Anatole France
Thais
Anatole France

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Drittes Kapitel.

Am andern Morgen erblickte Paphnucius am Ufer des Nils mehrere Ibisse, welche unbeweglich auf einem Bein standen und deren hellroter Hals sich im Wasser spiegelte. Die Weiden breiteten weithin am Ufer ihr sanftes graues Laub aus; Kraniche flogen in einem Dreieck über den klaren Himmel und im Schilfe hörte man den Schrei unsichtbarer Reiher. Der Strom rollte unabsehbar weit seine breiten grünen Wasser dahin. Segel zogen wie Vogelflügel darüber weg. Hie und da spiegelte sich ein weißes Haus in den Fluten. In der Ferne schwebte ein leichter Dunst über der Wasserfläche. Die Inseln, die dicht mit Palmen, Blumen und Fruchtbäumen bewachsen waren, ließen aus ihrem Schatten geräuschvoll Scharen von Enten, Gänsen und Flamingos aufsteigen. Zur Linken dehnte das fruchtbare Tal seine Felder und Weinberge, welche herrlich prangten, bis zur Wüste aus. Die Sonne vergoldete die Ähren, und der Segen der Erde stieg in Wolken wohlriechenden Staubes auf. Bei diesem Anblicke fiel Paphnucius auf die Kniee und rief aus:

›Gelobt sei der Herr, der meine Reise begünstigt hat! O du, der du den Tau ausgießest auf die Feigenbäume der Arsinoïtis, o mein Gott, laß deine Gnade niedersteigen in die Seele dieser Thaïs, welche du mit nicht weniger Liebe geschaffen und geformt hast, wie die Blumen des Feldes und die Bäume des Gartens! Möge sie mit meinem Beistand, wie eine 31 balsamduftende Rose, wieder aufblühen in deinem himmlischen Jerusalem!‹

So oft er einen Baum in Blüten oder einen schillernden Vogel erblickte, dachte er an Thaïs. Auf diese Weise gelangte er, durch fruchtbare und stark bevölkerte Gegenden dem linken Arme des Flusses folgend, nach jenem Alexandrien, das die Griechen das Schöne oder das Goldene genannt haben. Der Tag war seit einer Stunde angebrochen, als er von der Höhe eines Hügels aus die große Stadt entdeckte, deren Dächer in rosigem Lichte erglänzten. Er blieb stehen und sagte zu sich, indem er seine Arme über der Brust kreuzte:

›So liegt er denn vor mir, der Ort der Wonnen, wo ich in Sünde geboren wurde! Dies ist die Luft, wo ich giftige Wohlgerüche eingeatmet habe, dies das üppige Meer, wo ich dem Sange der Sirenen lauschte! Dies ist meine Wiege dem Fleische nach, dies mein Vaterland im Sinne der Welt! Eine blumige Wiege, ein ruhmreiches Vaterland nach dem Urteil der Menschen! Es ist natürlich, wenn deine Kinder, o Alexandrien, dich wie eine Mutter lieben. Auch ich stamme aus deinem herrlich geschmückten Schoße. Aber der Büßer verachtet die Natur, der Denker verachtet den äußeren Schein, der Christ betrachtet sein irdisches Vaterland als einen Verbannungsort, und der Mönch gehört der Erde nicht mehr an. Ich habe die Liebe zu dir aus meinem Herzen getilgt, o Alexandrien! Ich hasse dich wegen deines Reichtums, wegen deiner Wissenschaft, wegen deiner Üppigkeit und wegen deiner 32 Schönheit. Sei verflucht, Tempel der Dämonen! Schamloses Lotterbett der Heiden, verpestete Arianerkanzel, sei verflucht! Und du, geflügelter Himmelsbote, der du den heiligen Einsiedler Antonius, unseren Vater, führtest, als er vom äußersten Ende der Wüste kommend in diese Hochburg der Götzendienerei eindrang, um den Glauben der Bekenner und das Vertrauen der Märtyrer zu stärken, du, o schöner Engel des Herrn, unsichtbares Kind, erster Odem Gottes, fliege vor mir her und reinige durch deinen Flügelschlag die verdorbene Luft, die ich unter den finsteren Fürsten der Welt einatmen werde!‹

Nachdem er also gesprochen, setzte er seinen Weg fort. Er betrat die Stadt durch das Sonnentor. Dieses Tor war aus Stein und ragte stolz empor. Aber in seinem Schatten kauerten elende Gestalten, welche den Wanderern Zitronen oder Feigen anboten oder wehklagend um einen Obolus bettelten.

