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Neunzehntes Kapitel.
Der Mann vor dem Theater

Als Richard das Halsband vor Frau Walsingham ausbreitete, war sie sich bewußt, daß einer der kritischen Augenblicke gekommen war, in dem es gilt, klar, scharf und entschlossen zu überlegen. In den wenigen Sekunden, die ihr zum Nachdenken blieben, sah sie ein Dutzend Möglichkeiten, die sie alle verwirrten und beunruhigten. Da hörte sie Carsdales schnellen Schritt im Vorzimmer, und sie wußte, daß sie sich nun aus der Verlegenheit ziehen konnte. Bevor Richard ihr Zögern auffallen konnte, raffte sie einige Papiere zusammen und stand auf.

»Lieber Junge«, sagte sie, »ich kann mich damit jetzt nicht aufhalten. Ich warte mit diesen Papieren auf Carsdale. Eben ist er gekommen, und vielleicht geht er gleich wieder fort. Ich werde eine Viertelstunde zu tun haben – willst du solange warten?«

»Natürlich«, sagte Richard, der sich über ihre Gleichgültigkeit Diamanten im Wert von zehntausend Pfund gegenüber ein wenig wunderte. Er nahm das kostbare Päckchen und steckte es in die Tasche. »Ich darf das nicht so liegen lassen«, sagte er. »Es gehört dir noch nicht, Sylvia.«

Sie gab keine Antwort und verschwand im Vorzimmer. Bald hörte er sie mit Carsdale sprechen.

Frau Walsingham verlor keine Zeit. Im sicheren Hafen von Carsdales Privatbüro, das durch eine schallsichere Tür abgeschlossen war, begann sie:

»Der Junge ist hier. Du weißt, was du von dem – Duplikat sagtest? Daß es gut wäre, es von Burgoyne zu kaufen? Burgoyne bietet es für zehntausend Pfund an. Das beweist, daß er nichts ahnt. Er glaubt, den echten Schmuck zu verkaufen.«

»Ja«, sagte Carsdale, »ja.«

Eine Minute lang sahen sie sich schweigend an.

»Der Junge hat das Ding bei sich«, sagte sie plötzlich.

»Das ist ein Beweis, daß er es für echt hält«, bemerkte Carsdale.

»Was tut man nun am besten?«

Carsdale ging eine Weile hin und her. Dann sagte er plötzlich:

»Nimm es. Dann hast du den echten Schmuck und die Nachbildung. Das sichert dich, Sylvia. Sag ihm, er soll es kaufen, dann bist du aus der Geschichte heraus. Keine Seele wird wissen, was geschehen ist. Das ist besser als mein Plan mit dem Austauschen. Nimm ihn.«

»Gut«, sagte sie und ging ohne ein weiteres Wort hinaus.

Richard, der sich über ihre schnelle Rückkehr wunderte, fand eine andere Sylvia, als die geschäftseifrige, die ihn eben verlassen hatte.

»Nun, Jungchen, zu dem Halsband«, begann sie, nachdem sie die Tür, die gleichfalls schallsicher war, verschlossen hatte. »Ich glaube, du warst schlimm genug, Burgoyne zu quälen, bis er einwilligte, die Diamanten zu verkaufen.«

»Auf Ehre nicht. Ich traf ihn, und da sagte er: ›Dick, ich habe mich anders besonnen. Sie können die Steine haben. Aber ich nehme nicht mehr als zehntausend, wenn der Juwelier sie auch auf zwölftausend Pfund schätzt.‹ Dann sagte ich ihm, daß ich dich erst fragen müßte. Da meinte er: ›Schön, zeigen Sie sie Frau Walsingham, sie wird wissen, was ein Diamant ist. Manche Frauen verstehen etwas davon.‹«

»Eine schlimme Versuchung, aber gib sie mir noch einmal her.«

Sie konnte kaum das Lachen unterdrücken, als Richard ihr nun das wertlose Zeug feierlich überreichte.

»Lege das Halsband an«, drängte er.

»Aber es gehörte Marie Louise, und wurde sie nicht enthauptet?«

»Nein, das war Marie Antoinette. Leg es an, ich möchte sehen, wie es dir steht.«

Und Frau Walsingham tat das Halsband um und kämpfte mit dem Lachen und bemühte sich sogar, ein wenig gefühlvoll auszusehen, als sie Richard gestattete, sie in ihrem neuen Schmuck zu küssen.

»Möchtest du es mir wirklich sehr, sehr gern schenken?« fragte sie.

»Das ist überhaupt abgemacht, seit ich dich damit gesehen habe«, antwortete er bestimmt.

Sie war an diesem Abend ungewöhnlich zärtlich zu Richard, und der junge Gentleman begab sich in einem wahren Glückstaumel nach Hause. Burgoyne war auf sein inständiges Bitten bei ihm abgestiegen. Als Richard eintrat, saß der Kapitän gemütlich bei seiner Pfeife und einem Buch.

»Da sind Sie ja«, begrüßte ihn Richard und legte ein Stück Papier auf die aufgeschlagene Buchseite. »Ist das nicht prompte Bezahlung?«

Burgoyne sah träge auf den Scheck.

