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Bei dem Geräusch des Wagens trat ein Mann auf die Türschwelle und wartete phlegmatisch ab, bis die Reisenden abgestiegen waren und dicht vor ihm standen. Es war ein breitschultriger Gesell mit einem aufgedunsenen Branntweingesicht, in einer Jacke von zottigem Zeuge; hinter ihm steckte ein ebenso zottiger Hund die Schnauze aus der Tür und knurrte die Fremden an. «Sind Sie der Inspektor dieser Güter?» fragte Anton.
«Der bin ich», erwiderte der kurze Mann in gebrochenem Deutsch, ohne sich von der Stelle zu rühren.
«Und ich bin der Bevollmächtigte des neuen Eigentümers», sagte Anton.
«Das geht mich alles nichts an», grollte der zottige Mann in grobem Ton, drehte kurz um, ging in die Stube zurück und verriegelte die Tür von innen.
Anton war empört. «Schlag das Fenster ein und hilf mir den Schurken festnehmen», rief er seinem Begleiter zu. Dieser griff kaltblütig nach einem Stück Holz, schlug auf die Scheiben, daß der morsche Fensterflügel klirrend in die Stube fiel, und sprang mit einem Satz durch die Öffnung hinein. Anton folgte. Das Zimmer war leer, die Kammer daneben auch, von dort führte ein offenes Fenster ins Freie, der Mann war hinausgesprungen. «Durchs Fenster herein und wieder hinaus, wie die Teufel», schrie Karl und sprang dem Flüchtling nach, Anton eilte zurück um das Haus herum. Er hörte Hundegebell und sah, wie Karl über den ungetreuen Haushalter herfiel und ihn unter dem wütenden Gekläff des Hundes am Kragen faßte. Anton sprang zu Hilfe und hielt den Ausreißer fest, während Karl dem Hunde einen Fußtritt gab, daß dieser weit weg auf den Boden flog. Darauf brachten beide den Inspektor, welcher heftig um sich schlug, um die Ecke herum in das Haus zurück.
«Fahr zur Schenke und hole den Gendarm und den Wirt», rief Anton dem Kutscher zu, der unbekümmert um die Händel der Herren unterdes das Gepäck der Reisenden vom Wagen abgeladen hatte. Der Knecht fuhr gemächlich ab, der Flüchtling wurde in die Stube geführt, Karl ergriff ein altes Tuch und band ihm die Hände auf den Rücken. «Entschuldigen Sie, Inspektor», sagte er, «es ist nur auf einige Stunden, bis der Gendarm aus Rosmin kommt, den wir bestellt haben.» Unterdes sah sich Anton in der Wohnung um; außer dem notdürftigsten Hausrat und dem Bett des Mannes war nichts zu finden, weder Bücher noch Rechnungen. Es war kein Zweifel, auch die Wohnung war bereits ausgeräumt. Aus der Rocktasche des Gefangenen ragte ein Bündel Papiere, Anton zog sie dem Widerstrebenden heraus, es waren Verhandlungen und Aktenstücke in polnischer Sprache. Unterdes kam der Knecht mit dem Schenkwirt und dem bewaffneten Polizeibeamten zurück. Der Wirt blieb verlegen an der Tür stehen, dem Gendarm erklärte Anton kurz den Zusammenhang. «Machen Sie eine Eingabe an das Amt», sagte der Gendarm, «und geben Sie mir den Mann auf der Stelle mit. Er soll in Ihrem Wagen nach Rosmin fahren. Es wird am besten sein, wenn Sie sich den Menschen vom Halse schaffen, denn es ist eine schlechte Gegend hier, und er wird Ihnen zu Rosmin sicherer sein als hier, wo er Freunde und Spießgesellen hat.» Aus der Schenke wurde nach langem Suchen ein Bogen Papier herzugebracht. Anton schrieb die Anzeige nieder und legte auf das Ansuchen des Polizeibeamten, der die polnischen Schriftstücke kopfschüttelnd durchgesehen hatte, diese bei; der Gefangene wurde auf den Wagen gehoben, der Gendarm setzte sich neben ihn und sagte vor der Abfahrt noch zu Anton: «Ich habe mir lange gedacht, daß so etwas kommen würde. Sie werden mich vielleicht noch öfter in diesen Tagen brauchen.» So fuhr der Wagen aus dem Hofe, und so verlief die Übernahme des Gutes durch Anton. Er war ausgesetzt, wie auf einer wüsten Insel. Seine Lederkoffer und Reisebedürfnisse standen im Freien an einer Lehmwand, der Schenkwirt des polnischen Dorfes war der einzige Mensch, der ihnen Auskunft geben konnte und Rat schaffen in der unbehaglichen Lage.
