlịị ns Meidschi ist an ’em Morge n frị̈ei — es ist Wïï nmannend (Oktober) gsịịn — ze’m Brunne n g’gange n si ch gă n wäschen. Aber angänds (sofort) is’ ’s umhi ze’m Ätti inhi und hed ei ns i n d’s andra grïefd: Eh, Ätti, e̥s ist eppḁs uf dem Wasser wie Glas, und i ch weiß nid was! Aber dem Ätti hed das naadist nịịd gfallen! Är hed gwißd, daß vor aalten, aalte n Zịịte n d’s ganz Taal voll’s Ịịsch ist g’sịịn. Und es ist ’mu̦ e n Traan i n d’s Oig g’schossen, und är hed g’seid: Chind, das ist Ịịsch! Die rụụhe n Jahr wein umhi choon, mier mịeße n vorăhi! 43 — In Gemeinschaft mit dem rauher werdenden Klima trieben auch drohend vermehrte Steinschläge und Lawinenstürze die Bevölkerung talwärts. 44

Die Sage weiß sogar den Namen des so weise vorausschauenden und auch demgemäß handelnden Mannes vom Gassenboden. Es ist der nämliche Gịịdi (Gideon), nach welchem der Kern des heutigen Dorfes und damit der Mittelpunkt der Talschaft Grindelwald benannt ist. Schade nur, daß «Güdißdorf» (1275, 1302), «Güdißdorf» (1669) als Ort erst 583 so spät historisch erscheint, und daß Personennamen wie Uolricus und Heinricus de Güdisdorf (1275, 1302, 1345) 45 bloß unter Leibeigenen figurieren. Wie weit das Geltungsbereich des Namens sich erstreckte, läßt sich an Hand der Tradition vermutungsweise wie folgt feststellen. Gịịdi 46 baute sich sein Haus auf dem Platze, wo jetzt Tewse n Mä̆ddi’s Haus steht. Von hier aus erstreckte sich der Name Gịịdisdorf 47 allmählich auf den Zuwachs der jetzigen alte n Post und den «Adler» sammt dessen Umgebung. Gịịdi selbst suchte aber als Kolonist 48 westwärts weiter zu dringen, wie die angefangene Sage dartut: Duḁ sịịge n s’ drŭ̦ber ahi. Duḁmals wä r’n denn u̦nna inha, wa jetze n d’s Duftli 49 ( S. 438) ist, ẹn großa Wald gsịịn, und da hätte n s’ (bei Gịịdi’s Tod) dḁrdï̦ï̦r ch g’wä̆ged’s g’hä̆ben bis da, wa ’mu̦ ’mu̦ («man ihm») jetzen am Endwääg 50 seid. Da hei n s’ en Brunne n funden, und da hei n sie si ch duḁ ei nmmal aa nfḁn ei ns (zunächst einmal, vorläufig) still g’hä̆ben.

Duftbach-Mühle.

Den Namen Dorf konnte gemäß der ältesten Bedeutung 51 bereits die einzige älteste Niederlassung Gịịdis tragen. (Vgl. auch das Gidisdorf 584 zu Lauterbrunnen.) Von einem der Haufendörfer vollends, wie die ebenen Ackerbau­gegenden sie aufweisen, oder von einem Gassendorf der Rebgelände 52 braucht keine Rede zu sein. Eher gemahnt an Gidisdorf das einst so blühende Schillingsdorf ( S. 575). Die Bezeichnung der heutigen Metropole unserer Talschaft als Dorf im heutigen Sinn ist dagegen erst neuern Datums. 53 Wohl gibt es eine Dorfstraß, von deren Enden man ostwärts dï̦r ch d’s Dorf inhi, westwärts dï̦r ch d’s Dorf ụsi geid. Allein die doppelte Gasthausreihe der Straße entlang rechtfertigt es ebenso gut, daß Fremde aus der Peripherie behufs Geschäft oder Kurzweil nach dem Zentrum als «in die Stadt» gehen. Die Einheimischen, welche ụụßendï̦ï̦r ch wohnen, reden dagegen noch heute weder von der «Stadt» noch vom «Dorf». Vielmehr unterscheiden sie die erst jetzt immer mehr zusammen­wachsende Einheit des letztern immer noch nach seinen einzelnen Ansiedlungs­kernen. Ja wenn einer das Geltungsbereich eine dieser Namen über die historische Gebühr ausdehnt, so ist es gerade nicht das «Gydisdorf» einiger Kartographen, sondern vielmehr das westlich angrenzende Duftli. 54 Nach der dort blühenden Krämerei führte den alten Mühlebacher etwa noch ein Abendgeschäft; er beschleunigte dann schon im Vormittag sein Tageswerk, damit ihm die Zeit lange, um z’Hand i n d’s Du̦ftli zu kommen. Jüngere dehnen nun aber die Geltung des Namens bis auf den «Bären» aus. Damit geraten allmählich Partien wie an Stotzhalten links und uf dem Underpfand rechts (Buchdruckerei mit Umgebung), d’s nï̦w Hụụs (just das älteste Haus, dessen Unterbau seit 1905 durch eine Reihe stattlicher Kaufläden ersetzt ist), d’s groß Hụụs (stand gegenüber dem « Hôtel Bear») in Vergessenheit. Wenn man hier durch die alte enge Gasse deṇ Grăden nimmd oder aber über das neuere Straßenstück de n Chehr machd, gelangt man ze’ n Stä̆dlen, wo noch bei Mannsgedenken Stä̆dle n-Hilti (Hiltbrand Burgener) hauste. Die Abgrabung des kleinen, südlich vom Schịịbersbŏden sich hinziehenden Hŭ̦bels schuf Platz für die Gasthofreihe bis zum Post- und Telegraphen­gebäude gegenüber der Kopfstation der Bernerober­landbahnen und der Wengern­alpbahn. Der Bahnhof und das Bahnhof-Hotel ersetzten 1892 das seit 1528 bestehende alt Hụụs. Mit Bahnhof und Post beginnt die Fu̦hre nmatta, nach deren geplanter Überbauung das Dorf sich mit Spilstatt und Duftbach zu einem Ganzen zusammenschließen wird.

585 Dann hebt die Spĭ̦lstatt sich auch nicht mehr als der eigene Gemeindeteil ab, als welcher er sich laut Namensbedeutung zu den Gemeinds­versammlungen so sehr eignete. Es ist nämlich hierbei so wenig wie bei dem Spilmättli, der Spilmatten an Bachalp, der «Spilmatt» auf der jetzigen Aarinsel zwischen Interlaken und Unterseen usw. etwa an «spielen» zu denken. Dies ist, außer bei dem importierten Kartenspiel, außer daherigem im Spi̦i̦l sịịn u. dgl., gar kein mundartliches Wort. Es ist dabei vielmehr an alt einheimisches spellen (das heutige bb’richten) zu denken. D’s Widerspi̦i̦l ist «Gegenrede», Widerrede und damit hervorgestelltes «Gegenteil». Das Bịịspi̦i̦l ist «Umrede», 55 erklärende Umschreibung. 56

