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Als Carsdale den Toten sah, ahnte er kommendes Unheil. Erstaunt, furchtsam sah er sich um. Seine Lippen wurden trocken, die Zunge klebte ihm am Gaumen, seine Finger zitterten.
»Mein Gott«, flüsterte er, »was ist das?«
Düster lag das Zimmer im Zwielicht. Von der Stelle aus, an der er stand, konnte Carsdale die Gesichtszüge des Toten nicht sehen, obwohl dieser auf dem Rücken lag. Er schleppte sich näher heran, beugte sich furchtsam herab und fuhr zurück, als er das Gesicht erkannte.
»Sydney Werrick! Gott im Himmel, er ist tot!«
Mit dem ausgestreckten Finger berührte er des Toten Stirn und fuhr abermals zurück. Sie war noch warm. Und nun wußte er, daß er zu spät gekommen war, um eine Tragödie zu verhindern. Seine Gedanken fingen an, sich zu klären, er konnte sich ein Bild machen von dem, was geschehen war. Mechanisch tastete er nach der Wand und drehte das Licht an. In der Helle sah er noch einmal nach dem Toten und stellte dankbar fest, daß dessen Augen geschlossen waren.
Er wußte, daß hier kein Selbstmord vorlag. Werrick war nicht der Mann, sein Leben fortzuwerfen, dazu liebte er es zu sehr. Er war erschossen worden, vielleicht durch Zufall, vielleicht mit Absicht. Und wer konnte es getan haben als Sylvia? Aber wo war Sylvia, wo war Sophie Guyner?
Carsdale blickte sich um. Alles war in Ordnung, nirgends ein Zeichen von Kampf. Er ging in das Schlafzimmer. Dort stand das Geheimfach, das Sylvia in die Wand hatte bauen lassen, offen. Papiere und Bücher lagen in den Fächern, daneben ein leeres Juwelenkästchen.
»Sie hat Geld und Schmuck genommen und ist fort«, murmelte er, »und das kann erst wenige Minuten, bevor ich kam, geschehen sein.«
Sein Blick fiel auf den Toilettentisch, und dort lag der Revolver. Er untersuchte ihn. Die eine Kammer war abgeschossen, die anderen waren noch geladen.
Während er noch mit der Waffe in der Hand dastand, hörte er Schritte im Flur und dann im Eßzimmer. Er ging auf die Tür zu. Neben dem Toten stand Sophie Guyner.
Es schien Carsdale eine Ewigkeit, ehe das Mädchen sprach. Ihre Augen gingen zwischen ihm und dem Toten hin und her. Sie zitterte heftig. Langsam hob sie den Kopf und starrte auf Carsdale.
»Es ist Syd«, ächzte sie, er ist tot. Sie haben ihn getötet, oh, oh.«
»Halten Sie den Mund. Sehen sie nicht –«
Sophie wich zurück. Plötzlich verlor sie alle Selbstbeherrschung. Sie stürzte hinaus, riß die Tür auf und erfüllte den Korridor mit ihrem Geschrei. »Hilfe, Mörder, Hilfe!«
»Komm zurück, du verwünschte Katze«, brüllte Carsdale, der ihr nachlief und sie zu packen suchte, »komm zurück!«
Aber schon öffneten sich allenthalben Türen. Neugierigentsetzte Gesichter blickten heraus. Schauerlich hallte das Geschrei von den Wänden wider.
Fluchend ging Carsdale in die Wohnung zurück, trat an die Anrichte und trank einen Schluck Brandy. Dann fiel ihm ein, daß er immer noch den Revolver in der Hand hielt. Er legte ihn auf den Tisch, wo er ihn gefunden hatte. Plötzlich standen neben Sophie Guyner der Portier und ein paar Polizisten im Zimmer. Hinter ihnen bemerkte Carsdale eine Menge erregter Gesichter.
Sophie deutete anklagend auf ihn.
»Da ist er«, schrie sie. »Ich fand ihn, den rauchenden Revolver in der Hand.«
Einer der Beamten untersuchte den Toten, der andere blickte auf Carsdale. Dieser schüttelte den Kopf.
»Hören Sie nicht auf das, was das Mädchen sagt, sie weiß nichts davon. Ich kam erst vor wenigen Minuten und fand den Toten da Legen. Ich wollte gerade Lärm schlagen, als sie kam.«
»Gleich kommt ein Inspektor und ein Arzt«, sagte der Polizist, »dem können Sie alles erzählen. Ist er tot, Jim?«
Der Mann richtete sich auf.
