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Nach dem Tode Henriette Maries wurde Schloß Köpenick völlig vernachlässigt und endlich im Jahre 1804 an den Grafen Friedrich Wilhelm Karl von Schmettau verkauft. Dieser Graf Schmettau, ein besonderer Liebling Friedrichs II., ist derselbe, der von seiten des großen Königs zum Adjutanten seines jüngsten Bruders, des Prinzen Ferdinand von Preußen, ernannt ward und in dieser intimen Stellung zu einer Fülle pikanter Anekdoten und Ondits Veranlassung gab, an denen das preußische Hofleben jener Zeit so reich war. Zu untersuchen, wieviel Wahrheit oder überhaupt ob irgendwelche Wahrheit diesen anekdotischen Überlieferungen zugrunde liegt, liegt jenseits unserer Aufgabe; wir begnügen uns damit, das zu konstatieren, worüber Freunde und Feinde des Grafen, wenn er Feinde hatte, zu jeder Zeit einig waren: seine Gelehrsamkeit und seine weltmännische Bildung, seine militärischen Kenntnisse und seine Tapferkeit. Als der Krieg mit Frankreich mehr und mehr unvermeidlich zu werden drohte, gehörte er zu denen, denen Armee und Volk das meiste Vertrauen entgegentrugen. Beim Ausbruch der Feindseligkeiten führte er als Generallieutenant seine Division nach Thüringen und trat unter den Oberbefehl des Herzogs von Braunschweig. Beide teilten wenige Tage später dasselbe Schicksal.
Bei unserem heutigen Besuch in Schloß Köpenick indes lernen wir den Grafen Schmettau weder als Kavalier und Weltmann noch als Soldat und Heerführer kennen; sinnig, ein heitrer Philosoph, ein Freund der Wissenschaften und aller Künste des Friedens, so tritt er an uns heran. Nur zwei kurze Jahre waren ihm an dieser Stelle gegönnt, aber sie genügten ihm, um überall eine Spur seines Wirkens zurückzulassen. Wir übergehen Urnen und Inschriften, wie sie sich in den schattigen Gängen des Parkes vorfinden, und treten im ersten Stock des Schlosses in ein nach Südosten hin gelegenes Eckzimmer, dessen eines Fenster auf den Park, das andere auf die Wendische Spree herniederblickt. Es ist nicht leicht möglich, beim Durchstöbern alter Schlösser einem überraschenderen Anblick zu begegnen. Der ganze Raum ist zeltartig mit einem weißen und gelben Gazestoff ausgeschlagen, und zwar so, daß die Deckendrapierung den Plafond in zwei gleiche Hälften teilt. An jeder der beiden Stellen nun, wo die Gaze zu einer Art Betthimmel zusammengefaltet ist, befindet sich ein Deckengemälde allegorischen Inhalts. Auf dem ersten, mehr dem Fenster zu gelegenen, bringt Merkur der Minerva eine Pergamentrolle, auf der der Name Roßbach steht; Minerva ihrerseits hält einen Lorbeerkranz in der Rechten, bereit, ihn gegen die Siegesbotschaft auszutauschen. Das zweite Bild, ungleich besser in Komposition und Farbe, stellt eine Apotheose des großen Königs dar. Auf einer Felsenburg zur Linken stehen Krieger und blicken einer Anzahl davoneilender Genien nach, die das goldumrahmte Bildnis Friedrichs in ihrer Mitte tragen und mit dieser ihrer Last dem Tempel des Ruhmes zuschweben. Zur Rechten ragt der Tempel selber auf, auf dessen oberster Stufe die hohe Göttin steht und sich anschickt, das Bildnis des Königs mit ihrem Sternendiadem zu krönen. Von Mobiliar keine Spur in diesem Raume, der seit Anno 6 überhaupt unbewohnt geblieben ist und dessen Durcheinander von Spinnweb und Gaze, von Farbenglanz und blinden Fensterscheiben, von Ruhmesverherrlichung und Staub eine Wirkung macht, der sich wenige Besucher werden entziehen können. Alles Mobiliar, so sagt ich, fehlt, aber ein eigentümlicher Zimmerschmuck ist dennoch diesen Mull- und Gazewänden geblieben. Die ganze hintere Hälfte des Zimmers ist mit großen Schlachtplänen dekoriert, die wohl ziemlich unzweifelhaft von der Hand des Grafen selbst herrühren. Derselbe gesellte nämlich zu seinen übrigen Gaben auch das Talent eines ausgezeichneten Topographen und Kartenzeichners, und die berühmte Generalkarte des preußischen Staats, die bis diesen Augenblick in dem Kartensaale des Kriegsministeriums aufbewahrt wird, bewahrt gleichzeitig den Namen Schmettaus in ehrendem Andenken. Die Aufschrift dieser Generalkarte, die auch schlechtweg die Schmettausche Karte heißt, lautet wie folgt: » Tableau aller durch den königlich preußischen Obersten Grafen von Schmettau von 1767 bis 1787 aufgenommenen und zusammengetragenen Länder«. Dieselbe geschickte Hand, die dieses berühmte »Tableau« zusammentrug, hat sehr wahrscheinlich auch die sieben Schlachtpläne gezeichnet, denen wir in diesem abgelegensten und ungekanntesten Zimmer des Köpenicker Schlosses begegnen. Nur die Siegesschlachten des großen Königs haben hier Aufnahme gefunden, und die Inschriften der verschiedenen Blätter lauten wie folgt: »Bataille und Belagerung von Prag«; »Schlacht bei Roßbach«; »Bataille bei Lobositz«; »Schlacht bei Zorndorf«; »Schlacht bei Liegnitz«; »Schlacht bei Torgau« und »Schlacht bei Leuthen«. Die einzelnen Tableaux sind von verschiedener Größe, namentlich die Bataille und Belagerung von Prag sehr ausgeführt und größer als die übrigen, aber alle verraten dieselbe Meisterhand und tragen sämtlich statt der üblichen Holzeinfassung einen künstlichen Lorbeerkranz als Umrahmung.