«Spilstatt» bedeutet also sachlich, dasselbe wie luzernisches «Malters» (Versammlungsbaum, z. B. Linde, Ahorn) und deutsches «Detmold» (Volksversammlung), oder wie aargauisches «Meisprach»: Ort der Maiversammlung gegenüber der des Herbstes. 57 Beides waren «ungebotene Dinge», weil man zu ihnen nicht wie zu den außerordentlichen Versammlungen aufzubieten brauchte. Schon in «Ding», urverwandt mit lat. « tempus» 58 liegt der Begriff «bestimmte Zeit»; von diesem erst leitet sich die Bedeutung der Verhandlung und schließlich die des Verhandelten, des «Obschwebenden», des uns eben jetzt Beschäftigenden. Drum auch gilt «dingen» von Vertragsabschlüssen mancher Art. Der Söldner dinged z’Chrieg. Wer als Akkordarbeiter die Heuernte einer Wiese übernimmt, tued z’hewwen dingen. Daneben hat er vielleicht eine andere Wiese für sich gepachtet oder ’dinged; diese ist also von seinem Standpunkt aus ’dingeti, wie ein gepachtetes Heimwesen ’dinged’s ist. So auch dinged er wohl eine Kuh zwecks Nutzung ihrer Milch; solche wird dem Eigentümer ab’dinged, wie man demselben auch eine Wiese, ein Heimwesen «abdingt». Der Verpächter seinerseits hat das Tier oder das Grundstück z’dinge n g’gään oder wägg’laan; als Arbeitgeber hinwieder hat er z. B. das Einheimsen des Futter z’Lohn verdinged. Dabei hat er dem Übernehmer der Arbeit von Äärist (mit Ernst) oder grị̈ị̈se̥lli ch aa n’dinged, daß er ihm das Futter gut getrocknet einbringe; ja er verabfolgt ihm den Lohn wohl bloß mid dem Ụụsbeding (Vorbehalt), daß ein Sachverständiger 586 die Arbeit gutheiße. Mid Ụụ̆sbeding (ganz besonders) werde darauf geachtet werden, ob alle Glücksfälle des Wetters richtig ausgekauft worden seien. Ist der Arbeitgeber etwa Handelsmann, und hat der Akkordarbeiter dru̦u̦f hin (auf Rechnung des Lohnes) viel Waren Dings (auf Borg) bezogen, so dürfte sogar es Gï̦ntli ( petit compte) Schulden sich als Bilanz herausstellen.

Auch der entgegengesetzte Endknoten der künftigen Dorflinie hat seine politische Bedeutung. Nachdem nämlich lange Zeit reiche und mächtige Grindelwaldner (z. B. der Hansi Gorner S. 249) als Stadhalter (Gemeinds­präsidenten) ihre Wohnungen auch als Grichtsstuben für Zusammenkünfte des Weislig­g’richts (des heutigen Geweinderates) betrachtet hatten, bekam die Gemeinde endlich einen eigenen ständigen Gerichtssitz. Es war d’s alt Tălhụụs neben der Kirche, zugleich Wirts-, Schul- und Posthaus. «Thalhaus» bedeutet ja eben öffentliches Geschäftshaus der Talschaft, wie das «Landhaus» zu Meiringen und zu Saanen das Geschäftshaus der betreffenden Landschaft war, wie die Stadt ihr «Stadthaus» hat (vgl. S. 14). Das nï̦w Tălhụụs am Platz des alten beerbte als Sekundarschulhaus der Gemeinde und als Primarschulhaus des nächsten Umkreises das alte Gemeindehaus noch in mehreren Beziehungen. Es ist Abstimmungslokal, und auf der großen Freitreppe verliest der Gemeindeweibel nach dem Gottesdienst die üblichen Bekanntmachungen. Da derselbe zugleich Betreibungsgehülfe ist, so kann es auch vorkommen, daß man von einem ökonomisch Bedrängten sagt: Där b’săhld denn eppa ei ns uf der Tălhuusstăgen ụụs.

 
1  G 3. 4.   2  C 1. 2.   3  FG 3.   4  H 1.   5  D 1.   6  A 2.   7  A 2.   8  C 4.   9  C 3.   10  C 3.   11  C 2/3.   12  D 4.   13  D 4.   14  G 3.   15  H 2.   16  H 1.   17  H 1.   18  H 1.   19  G 1.   20  D 1.   21  C 1.   22  A 2.   23  A 2.   24  A 2.   25   Wyß 631.   26   Blösch L. 3.   27  Vernaleken, Alpensagen; Osenbr. 6, 266 ff.; Andreas Willi (für Oberhasli); Stebler ( Goms).   28   Pflzlb. Tab. III.   29  Ldw. Ztg. Sept. 1906.   30   BOB. 84.   31   Jahn KB. 323.   32   Hoops 345.   33  Z’Mülinen (zu Gsteig b. I.) ist = «a d molinas» ( aux moulins, alt molins): Mollis, Mols; « ad molina» dagegen ist z. B. Mullen (bei Erlach).   34   Goms 78 f.   35  Ebd. 77; Gfd. 7, 94; Wyß 151; Frutigen 8; Grun. 1, 119.   36  E 2.   37   Font. 7, 263.   38  H 1.   39  G 1-3.   40  G 2.   40a   Ch.   41   Mhd. WB. 1, 126, Nach Grimm (Rechtsaltertümer 58) wäre das Wort weiblich.   42  Die Form «Steinbilton» (1275: Font. 3, 145) zeigt sekundäres -t, etwa wie in (dem nicht hieher gehörigen) «Weichbild», «Unbilden» das -d erst angewachsen ist ( Kluge 399).   43  Das nämliche «Glas auf dem Brunnen» trieb die Bewohner der Burg (d. i. hier: des hohen Horns zwischen den Brienzeralpen Hinterburg und Oltschern) hinunter in das «Töüffental» oder die «Bergstatt», von welcher der Ringgen­berger­brief von 1439 redet. ( Gusset 65.) Vgl. auch Riborrey und seine Tochter: Wallis 128-132.   44  Wehmutvolle Auszugs­geschichten kennt auch das Lötschental, wo der hochgelegene untere Waldrand die ältesten Wohnstätten trug. Auf sie deuten Geschlechtsnamen wie Bellwald, Ambord, Rittler, Rieder, Murmann, Kalbermatten, Ebener, Seeberger. Hinter dem jetzigen Talort in Eisten (was Schafställe bedeutet) lag das Dorf Griin, wo der «Fahn» der gesamten Talschaft zu allfälligem Aufbruch über den Petersgrat gegen die Berner allzeit bereit stand. Allein «das» Ort ist, wie das noch weiter hinten gestandene Dorf Chiehmatten, durch Lawinen und Felsbruch «wägg’schlage’s choon», wie die Bewohner erzählen.   45   Font. 3, 145; 4, 109.   46  Das î dieses Namens reflektiert sich im «Gydisdorf» der heutigen Schreibung. Altes «Güdisdorf» ist «Herstellung» eines vermeintlich entrundeten ü.   47  FG 3.   48   Rothenb. 4/5.   49  F 3.   50  F 3.   51  Goth, thorp (Neh. 5, 16), ahd. thorph (Tatian 124) und dorf (Fragm. th. 13 in Matth. 22, 5), ja auch noch mhd. dorf (Grieshaber 2, 78) bedeuteten Landgut, Feld. Gehöft, Pferch, Markt, Gedränge, Volksmenge führen sowohl auf heutiges «der» wie «das» Dorf. Vgl. lat. turba und Kluge 75.   52  Vgl. Walsers hierauf bezügliche Schrift und Wals. Sch. 105.   53  Wir trafen sie erstmals bei Altm. 15. 36.   54  F 3.   55  Ahd. umbi (= gr. amphi) spaltete sich in die gleich­bedeutenden Sprechsilben um und bi. Die Vorstellung des «Um»gebenden steckt noch ebensogut in der betonten Vollform bii (den Gletschren bii; biier und biier — näher und näher; in der Biilihi (Nähe), wie im halbtonigen bi (bi’m Huus) und im vokallosen b’ ( b’schließen).   56   Mhd. WB. 2, 2, 492. Vgl. ahd. gotspël und engl. gospel: Erzählung göttlicher Dinge, Evangelium. Engl. spell und fz. épeler sind Begriffs­abspaltungen.   57  Vgl. Öchsli 106.   58   Kluge 73.  
 

