Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Thaïs stammte von armen, aber freien Leuten ab, die dem Götzendienste huldigten. Als sie noch ein Kind war, besaß ihr Vater zu Alexandrien in der Nähe des Mondtores eine Schenke, welche von Matrosen besucht wurde. Einige unzusammenhängende, aber lebhafte Erinnerungen waren ihr aus ihrer Kinderzeit geblieben. Ihr Vater schwebte ihr noch vor Augen, wie er mit gekreuzten Beinen an der Ecke des Herdes saß, groß, furchtbar und ruhig, wie einer der alten Pharaonen, welche von den blinden Bänkelsängern auf der Straße besungen wurden. Sie sah auch noch ihre Mutter, wie sie abgehärmt und traurig wie eine hungrige Katze das Haus durchstrich, das sie mit dem Geschrei ihrer scharfen Stimme und den Blitzen ihrer Phosphoraugen erfüllte. Man erzählte sich in der Vorstadt, daß sie eine Zauberin sei und sich nachts in eine Eule verwandle, um zu ihren Liebhabern zu fliegen. Dies entsprach jedoch nicht der Wahrheit, Thaïs wußte vielmehr, da sie ihrer Mutter oft aufgelauert hatte, genau, daß sie sich nicht mit Zauberkünsten abgab, sondern, von Geiz verzehrt, die ganze Nacht mit dem Nachzählen der Tageseinnahme zubrachte. Der 62 unbewegliche Vater und die habgierige Mutter ließen ihre Tochter ebenso frei, wie das Geflügel des Hühnerhofes. So war sie denn sehr geschickt darin geworden, den betrunkenen Matrosen einen Obolos nach dem andern aus dem Gürtel zu ziehen, während sie sie durch einfache Liedchen oder durch gemeine Worte, deren Sinn sie nicht kannte, ergötzte. Sie wanderte in der vom Geruch der gegorenen Getränke und der mit Harz eingeriebenen Schläuche erfüllten Schenkstube von einem Knie auf das andere. Darauf lief sie mit von Bier klebrig gewordenen und von den harten Bärten zerstochenen Wangen, die Obolen fest in der kleinen Hand haltend, davon, um bei einer alten Frau, die unter dem Mondtore hinter ihren Körben kauerte, Honigkuchen einzukaufen. Die Szene war alle Tage die gleiche: Die Matrosen erzählten die Gefahren, welche sie bestanden hatten, wenn der Euros-Wind die Algen der Meerestiefe aufrührte, spielten dann mit Würfeln oder Knöcheln und verlangten mit derben Flüchen das beste zilizische Bier.
Jede Nacht erwachte das Kind über den Raufhändeln der Trinkenden. Unter wütendem Geheul wurden Austernschalen über die Tische geworfen und verwundeten die Stirnen. Bisweilen sah Thaïs bei dem rauchigen Lampenlicht auch die Messer erglänzen und Blut fließen.
In ihren jungen Jahren lernte sie die menschliche Güte nur durch den sanften Achmes kennen, vor dem sie sich demütigte. Der Haussklave Achmes, ein Nubier, der schwärzer war als der Kessel, den er mit ernsthafter 63 Miene abschäumte, war gut, wie eine Nacht tiefen Schlafes. Er nahm Thaïs oft auf die Kniee und erzählte ihr alte Geschichten, worin unterirdische Gewölbe voller Schätze vorkamen, die für habsüchtige Könige erbaut wurden, welche darauf die Baumeister und Maurer töten ließen. Es kamen in diesen Geschichten auch geschickte Diebe vor, welche Königstöchter heirateten und Buhlerinnen, welche Pyramiden erbauen ließen. Die kleine Thaïs liebte Achmes wie einen Vater, wie eine Mutter, wie eine Amme und wie einen Hund. Sie hing am Schurze des Sklaven und folgte ihm in den Keller zu den Weinkrügen und auf den Hühnerhof, wo die mageren, struppigen Hähnchen, an denen nur Schnabel, Klauen und Federn waren, vor dem Messer des schwarzen Kochs schneller als junge Adler davonflatterten. Des Nachts baute er oft auf seinem Strohlager, statt zu schlafen, für Thaïs kleine Wassermühlen und handgroße Schiffe mit voller Ausrüstung.
