Anatole France
Thais
Anatole France

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Siebentes Kapitel.

Paphnucius und Thaïs verließen die Stadt durch das Tor des Mondes und gingen längs des Meeresufers dahin.

»Weib,« sprach der Mönch, »dieses ganze große blaue Meer vermöchte nicht, deine Unreinheit zu tilgen.«

Er sprach mit Zorn und Verachtung zu ihr:

»Unreiner als Hündinnen und Bachen, hast du den Heiden und Abtrünnigen einen Körper 164 preisgegeben, den der Ewige geformt hatte, um sich einen Tempel zu bereiten, und deine Unreinheit ist so groß, daß du jetzt, da du die Wahrheit kennst, weder deine Lippen schließen noch deine Hände vereinigen kannst, ohne daß der Ekel vor dir selbst dir das Herz umdrehen sollte.«

Sie folgte ihm gehorsam auf harten Wegen unter der brennenden Sonne. Die Müdigkeit brach ihr die Kniee, und der Durst entflammte ihren Atem. Aber ferne davon, jene falsche Frömmigkeit zu empfinden, welche weltliche Herzen verweichlicht, freute sich Paphnucius der Leiden, durch welche dieser Leib seine Sunden abbüßte. In seinem heiligen Eifer hätte er diesen Körper, der seine Schönheit, wie ein schreiendes Zeugnis seiner Schmach, bewahrte, am liebsten mit Ruten zerrissen. Seine innere Andacht nährte seine fromme Wut, und, da er sich erinnerte, daß Thaïs Nikias ihre Gunst geschenkt hatte, machte er sich ein so entsetzliches Bild davon, daß all sein Blut zum Herzen strömte und seine Brust dem Zerspringen nahe war. Seine Verwünschungen blieben ihm in der Kehle stecken und äußerten sich nur durch Zähneknirschen. Er stellte sich mit einem Sprunge, bleich, schreckhaft, voll von Gott, vor sie hin, blickte ihr bis in die Seele und spuckte ihr ins Gesicht.

Ruhig wischte sie ihr Gesicht ab, ohne ihren Gang zu unterbrechen. Er folgte ihr nunmehr, indem er seine Blicke auf sie, wie auf einen Abgrund, heftete. Er schritt in heiliger Entrüstung weiter und dachte daran, Christus zu rächen, damit Christus nicht sich selbst räche, als er einen Blutstropfen erblickte, der vom Fuße der Thaïs 165 in den Sand rann. Da fühlte er einen unerwarteten frischen Hauch in sein offenes Herz einziehen, ein Schluchzen drang ihm in die Kehle, er weinte, warf sich vor ihr nieder, nannte sie seine Schwester und küßte ihre blutenden Füße. Er wiederholte hundertmal:

»Meine Schwester, meine Schwester, meine Mutter, o Allerheiligste!«

Er betete:

›Engel des Himmels, verwahret sorgfältig diesen Blutstropfen und tragt ihn vor den Thron des Herrn! Möge eine Wunderblume dem vom Blute der Thaïs getränkten Sande entsprießen, damit jedermann, der diese Blume sieht, die Reinheit des Herzens und der Sinne zurückgewinnet! O heilige, heilige, allerheiligste Thaïs!‹

Während er dergestalt betete und weissagte, ritt ein junger Bursche auf einem Esel vorüber. Paphnucius befahl ihm, abzusteigen, setzte Thaïs auf den Rücken des Tieres, faßte es am Zügel und setzte so seinen Weg fort. Als sie gegen Abend an einem von schönen Bäumen beschatteten Kanal ankamen, band er den Esel an einen Dattelbaum, setzte sich auf einen bemoosten Stein und teilte mit Thaïs ein Brot, das sie, mit Salz und Ysop gewürzt, verzehrten. Sie tranken dazu frisches Wasser aus der hohlen Hand und sprachen von ewigen Dingen. Sie sagte:

»Ich habe nie so reines Wasser getrunken, noch eine so leichte Luft geatmet. Ich fühle, daß Gott in den vorüberziehenden Abendwinden schwebt.«

Paphnucius antwortete:

166 »Schon bedecken die blauen Schatten der Nacht die Hügel, meine Schwester. Aber bald wirst du im Morgenrot die Zelte des Lebens schimmern sehen. Bald werden dir die Rosen des ewigen Morgens erglühen.«

Sie wanderten die ganze Nacht hindurch, und während die Mondsichel den silbernen Rand der Wellen küßte, sangen sie Psalmen und Lieder. Als die Sonne sich erhob, dehnte sich die Wüste vor ihnen wie eine ungeheure Löwenhaut über das libysche Land aus.