Der Alpenkamm als Wanderweg.

Das Haus über der ( S. 513 abgebildeten) Jŭ̦de n­wáng­brï̦gg, 1 welches heute den Namen Jŭ̦de nwáng 2 führt, hat darum doch nichts mit einem Sohn Abrahams zu schaffen. Vollends ist von einem «Judenzwang», an welchen die Sprachmeister des topographischen Atlas glauben machen wollten, keine Rede. Das Haus heißt alt und echt grindelwaldnisch Uode nwang. 3 Überhaupt wird sich unter Grindelwalds ständigen Bewohnern schwerlich jemals einer gefunden haben, der ihnen noch stammesfremder wäre als die Romanen. Und auch diese fanden sich 587 im Jahr 1900 unter den 3333 ständigen Einwohnern bloß durch 4 Personen italienischer und 8 französischer Zunge vertreten. Schon dieses Zahlenverhältnis hilft übrigens mit dartuen (beweisen), wie die Söhne des Südens trotz ihrer Unentbehrlichkeit als Bauarbeiter doch als Tschinggen den Einheimischen fremd bleiben. Auch die Bezeichnung Wältsch, sogar im Sinne von «Stockwelsch», gilt längst nicht mehr ihnen, wie dagegen zur Zeit der enetbirgischen Feldzüge im 15./16. Jahrhundert. So ist auch einzig noch die französische Schweiz unser Wältschland, und bloß der verschollene Name «Walcherhörner» für die Viescherhörner weist zurück auf die alte Namensform und Bedeutung von «Walch» als Pilger, Fremdling, 4 eigentlich aber: Gallier. 5 Nicht umsonst hat ja dieser uns so nahe stehende Keltenstamm in unsern «Bergkelten» (vgl. S. 570) seine große historische und sagenkundliche Rolle gespielt.

Mit germanischen Elementen gemischt und daher «Halbgermanen» 6 geheißen, überfluteten die Gallier 7 wiederholt von Frankreich aus Norditalien und das Wallis, bis Augustus (7 v. Chr.) sie in der von ihm geschaffenen und von Vivis bis Innsbruck reichenden Präfektur Wallis-Rätien als römische Untertanen ansiedelte. Der dadurch angeregte lebhafte Verkehr über Furka und Oberalp, welcher in Hausbau, 8 Milchindustrie 9 und andern volkswirtschaftlichen Dingen eine ganz spezielle Alpenkultur schuf, 10 setzte sich auch fort, als Marc Aurel (um 170) Wallis von Rätien trennte und zu Hochsavoyen schlug. Eine Entfremdung der beiden keltoromanischen Elemente brachten erst die Burgunden der Völkerwanderung, welche mit der Westschweiz auch das Wallis besetzten. Hat doch der starke Stamm der Wandilier (Wandalen), zu welchem neben den Burgunden auch die Gothen usw. gehörten, 11 nicht bloß im Thunersee als altem lacus Vandalicus, Wandelsee (1323), Wendelsee, Wendensee, 12 sondern selbst im Wendental, -berg, -gletscher hinter Gadmen 13 seine Andenken hinterlassen. Die Burgunden erhoben das in ihren neuen Siedlungsgebieten vorgefundene Altfranzösische zu ihrer neuen Muttersprache und bewahrten so der Westschweiz ihr Idiom. Erst ihre Stammesbrüder ungleicher Geistesart: die Alemannen, eroberten als die «altdeutschen» Verfechter gut germanischer Volksart und Sprache das Oberwallis 588 dem Deutschtum zurück und setzten die alte enge Verbindung mit dem etruskisch-romanischen Rätien fort. Geborne Kolonisten, waren sie (um 800?) in immer stärkern Vorstößen über Oberhasli und Grimsel ins Oberwallis eingedrungen, 14 hatten sich seiner Hauptpässe (Furka, Gries, Nufenen, Simplon) bemächtigt und es damit den uralt einheitlichen Wirtschaftsgebieten Uri, Schwyz, Glarus, Davos, Bergell 15 zur Seite gestellt. Nun betätigte sich in dem bald übervölkerten engen Hochtal die Expansionskraft des jugendlichen Volks nach allen Seiten. Um 1200 wurde das noch romanisch gebliebene, isolierte Urserntal alemannisiert, und der geniale Bau der «stäubenden Brücke» stellte (um 1220) den Gotthard in handels­politischer Bedeutung dem Simplon zur Seite, ja bald über ihn. 16 Im 13. Jahrhundert entsandten diese Walser (wie der Grindelwaldner für «Walliser» sagt) ihre berühmten Walserkolonien nach Rheinwald und Davos und deren Zweignieder­lassungen. 17 Tirol, Tessin, die «dreizehn» und die «sieben Gemeinden» südlich des Monte Rosa nahmen Walliser auf, und so auch das Berneroberland.

Sehr alte Verbindungen mit Kandersteg 18 vermittelte die seit 1484 so geheißene «Gemmi». 19 Von Münster führte ein Fußweg über das Blatt und die Bernerschluecht nach Grindelwald. 20 Noch eine Reihe anderer nunmehr verschollener Pässe 21 wußten und wagten sich die Walliser zu öffnen. Mit besonderer Zähigkeit aber hält die Überlieferung an der schwierigsten und gefährlichsten Wanderung fest: der Übersteigung des Vieschergrats in den Zeiten des großen Gletscherschwundes um 1540. Noch im Jahr 1712 retteten sich drei Grindelwaldner vor fanatischen Wallisern über diesen Grat, in welchen sie mit schweren Eisbeilen Tritte einhackten. 22 Allein selbst in jenen eisfreien Perioden war die Überschreitung des Kammes und Beschreitung des ganzen Wegstücks 23 ein Werk nur für ausgezeichnete Steiger und Kletterer. 24 Die angeblichen Trauungs- und Taufexpeditionen, auf welche man 25 aus mißdeuteten kirchlichen Eintragungen 26 geschlossen hat, werden von berufensten Ortskennern 27 als jederzeit absolut unmöglich hingestellt. Dagegen galt es 589 wohl verschiedene Male für bedrängte Glaubensgenossen aus dem Wallis, im alten Heim Schutz und vielleicht dauernden Aufenthalt zu suchen. 28

So sind unter den kirchlichen Eintragungen zwischen 1558 und 1605 auch die gut geindelwaldnischen Geschlechter Michel, Burgener, «Brabant» ( Brawand, Braawḁnd) «aus Wallis» vertreten. Wie aber die Schreibform des 16. Jahrhunderts auf die niederländische Provinz Brabant hindeutet, so entspricht die bereits 1343 anzutreffende Schreibung «Born» für das so überaus häufige Grindelwaldner­geschlecht «Bohren» (Bŏre̥n) der niederdeutschen Form für «Brunnen». Die Namen deuten also, gleich wie «Deutschmann» (Tịịtschmḁn) und wie die Herleitung der C hoị̈fmannigen von einem «Kaufmann» aus Straßburg, der ein Sï̦whändler gewesen sei, auf Zuwanderung aus Deutschland über das schweizerische Mittelland hin ans Nordgehänge der Alpen. 29

Datieren diese vereinzelten Einbürgerungen «harkommener Lüte» 30 unter der urchigen 31 Einwohnerschaft vorzugsweise aus dem 14. bis 16. Jahrhundert, so haben dagegen die noch heute im Saastal so zahlreihen «Burgener» (Bŭrgĭ̦ner) an den kolonisatorischen Einwanderungen aus dem Wallis entschiedenen Anteil. Es ist darum von ihnen, wie von den ebenso zahlreichen Bẹrne̥t (Bernhard) und Michel noch anderwärts zu sprechen. Wir reden hier bloß von den einzigen historisch bestimmbaren Zuzügen aus dem Wallis in und durch die Lütschinentäler.

