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Als Thaïs, von Paphnucius gefolgt, den Saal des Gastmahls betrat, lagen die meisten Gäste schon, auf ihre Ellbogen gestützt, auf den Ruhebetten, welche den mit glänzendem Geschirr bedeckten hufeisenförmigen Tisch umgaben. Inmitten der Tafel erhob sich ein silbernes Becken, auf dessen Rand vier silberne Satyre standen, welche aus Schläuchen eine Brühe herabgossen, worin gekochte Fische in dem Becken schwammen. Bei der Ankunft der Thaïs rief man von allen Seiten:
»Gegrüßt sei die Schwester der Grazien!«
»Gegrüßt sei die schweigsame Melpomene, deren Blicke alles auszudrücken wissen!«
»Gegrüßt sei die Geliebte der Götter und der Menschen!«
»Auf das Wohl der Allersehnten!«
»Auf das Wohl deren, die Wunden schlägt und Wunden heilt!«
»Es lebe die Perle der Rakotis!«
108 »Es lebe die Rose von Alexandrien!«
Sie wartete ruhig ab, bis sich der Sturm legte, und sagte dann zu Cotta, dem Gastgeber:
»Lucius, ich führe dir einen Mönch der Wüste, den Abt Paphnucius von Antinoë, zu. Er ist ein großer Heiliger, dessen Reden wie Feuer brennen.«
Der Flottenpräfekt Lucius Aurelius Cotta erhob sich und antwortete:
»Sei willkommen, Paphnucius, der du den Christenglauben bekennst! Ich selbst habe eine gewisse Achtung für diesen nunmehr kaiserlichen Kultus. Der göttliche Konstantin hat deine Glaubensgenossen in die erste Reihe der Freunde seines Reichs gesetzt. Die lateinische Weisheit konnte auch kaum umhin, deinen Christus in unser Pantheon aufzunehmen. Es ist ein Grundsatz unserer Vorfahren, daß an jeder Gottheit etwas Göttliches ist. Doch lassen wir das! Wir wollen trinken und fröhlich sein, so lang es noch Zeit ist.«
Der alte Cotta sprach so mit heiterer Gelassenheit. Er hatte soeben ein neues Modell einer Galeere studiert und das sechste Buch seiner Geschichte Karthagos vollendet. Im Bewußtsein, seinen Tag nicht verloren zu haben, war er mit sich selbst und den Göttern zufrieden.
»Paphnucius,« fuhr er fort, »du siehst hier mehrere liebenswerte Männer, Hermodorus, den Oberpriester des Serapis, die Philosophen Dorion, Nikias und Zenothemis, den Dichter Kallikrates, die Jünglinge Chäreas und Aristobulus, die Söhne eines teuren Jugendfreundes, und neben ihnen Philinna und Drose, deren Schönheit das höchste Lob verdient.«
109 Nikias stand auf, umarmte Paphnucius und flüsterte ihm ins Ohr:
»Ich habe dir warnend ausdrücklich gesagt, Bruder, daß Venus mächtig sei. Ihre sanfte Gewalt hat dich gegen deinen Willen hierher geführt. Du bist zwar voll Frömmigkeit, aber wenn du nicht anerkennst, daß sie die Mutter aller Götter ist, so ist dein Verderben sicher. Wisse, daß der alte Mathematiker Melanthus zu sagen pflegt: ›Ohne Hilfe der Venus könnte ich nicht die Eigenschaften eines Dreiecks nachweisen.‹«
Dorion, welcher seit einigen Augenblicken den Ankömmling betrachtete, klatschte plötzlich in die Hände und rief voll Bewunderung:
»Er ist es, Freunde! Sein Blick, sein Bart, sein Gewand, alles stimmt! Ich traf ihn im Theater, als unsere Thaïs ihre kunstfertigen Arme zeigte. Er war lebhaft erregt, und ich kann bezeugen, daß er mit Leidenschaft redete. Er ist ein ehrlicher Mann, er wird uns allen den Kopf waschen. Seine Beredsamkeit ist furchtbar. Wenn Marcus der Plato der Christen ist, so ist Paphnucius ihr Demosthenes. Epikur hat in seinem Garten nie etwas Ähnliches gehört.«
Philinna und Drose verschlangen unterdessen Thaïs mit den Augen. Sie trug in ihren blonden Haaren einen Kranz blasser Veilchen, worin jede Blute in abgeschwächter Schattierung die Farbe ihrer Augen wiedergab, so daß die Blüten wie halb erloschene Blicke und die Augen wie leuchtende Blüten aussahen. Es war eine besondere Gabe dieser Frau, daß alles an ihr lebte, daß alles Seele und Harmonie war. Ihr malvenfarbiges Kleid 110 mit Silberstreifen war in seinen langen Falten von einer beinahe düsteren Grazie, welche weder durch Halsbänder noch durch Armspangen erhellt wurde. Ihre nackten Arme waren das einzige Helle an ihrer Erscheinung. Die beiden Freundinnen bewunderten unwillkürlich das Gewand und den Kopfputz der Thaïs, sagten ihr aber nichts davon.
»Wie schön du bist,« rief Philinna aus. »Du konntest unmöglich schöner sein zur Zeit, da du nach Alexandrien kamst. Und doch sagte mir meine Mutter, die sich erinnerte, dich damals gesehen zu haben, daß wenig Frauen würdig waren, sich mit dir zu vergleichen.«
»Wer ist denn«, so fragte Drose, »der neue Liebhaber, den du uns mitbringst? Er sieht sonderbar und wild aus. Wenn es Elefantenhirten gäbe, so müßten sie ihm gleichen. Wo hast du einen so rauhen Freund gefunden, Thaïs? Vielleicht bei den Troglodyten, die unter der Erde leben und vom Ruße des Hades geschwärzt sind?«
Aber Philinna legte einen Finger auf Droses Mund und sagte:
»Schweig, die Geheimnisse der Liebe müssen verborgen bleiben! Es ist verboten, sie zu erforschen. Ich würde es sicher vorziehen, mich von dem Munde des rauchenden Ätna als von den Lippen dieses Mannes küssen zu lassen. Aber unsere liebe Thaïs, die schön und anbetungswürdig ist wie die Göttinnen, muß alle Gebete erhören und nicht bloß, wie wir, die der liebenswerten Männer.«
»Nehmt euch beide in acht!« antwortete Thaïs. 111 »Er ist ein Zauberer, ein Magier. Er hört die geflüsterten Worte und sogar die Gedanken. Er wird euch im Schlafe das Herz aufreißen und es durch einen Schwamm ersetzen, so daß ihr morgen, wenn ihr Wasser trinkt, an Erstickung sterbet!«
Sie sah sie erbleichen, kehrte ihnen den Rücken und setzte sich neben Paphnucius auf eines der Ruhebetten. Cottas wohlwollend befehlerische Stimme übertönte plötzlich das Gemurmel der Einzelgespräche:
»Nehmt eure Plätze ein, Freunde! Schenkt den Honigwein ein, Sklaven!«
Dann erhob er seinen Becher und sprach:
»Laß uns zuerst auf das Wohl des göttlichen Constantius und auf den Genius des Reiches trinken! Das Vaterland ist über alles, sogar über die Götter zu stellen, da es auch sie alle mit einbeschließt.«
Alle Gäste führten den vollen Becher zum Munde. Paphnucius allem trank nicht, weil Constantius das Glaubensbekenntnis von Nicäa bekämpfte und weil des Christen Vaterland nicht von dieser Welt ist.
