Gustav Freytag
Soll und Haben
Gustav Freytag

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5

Die Feindschaft zwischen Pix und Specht war wieder hell aufgebrannt. Diesmal stand aber Specht nicht allein, das Quartett war auf seiner Seite, denn Specht wurde in Gefühlen gekränkt, welche das Quartett anerkannt und durch seinen Gesang geweiht hatte. Herr Specht war verliebt. Dieser Zustand war bei dem lebhaften Herrn nichts Befremdliches, ja man kann sagen, daß der Hauptinhalt seines Lebens ein ewig flackerndes Liebesgefühl war, welches, wie das Feuer der Vesta, als poetische Flamme brannte, um welche niemals die praktischen Kochtöpfe des täglichen Lebens, der Gedanke an Heirat und einen eigenen Haushalt, herumgesetzt wurden. Die Liebe des Herrn Specht war ewig, aber die Gottheit, welcher sein Feuer loderte, wechselte oft. Alle Damen in seinem Gesichtskreise hatten nacheinander die Ehre gehabt, von ihm angebetet zu werden. Selbst die Tante war eine Zeitlang Gegenstand seiner Träume gewesen, damals, als die schmerzliche Geschichte der erhabenen, aber nicht mehr jugendgrünen Sappho sein Herz bewegte.

Diesmal aber hatte die Neigung des Herrn Specht eine solide Grundlage. Er hatte eine junge Frau entdeckt, eine wohlhabende Hausbesitzerin, Witwe eines Pelzwarengeschäfts, mit runden Bäckchen und zwei freundlichen, nußbraunen Augen. Er verfolgte sie im Theater und in öffentlichen Gärten, strich, sooft er durfte, bei ihren Fenstern vorüber und tat, was seine Erfindungskraft vermochte, ihr Herz zu erschüttern. Er störte die Ruhe ihres resignierten Lebens durch zahllose anonyme Billetts, in denen ein Unbekannter mit Vers und Prosa die Absicht aussprach, die Nüchternheit dieses Lebens gegen das unbekannte Jenseits zu vertauschen, wenn sie ihn verschmähte. In dem Anzeigenblatt des Orts erschienen unter frischem Kaviar, Schellfischen und Dienstgesuchen zum Erstaunen des Publikums zahlreiche dichterische Kunstgebilde, in denen der Vorname der jungen Witwe, Adele, bald an dem Anfang der Zeilen, bald an einer Reihe von Hauptwörtern durch dicke Buchstaben zutage trat. Endlich konnte Herr Specht sich nicht enthalten, das Quartett zum Vertrauten seiner Empfindungen zu machen. Zuerst offenbarte er sich Herrn Liebold; an einem Abende, wo die Bässe ihn brüderlich beim Absingen feuriger Liebeslieder unterstützt hatten, wagte er, auch diesen zu bekennen, daß er der Verfasser der vielbesprochenen Adele-Gedichte sei. Die Bässe erstaunten sehr, daß von ihrem Kontor ein so epochemachendes Ereignis ausgegangen war. Zwar hatten sie oft mit den anderen Herren über die Gedichte gelächelt, während Specht im stillen über die Kritik seines Kontors stöhnte; aber als sie jetzt erfuhren, daß einer von ihnen der Täter war, erwachte der Korpsgeist, und sie hörten seine Bekenntnisse mit Wohlwollen an. Der Fall erschien ihnen nicht unpraktisch, die Witwe war hübsch, besaß ein Haus und, wie verlautete, außerdem ein achtungswertes Vermögen. Deshalb beschlossen sie, ihrem Kollegen bei einem Ständchen die Mitwirkung nicht zu versagen. Der Nachtwächter vor dem Hause der Witwe erhielt einige Viergroschenstücke, das Ständchen wurde gebracht, im Schlafzimmer der Witwe öffnete sich ein Fensterflügel, und etwas Weißes ward auf Augenblicke in der Finsternis sichtbar. Specht schwamm in Seligkeit, und da dieser Zustand nicht geeignet schien, den Menschen schweigsam zu machen, beging er die Unvorsichtigkeit, auch gegen die andern Kollegen geheimnisvolle Andeutungen zu wagen. So erfuhr Pix das Sachverhältnis.

