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In den Spreewald

In den Spreewald

Und daß dem Netze dieser Spreekanäle
Nichts von dem Zauber von Venedig fehle,
Durchfurcht das endlos wirre Flußrevier
In seinem Boot der Spreewalds-Gondolier.

Eine Nachtpost fährt oder fuhr wenigstens zwischen Berlin und Lübbenau.

Mit Tagesanbruch haben wir Lübben, die letzte Station, erreicht und fahren nunmehr am Rande des hier beginnenden Spreewaldes hin, der sich anscheinend endlos, und nach Art einer mit Heuschobern und Erlen bestandenen Wiese, zur Linken unseres Weges dehnt. Ein vom Frühlicht umglühter Kirchturm wird sichtbar und spielt eine Weile Versteckens mit uns; aber nun haben wir ihn wirklich und fahren durch einen hochgewölbten Torweg in Lübbenau, »die Spreewald-Hauptstadt«, ein.

1. Lübbenau

Es ist Sonntag, und die Stille, die wir vorfinden, verrät nichts von dem sonst hier herrschenden lebhaften Verkehre. Die Spreewaldprodukte haben nämlich in Lübbenau ihren vorzüglichsten Stapelplatz und gehen erst von hier aus in die Welt. Unter diesen Produkten stehen die Gurken obenan. In einem der Vorjahre wurden seitens eines einzigen Händlers 800 Schock pro Woche verkauft. Das würde nichts sagen in Hamburg oder Liverpool, wo man gewohnt ist, nach Lasten und Tonnen zu rechnen, aber »jede Stelle hat ihre Elle«, was erwogen für diese 800 Schock eine gute Reputation ergibt. Im übrigen verweilt Lübbenau nicht einseitig bei dem Verkauf eines Artikels, der schließlich doch vielleicht den Spott herausfordern könnte, Kürbis und Meerrettich Über Meerrettichproduktion und Meerrettichverkauf stehe hier noch das folgende. Der Herbst ist die Zeit der Lübbenauer Meerrettichmärkte. Jeden Sonnabend, solange das Wasser eisfrei bleibt, bringen die Spreewäldler, namentlich die von Burg, ihre Ware zu Markt, und es bedecken dann 200 bis 300 mit Meerrettich beladene Kähne den Ausladeplatz an der Spree. Groß- und Kleinhändler aus vielen Städten und Ländern erscheinen um diese Zeit, um ihren Einkauf zu machen. In der Regel werden in Lübbenau 20 000 Zentner verkauft, was einer Einnahme von 600 000 Mark gleichkommt. Ich gebe diese Zahlen ohne Gewähr, wie ich sie finde. schließen sich ebenbürtig an und vor allem die Sellerie, hinsichtlich deren Vorzüge die Meinungen nicht leicht auseinandergehen.

Wir halten nun vor dem geräumigen Gasthofe »Zum braunen Hirsch«, darin das Amt eines Kellners noch ausschließlich durch eine Spreewaldsschönheit verwaltet wird, und nachdem wir Toilette gemacht und einen Imbiß genommen haben, brechen wir auf, um keine der spärlich zugemessenen Stunden zu verlieren. Ein Leichenzug kommt über den Platz, und acht Träger tragen den Sarg, über den eine schwarze, tief herabhängende Sammetdecke gebreitet ist, aus dem Kirchenportal aber, daran der Zug eben vorüberzieht, erklingt Orgel und Gesang, und wir treten ein, um eine wendische Gemeinde, lauter Spreewaldsleute, versammelt zu sehen.

Es bot sich uns ein guter Übersichtsplatz; Männer und Frauen saßen getrennt, und nur die Frauen, soviel ich wahrnehmen konnte, trugen noch ihr spezielles Spreewaldkostüm. In jedem Einzelpunkte das Spezielle darin nachzuweisen ist eine Aufgabe, der ich mich nicht gewachsen fühle. Der kurze faltenreiche Friesrock, das knappe Mieder, das Busentuch, die Schnallenschuhe, selbst die bunten seidenen Bänder, die, mit großem Luxus gewählt, über die Brust fallen, sind allerorten in wenigstens ähnlicher Weise vorkommende Dinge, wogegen mir der Kopfputz und die Halskrause von dem sonst Herkömmlichen abweichend erschienen. Die Halskrause wird nicht allgemein getragen; wo sie sich findet, erinnert sie lebhaft an die getollten Ringkragen auf alten Pastorenbildern: steife Jabots, die dem, der sie trägt, immer etwas von dem Ansehen eines kollernden Truthahns geben. Allgemein aber ist der spreewäldlerische Kopfputz, und ich versuche seine Beschreibung. Eine zugeschrägte Papier- oder Papphülse bildet das Gestell, darüber legen sich Tüll und Gaze, Kanten und Bänder und stellen eine Art Spitzhaube her. Ist die Trägerin eine Jungfrau, so schließt die Kopfbekleidung hiermit ab, ist sie dagegen verheiratet, so schlingt sich noch ein Kopftuch um die Haube herum und verdeckt sie, je nach Neigung, halb oder ganz. Diese Kopftücher sind ebenso von verschiedenster Farbe wie von verschiedenstem Wert. Junge, reiche Frauen schienen schwarze Seide zu bevorzugen, während sich ärmere und ältere mit krapprotem Zitz und selbst mit ockerfarbenem Kattun begnügten.

Die wendische Predigt entzieht sich unserer Contrôle, das Schluchzen aber, das laut wird, ist wenigstens ein Beweis für die gute Praxis des Geistlichen. Er steht zudem in der Liebe seiner Gemeinde, und wo diese Liebe waltet, ist auch unschwer das Wort gefunden, das eine Mutter, die den Sohn, oder eine Witwe, die den Mann begrub, zu den ehrlichsten Tränen hinreißt.

Und nun schweigt die Predigt, und eine kurze Pause tritt ein, während welcher der Geistliche langsam und sorglich in seinen Papieren blättert. Endlich hat er beisammen, was er braucht und beginnt nun die Aufgebote, die Geburts- und Todesanzeigen zu lesen, alles in deutscher Sprache. Bemerkenswert genug. Die Predigt, die mehr dem Ideale dient, durfte noch wendisch sein; aber sowie sich's um ausschließlich praktische Dinge zu handeln beginnt, sowie festgestellt werden soll, was im Spreewalde lebt und stirbt, wer darin heiratet und getauft wird, so geht es mit dem Wendischen nicht länger. Der Staat, der bloß mit deutschem Ohre hört und nicht Zeit hat, in aller Eil auch noch Wendisch zu lernen, tritt mit der nüchternsten Geschäftsmiene dazwischen und verlangt deutsches Aufgebot und deutsche Taufscheine.

Wer wollt ihm das Recht dazu bestreiten?

Und nun ist der Gottesdienst aus, und steif und stattlich gehen die Männer und Frauen an uns vorüber. Ihre Köpfe sind charaktervoll, aber nicht hübsch; ihre Haltung voll Würde. Wir warteten die letzten ab und kehrten dann erst in unsern Gasthof zurück, wo wir uns eine halbe Stunde später durch Kantor Klingestein – eine Spreewaldsautorität, an die wir von Berlin her empfohlen waren – begrüßt sahen.

Er übernahm unsere Führung.


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