Jetzt, da der Inspektor entfernt war, wurde der Wirt gesprächig, er zeigte guten Willen und erbot sich demütig zu allen Diensten. Eine lange Unterredung begann. Das Ergebnis war ungefähr so, wie Anton nach den Warnungen des Justizkommissars Walther und der Beamten zu Rosmin gefürchtet hatte. Der abgeführte Verwalter hatte in den letzten Wochen noch nach Kräften gearbeitet, das Inventarium zu verwüsten; er war sicher geworden durch ein Gerücht, das aus der Stadt in die Dörfer gedrungen war, auch der neue Besitzer werde die Güter nicht übernehmen. Endlich schloß Anton die Verhandlung mit den Worten: «Was jener schlechte Mann veruntreut hat, darüber wird er Rechenschaft ablegen; unsere nächste Sorge ist, festzuhalten, was auf den Gütern noch vorhanden ist. Ihr müßt heut unsern Führer machen.»
So durchsuchten sie den menschenleeren Hofraum. – Vier Pferde mit zwei Knechten – sie waren in das Holz gefahren -, wenige schadhafte Pflüge, ein paar Eggen, zwei Leiterwagen, eine Britschka, ein Keller mit Kartoffeln, einige Wispel Hafer, wenig Stroh – die Aufzeichnung nahm keinen großen Raum in Anspruch; die Gebäude waren sämtlich schadhaft, nicht durch hohes Alter, sondern durch die Gleichgültigkeit der Menschen, welche das Eindringen der Elemente seit Jahren nicht verhindert hatten.
«Wo steht das Wohnhaus?» fragte Anton. Der Wirt führte sie aus dem Hofraum auf den Anger, eine weite Fläche, welche allmählich zu dem Ufer des Baches abfiel. Es war eine große Viehtrift. Die Rinder und Schafe hatten Löcher ausgetreten, die Rüssel begehrlicher Schweine hatten den Boden aufgewühlt, graue Maulwurfshügel und üppige Grasbüschel erhoben sich auf dem Grund. Der Wirt streckte die Hand aus: «Dort ist das Schloß. Dies Schloß ist berühmt in der ganzen Umgegend», fügte er mit Bewunderung hinzu, «ein solches steinernes Haus hat kein Edelmann im Kreise. Die Herren im Lande wohnen hier in Lehm und Holz. Auch der reichste, der von Tarow, hat nur ein niedriges Haus.»
Etwa dreihundert Schritt von der letzten Scheuer erhob sich ein mächtiger Bau von rohen Backsteinen, mit schwarzem Schieferdach und einem dicken runden Turm. Das finstere Mauerwerk auf dem Weideland ohne Bäume, ohne eine Spur von Leben, stand unter dem grauen Wolkenhimmel wie eine gespenstige Festung, welche ein häßlicher Geist aus den Tiefen der Erde gehoben hat, um von ihr aus das grüne Leben der Landschaft zu vernichten.
Die Männer traten näher heran. Das Schloß war zur Ruine geworden, bevor die erbauenden Handwerker ihre Arbeit vollendet hatten. Seit uralter Zeit hatte an dieser Stelle der unförmliche Turm gestanden, er war aus großen Feldsteinen gemauert, mit kleinen Fenstern und Zuglöchern. Die alten Herren der Landschaft hatten von seiner Höhe aus die Wipfel der Bäume gesehen, welche damals wohl noch weiter in die Ebene hineinreichten; sie hatten von dort als strenge Herren mit den Leibeigenen geschaltet, die vor ihren Füßen das Land bauten und für sie arbeiteten und starben. Mancher Sarmatenpfeil war durch die kleinen Fenster auf den ansprengenden Feind herabgeflogen, und manches anstürmende Tatarenpferd war zurückgeprallt vor der feindlichen Steinmauer. An diesem grauen Turm hatte vor vielen Jahren ein Despot der Landschaft zur Buße für begangene Sünden die Mauern eines Klosters aufgerichtet. Aber das Kloster war niemals fertig geworden, und lange hatten die Mauern zwecklos dagestanden, bis der verstorbene Graf sie zu einem Herrenhaus für sein Geschlecht ausbaute. Er wollte einen Prachtbau aufführen, wie die Umgegend keinen andern kannte.
Die Front des Hauses war so an den Turm gemauert, daß er in ihrer Mitte stand und aus der geraden Linie im Halbkreis vorsprang, zwei Flügel des neuen Baues gingen auf den Bach hin. Es war die Absicht gewesen, eine hohe Rampe vor dem Schloß aufzuführen, der Haupteingang war in den Turm eingeschlagen und ausgewölbt worden, aber die Rampe war nicht aufgeschüttet, und die steinerne Schwelle der Haustür lag weit über Manneshöhe in der Turmmauer, ohne Leiter nicht zu betreten. Keine Tür verschloß die große Öffnung. Die Fensterlöcher des untern Stocks wiesen noch die rohe Mauer, sie waren mit Brettern notdürftig verschlagen, im oberen Stock waren einzelne Fenster mit künstlichen Rahmen von gedrehtem Holz verziert, und große Scheiben hatte man eingefügt; aber wieder zerschlagen. In andern Fensterlöchern hingen Notrahmen aus rohem Kiefernholz mit kleinen trüben Glasaugen. Auf der Zinne des Turmes saß eine Gesellschaft Dohlen und blickte verwundert herab auf die fremden Männer, zuweilen flog eine mit lautem Schrei auf und ließ sich an einer andern Stelle des Daches nieder, um wieder auf die Unwillkommenen herabzustarren.