Dorion murmelte, nachdem er getrunken:
»Was ist das Vaterland? Ein rinnender Fluß. Seine Ufer sind unbestimmt, und seine Wellen erneuern sich fortwährend.«
»Ich weiß, Dorion,« antwortete der Flottenpräfekt, »daß du auf Bürgertugenden wenig gibst und daß nach deiner Meinung der Weise den Staatsangelegenheiten fernbleiben soll. Ich glaube im Gegenteil, daß ein ehrlicher Mann nichts so sehr wünschen sollte, als hohe
112 Staatsämter zu bekleiden. Der Staat ist etwas Schönes!«
Hermodorus, der Oberpriester des Serapis, ergriff hierauf das Wort und sagte:
»Dorion fragte soeben: ›Was ist das Vaterland?‹ Ich möchte antworten: Die Altäre der Götter und die Gräber der Ahnen sind es, welche das Vaterland ausmachen. Man ist Mitbürger durch die Gemeinschaft der Erinnerungen und der Hoffnungen.«
Der junge Aristobulus unterbrach den Oberpriester:
»Beim Castor, ich habe heute ein schönes Pferd gesehen. Es gehört dem Demophon. Es hat einen feinen Kopf, wenig Ganasse und starke Vorderbeine. Den Hals trägt es hoch und stolz, wie ein Hahn.«
Der junge Chäreas wandte kopfschüttelnd ein:
»Das Pferd ist nicht so gut, wie du sagst, Aristobulus. Es hat schwache Hufe, und die Fesseln neigen sich zur Erde. Das Tier wird bald lahm sein.«
Sie setzten ihren Streit fort, als Drose plötzlich laut aufschrie:
»Au! Beinahe hätte ich eine Gräte verschluckt, die länger und schärfer ist als ein Dolch. Glücklicherweise habe ich sie rechtzeitig aus meinem Schlunde ziehn können. Die Götter lieben mich!«
»Du sagst, teure Drose, daß dich die Götter lieben?« fragte Nikias lächelnd. »Das würde bedeuten, daß sie die Schwächen der Menschen teilen. Die Liebe setzt bei dem, der sie empfindet, das Gefühl eines heimlichen Elends voraus. Durch sie verrät sich die Schwäche der 113 Wesen. Die Liebe, welche die Götter für Drose empfinden, ist ein starker Beweis ihrer Unvollkommenheit.«
Diese Worte versetzten Drose in große Wut.
»Nikias,« rief sie aus. »was du da sagst, ist Unsinn und hat weder Hand noch Fuß. Es ist übrigens immer deine Art, nicht zu verstehen, was man sagt, und ungereimtes Zeug zu antworten.«
Nikias lächelte wieder, indem er erwiderte:
»Sprich, sprich, teure Drose! Was du auch sagen magst, man muß dir immer Dank wissen, wenn du den Mund öffnest. Deine Zähne sind so schön!«
In diesem Augenblick trat ein ernster, nachlässig gekleideter Greis langsamen Schrittes und erhobenen Hauptes in den Saal und ließ seinen Blick ruhig über die Gäste schweifen. Cotta lud ihn mit einer Handbewegung ein, an seiner Seite auf seinem eigenen Ruhebette Platz zu nehmen.
»Eukritus,« sagte er zu ihm, »sei mir willkommen! Hast du diesen Monat eine neue Abhandlung über die Philosophie geschrieben? Es wäre, wenn ich richtig zähle, die zweiundzwanzigste, die dem Nilschilfrohr entflossen ist, das du mit der Hand eines Attikers führst.«
Eukritus antwortete, indem er seinen Silberbart strich:
»Die Nachtigall ist zum Singen geschaffen, und ich bin dazu gemacht, die unsterblichen Götter zu preisen.«
Dorion. Laßt uns mit Ehrfurcht in Eukritus den letzten 114 der Stoiker begrüßen! Silberweiß und ernst erhebt er sich unter uns, wie ein Bild der Vorfahren! Er steht einsam in der Menge der Menschen und spricht Worte, auf die niemand hört.
Eukritus. Du irrst, Dorion. Die Philosophie der Tugend ist in dieser Welt nicht ausgestorben. Ich habe zahlreiche Schüler in Alexandrien, Rom und Konstantinopel. Sogar unter den Sklaven und Günstlingen der Cäsaren gibt es mehrere, die noch verstehen, sich selbst zu beherrschen, frei zu leben und in der Loslösung von den Dingen dieser Welt ein unbegrenztes Glück zu genießen. Mehrere lassen in sich Epiktet und Mark Aurel wiederaufleben. Aber, wenn es auch wahr wäre, daß die Tugend auf immer erloschen sei auf Erden, wie könnte ihr Verlust mein Glück beeinträchtigen, da ihre Fortdauer oder ihr Verschwinden nicht von mir abhängt? Nur die Toren, o Dorion, gründen ihre Glückseligkeit außerhalb ihres Machtbereichs. Ich verlange nichts, was die Götter nicht wollen, und wünsche alles, was sie wollen. Dadurch stelle ich mich ihnen gleich und teile ihre unfehlbare Zufriedenheit. Wenn die Tugend verschwindet, stimme ich ihrem Verschwinden zu, und diese Zustimmung erfüllt mich mit Freude wie die äußerste Anstrengung meiner Vernunft oder meines Mutes. In allen Dingen wird meine Weisheit die göttliche Weisheit nachahmen, und diese Nachahmung wird wertvoller sein als das Vorbild, denn sie wird mehr Sorgfalt und größere Arbeit erfordert haben. 115
Nikias. Ich verstehe. Du verbindest dich mit der himmlischen Vorsehung. Aber, wenn die Tugend allein in der Anstrengung besteht, Eukritus, und in jener Anspannung, wodurch sich die Schüler Zenos den Göttern gleich zu machen behaupten, so vollbringt der Frosch, der sich aufbläht, um ebenso groß zu werden wie der Ochse, das Meisterwerk des Stoizismus.
Eukritus. Nikias, du spottest, wie gewöhnlich, und verstehst es meisterlich, dich lustig zu machen. Wenn jedoch der Ochse, von dem du sprichst, wirklich ein Gott ist, wie der Stier Apis und wie jener unterirdische Stier, dessen Oberpriester ich hier sehe, und wenn der Frosch in weisem Streben dahin gelangt, ihm gleichzukommen, wird er dann nicht in der Tat tugendhafter sein als der Ochse, und könntest du einem so edlen Tierchen deine Bewunderung versagen?