Am Rande der Sandfläche erhoben sich weiße Zellen neben grünen Palmbäumen im Frührot.

»Mein Vater,« fragte Thaïs, »sind das die Zelte des Lebens?«

»So ist es, meine Tochter und meine Schwester. Dies ist das Haus des Heiles, wo ich dich mit eigenen Händen einschließen werde.«

Bald sahen sie überall Frauen, welche sich, wie Bienen um den Bienenkorb, um die Büßerzellen zu tun machten. Einige buken Brot oder richteten Gemüse zu. Andere spannen Wolle. Und das Licht des Himmels strahlte wie ein Lächeln Gottes auf sie herab. Andere waren im Schatten der Tamarisken in Andacht versunken; ihre weißen Hände hingen lässig herab, denn, da sie voll von Liebe waren, hatten sie das Teil der Maria erwählt und widmeten sich gänzlich dem Gebet, der Erbauung und der Ekstase. Darum nannte man sie auch die Marien und ließ sie sich weiß kleiden. Diejenigen dagegen, welche mit ihren Händen arbeiteten, hießen Marthen und trugen blaue Gewänder. Alle aber trugen sie den Schleier, unter dem die Jüngsten eine 167 Locke auf ihre Stirne hervorgleiten ließen. Es ist jedoch anzunehmen, daß es wider ihren Willen geschah, denn die Vorschriften erlaubten es nicht. Eine große, weißhaarige, hochbetagte Frau ging auf einen harthölzernen Stab gestützt von Zelle zu Zelle. Paphnucius nahte ihr achtungsvoll, küßte den Saum ihres Schleiers und sagte:

»Der Friede des Herrn sei mit dir, ehrwürdige Albina! Ich bringe zu dem Bienenkorbe, dessen Königin du bist, eine Biene, die ich auf einem blumenlosen Wege verirrt gefunden habe. Ich habe sie in der hohlen Hand geborgen und mit meinem Atem erwärmt. Ich gebe sie dir.«

Er deutete dabei mit dem Finger auf die Schauspielerin, die vor der Tochter der Cäsaren niederkniete.

Albina richtete einen Augenblick ihren durchdringenden Blick auf Thaïs, befahl ihr, sich zu erheben, küßte sie auf die Stirne und wandte sich dann zu dem Mönche mit den Worten:

»Wir werden sie unter die Marien einreihen.«

Paphnucius erzählte ihr hierauf, auf welchen Wegen Thaïs zum Hause des Heils geführt worden sei, und bat, daß man sie fürs erste in eine Zelle einschließe. Die Äbtissin willigte ein und führte die Büßerin in die Zelle, welche seit dem Tode der Jungfrau Laeta, die sie geheiligt hatte, leer geblieben war. Es stand in der engen Kammer nur ein Bett, ein Tisch und ein Krug, und Thaïs wurde, als sie den Fuß auf die Schwelle setzte, von unendlicher Freude durchdrungen.

»Ich will selbst die Türe verschließen,« sagte 168 Paphnucius, »und das Siegel aufdrücken, das Jesus mit eigenen Händen brechen wird.«

Er nahm am Rande des Brunnens eine Handvoll feuchter Tonerde, legte eines seiner Haare mit etwas Speichel hinein und drückte das Ganze in eine Spalte der Türe. Dann trat er vor das Fenster, an dem Thaïs ruhig und zufrieden saß, fiel auf die Kniee, lobte dreimal den Herrn und rief:

»Wie liebenswert ist die, welche auf den Wegen des Lebens wandelt! Wie schön sind ihre Füße und wie glänzt ihr Angesicht!«

Dann erhob er sich, zog seine Kapuze über die Augen und entfernte sich langsam.

Albina rief eine ihrer Jungfrauen herbei.

»Geh, meine Tochter,« sagte sie, »und bringe der Thaïs, was sie braucht: Brot, Wasser und eine dreilöchrige Flöte. 169

 


 


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