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Voll Verachtung für die leichtsinnige Rede des Nikias verließ Paphnucius sein Haus, ohne sich noch einmal umzusehen. Was jener gesagt hatte, flößte ihm nur Bedauern ein, unerträglich aber war ihm der 42 Gedanke, daß sein ehemaliger Freund die Liebkosungen der Thaïs empfangen hatte. Ein sündiger Umgang mit diesem Weibe schien ihm viel abscheulicher zu sein, als ein solcher mit jedem andern. Es dünkte ihm ganz besonders verwerflich, und Nikias ward ihm von nun an zum Greuel.
Er hatte die Unreinheit immer gehaßt, aber nie war ihm dieses Laster so entsetzlich erschienen. Nie hatte er mit soviel Überzeugung den Zorn Jesu Christi und die Traurigkeit der Engel über das Böse geteilt.
Er empfand daher einen nur um so größeren Eifer, Thaïs aus der Heiden Mitte herauszureißen, und er sehnte sich danach, die Schauspielerin zu sehen, um sie zu retten. Er mußte jedoch warten, bis die Hitze des Tages vorüber war, um das Weib aufsuchen zu können. Noch war aber kaum der Vormittag zu Ende. Paphnucius wandelte daher durch die volkreichen Gassen. Er hatte beschlossen, an diesem Tage keine Nahrung zu sich zu nehmen, um der Gnade, die er vom Herrn verlangte, weniger unwürdig zu sein. Zur großen Betrübnis seiner Seele konnte er nicht wagen, eine Kirche der Stadt zu betreten, weil er sie durch die Arianer entweiht wußte, die den Tisch des Herrn darin umgestürzt hatten. Diese Ketzer hatten in der Tat mit Unterstützung des oströmischen Kaisers den Patriarch Athanasius von seinem Bischofssitz verjagt und versetzten die Christen Alexandriens in Unruhe und Verwirrung.
Er schritt also aufs Geratewohl fürbaß, indem er die Augen bald demütig zur Erde senkte, bald, wie in 43 Verzückung, gen Himmel hob. Nachdem er einige Zeit umhergeirrt war, gelangte er auf einen der Hafendämme der Stadt. Im Hafen lagen zahllose Schiffe mit dunklen Kielen, während darüber hinaus das treulose Meer blau und silbern flimmerte. Eine Galeere, die eine Nereïde am Bugspriet trug, hatte soeben die Anker gelichtet. Die Ruderer schlugen singend die Wellen, und schon ließ die weiße Tochter des Meeres, die sich mit feuchten Perlen bedeckte, den Mönch nur noch ein entschwindendes Profil sehen. Sie passierte, von ihrem Lotsen geführt, die enge Durchfahrt, die in das Eunostos-Bassin führt, und gewann, eine Perlenfurche hinter sich herziehend, das hohe Meer.
›Auch ich‹, dachte Paphnucius, ›wollte einst singend den Ozean der Welt befahren. Aber ich habe meine Torheit bald erkannt, und die Nereïde hat mich nicht entführt.‹
Unter solchen Gedanken setzte er sich auf einen Haufen Taue und schlief ein. Während seines Schlafes hatte er ein Traumgesicht. Er glaubte den lauten Schall einer Trompete zu hören, und da der Himmel sich gleichzeitig rot färbte, begriff er, daß die Zeit gekommen sei. Während er inbrünstig zu Gott betete, sah er ein ungeheures Tier auf sich zukommen, das eine Lichtkrone auf der Stirne trug. Er erkannte die Sphinx von Silsilee. Das Tier packte ihn mit den Zähnen, ohne ihm wehe zu tun, und trug ihn im Maule fort, wie die Katzen ihre Jungen zu tragen pflegen. Paphnucius wurde so durch mehrere Königreiche geführt, über Flüsse und Berge hin bis an einen wüsten Ort, der mit häßlichen 44 Felsen und heißer Asche bedeckt war. Aus dem an mehreren Stellen aufgerissenen Boden stieg glühend heißer Dampf auf. Das Tier ließ den Paphnucius sanft zur Erde gleiten und sagte zu ihm:
