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Die Güter der Freiherrn lagen in einer Ecke des Rosminer Kreises; nördlich hinter dem Walde das deutsche Bauerndorf Neudorf und weiter ab im Osten Kunau. Durch einen breiten Strich Sand und Heideland waren diese Orte von polnischen Gütern getrennt, unter denen die des Herrn von Tarowski die nächsten waren. Im Westen und Süden des Gutes grenzten Kreise mit gemischter Bevölkerung, die Deutschen waren dort stark, reiche Grundherren und große Bauerndörfer saßen unter den Slawen. Im Norden hinter Neudorf und Kunau war ein polnischer Strich, viele kleine Rittergüter, zum Teil tief verschuldet, mit heruntergekommenen Familien.
«Von dort droht uns die größte Gefahr», sagte der Freiherr am Morgen nach dem Markttage zu Anton. «Die Bauerndörfer sind unsere natürlichen Feldwachen. Wenn Sie die Dorfleute dazu bringen, einen regelmäßigen Wachtdienst einzurichten, so müßten ihre Wachen die Kreisgrenze im Norden besetzen, wir würden dann versuchen, eine feste Verbindung mit ihnen zu unterhalten. Vergessen Sie die Fanale und Alarmhäuser nicht. Da Sie mit den Bauern schon so kameradschaftlich verkehrt haben, so werden Sie das am besten besorgen. Mir lassen Sie anspannen. Ich will in den nächsten Kreis fahren und versuchen, uns mit den Gutsbesitzern dort in ebensolche Verbindung zu setzen. Den jungen Sturm nehme ich mit.»
So ritt Anton nach Neudorf. Dorthin waren in der Nacht neue Unglücksbotschaften gekommen. Einige deutsche Dörfer waren von den bewaffneten Banden besetzt, die Häuser nach Waffen durchsucht, junge Leute mitgeschleppt worden. Niemand arbeitete auf dem Felde, die Männer saßen in der Schenke oder standen vor dem Hause des Schulzen, ratlos, jede Stunde einen Überfall erwartend. Antons Pferd wurde sogleich von einem dichten Haufen umdrängt; als der Schulze die Männer in die Gemeindest[*]ube rufen ließ, war nach wenig Augenblicken die Gemeinde vollzählig versammelt. Anton setzte ihr auseinander, was geschehen könne, ihr Dorf vor dem Schrecken eines plötzlichen Überfalls zu schützen: Einrichtung einer Bauernwehr, regelmäßige Wachen an den Dorfwegen längs der Grenze, Lärmstangen, Patrouillen, ein Alarmhaus im Dorfe und Vorsichtsmaßregeln ähnlicher Natur, wie der Freiherr sie ihm angegeben hatte. «Ihr werdet dadurch», fuhr er fort, «unsere, der Nachbarn Hilfe in kurzer Zeit herbeirufen, ihr werdet imstande sein, euch gegen einen schwächern Feind gemeinschaftlich zu verteidigen, gegen einen stärkern schnell die Hilfe des Militärs herbeizurufen. Ihr werdet eure Weiber und Kinder, was euch von eurem Hausrat am liebsten ist, vielleicht auch euer Vieh vor Plünderung und Mißhandlung retten. Es wird keine kleine Beschwerde für euch sein, die Wachen bei Tag und Nacht zu stellen, aber euer Dorf ist groß. Vielleicht wird die Einrichtung in kurzer Zeit durch die Behörde befohlen, es ist sichrer für uns alle, wenn wir nicht darauf warten. Wir können schon in den nächsten Tagen wehrhaft sein.»
Seine eindringlichen Vorstellungen und das Ansehen des verständigen Schulzen brachten die Gemeinde zu einem einmütigen Beschluß. Mit dem Schulzen und einigen vom Ortsvorstande beritt er die Grenzen und bestimmte die Punkte für Wachen und Alarmzeichen. Unterdes entwarf der Schulmeister das Register der Bauernwehr, verzeichnete die, welche zu Pferde, und die, welche zu Fuß Dienst tun konnten, und ließ sich angeben, was von Waffen im Dorfe war. Manche erklärten sich bereit, ein Gewehr zu kaufen. Die jungen Leute des Dorfes faßten die Sache mit Eifer an, die Hausfrauen packten vorsorglich in Kisten und Bündeln das Wertvollste ihrer Habe zusammen. Von Neudorf fuhr Anton mit den Häuptern der Gemeinde nach Kunau; auch dort fand er guten Willen, ähnliche Einrichtungen wurden verabredet und zuletzt besprochen, daß die jungen Leute aus beiden Dörfern jeden Sonntagnachmittag auf das Gut des Freiherrn ziehen sollten, um dort in Gemeinschaft zu exerzieren.
