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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Jeder auf eigene Faust

Als Sylvia am nächsten Morgen ausging, war sie sich bewußt, einen arbeitsreichen Tag vor sich zu haben. Aber nachdem der entscheidende Augenblick nun gekommen war, fühlte sie etwas wie Kampfesfreude. So ging sie in der Richtung auf den Strand zu, ohne zu ahnen, daß Sydney Werrick, zu dessen vielen Künsten es gehörte, sich unkenntlich zu machen, ihr Fortgehen beobachtet hatte und sich nun in angemessenem Abstand an ihre Fersen heftete. Freilich war Mr. Werrick ebenso ahnungslos hinsichtlich des Mannes, der ihm wie ein Schatten folgte.

Frau Walsingham verweilte eine gute Stunde in ihrem Büro. Werrick stellte fest, daß das Haus nur einen Eingang hatte. Schließlich sah er Sylvia wieder auftauchen, und er folgte ihr bis zu einer benachbarten Bank. Als sie nach wenigen Minuten das Haus verließ, ging er den Strand entlang hinter ihr her. Sie betrat den Laden des Mr. Wiertz, und Werrick, der auf der anderen Seite der Straße halt machte, wunderte sich, als er über der Tür das unmißverständliche Zeichen des Pfandleihers entdeckte.

Mr. Wiertz war überrascht, seine Kundin zu sehen. Eingedenk der Pracht, in der er sie unlängst im Odalium bewundert hatte, begrüßte er sie mit großer Höflichkeit.

»Ich möchte Sie vertraulich sprechen«, begann sie ohne Umschweife.

»Mit Vergnügen, meine Gnädigste«, erwiderte er, indem er sie in sein Allerheiligstes geleitete. »Hier sind wir ungestört. Aber Sie kennen ja meine kleine Höhle.«

»Sie erinnern sich meines Halsbandes?« begann sie.

»Natürlich, und ich hatte das Vergnügen, Sie es kürzlich tragen zu sehen«, antwortete er.

Frau Walsingham fuhr zusammen und sah ihn fragend an.

»Im Odalium. Und wundervoll sah es aus.«

Frau Walsingham lachte.

»Natürlich konnten Sie die Augen nicht davon abwenden?«

Auch Mr. Wiertz lächelte.

»Ich weiß wohl«, fuhr sie fort, »daß Sie immer eine große Vorliebe dafür hatten und es sogar kaufen wollten. Nun, ich will es verkaufen.«

Diese Mitteilung machte einen doppelten Eindruck auf den Juwelier. Erst überlief ihn ein Gefühl der Freude, aber ein zweites mahnte ihn zur Vorsicht. Er nahm die Brille ab und begann sie abzuwischen. Früher hatte Frau Walsingham nicht verkaufen wollen, mit einem Male bot sie den Schmuck an. Das gab zu denken.

»Ah!« sagte er. »Damals hatte ich einen Käufer in Aussicht, heute nicht.«

»Das hat nichts zu sagen«, erwiderte Frau Walsingham gleichgültig. »Die Steine sind darum nicht weniger wert. Wieviel zahlen Sie, Mr. Wiertz, in barem Gelde?«

»Aber ich möchte nicht kaufen, weil –«

Mit einem Blick brachte sie ihn zum Schweigen.

»Wir wollen nicht mit Redensarten die Zeit vertrödeln. Sie wissen, daß Sie das Halsband kaufen wollen. Sie machten mir ein Angebot, als ich den genauen Wert der Steine noch nicht kannte. Nun kenne ich ihn. Also – wieviel bieten Sie?«

Mr. Wiertz nahm das Halsband und betrachtete es. Seine Finger zitterten ein wenig, als er es fortlegte.

»Ich hatte damals einen Käufer, jetzt nicht. Und wenn ich warten muß –«

»Unsinn. Sie wissen so gut wie ich, daß Sie den Schmuck innerhalb vierundzwanzig Stunden wieder verkaufen können. Mit Ihren Redensarten wollen Sie nur den Preis drücken. Wenn Sie nicht kaufen wollen, tut es ein anderer.

Mr. Wiertz rieb die Hände und lächelte schwach.

»Wieviel – verlangen Sie?«

»Zehntausend – bar.«

»Unmöglich, absolut unmöglich.«

Frau Walsingham packte den Schmuck in ihre Handtasche. Sie rüstete sich zum Aufbruch.

»Unmöglich«, wiederholte Mr. Wiertz. »Ich könnte mit Verdienst nicht wieder verkaufen. Sagen wir – achttausend, gnädige Frau.«

»Ich habe Ihnen gesagt, wieviel ich haben will. Zehntausend ist mein Preis.«

»Ich möchte bis achttausendfünfhundert gehen. Sie sehen –«

»Ich sehe nur, daß Sie die Zeit vertrödeln«, erwiderte Frau Walsingham.

