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Monat um Monat lebte Matthias unter den lautlosen Welten, schweigend zumeist, betrachtend und sorgend, und mit jedem Tage mehr befestigt in der Gewißheit, daß er an seinem Orte angelangt sei. Die Generationen der kurzlebigen Geschöpfe begannen vor seinen Augen bereits einander abzulösen, schon wußte er von ihrer Art zu vergehen und zu werden.

Er hatte gesehen, wie hintereinander mehrere Geschlechter der schönen, hellrot glänzenden Erdbeerrosen ihre freudige Farbe verloren und tiefer rot, dunkelrot und endlich schwarz wurden; er hatte dann gesehen, wie die blumenschönen Wesen eines Tages ihren Wohnsitz auf den künstlichen Felsen aufgaben und wie sie anfingen zu wandern, und mit Betrübnis stand er vor solcher Rastlosigkeit, denn er wußte längst, daß solchen Tieren ihr Ende nicht fern sei, daß sie beim Wandern sich allzurasch verzehren … Schon begannen Fische, die Matthias hatte ausschlüpfen sehen, ihre Altersmale zu bekommen: schon zeigte sich bei den hübschen, rosenfarbenen Seebrassen an der Seite der große schwarze Fleck … Längst war bei den flinken jungen Flundern, die so korrekt ausgestattet in ihre Wasserwelt getreten waren, das eine der smaragdenen Augen um den ganzen Schädel herumgewandert und lag nun spähend und beweglich ganz dicht bei dem andern … Vor Monaten schon hatte sich im Feuer seiner stürmischen Werbungen der dickköpfige Tintenfisch in seinen schönsten Farben, in blauem, rotem und gelbem Metallglanz, präsentiert, und junge Tintenfische waren aus den Eiertrauben hervorgekommen, reizende muntere Kerlchen, die von der ersten Stunde an Übungen im Farbewechseln und Tintespritzen anstellten.

Die Jungen vieler Geschöpfe kannte Matthias bereits. Und eines Morgens erlebte er, worauf er lange gewartet hatte: daß eines der Bassins sich mit Scharen von winzigen Seepferdchen belebte.

Auch an den Alten hatte er eine ganz besondere Freude, er kannte die eigentümlichen Wesen in allen ihren Stellungen. Er kannte sie, wie sie, mit dem lustigen Knochenschwänzchen an Seepflanzen sich anklammernd, im Wasser ruhen. Er kannte sie, wie sie plötzlich zur Oberfläche aufschießen, um sich mit lautem Schnalzen irgendeine Mückenlarve als Beute zu holen. Wie sie ernsthaften Blicks, die kleine Flosse auf dem mager geschnitzten Rücken beständig flimmernd, aufrecht mit steifer Grazie ihres Weges daherschwimmen, wie sie sich plötzlich neigen oder steigen oder niedersinken. Wie sie, die drollig unveränderbaren, asketischen Pferdeköpfchen gegeneinander gewendet, ihre höflichen Spiele treiben oder, im Herbst zumal, zur Zeit ihres Verlangens, einander jagen, einander haschen und dann paarweise daherziehen und sich in tiefer Eintracht beim Schwimmen umschlungen halten … Wie das Männchen später unruhig und unbehaglich sich allein im Wasser umhertreibt, sehr geplagt – denn in einer verschlossenen Tasche trägt es nun die Brut mit sich herum, und das junge Leben regt sich schon kräftig und findet es enge, und schließlich wird es dem Vater denn doch zu peinvoll, und er knickt seinen Leib in der Mitte zusammen – die Tasche geht auf, und jedes Mal, wenn das geschieht, entschwärmt eine Anzahl der Jungen dem Gefängnis … Winzig waren sie, denen Matthias nicht satt wurde, zuzusehen, sie hatten bei Weitem nicht Nagelslänge, aber es waren vollendete Seepferdchen mit ernsthaftem Kopf und Knochenschweif und flirrender Flosse, und sie hielten sich keinen Augenblick bei dem erlösten Vater auf, sondern zerstreuten sich und schwärmten lustig umher und begannen die Spiele der wirklichen Welt.

Aber wie diese kleinen Schutzbefohlenen, so kannte Matthias die übrigen, und bald hätte er zu jeder Stunde des Tages erzählen können, was jeder eben begann. Fremde, die ihn beachteten und befragten, mochten an seinen Erklärungen ihr Vergnügen haben. Dann kam es wohl vor, daß man sich, nach einem forschenden Blick in sein schönes, freundlich verschlossenes Gesicht, mit Herablassung nach seinen Umständen erkundigte. Aber dies hatte zur Folge, daß Matthias errötete, den Kopf senkte und schwieg. Und auch die Trinkgelder, die man ihm zukommen ließ, schienen diesen sonderbaren Wärter nicht rein zu erfreuen, er dankte lispelnd, sah nicht mehr auf und behielt stumm das Geldstück in der Hand … Wohl aber gab es Fälle, da er sich unbefragt vom Vergnügen seines Herzens hinreißen ließ, vor Fremden über seine Tiere zu sprechen …

»Sehen Sie hier, bitte,« rief er so eines Nachmittags und winkte ein elegantes Paar, das vor kurzem den Raum betreten hatte, eifrig heran, »hier ist etwas Hübsches zu sehen.« Die Beiden kamen. Ein zartes Parfüm wehte von ihnen her in die frische Kühle der Halle.

»Dies ist ein Einsiedlerkrebs,« erklärte Matthias, »soeben will er seine Wohnung wechseln. Er ist ein sehr furchtsamer Krebs, und sein Leib ist zart, darum wohnt er zum Schutz in leeren Schneckenhäusern. Das alte hat er sich ruiniert, der Tolpatsch, nun muß er umziehen …«

»Sehr interessant,« sagte mit tiefer Stimme und mit stark gerolltem R der fremde Herr.

»Ja, interessant ist er,« bestätigte Matthias, ohne die Ironie zu erkennen und ohne aufzublicken. »Da … sehen Sie …«

Das Tier hatte sich die neue Schale zurecht gewälzt, – schwarz und gelb war sie gefleckt und glich genau der beschädigten, – und griff nun mit tastenden Scheren tief in die Mündung.

»Noch immer hat er Angst,« sagte Matthias. »Ein Feind konnte ja drinnen versteckt sein …«

Aber der Krebs war schon beruhigt, und nun ging alles mit einer sonderbaren, fast unheimlichen Exaktheit vor sich. Mit den Scheren erfaßte er sein künftiges Haus, stellte es aufrecht vor sich hin, zielte förmlich, mit zuckender Geste, und ging mit einem einzigen Ruck aus der alten Wohnung heraus, in die neue hinein.

»Oh, das …« sagte mit einem kleinen Schrei die fremde Dame, »aber das ist großartig, was der Wärter uns da sehen läßt. Wer doch auch aus seiner Existenz so einfach heraus könnte, Wladimir Alexandrowitsch …«

Beim Klang der tiefen Frauenstimme hob Matthias, stark berührt, den Kopf und sah der Besucherin in das helle Antlitz. Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück und griff nach der metallenen Stange, die vor den Bassins entlanglief. – Es war die Fürstin.

 


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