»Siehe da!«
Paphnucius beugte sich über den Rand eines Abgrundes und erblickte einen Feuerstrom, der sich im Innern der Erde zwischen zwei Reihen schwarzer Felszacken dahinwälzte. In fahlem Lichte wurden daselbst Seelen durch Dämonen gepeinigt. Die Seelen hatten noch die Gestalt der Körper bewahrt, die sie bewohnt hatten, sogar einige Gewandstücke hingen noch an ihnen. Diese Seelen schienen ruhig inmitten der Qualen. Eine derselben war groß und weiß, mit geschlossenen Augen und einem Band auf der Stirne. Sie trug ein Szepter in der Hand und sang. Ihre Stimme erfüllte das öde Gestade mit Wohllaut. Sie besang die Götter und die Helden. Grüne Teufelchen durchstachen ihr Lippen und Brust mit glühenden Eisen. Aber der Schatten Homers sang ruhig weiter. – Nicht weit von ihm zeichnete der alte kahlköpfige Anaxagoras mit einem Zirkel Figuren in den Sand. Ein Dämon goß ihm glühendes Öl ins Ohr, ohne jedoch den Weisen in seinem Nachdenken zu stören. Außer diesen entdeckte der Mönch noch zahlreiche Personen, die längs des glühenden Stromes auf dem finstern Ufer ruhig lasen oder nachdachten oder, wie die Meister und die Schüler im Schatten der Platanen der Akademie, in Gesprächen lustwandelten. Nur der Greis Timokles hielt sich abseits und schüttelte das Haupt, wie ein Mann, der alles verneint. Ein 45 Engel des Abgrunds schwang eine Fackel unter seinen Augen, aber Timokles wollte weder den Engel noch die Fackel sehen. Beim Anblick dieses Schauspieles, vor Überraschung stumm, wandte sich Paphnucius zu dem Tiere. Es war jedoch verschwunden, und der Mönch erblickte an der Stelle der Sphinx eine verschleierte Frau, die zu ihm sagte:
»Sieh hin und verstehe! Der Eigensinn dieser Ungläubigen ist so groß, daß sie noch in der Hölle die Opfer der Täuschungen bleiben, durch die sie im Leben verführt wurden. Der Tod hat sie nicht aufgeklärt, denn offenbar genügt es nicht, zu sterben, um Gott zu sehen. Diejenigen, welche die Wahrheit verkannten, als sie noch unter den Menschen lebten, werden sie immer verkennen. Die Dämonen, welche diese Seelen foltern, was sind sie anderes, als die Formen der göttlichen Gerechtigkeit? Darum kann sie von diesen Seelen weder gesehen noch gefühlt werden. Jeder Wahrheit unzugänglich, kennen sie ihre eigene Verdammnis nicht, und selbst Gott kann sie nicht zum Leiden zwingen.«
»Gott vermag alles,« wandte der Abt von Antinoë ein.
»Er vermag das Sinnlose nicht,« antwortete die verhüllte Frau. »Um sie zu bestrafen, müßte er sie aufklären, und wenn sie die Wahrheit besäßen, wären sie den Auserwählten ähnlich.«
Voll Unruhe und Entsetzen bog sich Paphnucius nochmals über den Abgrund. Nun erblickte er den Schatten des Nikias, der unter eingeäscherten Myrtenbäumen mit blumenbekränzter Stirn lächelte. Neben 46 ihm schien Aspasia von Milet, die einen schön gefalteten wollenen Mantel trug, zugleich von Liebe und Philosophie zu sprechen, so sehr war der Ausdruck ihres Gesichtes sanft und edel zugleich. Der Feuerregen, der auf die beiden niederfiel, schien ein erfrischender Tau für sie zu sein, und ihre Füße beschritten den feurigen Boden, als ob er feines Gras wäre. Bei diesem Anblick fühlte sich Paphnucius von Wut gepackt.