Da er von seinen Herren oft mißhandelt wurde, hatte er ein zerrissenes Ohr und sein Leib war von Narben durchfurcht. Aber sein Gesicht behielt einen freudigen und friedlichen Ausdruck. Niemand in seiner Umgebung dachte jedoch daran, sich zu fragen, woher er die Tröstung seiner Seele und den Frieden seines Herzens nehme. Er war so einfältig wie ein Kind. Während er seine rauhe Arbeit verrichtete, sang er mit dünner Stimme Hymnen, welche in der Seele der Thaïs ein unbestimmtes Wonnegefühl weckten. Er murmelte in tiefem freudigem Tone: 64
»Sage uns, Maria, was hast du dort gesehen, woher du kommst?«
»Ich habe das Schweißtuch und die Linnen und die am Grabe sitzenden Engel gesehn. Und ich habe die Herrlichkeit des Auferstandenen gesehen.«
Sie fragte ihn: »Vater, warum singst du von den Engeln, die am Grabe sitzen?«
Und er antwortete: »Lichtchen meiner Augen, ich singe von den Engeln, weil unser Herr Jesus gen Himmel gefahren ist.«
Achmes war nämlich Christ. Er hatte die Taufe erhalten und man nannte ihn Theodor bei den Liebesmahlen der Gläubigen, zu denen er sich heimlich zu der Zeit begab, die ihm für seinen Schlaf zugemessen war.
Zu jener Zeit erfuhr die Kirche die letzte Heimsuchung. Auf Befehl des Kaisers wurden die Basiliken niedergerissen, die heiligen Schriften verbrannt und die heiligen Gefäße und Leuchter eingeschmolzen. Ihrer Ehren und Auszeichnungen beraubt, erwarteten die Christen nur noch den Tod. Schrecken herrschte in der Gemeinde von Alexandrien; die Gefängnisse waren mit Opfern überfüllt. Man erzählte mit Entsetzen unter den Gläubigen, daß in Syrien, Arabien, Mesopotamien, Cappadocien, überall im Reiche die Peitsche, der Block, die Daumschrauben, das Kreuz und die wilden Tiere die Priester und die Jungfrauen peinigten. Da stürzte sich Antonius, der durch seine Traumgesichte und sein Einsiedlertum bereits berühmt gewordene Führer und Prophet der Gläubigen Ägyptens, wie ein Adler von seinem wilden Felsen herab in die Stadt Alexandrien 65 und entflammte, von einer Kirche zur andern eilend, die ganze Gemeinde mit seinem Feuer. Den Heiden unsichtbar, war er doch bei allen Versammlungen der Christen zugegen und flößte jedem den in ihm wohnenden Geist der Stärke und der Klugheit ein. Die Verfolgung wurde mit besonderer Strenge gegen die Sklaven gerichtet, so daß viele von ihnen von Furcht gepackt wurden und ihren Glauben verleugneten. Eine größere Anzahl von Sklaven floh in die Wüste in der Hoffnung, dort in frommer Betrachtung oder vom Raube leben zu können. Achmes jedoch nahm, wie gewohnt, an den Versammlungen teil, besuchte die Gefangenen, begrub die Märtyrer und bekannte freudig den Christenglauben. Der große Antonius, welcher Zeuge dieses wahren Eifers war, schloß vor seiner Rückkehr in die Wüste den schwarzen Sklaven in seine Arme und gab ihm den Friedenskuß.
Als Thaïs sieben Jahre zählte, begann Achmes ihr von Gott zu sprechen.