»Ich kann die zehntausend woanders bekommen.«

Mr. Wiertz zögerte. Endlich streckte er die Hand nach dem Kästchen aus. »Lassen Sie es mich noch einmal anschauen. Sie sind so hart, und mein Verdienst würde –«

Frau Walsingham reichte ihm das Halsband noch einmal hin.

»Zehntausend, nicht einen Pfennig weniger«, sagte sie mit Nachdruck.

Der Juwelier betrachtete den Schmuck nochmals. Schließlich wandte er sich zu seinem Schreibtisch.

»Wollen Sie einen Scheck? Sonst lasse ich Banknoten holen.«

»Bitte das letztere«, sagte Frau Walsingham, indem sie sich bequem in ihrem Sessel zurücklehnte. »Sie haben ein gutes Geschäft gemacht, Mr. Wiertz, und Sie wissen das.«

»Aber wo finde ich einen Käufer?« fragte er. »Damen sind immer unerbittlich, wenn es sich um Geld handelt.«

Inzwischen hatte der Gentleman, der Mr. Werrick beobachtete, herausbekommen, daß dieser wiederum einer anderen Person auf der Spur war. Als daher Werrick, der bisher in müßiger Betrachtung des Straßenlebens dagestanden hatte, sich plötzlich ostwärts in Bewegung setzte, blickte sein Schatten umher und stellte unschwer fest, daß Werricks Aufmerksamkeit der gutgekleideten Dame galt, die wieder der Norfolkstraße zustrebte. Seinen scharfen Augen entging nicht die Handtasche, die mit einer keineswegs nur dem Schmuck dienenden Kette an ihrem Handgelenk befestigt war. Infolgedessen behielt er seinen Mann um so fester im Auge.

Frau Walsingham bestieg einen Omnibus und nahm im Innern des Wagens Platz. Im Vertrauen auf seine Verkleidung folgte Werrick ihr und stieg auf das Verdeck. Sein Verfolger hielt sich an Frau Walsingham, da er mit Recht annahm, daß er so auch den Mann nicht aus den Augen verlieren würde.

So fuhren die drei miteinander bis zum Herzen der City. Am Mansion House stieg Sylvia aus, Werrick folgte ihr, und der Fremde heftete sich an seine Fersen. Frau Walsingham betrat ein bekanntes privates Bankinstitut. Es war dasselbe, das Richards bares Geld aufbewahrte. Sie war hier bekannt, denn sie hatte oft für Richard sowohl wie für Carsdale Besorgungen gemacht. Als sie daher den Scheck vorlegte, erforderte das Honorieren desselben nicht mehr Zeit, als zum Zählen der Banknoten nötig war. Und ohne daß die beiden Männer da draußen etwas davon ahnten, ging Frau Walsingham mit fünfundzwanzigtausend Pfund in Noten der Bank von England davon. So begann die Jagd von neuem.

Frau Walsingham bog in die Lombardstraße ein und begab sich in das Gebäude der Englisch-Österreichischen Bank. Der geheimnisvolle Fremde sah sie eintreten. Er sah auch Werrick an der Tür herumlungern. Er selbst ging ein paar Schritte weiter. Als er sich umdrehte, war Werrick verschwunden. Vergebens blickte er überall umher. In Eile einen Vorwand ersinnend betrat er den Schalterraum. Während er an einen der Angestellten eine Frage richtete, sah er sich um. Keine Spur von den beiden.

Die Sache lag so, daß Frau Walsingham in einem besonderen Zimmer ein Privatgeschäft zu erledigen hatte. Werrick, der erfahren hatte, was er im Augenblick wissen wollte, hatte über den Innenhof hinweg das Haus durch einen anderen Ausweg verlassen, um Sophie Guyner zu treffen. Sein Schatten, der sehr gut wußte, wo Werrick sein Quartier aufgeschlagen hatte, und den Frau Walsingham nichts anging, entfernte sich.

Sylvia wollte, nachdem ihre Geschäfte erledigt waren, zunächst einen anderen Omnibus besteigen. Sie besann sich aber, suchte eine Fernsprechzelle auf und teilte Sophie mit, sie werde ihr durch Griffkin ein Theaterbillet schicken. Sie selbst würde erst spät nach Hause kommen.

Dann fuhr sie zur Norfolkstraße, arbeitete dort wie gewöhnlich bis fünf Uhr und begab sich in ihr Stammrestaurant, wo sie mit Muße speiste. Kurz vor acht brach sie auf und fuhr nach Hause. Vor ihrer Korridortür stand sie Kapitän Blair gegenüber.


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