Lötscher gingen noch am 12. Juli 1783 über die Wetterlücke nach ihrem bergmännischen Tagewerk bei Trachsellauinen. 32 Diese freiwillig beschwerliche Bergreise ist ein letzter Nachklang an die alte Leidensgeschichte eines tapfern kleinen Walliservölkleins. Schon 1233 kam das Leetsch, Leetschtal (Lötschental) an die mächtigen und brutalen Herren von Thurn von Niedergestelen; um 1300 kamen dazu das Kandertal, die Gemmi, der Lötschenpaß, die Sefinenfurgge. 33 Die Empörung der zur Verzweiflung getriebenen Leetscher 34 endete leider mit deren vollendeter Knechtung und Zwangs­ansiedlung in verschiedenen Gebieten. 590 Noch im August 1306 hatten zwar neun Lötscher nebst einem Walther von Grindelwald als Freibauern am Brienzerrothorn Güter erworben. 35 Allein im Jahr 1346 verkaufte Peter von Thurn um dreihundert Gulden dem Kloster Interlaken sämtliche in dessen Gebiet angesiedelten Lötscher. 36 Und nun ist es interessant — obwohl wehmutsvoll genug stimmend —, in Gedanken an der Hand einer einzigen Wortfamilie dem wahrscheinlichen Siedelungszuge zu folgen. In umgekehrter Richtung seinen Weg einschlagend, sehen wir beim Dörfchen Mettenberg die Schwarzlï̦̆tschina vom oberen und die Wịịßlï̦̆tschina vom untern Gletscher her sich zur schwarze n Lï̦̆tschinen oder Grindelwaldner-Lütschine vereinigen. Wir folgen der «Lütschen» der ältern Sprache (z. B. 1528) 37 und gelangen durch das Lï̦̆tschĭ̦taal nach Zweilütschinen, wo die schwarze und die wịịß Lï̦̆tschina (Lauterbrunner-Lütschine) zusammenfließen. Wir folgen der letztern aufwärts und sehen auf Lauter­brunner­gebiet u. a. den Lütschenbach sowie die Sefinen­lütschine einmünden. Rechts uns wendend, kommen wir nicht über die Lötschenlücke, wohl aber über das Firnjoch des Lötschenpasses 38 an den Lötschberg. 39 Unweit liegen Lötschengrat und Lötschen­gletscher und erhebt sich das Lötscherhorn (in häufiger Identifizierung mit Bietschhorn, Nesthorn, Baltschiederhorn). 40 Schließlich gelangen wir in das Leetsch, das Leetsche ntaal, das «Lötschental», das alte Liscintal (1238) 41 oder die vallis de Liecht. 42 Den Flußnamen finden wir auch etwa geschrieben: Glütschinen 43 oder Glitschenen 44 (wie Lütschenen). 45 Belangreicher sind für uns die Namen Lï̦̆tschifuhren, 46 «Lütschigrund» (1400), 47 Lütschental und die angeführten Wallisernamen. Ein Lütschental gibt es auch zwischen dem Faulhorn und dem Oberlauf des Gießbachs. Sodann ist die Lütsche̥rren der trübe und träge Aarearm bei Därligen, dessen Fischerei 1323 teilweise dem Kloster Interlaken zufiel.

Eine so große Namensgruppe ruft nach Erklärung,. Solche ist wohl durch «Lischental» (1242) 48 neben «Lütschental» (1368), 49 durch « Lischina» 591 (1252) 50 und « Lyzhena» (1257), 51 sowie das Liscintal (1238) 52 an die Hand gegeben. Überlegen wir ferner Schreibungen wie Schingelberg für Tschingelberg und ideomatische Wechsel wie «Schangnau» und «Tschangnau», wie «erwischen» und «erwütschen»; setzten wir ursprüngliche Mehrzahlformen wie «Zweilütschinen» und die alte Einzahlform «Lütschen» in Parallele mit «Louina» und altem «Loui» ( S. 64); denken wir endlich an Bedeutungs­schattierungen von Ablaut­spielformen, wie Bŏdem und Bĭ̦dem ( S. 14), wie Taal und Dala, Tell und Tellti, Tüela und Tiela, Dohle ( S. 14): so gewinnen wir das Recht, unserer Namensgruppe den Begriff «moosige Niederung» zugrunde zu legen. Der Ursinn von «sich legen» 53 steckt nämlich im alten Verbum «leschen» («Lisch aus, mein Licht!»), das nun mit dem Transitiv «löschen» sich vermengt hat. 54 Mit dem nämlichen «leschen» aber steht Lische, altes lisca 55 insofern in Beziehung, als wir uns recht viele Flußniederungen alter Zeit, «Liegenschaften» im spassigen Gegensatze zu den «Hangend­schaften» 56 des Emmentals, als vorerst unkultivierte Sumpfflächen zu denken haben. Unserer Deutung widerspricht am allerwenigsten das einstige Sumpfgebiet des nun so herrlichen Bödeli vor der Korrektion der Lütschine ( S. 45). Solche mit lauter Moosheu (Liesche) bestandenen Gebiete ließen die ältesten Einwanderer liegen und wählten sich Höhenwohnungen. Das Dorf Grindelwald liegt 80 m hoch über der Lütschine. Die ersten Lötschentaler siedelten sich an den Waldsäumen über der Lonza an. Die mit ihnen in böser Kriegszeit (1366, 1380) verbündeten Leuker aus Loèche, Louèche, alt Lyesch schauen noch heute mit Stolz von ihren Bergdörfern auf die Wiesen und Waldterrassen der tief eingefressenen Dala hinunter. Der «Leugschinenberg» (Lötschberg, S. 590) aber erhebt sich über solche Flächen wie etwa der Piz Palü über den Sumpf ( palus) seiner Umgebung. Allein die Lötschentaler wurden, ähnlich den Grindelwaldnern, durch die Not der Zeit ( S. 582) nach der Lonza hinab gedrängt. Die den Herren von Thurn nun erst recht leicht erreichbaren «Leute der moosigen Niederung», eben die Lötscher, mußten als Geknechtete sich in harter Entsumpfungs­arbeit schulen, um sodann als Kolonisten überall, wo die «Lütschine» von ihnen redet, also auch in Grindelwald, 57 ihr Kulturwerk weiter zu führen. Was Grindelwalds Volksseele an Arbeitsernst, Ausdauer und Ertragungs­fähigkeit aufweist, dürfte zum guten Teil dem Sauerteig dieser Lötscher zu danken sein, deren Geschichte so sehr an Israels Knechtschaft in den Nil- und Eufratländern erinnert.

