Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
einen einen Nutz, dank welchem der Grindelwaldnerbauer ụụsa mag (Geldanlage und Arbeitsaufwand sich rentieren sieht), erblickt derselbe zu einem immer geringern Teil in Kulturpflanzen, zu einem immer größern in selbst gewachsenen Gräsern und Kräutern. Dieses Chrụụd ( S. 239 f.) wird wie im Unterland auf drei Arten g’nutzed: durch Weidebetrieb, durch Einheimsen von Grünfutter und durch Verwandlung desselben in Dürrfutter. Im Alpengelände tritt jedoch die zweite Nutzungsart vor den andern ganz in den Hintergrund. Weidebetrieb und Dürrfutterbereitung aber lassen den Grindelwaldner die gesamte Rasenfläche in folgende vier Arten einteilen. 1. Die Hewgïeter, wozu auch die Heimwesen zählen; die geben den Grundstock der Winterung ab. Sie werden g’hewwed und meist auch g’äämded. Nur in Zeiten der Futternot werden sie im Frühling auch abg’weided oder aber ịị ng’määjd. 2. Die «Weide» oder die Vorsăß; sie wird im Frühling abgeweidet und liefert im Spätsommer noch einen Schnitt Dürrfutter. Ihre Nutzungsart und auch schon ihre Lage macht sie zu einem Mittelding zwischen Hewgued und Alp. 3. Die Alp, die nur beweidet wird. Die Sense kommt dort lediglich in Gebrauch für das Älplerbett und das Tierlager. 4. Das Maad, ein unbeweidbares und geringwertiges Grundstück, dessen spärlicher Heuertrag abgeführt und als Nachferggfueter auf die Heugüter aufgeführt wird.
Die Alpen sind in Grindelwald genossenschaftliches, Heugüter, Mäder und Vorsaße persönliches Eigentum. Die Verteilung dieses letztern ist auch in Grindelwald interessant. Bauernmillionäre wie im bernischen Unterland gibt es hier oben keine. Dagegen fehlt es nicht an 249 Pụụren, die auf dem Komplex eines Seeländergemeindchens zwanzig und mehr Stücke Vieh ferggen (besitzen und besorgen). Schon die hein e n tolli Mittel, 1 es tolls Mittelli, e̥s tolls Sachli! Und was solchem Vermögen Wert verleiht, ist die damit verbundene ebenso tüchtige wie bescheidene Arbeit, die sich vom übertriebenen Selbstbewußtsein einzelner bemerkbar abhebt.
Noch lebt um des letztern Charakterzuges willen der alt Goorni (Gorner) in aller Mund. Ein Taufrodel von Grindelwald verzeichnet ihn 1615 als Stădhalter (Statthalter, Gemeindspräsident). Als solcher gab er den Kollegen im Chorgericht mit seinem gewalttätigen Wesen viel zu schaffen. Der Landvogt von Interlaken beschied ihn endlich vor sich, um ihm anzukündigen, das s är n e̥n dărvo n ghij (vom Stădhalter ghij). Dem von solcher Demütigung Überraschten und Übernommenen schoß eine Träne ins Auge, und die Lippen zuckten; rasch aber rang sich der Besitzesstolz oben auf. Breitschultrig stellte der Mächtige sich vor den Mächtigern hin; auf dem Tisch dröhnte die krampfhaft geballte Faust, und eine Löwenstimme rief: Heißen i ch nịịmmeh Stădhalter Gorni, so heißen i ch no ch Hansi Gorni! I ch han nịịste n sä̆chzähe n jung Meischchïeh 2 im Stall und hundert mu̦tti 3 wịịßi Schaaf, z’Trutz ḁ lso e̥’nem Landvëgtli. 250 Der also Angeredete behielt den Trotzigen in Haft, um ihn freizulassen, falls seine Behauptung sich bestätige. Er ließ nachzählen, und es fanden sich der Schafe hundertundeins: ein Lamm war noch in der Nacht zuvor angestanden. 4
Sympathischer berührt mit seiner tragischen Größe das folgende Seitenstück vom rịịchen Horbi (vgl. S. 313).