»Schlage ihn, mein Gott!« schrie er, »schlage ihn! Es ist Nikias! Laß ihn weinen und seufzen und mit den Zähnen klappern! Er hat mit der Thaïs gesündigt! . . .«
Und Paphnucius erwachte in den Armen eines riesenstarken Matrosen, der ihn auf den Sand zog, indem er ausrief:
»Ruhig, ruhig, Freund! Bei Proteus, dem alten Hüter der Seehunde, du schläfst unruhig. Hätte ich dich nicht gehalten, so wärest du ins Eunostos-Bassin gefallen. So wahr meine Mutter Salzfische verkaufte, habe ich dir das Leben gerettet.«
»Ich danke Gott dafür,« antwortete Paphnucius.
Er stand auf und ging gerade vor sich hin, indem er über das Traumgesicht nachdachte, das seinen Schlaf durchzogen hatte.
›Dieses Gesicht‹, so sagte er sich, ›ist offenbar ein böses, denn es beleidigt die Güte Gottes, indem es die Hölle als der Wirklichkeit entbehrend hinstellt. Es wurde mir ohne Zweifel vom Teufel geschickt.‹
Er kam zu diesem Schlusse, weil er die Träume, die Gott sendet, von denen zu unterscheiden wußte, die 47 von den gefallenen Engeln hervorgerufen werden. Ein solches Unterscheidungsvermögen ist nützlich für den Einsiedler, der fortwährend von Erscheinungen umgeben ist, denn wer die Menschen flieht, ist sicher, Geistern zu begegnen. Die Wüste ist von Phantomen bevölkert. Wenn die Pilger sich der zerfallenen Burg näherten, wohin sich der heilige Einsiedler Antonius zurückgezogen hatte, hörten sie ein Geschrei, wie es in festlichen Nächten auf den Marktplätzen der Städte ertönt. Und dieses Geschrei wurde von den Teufeln ausgestoßen, die den heiligen Mann versuchten.
Paphnucius erinnerte sich dieses berühmten Vorbildes. Er dachte auch an den heiligen Johannes von Ägypten, den der Teufel sechzig Jahre lang durch Wunderzeichen verführen wollte. Aber Johannes machte die Listen der Hölle zunichte. Eines Tages jedoch nahm der Dämon menschliche Gestalt an, trat in die Höhle des ehrwürdigen Johannes und sagte zu ihm: »Johannes, du wirst dein Fasten bis morgen abend fortsetzen.« Und Johannes, der einen Engel gehört zu haben glaubte, gehorchte der Stimme des Dämons und fastete bis zur Vesper des folgenden Tages. Das war aber der einzige Sieg, den der Fürst der Finsternis über den heiligen Johannes von Ägypten davontrug, und es war ein kleiner Sieg. – Man darf sich daher nicht verwundern, daß Paphnucius sofort die Falschheit des Traumgesichts erkannte, das er während seines Schlummers gehabt hatte.
Während er Gott sanfte Vorwürfe machte, daß er ihn der Gewalt der Dämonen ausgeliefert habe, 48 fühlte er sich von einer Menge von Menschen gestoßen und mitgerissen, die alle nach der gleichen Richtung eilten. Da er nicht mehr gewohnt war, in Städten zu gehen, wurde er, wie eine leblose Sache, von einem Fußgänger gegen den andern geworfen, und, da er sich in den Falten seiner Tunika fing, fürchtete er mehrmals, zu fallen. Neugierig, zu wissen, wohin alle diese Leute gingen, fragte er einen von ihnen nach dem Grunde ihrer Eile.