592 Haben uns Lötscher und Lütschine zu der vorigen sprachlichen Auseinander­setzung auf Grumd einer knappen historischen Skizze geführt, so legen noch andere sprachliche Punkte uns die Erwägung nahe, wie weit sie uns etwa als Zeugen eines alten Zusammenhangs zwischen Grindelwald und Oberwallis über den Alpenkamm hinüber gelten könnten. Wer dächte da nicht vor allem an den entrundeten Umlaut, den wir gerade in der «Lï̦tschinen» und im «Lëëtschtal» zu hören bekommen? Überlegen wir indes, daß die Aaretäler, daß Uri und Unterwalden an dieser Entrundung teil haben und solche selbst auf das geschlossene («Hụ̈ụ̈s», «Hụis») wirken lassen, während jüngere Grindelwaldner sie mehr und mehr ganz aufgeben, so fällt das Argument dahin. Die Entrundung ist ein höchst charakteristischer Zeuge für die «dicke romanische Unterschicht» 58 oder wenigstens die «romanische Durchaderung» 59 des alemannischen Sprachguts in alemannischen Kolonisations­herden, zugleich aber auch für den Einfluß des Französischen auf das Fränkische 60 und Elsäßisch-Baslerische. An den fränkischen «Ourewald» (Odenwald) und zugleich an das lötschentalische «donnderschierig» erinnern sodann das grindel­waldnische g’lĭ̦dnig («g’li̦i̦rnig», gelehrig), Schịịdli (Scheuerchen), Fäädli und Fä̆dschi (Ferkel), Edla (Erle) und andere Annäherungen der Zitterlaut­stellung an die nachfolgende l- und n-Stellung der Zungenspitze. Ebenso ruft odenwäldisches «Fada» (Vater) die Fortis­erweichungen «e̥r warted mid Gidult», «är hed gued g’alped», «heed und gi̦i̦ b als Satzschluß und dgl. ins Gedächtnis.

An französischen Einfluß erinnert auch sehr entschieden die Behandlung des n, welche von der sehr summarischen des Flachlandes so charakteristisch absticht. Der Grundsatz möglichst durchgängigen Festhaltens am gewohnten schriftdeutschen Wortbild gestattet uns nur mit ganz wenigen topographischen Mitteln den unendlich feinen Abtönungen dieses n nachzugehen. Schon das wirklich gesprochene n vor Redepausen kann vom Neuling falsch gedeutet oder überhört werden. Vor Vokalen und dem Hauch, sowie vor den sehr weichen (obwohl stimmlosen, weit oberdeutschen) b, d, g setzt es sich derart durch, daß es vor b zu m, vor g zu wird; dagegen verstummt es vor p, t, gg, geschweige vor dessen Zusammensetzungen ( pf, z, x, k = ggch). R und l machen in dieser Beziehung nach b, d, g unter Umständen ihre vokalische Natur geltend, lassen also das n durch, während sie in isolierter Stellung es abfangen und sich angleichen. Gleich ihnen wirken als Wortanfänge die Dauerlaute f, s und ch, m und n, sowie w und j. I ch gaa n also am Oïgs te nsunntăg mid miine m Brïedren aṇ Grindel u nd vo n dert e nwwägg a n Schscheitegg e n chchlịịn 593 a’n Dorf; de n Rrä̆ge n ffï̦rchte n i ch nummḁ n nịịd, u nd wwen n er de m Bŏden e n Zol le n heej tääti uberdecke n; i ch wollt me̥r ä̆be n jetz en o ch grăd ei ns e n Lletzi aa nrreisen u nd g’se h n, wwie das da geid usw.

Hinwieder weicht der Grindelwaldner dem zu romanisierten s der Walliser («in ï̦nschem Huis sị n Mị̈ị̈sch») so entschieden aus, daß er z. B. im Zuruf an den Mähder «is’ ’s schnitzigs?» ( S. 285) das «ist es», «isch’ ’s» rückwärts assimiliert, auch wo nachfolgendes «schnitzig» zu emmentalischem «isch’ ’sch» einladet. In zwissen für «zwischen» aber meidet er den Einfluß des k in altem zwisk geflissentlich. Genauer scheint wallisischem Lautstand der palatalisierte ich-Laut in einem Satze wie «mier (s)chëmen de nn chọn gă n (s)chääs reihen» zu entsprechen. Allein es handelt sich hier um eine romanische Sprachwelle, welche nicht bloß auch, von Waadt und Freiburg her über Saanen und von da immer schwächer über Frutigen und schließlich über das ältere Grindelwald geflutet, sondern in ähnlicher Weise von der Bretagne aus das Britische beeinflußt hat. 61

Der allgemein deutschen Luft und Fähigkeit zur Anpassung an Fremdes ist es vollends zuzuschreiben, wenn französische Floskeln selbst in das Sprachgut echt deutscher Älperfamilien hinuntersickern. Sogar im Lötschental kommt es vor, daß ein verwöhntes Mamse̥li tŭ̦schoor uf dem Kanabett sitzt; ehboj! Aber wären etwa alle Grindelwaldner vom plăgierren mit welschen Aufputz zu liberierren? D’s Gu̦nträäri! Auch wer sich mit unhandlichen Fremdwörtern gleichwie mit ebensolchen Werkzeugen eppa schlächt ’plassierd ( placé) fühlt und mit ihnen im Grund mordenaálisch, mordenaáls, 62 vermalediit 63 plaageta ist, legt doch dafür e̥n apartiga Gu̦u̦ an den Tag, wenn er eine angesehene Stellung pretendiert. Denn während es mit einem gesellschaftlich Verschätzten wie mit einer wertlos gewordenen Ware nịmmḁ just ist, findet doch jeder es ku̦mood und scharmánt, fẹrwä́nt 64 schëën, ja ịị nfaam schëën, vermöge der Gunst eines g’rẹsëënten Menschen 65 der Peeterlig uf alle Suppe n z’sịịn.

Kulturbrocken! Sie vergleichen sich keineswegs mit echt älplerischen Kulturwörtern wie «Mä́rmita» und «Terrína»: dem Siede- und dem Suppentopf des Lötschentals, der grindel­waldnischen Fätterren ( S. 401) und Fĭ̦sche̥llen (s̆s̆, S. 409), Gepsen und Bränten, dem Goon und der Follen ( S. 391), der Schotten und Si̦rwe̥nden ( S. 400), der 594 Gastren ( S. 420) und dem Stăfel ( S. 309), der zahmen Meischen ( S. 338) und der wilden Mu̦rwenden ( S. 203), wo der romanische Ursprung nur noch dem Kundigen durchsichtig ist.

Gspraachet Führer und Gasthausdiener, gspraachet Kellnerinnen und Ladentöchter beherrschen zu Hunderten das Provinzial-Englisch des heutigen Fremdenstroms und das neuenburgische Französisch fast oder ganz wie ihre Muttersprache, ein Zehntel von ihnen handhabt auch ein Hoo chtị̈ị̈tsch (Schriftdeutsch), das nicht mit allzuviel Halblịịn («Messing», «Mö̆schsch») dartut, eine wie fremde Fremdsprache für uns Schweizer das Bühnendeutsch ist. Der verwandtesten Kompromißsprache widerstrebt aber die urchigi, naturwüchsige Mundart am schärfsten; und ihrer Uniformität widerstreitet die Eigenart jedes noch so engen Lebenskreises, die fort und fort die Eigensprache zu ihrem Gewande wählt, wenn Tracht und wenn Bräuche aller Art vorlängst als überwunden abgetan sind. Wie es daher einerseits ein theoretischer Irrtum ist, Zeugen einstigen Verkehrs wie zwischen Grindelwald und Oberwallis etwa in gruppenweise zusammen­stellbarem statt bloß in sporadischem mundartlichem Gemeingut (z. B. S. 278, 339, 392, 524, 545) suchen zu wollen, so ist es anderseits ein erzieherischer Fehlgriff, gemäß einem durch das Stadtleben vorgetäuschten «Zug der Zeit» einer uniformen Sprachmengerei zuzustreben, statt Mundart und Bühnendeutsch reinlich gesondert zu pflegen. 66 Töricht aber, wie zugleich bedenklich für Charakter und Erziehung ist es, wenn zumal ein Sohn der Alpen, ein Kind der Berge, sich seiner guten heimischen Sprade schämt — oder schämen zu müssen glaubt.