Während er so sprach, setzten vier Diener ein noch mit feinen Borsten bedecktes Wildschwein auf die Tafel. Ferkel aus gebackenem Brodteig umgaben das Tier und deuteten an, daß es eine Sau war.
Zenothemis wandte sich zum Mönch und sagte:
»Ihr Freunde, ein Gast hat sich uns freiwillig angeschlossen. Der berühmte Paphnucius, der in der Einsamkeit ein wunderbares Leben führt, ist unser unerwarteter Gast.
Cotta. Setze hinzu, Zenothemis, daß ihm der erste 116 Platz gebührt, weil er gekommen ist, ohne geladen zu sein.
Zenothemis. Darum wollen wir ihn auch, mein lieber Lucius, mit besonderer Freundschaft aufnehmen und darauf sinnen, was ihm am angenehmsten sein könnte. Da nun sicherlich ein solcher Mann für den Bratenduft weniger empfänglich ist als für den Wohlgeruch schöner Gedanken, so würden wir ihm ohne Zweifel Vergnügen bereiten, wenn wir die Unterhaltung auf die Lehre lenkten, die er bekennt, und welche die des gekreuzigten Jesus ist. Ich bin für mein Teil um so mehr bereit dazu, als mich diese Lehre durch die Zahl und die Mannigfaltigkeit der Allegorien, die sie enthält, lebhaft anzieht. Wenn man unter dem Buchstaben den Geist errät, so ist sie voll von Wahrheiten, und ich bin der Meinung, daß die Bücher der Christen von göttlichen Offenbarungen überfließen. Hingegen kann ich, o Paphnucius, den Büchern der Juden nicht den gleichen Preis zuerkennen. Sie sind nicht, wie man gesagt hat, vom Geiste Gottes eingegeben worden, sondern von einem bösen Geiste. Jahve, der sie diktiert hat, war einer der Geister, welche die Luftschicht bewohnen und die meisten Übel erzeugen, an denen wir leiden; er übertraf sie jedoch alle an Unwissenheit und Grausamkeit. Die goldflüglige Schlange dagegen, welche sich in himmelblauer Farbe um den Baum der Erkenntnis wand, war aus Licht und Liebe gebildet. Der Kampf war denn auch unvermeidlich zwischen diesen beiden Gewalten, 117 der lichtglänzenden und der nachtdunkeln. Schon in den ersten Tagen der Welt brach er aus. Gott hatte sich kaum in seine Ruhe zurückbegeben, Adam und Eva, der erste Mann und die erste Frau, lebten in glücklicher Nacktheit im Garten von Eden, als Jahve zu ihrem Unheil den Plan faßte, sie selbst und alle künftigen Geschlechter, welche Eva bereits in ihren herrlichen Lenden trug, zu beherrschen. Da er weder den Zirkel noch die Leier besaß, da er weder die Wissenschaft kannte, die befiehlt, noch die Kunst, die überredet, so erschreckte er die beiden armen Kinder durch unförmliche Erscheinungen, launenhafte Drohungen und Donnerschläge. Da Adam und Eva seinen Schatten über sich fühlten, schmiegten sie sich aneinander, und ihre Liebe wurde durch die Furcht verdoppelt. Die Schlange aber empfand Mitleid mit ihnen und beschloß, sie zu belehren, damit sie im Besitze der Erkenntnis nicht mehr durch Lügen getäuscht würden. Dieses Unternehmen erforderte jedoch eine seltene Klugheit, und die Schwäche des ersten Menschenpaares machte es beinahe aussichtslos. Der wohlwollende Dämon versuchte es dennoch. Ohne Vorwissen Jahves, der alles zu sehen vorgab, dessen Blick aber in Wahrheit wenig durchdringend war, nahte sich die Schlange den beiden Geschöpfen und entzückte ihre Augen durch den Glanz ihres Panzers und das Funkeln ihrer Flügel. Dann beschäftigte sie ihren Geist, indem sie vor ihnen mit ihrem Körper regelmäßige Figuren, wie den Kreis, die Ellipse und die Spirale, bildete, deren wunderbare Eigenschaften später durch die Griechen erkannt wurden. Adam dachte mehr 118 als Eva über diese Figuren nach. Als aber die Schlange zu reden anfing und die höchsten Wahrheiten verkündete, die sich nicht beweisen lassen, da erkannte sie, daß der aus roter Erde geknetete Adam von zu grobem Stoffe war, um diese subtilen Kenntnisse aufzunehmen, daß aber Eva, da sie zarter und gefühlvoller war, sich leicht davon durchdringen ließ. Daher unterhielt die Schlange sich mit ihr allein in Abwesenheit ihres Gatten, um sie zuerst einzuweihen.
Dorion. Erlaube mir, Zenothemis, dich hier zu unterbrechen. Anfangs erkannte ich in dem Mythus, den du uns erklärst, eine Episode aus dem Kampf der Pallas Athene mit den Giganten. Jahve gleicht stark dem Typhon, und Pallas wird von den Athenern mit einer Schlange zur Seite dargestellt. Was du aber soeben sagst, läßt mich plötzlich an der Einsicht oder der Aufrichtigkeit der Schlange zweifeln, von der du sprichst. Hätte sie nämlich wirklich die Weisheit besessen, so würde sie dieselbe wohl kaum einem zu ihrer Erfassung unfähigen kleinen Frauenhirn anvertraut haben. Ich möchte eher annehmen, daß sie ebenso unwissend und lügnerisch war wie Jahve und daß sie Eva wählte, weil sie leicht zu verführen war und weil sie bei Adam mehr Einsicht und Nachdenken voraussetzte.
