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Das war 1829.
Schon sieben Jahre vorher (1822) war das zu Beginn des Jahrhunderts veräußerte Gröben abermals an einen Schlabrendorf übergegangen, und zwar an Graf Heinrichs einzigen Sohn: den Grafen Leopold von Schlabrendorf.
Graf Leopold oder Graf »Leo«, wie man ihn in Gröben in üblicher Abkürzung nannte, war um das Jahr 1794 geboren worden, und zwar unter Vorgängen, die nicht bloß charakteristisch an sich, sondern auch in gewissem Sinne maßgebend für den Gang seines ganzen Lebens waren. Er, Graf Leo, wies oft auf diese Vorgänge hin, und der von ihm allezeit mit Vorliebe wiederholte Satz: »Ich bin für Gröben bestimmt«, schrieb sich von diesem seinem Geburtstage her. Es hatte damit folgende Bewandtnis.
Als nämlich die Zeit herangekommen war, daß die Gräfin eines Knäbleins genesen sollte (denn auf einen Stammhalter wurde mit Sicherheit gerechnet) und sogar das Dorforakel, die »Treutschen«, in aller Bestimmtheit erklärt hatte: »es daure keine Woche mehr«, befahl Graf Heinrich das Erscheinen der Staatskutsche, nicht ganz unrichtig davon ausgehend, daß ein junger Graf Schlabrendorf unmöglich anders als unter Assistenz des Leibmedikus und berühmten alten Entbindungsdoktors Dr. Ribke geboren werden könne. Die Gräfin war es zufrieden, und schon zwei Stunden später erschien die Kutsche ganz in dem früher beschriebenen Aufzuge: zwei Heiducken auf dem Wagentritt und ein Läufer in Gala vorauf. Und so ging es auf Großbeeren zu. Bevor aber dieses Dorf, das erst ein Drittel des Weges war, erreicht werden konnte, versicherte die Gräfin schon: »es gehe nicht weiter«, auf welche nur allzu glaubhafte Versicherung hin der Wagen gewandt und der Läufer unter Zusicherung eines doppelten Wochenlohnes angewiesen wurde, »citissime nach Gröben zurückzukehren, um daselbst die nunmehr wohl oder übel an die Stelle des alten Dr. Ribke tretende ›Treutschen‹ ins Herrenhaus zu befehlen«. Und wirklich, das heimische Dorf wurde noch gerad ohne Zwischenfall erreicht; aber kaum daß die Heiducken abgesprungen und die Teppiche vom Wagen aus bis zum Portale gelegt worden waren, so war auch schon die Stunde gekommen, und in dem dicht am Eingange gelegenen Wohn- und Arbeitszimmer des Grafen, in das man die Gräfin nur eben noch hatte schaffen können, genas sie wirklich eines Knäbleins, des Grafen Leo, des erwarteten Schlabrendorfschen Stammhalters. Es hatte nicht in Berlin sein sollen; » er war für Gröben bestimmt«.
Über seine Kindheit verlautet nichts, auch nicht über seine Knaben- und Jünglingsjahre; sehr wahrscheinlich, daß er vorwiegend unter Zutun seiner Mutter – die, trotz ihrer zweiten Ehe, den Kindern aus der ersten eine große Zärtlichkeit und Treue bewies – in Pension kam und nach absolvierter Schulzeit in juristisch-kameralistische Studien eintrat. Aber eh er diese vollenden konnte, kam der Krieg und bot ihm Veranlassung, als Volontair bei den Towarczys einzutreten, einem Ulanenregiment, das vielleicht noch aus den Tagen der »alten Armee« her diesen etwas obsoleten und nur in den neunziger Jahren unter General Günther (der der »Vater der Towarczys« hieß) vielgenannten Namen führte.