«Ein Haus für Krähen und Fledermäuse, aber nicht für Menschen», rief Anton. «Noch sehe ich keinen Zugang zu diesem Räuberschloß.» Der Wirt führte sie um das Gebäude herum. Auf der hintern Seite, wo zwei Flügel die Form eines Hufeisens bildeten, waren niedrige Eingänge zum Erdgeschoß und den Kellern, dort unten waren Ställe, große gewölbte Kochräume und kleine Zellen für die unfreien Diener. Von dem Anger aber lief eine Holztreppe hinauf in das untere Stockwerk. Knarrend bewegte sich die Tür in ihren Angeln, ein schmaler Gang führte durch den Seitenflügel in die Räume des Vorderhauses. Dort war alles in großen Verhältnissen angelegt und auf eine reiche Ausstattung berechnet. Die runde Vorhalle, ein Gewölbe des alten Turms, war mit bunten Marmorstücken mosaikartig gepflastert, aus ihr sah man durch die große Türöffnung hinaus ins Freie. Eine breite Treppe, wie für ein Königsschloß, führte in den oberen Stock. Hier wölbte sich eine zweite runde Halle mit kleinen Fensterlöchern, das zweite Stockwerk des Turms. Zu ihren beiden Seiten lag die Reihe der Zimmer. Überall hohe wüste Räume, schwere eichene Flügeltüren und schmutzige Kalkwände; die Decken waren aus dicken Fichtenstämmen gezimmert, die im Schachbrett ineinandergefügt waren, in einigen Stuben standen ungeheure grüne Kachelöfen, in anderen fehlten die Öfen ganz, in einigen war der Fußboden kunstvolles Täfelwerk, in andern knorrige Kiefernbretter; ein großer Saal mit zwei riesigen Kaminen für Klafterscheiter hatte eine Notdecke von alten Latten. Das Schloß war angelegt für einen wilden asiatischen Hofhalt, für Tapeten von Leder und Seide aus Frankreich, für kostbare Holzbekleidung aus England, für massives Silbergerät aus deutschen Bergwerken, für einen stolzen Herrn, für zahlreiche Gäste und für eine Schar leibeigener Knechte, welche die Hallen und Vorzimmer anfüllen sollten. Der Erbauer des Schlosses hatte an das reichliche Leben seiner wilden Ahnherren gedacht, als er den Bau ausführen ließ, er hatte dafür Hunderte von Stämmen aus seinem Wald niedergeschlagen und seine Leibeigenen mit ihren Beinen und Händen viele tausend Ziegel geknetet; aber die Zeit, die unerbittliche, hatte ihren Finger aufgehoben gegen seine Pläne, und nichts war lebendig geworden, was er gehofft hatte. Er selbst war verdorben und gestorben während des Baues, und sein Sohn, ein Kind der Fremde, hatte den Untergang seines Erbes, so sehr, als einem Unsinnigen möglich, im fernen Lande beeilt. Jetzt standen die Mauern des Slawenschlosses mit geöffneten Türen und Fenstern, aber kein Gastfreund sprach im Eintreten dem Hause seinen Glückwunsch, nur wildes Geflügel flog aus und ein, und der Marder schlich neugierig über die Balkenlage. Nutzlos und häßlich standen die Mauern, sie drohten zu zerbröckeln und zu zerfallen wie das Geschlecht, das hier gehaust hatte.
Anton ging mit schnellen Schritten aus einem Zimmer in das andere, vergebens hoffte er einen Raum zu finden, in dem er sich die beiden Frauen denken konnte, welche auf diese Wohnung wie auf ein letztes Asyl hofften. Er öffnete alle Türen, er stieg über die knisternden Treppen in die Höhe und wieder herunter, er störte die Vögel auf, welche durch die Öffnungen eingedrungen waren und noch an den Nestern des letzten Sommers hingen; aber er fand nichts als unwohnliche Räume mit schmutzigen Kalkwänden oder rohen Mauern, überall Zugluft, klaffende Türen, verblindete Fenster. In dem großen Saale war etwas Hafer aufgeschüttet; einige Zimmer des Oberstocks mochten früher zum notdürftigen Aufenthalt für Menschen gedient haben, schlechte Stühle und ein roher Tisch war alles, was sich von Möbeln vorfand.