Als Anton nach dem Schloß zurückkehrte, wurden die Verteidigungsmittel des Gutes erwogen. Ein kriegerisches Feuer entbrannte in der deutschen Kolonie. Jeder wurde davon ergriffen, auch die Friedfertigsten, der Schäfer und sein Hund Krambow, welcher durch nächtlichen Vorpostendienst und Patrouillen in einen Zorn gegen fremde Waden geriet, den er sonst an seinem jüngern Gefährten oft beknurrt hatte. Aller Gedanken waren auf gefährliche Werkzeuge gerichtet, was das Gut von Mordwaffen besaß, wurde hervorgesucht. Ach, die Gesinnung war vortrefflich, aber die Schar war klein, es fehlte an diensttuender Mannschaft. Dagegen war der Stab ausgezeichnet. Da war zuerst der Freiherr selbst, zwar Invalide, aber für alle Theorie schätzbar, dann Karl und der Förster, als Führer der Reiter und des Fußvolks, und Anton, nicht zu verachten in der Intendantur und im Festungsbau.
Der Freiherr verließ jetzt täglich sein Zimmer, um in der Mittagsstunde Kriegsrat zu halten, er besprach die Einübung der Bauernwehr, er hörte Berichte über die Bewegung der Umgegend an und sandte Boten nach den deutschen Kreisen. Ein Schimmer von militärischem Stolz glänzte auf seinem Gesicht, er schalt gutmütig die Angst seiner Gemahlin, sprach ermunternde Worte zu den Deutschen, welche ihm nahe kamen, und drohte allen übelgesinnten im Dorf, sie sofort bis auf weiteres einzustecken und auf Wasser und Brot zu setzen. Dem ganzen Hof war die Bewegung anzusehen, als der blinde Herr hoch aufgerichtet mit einer Muskete in der Hand dastand, um dem Förster einige Griffe zu zeigen, und dann das Ohr auf ihn hielt, um aus dem Anschlag der Hand zu erkennen, ob der andere ihn recht verstanden. Auch Anton heftete eine Kokarde auf die Mütze, und seine Rede erhielt einen Anflug von militärischer Strenge; er trug seit dem Tage von Rosmin ungeheure Wasserstiefel, und sein Tritt fiel schwer auf die Stufen der Treppe. Er selbst würde über sich gelacht haben, wenn man ihn gefragt hätte, zu welchem Zweck er die Erhebung des Gemüts an den Beinen ausdrücke. Aber es fragte ihn niemand, jeder erkannte, daß so etwas notwendig war. Und vollends Karl! Er zeigte sich nicht anders als in den Überresten seiner Extrauniform, die er sorgfältig aufgehoben hatte, in Mütze, Schnurrock und einem alten Soldatenmantel. Er kräuselte seinen Schnurrbart und pfiff den ganzen Tag seine Soldatenlieder. Da von den zuchtlosen Menschen des eigenen Dorfes am meisten zu fürchten war, so lud er alle, welche gedient hatten, in der Schenke zusammen und hielt ihnen mit Hilfe des Försters, der als Hexenmeister in großem Ansehen stand, eine mächtige Rede in Kalpak und Dolman, den Säbel an der Seite; er behandelte sie als Kameraden, schlug auf den Säbel und rief: «Wir vom Militär wollen hier unter den Bauern Ordnung halten.» Dann ließ er einige Quart Branntwein aufsetzen und sang mit ihnen leidenschaftliche Kriegslieder. Zuletzt teilte er neue Kokarden aus und nahm sie als Landsknechte der Gutswehr in Pflicht. So befestigte er die rührigsten Leute wenigstens für einige Zeit und erfuhr durch sie, was von Verschwörungsgedanken in der Schenke zutage kam.
