Gustav Freytag
Soll und Haben
Gustav Freytag

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Der Freiherr von Rothsattel gehörte zu den wenigen Menschen, welche nicht nur von aller Welt glücklich gepriesen werden, sondern auch sich selbst für glücklich halten. Er stammte aus einem sehr alten Hause. Ein Rothsattel war schon in den Kreuzzügen nach dem Morgenlande geritten. Wenigstens wurde in der Familie ein Rokoko-Flakon von buntem Glas als orientalisches Fläschchen aufbewahrt, zum Beweis für die Existenz des Ahnherrn und zur Erinnerung an die fromme Zeit der Kreuzzüge. Ein anderer Rothsattel hatte einen Haufen Bergleute gegen die Hussiten geführt und war mit dem ganzen Haufen zu seiner und des Herrn Ehre erschlagen worden. Wieder einer war Fähnrich in dem Heere des Moritz von Sachsen gewesen, er galt für den Stifter der Linie Rothsattel-Steigbügel, und sein kriegerisches Bildnis hing noch im Turmzimmer des Schlosses. Ein anderer hatte sich im Dreißigjährigen Kriege bei verschiedenen Armeen und auf eigene Faust gerührt; die Familiensage meldete von ihm, er sei ein sehr dicker Herr und ein großer Trinker gewesen, von kräftiger Suade und etwas freien Sitten. Er war als erster des Geschlechtes in die Gegend gekommen, in welcher diese Erzählung verlaufen soll, und hatte eine Anzahl Landgüter auf irgendeine Weise in Besitz genommen. Unter den Kinderfrauen der Familie bestand seit alter Zeit die düstere Überzeugung, daß dieser dicke Herr zuweilen im Keller auf einer großen Krauttonne zu sehen sei, wo er als ruheloser Geist sitze und ächze, zur Strafe für schauderhafte Vergehungen gegen die Tugend seiner weiblichen Zeitgenossen. Wieder ein anderer Vorfahre war kaiserlicher Rat zu Wien gewesen; der Urgroßvater des gegenwärtigen Besitzers war von dem großen König der Preußen starr angesehen und darauf mit Wohlwollen angeredet worden. Auch der Großvater war zu seiner Zeit ein unternehmender und vielbesprochener Kavalier gewesen, der in der Armee keine Lorbeeren gefunden und sich resigniert hatte, diese im Boudoir galanter Damen und am grünen Tisch zu suchen. Leider waren ihm dabei seine Güter lästig geworden und aus den Händen geglitten. Sein Sohn endlich, der Vater des gegenwärtigen Besitzers, war ein einfacher Landedelmann von mäßigem Geiste, der nach langen Prozessen das eine stattliche Gut aus den Trümmern des Familienvermögens rettete und sein Leben damit zubrachte, dasselbe für seine Nachkommen schuldenfrei zu machen. Die Rothsattel haben von je in dem Rufe gestanden, starke Nachkommenschaft zu hinterlassen, und alle älteren Damen aus der Familie erklärten diese Eigenheit – so höchst achtungswert sie auch sonst sei – doch für den einzigen Grund, daß das berühmte Haus nicht dazu gekommen war, die neunzinkige Grafenkrone oder gar den geschlossenen Reif eines Titularfürstentums auf dem Wappenhelm seines Seniors zu sehen. Gegenüber dem alten Brauch seines Hauses erwies der Vater auch dadurch seinen bescheidenen Sinn, daß er nur einen Sohn hinterließ.