Zue d’s rịịhen Horbis Zịịten ist ei ns en großi Hewnood gsịịn. Der Ụụstăg hed nid wellen un d nid welle n choon, u nd mit dem Hew sị n d’Lịịt ụụf gsịịn. Horbi sälber ist o ch nịịd besser dra n g’sịịn wan die andren; är hed o ch nịịmmeh g’hä̆ben. Duḁ hed er ei ns Tăgs en Gäldseckel volla Gäld g’lăden und ist uf d’Hewchoiffe̥ta, old ei nmḁl uf d’Hewsueche̥ta. Aber är hed niena kein Hăle̥m g’wißd z’uberchoon. Duḁ wan er selha 5 umhi ist hei m choon, hed er deṇ Gäldseckel und’r den Ofen under g’rïehrd und hed g’schnăwwed: Gäld ist keis Gued! Spịịs und Hew ist Gued! Dḁrna ch hed är vo n sịị’m halbverhungrete n Veh sächz’g vo’ n gg’ringsten Hoi pten la n z’Tod riehrren und i’ n Wande̥llengrăben ahi schlaan; u nd mit dem Rästen, wa no ch hed më̆gen de n Wääg uberschlịịhen, ist e̥r in Ällouine nwald ŭber und hed ’mu̦ 251 da d’Hälftra ụụfg’schlăgen: 6 schlääd e̥ wch sälber (dï̦r chhi n), 7 i ch han e̥ wch nịịd z’gään! Ander Lịịt hei n’s o ch ḁ lsó g’machd. Dert hed d’s Veh eppḁs Chri̦i̦s u nd Rraag 8 uberchoo n z’frässen und hed ei nmmḁl ni̦d grăd mïeße n verhungren. — Entli ch und ẹntli ch hed mu̦ duḁ ei ns Tăgs aa nfḁn ei ns e n Stier g’heerd liejjen. Duḁ heig en alta Maa n gseid: Sooo! jetz sịị n mme̥r erlëësd! Jetz ist der Ụụstag da! U nd duḁ heig’s e n wwarma Luft uberchoon u nd sịịg in e’ m par Tăge e n Stoos s Chrụụd gsịịn. 9
Im Emmental und anderwärts ist der Pụụr in solch stolzem Wortsinn undenkbar ohne Besitz eines großen arrondierten Guts, das den ebenso stolzen Titel Hof, «Pụ̆re nhof» trägt. Es stimmt dies trefflich zur Grundbedeutung des Wortes: Umschwung. 10 Derselbe kann an sich mit oder ohne in ihm stehende und ihn beherrschende Gebäude gedacht werden. 11 Ersteres ist der Fall z. B. beim Pfarrhof, zu welchem alljährlich das von Staat und Gemeinde gelieferte Hofholz in halb festlichem Zuge geführt wird. Ohne Gebäude — also ähnlich wie die area (Platz, Fläche, Hofraum, Tenne) und die an sie erinnernde ịịnhohli Partie im Arni des Scheidegg Oberlägers — kennt auch Grindelwald den Hof z. B. in der Hofstatt und im Itramer Hofstattli, obwohl dies nun ein Heimwesen — am Hŏstḁttli 12 — ist. Aber mehr. Gemäß der frühesten Ansiedlungsart in der Höhe sind für 252 das Alpenrevier dort auch die ältesten «Höfe» zu suchen. So erklärt es sich, daß wir noch 1272 die Alp Hinterburg am nördlichen Faulhorngehänge als «Hof» oder «Gut» 13 verzeichnet finden. Als dann mit der Wanderung talwärts die Zweiheit des Grundbesitzes als Talgut und als Alprecht (s. « Bärg und Bsatz») sich gemeinrechtlich ausgestaltete, konnte es nicht fehlen, daß der Begriff des «Hofes» von demjenigen des persönlichen Eigentums an Grund und Boden sich auf den des ideellen Anteils, eben des Bergrechts, übertrug. Daher hat noch heute jeder Alpberechtigte sịịn Hof, worunter der Inbegriff seiner Rechte und Pflichten gegenüber der Alpgenossenschaft verstanden ist. In neuem konkreten Sinn heißt dann «Hof» auch der Raum, der dem «Bergteiler» im Seybuch angewiesen wird 14 und sich einigermaßen mit den Soll- und Haben-Rubriken des kaufmännischen Hauptbuchs vergleicht.