Jetzt entspann sich im Anzeigenblatte des Ortes ein merkwürdiges Spiel von Katze und Maus. Es erschienen geheimnisvolle Inserate, durch welche Herr S. an alle möglichen entlegenen Orte der Stadt bestellt wurde, um dort jemand zu finden, der ihm teuer sei. Specht lief regelmäßig hin und fand niemals die, welche er suchte; dagegen erfuhr er bei diesen Nachforschungen ernste Unbequemlichkeit, er litt sehr durch Kälte und Sturmwind, er wurde von fremden Damen, die er anredete, gröblich zurechtgewiesen, ein Schusterjunge, den er für seine verkleidete Schöne hielt, warf ihm ein Zigarettenende ins Gesicht, er ward in einer Sackgasse wegen seines scharfen Umherspähens für einen Polizeispion erklärt und bösartig beschimpft. Natürlich erhob er seinerseits in dem Lokalblatte wieder verschleierte, aber starke Beschwerden über die Wortbrüchigkeit der Bestellerin; diese hatten zur Folge, daß Entschuldigungen kamen und die Andeutung neuer Möglichkeiten. Nie aber fand er, die er suchte.

Das zog sich durch einige Wochen fort, und Specht geriet über die unaufhörlichen Schikanen des Schicksals in eine Aufregung, welche selbst den Bässen unheimlich wurde.

An einem Morgen stand Pix wie gewöhnlich im Hausflur, als eine artige runde Dame mit nußbraunen Augen und einem prachtvollen Pelz in das Haus trat und zornig nach Herrn Schröter fragte.

«Herr Schröter ist nicht zu Hause», sagte Pix. «Kann ich Ihnen mit etwas dienen?» Er legte den schwarzen Pinsel beiseite, und da die Fremde zu sprechen zögerte, forderte er sie durch eine befehlende Handbewegung auf, sich aus dem Gedränge der Hausknechte und Fässer in das offene Warengewölbe zu retten. Seine ruhige Autorität imponierte der Dame so, daß sie eintrat, und jetzt verbeugte sich Herr Pix ein wenig und wiederholte herablassend: «Wünschen Sie etwas von unserm Geschäft?»

«Ich wünsche den Herrn der Handlung zu sprechen», begann die Dame aufs neue.

«Ich stehe an seiner Stelle hier», sagte Pix mit seinem Feldherrnblick.

Die Fremde sah ihn furchtsam an und begann endlich: «Ich komme, mich über einen Herrn Ihres Kontors zu beklagen. Seit längerer Zeit bin ich der Gegenstand von Neckereien und Zudringlichkeiten, welche mich in Gefahr setzen, zum Stadtgespräch zu werden. Ich erhalte von fremder Hand Briefe und Gedichte, im Tageblatt wird mit meinem Namen ein unwürdiges Spiel getrieben. Ich habe erfahren, daß der Urheber dieser Schändlichkeiten in Ihrem Geschäft ist, und ich verlange seine Bestrafung.»

Pix ahnte den Zusammenhang. Er streckte die Hand in die Weste und fragte weiter: «Können Sie mir diesen Herrn nennen?»

«Den Namen weiß ich nicht», sagte die Witwe; «er ist groß und hat krauses Haar.»

«Hager von Statur und eine starke Nase?» fragte Pix. «Es ist gut, Madame, Sie sollen von heut an nicht mehr belästigt werden, Sie sollen vollständige Genugtuung erhalten, ich bürge Ihnen dafür.»

«Aber ich möchte doch Herrn Schröter selbst -», begann wieder die Dame im Pelz.

«Es ist besser, Sie tun's nicht. Der junge Mann hat sich in einer Weise gegen Sie benommen, für welche ich keinen Ausdruck finde. Aber Ihr gütiges Herz wird darauf reflektieren, daß seine Absicht gewiß nicht war, Sie zu kränken. Er war ungeschickt und ohne Takt, das ist kein Verbrechen. Der arme Mensch ist im Ernst von einem krankhaften Gefühl für Sie ergriffen. Seit ich die Ehre habe, Sie zu kennen, finde ich das in der Ordnung.» Er verbeugte sic[*]h aufs neue. «Wie gesagt, ich verurteile ihn, aber ich finde es in der Ordnung.»

Die hübsche Witwe stand verlegen und wußte nicht recht, was sie dem stolzen Herrn antworten sollte.