Eine zerlumpte Alte, die auf den Knieen lag, ergriff das härene Gewand des Mönchs, küßte es und sprach:

»Mann Gottes, segne mich, auf daß Gott mich segne! Ich habe in dieser Welt viel gelitten und möchte im Jenseits dafür alle Freuden haben. Du kommst von Gott, o heiliger Mann; darum ist der Staub unter deinen Füßen wertvoller als Gold.«

»Der Herr sei gelobt,« sagte Paphnucius und machte mit halbgeöffneter Hand über dem Kopfe der Alten das Zeichen der Erlösung.

Aber kaum war er zwanzig Schritte auf der Straße gegangen, so traf er auf eine Schar von Kindern, 33 die ihn verspotteten und mit Steinen bewarfen, indem sie ausriefen:

»Pfui, der häßliche Mönch! Er ist schwärzer als ein Pavian und bärtiger als ein Ziegenbock. Er ist ein Vagabund! Warum hängt man ihn nicht in einem Weinberg auf, wie einen hölzernen Priap, um die Vögel zu verscheuchen? Doch nein, er würde den Hagel auf die blühenden Apfelbäume herabziehen. Er bringt Unglück. Mögen ihn die Raben fressen, den schwarzen Mönch!«

Und mit den Schimpfworten flogen die Steine.

»Mein Gott, segne diese armen Kinder,« murmelte Paphnucius.

Indem er seinen Weg fortsetzte, dachte er bei sich:

›Ich bin ein Gegenstand der Verehrung für jene Alte und ein Gegenstand der Verachtung für diese Kinder. So wird dasselbe Ding von den Menschen verschieden geachtet, weil sie in ihrem Urteil unsicher und dem Irrtum unterworfen sind. Ich muß gestehen, daß der Greis Timokles für einen Heiden nicht ohne Verstand ist. Als Blinder weiß er, daß er des Lichtes beraubt ist. Wie weit ist er jenen Götzendienern voraus, die aus der Nacht ihrer tiefen Finsternis herausrufen: Ich sehe den Tag! Alles in dieser Welt ist trügerischer Schein und fliegender Sand. In Gott allein ist Beständigkeit.‹

Er durcheilte unterdessen raschen Schrittes die Stadt. Nach zehnjähriger Abwesenheit erkannte er noch jeden Stein wieder, und jeder Stein war ihm ein Stein des Anstoßes, der ihn an eine Sünde erinnerte. Darum 34 trat er hart auf die Steinplatten der breiten Gassen und freute sich, die Blutspuren seiner zerrissenen Sohlen darauf zurückzulassen. Er ließ die herrliche Säulenhalle des Serapistempels links liegen und bog in eine Straße ein, zu deren beiden Seiten sich herrliche Landhäuser erhoben, welche unter Wohlgerüchen entschlummert schienen. Pinien, Ahorne, Terebynthen ragten mit ihren Wipfeln über die roten Brüstungen und die goldenen Giebel heraus. Durch die offenen Tore erblickte man in marmornen Vorsälen eherne Standbilder und inmitten des Blattwerks plätschernde Springbrunnen. Kein Geräusch störte den Frieden dieser schönen Ruhestätten, nur ferner Flötenklang war hörbar. Der Mönch blieb vor einem ziemlich kleinen Hause stehen, das aber edle Formen zeigte und dessen Säulen schlank und zierlich waren wie junge Mädchen. Es war mit den Erzbüsten der berühmtesten Philosophen Griechenlands geschmückt.