»Fremdling,« antwortete dieser, »weißt du nicht, daß die Spiele beginnen und daß Thaïs die Bühne betreten wird? Alle diese Bürger gehen ins Theater, und ich tue desgleichen. Gefällt es dir, mich zu begleiten?«
Paphnucius fand plötzlich, daß es in seinen Plan passe, Thaïs auf der Bühne zu sehen, und folgte daher dem Fremdling. Bald erhob sich vor ihnen das mit glänzenden Masken geschmückte Tor des Theaters und seine mit unzähligen Standbildern besetzte runde Umfassungsmauer. Der Menge folgend, betraten sie einen engen Gang, an dessen Ende sie das lichterfüllte Amphitheater vor sich sahen. Sie nahmen auf einer der Stufenreihen Platz, die treppenartig bis zur Bühne hinabstiegen, welche prächtig geschmückt, aber noch leer von Schauspielern war. Ein Vorhang war nicht vorhanden. Man sah auf der Bühne einen kleinen Erdhügel, wie ihn die alten Völker den Schatten der Heroen zu weihen pflegten. Dieser Hügel erhob sich inmitten eines Lagers. Man erblickte Zelte, vor denen mit Lorbeerzweigen und Eichenkränzen gezierte goldene 49 Schilde an Stangen hingen, während Lanzen pyramidenförmig zusammengestellt waren. Dort unten war alles Ruhe und Schweigen. Aber ein Summen, gleich dem der Bienen im Bienenstocke, ertönte in dem menschengefüllten Halbkreis. Alle Gesichter waren durch den Widerschein der Purpurleinwand, die das Theater auf und ab wogend bedeckte, gerötet und wendeten sich mit dem Ausdruck gespannter Erwartung nach dem großen ruhigen Raume hin, den ein Grabhügel und ein Zeltlager einnahmen. Die Frauen lachten, indem sie Zitronen verzehrten, und die Stammgäste des Theaters grüßten sich laut und fröhlich von einer Sitzreihe zur andern.
Paphnucius betete still für sich und hütete sich vor unnützer Rede, aber sein Nachbar fing an, über den Verfall der Bühnenkunst zu klagen.
»Ehemals«, sagte er, »deklamierten feingebildete Schauspieler unter der Maske die Verse des Euripides und des Menander. Jetzt aber spricht man die Dramen nicht mehr, sondern stellt sie nur durch Gebärden dar, und von den göttlichen Schauspielen, die in Athen dem Ruhme des Bacchus dienten, haben wir nur das übrig behalten, was ein Barbar, sogar ein Skythe verstehen kann: nämlich die Körperhaltung und die Armbewegungen. Die tragische Maske, deren trichterförmige Mundöffnung den Schall der Stimme verstärkte, der Kothurn, der den menschlichen Leibern die Gestalt der Götter verlieh, die tragische Hoheit und der Gesang der schönen Verse, all das ist dahin. Mimen und Tänzerinnen mit nacktem Gesicht ersetzen Paulus 50 und Roscius. Was hätten die Athener des Perikles gesagt, wenn sie ein Weib auf der Bühne erblickt hätten? Es ist unschicklich, daß ein Weib öffentlich auftritt. Wir sind sehr heruntergekommen, da wir es dulden. So wahr ich Dorion heiße, das Weib ist die Feindin des Mannes und die Schande der Erde.«
»Du sprichst weise,« antwortete Paphnucius. »Das Weib ist unser schlimmster Feind. Sie bringt die Lust und wird dadurch furchtbar.«
»Bei den ewigen Göttern,« rief Dorion aus, »das Weib bringt dem Manne nicht die Lust, sondern Traurigkeit, Verwirrung und schwarze Sorgen! Die Liebe ist die Ursache unserer bittersten Leiden. Höre, Fremdling! Ich reiste in meiner Jugend einmal nach Troezen in Argolis und sah dort einen wunderbar dicken Myrtenbaum, dessen Blätter von zahllosen Stichen bedeckt waren. Weißt du nun, was die Troezenier von dieser Myrte erzählen? Die Königin Phädra blieb zur Zeit, da sie den Hippolytos liebte, den ganzen Tag unter jenem Baume hingestreckt liegen, den man noch heute sieht. In ihrer tödlichen Sehnsucht zog sie die goldene Nadel, die ihr blondes Haar