Der gegenwärtige Besitzer des Gutes hatte in einem Garderegiment gedient, wie dem Sproß eines so kriegerischen Hauses ziemte. Er hatte dort den Ruf eines vollendeten Edelmanns erworben. Er war brauchbar im Dienst und ein vortrefflicher Kamerad gewesen, wohlbewandert in allen ritterlichen Übungen, zuverlässig in Ehrensachen. Er hatte bei Hofbällen stets schicklich dagestanden und, sooft er von einer Prinzeß befohlen wurde, mit guter Haltung getanzt. Auch als Mann von Charakter hatte er sich gezeigt, da er aus wirklicher Neigung ein armes Hoffräulein heiratete, eine liebenswürdige junge Dame, deren Abgang aus den Quadrillen des Hofes lebhafte Betrübnis in allen Männerherzen hervorrief. Mit seiner Gemahlin hatte sich der Freiherr als verständiger Mann in die Provinz zurückgezogen, hatte durch eine Reihe von Jahren fast ausschließlich für seine Familie gelebt und dadurch den Vorteil errungen, daß seine Regimentsschulden sämtlich bezahlt und seine Ausgaben nicht größer waren als seine Einnahmen. Sein Haus war vortrefflich eingerichtet; die geringe Aussteuer seiner Frau war dazu benützt worden, ihr durch Einrichtung des Parks eine große Freude zu machen. Der Freiherr hielt einen guten Weinkeller von guten Tischweinen, hatte zwei prächtige Wagenpferde und zwei elegante Reitpferde, ging jeden Morgen durch die Wirtschaft und ritt jeden Nachmittag aufs Feld, hielt viel auf seine Schafherde und setzte einen Stolz darein, seine feine Wolle gut waschen zu lassen. Er war ein durchaus ehrlicher Mann, noch jetzt eine imponierend schöne Gestalt, verstand würdig zu repräsentieren und einen gastfreien Wirt zu machen und liebte seine Frau womöglich noch mehr als in den ersten Monaten nach der Vermählung. Kurz, er war das Musterbild eines adligen Rittergutsbesitzers. Er war kein übermäßig reicher Herr, ungefähr das, was man einen Fünftausendtalermann nennt, und hätte sein schönes Gut in günstigen Zeiten wohl um vieles höher verkaufen können, als der scharfsinnige Itzig annahm. Er hätte das aber mit Recht für eine große Torheit gehalten. Zwei gesunde und fähige Kinder vollendeten das Glück seines Haushaltes, der Sohn war im Begriff, als Militär die Familienkarriere zu beginnen, die Tochter sollte noch einige Jahre unter den Flügeln der Mutter leben, bevor sie in die große Welt trat.

Wie alle Menschen, welchen das Schicksal Familienerinnerungen aus alter Zeit auf einen Schild gemalt und an die Wiege gebunden hat, war auch unser Freiherr geneigt, viel an die Vergangenheit und Zukunft seiner Familie zu denken. An seinem Großvater war die trübe Erfahrung gemacht worden, daß ein einziger ungeordneter Geist hinreicht, das auseinanderzustreuen, was emsige Vorfahren an Goldkörnern und Ehren für ihre Nachkommen gesammelt haben. Er hätte deshalb gern sein Haus für alle Zukunft vor dem Herunterkommen gesichert, hätte gern sein schönes Gut in ein Majorat verwandelt und dadurch leichtsinnigen Enkeln erschwert, zwar nicht Schulden zu machen, aber dieselben zu bezahlen. Doch die Rücksicht auf seine Tochter hielt ihn von diesem Schritte ab, es kam seinem ehrlichen Gefühl ungerecht vor, dies geliebte Kind wegen künftiger ungewisser Rothsattel zu enterben. Und er empfand mit Schmerz, daß sein altes Geschlecht in der nächsten Generation in dieselbe Lage kommen werde, in der die Kinder eines Beamten oder eines Krämers sind, in die unbequeme Lage, sich durch eigene Anstrengung eine mäßige Existenz schaffen zu müssen. Er hatte oft versucht, von seinen Erträgen zurückzulegen, indes die Gegenwart war dazu wirklich nicht geeignet; überall fing man an, mit einer gewissen Reichlichkeit zu leben, mehr auf elegante Einrichtung und den zahllosen kleinen Schmuck des Daseins zu halten. Und was er in günstigen Jahren etwa gespart hatte, das war auf kleinen Badereisen, welche die zarte Gesundheit seiner Frau nach der Behauptung des Arztes notwendig machte, immer wieder ausgegeben worden. Der Gedanke an die Zukunft seiner Familie beschäftigte den Freiherrn auch heut, als er auf seinem Halbblut durch die große Kastanienallee dem Schlosse zusprengte. Es war eine sehr kleine Wolke, welche unter dem Sonnenschein seiner Seele dahinfuhr, sie verschwand im Nu, als er Gewänder vor sich flattern sah und seine Gemahlin erkannte, welche mit der Tochter ihm entgegeneilte. Er sprang vom Pferde, küßte sein Lieblingskind auf die Stirn und sagte vergnügt zu seiner Frau: «Wir haben vortreffliches Wetter zur Heuernte, es wird nach Kräften eingefahren, der Amtmann behauptet, wir hätten noch nie so viel Futter gemacht.»