Wie bescheiden nun nehmen sich neben solchen Pụụrnen die Pụụre nwịịble̥ni als Witwen aus, welche gleich dem sich so nennenden Grindelwaldner-Pụụrli mit dem Humor des vielbesungenen Brienser-Pụụrli (Brienzer Bäuerlein) mid e m păr Geiße n g’schäftren! Reich ist also ihnen gegenüber bereits der Einer, der für eine stattliche, gute und sorgsam gepflegte Kuh die Mittel besitzt. Gewerbeleuten aber mit kleiner Landwirtschaft besorgen Tăgwanner die immerhin weitläufigen Feld- und Waldarbeiten. Sie verfügen daneben über kleine «Tawnerg’schickli» oder noch kleinere Pachtstücke. Im Jahr 1888 z. B. waren 23 Tagwannern 1818 Aren Pflanzland lehensweise zugeteilt. 15 Doch können auch größere Besitzer in verschiedenen Bergschaftskreisen kleine Landparzellen mit zugehörigen Gebäudeanteilen liegen haben, Auf den Brï̦ggmĕhdren z. B. und 253 den Bortmĕhdren gibt es Zweitels- und Drittelsanteile an kleinen Scheuerchen. 16
So wenig wünschenswert ein Überhandnehmen solcher Zersplitterung wäre: etliha alta Wittwig, etlihi Wittwa und sonst eine «wirtschaftlich schwach» gewordene Person wird durch ihr kleines Talgütchen und damit verbundenes Alprecht immer wieder für Scholle und Haus interessiert; das Eigentumsrecht wird zur wohltätig anregenden und rege erhaltenden Eigentumspflicht.
Die Zerstückelung der Güter veranschaulicht bis zur Aufdringlichkeit die Umfriedung, an welcher freilich auch die Alpläger in hier gleich mit zu behandelnder Weise teil haben. Was für das gesamte Grindelwald die kleine Scheidegg und die große Scheitegg, 17 der Scheid- und der Marchgraben (Wartenberggraben) und der Marbach, für kleinere Komplexe der Rein (Rain) und das Bort 18 (z. B. das Brandsbort an Grindel) sind, das bedeuten für kleinste Umfänge die distanzenweise in 254 den Boden gesteckten Schwĭ̦ren (Pflöcke) und Zĭ̦lte̥ni (Gerten). Grund und Boden der Privaten sind zerschwĭ̦rned, sind «eingezillet» (1662). Geben diese gleich dem Marchstein nur die Ecken und Richtungsweisungen der Eigentumsumfänge an, so schützen die geschlossen verlaufenden Häge und Zäune zugleich vor dem Betreten der eingefriedeten Stücke und halten das Weidevieh innerhalb derselben gefangen. Selten dient hiezu e n llä̆benda Haag, Grïenhaag (vgl. den Grị̈enhaaggrăben) 19 aus Stụdenbuehen (Hagebuche) oder dgl.