Er erkannte unter ihnen Plato, Sokrates, Aristoteles, Epikur und Zeno, und nachdem er mit dem Klopfer an die Türe gepocht hatte, dachte er während des Wartens:

›Umsonst verherrlicht das Metall diese falschen Weisen. Ihre Lügen sind widerlegt, ihre Seelen sind der Hölle verfallen, und selbst der berühmte Plato, der die Erde mit seiner Beredsamkeit erfüllt hat, kann jetzt nur noch mit den Teufeln disputieren.‹

Ein Sklave öffnete die Türe, und da er einen barfüßigen Menschen auf dem Mosaik der Schwelle stehen sah, sagte er barsch:

35 »Bettle anderwo, lächerlicher Mönch, und warte nicht, bis ich dich mit Stockschlägen fortjage!«

»Mein Bruder,« antwortete der Abt von Antinoë, »ich verlange nichts von dir, als daß du mich zu deinem Herrn Nikias führest.«

Der Sklave antwortete mit verdoppeltem Zorne:

»Mein Herr empfängt keine Hunde, wie dich.«

»Mein Sohn,« entgegnete Paphnucius, »tue, bitte, was ich von dir verlange, und sage deinem Herrn, daß ich ihn zu sehen wünsche.«

»Fort von hier, elender Bettler!« rief der Türhüter wütend.

Dabei erhob er seinen Stock gegen den Mann Gottes, der seine Arme über der Brust kreuzte und ohne Bewegung den Schlag mitten ins Gesicht empfing. Dann wiederholte er sanft:

»Tue, was ich verlangt habe, mein Sohn, ich bitte dich.«

Zitternd murmelte nun der Türhüter:

»Wer ist dieser Mensch, der den Schmerz nicht fürchtet?«

Und er lief, seinen Gebieter zu benachrichtigen.

Nikias hatte eben sein Bad verlassen. Zwei schöne Sklavinnen fuhren mit dem Badeschaber über seinen Körper. Er war ein hübscher, freundlich aussehender Mann. Ein Ausdruck sanfter Ironie lag auf seinem Gesicht. Beim Anblick des Mönchs erhob er sich und ging mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu:

»Du bist's, Paphnucius, mein Mitschüler, mein Freund, mein Bruder! Oh! ich erkenne dich wieder, 36 obschon du, aufrichtig gesagt, einem Tier ähnlicher siehst als einem Menschen. Umarme mich! Erinnerst du dich der Zeit, da wir zusammen die Grammatik, die Rhetorik und die Philosophie studierten? Schon damals fand man, du seist von finsterem Humor und scheuem Wesen, aber ich liebte dich wegen deiner großen Aufrichtigkeit. Wir pflegten zu sagen, du sähest das Weltall mit den empfindlichen Augen eines Pferdes an und es sei daher nicht wunderbar, daß du scheu seiest. Es fehlte dir einigermaßen an Attizismus, aber deine Freigebigkeit kannte keine Grenzen. Dir lag weder an deinem Gelde noch an deinem Leben. Es wohnte in dir ein merkwürdiger Genius, ein fremdartiger Geist, der mich unendlich interessierte. Sei willkommen, lieber Paphnucius, nach zehn Jahren der Abwesenheit! Du hast die Wüste verlassen, du gibst den christlichen Aberglauben auf und kehrst zu deinem früheren Leben zurück. Ich werde diesen Tag mit einem weißen Stein bezeichnen. Krobyle und Myrtale,« setzte er hinzu, indem er sich zu seinen Mägden wandte, »begießt die Füße, die Hände und den Bart meines lieben Gastes mit wohlriechenden Wassern.«

Schon brachten die Mädchen lächelnd eine Kanne, Salbengefäße und einen Messingspiegel, aber Paphnucius wehrte ihnen mit gebieterischer Gebärde und senkte die Blicke, um sie nicht mehr zu sehen, denn sie waren kaum bekleidet. Nikias bot ihm Kissen und setzte ihm verschiedene Speisen und Getränke vor, die Paphnucius jedoch mit Verachtung zurückwies.