Es drängt sich dem Besucher Schloß Köpenicks die Frage auf: Was war die Bedeutung dieses Zimmers? Die Antwort ist nicht schwer. Es war die Stätte eines loyalen Kultus, ein Andachtsplatz, an den sich in Zeitläuften, die jeden anderen Stempel eher als den des großen Königs trugen, die schwärmerische Verehrung für den Hingeschiedenen zurückzog, um einer großen Zeit zu gedenken, die nicht mehr war.
In diesem Zimmer war es auch wohl, daß Graf Schmettau die letzten Augenblicke zubrachte, bevor ihn das Jahr 1806 aus der Stille von Schloß Köpenick wieder in den Lärm des Krieges rief. Und was er an dieser Stelle gelobt hatte, das hielt er. Am Unglückstage von Auerstedt, unglücklich nicht durch seine Schuld, erstürmte er, an der Spitze seiner Bataillone, die Höhen von Hassenhausen, die der Feind unterm Schutz eines herbstlichen Morgennebels schon vor ihm besetzt hatte. Zweimal nahm er sie, und zweimal war er gezwungen, sie wieder aufzugeben. Als er sich zum dritten Angriff anschickte, um den entscheidenden Stoß zu tun und die mehr und mehr in Unordnung geratenden Franzosen in das Saaletal hinabzudrängen, traf ihn eine Kartätschenkugel und warf ihn tödlich verwundet vom Pferde. Vier Tage nach der Schlacht verschied er, am 18. Oktober 1806. So starb Friedrich Wilhelm Karl Graf von Schmettau, nicht an Glück, aber an jeglichen Gaben des Herzens und Verstandes jenen Schmettaus gleich, die unter Eugen und Marlborough zuerst die Schlachtfelder Europas betraten und unter dem großen Könige, siegreich kämpfend, den Ruhm ihrer Familie begründet hatten.
Schloß Köpenick war wieder verwaist. Die Krone kaufte den Besitz zurück, aber Zimmer und Treppen blieben öde. Das Laub an Ulmen und Ahornplatanen kam und ging, ohne daß die Gänge des Parks ein anderes Leben gesehen hätten als die laute Heiterkeit der Köpenicker Schuljugend, die hier ein prächtiges, von Gestrüpp durchwachsenes Terrain fand für »Hirsch und Jäger« und »Wanderer und Stadtsoldat«.
Jahrzehnte vergingen so. Da zog wieder Leben ein in Schloß Köpenick, aber welch ein Leben! Die Fenster, die nach dem Wasser hinaus lagen, wurden mit Holz bekleidet, und nur ein schmaler Streifen blieb offen, der dem Lichtstrahl von oben her einen Eingang gestattete. Geschlossene Wagen rollten über die Brücke, alles war in Dunkel und Geheimnis gehüllt; es ging »ein finstrer Geist durch dieses Haus«. Die hohen Schwarzpappeln, die alten Wächter am Portal, standen unheimlicher da denn je zuvor, und drinnen und draußen war kein Spielen und Lachen mehr. Hunderte saßen hinter den Gitterfenstern, die doch keine Fenster mehr waren, und nichts unterbrach die finstre Stille des Orts; wie das Licht, so schien auch der Klang von seinen Mauern ausgeschlossen. Eine trübe Zeit. Übermut hatte gefehlt, und Mangel an Mut hatte zu Gericht gesessen; waghalsige Schwärmerei, mißleitete Begeisterung büßten hart für den eitlen Irrtum einer Stunde. In Schloß Köpenick befanden sich damals die »Demagogen« in Untersuchungshaft. – Jetzt ist es Seminar.
Und wieder andre Zeiten kamen. Wie einen schweren Traum schüttelte Schloß Köpenick seine jüngste Vergangenheit ab. Die Fenster blitzten wieder, wenn die Morgensonne darauffiel, und auf dem Platze, der zwischen Schloß und Schloßkapelle liegt, entstand ein Garten. Blumen blühten wieder, und eine heitere Jugend hielt ihren Einzug. Eine heitere, denn sie kam nicht, um für Eitelkeit und Übermut über Gebühr zu büßen, sie kam, um in Demut und Bescheidenheit zu lernen. Und diese Jugend weilt noch darin. Allabendlich um die Dämmerstunde, wenn die Orgel zu Gesang und Andacht ruft und Lehrer und Schüler sich im alten Wappensaale des Schlosses versammeln, ist es wohl, als ging' es wieder um und als husch es in den Korridoren auf und nieder, aber die leisen Klageworte des Kurprinzen, der hier Schutz und Zuflucht suchte, das Kriegsgerichtsurteil, das hier gesprochen wurde, die Seufzer derer, die hier nach Licht und Freiheit rangen – alles verklingt doch als überwundene Dissonanz in dem vollen Brausen des Orgelchors, der eben jetzt das große Vertrauenslied in die Ratschlüsse Gottes anstimmt: » Ein feste Burg ist unser Gott«.