Zenothemis. Wisse, Dorion, daß man nicht durch Nachdenken und Einsicht, sondern durch das Gefühl der höchsten und reinsten Wahrheiten teilhaftig wird. Darum 119 erheben sich die Frauen, welche gewöhnlich weniger nachdenken, aber mehr empfinden als die Männer, leichter zur Erkenntnis der göttlichen Dinge. Sie besitzen die Gabe der Weissagung, und nicht ohne Grund stellt man oft den Apollo Citharödus und Jesus von Nazareth nach Frauenart mit langen, flatternden Gewändern bekleidet dar. Die belehrende Schlange hat daher gut daran getan, was du auch sagen magst, Dorion, daß sie dem plumpen Adam die Eva, die weißer war als die Milch und die Sterne, für ihr Aufklärungswerk vorzog. Eva hörte gehorsam auf die Schlange und ließ sich zum Baum des Wissens führen, dessen Zweige sich bis zum Himmel erhoben und den der göttliche Geist, wie ein Tau, tränkte. Dieser Baum war mit Blättern bedeckt, welche alle Sprachen der kommenden Menschen redeten und deren Stimmen einen vollkommenen Akkord bildeten. Seine üppigen Früchte verliehen den Eingeweihten, die sich davon nährten, die Kenntnis der Metalle, der Steine, der Pflanzen sowie der Gesetze der Körper und des Geistes; sie waren jedoch von Feuer, und die, welche Leid und Tod fürchteten, wagten nicht, sie an ihre Lippen zu führen. Nachdem Eva die Lehren der Schlange gehorsam aufgenommen, erhob sie sich über die eitle Furcht und verlangte nach den Früchten, welche die Kenntnis Gottes verleihen. Damit aber Adam, den sie liebte, nicht hinter ihr zurückstehe, nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn zum Wunderbaum. Dort brach sie einen brennenden Apfel, biß hinein und reichte ihn dann ihrem Gefährten. Unglücklicherweise überraschte sie der zufällig 120 im Garten lustwandelnde Jahve, und, da er sah, daß sie weise wurden, brach er in fürchterliche Wut aus. In der Eifersucht war er am meisten zu fürchten. Er sammelte alle seine Kräfte und verursachte einen solchen Tumult in der unteren Luftschicht, daß die beiden schwachen Wesen sich entsetzten. Die Frucht entglitt der Hand des Mannes, und das Weib fiel ihm um den Hals und rief: ›Ich will mit dir unwissend sein und leiden.‹ Jahve triumphierte und hielt Adam und Eva und ihre ganze Nachkommenschaft in Furcht und Entsetzen fest. Seine Kunst, die sich auf die Erzeugung grober Lufterscheinungen beschränkte, trug über die Wissenschaft der Schlange, welche in der Geometrie und der Musik bewandert war, den Sieg davon. Er lehrte die Menschen die Ungerechtigkeit, die Unwissenheit und die Grausamkeit und ließ auf Erden das Böse herrschen. Er verfolgte Kain und seine Söhne, weil sie erfinderisch waren; er rottete die Philister aus, weil sie orphische Gedichte und Fabeln in der Art der Äsopischen verfaßten. Er war der unversöhnliche Feind der Wissenschaft und der Schönheit, und das Menschengeschlecht büßte jahrhundertelang in Blut und Tränen für die Niederlage der geflügelten Schlange. Glücklicherweise fanden sich unter den Griechen einsichtige Männer, wie Pythagoras und Plato, welche kraft ihres Genius die Figuren und Ideen wiederfanden, welche die Feindin Jahves umsonst dem ersten Weibe zu lehren versucht hatte. Der Geist der Schlange war in ihnen; darum wird, wie Dorion gesagt hat, die Schlange von den Athenern verehrt. In neuerer Zeit endlich erschienen in 121 menschlicher Gestalt drei himmlische Geister, Jesus von Galiläa, Basilides und Valentin, denen es vergönnt war, die glänzendsten Früchte vom Baume der Erkenntnis zu brechen, dessen Wurzeln die Erde durchdringen und dessen Wipfel an den Himmel reicht. Das ist's, was ich zu bemerken hatte, um die Christen zu rechtfertigen, denen man zu oft die Irrtümer der Juden zur Last legt.
Dorion. Wenn ich dich recht verstanden habe, Zenothemis, haben die drei Wundermänner Jesus, Basilides und Valentin Geheimnisse entdeckt, die dem Pythagoras und Plato und allen Philosophen Griechenlands, sogar dem göttlichen Epikur, der doch die Menschen von aller eiteln Furcht befreit hat, verborgen blieben. Du würdest uns sehr verbinden, wenn du uns sagen wolltest, wodurch diese drei Sterblichen Kenntnisse erlangten, welche jenen Weisen entgangen waren.
Zenothemis. Muß ich dir denn wiederholen, Dorion, daß die Wissenschaft und das Nachdenken nur die ersten Stufen der Erkenntnis sind und daß die Verzückung allein zu den ewigen Wahrheiten führt?
Hermodorus. Es ist richtig, Zenothemis, daß sich die Seele von der Verzückung nährt, wie die Grille vom Tau. Aber drücken wir uns noch besser aus: der Geist allein ist einer völligen Verzückung fähig. Denn der Mensch ist dreifach, er besteht aus einem materiellen Körper, einer 122 feineren, aber immer noch ebenso materiellen Seele und einem unzerstörbaren Geist. Wenn der Geist seinem Körper, wie einem plötzlich dem Stillschweigen und der Einsamkeit überlassenen Palast, entflohen ist, im Fluge die Gärten der Seele durcheilt hat und sich dann in Gott ergießt, so genießt er die Wonnen eines vorzeitigen Todes oder vielmehr des künftigen Lebens, denn Sterben heißt Leben, und in diesem Zustande, der an der göttlichen Reinheit teilnimmt, besitzt er zugleich die unendliche Freude und die höchste Erkenntnis. Er ist vollkommen.
Nikias. Das ist wunderbar. Aber, aufrichtig gesagt, Hermodorus, sehe ich den großen Unterschied zwischen dem All und dem Nichts nicht ein. Die Worte scheinen mir sogar zu fehlen, um diesen Unterschied auszudrücken. Das Unendliche gleicht ungemein dem Nichts: sie sind beide unfaßbar. Nach meinem Dafürhalten ist die Vollkommenheit sehr teuer: man bezahlt sie mit seinem ganzen Wesen und, um sie zu besitzen, muß man aufhören zu existieren. Das ist ein hartes Los, dem selbst Gott nicht entgangen ist, seit die Philosophen sich in den Kopf gesetzt haben, ihn zu vervollkommnen. Wenn wir andrerseits nicht wissen, was das Nichtsein ist, so ist uns gerade aus diesem Grunde unbekannt, was das Sein ist. Wir wissen nichts. Man sagt, es sei den Menschen unmöglich, sich zu verständigen. Ich möchte vielmehr trotz unserer vielen Disputationen annehmen, daß sie im Gegenteil schließlich einer Meinung werden müssen, wenn sie Seite an 123 Seite unter dem Haufen der Widersprüche begraben sind, die sie, wie den Pelion auf den Ossa, aufgetürmt haben.
Cotta. Ich liebe die Philosophie sehr und studiere sie in meinen Mußestunden. Aber ich verstehe sie nur in den Büchern Ciceros ganz. Sklaven, schenkt den Honigwein ein!
Kallikrates. Wie merkwürdig! Wenn ich nüchtern bin, denke ich an die Zeiten, da die tragischen Dichter sich an den Tisch der wohlwollenden Tyrannen setzten, und mir wässert danach der Mund. Sobald ich jedoch den kostbaren Wein trinke, den du uns so reichlich fließen läßt, freigebiger Lucius, träume ich nur von Freiheitskriegen und Heldentaten. Ich erröte darüber, daß ich in einer ruhmlosen Zeit lebe, ich rufe die Freiheit an und vergieße in Gedanken mein Blut mit den letzten Römern auf den Feldern von Philippi.