Als am Tage darauf die Streitkraft des Gutes vor dem Schlosse gemustert wurde, sahen die Männer erstaunt einander an. Sie alle waren durch die letzten Tage umgewandelt. Der Herr Rentmeister sah aus wie ein wilder Mann, der aus einem fremden Sumpflande heranzieht, wo er tagtäglich bis an die Hüften im Wasser watet. Und die vom neuen Vorwerk kamen angezogen wie Geister aus einer untergegangenen Zeit. Der Förster mit seinem kurzgeschorenen Haar und dem langen Bart, in einem ausgewetterten Rock, mit dem finstern Gesicht voll Runzeln und seinen buschigen Augenbrauen glich einem alten Söldling aus Wallensteins Heer, der zweihundert Jahr im tiefen Walde geschlafen hat und jetzt wieder in die Welt schreitet, weil Unheil und Greuel mächtig werden. Und wenn verzweifelte Gedanken und trotziger Haß gegen den Feind zu einem Wallensteiner machen konnten, so war er auch, was er schien. Wie ein frommer Hussit marschierte der Schäfer neben ihm. Die breite Krempe des runden Hutes hing ihm bis auf den Rücken herunter, ein brauner Ledergurt umschlang seinen Leib, in der Hand hielt er einen Hakenstock, an den er eine glänzende Eisenspitze geheftet hatte. Sein phlegmatisches Gesicht und der sinnende Ausdruck seiner Augen machten ihn dem Waldmann so unähnlich als möglich.
Alles in allem war die bewaffnete Mannschaft des Gutes nicht stärker als zwanzig Mann. Bei dieser kleinen Zahl brauchbarer Leute war es schwer, einen Wachtdienst im Schloß und im Dorfe einzurichten. Jedem einzelnen mußten die größten Anstrengungen zugemutet werden; indes, niemand klagte darüber, alle, auch die Gedienten aus dem Dorfe, waren zu der Art von kriegerischem Werk bereit.
Nachdem die Männer zusammengebracht waren, dachte man an die Sicherung des Schlosses. Um die Hinterseite des großen Gebäudes vor nächtlichem Einbruch zu schützen, ließ Anton einen Zaun aus starken Bohlen von einem Flügel bis zum andern ziehen. So wurde ein ziemlich großer Hofraum eingeschlossen und darin an die Mauer des Hauses ein offener Schuppen angelehnt, wo Flüchtlinge oder die Pferde der Einquartierung im Notfall auf kurze Zeit ein Obdach finden konnten. Da der Unterstock des Hauses sich hoch über den Boden erhob, die Fenster desselben durch starke Holzverschläge geschützt waren und alle Eingänge des Hauses in dem neuen Hofraum lagen, so war der Zugang für Unberufene soviel als möglich erschwert. Der Schloßbrunnen lag außerhalb des eingezäunten Hofes, mitten zwischen dem Wirtschaftshofe und dem Schlosse, deshalb wurde ein großer Wasserbottich in das Schloß gestellt und alle Morgen neu gefüllt.
Auch von Rosmin kam Nachricht. Der Schlosser erschien nach einigen Tagen auf wiederholte Bitten, um die Türen in der Turmhalle und im Hofzaun zu beschlagen und mit starken Riegeln zu versehen. Er brachte kriegerische Grüße von dem Bürgerhauptmann und die Nachricht, daß ein Kommando Infanterie in die Stadt eingerückt sei. «Es sind der Soldaten nur wenige», sagte er, «und auch wir Schützen haben schweren Dienst.»
«Und was habt ihr mit eurem Gefangenen gemacht?» fragte Anton.
Der Schlosser fuhr sich hinter das Ohr und rückte seine Mütze, als er kleinlaut antwortete: «Also, Sie wissen noch nichts? Gleich in der ersten Nacht kam eine Botschaft von den Feinden: wenn wir ihnen den Edelmann nicht auf der Stelle wieder herausgäben, würden sie mit voller Macht anrücken und unsere Scheuern abbrennen. Ich sprach dagegen und unser Hauptmann auch, aber wer eine Scheuer hatte, fing an zu lamentieren, und so kam's, daß sich die Stadt mit dem von Tarow verglichen hat. Er mußte sein Wort geben, daß er mit seinen Leuten nichts weiter gegen die Stadt unternehmen wollte; darauf haben wir ihn über die Brücke geführt und losgelassen.»
«So ist er frei, der falsche Mann!» rief Anton entrüstet.