festhielt, heraus und durchstach die Blätter des Baumes mit den duftenden Beeren. Nach und nach wurden so alle Blätter mit Stichen bedeckt. Nachdem Phädra den Unglücklichen, den sie mit blutschänderischer Liebe verfolgte, in den Tod getrieben, kam sie, wie du weißt, selbst elend ums Leben. Sie schloß sich in ihr Brautgemach ein und erhängte sich mit einem goldenen Gürtel an einem elfenbeinernen Pflocke. Die Götter aber wollten, daß die Myrte, als Zeugin eines 51 so elenden Geschickes auf ihren neuen Blättern immerfort die gleichen Stiche trage. Ich habe eines dieser Blätter abgebrochen und es an das Kopfende meines Bettes geheftet, um durch seinen Anblick immer davor gewarnt zu werden, mich der Liebesraserei hinzugeben und um mich in der Lehre meines Meisters, des göttlichen Epikur, zu bestärken, nach welcher der Wunsch gefährlich ist. Aber, genau genommen, ist die Liebe eine Krankheit der Leber und man ist nie davor sicher, krank zu werden.«
Paphnucius fragte: »Dorion, woran findest du Vergnügen?«
Dorion antwortete traurig: »Ich habe nur ein Vergnügen und ich gestehe, daß es kein lebhaftes ist, es ist das Nachdenken. Mit einem kranken Magen darf man keine anderen suchen.«
Paphnucius nahm diese Worte zum Anlaß, um den Epikuräer in die geistlichen Freuden einzuweihen, welche die Betrachtung Gottes bietet, und er fing an: »Höre die Wahrheit, Dorion, und empfange das Licht!«
Während er also sprach, bemerkte er, daß man von allen Seiten auf ihn sah, die Arme gegen ihn ausstreckte und ihm zu schweigen befahl. Tiefe Ruhe war im Theater eingetreten und bald erschollen die Töne einer kriegerischen Musik.
Das Spiel begann. Man sah Soldaten aus den Zelten treten und sich zum Abmarsch vorbereiten, als plötzlich, wie durch ein schreckliches Wunder, eine Wolke die Spitze des Grabhügels bedeckte. Als dieselbe wieder verschwand, erschien an ihrer Stelle der mit goldener 52 Rüstung bekleidete Schatten des Achilleus. Indem er seine Arme nach den Kriegern ausstreckte, schien er zu sagen: »Wie, ihr zieht von dannen, Söhne des Danaos, ihr kehrt nach der Heimat zurück, die ich nicht mehr schauen werde, und ihr laßt mein Grab ohne Opfer?« Schon aber drängten sich die ersten Anführer der Griechen um den Grabhügel. Akamas, Sohn des Theseus, der alte Nestor und Agamemnon, der das Szepter und das Stirnband trug, betrachteten das Wunder. Pyrrhus, der jugendliche Sohn des Achilleus, kniete im Staube. Odysseus, der an der spitzen Mütze kenntlich war, unter der sein lockiges Haar hervorquoll, gab durch Gebärden zu erkennen, daß er dem Schatten des Heros zustimme. Er stritt mit Agamemnon und man erriet ihre Worte:
»Achilleus«, sagte der König von Ithaka, »ist würdig, von uns geehrt zu werden, da er ruhmreich für Hellas gefallen ist. Er verlangt, daß die Tochter des Priamos, die Jungfrau Polyxena, auf seinem Grabe geopfert werde. Danaer, befriedigt die Manen des Heros, damit sich der Sohn des Peleus im Hades erfreue.« Aber der König der Könige entgegnete:
»Verschonen wir die troischen Jungfrauen, die wir den Altären entrissen haben! Genug des Unglücks ist über das berühmte Geschlecht des Priamos hereingebrochen.«
Er sprach also, weil er das Lager der Schwester der Polyxena teilte, und der weise Odysseus warf ihm vor, das Bett der Kassandra der Lanze des Achilleus vorzuziehen.
53 Alle Griechen stimmten ihm mit lautem Waffengeklirre bei. Der Tod der Polyxena wurde daher beschlossen und der besänftigte Schatten des Achilleus verschwand. Die Musik, bald leidenschaftlich, bald klagend, schmiegte sich den Gedanken der handelnden Personen an. Die Zuschauer klatschten lauten Beifall.
