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40

Und dann frühstückte Matthias mit dem Professor und den jüngeren Herren, die nun doch endlich alle aufgestanden waren. In einem einfach eingerichteten, langen und niedrigen Zimmer des ersten Stockwerks saß man bei weitoffenen Fenstern, und zwei dunkle, magere Südfranzösinnen bedienten. Des Öftern stand auch die junge Dame, die sich unter den Gästen der Station befand, eine Studierende, die aus Leyden in Holland kam, vom Tische auf, um bei dem Kessel und den Kannen zu helfen. Sie war rundlich, recht hübsch und flink und sah nicht vorwiegend gelehrt, sondern vorwiegend heiter aus; trotzdem war sie bei ihrer Jugend bereits mit dem Doktortitel geschmückt. »Doktor Helene« nannte man sie mit Sympathie in mehreren Sprachen.

Denn es schwirrte von den Lauten mancher Länder um diesen langen, weißrot gedeckten Tisch, wenn auch das mit russischem Akzent gesprochene Französisch vorherrschend blieb. Skandinaven saßen da, blond, pfarrerlich korrekt und vom Schwamme gleichsam noch feucht; Franzosen von strudelnder Selbstgefälligkeit; Deutsche, die sorgsam kauten, und bei denen jedes Wort schon am frühen Morgen seinen guten Sinn hatte, und eine Anzahl Russen, großzügig ungepflegt im Äußern, leidenschaftliche und abstrakte Sprecher. Allen diesen jungen Menschen aber, die Brote bestrichen und sich Tee einschenken ließen und über die Tafel lachten und fröhlich zu disputieren anfingen und einander aufzogen und wieder ernst wurden, – – ihnen allen war ein Gepräge von Reinheit gemeinsam, ein Zug von naiver Askese, der etwas Kindliches hatte. Unbedingt nämlich bewahrt die frühe und dauernde Beschäftigung mit der Wissenschaft, der Umgang mit dem Objekte und dem Begriff, dem Menschen eine eigentümliche Keuschheit.

Und noch war allen gemein eine außerordentlich ehrerbietige, jüngerhaft sich unterordnende Art, mit dem Professor zu verkehren. Kostomarow saß in seinem schwarzen Rock an dem einen Ende der schmalen Tafel, die Holländerin weit unten sich gegenüber. Er sprach jetzt wenig. Er nickte nur, lächelte, gab auf Fragen mit zwei Worten Bescheid. Unauffällig achtete er auf Matthias, der zur Linken neben ihm saß, reichte ihm das Brot, warf ihm mit freundlichem Blick ein Stückchen Zucker in die Tasse. Und so wunderte sich denn kein Mensch über den fremden Gast im ledernen Mantel … Unter der Hand ging die Erklärung um den Tisch, dies sei der neue Pfleger für die Tiere, ein junger Mensch von guter Herkunft und ausgestaltet mit beträchtlichen Kenntnissen, und alle fanden, daß Matthias angenehm aussehe, und alle waren es zufrieden, daß die Schaubecken vor wuchernden Algen und allerhand Störung nun wieder bewahrt sein sollten.

Dann aber fuhr Matthias auf dem Schiffe der Station mit hinaus, das, wie zweimal in jeder Woche, so heute die offene See gewann, um neue Tiere aus der Tiefe heimzubringen …

Als man aus dem Hause trat, faßte ihn Kostomarow leicht um die Schultern und hielt ihn so einen Augenblick zurück.

»Wie ist es nun, Matthias, werden Sie am Nachmittag Ihre Sachen holen? Sie haben Ihre Kleider doch in Nizza … Oder soll ich hinschicken?«

Matthias hatte eine Bewegung des Schreckens. »Nicht …« sagte er.

Nein, er wollte nicht mehr an Nizza denken, nicht mehr an dieses Hotel, Stadt und Haus sollten versunken sein. Ein Abgrund von Ohnmacht und Enttäuschung lauerte dort, bereit ihn zu vernichten, – wandte er sich auch nur in Gedanken nach rückwärts. Mochten sie sich von seinen Sachen bezahlt machen, in diesem furchtbaren Hotel …

»Nein, bitte nicht!« wiederholte er.

Kostomarow sah ihn prüfend an. »Gut,« antwortete er und ließ im Dunkeln, wieviel er von dieser Weigerung verstehe. »Wir kaufen dann hier etwas im Städtchen. Besonders einen waschbaren Anzug werden Sie brauchen …«

Und der Schatten eines Lächelns zeigte sich um seine Lippen … So angetan würde er also mit hinausfahren, der junge Matthias … barhaupt, mit seinem schönen Frack unter dem alten Arbeitsmantel.

Eine romantische Erwerbung immerhin, unser neuer Diener, dachte der Professor auf Russisch.

Und dann stiegen sie zusammen den Treppenpfad hinunter, der zur nahen Anlegestelle führte.

 


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