«Freilich», sagte der Schlosser, «er sitzt wieder auf seinem Gut und hat einen Haufen junger Herren um sich. Sie reiten mit ihren Kokarden über die Felder, gerade wie vorher. Der Tarowski ist ein schlauer Mann, der schließt Ihnen mit einem Federbart jedes Schloß auf, er wird mit allen Leuten fertig. Dem ist nichts anzuhaben.»
Natürlich litt die Wirtschaft unter solchen Rüstungen. Zwar hielt Anton mit Strenge drauf, daß wenigstens das Notwendigste getan wurde, aber auch er fühlte, daß eine Zeit gekommen war, wo die Sorge um das eigene Wohl und Wehe schwindet über der Angst um das Größte, das der Mensch auf Erden besitzt. Die Gerüchte, welche jeden Tag drohender wurden, erhielten ihn und seine Umgebung in einer fortwährenden Aufregung und brachten zuletzt einen Zustand hervor, in dem der Seele die fieberhafte Spannung Gewohnheit ist. Man sah mit einer wilden Gleichgültigkeit in die Zukunft und ertrug das Unbehagen des Tages als etwas Natürliches.
Mehr aber als alle Männer des Gutes zusammen wurde Lenore von dem allgemeinen Fieber ergriffen. Seit jenem Tage, wo sie den abwesenden Anton erwartet hatte, begann für sie ein neues Leben. Die Mutter trauerte und wollte verzweifeln über eine solche Zeit, das junge Herz der Tochter schlug kräftig dem Sturm entgegen, und die Aufregung wurde ihr ein wilder Genuß, dem sie sich leidenschaftlich hingab. Sie war den ganzen Tag im Freien, im raschesten Wetter lief sie in ihren Halbstiefeln zwischen dem Schloß und Wirtschaftshof auf und ab, als Adjutant des Vaters oder als Parteigänger auf eigene Faust. An der Tür der Schenke wurde sie in dieser Zeit so oft gesehen wie der ärgste Schlemmer des Dorfes, denn täglich hatte sie von dem Wirt und seiner Frau etwas zu hören. Seit Karl den Husarenrock trug, behandelte sie ihn mit kameradschaftlicher Vertraulichkeit, und wenn er mit dem Förster verhandelte, so beugte auch Lenorens Haupt sich zur geheimen Beratung. Manche Stunde saßen die drei im Kriegsrat zusammen, in Karls Stube oder auf dem Hofe; mit Achtung hörten die Männer auf den mutigen Rat des Fräuleins und verfehlten nicht, ihre Ansicht zu erbitten, ob es ratsam sei, dem Ignaz, Gottlieb oder Blasius aus dem Dorfe ein Gewehr anzuvertrauen. Vergebens bat und schalt die Baronin die kriegslustige Tochter, vergebens suchte auch Anton ihr zu wehren. Denn sosehr Anton selbst im Eifer war, so wenig gefiel ihm dieselbe Stimmung im Fräulein. Wieder erschien sie ihm zu dreist und heftig, und er deutete ihr das an; dann schmollte sie ein wenig und suchte ihr kriegerisches Interesse vor ihm zu verbergen, aber sie änderte sich deshalb nicht. Sie wäre so gern mit nach Neudorf und Kunau gegangen, um auch bei den Nachbarn Krieg zu spielen, aber Anton, sonst über ihre Begleitung so glücklich, protestierte jetzt eifrig dagegen, und das Fräulein mußte auf seine Bitten am Ende des Dorfes umkehren.
An dem Tage, wo die erste Übung der Gutswehr sein sollte, kam Lenore mit einer Mütze und einem leichten Säbel aus dem Schlosse, zog ihren Pony aus dem Stall und sagte zu Anton: «Ich reite mit.»
«Tun Sie das nicht, Fräulein.»
«Ich will aber», entgegnete Lenore trotzig, «es fehlt Ihnen an Leuten, ich kann so gut Dienst tun wie ein Mann.»
«Aber liebes Fräulein», bat Anton weiter, «es ist so auffallend.»
«Es ist mir gleichgültig, ob es jemandem auffällt», sagte Lenore. «Ich bin stark, ich halte etwas aus, ich will nicht müde werden.»
«Aber vor den Knechten», stellte Anton dawider, «Sie vergeben sich etwas vor den Leuten.»
«Das ist meine Sorge», erwiderte Lenore hartnäckig, «widersprechen Sie nicht, ich will es und damit gut.»