»Der gütige Herr und Gott«, sagte er zu ihr, »lebt im Himmel wie ein Pharao unter dem Zeltdache seines Harems und unter den Bäumen seiner Gärten. Er ist der Älteste der Ältesten und älter als die Welt und hat nur einen Sohn, den Prinzen Jesus, den er von ganzem Herzen liebt und der an Schönheit die Jungfrauen und die Engel übertrifft. Und der gute Herr und Gott sagte zum Prinzen Jesus:
›Verlaß meinen Harem und meinen Palast, meine Dattelhaine und meine Springbrunnen! Steige zum Wohle der Menschen auf die Erde nieder! Dort wirst 66 du wie ein kleines Kind sein und arm unter den Armen leben. Das Leiden wird dein tägliches Brot sein und du wirst so reichlich weinen, daß deine Tränen Bäche bilden, worin der ermüdete Sklave sich mit Wonne baden wird. Gehe, mein Sohn!‹
Prinz Jesus gehorchte dem guten Herrn und kam auf die Erde herab an einen Ort, der Bethlehem in Juda genannt wird. Er lustwandelte auf den Wiesen mit blühenden Anemonen, indem er zu seinen Gefährten sagte:
›Glücklich sind, die da Hunger leiden, denn ich werde sie zum Tische meines Vaters führen! Glücklich sind, die da dürsten, denn sie werden an den Quellen des Himmels trinken! Glücklich sind, die da weinen, denn ich werde ihre Augen mit Schleiern trocknen, die feiner sind, als diejenigen der Tänzerinnen.‹
Darum liebten ihn die Armen und glaubten an ihn. Aber die Reichen haßten ihn, weil sie fürchteten, er werde die Armen über sie erhöhen. – Zu jener Zeit waren Cäsar und Kleopatra mächtig auf Erden. Sie haßten beide Jesus und befahlen den Priestern und Schriftgelehrten, ihn zu töten. Um der Königin von Ägypten zu gehorchen, errichteten die Könige von Syrien ein Kreuz auf einem hohen Berge und ließen Jesus an diesem Kreuze sterben. Aber einige Frauen wuschen seinen Leichnam und begruben ihn, und Prinz Jesus stieg, nachdem er den Deckel seines Grabes aufgebrochen hatte, wieder zu dem guten Herrn, seinem Vater, empor.
67 Und seit jener Zeit kommen alle, die in ihm sterben, in den Himmel.
Gott der Herr breitet die Arme aus und sagt zu ihnen:
›Seid mir willkommen, weil ihr den Prinzen, meinen Sohn, liebt. Nehmet ein Bad und esset alsdann.‹
»Sie werden darauf unter den Klängen einer herrlichen Musik ihr Bad nehmen und während des ganzen Mahles Almeentänze sehen und Erzählern lauschen, deren Märchen nie enden werden. Gott, der gute Herr, wird sie lieber haben, als das Licht seiner Augen, da sie seine Gäste sind, und sie werden Teil haben an den Teppichen seines Karawanenhauses und an den Granatäpfeln seiner Gärten.«
Achmes sprach öfters über diese Dinge und Thaïs erfuhr so die Wahrheit. Sie wunderte sich über das alles und sagte:
»Ich möchte gerne von den Granatäpfeln des guten Herrn essen.«
Achmes antwortete ihr:
»Nur die, so in Jesu Namen getauft sind, werden die Früchte des Himmels kosten.«
Thaïs verlangte daher, getauft zu werden. – Hieran erkannte der Sklave, daß sie auf Jesum ihre Hoffnung baue, und beschloß, sie tiefer einzuweihen, damit sie in die Kirche eintreten könne; und da er sie als seine Tochter im Geiste ansah, schloß er sich nun noch enger an sie an.
Das von seinen ungerechten Eltern fortwährend 68 schlecht behandelte Kind hatte kein Bett unter dem väterlichen Dache. Sie schlief in einer Ecke des Stalls zwischen den Haustieren. Dort besuchte sie Achmes heimlich jede Nacht.