«Du hast Glück, Oskar», sagte die Baronin, zärtlich zu ihm aufblickend.

«Wie immer seit siebzehn Jahren, seit ich dich heimgeführt habe», antwortete der Gemahl mit einer Artigkeit, die vom Herzen kam.

«Heut sind es siebzehn Jahre», rief die Baronin, «sie sind vergangen wie ein Sommertag. Wir sind sehr glücklich gewesen, Oskar.» Sie schmiegte sich an seinen Arm und sah dankend zu ihm auf.

«Gewesen?» fragte der Freiherr. «Ich denke, wir sind's noch. Und ich sehe nicht ein, weshalb es nicht weiter so fortgehen soll.»

«Berufe es nicht», bat die Baronin. «Mir ist manchmal, als könnte so viel Sonnenschein nicht ewig währen; ich möchte demütig entbehren und fasten, um den Neid des Schicksals zu versöhnen.»

«Nun», sagte der Freiherr gutmütig, «das Schicksal läßt uns auch nicht ungezaust. Die Donnerwetter fehlen uns nicht, aber diese kleine Hand erhebt sich zur Beschwörung, und sie ziehn vorüber. Hast du nicht Ärger genug mit dem Haushalt, den Tollheiten der Kinder und zuweilen mit deinem Tyrannen, daß du dir mehr ersehnst?»

«Du lieber Tyrann!» rief die Baronin. «Dir danke ich dies Glück. Und wie fühle ich es! Nach siebzehn Jahren bin ich immer noch stolz darauf, einen so stattlichen Hausherrn zu haben, ein so schönes Schloß und ein so großes Gut, wo jeder Fußtritt des Bodens auch mir gehört. Als du mich, das arme Fräulein mit meinem Fähnchen und dem Schmuckkästchen, das ich der Gnade der Herrschaften verdanke, in dein Haus führtest, da erst lernte ich erkennen, welche Seligkeit es ist, im eigenen Hause als Herrin zu regieren und dem Willen keines andern zu gehorchen als dem des geliebten Mannes.»

«Du hast doch vieles aufgegeben um meinetwillen», sagte der Freiherr. «Oft habe ich gefürchtet, daß unser Landleben dir, dem Günstling der verstorbenen Prinzeß, zu einsam und klein erscheinen würde.»

«Dort war ich Dienerin, hier bin ich Herrin», sagte die Baronin lachend. «Außer meiner Toilette hatte ich nichts, was mir selbst gehörte. Immer in den langweiligen Stuben der Hoffräulein herumziehen, an allen Abenden zu der letzten Rolle verurteilt sein und dabei die Angst haben, daß das immer so fortgehen soll, bis man alt wird in ewigen Zerstreuungen, ohne eigenes Leben! Du weißt, daß mich das oft traurig gemacht hat. Hier sind die Überzüge unserer Möbel nicht von schwerem Seidenstoff, und in unserm Saal steht keine Tafel aus Malachit, aber was im Hause ist, gehört mir.» Sie schlang ihren Arm um den Freiherrn: «Du gehörst mir, die Kinder, das Schloß, unsere silbernen Armleuchter.»

«Die neuen sind nur Komposition», warf der Freiherr ein.

«Das sieht niemand», erwiderte seine Gemahlin fröhlich. «Und wenn ich das Porzellan ansehe und am Rande dein und mein Wappen erblicke, so schmecken mir unsere zwei Schüsseln zehnmal so gut als die vielen Gänge der Hofküche. Und vollends die großen Hoftage und unsere Marschallstafel, wo jeder den andern zum Verzweifeln genau kannte und jeder dem andern zum Verzweifeln gleichgültig war.»

«Du bist ein glänzendes Beispiel von Genügsamkeit», sagte der Freiherr. «Um deinetwillen und wegen der Kinder wollte ich, dies Gut wäre zehnmal so groß und unsere Einnahme so, daß ich dir einen Pagen halten könnte, Frau Marquise, und außer der Wirtschafterin ein paar Hoffräulein.»