Lieber erstellt man, wo nicht die Holzteuerung zur Hut des Weideviehs nötigt, «tote Zäune». In Grindelwald gibt es noch heute drei traditionelle Arten Heeg, deren Abbildung uns vieler Worte überhebt. Die einfachste Art heißt (pluralisch) die Schranki (Einzahl: die Schranka.) Man schranked den Straßen und Wegen entlang. Es werden paarweis gewöhnliche, aus dicken und geraden Tannästen gefertigte und durch Schweiffel unter sich verbundene Hăgistäcken nahe nebeneinander in die Bodenlöcher getrieben, welche das Stäckịịsen als Vorarbeiter hinterlassen hat. Damit sie lieber ahigangen, spitzt man sie auf zähem Klotze unten zu. Als solcher Klotz behandelt zu werden, weigert sich einer, der eine Unbill von sich abwehrt: I ch laa n mme̥r denn da nid Hăgstäcke n spitzen u̦f dem Grind! Die Schranki werden nunmehr, gleich den übrigen Hägen, mehr und mehr in unterbernischer Art ersetzt durch den Lattenhaag, bestehend aus Stï̦̆dlinen (Pfählen) und daran genagelten Latten. Zwischen die Pfähle hinein kommt bei der Schranki ein kürzerer, oben gegabelter Stecken: die Staagla, Haagstaagla. Diese tragen die waagrecht darg’leite n Latti (schmale Bretter) oder die sie ersetzenden Schwaarti (Sägebaumabfälle). —
Die zweite einheimische 255 Zaunart heißt Scharhaag. Die Hăgstäcken stehen hier in wenig entfernten Paaren kreuzweis und also schaar, d. i. schräg 20 gegeneinander. (Man sagt auch sonst von zwei Dingen, die sich im ihrer Richtung kreuzen: das geid schaarswịịs uber n enandren. Um auszudrücken, daß ein Weg oder eine March sich schräg aufwärts erstrecke, sagt ein älterer Grindelwaldner etwa noch: e̥s tued si ch ḁ lsó uehischäären.) Der Kreuzungspunkt der beiden Pfähle bildet die feste Unterlage für die kurzen, schräg liegenden, am andern Ende auf dem Boden aufliegenden Latten, welche Schịịji (Einzahl: die Schịịja 21 ) genannt werden. 22 Bei einigermaßen sorgfältiger Arbeit kommt ein solcher Hag sehr zierlich heraus, braucht aber viel Hĕgi, d. h. zum hăgen erforderliches Material. — Noch größere Ansprüche an Stoff und Arbeit erhebt aber der freilich äußerst elegante Schweiffe̥lhaag. Hier werden je zwei Hăgstäcken einander gegenüber senkrecht eingerammt und durch vier bis fünf über die Höhe hin verteilte Schweiffla fest verbunden. Diese Schweiffla oder Zaunringe tragen die schräg über sie hingelegten Schịịji, soweit nicht diese in dichter Aufschichtung einander selber stützen. Der Schweiffel besteht aus einem jungen Tannast, den man 256 über offenem Feuer bääjd, damit er schön biegsam werde und sich winden ( sweifen) 23 lasse. Da es also der Schweifflen eine Menge bedarf, gehen die Älpler gruppenweise in den Wald gă n schweifflen. Während die einen Tannäste schneiden, lesen die andern das zum anhaltenden Feuer nötige Abfallholz, die Brenni, vom Boden auf. Dann geht’s an die bei allem Brennen der Finger doch gemütlich gepflegte Kunstübung, welche sonder Hast und Überstürzung an einem Tage bis vierhundert und mehr Ringe z’wä̆gen bringd.
Noch in freien Stunden der hohen Alpzeit sieht man etwa plaudernde Gruppen zu friedlicher Einfriedungsarbeit sich begeben: sie gaan găn 24 hăgen, «ein Hag schlachen», 25 oder sie sịịn am Haag ụụfz’gĭ̦ge̥rren (zäunen). Sie wissen auch warum. Zu solcher Arbeit bestehen bestimmte und peinlich genau umschriebene Verpflichtungen. Jeder Bärgteil (Alpgenosse) soll die seinen Kuhrechten entsprechende Strecke Haag bis zur Alpfahrt in guten Stand gesetzt haben. Wer dies versäumt, hat zu bezahlen, was die durch die Pfander angeordnete Instandsetzung kostete.