 
1  H 3.   2  H 2.   3  Der Wang ( S. 10) des Uodo. Diese gut ahd. Form verhält sich zu germanischem ath ( Kluge 5) wie uod-il, Uodel (Erbsitz, vgl. Uodalrîch = Ulrich, d. i. durch Erbsitz mächtig) zu ad-al (und edili: edles Geschlecht). Vgl. Graff 1, 148 f. Verwandt ist Otto, Otti in Namen wie Ottenfels, Otteleuen u. dgl.   4   Graff 1, 841 ff.   5  «Gallus» und «Gallier» ist urverwandt mit Wal, ahd. Walach, Wald und walah-isc, wälsch, wältsch. Auch z. B. Guillaume und Willehalm, Wilhelm zeigen diese Spaltung der Doppelartikulation in romanisches g und germanisches w.   6  Die semigermani des Livius (21, 38): s. bei HÖW. 57 f.   7  Als Kulturträger: HÖW. 31-48; 53-55.   8   Gauchat 9.   9  Ebd. 8.   10  Ebd. 18.   11  Wrede bei Stamms Ulfilas 335.   12  Dr. Emil Welti, vgl. Font. 5, 326; Wyß, Idyllen 329.   13   Coxe fz. 1, 280; Wyß 160 mit der unzureichenden Deutung des «Wendensees» aus der Umbiegung bei der «Nase»; vgl. J. v. Müller 1, 15; Etterlin 13-20; Paul. Diac. 2, 3.   14   Gauchat 5. 14.   15   Wals. Sch. 92.   16   Gauchat 14 f.   17  Ausführlich berichtet darüber Coolidge in ÖAZ. 15, 137 bis 141; 148-153.   18   Frutigen 27.   19  Das planum de Gurmilz (1252), der mons de Curmyz (1318); vgl. «Gurmels».   20   Goms 81.   21  Aufgezählt von Wäber in SAC. 1891/92, 272 ff.; Eivisch 37; GlM. 130.   22   Altm. 55; Grun. 1, 87; Zschokke 38/39.   23  Dargelegt bei Altm. 28; Grun. 1, 83; Wyß 463; Stud. Ü. 3, 219; GlM. 135 f.; Wanderb. 81/82, 32; topogr. Blätter «Jungfraumassiv» und «Interlaken».   24   Hugi 49.   25   Wyß 152 und a.   26  Das «von» wurde als ad hoc von dort und dort hergekommen, statt als gebürtig von dort und dort aufgefaßt. ( Wäber SAC. 1880, 496 ff.; Krehbiel 46 f.)   27   Stud. Ü. 1, 175; Brückn. L. g, 15; Cool. 51. 263; JS. CXIII f.; Wäber im SAC. 27, 253 bis 274.   28  So heiratete 1572 eine Anna Zersalzgeben einen Hans Schmid, und 1574 eine Anna Tschugger einen Hans Rieder. Beide Frauen sind aus Zermatt, woher auch die beiden Männer stammen können. ( GlM. 119 f.) Trauungen reiner Walliser finden sich zwischen 1558 und 1605 nicht wenige eingeschrieben; an Trauungen und Taufen «aus Wallis» zeigen die Grindelwaldner Eintragungen einzig zwischen 1557 und 1595 fünfzehn.   29  Vgl. Dändliker 1, 136 ff.   30   Habsb. 1, 227.   31  Zu ahd. erchan ( Graff 1, 468) und got. ärknitha (2. Cor. 8, 8, wo es «Echtheit» bedeutet); vgl. zürch. «urchen» im schwz. Id. 1, 436. Der Grindelwaldner faßt heute «urchig» oft als halbwegs beleidigende Bezeichnung des Hinter­wäldlerischen, «von der Kultur Unbeleckten» auf.   32   BOB. 32.   33   Cool. C. 176 ff.   34   Wanderbild 105 ff.; in äußerst lebhafter Erzählung: Papa Lehner in Gampel.   35   Font. 4, 269.   36   F 7, 217 f.; Cool. C. a. a. O.; A. f. schwz. Gesch. 4, 101.   37  Ämterbücher Interlaken A. 27.   38  Geschichtliches über diesen: SAC. 24, 96; 29, 329; 36, 302; Bern V. 164 f.   39  Es ist der «Lötsch» Merkators (Atlas von 1595; cf. Cool. JS. LXXXVIII; der «Letschenberg», «Lettschen» oder «Lettscher» Stumpfs (347 b); der «Letschberg», «Lötscherberg», «Leugschinenberg» Gruners (1, 123 f. 132; Reise 1, 132 bis 208).   40  Vgl. Stud. Ü. 1, 212 und topogr. Blatt «Gemmi».   41   Font. 2, 176.   42   Abbé Gremaud bei Cool. JS. LXXXVI. Abhandlungen über das Lötschental: Meyer 12; Meyer von Knonau im SAC. 20; Wanderb. 105-7, 286-313; Jegerlehner im «Bund» Nov. 1905 und Steblers neuste Schrift (s. « Lötsch»).   43   Grun. 1, 125.   44  Gabriel Walser, Nürnberg, 1766.   45   Altm. 20.   46  E 3.   47   Reg. 82.   48   Font. 2, 233.   49   F 9, 92.   50   F 2, 352.   51   F 2, 447.   52   F 2, 176.   53   Kluge 241.   54  Vgl. brinnen und brennen, hangen und hängen.   55   Graff 2, 281.   56   Lf. 6.   57  Vgl. Cool. JS. CXIV ÄFG. XLV.   58   Gauchat 11.   59  Ebd. 10.   60  Vgl. Odenwald 195, 260; Hessen 1, 1, 361.   61  Vgl. Gauchat 10. Vgl. z. B. «kiesen» mit choisir und choice.   62  Mischung aus «martialisch» und «mordsmäßig».   63  Vgl. die «vermaledraat» Hara (verdammte Hexe) des Lötschentals.   64   Ferwänt ( fervens, fervent) galt sonst auch als Fluchsurrogat.   65   raisonné, raisonnable i. S. v. manierlich, mit angenehmen Umgangsformen begabt.   66  Vgl. Tappolet: Stand der Mundarten in der dtsch. und frz. Schweiz (Zürich, 1901) mit Stickelberger: Schweizerdeutsch und Schriftdeutsch (Bern, 1905) und (methodisiert) Otto von Greyerz: deutsche Sprachschule für Berner (Bern 1904).  
 

Grindelwald und Oberhasli.