»Seit einer halben Stunde«, sagte er lakonisch. »Glaube nicht, daß Sie einen rauchenden Revolver gesehen haben«, wandte er sich an Sophie. »Machen Sie Platz, meine Damen und Herren.«
An den Tisch gelehnt wartete Carsdale, bis Arzt und Inspektor kamen. Sophie saß auf einem Stuhl und schluchzte vor sich hin. Und Carsdale kam der Gedanke, daß hier Zusammenhänge mit Werricks Tode bestehen mochten, von denen er nichts geahnt hatte.
Der Arzt bestätigte den Befund des Polizisten, daß der Tod vor einer halben Stunde eingetreten sein müßte. Und der Inspektor wandte sich an Carsdale.
»Was wissen Sie von dem Fall?« fragte er. »Soviel ich gehört habe, waren Sie anwesend, als der Tote gefunden wurde. Sie wissen, daß Sie nicht mehr auszusagen brauchen, als Sie wünschen.«
»Ich will gern mitteilen, was ich weiß«, antwortete Carsdale. Er hielt es für das beste, die ganze Wahrheit zu sagen, da er auch um Sylvias willen nicht in einen Kriminalfall verwickelt werden wollte. »Es ist eine einfache Sache, soweit ich damit zu tun habe.«
»Sie haben ihn totgeschossen, Sie«, schrie Sophie, die aus ihrem dumpfen Brüten aufwachte.
»Verhalten Sie sich ruhig«, sagte der Inspektor. »Nun, Herr?«
»Ich werde alles sagen, soweit es mir bekannt ist. Die Dame, die hier wohnt, ist meine Kusine, zugleich meine Sekretärin. Hier ist meine Karte, Herr Inspektor. Die Frauensperson dort ist ihr Hausmädchen, Sophie Guyner. Ich habe einen Schlüssel zu der Wohnung, hier ist er. Ich kam vor etwa zwanzig Minuten, um meine Kusine zu besuchen. Ich sah mich in der Wohnung um und fand im Schlafzimmer den Revolver. Ich untersuchte ihn gerade, als das Mädchen kam und sofort ›Mord‹ schrie. Das ist alles, was ich weiß.«
»Kennen Sie den Mann?«
»Gewiß, er heißt Sydney Werrick und hat ein paar Tage bei mir gewohnt. Er ist der Mann meiner Kusine. Sie führt hier den Namen Walsingham, heißt aber tatsächlich Werrick.«
»Und die beiden haben ihn erschossen«, rief Sophie erregt. »Sie konnten ihn schon immer nicht leiden, und –«
»Wollen Sie endlich ruhig sein«, sagte der Inspektor. Er ging in das Schlafzimmer und kam mit dem Revolver zurück. »Und wo ist Ihre Kusine?«
»Ich weiß nicht. Ich habe sie während des ganzen Tages noch nicht gesehen. Ich hoffte sie hier zu finden, aber es war niemand da.«
Der Inspektor wandte sich an Sophie.
»Wissen Sie, wo Ihre Dame ist?«
Aber Sophie schüttelte den Kopf und deutete gehässig auf Carsdale.
»Fragen Sie ihn. Ich sage Ihnen, es war alles abgekartet. Sie haben ihn hierher gelockt und totgeschossen. Ich weiß, daß sie ihn loswerden wollten. Mich schickte sie ins Theater, und ich bin nur zurückgekommen, weil mir nicht gut war. Sie wollten ihn loswerden, er war ihnen gefährlich, seit sie von Neuyork ausrückten und ihn ins Gefängnis gehen ließen für Sachen, die sie selbst ausgefressen hatten. Ich kann allerlei auspacken.«
»Sie können das nachher auf dem Polizeibüro erzählen«, sagte trocken der Inspektor. »Dahin müssen Sie jetzt mitkommen, und Sie auch«, wandte er sich an Carsdale.
»Sie wollen dem doch keinen Wert beimessen, was das närrische Weib da schwatzt?« sagte Carsdale. »Sie müssen doch einsehen –«
»Ich sehe nur ein, daß wir noch eine ganze Menge erfahren müssen, ehe wir Sie fortgehen lassen können«, antwortete der Beamte. »Reden hat keinen Zweck, Sie müssen mit.«
Und so sahen die beiden Detektive draußen, wie Carsdale von der Polizei abgeführt wurde, und das Gerücht von dem Mord gelangte auch bis zu ihnen und zu der breitesten Öffentlichkeit.