Er pflegte sich leise der Strohmatte zu nähern, worauf sie lag, und sich dann in der bei seiner Rasse gebräuchlichen Haltung mit aufgerichtetem Rumpfe und untergeschlagenen Beinen auf seine Fersen zu setzen. Sein schwarzer Körper und sein schwarzes Gesicht verloren sich im Finstern, nur seine großen weißen Augen glänzten und von ihnen ging ein Schein aus, der dem durch die Ritzen einer Türe dringenden Morgenlichte glich. Er sprach mit dünner, singender Stimme, deren leichtes Näseln die sanfte Traurigkeit der Musik hatte, die man des Abends in den Straßen hört. Bisweilen begleitete das Atmen eines Esels oder das sanfte Muhen einer Kuh, wie ein Chor niederer Geister, die Stimme des das Evangelium erklärenden Sklaven. Seine Worte flossen ruhig dahin in der finstern Nacht, die von frommem Eifer, von Gnade und Hoffnung erfüllt wurde. Und die Neubekehrte ließ sich, Achmes an der Hand haltend und mit unbestimmten Bildern vor den Augen, durch die eintönigen Laute in den Schlaf singen, und sie schlief dann ruhig lächelnd, gewiegt von den Harmonien der finstern Nacht und der heiligen Mysterien, unter dem Auge eines Sterns, der zwischen den Balken der Krippe hindurchblickte.
Die Unterweisung dauerte ein ganzes Jahr bis zu der Zeit, da die Christen mit Freuden das Osterfest begehen. In einer Nacht der ruhmreichen Woche fühlte 69 sich nun Thaïs, die bereits auf ihrer Strohmatte im Stalle eingeschlummert war, vom Sklaven, dessen Blick in ungewohnter Klarheit leuchtete, plötzlich emporgehoben. Er trug nicht, wie gewöhnlich, ein zerfetztes Lendentuch, sondern einen langen weißen Mantel, worein er das Kind hüllte, indem er leise sagte:
»Komm, meine Seele, komm, mein Augenlicht, komm, mein Herzchen! Komm und ziehe das weiße Gewand der Taufe an!«
Mit diesen Worten trug er das Kind fort, das sich an seine Brust schmiegte. Erschrocken und doch neugierig streckte Thaïs das Köpfchen aus dem Mantel hervor, indem sie sich an dem Halse ihres Freundes festhielt, der in der Nacht dahineilte. Sie verfolgten mehrere dunkle Gassen, kamen durch das Judenviertel und dann an einem Begräbnisplatze vorbei, wo eine Eule ihren Unglücksschrei hören ließ. An einem Kreuzweg sahen sie Leichen von Verbrechern an Kreuzen hängen. Raben saßen in großer Menge auf ihren Armen und klapperten mit den Schnäbeln. Bei diesem Anblick verbarg Thaïs ihr Gesicht an der Brust des Sklaven und wagte von nun an nicht mehr um sich zu blicken. Plötzlich fühlte sie, daß man sie auf den Boden gleiten ließ. Als sie die Augen öffnete, sah sie sich in einem engen Gewölbe, das durch Harzfackeln erleuchtet wurde und dessen Wände mit großen, steifen Figuren bemalt waren, die sich unter dem Rauche der Fackeln zu beleben schienen. Man sah dort Männer in langen Gewändern mit Palmen in den Händen inmitten von Lämmern, Tauben und Rebenranken. Thaïs 70 erkannte unter diesen Figuren Jesus von Nazareth daran, daß Anemonen zu seinen Fußen blühten.