»Nikias,« sagte er, »ich habe das, was du fälschlich 37 den christlichen Aberglauben nennst und was die Wahrheit der Wahrheiten ist, nicht aufgegeben. Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen.«

»Lieber Paphnucius,« antwortete Nikias, der soeben eine wohlriechende Tunika angezogen hatte, »glaubst du mich in Staunen zu versetzen, indem du kunstlos gefügte Worte hersagst, die nur ein leeres Geplapper sind! Hast du vergessen, daß ich selbst ein wenig Philosoph bin? Und glaubst du, mich mit einigen Fetzen zu befriedigen, welche unwissende Menschen aus dem Purpurgewande des Amelius gerissen haben, wenn Amelius, Porphyrius und Plato in all ihrer Glorie mich nicht befriedigen? Die Systeme der Weisen sind bloße Märchen, erfunden, um die ewig kindlichen Menschen zu unterhalten. Man darf sich daran belustigen, wie an den Märchen vom Esel, vom Böttcher, von der Matrone von Ephesus oder jeder andern milesischen Geschichte.«

Er nahm seinen Gast beim Arm und zog ihn in einen Saal, wo Tausende von Papyrus aufgerollt in Körben lagen.

»Das ist meine Bibliothek,« sagte er. »Sie enthält einen kleinen Teil der Systeme, welche die Philosophen zur Erklärung der Welt erfunden haben. Das Serapeum selbst, so reich es ist, umfaßt sie nicht alle. Leider aber sind sie alle bloß Träume kranker Seelen.«

38 Er nötigte seinen Gast, auf einem elfenbeinernen Stuhl Platz zu nehmen und setzte sich selbst. Paphnucius ließ einen finsteren Blick über die Bücher der Bibliothek gleiten und sagte:

»Man sollte sie alle verbrennen!«

»Teurer Freund, das wäre schade!« antwortete Nikias. »Denn die Träume der Kranken sind oft unterhaltend. Wenn man übrigens alle Träume und alle Einbildungen der Menschen zerstören müßte, so würde die Erde alle Formen und Farben verlieren und wir würden in öder Torheit dahindämmern.«

Paphnucius führte seinen Gedanken weiter aus: »Es ist gewiß, daß die Lehren der Heiden nur leere Lügen sind. Aber Gott, der die Wahrheit ist, hat sich den Menschen durch Wunder kundgetan. Er ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.«

Nikias antwortete: »Du sprichst vortrefflich, lieber Paphnucius, wenn du sagst, er sei Fleisch geworden. Ein Gott, der denkt, handelt, spricht, sich wie der antike Odysseus auf dem grauen Meere herumtreibt, ist durchaus ein Mensch. Wie vermagst du aber an diesen neuen Jupiter zu glauben, da die athenischen Schuljungen schon zur Zeit des Perikles nicht mehr an den alten glaubten? Doch, lassen wir das! Du bist nicht hergekommen, dächte ich, um über die drei Hypostasen zu disputieren. Was kann ich für dich tun, lieber Mitschüler?«

»Ein gutes Werk,« antwortete der Abt von Antinoë. »Leihe mir eine wohlriechende Tunika, wie du soeben eine angezogen hast! Füge der Tunika vergoldete 39 Sandalen und ein Fläschchen Öl hinzu, um mir Haare und Bart zu salben! Es wäre mir auch lieb, wenn du mir eine Börse mit hundert Drachmen geben könntest. Das ist's, wozu ich zu dir gekommen bin, o Nikias. Gib es mir im Namen Gottes und in Erinnerung an unsere alte Freundschaft!«