Nach dem Kriege begegnen wir ihm alsbald als Regierungsassessor in Trier, wo das durch Gastlichkeit und Feinheit der Sitte sich hervortuende Haus des Generals von Ryssel Es gab damals zwei Generäle von Ryssel in der preußischen Armee, beide katholischer Konfession und beide Divisionäre, von denen der eine zuletzt in Neiße, der andre (der im Text erwähnte) in Trier stand. Beide waren früher in sächsischen Diensten gewesen, und einer derselben hatte noch bei Großbeeren eine sächsische Brigade gegen uns kommandiert. Der triersche nahm Anfang der zwanziger Jahre seinen Abschied und starb in Giebichenstein bei Halle. Der Berliner Witz gefiel sich übrigens damals, unter Ausnutzung des Namens »Ryssel«, in folgendem, etwas gewagtem Wortspiele: »Welcher Unterschied ist zwischen einem Elefanten und Friedrich Wilhelm III.?« – Der Elefant hat einen Rüssel und Friedrich Wilhelm hat zwei« ihn anzog, am meisten aber des Generals Tochter, Fräulein Emilie von Ryssel, mit der er sich denn auch, nach kurzem Brautstand, im Sommer 1820 vermählte. Zwei Jahre noch verblieb er in Trier, im schwiegerelterlichen Hause, bis er 1822 unter freudiger Zustimmung seiner jungen Frau, die die landwirtschaftliche Passion mit ihm teilte, nach Gröben hin übersiedelte, das wieder an die Schlabrendorfs zu bringen – ein von Jugend auf von ihm gehegter Wunsch – ihm um ebendiese Zeit gelungen war.
Die Verhältnisse waren ihm bei diesem Wiederankauf ebenso günstig gewesen, als sie sich für den Vorbesitzer und seine Nachkommen einundzwanzig Jahre lang eminent ungünstig erwiesen hatten. Alle Leiden und Nachwehen einer langen Kriegs- und Invasionsepoche waren zu tragen gewesen und hatten zu solcher Verschuldung des Gutes geführt, daß der nunmehrige Kaufpreis desselben in nichts weiterem bestand als in Übernahme der darauf eingetragenen Hypotheken, die sich freilich, wie gesagt werden muß, hoch genug beliefen.
Es gab nun also wieder eine wirkliche Gröbener Gutsherrschaft, und zwar eine, wie man sie lange nicht im Dorfe gekannt hatte, richtiger noch, wie sie nie dagewesen war. Ordnung und Sitte waren mit dem jungen Paare gekommen, auch Beistand in Rat und Tat, und soweit es in Menschenhände gegeben ist, dem Unglück und dem Unrecht zu wehren, soweit wurd ihm gewehrt.
Aber nicht nur die Dorfgemeinde durfte sich der neuen Gutsherrschaft freuen, die neue Gutsherrschaft wußte mit der Erfüllung ihrer nächstliegenden Pflichten auch Schönheitssinn und Sinn für das Allgemeine zu verbinden und erreichte dadurch, daß das Gröbener Herrenhaus auf drei Jahrzehnte hin ein Sammel- und Mittelpunkt geistiger Interessen wurde. Von dem Leben der großen Welt hielt man sich geflissentlich fern, aber was sich darin hervortat, insonderheit als ein »erst Werdendes« hervortat, das empfing entweder aufmunternde Zustimmung oder wohl auch Pflege, solang es solcher Pflege bedurfte. Junge Kräfte wurden unterstützt, Bilder und Büsten in Auftrag gegeben, Reisestipendien erwirkt oder persönlich bewilligt, und wie die Türen allezeit offenstanden, so standen auch die Herzen auf in dem immer sonnigen und immer gastlichen Hause. Diese Gastlichkeit enthielt sich jedes Luxus, ja verschmähte denselben, aber so schlicht sie sich gab, so grenzenlos gab sie sich auch. Und lag schon hierin ein Zauber, so lag er viel, viel mehr noch in der einfach distinguierten Lebensauffassung, die hier still und ungesucht um die Herzen warb, und in dem Ton, der der Ausdruck dieser Lebensauffassung war. Es war ganz der gute Ton jener Zeit (einer über-, aber freilich auch unterschätzten Epoche), ein Ton, der das heutzutage so sehr hervortretende spezialistisch Einseitige vermied und umgekehrt in dem Geltenlassen andrer Beschäftigungen und Richtungen die Pflicht und Aufgabe der Gesellschaft erkannte. Nichts war ausgeschlossen, und Scherz und Anekdote – selbst wenn sich etwas von dem Übermute der damaligen Witzweise darin spiegelte – hatten so gut ein Haus- und Tischrecht wie die Fragen über Kunst und Wissenschaft oder die speziell auch in dem Gröbener Kreise mit Vorliebe gepflegten altpreußischen Thematas von Armee und Verwaltung, von Staat und Kirche.