Es wundert sich nach alledem niemand, noch heute ganz Grindelwald wie jede andere Alpgemeinde und wie ehedem 26 auch die Gehöfte des Unterlandes beinahe von oben bis unten abgezäunt, abg’hăgeds zu finden. Die Vorsaßen und Alpläger sind umzäunt. D’Alpi und d’Vorsassi sịị n von Ort und End ịị ng’hăgetŭ̦, damit man nicht bin aller Gattug Wätter mïeß dem Veh vor dem Grind staan und erfrieren und vernassen. Aber noch vor einem halben Jahrhundert waren auch Heugüter und Pflanzplätze im Tal ịị ng’hăged. Bis zur Stunde deuten auf Stellen, wa ist Haag gsịịn und noch ist, Namen wie «Hagscheur» (1789, eine Vorsaß); wie z’en Hăgibodmen 27 wie under der alten Hăgstatt. «Am Haag» war man auch einmal zwischen Gsteig und Wilderswil; und so hat Appenzell sein Gais 28 usw.
Geradezu malerisch überkleiden sich in Burglauenen Umfassungsmauern — Mị̈ị̈ri, Mị̈ị̈re̥ni — der kleinen Weidebezirke und Pflanzplätze mit Steinbrech, Farrenkräutern, Gräsern, unterbrochen von Haselsträuchern, Weiß- und Schwarzdorn. Vgl. auch den Ort uf der Mụụr. 29
Ein durch Haag eingefriedetes Stück Land ist ein Zụụn. 30 Damit hebt sich der heutige Grindelwaldner Begriff des Zauns an Bestimmtheit vor allen andern 31 ab. In alter Zeit freilich waren «Haag» und «Zaun» 257 sinnverwandte Ausdrücke für Einfriedung wie für Eingefriedetes. Gut mundartlich aber unterscheidet der Grindelwaldner heute den Garteshaag als bloße Umzäunung z. B. vom Zịị̈ndli oder Sï̦wzị̈ị̈ndli, auf welchem sich das Schwein als auf seiner Frühlingsweide vor der Alpfahrt tummelt. Und so verstand man einst als Umhegtes die Ortsnamen im Zụụn, 32 Baalizụụn, Burginers Zụụn, 33 Feïze nzụụn, der Duftlizụụn bei der Schleifbahn zum Eiger, das Haalte nzị̈ị̈ndtli, 34 der Chrụụdzụụn (eine Vorsaß beim Lauchbühl) und noch so viele Zị̈ị̈n, die etwa als Chabe̥sblätz, Setzblätz dienten. 35
Gemalt von R. Münger.
Einen Schritt weiter führt uns der Ịịschzụụn. 36 Der erste Wortteil, der ebenso im Namen der prächtigen Voralp Ịịschbŏden 37 und im einfachen Ịịsch 38 (auch zu Iseltwald) vorliegt, verführte durch seinen Gleichlaut mit mundartlichem Ịịsch für «Eis» die Kartographen zu der sonderbaren Verschriftdeutschung «Eiszaun». Die Mundart hat freilich, indem sie das zu erwartende i̦ an ị tauschte, diese Wortmischung längst zuvor vollzogen, 39 indem sie nach bekanntem Vorgang ein verdunkeltes Wort an ein lebendig erhaltenes anlehnte. In Wahrheit handelt es sich um eine Schwesterform zu «Öösch», «Eesch» und «Etsch». Alles geht zurück auf altdeutsches ezzisc, ezzisch, esch und dies wieder auf «essen». 40 Der Eesch bot also abwechselnd für Mensch und Vieh «Aas» ( âz, Speise) oder z’ässen im noch heute erhaltenen Sinn, womit ein Grindelwaldner zu seinen Stalltieren nach vollzogener Fütterung sagt: Wen n e̥r ni̦m-meh ässe n weid, su̦ mëgd e̥r jetz trịịhen. 41 Wie also auch das Vieh ißd, so «ätzt» es der Hirte: macht oder läßt es essen. Ebenso ẹtzt er (nach so geläufiger Objektsverschiebung 42 ) auch die Weiden und speziell die Alpen 43 als «Ätzweide», 44 als « ethzweida». 45 Von einer 258 unnutzbar gewordenen Stelle sagt man etwa: da hein die Aalte n g’ătzt, wie man auch von g’atztem Hew nach der Frühweide redet. 46