Nikias ließ durch Krobyle und Myrtale seine reichste Tunika bringen, sie war in asiatischem Stile mit Blumen und Tieren gestickt. Die beiden Mädchen hielten sie ausgebreitet und ließen ihre lebhaften Farben spielen, in der Erwartung, daß Paphnucius sein härenes Gewand ausziehe, das ihn bis auf die Füße bedeckte. Da jedoch der Mönch erklärte, daß er sich eher die Haut als dieses Gewand abziehen lasse, hingen sie ihm die Tunika darüber. Da die beiden Mädchen schön waren, fürchteten sie die Männer nicht, obschon sie Sklavinnen waren. Sie fingen daher an, über den sonderbaren Anblick zu lachen, den der Mönch in diesem Schmucke bot. Krobyle nannte ihn ihren lieben Satrapen, indem sie ihm den Spiegel bot, und Myrtale zupfte ihn am Barte. Aber Paphnucius betete zum Herrn und sah sie nicht. Nachdem er die vergoldeten Sandalen angezogen und die Börse, die ihm Nikias gegeben, an seinen Gürtel gebunden hatte, sagte er zu seinem Freunde, der ihn heiteren Auges betrachtete:

»O Nikias, die Dinge, die du siehst, dürfen für deine Augen kein Ärgernis sein. Wisse denn, daß ich von dieser Tunika, dieser Börse und diesen Sandalen einen frommen Gebrauch machen werde!«

»Mein Lieber,« antwortete Nikias, »ich argwöhne 40 nichts Böses, denn ich halte die Menschen für ebenso unfähig, Schlechtes wie Gutes zu tun, denn gut und böse bestehen nur in der Einbildung. Der Weise richtet sich bei seinen Handlungen nur nach Sitte und Gebrauch. Ich dagegen folge den Vorurteilen, die in Alexandrien herrschen, und gelte deswegen als Ehrenmann. Geh, Freund, und suche dein Vergnügen!«

Aber Paphnucius dachte, es sei besser, seinen Gastherrn von seiner wahren Absicht zu unterrichten.

»Du kennst«, sagte er zu ihm, »jene Thaïs, die im Theater auftritt?«

»Sie ist schön,« antwortete Nikias, »und es gab eine Zeit, da sie mir teuer war. Ich habe eine Mühle und zwei Getreidefelder für sie verkauft und zu ihrer Ehre drei Bücher abscheulicher Elegien gedichtet. Wahrlich, die Schönheit ist das Mächtigste auf der Welt, und wenn wir so geartet wären, daß wir sie immer besitzen könnten, würden wir uns so wenig als möglich um den Demiurgos, den Logos, die Äonen und alle andern Träume der Philosophen kümmern. Ich bewundere dich aber, Paphnucius, daß du aus der fernsten Thebaïs herkommst, um mir von Thaïs zu sprechen.«

Nachdem er dies gesagt, seufzte er leise. Paphnucius betrachtete ihn mit Entsetzen, denn er begriff nicht, wie ein Mensch so ruhig eine so große Sünde bekennen könne. Er war darauf gefaßt, die Erde sich auftun und Nikias in einen Flammenschlund fallen zu sehn. Aber der Boden blieb fest, und der Alexandriner sann schweigend und mit trübem Lächeln den Bildern 41 seiner entschwundenen Jugend nach. Der Mönch erhob sich und sprach mit ernster Stimme:

»Wisse denn, o Nikias, daß ich mit Gottes Hilfe diese Thaïs den unflätigen Lüsten der Erde entreißen und Jesus Christus zur Braut geben werde. Wenn der Heilige Geist mir seinen Beistand nicht versagt, wird Thaïs noch heute diese Stadt verlassen, um in ein Kloster zu gehen.«

»Fürchte dich, Venus zu beleidigen,« antwortete Nikias. »Sie ist eine mächtige Göttin. Sie wird dir zürnen, wenn du ihr ihre gefeierteste Dienerin entreißest.«

»Gott wird mich schützen,« sagte Paphnucius. »Möge er auch dein Herz erleuchten, o Nikias, und dich aus dem Abgrund ziehen, in den du versunken bist!«

Er ging hinaus, aber Nikias war ihm gefolgt. Er holte ihn auf der Schwelle ein und flüsterte ihm, während er die Hand auf seine Schulter legte, ins Ohr:

»Fürchte dich, Venus zu beleidigen! Ihre Rache ist schrecklich«



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