«Nur kein Fräulein», bat die Baronin, «und was den Pagen betrifft, so braucht man keinen, wenn man einen Kavalier hat, der so aufmerksam ist wie du.»

So schritt der Freiherr behaglich zwischen den beiden Frauen dem Schlosse zu. Lenore hatte sich unterdes der Zügel seines Reitpferdes bemächtigt und redete dem Pferde freundlich zu, so wenig Staub als möglich zu machen.

«Dort hält ein fremder Wagen, ist Besuch gekommen?» fragte der Freiherr, als sie sich dem Hofe näherten.

«Es ist nur Ehrenthal», antwortete die Baronin, «er wartet auf dich und hat bereits seinen ganzen Vorrat von schönen Redensarten an uns verschwendet; Lenore ließ ihrem Übermut die Zügel schießen, und es war hohe Zeit, daß ich sie wegführte; dem drolligen Manne wurde angst bei der Koketterie des unartigen Kindes.»

Der Freiherr lächelte. «Mir ist er immer noch der liebste aus dieser Klasse von Geschäftsleuten», sagte er, «sein Benehmen ist wenigs[*]tens nicht abstoßend, und ich habe ihn in dem langen Verkehr stets zuverlässig gefunden. – Guten Tag, Herr Ehrenthal, was führt Sie zu mir?»

Herr Ehrenthal war ein wohlgenährter Herr in seinen besten Jahren, mit einem Gesicht, welches zu rund war, zu gelblich und zu schlau, um schön zu sein; er trug Gamaschen an den Füßen, eine diamantene Busennadel auf dem Hemd und schritt mit großen Bücklingen und tiefen Bewegungen des Hutes durch die Allee dem Baron entgegen.

«Ihr Diener, gnädiger Herr», antwortete er mit ehrerbietigem Lächeln. «Wenn mich auch nichts herführt von Geschäften, so werde ich Sie doch bitten, Herr Baron, daß Sie mir manchmal erlauben, herumzugehen in Ihrer Wirtschaft, damit ich in meinem Herzen eine Freude habe. Es ist mir eine Erholung von der Arbeit, wenn ich komme in Ihren Hof. Alles so glatt und wohlgenährt und alles so reichlich und gut eingerichtet in den Ställen und in den Scheunen. Die Sperlinge auf dem Dach sehen bei Ihnen lustiger aus als die Sperlinge von andern Leuten. Wenn man als Geschäftsmann so vieles erblicken muß, was einen nicht erfreut, wo die Menschen durch ihr Verschulden in Unordnung kommen und Verfall, da tut's einem wohl, wenn man ein Leben sieht wie das Ihre; keine Sorgen, keine großen Sorgen zum wenigsten, und so vieles, was das Herz erfreut.»

«Sie sind so artig, Herr Ehrenthal, daß ich glauben muß, etwas recht Wichtiges führt Sie her. Wollen Sie ein Geschäft mit mir machen?» fragte der Freiherr gutmütig.

Mit einem Kopfschütteln, wie es dem biedern Mann ansteht, wenn er einen ungerechten Verdacht von sich abweisen will, antwortete Herr Ehrenthal: «Nichts vom Geschäft, Herr Baron! Die Geschäfte, die ich mit Ihnen mache, sind solche, wo man sagt keine Artigkeiten. Gute Ware und gutes Geld, so haben wir es immer gehalten, und so wollen wir's mit Gottes Hilfe auch ferner halten. Ich kam nur herein im Vorbeifahren» – dabei bewegte er nachlässig die Hand, um pantomimisch zu bekräftigen, daß er nur im Vorbeifahren sei -, «ich wollte fragen wegen des Pferdes, das der Herr Baron zu verkaufen haben. Es ist einer im Dorfe daneben, dem ich habe versprochen, zu fragen nach dem Preis. Ich kann's ebensogut mit dem Amtmann abmachen, wenn der Herr Baron keine Zeit haben für mich.»

«Kommen Sie mit, Ehrenthal», sagte der Freiherr, «ich führe mein Pferd selbst in den Stall.»


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