In der Mitte des Raumes stand ein großes steinernes, bis zum Rand mit Wasser gefülltes Becken und neben ihm ein mit einem schmalen Stirnband und einem goldgestickten Purpurmantel geschmückter Greis. Sein mageres Gesicht lief in einen langen Bart aus, und in seinem reichen Gewande erschien der Greis sanft und demütig. Es war der Bischof Vivantius, das ausgewiesne Haupt der Kirche von Cyrene. Um zu leben, übte er den Beruf eines Webers aus und verfertigte grobe Stoffe aus Ziegenhaar. Zwei Kinder standen ihm zur Seite, und gleich daneben breitete eine alte Negerin ein kleines weißes Kindergewand aus. Nachdem Achmes das Kind auf den Boden gesetzt hatte, kniete er vor dem Bischof nieder und sagte:
»Mein Vater, hier ist die kleine Seele, die Tochter meiner Seele. Ich führe sie dir zu, damit du ihr, wie du es versprochen, und, wenn es deiner Würdigkeit gefällt, die Lebenstaufe gebest.«
Der Bischof breitete bei diesen Worten seine Arme aus und ließ seine verstümmelten Hände sehen. Man hatte ihm nämlich in den Tagen der Prüfung, da er das Evangelium bekannte, die Fingernägel ausgerissen. Thaïs fürchtete sich und warf sich in die Arme Achmes'. Aber der Priester beruhigte sie mit schmeichelnden Worten:
»Fürchte nichts, liebe Kleine. Du hast hier einen Vater im Geiste, nämlich diesen Achmes, den man unter den Lebenden Theodoros nennt, und eine gute Mutter 71 in der Gnade, welche dir mit ihren Händen ein weißes Gewand bereitet hat.«
Und zur Negerin gewendet, fuhr er fort:
»Sie heißt Nitida. Sie ist Sklavin hienieden. Aber Jesus wird sie im Himmel zum Range seiner Bräute erheben.«
Dann befragte er das neubekehrte Kind:
»Thaïs, glaubst du an Gott, den allmächtigen Vater, an seinen eingeborenen Sohn, der für unser Heil gestorben ist, und an alles, was die Apostel gelehrt haben?«
»Ja,« antworteten gemeinsam der Neger und die Negerin, die sich an den Händen hielten.
Auf Befehl des Bischofs entkleidete nun Nitida knieend das Kind vollständig, so daß es nur noch ein Amulett am Halse trug. Darauf tauchte der Priester es dreimal in das Taufbecken. Die Diener boten das Öl dar, womit Vivantius die Salbungen vornahm, und das Salz, von dem er ein Körnchen auf die Lippen des Täuflings legte. Dann rieb Nitida den jungen Körper, der durch soviel Prüfungen zum ewigen Leben eingehen sollte, trocken und bekleidete ihn mit dem weißen Gewande, das sie mit eigenen Händen gewebt hatte.
Der Bischof gab allen den Friedenskuß und legte nach beendigtem Gottesdienst sein Priestergewand ab.
Als sie alle die Krypta verlassen hatten, sagte Achmes:
»Wir dürfen uns an diesem Tage, da wir dem guten Herrn und Gott eine Seele geschenkt haben, eine 72 Freude gönnen. Gehen wir in das Haus, wo deine Würdigkeit wohnt, Hirte Vivantius, und überlassen wir uns für den Rest der Nacht der Freude.«
»Du hast wohl gesprochen, Theodoros,« antwortete der Bischof und führte die kleine Schar in seine nahegelegene Wohnung. Sie bestand aus einem einzigen Zimmer, dessen Einrichtung zwei Webstühle, ein rohgezimmerter Tisch und ein zerschlissener Teppich bildeten. Sobald sie eingetreten waren, rief der Nubier aus:
»Nitida, bring die Pfanne und den Ölkrug! Wir wollen ein gutes Mahl bereiten.«