Paphnucius, der alles mit der göttlichen Wahrheit in Verbindung brachte, murmelte: »Man sieht aus dieser Fabel, wie grausam die Anbeter der falschen Götter waren.«
»Alle Religionen veranlassen Verbrechen,« antwortete ihm der Epikuräer. »Zum Glück ist ein göttlich weiser Grieche gekommen und hat die Menschen von der eiteln Furcht vor dem Unbekannten befreit.«
Unterdessen war Hekabe mit aufgelöstem weißem Haar und zerrissenem Gewande aus dem Zelt getreten, wo sie gefangen war. Man vernahm einen tiefen Seufzer, als dieses vollkommene Bild des Unglücks erschien. Hekabe, die durch einen prophetischen Traum unterrichtet war, jammerte über ihre Tochter und über sich selbst. Odysseus aber stand schon neben ihr und verlangte die Polyxena. Die alte Mutter raufte sich die Haare, zerriß sich die Wangen mit den Fingernägeln und küßte die Hände des grausamen Mannes, der mit unveränderlicher, mitleidloser Sanftmut zu sagen schien:
»Sei vernünftig, Hekabe, und füge dich dem Schicksal. Es gibt auch in unseren Häusern alte Mütter, welche ihre Kinder beweinen, die auf immer unter den Fichten des Berges Ida entschlummert sind.«
54 Und Kassandra, einst Königin des blühenden Asien, nun Sklavin, bestreute ihr unglückliches Haupt mit Staub.
Aber jetzt erschien unter dem Zeltvorhang die Jungfrau Polyxena. Allgemeine Erregung bemächtigte sich der Zuschauer. Sie hatten Thaïs erkannt. Paphnucius sah sie wieder, sie, die er zu suchen gekommen war. Mit weißem Arme hielt sie über ihrem Haupte den schweren Vorhang. Unbeweglich, einer schönen Statue ähnlich, aber mit ihren veilchenblauen Augen ruhig um sich blickend, sanft und stolz, erweckte sie in allen den tragischen Schauer der Schönheit.
Beifallsgemurmel erhob sich und Paphnucius drückte erregt seine Hände gegen sein Herz und seufzte:
»Warum, o mein Gott, gibst du einem deiner Geschöpfe diese Macht?«
Dorion, der viel ruhiger blieb, sagte:
»In der Tat, die Atome, die sich augenblicklich verbunden haben, um dieses Weib zu bilden, stellen eine dem Auge angenehme Mischung dar. Es ist aber nur ein Spiel der Natur und diese Atome wissen nicht, was sie tun. Sie werden sich einst mit der nämlichen Gleichgültigkeit trennen, mit der sie sich jetzt verbunden haben. Wo sind heute die Atome, welche Laïs oder Kleopatra bildeten? Ich bestreite nicht, daß die Frauen manchmal schön sind. Aber sie sind bedauerlichen Zufällen und ekelhaften Gebrechen unterworfen. Daran denken überlegende Geister, während der große Haufen nicht darauf achtet. Und so flößen die Frauen Liebe ein, obschon es unvernünftig ist, sie zu lieben.«
55 So betrachteten der Philosoph und der Büßer Thaïs und hingen noch weiter derartigen Gedanken nach. Weder der eine noch der andere hatte gesehen, daß Hekabe durch Gebärden zu ihrer Tochter gesagt hatte: »Versuche den grausamen Odysseus zu rühren. Laß deine Tränen, deine Schönheit, deine Jugend sprechen!«
Thaïs, oder vielmehr Polyxena, ließ den Zeltvorhang fallen. Sie trat einen Schritt vor und alle Herzen lagen in ihrem Bann. Als sie sich nun in edlem und leichtem Gange Odysseus näherte, da ließ der Rhythmus ihrer Bewegungen, die das Spiel der Flöten begleitete, an eine ganze Reihe angenehmer Dinge denken und sie schien der göttliche Mittelpunkt der Weltharmonie zu sein. Man sah nur noch sie, während alles übrige in ihren Strahlen untergegangen war. – Indessen schritt die Handlung auf der Bühne fort.