Wie der Alpenkamm als Wanderung diente, so zu Zeiten auch die große Scheidegg. Das Oberhasli sah Grindelwaldner durch Kauf und Tausch weit über den Grat hinüber greifen und die neuen Besitzungen in Bergrechten festlegen. Dafür hielt es sich einigermaßen schadlos durch kleine Kolonisationen auf Grindel­waldnerboden südlich des Grats. Laut Tradition 1 waren es nämlich Oberhasler, welche alte Ansiedlungen am Heidbïel, an Roßalp u. a. in Beschlag nahmen und mit den neuen Nachbarn bald freundlich, bald feindlich verkehrten. Wie überall der Mangel natürlicher Gebietsgrenzen zu Reibereien führt, so galt hier das 595 Übergreifen Grindelwalds weit in die Nordseite der großen Scheidegg hinüber der ganzen Haslergemeinde als ungewöhnlich und darum unbillig. Ein Betrug sollte stattgefunden haben, und an gescheidten Leuten konnte derselbe nur mit Hülfe eines Frevels geübt worden sein. Nach haslischer Erzählung hätte einst durch je einen Vertrauensmann von beiden Seiten eine bessere Grenzregulierung vorgenommen werden sollen. Wo die beiden gleichzeitig Abreisenden sich trafen, sollte die March sein. Da hätte der Grindelwaldner noch südlich des Grats sich die Schuhe mit Erde gefüllt und einen großen Haagge nlëffel ( S. 393), der auch etwa Schöpfer genannt wird, sich unter die Kopfbedeckung gestülpt. Darauf wäre er aus Leibeskräften bis an die jetzt noch bestehende Grenze geeilt und hätte beim «Schöpfer über ihm» geschworen, er stehe «auf Grindewalds Erde». 2 Als die alberne Unterschiebung verbraucht war, hielten Viehdiebstähle eine feindselige Stimmung wach. Unter dieser litten doppelt schwer die in Grindelwald zahlreichen Gotteshausleute Interlakens, weil die mit dem Hasli befreundeten Unterwaldner zu den erbitterten Feinden des Klosters gehörten. Durch seine ganze Geschichte zum Parteigänger Österreichs gemacht, war nämlich das Kloster dem Grafen Otto von Straßberg bei dessen Unterwaldner-Einfall im Morgartenkrieg zu Hülfe gezogen. Verheerend und mordend zogen 1341 3 die Unterwaldner auf die große Scheidegg, sowie nach Habkern und Iseltwald vor. 4 Sennen und Hirten, erzählt der Volksmund, wurden i n d’s Chessi g’stï̦tzd: kopfüber in die Käsekessel voll siedender Schotte geworfen. Allein ein Jüngling vom Chị̈eh­matten­hŭ̦bel lief, trotzdem er einen Stich in den Unterleib erhalten, mit der Follen (dem Seihtrichter als Schalltrichter) nach dem Mï̦̆libach hin und rief nach der Wohnung seines Meidschi’s mit aller Kraft hinüber:

Luugga, Luugga, die gueti Chueh,
Sie mues gägen Underwalde zue!

Das Mädchen erkannte die Stimme, ahnte die Größe der Gefahr und feuerte die eben aus der Kirche strömenden Talleute zur Hülfe an. Der Tag war neblig. Drum hatten die Feinde einen gefangenen Trịịbbueb als Führer verschont und ihm bloß die zugebundenen Beiniga (Hosenbeine) mit Steinen angefüllt. Der schlaue Junge aber führte sie auf schwierigen Kreuz- und Querwegen irre und sang dabei fortwährend 596 sein Lu̦u̦gga! Lu̦u̦gga! usw. Die hiedurch orientierten Talleute hatten nun leichtes Spiel, die Räuber zu überfallen und ihnen das Vieh abzujagen. Noch wehrte sich einer derselben und stach nach einer Kuh. Die schlug in wildem Schmerze so heftig mit einem Hinterfuß auf den felsigen Boden, daß seither auf der Stelle (am Zwirgi) der Chuetritt eingegraben blieb und von der verwitterten Umgebung sich mit unverminderter Deutlichkeit abhob. Der Kuhtritt wurde seither zum Andenken neu ausgemeißelt und ist erst bei der neuesten Weganlage verschwunden. Dagegen zeugen vom stattgefundenen Kampf noch Reste alter Waffen, wie man auch die verschiedenen Mordssti̦ji ( S. 421) an den Stätten des Überfalls noch in einigen Trümmern erblicken will. Das einzig lebendig erhaltene Dokument besteht in dem Unter­waldner­lied:

Es chunnd es Meitelli hurtig här,
Als ob’s i luuter Ängste wär usw.

Dasselbe ist aber so bekannt, ist aus jedem Grammophon gesungen zu hören und in unverstandenen Splittern wie

Die lustige Buebe si niimmeh hie;
Si siin uf de Bärgen u hiete d’Chieh

auch im Unterland verbreitet, daß eine Hersetzung der zahlreichen Strophen in diesem Buche keinen Wert hat.

Heute finden die alten Reibereien zwischen Oberhasli und Grindelwald höchstens etwa noch in Orts- und Sprachneckereien ihre harmlosen Ausklänge. Mu̦ tued enandren e n chlịịn ụụfziehn und ụụstschänzlen (necken), ụụsmachen (ausspotten), verantren (spöttisch nachahmen), ei’m eppḁs umha stĭ̦chchlen oder trï̦mpflen, oder mit gröberm «Schrot» eina uustị̈ị̈flen (scharf verspotten), so daß der Widerpart mid verträajtem Sack (verlegen, beschämt) davongeht. Das wird sich besonders ereignen, wenn einer dem andern a n d’Stanga gfallen: «auf den Leim gegangen» ist, sich ein schlimmes Geheimnis hat entlocken lassen, indem der Gegner ihm’s ụụszëëckd (ihn ausgeholt) oder mu̦ d’Wï̦re̥m us der Năse n ’zŏgen heed. Da kann an einem Scheiteggdorf sich etwa eine kleine Szene abwickeln wie die folgende:

Mier wein ei ns z’sämen hoiren! — «So? Das welltist du wohl al leinig, daß ’s denn umhi leid tääti 5 — U nd we nn’s g grad ei ns oben aha schï̦tteti! Es geid ja nid wịịter wan bis uf d’Hụụt inhi, u denn ri̦nnd’s d’ru̦ber ahi! — «‹Eh, mu̦ mues das o ch annähn! Es hed 597 alls sị n Zịịt, wa n d’s Hăsli d’s Lëffel wäschen ni̦ịd.›» 6 — Wie so? — «Eh, sie läcke n si ab.» — U nd d’Grindelwaldner? Die sịịn nid fï̦r nịịd an der schwarze n Lï̦tschinen daheimen. — «Weist, warum? Sie wäsche n si ch drum u nd schicken ihra Dräck d’s Land ahi.» — Ja, gällt, derthi n wa der Schrịịner ist, wa s’ ’mu̦ die alt Stubestï̦ï̦r fï̦r n es Muster schicke n, we nn s’ en nị̈wwi wei n lla n mmachchen! — «Aber där Hăsler ist o ch en goiha gsịịn, wa mier e n Chääs g’gään hed uf Hinderlachchen ahi z’ferggen, u nd mi ch doch wịịters nịịd b’chennd heed.» — «‹Ja meinst du, wenn äär di ch b’chennd hätti, er hätt der n e n de nn g’gään?!›» — «Was wolltist dḁrmi̦d sä̆gen? Du muest me̥r’s besser z’verstaaṇ gään, i ch verstaan nịịd am besseren Ohr.» — «‹So häb du ei ns e nchlịịn dị ns Schmeckschịịt old dịs Schmeckbëlli 7 hinderhi, das ist der nu̦mmḁ n am Wääg!›» — «Hoo! du̦ bist tẹich ueha choon, fï̦r d’s Folli z’ersteige̥rren, 8 u nd fï̦r mid ’nem Paschi 9 (s̆s̆) e̥m ahi! Acht ei ns, da chunnd grad dịs Meidschi. Gällt, ier wolltid denn z’sä́men 10 Hochzịịt haan, es chosted di ch minder!» — «‹Mach nu̦mmḁn, daß du u̦f dị’m Hŏger uehi nid ei ns alleinig stirbst; old wenn du denn das mache n willt, su̦ gang den n am Tag darvor a n d’Gassa ahi!›» — «‹‹Was b’richtid ier da fï̦r tumms Zïïg! Sä, J̣e̥lli, nimm du ei ns da us dem Dorfgu̦tterli! Und du o ch, Happe̥lli! 11 Aber sịịd me̥r orde̥lli z’sämen! Gäll, J̣e̥lli! Du bist e n Llieba, Loiba, Linda! Säg mer o ch, i ch sịịg’s››» — «‹Ja gällt, du wolltist da umhi ei ns choṇ gă n Zucker schmelzen!›» 12 — «‹‹Ei nmmḁl du hättist ’se̥n e n chlịịn nëëtig. Du g’sehst ja fï̦̆rha, wie das Chuehli, wa es Lantäärnelli g’schli̦ckd heed, u nd d’s Lïecht no ch drịị n ’brunnen hed.››» — «‹Aber du hest um zä̆che n Pfund g’hï̦bsched sịịt fäären. Bist eppḁ chrank gsịịn?›» — «‹‹Das wird di ch eppḁ nid vi̦i̦l aaṇgaan!››» — «‹Eppḁ wwohl! D’s Wịịbe nvolch het ja d’s Jahrs driihundert­fịịfu ndsächz’g Chrankheiti un d im Schaltjahr no ch eini meh.›» — «Chu̦mm du, Mḁrianni, mir weiṇ ga n tanzen.» — «‹Ob ächt? Da wil l i ch doch grăd ei ns choṇ găn achten, wie das welli gaan! Tẹich eppa schëën! Mu̦ seid ja:

Säx Epfla an ’em Schnierli: drii suur und drii sieß,
U d’Grindelwald­meitscheni hein alli chrumm Fieß.›»

«Weist was? gang du ga n schwingen! Du wirs t ’s wohl haan, wie däär, wa g’seid heed: I ch cha nn mi ch nid z’Wehrri wärffen, bis i ch am Rï̦gg bin; 13 aber denn giben i ch de nn vo n mme̥r!» — «‹‹Ịe̥r 598 weid jetze n loib sịịn, gällt Happe̥lli! Und du o ch, J̣e̥lli! Ịe̥r heid ja ewwi Härzi uf der rächte n Sịịten!››» — Eh ja, uf der linge n, wa s’ hi n g’hëëren! — «‹‹Haha! Das ist e n Gspaß, wie alben ịị ns’s Ätti machd, we nn’s seid: Wen n i ch ụsi gaan und umhi inha chŭ̦men, su̦ han i ch kei ns einzigs Haar meh uf dem Hoi pt. Aber sịịd jetze n z’frĭ̦den z’sämen u nd machid’s wie ei ns d’Scheitegger u nd d’Hasler.››» — Wie denn? — «‹‹Eh, das ist e wch ja langist chï̦nds! E n Scheitegger hed uberhi sëllen ga n Sadisfaktion heischen, wĭ̦l d’Hasler uber d’s Horen ụụs 14 geng hei n Geiß g’molhen, wa nid ĭ̦hnen hei n g’heerd. Aber die hein däm Manndschi gued u nd gnueg z’ässen u nd z’trịịhe n g’gään; u nd duḁ wa das umhi ist uber eṇ Grat e̥m uherha hei n choon u nd s’ es g’fräägd hein, wie’s g’gange n sịịgi, heigi där g’seid: Oh, ihna sịịgi newwḁ n grăd nid en bëësa Luft a nchoon, fï̦r de n Lị̈ị̈te n wïest z’sä̆gen.››» — «‹Du meins t’s gued, Meidschi, und der Schluck us dịị’m Ggutterli ist o ch eṇ gueta gsịịn. I ch sä̆gen de̥r f rịị fast Vergält’s Gott.›» — So, aber nid vëllig? 15 — «‹Ja, bi’ n Meidschinen is’ ’s ó ch nid geng vëllig g’meint, we nn si e ’s eine n scho n wei’ n z’gloïbe n tuen u nd grị̈se̥lli fast a nwende n mid ĭhrem Tịịri Tääri. Sie hei n ’s doch im Gheime n, wie die Grindelwaldne̥rra, wa näbe n ’m Pu̦u̦rscht, wa brav b’sahld, trịịhen u nd trịịhen ei ns Schlï̦̆he̥li um d’s andra und darbịe̥ fï̦̆r sḁ sälber sä̆gen:

I triihen de Wiin u lachen i d’s Glas
U teihen: e wietiga 16 Narr ist das!›»

«‹‹Abă! 17 Chu̦mm Du jetzen, J̣e̥lli! B’hï̦et di ch Gott, Happe̥lli!››»

Zwischen solchen Neckereien tauschte man sonst in gemütlicher Plauderei alte Überlieferungen aus. So verpflanzten sich nach der Lütschine hinüber einzelne der achtzig Strophen des Haslerliedes, welches als «Friesenlied» aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammt 18 und übrigens den Friesenliedern der Frutiger und Adelbodner zur Seite steht. 19 (Wird doch selbst auch für die Saaner friesische Abkunft 599 behauptet!) 20 Den historischen Kern dieser Überlieferung können freilich auch alte Grindelwaldner-Namen wie Heinrich und Jans Frieso (1365) 21 nicht enthüllen helfen.

 
1   Wyß 639.   2  Die lockere Fassung verrät die Sage als Kopie einer Überlieferung, die sich z. B. auch im Grenzstreit zwischen Vilters und Wangs im Sarganserland ausgeprägt hat. Hier kommt noch der «Richter» (auch als Haarkamm) ins Spiel. Vgl. auch den Gurnigel­hubelbruch und den Urnerläufer bei Yberg: Henne 61. 353. 235; Wyß 640 und Idyllen 1, 80.   3  Nach Reg. 68: 1342.   4   Font. 4, 644; Öchsli 353.   5  Schlecht Wetter käme.   6  Abwaschen der Milchlöffel in gewöhnlichem Gschirli­wasser macht diese unappetitlich schwarz.   7  Vgl. S. 185.   8  Wortspiel mit «Follen» (Milchtrichter) S. 391 und «voll» (betrunken).   9  1. Sebastian, 2. Vierschröter, 3. Dummkopf.   10  Nicht etwa eins nach dem andern.   11  Kaspar (im Oberhasli).   12  Süß tun.   13  Auf dem Rücken liege. Mit altem an = auf (gr. aná) vgl. den Sprachgebrauch, der uns ( S. 303) in « an der Alp», a d’Alp, an Grindel u. a. aufgefallen ist.   14  In einem Grenzgebiet: S. 7.   15  Auch dem Grindelwaldner ist fast zur Bedeutung von «beinahe» abgeflacht. Nur selten hat es ihm noch die Bedeutung von «sehr». Er antwortet etwa auf die Frage «Siid er flugs fertig mid ewwer Arbeit?» «‹Grad nid fast!›» Wie dagegen z. B. der Frutiger «griiselli fast» danket, so auch der Oberhasler «fii fast». Fast ist ja die (ursprünglich abverbiale) Schwesterform zu fest, wie «hart» zu hert, und fast wie hert werden i. S. v. «intensiv» angewendet; ebenso wecheln unter sich die Komparative fester und härter, um eine Ungewißheit zu einer Wahrscheinlichkeit zu erheben. Är ist fester oder härter tood. Vgl. etwas «erhärten».   16   S. 102, Note 13.   17   à bas! Fort mit solchem Gerede, solchem Zeug! «Nieder damit!» Vgl. «den Kummer niederschlagen».   18   Strettl. LXXXIII; Wyß 836.   19   Wall. 49.   20   Brienz 107.   21   Font. 8, 629. 639.  
 

Chrueg.

Gelblich-weißer, irdener Krug mit blauer Bemalung (Simmental).


 << zurück weiter >>