Wie die Tiere von Weid und Brache, aßen die Menden u. a. vom Eesch, vom Öösch, 47 vom «Eetsch», 48 vom Ịịsch 49 als Saatfeld. Das Schicksal veralteter und bloß im Eigennamenschatz wie in einem Museum aufbewahrter Ausdrücke teilt ja mit dem «Ịịsch» auch unser die ganze Gemeinde umfassender Name Grindelwald — zunächst mit seinem erstern Teil. (Vgl. S. 192 f.) Zugrunde liegt all den verhandelten Ausdrücken schließlich der Sinn des Schutzes. «Schutz und Sicherheit» ist aber auch die Urbedeutung des spezifisch germanischen Wortes «Friede». 50 Ganz konkret liegt sie vor in einfachem altem vride im Sinne von Zaun, und in êvride als vorgeschriebener Einhegung der Wiesen und Felder, in den Verben umbevriden und vervriden (umzäunen, verzäunen, ịịnhăgen). Neben dieser Stammform «fri-thu», fridu, vride bietet aber noch eine verwandte Form, welche im Verb frî-djan, frî-ten (hegen, schützen) vorliegt, für unsern Begriffskreis Anknüpfung. Der «Friedhof» (Kirchhof) heißt nämlich gut grindelwaldnisch wie althochdeutsch Frịịthoof. Frịịthoofroosen heißen sarkastisch die nichts Gutes verratenden dunkelroten Wangenflecke eines angehenden Phthisikers, und sein verdächtiges Hüsteln wird als Frịịthoofjụụ chzer gedeutet.
Dementsprechend ist nun auch der «Fridehag» der bernischen Geschichtsquellen 51 von 1364 zu verstehen. Die Umfriedung oder Einfriedung der Alpweiden schützt an gefährlichen Stellen das Vieh vor Sturz oder Rutsch; durch Abzäunung der einzelnen Läger wird vorgesorgt, daß «das Vieh sich nicht verlaufe» und unter unbeschreiblichem Verdruß vielleicht ganze dunkle Nächte lang unter Ungewitter, Regen und Sturm gesucht werden müsse. Die Einhegung der Voralpen und Heugüter, sowie der Gärten, vormals auch der Gemüseplätze und der Saatfelder schützt gegen Eigentumsschädigung durch Mensch und Vieh.
Rechts und links der Straßen, Wege und Fußsteige sieht sich also der Passant durch Heeg in die Gassa gewiesen. Wo er diese durch jene gesperrt sieht, darf er durch Öffnen eines breiten Toors oder eines 259 schmalen Tï̦̆rli und unter Beachtung der dringenden Bitte an gedanken- und rücksichtslose Bummler: d’s Gatter zue! sich Durchtritt verschaffen. Solche Tŏri und Tï̦̆rleni sind zuweilen verewigt in Eigennamen wie: das Hoochtü̦ü̦rli und der Hoochtü̦ü̦rlipaß zwischen Lauterbrunnen und Kandersteg; das Bocke ntoor, welches seinen Namen mit einer ganzen Vorsaßwaldung an Itramen geteilt hat; der Stei ntorwald; das Brandstoor. Die Tore und Türchen erhalten in der Regel genügend feste Anlehnung durch die Toorstï̦̆di zur Linken und Rechten. Zuweilen aber müssen sie dennoch behufs strengerer Abschließung ersetzt werden durch eine Lĕgi: Haglücke, welche durch waagrecht gelegte Stangen gesperrt wird. (Das Wort mischt sich mit der Lägi in «Ruehrlĕgi», «Mittellĕgi»: S. 13.) Wer durchtreten will, muß die Stangen Stück um Stück durch ihre Tragpfähle zur Seite und nachher wieder zurückschieben. Wird auch dies letztere zu häufig unterlassen, so hilft eine primitive Doppelstiege: die Stăpfa (seltener wie im Emmental 52 die Stăpfe̥ta). Nach ihr mögen die Rinderalpen an Grindel: die ober und die under Stëpfi benannt sein.