Der kluge Sohn des Laërtes wendete den Kopf ab und barg seine Hände unter dem Mantel, um den Blicken und den Handküssen der Flehenden auszuweichen. Aber die Jungfrau gab ihm zu verstehen, daß er nicht mehr zu fürchten brauche. Ihre ruhigen Blicke sagten:
»Odysseus, ich werde dir folgen, um der Notwendigkeit zu gehorchen und weil ich sterben will. Tochter des Priamos und Schwester Hektors, werde ich mein Lager, das einst eines Königs würdig erachtet wurde, nicht mit einem fremden Herrn als Sklavin teilen. Ich verzichte aus freiem Willen auf das Tageslicht.«
56 Da erhob sich Hekabe, die wie leblos im Staube gelegen, plötzlich und klammerte sich verzweiflungsvoll an ihre Tochter an. Polyxena aber löste mit sanfter Gewalt die greisen Arme, die sie umspannten, von sich ab. Man glaubte sie sagen zu hören:
»Mutter, setze dich nicht der Beschimpfung durch den Herrn aus! Warte nicht ab, bis er dich, um dich mir zu entreißen, unwürdig behandelt! Reiche mir lieber diese gerunzelte Hand, teure Mutter, und nähere deine hohlen Wangen meinen Lippen!«
Der Schmerz war im Gesicht der Thaïs wunderbar ausgedrückt und die Menge zeigte sich diesem Weibe erkenntlich dafür, daß sie die Handlungen und Mühen des Lebens so mit übermenschlicher Anmut umkleidete. Paphnucius, der ihr den augenblicklichen Glanz im Hinblick auf ihre baldige Erniedrigung verzieh, war im voraus stolz auf die Heilige, die er dem Himmel zuführen würde.
Das Schauspiel näherte sich seinem Ende. Hekabe fiel wie tot zu Boden und Polyxena näherte sich, von Odysseus geführt, dem Grabmal, welches die auserlesensten Krieger umgaben. Unter Trauergesängen stieg sie den Grabhügel hinan, auf dessen Spitze der Sohn des Achilleus aus einer goldenen Schale den Manen des Heros ein Trankopfer darbrachte. Da die Opferpriester sie ergreifen wollten, gab sie durch Gebärden zu verstehen, daß sie frei sterben wolle, wie es der Tochter so vieler Könige zukomme. Dann zerriß sie ihr Gewand und zeigte die Stelle ihres Herzens. Pyrrhus versenkte dort mit abgewandtem Gesichte sein 57 Schwert und ließ durch einen Kunstgriff einen Strom Blutes der glänzend weißen Brust der Jungfrau entfließen, welche, den Kopf hintübergebeugt, die Augen in Todesangst weit aufgerissen, mit edlem Anstand niederfiel.
Während die Krieger das Opfer mit einem Schleier bedeckten und Lilien und Anemonen darüber streuten, erfüllten Schreckensschreie und lautes Schluchzen die Luft, und Paphnucius, der sich von seiner Bank erhoben hatte, weissagte mit donnernder Stimme:
»Ihr Heiden, ihr elenden Anbeter der Dämonen, und ihr Arianer, die ihr noch verruchter seid als die Götzendiener, merket auf! Was ihr hier soeben gesehen habt, ist ein Bild und ein Gleichnis. Diese Fabel birgt einen heiligen Sinn und bald wird das Weib, das ihr hier seht, als selige Hostie dem wiederauferstandenen Gotte geopfert werden!«
Schon verlief sich die Menge in dunkeln Fluten durch die Vomitorien. Auch der Abt von Antinoë, der den erstaunten Dorion stehen ließ, drängte sich zum Ausgang, indem er zu weissagen fortfuhr.
Eine Stunde später pochte er an die Türe der Thaïs.
Die Schauspielerin bewohnte damals im reichen Quartier Rakotis beim Denkmal Alexanders ein von schattigen Gärten umgebenes Haus. Es erhoben sich in ihnen künstliche Felsen und ein Bach floß zwischen Weidenbüschen dahin. Eine alte Negersklavin, die mit Ringen beladen war, öffnete ihm die Türe und fragte, was er wolle.
»Ich will Thaïs sehen,« sagte er. »Gott ist 58 mein Zeuge, daß ich nur deshalb hierher gekommen bin, um sie zu sehen.«
Da er eine reiche Tunika trug und in befehlendem Tone sprach, ließ ihn die Sklavin eintreten.
»Du wirst Thaïs«, sagte sie, »in der Nymphengrotte finden.« 59