Cotta. Während des Niederganges der Republik fielen meine Ahnen mit Brutus für die Freiheit. Aber man darf zweifeln, ob das, was sie die Freiheit des römischen Volkes nannten, in Wahrheit nicht die Möglichkeit war, es selbst zu regieren. Ich leugne nicht, daß die Freiheit für ein Volk das höchste der Güter sei. Aber je länger ich lebe, um so mehr überzeuge ich mich, daß nur ein starkes Regiment sie den Bürgern sichern kann. Ich habe vierzig Jahre lang die höchsten Staatsämter bekleidet, 124 und meine lange Erfahrung hat mir gezeigt, daß das Volk unterdrückt wird, wenn seine Regierung schwach ist. Daher begehen die, welche, wie die meisten Rhetoren, sich bemühen, die Staatsgewalt zu schwächen, ein abscheuliches Verbrechen. Wenn der Wille eines Einzelnen sich gelegentlich in unheilvoller Weise äußert, so macht die Zustimmung des Volkes jede Lösung unmöglich. Bevor die Majestät des römischen Friedens die Welt bedeckte, waren die Völker nur unter einsichtigen Tyrannen glücklich.
Hermodorus. Ich glaube meinerseits, Lucius, daß es keine gute Regierungsform gibt und daß man keine entdecken kann, da die erfindungsreichen Griechen, welche soviel glückliche Formen erdachten, sie gesucht und nicht gefunden haben. In dieser Hinsicht ist uns fortan jede Hoffnung untersagt. Es sind sichere Anzeichen dafür vorhanden, daß die Welt nahe daran ist, sich in Unwissenheit und Barbarei zu verlieren. Es war uns beschieden, Lucius, dem entsetzlichen Todeskampfe der Zivilisation beizuwohnen. Von allen Befriedigungen, welche die Intelligenz, die Wissenschaft und die Tugend gewährten, bleibt uns nur noch die grausame Freude, uns sterben zu sehen.
Cotta. Der Hunger des Volkes und die Frechheit der Barbaren sind sicherlich furchtbare Übel. Aber mit einer guten Flotte, einer guten Armee und mir guten Finanzen . . . 125
Hermodorus. Wozu sich schmeicheln? Das dahinsiechende Reich ist den Barbaren eine leichte Beute. Die Städte, welche der hellenische Genius und die römische Geduld aufgebaut haben, werden bald durch trunkene Wilde verwüstet werden. Es wird auf Erden weder Kunst noch Philosophie mehr geben. Die Götterbilder werden umgestürzt werden in den Tempeln, und in den Seelen. Geistige Nacht wird hereinbrechen, und die Kultur der Welt wird untergehen. Denn wie sollte man annehmen, daß die Sarmaten sich je der geistigen Arbeit widmen, daß die Germanen die Musik und die Philosophie pflegen, daß Quaden und Markomannen die unsterblichen Götter anbeten werden? Nein, alles sinkt hin und geht unter. Unser altes Ägypten, das die Wiege der Welt war, wird auch ihre Gruft sein. Serapis, der Todesgott, wird die letzten Huldigungen der Sterblichen empfangen, und ich werde einst der letzte Priester des letzten Gottes gewesen sein.
In diesem Augenblicke hob eine merkwürdige Gestalt den Türvorhang, und die Gäste erblickten einen kleinen Buckligen, dessen Schädel oben spitz zulief. Er war nach asiatischer Sitte in einen hellblauen Leibrock gehüllt und trug, wie die Barbaren, rote Beinkleider, in die goldene Sterne eingewirkt waren. Paphnucius erkannte auf den ersten Blick den Arianer Marcus, und da er fürchtete, einen Blitzstrahl herniederfahren zu sehn, hielt er die Hände über den Kopf und wurde vor 126 Schrecken bleich. Was bei diesem Gastmahl der Dämonen weder die Gotteslästerungen der Heiden noch die abscheulichen Verirrungen der Philosophen vermocht hatten, das bewirkte die bloße Gegenwart des Häretikers, indem sie seinen Mut erschütterte. Er wollte fliehen, aber sein Blick traf den der Thaïs, und dies beruhigte ihn plötzlich. Er hatte in der Seele der Auserwählten gelesen und erkannt, daß die, welche eine Heilige werden sollte, ihn bereits beschütze. Er ergriff eine Falte ihres wallenden Gewandes und betete im Geiste zum Heiland Jesus.
Ein Beifallsgemurmel hatte die Ankunft des Mannes begleitet, den man den Plato der Christen nannte. Hermodorus sprach zuerst zu ihm:
»Berühmtester Marcus, wir sind alle erfreut, dich unter uns zu sehn, und ich darf sagen, daß du zur rechten Zeit kommst. Wir kennen von dem Christenglauben nur das, was öffentlich gelehrt wird. Da nun ein Philosoph, wie du, gewiß nicht die gleichen Gedanken haben kann wie das gemeine Volk, so sind wir begierig, deine Meinung über die wichtigsten Mysterien der Religion, die du bekennst, zu vernehmen. Unser teurer Zenothemis, der, wie du weißt, auf Symbole versessen ist, befragte soeben den berühmten Paphnucius über die Bücher der Juden. Aber Paphnucius hat ihm nicht geantwortet. Wir sind darüber keineswegs erstaunt, da sich unser Gast dem Schweigen geweiht und Gott seine Zunge in der Wüste versiegelt hat. Aber du, Marcus, der du in den Synoden der Christen und sogar im Rate des göttlichen Konstantins das Wort führtest, 127 du kannst, wenn du willst, unsere Neugier befriedigen, indem du uns die philosophischen Wahrheiten, die in den Fabeln der Christen enthalten sind, enthüllst. Ist die erste dieser Wahrheiten nicht das Dasein eines einzigen Gottes, an welches ich meinerseits ebenfalls fest glaube?
Marcus. Ja, werte Brüder, ich glaube an einen einzigen Gott, der nicht erzeugt wurde, der allein ewig und der Grund aller Dinge ist.
Nikias. Wir wissen, Marcus, daß dein Gott die Welt geschaffen. Es war das gewiß eine große Krise in seinem Dasein. Er war schon seit einer Ewigkeit vorhanden, bevor er sich dazu entschließen konnte. Doch, um gerecht zu sein, erkenne ich an, daß seine Lage höchst schwierig war. Er mußte untätig bleiben, um vollkommen zu bleiben, und er mußte handeln, um sich selbst sein eigenes Dasein zu beweisen. Du versicherst mir, daß er sich zum Handeln entschloß. Ich will es dir gerne glauben, obschon es von einem vollkommenen Gotte eine unverzeihliche Unklugheit ist. Aber, sag uns, Marcus, wie er es angestellt hat, um die Welt zu schaffen!
Marcus. Die, welche, ohne Christen zu sein, wie Hermodorus und Zenothemis, die Grundsätze der Erkenntnis besitzen, wissen, daß Gott die Welt nicht direkt und ohne Vermittler geschaffen hat. Er hat einem einzigen 128 Sohne das Leben gegeben, durch den alle Dinge geschaffen sind.
Hermodorus. So ist es, Marcus. Und dieser Sohn wird ohne Unterschied unter den Namen Hermes, Mithras, Adonis, Apollo und Jesus angebetet.