In der kultur- und weidelosen Zeit bleibt die Lï̦cka (Lücke), Toorlï̦cka, Winterlï̦cka offen. Man hat den Durchgang e ntmachd, um ihn im Vorsommer wieder z’vermachen. So z. B. bei der gefährlichen Chehrlï̦cken in den Chehrbë̆den am Chehrhŭ̦bel auf dem Scheidegg-Oberläger, wo das Weidevieh nicht weiter kann und daher erchehrd, ja wo, ob sie wollen oder nicht, auch «die frächste n Chüeh erwinden».
1
Beispiel von immer noch lebendiger Umwandlung des Plurals in die weibliche Einzahl.
2
S. «
Gedeihen und Sterben» usw.
3
Ungehörnte und damit um so wertvollere.
4
Vgl.
Festzeitung 1899, 2.
5
Solcher (
tel) = als ein so Beschaffener, in dieser Situation Befindlicher.
6
Das Vieh sich selber überlassen (vgl. die «verhängten Zügel» und das «Verhängnis»).
7
Schlagt euch selber durch!
8
S. 285.
9
Aufgezeichnet durch
Roth.
10
Vgl.
Kluge 170.
11
Vgl.
Habsb. Pf. 352.
12
D 4.
13
Gusset 8.
14
Ebd. 12.
15
GlM. 60.
16
So weit wie im Oberwallis (
Goms 64. 74) ist freilich diese Spaltung nicht gediehen. Dort gibt es Bauern, welche an mehreren Dutzenden von Scheuerchen z. B. Dreißigstel-Anteile haben; und die Parzellierung des Landes hat dem Witz gerufen, es müsse einer, um sich mit einer Heubürde zu beladen, den Anstößer um Erlaubnis fragen, auf dessen Grundstück niederknien zu dürfen. Ein Fremder aber soll die Marchpfähle eines offenen Feldes für die Anbindestöcke eines Viehmarktes gehalten haben. Ähnlich im Bergell (
v. T. 84); und auch im Berner-Oberland kann es vorkommen, daß ein halbdutzend Familien sich in den Besitz eines Nußbaumes teilen. Im aargauischen Siggental aber zersägten zwei Brüder einen Fuhrschlitten, eine Stande, einen Grasbogen und eine Schwarzwälderuhr, um redlich teilen zu können. (Emment.-Bl.)
17
Ein für alle Mal sei bemerkt, daß wir gelegentlich der Kürze wegen die «große Scheidegg» als Alp, gemäß deren gut mundartlicher Benennung, einfach als
«Scheitegg» aufführen, die kleine als bloßen Touristenweg dagegen mit dem Schriftdeutschen als
Scheidegg. Die alte Sprache (z. B.
Font. 2, 176. 351 ff.) weist freilich auch für die letztere (z. B. 1238. 1252) die Form «
Scheitecca» auf. Früher (z. B. bei
Wyß 70) diente «Scheidegg» als Appellativ, und man sprach auch von der Sustenscheidegg (
Alpina 2, 185 u. ö.), Grimselscheidegg (
Wyß 794) usw.
18
Lf. 24.
19
A 2.