Indem er also sprach, zog er kleine Fische hervor, die er unter seinem Mantel verborgen hatte, zündete ein großes Feuer an und buk sie. Hierauf setzten sich der Bischof, das getaufte Kind, die beiden Knaben und die beiden Sklaven im Kreise auf den Teppich und verzehrten die gebackenen Fische, indem sie den Herrn segneten. Vivantius erzählte von den Martern, die er ausgestanden, und verkündete den baldigen Triumph der Kirche. Seine Sprache war rauh, aber voll von Bildern und Wortspielen. Er verglich das Leben der Gerechten mit einem Purpurgewebe und sagte zur Erklärung der Taufe:
»Der Heilige Geist schwebte über den Wassern. Darum empfangen die Christen die Wassertaufe. Aber die bösen Geister bewohnen auch die Bäche. Die den Nymphen geweihten Quellen sind gefährlich und man hat gesehen, daß gewisse Wasser verschiedene Krankheiten der Seele und des Leibes hervorrufen.«
Oft sprach er in Rätseln und flößte dadurch dem 73 Kinde eine tiefe Bewunderung ein. Am Ende des Mahles bot er seinen Gästen etwas Wein dar. Ihre Zungen lösten sich und sie fingen an, heilige und weltliche Lieder zu singen. Achmes und Nitida erhoben sich und tanzten einen nubischen Tanz, den sie als Kinder gelernt hatten, und der wohl seit den ältesten Zeiten in ihrem Stamme getanzt worden war. Es war ein Liebestanz: indem sie die Arme und den ganzen, im Takte sich wiegenden Körper bewegten, taten sie, als ob sie sich abwechselnd suchten und wieder entzögen. Dabei rissen sie die Augen weit auf und zeigten lächelnd ihre blitzenden Zähne.
Auf diese Weise erhielt Thaïs die heilige Taufe.
Sie liebte aber die Belustigungen, und je größer sie wurde, um so mehr entstanden unbestimmte Wünsche in ihrem Innern. Sie tanzte und sang den ganzen Tag mit den in den Gassen herumirrenden Kindern und kehrte erst bei einbrechender Nacht in das Haus ihres Vaters zurück, indem sie vor sich hinsummte:
›Kröte, Kröte, warum bleibest du zu Hause?
Ich spinn' die Wolle und den Faden von Milet.
Kröte, Kröte, wie verlorst du deinen Sohn?
Von dem weißen Rosse fiel er in das Meer.‹
Sie zog jetzt der Gesellschaft des sanften Achmes die der Knaben und Mädchen vor, und bemerkte nicht, daß ihr Freund weniger oft um sie war. Da die Verfolgung nachgelassen hatte, fanden die Versammlungen der Christen häufiger statt und der Nubier wohnte ihnen möglichst oft bei. Sein Eifer erhitzte sich, geheimnisvolle Drohungen 74 entschlüpften manchmal seinen Lippen. Er sagte, daß die Reichen ihre Güter nicht behalten würden, und ging auf die öffentlichen Plätze, wo die Christen niederen Standes sich zu versammeln pflegten. Dort rief er die im Schatten der alten Mauern ausgestreckten Bettler zu sich und kündigte ihnen die Befreiung der Sklaven und den nahen Tag des Gerichts an.
»Im Reiche Gottes«, sagte er, »werden die Sklaven kühlen Wein trinken und herrliche Früchte essen, während die Reichen wie Hunde zu ihren Füßen liegen und die Brosamen ihres Tisches verschlingen werden.«
Diese Reden blieben nicht geheim. Sie wurden in der ganzen Vorstadt bekannt und die Herren begannen zu fürchten, daß Achmes die Sklaven zur Empörung aufreizen könnte. Sein Herr, der Schenkwirt, wurde darob sehr ärgerlich, ohne es sich jedoch merken zu lassen.
Als aber eines Tages ein dem Dienste der Hausgötter geweihtes silbernes Salzfaß aus der Schenke verschwunden war, wurde Achmes beschuldigt, es aus Haß gegen seinen Herrn und gegen die Götter des Reiches gestohlen zu haben. Die Anklage konnte nicht bewiesen werden, und Achmes beteuerte nach Kräften seine Unschuld. Er wurde trotzdem vor Gericht geschleppt und, da er für einen schlechten Diener galt, vom Richter zur Todesstrafe verurteilt.