Marcus. Ich wäre kein Christ, wenn ich ihm andere Namen gäbe als Jesus, Christus und Heiland. Er ist der wahre Gottessohn. Aber er ist nicht ewig, da er einen Anfang hatte. Zu glauben, daß er existierte, bevor er erzeugt wurde, ist eine Torheit, die man den Maultieren von Nicäa und dem störrigen Esel, der unter dem fluchwürdigen Namen Athanasius allzulange die Kirche von Alexandrien beherrscht hatte, überlassen muß.
Bei diesen Worten bekreuzte sich Paphnucius; seine Stirn erbleichte und bedeckte sich mit Todesschweiß. Er verharrte aber dennoch in seinem erhabenen Schweigen.
Marcus fuhr fort:
»Es ist klar, daß das einfältige Glaubensbekenntnis von Nicäa die Majestät des alleinigen Gottes angreift, indem es ihn zwingt, seine unteilbaren Eigenschaften mit seinem eigenen Sohn, das heißt mit dem Mittler zu teilen, durch den alle Dinge geschaffen wurden. Höre auf, den wahren Gott der Christen zu verspotten, Nikias! Wisse, daß er ebensowenig wie die Lilien des Feldes spinnt oder webt. Nicht er ist der Arbeiter, sondern sein einziger Sohn Jesus, der, 129 nachdem er die Welt geschaffen, später zurückkehrte, um sein Werk zu verbessern. Denn die Schöpfung konnte nicht vollkommen sein und das Schlechte hatte sich notwendigerweise dem Guten beigemischt.
Nikias. Was ist das Gute und was ist das Schlechte?
Es trat ein Augenblick des Schweigens ein, während dessen Hermodorus über das Tischtuch hinweg auf einen kleinen Esel aus Korinther Metall zeigte, der zwei Körbe, einen mit weißen, den andern mit schwarzen Oliven gefüllt, trug.
»Betrachtet euch diese Oliven!« sagte er. »Unser Blick wird vom Gegensatz ihrer Farben angenehm berührt, und wir sind erfreut darüber, daß die einen hell und die andern dunkel sind. Wenn sie jedoch mit Gedanken und Sprache begabt wären, würden die Weißen sagen: es ist gut, wenn eine Olive weiß ist, es ist schlecht, wenn sie schwarz ist, und das Volk der schwarzen Oliven würde hinwiederum das Volk der weißen Oliven verachten. Wir urteilen besser über sie, weil wir ebenso hoch über ihnen stehen, als die Götter über uns. Für den Menschen, der nur einen Teil der Dinge sieht, ist das Schlechte schlecht, aber für Gott, der alles versteht, ist auch das Schlechte gut. Das Häßliche ist ohne Zweifel häßlich und nicht schön, aber wenn alles schön wäre, wäre das Ganze wiederum nicht schön. Es ist daher gut, daß es Schlechtes gibt, wie das der zweite Plato, der größer war als der erste, nachgewiesen hat.« 130
Eukritus. Nehmen wir die Sache moralischer! Das Schlechte ist schlecht, nicht für die Welt, deren unzerstörbare Harmonie es nicht zerstört, aber für den schlechten Menschen, der es tut, obwohl er es nicht zu tun brauchte.
Cotta. Beim Jupiter, das ist eine gute Folgerung!
Eukritus. Die Welt ist die Tragödie eines ausgezeichneten Dichters. Gott, der sie verfaßte, hat jedem von uns eine Rolle zugewiesen. Wenn er will, daß du ein Bettler, ein Fürst oder ein Hinkefuß seiest, so spiele, so gut du kannst, die Rolle, die er dir bestimmt hat!
Nikias. Es wäre in der Tat sehr gut, wenn der Hinkefuß der Tragödie hinkte wie Hephästos, wenn der Wahnsinnige wie Ajax wütete, wenn die unkeusche Frau die Verbrechen der Phädra erneuerte, wenn der Verräter verriete, der Betrüger löge, der Mörder mordete und wenn nach der Vorstellung alle Darsteller, die gerechten Könige wie die grausamen Tyrannen, die frommen Jungfrauen wie die unzüchtigen Weiber, die großherzigen Bürger wie die feigen Mörder, vom Dichter ein gleiches Maß von Lobsprüchen erhielten.
Eukritus. Du entstellst meinen Gedanken, Nikias, und verwandelst ein schönes junges Mädchen in eine häßliche Gorgone. Ich beklage dich, wenn du die Natur der 131 Götter, die Gerechtigkeit und die ewigen Gesetze nicht kennst.
Zenothemis. Ich meinerseits glaube, o Freunde, an die Wirklichkeit des Guten und des Schlechten. Aber ich bin überzeugt, daß es keine einzige menschliche Handlung, wäre es sogar der Judaskuß, gibt, die nicht einen Keim der Erlösung in sich trüge. Das Schlechte trägt zum schließlichen Heile der Menschen bei, ist dadurch dem Guten verwandt und hat an den Verdiensten des Guten teil. Das haben die Christen vortrefflich durch den Mythus von jenem rothaarigen Menschen ausgedrückt, welcher seinem Meister den Friedenskuß gab, um ihn zu verraten, und dadurch das Heil des Menschen sicherte. Daher ist nach meiner Ansicht nichts ungerechter und törichter, als der Haß, mit dem einige Schüler des Teppichwirkers Paulus den unglücklichsten Apostel Jesu verfolgen, ohne daran zu denken, daß der Kuß des Ischariot, den Jesus selbst vorausverkündet hatte, nach ihrer eigenen Lehre zur Erlösung der Menschen notwendig war, und daß die göttliche Weisheit, wenn Judas den Beutel mit den dreißig Silberlingen nicht angenommen hätte, Lügen gestraft, die Vorsehung getäuscht, ihre Pläne umgestürzt und die Welt dem Schlechten, der Unwissenheit und dem Tode zurückgegeben worden wäre.
Marcus. Die göttliche Weisheit hatte vorausgesehen, daß Judas, obgleich es ihm freigestellt war, den 132 Verräterkuß nicht zu geben, ihn dennoch geben würde. So hat sie das Verbrechen des Ischariot als einen Stein in dem wunderbaren Gebäude der Erlösung verwendet.
Zenothemis. Ich sprach mit dir vorhin, Marcus, als ob ich daran glaubte, daß die Erlösung der Menschen durch den gekreuzigten Jesum bewirkt worden sei, weil ich weiß, daß dies der Glaube der Christen ist, und ich habe mich in ihre Vorstellungsweise versetzt, um den Irrtum derjenigen besser zu verstehen, welche an die ewige Verdammnis des Judas glauben. Aber in Wirklichkeit ist Jesus in meinen Augen nur der Vorläufer des Basilides und des Valentin. Was das Mysterium der Erlösung betrifft, teure Freunde, so will ich euch, wenn ihr es hören wollt, mitteilen, wie es sich wirklich auf Erden erfüllt hat.