20
Zu dem ungemein reichen Bedeutungskreis des mhd.
schir schar schăren geschorn (
WB. 2, 2, 148-159), wovon u. a.
schor, schuor (schor),
geschorn (151) und unser «scheeren» sich ableiten, gehört auch: durch Scheren in der Längsrichtung unterbrechen, durchschneiden, woraus der Begriff «quer»,
etwärist (
S. 58), «schräg» sich etwa so herleitete, wie idg.
skel (spalten:
Kluge 316) zu «scheel» und «schielen» führte.
21
Lf.: Scheie.
22
Wurzelhafte Grundform zu «Scheit».
23
Mhd. WB. 2, 2, 785. Vgl. «Umschweif», «ab- und ausschweifen» und die daraus abstrahierte Stammrückbildung «Schweif».
24
Bemerke die syntaktische Einstülpung.
25
Spruchbr. 1559.
26
Vgl.
JG. AB, GG.
27
E 4.
28
Mlat.
gahagis aus ahd.
gahag.
29
E 2.
30
Lehrer
Roth.
31
Auch dem in
Lf. 109 f.
32
F 3.
33
H 2.
34
E 4.
35
S. 264.
36
G 2.
37
J 1.
38
G 2.
39
Vgl. «der Eyßboden» 1789 (
Ger. Gw. 20) und bereits 1275 «
Rudolf de Yse» (
Font. 3, 145) mit dem «Ikschbodeme»
S. 14 u. dgl.
40
Mhd.
izze, az, âzzen, gëzzen (
WB. 1, 759 bis 762) und
g(e)-izze, wozu unser ge-g-essen, erzeugt u. a, «den»
ezzesch oder den
esch, Eesch, d. i. «ein Ganzes von Äckern, welche aneinander liegen und gleichzeitig entweder als Saatfeld bebaut oder als Brachfeld beweidet werden». Neben mhd.
aezen ferner, welches in heutiges «ääzen» ausgewichen ist, weist die alte Sprache die schwachen Verba
atzen und
etzen auf, deren ersteres das grindelwaldnische Partizip
g’atzt abgibt. Vgl. ahd. «ich»
azju und
ezju (
Graff 1, 527).
41
«Fressen» kam erst durch Pressen seiner Bedeutung «ver-essen» = aufessen zum heutigen Gefühlswert, zu welchem das im Unterland parallel gehende «saufen» hier oben noch lange nicht gesunken ist. «Saufen» bedeutet ja im Grund eine spezielle Art des Trinkens (schlürfen; vgl. das mit engl.
to sup auf gleicher Lautstufe stehende «Suppe», und so auch mhd.
sûft = Seufzer neben «seufzen»). Erst die unkritische Vermischung von Schriftsprache und Mundart diskreditiert nun auch unser Wort.
42
Vgl. wie man z. B. erst das Zug- und Schlaggewicht der Wanduhr, dann diese selbst und schließlich sogar die Taschenuhr «aufzieht», auch fz. «
monte», dagegen engl. «
winds up».
43
Font. 8, 600.
44
Gatschet 6.
45
Font. 2, 447 mitten in lateinischem Text.
46
Vgl. Note 29.
47
Vgl. die Flur- oder Öschprozessionen der Walliser, sodann Ortsnamen wie Brandöösch (Trub) und Übertragung des männlichen Geschlechts auch auf den Ösch = die Esche.
48
Vgl. den Saanen-Etsch = Sanetsch nach
Gatschet 4.
49
Wie altes
ezzesch zu
êsch und, mit Auffassung des
ê als Entrundung, zu Öösch wurde, so konnte es sich auch zu Etsch kürzen. Gleichzeitiges
ezzisch aber, zu
izzisch assimiliert, ergab ebenso unser
Iisch. Auch dieses sollte also männliches Geschlecht tragen; allein die ständige Fügung
«im Iisch» mit der Doppeldeutigkeit des «im» läßt heute eher das sächliche Geschlecht des Homonyms Iisch = Eis anklingen.
50
Kluge 119.
51
Font. 8, 600.
52
Lf. 112.