Sogar Landwirtschaftliches interessierte lebhaft, am meisten freilich den Grafen selbst, der, im Gegensatz zu seinem dilettantisch und skurril herumexperimentierenden Vater, eine große theoretische Kenntnis und alsbald auch ein reiches Erfahrungswissen innehatte, das ihn zu den mannigfachsten Reformen, Einrichtungen und Ankäufen gleichmäßig befähigte.
Bei dieser großen Tüchtigkeit und Umsicht in praktischen Dingen konnt es nicht ausbleiben, daß ihm mehr als einmal, und zwar jedesmal aus Regierungskreisen her, der Antrag gemacht wurde, sich seiner Gröbener Einsamkeit begeben und in die große Welt, in der er in seiner Jugend gelebt und mit der er die Fühlung nie verloren hatte, wieder eintreten zu wollen. Aber er lehnte jedes dahin zielende Wort mit der Erklärung ab: » Ich bin für Gröben bestimmt.«
Auch das Jahr 1848, das verdoppelt die Forderung einer Rückkehr in das staatliche Leben an ihn stellte, riß ihn nicht heraus; im Gegenteil, er schloß sich inniger an die Seinen an, die seiner Treue mit Treue lohnten, und während das ganze Preußen erschüttert hin und her schwankte, wurde Gröben von keinem anderen Sturm getroffen als von einem wirklichen Orkan, der denn auch die mehrhundertjährige, vor dem Herrenhause wachehaltende Linde niederwarf. Er sah sie den Morgen darauf entwurzelt am Boden liegen und ordnete an, daß sie zu Brettern geschnitten und ein Teil derselben für seinen Sarg beiseite gelegt werde. Lächelnd gab er diese Weisung, und er durft es wie wenige, denn er sah auf das Ende der Dinge mit jener Ruhe, die nur das gute Gewissen gibt. Und wie von seltner Integrität des Charakters, so war er auch von seltner Reinheit der Sitten und von noch seltnerem Edelmut. Ein Beispiel für viele. Bei Kauf und Übernahme von Gröben war ein armes Fräulein, das der Vorbesitzer als Erbin eingesetzt hatte, leer ausgegangen. Es waren eben, wie hervorgehoben, nur Schulden da. Den Grafen rührte das harte Los der Armen, und er gab ihr aus freien Stücken 6000 Taler als ein Geschenk, was in jener geldarmen Zeit als eine große Summe gelten konnte.
Dazu war er heiter und humoristisch. Als die Brennerei, zu der man sich um besserer Gutserträge willen endlich hatte bequemen müssen, unter Dach und Fach war, erhielt sie die Berliner Bibliothekinschrift: »Nutrimentum spiritus«.
Und diese gute Laune zeigte sich ganz besonders auch, als er in seine letzte Krankheit eintrat. Es fehlte selbstverständlich nicht an Aufforderungen, es, ärztlicher Behandlung halber, mit einem Berliner Aufenthalte versuchen zu wollen, aber er antwortete bloß: »Ihr wißt ja, ich bin für Gröben bestimmt; ich war es im Leben und will es auch im Tode sein.«
Und er hatte recht gesprochen. Eine Woche später, und Meister Schreiner hobelte schon die Lindenbretter, wie's Graf Leo gewollt, und am 27. Juli 1851 stand sein Sarg an derselben Stelle, wo damals, als die große Kutsche von Großbeeren her zurückgeschwankt war, seine Wiege gestanden hatte.
Viele Freunde kamen, und sie begruben ihn auf dem Gröbener Kirchhof und gaben dem Platz ein Gitter. Eine Stelle daneben aber ließen sie leer: eine Ruhestätte für seine Witwe.