Die Gäste gaben ihre Zustimmung zu erkennen. – Wie die athenischen Jungfrauen mit den geheiligten Körben der Demeter, so traten in diesem Augenblicke zwölf Mädchen, die auf ihren Köpfen Körbe mit Äpfeln und Granaten trugen, nach der Musik einer unsichtbaren Flöte leichten Schrittes in den Saal. Sie stellten die Körbe auf die Tafel, die Flöte schwieg, und Zenothemis sprach also:
»Als Eunoia, der Gedanke Gottes, die Welt geschaffen, vertraute sie den Engeln die Herrschaft über die Erde an. Diese wahrten jedoch nicht die Hoheit, welche dem Herrn zukommt. Da sie sahen, daß die Töchter der Menschen schön waren, überfielen sie 133 dieselben abends am Rande der Brunnen und umarmten sie. Aus diesem Bunde entsproßte ein gewalttätiges Geschlecht, das die Erde mit Ungerechtigkeit und Grausamkeit erfüllte, und der Staub der Wege trank das Blut der Unschuldigen. Bei diesem Anblick wurde Eunoia von unendlicher Trauer ergriffen.«
›Das also habe ich getan!‹ seufzte sie, indem sie sich zur Erde niederbeugte. ›Meine armen Kinder sind durch meine Schuld einem bitteren Lose verfallen. Ihr Leiden ist mein Vergehen, und ich will es büßen. Gott selbst, der nur durch mich denkt, wäre unfähig, ihnen ihre frühere Reinheit zurückzugeben. Was geschehen ist, ist geschehen, und die Schöpfung ist für immer verfehlt. Ich will aber meine Geschöpfe wenigstens nicht verlassen. Wenn ich sie auch nicht so glücklich machen kann, wie ich es bin, kann ich mich doch ebenso unglücklich machen wie sie. Da ich den Fehler begangen habe, ihnen Körper zu geben, durch welche sie erniedrigt werden, werde ich selbst einen gleichen Körper annehmen und unter ihnen leben.‹
Nachdem Eunoia also gesprochen, stieg sie zur Erde nieder und ward Fleisch im Schoße einer Argiverin. Sie wurde klein und schwach geboren und erhielt den Namen Helena. Unter den Mühen des Lebens wuchs sie bald in Anmut und Schönheit heran und ward die begehrteste der Frauen, wie sie es beschlossen hatte, um in ihrem sterblichen Körper in der schändlichsten Weise besudelt zu werden. Willenlose Beute der rohen Begierde der Männer, überließ sie sich dem Raub und dem Ehebruch, um alle Gewalttaten, alle 134 Ungerechtigkeiten abzubüßen, und sie verursachte durch ihre Schönheit das Verderben der Völker, damit Gott die Verbrechen der Welt verzeihen könne. Und nie war Eunoia, der himmlische Gedanke, so anbetungswürdig, als an den Tagen, wo sie sich als Weib den Helden und den Hirten preisgab. Die Dichter errieten ihre Göttlichkeit, als sie sie so friedlich, so stolz und so schicksalsvoll darstellten und als sie sie also anriefen: ›O Seele, so glatt und ruhig wie die Stille des Meeres!‹
So wurde Eunoia durch das Mitleid in Übel und Leid verstrickt. Sie starb, und die Argiver zeigen ihr Grabmal, denn nach der Sinnenlust mußte sie auch den Tod kennen lernen und alle bitteren Früchte kosten, die sie gesät hatte. Nachdem sie aber der verwesten Leiche der Helena entschwebt war, nahm sie eine neue Frauengestalt an und gab sich wiederum jeder Schmach preis. So geht sie von einem Körper in den andern über und nimmt, indem sie die bösen Zeiten unter uns zubringt, die Sünden der Welt auf sich. Ihr Opfer wird nicht nutzlos sein. Durch die Fesseln des Fleisches mit uns verbunden, uns liebend und mit uns weinend, wird sie ihre und unsere Erlösung erwirken und uns, die wir an ihrer weißen Brust hängen, in den Frieden des wiedergewonnenen Himmels emporziehen.«
Hermodorus. Dieser Mythus war mir nicht unbekannt. Ich erinnere mich, gehört zu haben, daß die göttliche Helena während einer ihrer Menschwerdungen unter dem Kaiser Tiberius mit dem Magier Simon lebte. Ich glaubte 135 jedoch, ihr Fall sei unfreiwillig gewesen, da die Engel sie in ihrem Sturze mitzogen.
Zenothemis. Hermodorus, es ist wahr, daß Leute, die nicht genug eingeweiht waren in die Mysterien, dachten, die traurige Eunoia sei nicht freiwillig gefallen. Aber wenn sie recht hätten, wäre Eunoia nicht die sühnende Buhlerin, die mit allem Schmutz bedeckte Hostie, das mit dem Wein unserer Schande getränkte Brot, die angenehme Gabe, das verdienstliche Brandopfer, dessen Rauch zu Gott emporsteigt. Wenn ihre Sünden nicht freiwillig wären, würde ihnen kein Verdienst innewohnen.
Kallikrates. Aber weiß man denn nicht, Zenothemis, in welchem Lande, unter welchem Namen und in welcher reizvollen Gestalt die immer wiedergeborene Helena heute lebt?
Zenothemis. Man muß sehr weise sein, um ein solches Geheimnis zu erraten. Und die Weisheit, Kallikrates, ist den Dichtern nicht verliehen worden, die in der rohen Außenwelt leben und sich, wie die Kinder, an Klingklang und eitlen Bildern belustigen.
Kallikrates. Hüte dich, die Götter zu beleidigen, ruchloser Zenothemis! Die Dichter sind ihnen teuer. Die ersten Gesetze wurden von den Unsterblichen selbst in Versen diktiert, und die Orakel der Götter sind Gedichte. Die 136 Hymnen haben für die himmlischen Ohren einen angenehmen Klang. Wer wüßte nicht, daß die Dichter Seher sind und daß ihnen nichts verborgen bleibt? Da ich selbst Dichter bin und den Lorbeer Apollos trage, werde ich allen die letzte Menschwerdung der Eunoia enthüllen. Die ewige Helena ist uns nahe, sie sieht uns, und wir sehen sie. Betrachtet diese auf die Kissen ihres Ruhebettes hingestreckte Frau, so schön, so träumerisch! Ihre Augen haben Tränen, ihre Lippen Küsse. Sie ist es! Reizend, wie in den Tagen des Priamus und der Blüte Asiens, heißt Eunoia heutzutage Thaïs.
Philinna. Was du nicht sagst, Kallikrates? Unsere teure Thaïs sollte Paris, Menelaos und die wohlbeschienten Achäer gekannt haben, die vor Ilion kämpften? Thaïs, wie groß war das trojanische Pferd?
Aristobulus. Wer spricht von einem Pferd?
»Ich habe wie ein Thrazier getrunken!« rief Chäreas und rollte unter den Tisch.
