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Kapitän Burgoyne wartete im Hotel Bristol in Paris auf Richard mit denselben Gefühlen, mit denen der Patient eines Zahnarztes auf die Einladung wartet, in das Behandlungszimmer zu kommen. Die Eröffnung, die er dem jungen Freunde machen mußte, konnte dessen Leben für immer verbittern. Und dennoch mußte sie gemacht werden.
Richards gute Laune machte alles noch schwieriger. Spät in der Nacht kam er erst. Aber Burgoyne mußte mit ihm noch einen Blick auf das mitternächtliche Paris, diese wundervolle Stadt, werfen, und sie blieben bis zu einer sehr unsoliden Zeit auf. Als sie dann wieder im Hotel waren, fragte er Burgoyne sofort, warum er ihn habe kommen lassen.
»In Geschäften natürlich«, fügte er selbst hinzu, »wenn ich auch nichts davon verstehe. Aber Sie können auf mich zählen, lieber Kerl. Carsdale hätte Ihnen sicher nützlicher sein können. Worum handelt es sich eigentlich? Ihre Handelsgesellschaft, nehme ich an.«
Burgoyne gelang ein meisterhaftes Gähnen.
»Morgen ist Zeit genug dazu, ich schlaf schon halb.«
Aber er schlief wenig in dieser Nacht, und er sah melancholisch aus, als sie sich am anderen Morgen beim Frühstück trafen. Als er des anderen junges, eifriges Gesicht sah, war ihm, als sollte er ihm einen Dolch in den Rücken stechen. Und doch wollte er ihn nur vor einem Schicksal bewahren, an das er mit Grausen dachte.
Er führte Richard zum Bois de Boulogne und suchte eine ruhige Bank. Die Luft war sommerlich, die Bäume standen in sattem Grün, und die Sonne funkelte in den Wasserstrahlen der Fontänen. Kinder spielten mit ihren Wärterinnen. Alles stand im Kontrast zu der traurigen Geschichte, die er erzählen mußte. Da kam er plötzlich zur Sache, heftig und ungeschickt.
»Also, Shrewsbury, wir müssen auf das Geschäft zu sprechen kommen, um dessentwillen ich Sie herrief.«
»Nun?«
»Ich – ich wollte Sie nicht in meiner Angelegenheit sprechen, es handelt sich – um Sie.«
Richard betrachtete eben ein Kindermädchen, das mit einem Polizisten flirtete. Erstaunt wandte er sich um.
»Um mich?«
»Ja, beim Zeus, um Sie. Sehen Sie, Jungchen, Sie halten mich für Ihren Freund, Sie vertrauen mir?«
Richard staunte noch mehr. Dann legte er in plötzlichem Impuls die Hand auf des anderen Arm.
»Lieber, alter Kerl«, sagte er. »Ich betrachte Sie als meinen zweiten Vater. Das ist doch klar.«
»Ich bin verteufelt froh, das zu hören, verteufelt froh. Das – macht mir leichter, was ich zu sagen habe. Was ich sagen muß – sonst täte ich es lieber nicht.«
Richard begann zu ahnen, daß etwas ebenso Unangenehmes wie Wichtiges in der Luft lag.
»Was gibt es, Burgoyne?« fragte er ruhig.
»Es – es ist häßlich, darüber reden zu müssen«, sagte Burgoyne, indem er mit seinem Stock wütend den Kies bearbeitete, »möchte lieber von etwas anderem sprechen. Es handelt sich – um Frau Walsingham.«
Der Junge richtete sich auf.
»Um Frau Walsingham? Vergessen Sie nicht, daß ich mit ihr verlobt bin.«
»Ich vergesse es nicht, und das macht ja die Sache so verwünscht häßlich. Nur weil ich Sie gern habe und mich sorge wegen all dem, von dem Sie noch nichts wissen, spreche ich mit Ihnen. Sehen Sie, ich weiß, was Sie nicht wissen. Es handelt sich um das verdammte Halsband. Ich wünschte, ich hätte es nie gesehen.«
Richard starrte auf die Fontäne vor ihnen. Er wußte mittlerweile, daß Burgoyne ihm eine peinliche Eröffnung zu machen hatte.
»Es ist am besten, Sie erzählen mir gleich alles«, sagte er.
»Dann vergessen Sie nicht, daß jedes Wort, das ich zu Ihnen spreche, die reine Wahrheit ist. Sie wissen, daß ich mein Halsband Barklay Leverton zum Pfand gab. Sie waren dabei, als ich es von seinem Testamentsvollstrecker abholte. Aber was ich bekam, war nicht mein Halsband, es war eine Nachbildung. Levanter kam dahinter, als ich ihm den Schmuck zum Abschätzen brachte. Ich sagte kein Wort darüber, aber ich hatte meinen Verdacht und forschte nach. Mein Halsband war gestohlen worden, während es bei Leverton in Verwahrung war, und – hören Sie es mannhaft an, mein Junge, wenn es auch hart klingt – Frau Walsingham hat es gestohlen. Das ist die volle Wahrheit.«
Richard sprach kein Wort. Er lehnte sich vornüber und zeichnete sinnlose Figuren in den Sand. Burgoyne, der ihn nicht anzusehen wagte, sprach rasch weiter.