»Danke«, sagte er. »So gefielen die Steine der Dame?«

»Sie sieht entzückend damit aus.«

Burgoyne gähnte.

»Das ist bei schönen Frauen so. Doch ich gehe zu Bett, morgen ist ein harter Tag. Angenehme Träume.«

Aber als Burgoyne in seinem Schlafzimmer war, verschwand der Ausdruck von träger Gleichgültigkeit aus seinem Gesicht. Mit harten Augen sah er auf den Scheck, den ihm Richard so liebenswürdig gegeben hatte.

»Madame denkt also, daß Fortuna ihr einen hübschen Fang beschert hat. Aber wir werden den Vogel fliegen lassen. Doch wie?«

Am anderen Morgen erstattete er Blair seinen Bericht.

»Obgleich ich über deine Absichten durchaus noch im Finstern tappe, muß ich doch meine Ansicht dahin ausdrücken, daß die Dame alles hat, während wir nichts haben.«

»Wir wollen ruhig abwarten, was die Dame letzten Endes behalten wird«, erwiderte Blair. »Wie willst du dir denn sonst ohne den ganzen Betrieb von Scotland Yard und der Polizei die Gewißheit verschaffen, ob sie dein Halsband hat? Du kannst doch nicht auf eigene Faust bei ihr Haussuchung halten.«

»Schön, aber wie kann ich mir nun die Gewißheit verschaffen?« fragte Burgoyne zweifelhaft.

»Warte ab. Der nächste Schritt besteht darin, daß du ein intimes Abendessen gibst. Du nimmst eine Loge in irgendeinem Theater und belegst ein Sonderzimmer in einem Restaurant. Die Hauptsache ist, daß dein junger Freund und seine Dame dabei sind. Ich werde auch kommen. Dann sind wir vier, gerade die richtige Anzahl. Und nun kommt das Wichtigste: Du mußt es Shrewsbury beibringen, daß du gerne sehen möchtest, wie der historische Schmuck Frau Walsingham steht. Nun?«

Burgoyne zerrte an seinem Schnurrbart und blickte nachdenklich auf seinen Freund.

»Ich glaube, nun verstehe ich dich. Eine glänzende Idee!« Und er ging stehenden Fußes zu Richard.

»Suche dir ein Theater aus, das wir mit deiner Braut zusammen besuchen. Desgleichen ein gemütliches Plätzchen, wo wir hinterher essen können«, sagte er. »Ich hoffe, es wird der Dame Freude machen.«

Frau Walsingham nahm die Liebenswürdigkeit des Kapitäns sehr gnädig auf. Sie erklärte sich bereit, aus Zuvorkommenheit gegen den freundlichen Gastgeber das berühmte Halsband anzulegen.

So erregte die Loge, in der Sylvia sich mit ihren drei Kavalieren befand, an diesem Abend beträchtliches Aufsehen, nicht nur wegen der Schönheit der Dame, sondern auch wegen der Steine, die an ihrem weißen Hals glänzten. Aber von allen Leuten, die im Theater saßen, blickte niemand so aufmerksam zu dieser Loge wie ein Mann, der sich in einer dunklen Ecke des Parterres befand.

Zehn Minuten bevor der erste Akt des Dramas, das Frau Walsingham sich für den Besuch ausgewählt hatte, begann, war der Mann noch ziellos den Strand entlang geschlendert. Er machte einen etwas heruntergekommenen Eindruck, aber sein Rock war ohne Schäden, seine Wäsche sauber, die Stiefel blank geputzt. Sein Gesicht verriet ein an Entbehrungen reiches Leben.

Er kam gerade an einem Theater vorbei, als dort Frau Walsingham und ihr getreuer Richard aus einem Luxusauto stiegen. Das Licht eines Kandelabers fiel voll auf das Gesicht der Frau, so daß der Fremde sie betrachten konnte. Rasch wandte er sich um. Als er noch einmal hinsah, waren Richard und seine Begleiterin in der Vorhalle verschwunden.

Der Mann faßte in die Tasche, holte eine Handvoll Silberstücke heraus und sah sie nachdenklich an. Dann wandte er sich an den Portier.

»Wieviel kostet hier ein Platz?« Der Portier musterte ihn von oben bis unten und sagte dann:

»Galerie einen Schilling, erste Treppe rechts.«

»Ich möchte unten sitzen«, erwiderte der andere ruhig.

»Parterre zwei Schilling. Erste Tür links.«

Der Fremde folgte der Anweisung und suchte sich seinen Platz. Spähend blickte er in dem Raum umher. Plötzlich sah er Frau Walsingham, die mit drei Herren in einer Loge Platz genommen hatte. Sie hatte den Abendmantel ausgezogen, so daß man die Diamanten ihres Halsbandes schimmern sah.

»Sicherlich, das ist Sylvia!« sagte er. »Das nenne ich Glück!«

Dann lehnte er sich in seinen Sitz zurück und blieb den ganzen Abend da wie ein Wächter. Als aber der Vorhang zum letztenmal fiel, stürzte er hinaus, beobachtete, wie die vier das Theater verließen und folgte ihnen vorsichtig, bis sie in der Halle des Hotels Cecil verschwanden.


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