«Zu gleicher Zeit», fuhr Pix fort, «gebe ich mir die Ehre, Sie im Namen unseres Geschäfts um Verzeihung zu bitten. Unser Haus muß sehr bedauern, Ihnen auch nur einen unangenehmen Augenblick bereitet zu haben. Es würde uns glücklich machen, wenn der freundliche Sinn, welchen ich aus Ihrem Gesicht lese, unserm Geschäft und vor allem dem Schuldigen diese Verzeihung gewährte.»

«Ich habe allerdings nicht die Absicht, andere für das ungeschickte Benehmen des einen verantwortlich zu machen», sagte die Witwe.

«Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Liebenswürdigkeit», fuhr Herr Pix siegreich fort, «und bitte Sie noch um Entschuldigung, Madame, daß ich Sie hier hereinführte; ich wußte nicht, wen ich zu sprechen die Ehre habe. Dies ist das kleine Warenmagazin für meinen täglichen Bedarf.»

«Für den täglichen Bedarf?» wiederholte die Dame, erstaunt über den großartigen Bedarf des Herrn. Pix griff in ein Kaffeefaß und ließ eine Handvoll Bohnen wie einen Goldregen nachlässig in das Faß zurücklaufen. «Vielleicht finden Sie hier einiges, was Ihnen von Ihrem Haushalt her nicht uninteressant ist», fügte er hinzu und stellte seine Waren mit einer Handbewegung vor.

Die hübsche Pelzhändlerin brach in artige Verwunderung über die Masse des vorhandenen Kaffees aus, Herr Pix führte sie zu einigen Sorten von ausgezeichneter Güte, machte sie auf die ärgerlichen Steine des Domingo aufmerksam und auf die künstliche grüne Farbe einer Sendung Java. Die Dame hörte erstaunt und gefesselt die wirtschaftliche Belehrung an, welche der Herr so herablassend aussprach.

«Unser Geschäft würde sich sehr freuen, wenn es Ihnen wenigstens ein kleines Zeichen der Verehrung übersenden dürfte», sagte endlich Pix mit einer sehr verbindlichen Verbeugung. «Sie gestatten mir, Ihnen einige Proben von Qualitäten zu schicken, die Ihnen hier gefielen.»

«Ich kann das unmöglich annehmen, Herr -», erwiderte die Dame mit Haltung.

«Mein Name ist Pix. Wegen der Übersendung bitte ich keine Worte zu machen, wir haben das Detailgeschäft zwar längst aufgegeben, indes versteht sich von selbst, daß wir für einzelne Gönnerinnen der Handlung ein Konto offenhalten. Wenn Sie in Zukunft einmal einen kleinen Einkauf machen wollten, so würde ich sehr glücklich sein, wenn ich Ihnen diesen zu unserm Kostenpreis berechnen könnte. Und was den erwähnten Herrn betrifft, so wiederhole ich Ihnen, Sie sollen vollständige Genugtuung haben, ich selbst werde dafür sorgen.»

«Ich bin Ihnen sehr dankbar, mein Herr», sagte die Dame mit freundlichem Lächeln und trennte sich in versöhnlicher Stimmung von dem Geschäft.

Pix ging in das Kontor und nahm Specht beiseite. «Sie haben schöne Dinge angerichtet», sagte er streng. «Wissen Sie, daß Ihnen ein Donnerwetter gedroht hat, welches Sie von Ihrem Pult herunterwerfen konnte? Die junge Witwe war hier und wollte Sie durchaus bei Herrn Schröter verklagen, sie ist wütend auf Sie. Wie konnten Sie wagen, eine anständige Dame zum Gegenstand so gewöhnlicher Huldigungen im Lokalblatt zu machen? Schämen Sie sich, Specht», rief er mit großer Mißbilligung.

Specht verlor vor Schreck die Sprache. «Sie hat ja im Tageblatt angefangen», rief er endlich trostlos, «Sie hat mich bestellt, zuerst ins Theater, dann zum Schwanenhaus auf der Promenade, dann gar auf den Turm, um die Aussicht zu bewundern.»

«Pfui», sagte Pix in tugendhafter Entrüstung, «merken Sie denn nicht, daß ein Spaßvogel seinen schlechten Witz mit Ihnen gemacht hat? Die Dame ist sehr unglücklich über Ihr Benehmen, ich sage Ihnen im Vertrauen, sie hat über Sie geweint.» – Specht rang die Hände.