»Deine Hände,« so sagte er zu ihm, »von denen du keinen guten Gebrauch zu machen gewußt hast, werden an den Pfahl genagelt werden.«
Achmes hörte das Urteil ruhig an, verneigte sich 75 voll Ehrerbietung vor dem Richter und wurde ins Gefängnis geführt. Während der drei Tage, die er dort zubrachte, predigte er den Gefangenen unaufhörlich das Evangelium und man erzählte später, daß die Verbrecher und sogar der Gefängniswärter, von seinen Worten tief ergriffen, den Glauben an Jesus den Gekreuzigten angenommen hätten.
Darauf führte man ihn an jenen Kreuzweg, den er vor weniger als zwei Jahren des nachts so freudig überschritten hatte, als er in seinem weißen Mantel die kleine Thaïs, die Tochter seiner Seele, sein geliebtes Herzblatt, zur Taufe trug. Als seine Hände am Kreuze festgenagelt wurden, stieß er keinen Klageruf aus, sondern seufzte danach nur oftmals: »Mich dürstet!«
Sein Todeskampf dauerte drei Tage und drei Nächte. Man hatte nicht geglaubt, daß ein menschlicher Körper eine so lange Qual aushalten könnte. Mehrmals hielt man ihn bereits für tot; die Fliegen zehrten bereits an seinen wächsernen Augenlidern; aber immer wieder öffnete er seine blutroten Augen. Am Morgen des vierten Tages sang er mit einer Stimme, die reiner war, als die eines Kindes:
»Sag' uns, Maria, was sahst du dort, woher du kommst?«
Dann lächelte er und sagte:
»Da sind sie, die Engel des Herrn! Sie bringen mir Wein und Früchte. Wie kühl ist ihr Flügelschlag!«
Und er hauchte seinen Geist aus.
Sein Gesicht behielt auch im Tode den Ausdruck 76 seliger Begeisterung bei und die Soldaten, welche den Richtplatz bewachten, fühlten sich von Bewunderung ergriffen. Vivantius ging mit einigen Christen hin, um den Leichnam zu fordern und begrub ihn unter den Reliquien der Märtyrer in der Krypta Johannes des Täufers. Die Kirche aber bewahrte dem heiligen Theodor, dem Nubier, ein verehrungsvolles Andenken.
Drei Jahre später erließ Kaiser Konstantin nach seinem Siege über Maxentius ein Edikt, das den Christen vollen Frieden sicherte, und fortan wurden die Gläubigen nur noch von den Häretikern verfolgt.
Thaïs vollendete ihr elftes Jahr, als ihr Freund als Märtyrer starb. Sie empfand darüber eine unbesiegbare Traurigkeit und großes Entsetzen. Ihre Seele war nicht rein genug, um zu begreifen, daß der Sklave Achmes infolge seines Lebenswandels und seines Sterbens zu den Glücklichen zu rechnen sei. In ihrer kleinen Seele keimte der Gedanke, daß man in dieser Welt nur um den Preis der entsetzlichsten Qualen gut sein könne. Sie fürchtete sich deshalb davor, gut zu sein, denn ihr zarter Körper scheute vor dem Schmerz zurück.
Sie gab sich schon früh mit den Knaben ab, die sie am Hafen fand, und folgte den älteren Männern, die des Abends die Vorstädte durchstreiften. Mit dem Gelde, das sie ihr gaben, kaufte sie Kuchen und allerlei Tand, um sich zu schmücken.
Da sie jedoch nichts von ihrem Verdienste nach Hause brachte, wurde sie von ihrer Mutter mit Schlägen traktiert, und um diesen zu 77 entrinnen, lief sie barfuß bis zu den Stadtwällen und verbarg sich mit den Eidechsen in den Mauerspalten. Dort sah sie voll Neid den Frauen nach, welche reichgekleidet und von zahlreichen Dienern umgeben in Sänften vorübergetragen wurden.