»Sie versetzte das Halsband. Sie löste es ein, als ich zurückkam. Was ich Ihnen verkaufte, war der unechte Schmuck. Ich wußte es natürlich. Ihr Scheck ist hier in meiner Brieftasche, Sie können ihn zerreißen oder aufheben oder damit tun, was Sie wollen. Dadurch, daß ich Ihnen den Schund verkaufte, bekamen wir die Wahrheit oder besser die Bestätigung unserer Vermutung heraus, Blair und ich. Wir stellten ihr eine Falle, um Ihretwillen, mein Junge. Ich will Ihnen alle Einzelheiten erzählen, und ich hoffe, daß ich in meinem Leben nicht wieder in eine solche schmutzige Geschichte verwickelt werde.«
Richard saß in starrem Schweigen da, während Burgoyne berichtete. Er wußte, daß Burgoyne die Wahrheit sprach, und während er zuhörte, überkam ihn etwas wie das Gefühl wiedererworbener Freiheit. In Stunden ruhiger Überlegung hatte er sich manchmal gefragt, ob er nicht nur aus plötzlicher Gefühlsaufwallung heraus um Frau Walsingham angehalten hatte. Nun er wußte, daß er sie nie heiraten würde, fragte er sich, ob er darüber froh oder traurig sei.
»So, das ist alles, und ich habe meine Pflicht getan«, sagte Burgoyne. »Ich handelte, wie es im Sinne Ihres Vaters gewesen wäre.«
Richard drückte Burgoynes Arm.
»Ich danke Ihnen, ich kenne Sie. Aber warum mußten wir erst hierher fahren, warum konnten Sie mir das nicht alles in London sagen?«
»Wir hielten es für das beste, Blair und ich. Und dann – Blair spricht mit ihr.«
»Ah! Also Blair spricht mit ihr?«
»So ist es, lieber Junge, sehen Sie denn nicht ein, daß Sie aus den Händen von den beiden losgemacht werden mußten? Sie sollen nun auch noch das letzte hören. Sie dürfen mit der Frau nichts mehr zu tun haben und auch nicht mit Carsdale.«
»Carsdale?« rief Richard aus.
»Ja. Ich weiß, daß Sie großes Vertrauen zu ihm hatten. Das ändert nichts daran, daß der Mann einen schlechten Ruf hat. Sie wissen nicht, was ich weiß. Wer sich mit ihm einläßt, wird betrogen und zuletzt ruiniert.«
Richard stand auf.
»Es scheint«, sagte er langsam und bitter, »ich weiß wirklich gar nichts. Ich bekam einen Schlag heute morgen, das ist nun der zweite. Ich habe Carsdale voll vertraut. Er war freundlich zu mir und gefällig, als ich ankam, ein Fremder, und meine Bankiers beglückwünschten mich, weil er mein Geld so gut angelegt hatte. Ich hatte nie Grund, ihm zu mißtrauen.«
Burgoyne seufzte und schüttelte den Kopf.
»Mein lieber Dick, ich kann mir denken, wie Sie das alles schmerzt. Aber Carsdale ist ein Halunke, ein listiger Halunke. Was er für Sie tat, hatte den Zweck, Vertrauen zu erwecken. Aber nun erzählen Sie mir, Dick, wie Sie es Ihrem Vater erzählt hätten, haben Sie ihm je Geld zur beliebigen Verfügung überlassen?«
»Ja – zehntausend Pfund.«
»Die werden Sie nie wiedersehen«, rief Burgoyne aus. »Haben Sie jemals Papiere unterschrieben, die Sie nicht gelesen haben?«
»Gestern nachmittag unterschrieb ich etwas, ohne es zu lesen.«
»Lieber Himmel, hätte ich doch eher gesprochen. Mein Junge, der Mann ist ein Schwindler. Franziska Leverton hat herausgefunden, daß er ihren Vater um eine große Summe betrogen hat. Durch die Drohung mit Anzeige hält sie ihn im Schach – um Ihretwillen.«
Richard errötete.
»Um meinetwillen? Fräulein Leverton?«
»Es ist das einzige, womit wir ihn fassen können. Winch läßt ihm die Wahl, angezeigt zu werden oder die Geschäftsverbindung mit Ihnen aufzugeben. Wenn Ihre Freunde Sie nicht vor dem Kerl retten, sind Sie ruiniert.«
Richard stand auf.
»Kommen Sie, Burgoyne, wir fahren nach London. Sie meinen es alle gut mit mir, aber ich muß meine Sache selbst ausfechten, wenn ich auch Ihrer aller Hilfe nicht zurückweisen will. Kommen Sie, wir fahren.«
Aber Burgoyne hatte noch eine geschäftliche Verabredung, so daß sie erst am Abend Paris verlassen konnten. Am frühen Morgen kamen sie in London an und gingen in ein Hotel, um zu frühstücken. Und dort fand Burgoyne in einer Zeitung die ersten kurzen Nachrichten von dem, was sich in Frau Walsinghams Wohnung begeben hatte.