«Ich habe alles angewandt, sie zu beruhigen, ich habe in Ihrem Namen versprochen, daß Sie sich des Lokalblatts und aller Angriffe auf ihre Ruhe von heute ab enthalten werden. Richten Sie sich danach; wo nicht, so erfährt Herr Schröter die ganze Geschichte.»

«Ich kann mich dabei nicht beruhigen», rief der unglückliche Specht, «Sie wissen nicht, was ich fühle.»

«Fühlen Sie, was Sie wollen», sagte Pix mit zermalmender Härte, «aber unterstehen Sie sich nicht, noch einmal eine Zeile an Adele drucken zu lassen, sonst haben Sie es mit mir zu tun.» Dabei ging er zornig hinaus und ließ Specht in einem Zustand zurück, der mit dem Behagen eines Erhängten viel Ähnlichkeit hatte.

Während Specht mit dem Quartett beriet, was in dieser Lage zu tun sei, handelte Pix. Ein Hausknecht trug gegen Abend ein mächtiges Paket mit verbindlichen Empfehlung in das Haus der Witwe, und Herr Pix ließ gewissenhaft die Sendung sich selbst zur Last schreiben. An demselben Abend machte er der Witwe seine Aufwartung und berichtete ihr, daß der Schuldige streng zurechtgewiesen und die Ruhe ihrer Tage und Nächte wiederhergestellt sei. Am nächsten Sonntag trank er selbst den Kaffee bei der Witwe, welche eine Freundin zu ihrem Schutz eingeladen hatte. Vier Wochen darauf hatten die braunen Augen der Dame und sein tyrannisches Wesen sich so weit genähert, daß er in seinem besten Staat zu ihr ging und ihr einen Antrag machte. Dieser Antrag wurde angenommen. Herr Pix wurde erklärter Bräutigam und faßte den Entschluß, trotz Motten und Haar das Pelzgeschäft aufs neue in Gang zu bringen und sich selbst zu dessen Mittelpunkt zu machen.

Zu seiner Ehre muß mitgeteilt werden, daß er sich verpflichtet fühlte, dieses Sachverhältnis zuerst Herrn Specht mitzuteilen und diesem dabei einige Worte zu gönnen, welche man allenfalls für eine Entschuldigung halten konnte. «Der Zufall hat es so gewollt», sagte er, «seien Sie verständig, Specht, und finden Sie sich ruhig drein. Sie müssen daran denken, daß es doch wenigstens einer von Ihren Kollegen ist, der sie heiratet.»

«Aber nicht ich!» rief Specht außer sich. «Es ist mir gar kein Trost, daß Sie es sind, denn ich fürchte, Sie haben sich hinterlistig gegen mich benommen.»

«Wissen Sie was, Specht», sagte Pix reuevoll, «handeln Sie als guter Kerl, der Sie im Grund sind, und verlieben Sie sich schnell in eine andere. Ihnen macht das keine Mühe.»

«Sie denken, das geht nur so», rief Specht zornig.

«Freilich geht's», sagte Pix, «wenn man nur ernsten Willen hat. Und wir bleiben die alten. Bei meiner Hochzeit dürfen Sie nicht fehlen.»

«Auch das noch», schrie Specht.

«Sie sollen mir den Polterabend einrichten, Sie verstehen so etwas ausgezeichnet, und Sie sollen Brautführer sein. Sputen Sie sich nur, eine andere zu finden, auf die Sie Verse machen können; ob die Dame Adele oder Genoveva heißt, ist Ihnen ja gleichgültig.»

Dies aber war Herrn Specht nicht gleichgültig, er zürnte heftig auf die Treulosigkeit seines Gegners Pix und genoß die schmerzliche Freude, daß diesmal das ganze Kontor seine Partei nahm und Herr Pix in allen Zimmern des Hinterhauses als kalter Egoist verurteilt wurde. Allmählich aber träufelte die Zeit lindernden Balsam in Spechts Herz. Es ergab sich, daß die Witwe eine Nichte hatte, deren Augen blau und deren Haare rötliches Gold waren, und so machte sich's, daß Specht zuerst die Sommersprossen des Fräuleins interessant, dann ihr Benehmen reizend fand und sich zuletzt auf seiner Stube mit dem Gedanken herumtrug, der angeheiratete Neffe von Herrn Pix zu werden.


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