Kallikrates erhob seinen Becher mit dem Ausruf:
»Wenn wir wie Verzweifelte trinken, werden wir ungerächt sterben!«
Der alte Cotta schlief, und sein kahler Kopf wiegte sich langsam auf seinen breiten Schultern.
Seit einiger Zeit schien Dorion in seinem Philosophenmantel sehr erregt. Er nahte sich schwankend dem Ruhebette der Thaïs und sagte:
137 »Thaïs, ich liebe dich, obschon es meiner unwürdig ist, ein Weib zu lieben.«
Thaïs. Warum liebtest du mich vorhin nicht?
Dorion. Weil ich nüchtern war.
Thaïs. Dann gestatte mir, die ich nur Wasser getrunken habe, dich nicht zu lieben, armer Freund!
Dorion wollte nicht mehr hören und schlich sich zu Drose hin, die ihn mit Blicken anlockte, um ihn ihrer Freundin zu entführen. Zenothemis nahm den verlassenen Platz ein und drückte Thaïs einen Kuß auf die Lippen.
Thaïs. Ich hielt dich für tugendhafter.
Zenothemis. Ich bin vollkommen, und die Vollkommenen sind an kein Gesetz gebunden.
Thaïs. Aber fürchtest du nicht, deine Seele in den Armen eines Weibes zu verunreinigen?
Zenothemis. Der Körper kann der Begierde nachgeben, ohne daß die Seele daran teilnimmt.
Thaïs. Geh fort! Ich will, daß man mich mit der Seele 138 und mit dem Körper liebe. Alle diese Philosophen sind Böcke!
Die Lampen erloschen, eine nach der andern. Das blasse Morgenlicht, welches durch die Zwischenräume der Vorhänge eindrang, fiel auf die fahlen Gesichter und die verschwollenen Augen der Gäste. Aristobulus, der mit geballten Fäusten neben Chäreas hingesunken war, wünschte im Traume seine Stallknechte zum Henker, Zenothemis schloß die zerzauste Philinna in die Arme. Dorion ließ auf die nackte Brust der Drose Weintropfen fallen, welche wie Rubinen über die durch das Lachen erschütterte weiße Haut rannen und welche der Philosoph mit den Lippen verfolgte, um sie von dem schimmernden Körper wegzusaugen. Eukritus erhob sich und zog Nikias, indem er einen Arm über seine Schulter legte, in den Hintergrund des Saales.
»Freund,« sagte er dort zu ihm, »wenn du überhaupt noch an etwas denkst, woran denkst du?«
»Ich denke, daß die Liebe der Frauen ein Garten des Adonis ist.«
»Was willst du damit sagen?«
»Weißt du nicht, Eukritus, daß die Frauen jedes Jahr auf ihren Terrassen Gärtchen anlegen, indem sie für den Geliebten der Aphrodite Zweige in Tongefäße pflanzen? Diese Zweige grünen kurze Zeit und welken dann.«
»Was liegt daran, Nikias? Es ist Torheit, sich an flüchtige Dinge zu hängen.«
139 »Wenn die Schönheit nur ein Schatten ist, so ist die Begierde nur ein Blitz. Wie töricht ist es, die Schönheit zu begehren? Ist es nicht im Gegenteil vernünftig, daß das Vergängliche sich mit dem Unbeständigen verbinde und daß der Blitz den unstäten Schatten verschlinge?«
»Nikias, du gleichst für mich einem mit Knöcheln spielenden Kinde. Glaube mir: werde frei! Nur dann ist man ein Mann.«
»Wie kann man frei sein, Eukritus, wenn man einen Körper hat?«
»Das wirst du sehr bald sehen, mein Sohn. Sehr bald wirst du sagen: Eukritus war frei.«
Der Greis sprach, an eine Porphyrsäule gelehnt. Die ersten Strahlen der Morgensonne erhellten seine Stirne. Hermodorus und Marcus hatten sich genähert und standen mit Nikias neben ihm. Gleichgültig für das Lachen und Schreien der Trinker unterhielten sie sich zuviert über göttliche Dinge. Eukritus drückte sich so weise aus, daß Marcus zu ihm sagte:
»Du bist würdig, den wahren Gott zu erkennen.«
Eukritus erwiderte:
»Der wahre Gott ist im Herzen der Weisen.«
Sie sprachen sodann über den Tod.
»Ich will,« sagte Eukritus, »daß er mich, mit meiner Selbstbesserung beschäftigt und allen meinen Pflichten gehorsam, treffe. Vor ihm werde ich meine Hände rein zum Himmel heben und zu den Göttern sagen: ›Die Bilder, die ihr, o Götter, in den Tempel meiner Seele gestellt habt, habe ich nicht verunreinigt; 140 ich habe meine Gedanken, wie Kränze und Binden, daran aufgehängt. Ich habe gemäß eurer Vorsehung gelebt. Ich habe genug gelebt.‹«
Indem er also sprach, hob er die Arme zum Himmel und sein Gesicht erglänzte im Licht.
Einen Augenblick sann er nach. Dann fuhr er voll Freudigkeit zu sich selber redend fort:
›Löse dich los vom Leben, Eukritus, wie die reife Olive, welche im Fallen dem Baume Dank sagt, der sie getragen, und die Nährmutter Erde segnet!‹
Mit diesen Worten zog er aus einer Falte seines Gewandes einen nackten Dolch und stieß ihn sich in die Brust.
Als seine Zuhörer gleichzeitig nach seinem Arm griffen, hatte die Spitze des Stahls das Herz des Weisen bereits durchbohrt. Eukritus war zur Ruhe eingegangen. Hermodorus und Nikias trugen den bleichen, blutüberströmten Leichnam unter dem Geschrei der Frauen, dem Gebrumme der in ihrem Schlummer gestörten Gäste und den im Schatten der Vorhänge erstickten Küssen der Liebespaare auf eines der Ruhebetten des Gastmahls. Der alte Cotta erwachte sofort aus seinem leichten Soldatenschlaf, trat zu der Leiche und untersuchte die Wunde. Er rief:
»Man hole meinen Arzt Aristeus herbei!«
Nikias schüttelte den Kopf:
»Eukritus ist nicht mehr,« sagte er. »Er wollte sterben, wie andere lieben wollen. Er hat, wie wir alle, einem unwiderstehlichen Wunsche gehorcht. Und nun ist er den Göttern gleich, die nichts wünschen.«
141 Cotta schlug sich an die Stirne und sagte:
»Sterben! Sterben wollen, wenn man noch dem Staate dienen kann, welch eine Verirrung!«
Paphnucius und Thaïs waren unterdessen unbeweglich und stumm nebeneinander stehen geblieben. Ihre Seelen flossen über von Ekel und Entsetzen, aber auch von Hoffnung.
Plötzlich ergriff der Mönch die Schauspielerin bei der Hand, schritt mit ihr über die am Boden liegenden Trunkenbolde weg und an den sich in den Armen liegenden Liebespaaren vorbei und zog sie, mit den Füßen in dem vergossenen Weine und Blute watend, ins Freie.