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Als Richard Shrewsbury am nächsten Morgen erwachte, fielen ihm zwei Dinge ein: daß er den Kapitän Burgoyne zum Frühstück erwartete, und daß er sich verlobt hatte.
Nun, wo die erste Aufregung vorüber war, kamen ihm die Ereignisse des vergangenen Abends fast seltsam vor. Er war sich bewußt, daß Sylvia Walsingham in seiner kleinen Welt viel bedeutet hatte, daß er sie liebte und bewunderte. Aber ebenso war er sich dessen bewußt, daß er nicht in der Absicht zu ihr gegangen war, um ihre Hand anzuhalten. Und er war überzeugt, daß auch sie nie an eine solche Möglichkeit gedacht hatte.
»Ich habe sie überrumpelt«, sagte er sich beim Ankleiden.
Als Kedgin gegangen war, nahm er eines ihrer Bilder vom Kaminsims und betrachtete es sorgfältig. Zweifellos würde er eine der schönsten Frauen Londons besitzen, und sie würde hineinpassen in all den Glanz, mit dem er sie umgeben konnte. Auch hatte er sie sehr, sehr lieb. Und dann dachte er darüber nach, was ihn eigentlich zu Franziska Leverton zog, und warum er so niedergeschlagen gewesen, als sie ihn kurz verabschiedete, und so froh, als er die Erlaubnis erhielt, wiederzukommen. Nun, vielleicht war die Einladung nicht so ernst gemeint, und vielleicht würde seine Verlobte es nicht wollen, daß er zu den Acacia Mansions ginge. Bei dem Gedanken konnte er sich eines etwas zynischen Lächelns nicht erwehren.
Burgoyne kam pünktlich auf die Minute, frisch und lebhaft, und prüfte die Wohnungseinrichtung mit forschenden Blicken.
»Sie haben sich ja prächtig installiert, junger Herr, wer hat Ihnen denn zu all dem Glanz und Schimmer verholfen?«
»Carsdale, bei dem Sie gestern waren. Er ist eine sehr nützliche Bekanntschaft.«
»Offenbar«, sagte Burgoyne, der sich noch immer umschaute. »Aber fanden Sie auch die Bilder und Bücher schon vor?«
»Nein, die habe ich mir gekauft«, sagte Richard und sah auf die Dinge wie ein Kind, das auf Spielsachen stolz ist, dessen Wert es noch nicht begreift.
»Meinen Glückwunsch zu Ihrem Geschmack. Aber wer half Ihnen, ihn zu bilden? In Trinidad haben Sie das doch nicht gelernt?«
»Nein«, sagte Richard offen. »Ich verstehe auch heute noch nicht viel davon. Frau Walsingham hat mich beraten.«
»Oh, die Dame, die ich bei Carsdale kennenlernte? Sie scheint sehr klug zu sein.«
Nebenan war Kedgin am Frühstückstisch beschäftigt. Richard wartete, bis er verschwand.
»Ja«, sagte er kurz, »ich glaube – die Sache ist – Sie sollen es als erster wissen, Burgoyne, ich habe mich mit ihr verlobt.«
Burgoyne, der gerade sein Einglas ins Auge geklemmt hatte, um ein wertvolles Aquarell zu betrachten, wandte sich um und ließ es fallen.
»Was, Sie haben sich verlobt, Dick? In solchen Fällen bin ich immer sprachlos. Ich bringe es nicht fertig, die Leute mit einem Schwall von Glückwünschen zu überschütten. Ich kenne Frau Walsingham nicht näher. Ich sah gestern eine sehr hübsche und sehr gut gekleidete Dame, mehr nicht. Aber die Hauptsache, mein lieber Kerl, sind Sie zufrieden?«
»Durchaus«, sagte Richard mit Begeisterung.
Burgoyne klopfte ihn auf die Schulter und schüttelte ihm die Hand.
»Dann ist es gut, und auf meine Freundschaft können Sie weiter rechnen, wenn Sie Wert darauf legen. Aber man ruft uns zum Frühstück.«
Bei Tisch sah der Ältere den jungen Mann dann und wann scharf an, als wolle er der Wolke von Fröhlichkeit, die über Richard hing, auf den Grund kommen. Er überlegte, was seit gestern geschehen sein mochte, um diese Verlobung zustandezubringen. Als er aber merkte, daß seines Freundes Appetit jedenfalls nicht gelitten hatte und daraus schloß, daß sein Gemüt von Sorgen offenbar unbeschwert war, beschäftigte er sich mit seinen eigenen Angelegenheiten.
»Carsdale ist also ein tüchtiger Geschäftsmann, Dick?« fragte er, als sie mit dem Essen fertig waren und Kedgin sich zurückgezogen hatte.
»Einer der geschicktesten in ganz London«, versicherte Richard aus Überzeugung.
»Ist das die allgemeine Ansicht, oder sprechen Sie nur Ihre eigene Meinung aus?«
»Ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen«, antwortete Richard. Und nun kramte er aus, was Carsdale für ihn getan habe, indem er den größten Teil seines Vermögens anlegte, und er verfehlte nicht, das Urteil seiner ehrenwerten Bankiers über die Transaktionen anzuführen. Er vergaß allerdings, von den zehntausend Pfund zu sprechen, die er Carsdale zum Börsenspiel gegeben hatte. Sein Bericht machte natürlich Eindruck auf Burgoyne.
»Das hört sich befriedigend an«, sagte er. »Carsdale könnte auch mir nützlich sein. Ich brauche einen Mann seiner Art als Vermittler. Natürlich wollte ich mich eigentlich an Leverton wenden.«
Einen Augenblick dachte Richard an Franziska Leverton. Hier bestand eine Möglichkeit, ihr ein Geschäft zuzuschanzen.
»Fräulein Leverton führt einen Teil der Praxis ihres Vaters fort«, sagte er. »Ich weiß zwar nicht recht, was sie treibt, aber ich nehme an, sie berät Leute in Kapitalsanlagen, und –«
»Nein, auf keinen Fall will ich mit Weibern Geschäfte machen«, lehnte der Kapitän ab. »Aber ich denke, Carsdale wird die Sache übernehmen.«
»Worum handelt es sich denn?«
»Ich will eine Gesellschaft bilden zur Ausbeutung des Landstriches, den ich erforscht habe. Mit diesem Weltwinkel lassen sich gewaltige Handelsbeziehungen anknüpfen. Ich werde aus eigenen Mitteln eine große Summe hineinstecken. Sie sollten mitmachen, Dick. Eine Gesellschaft, wie ich sie mir vorstelle, würde in zwei Jahren zwanzig, nein dreißig Prozent Dividende ziehen. Das Land ist eine wahre Goldgrube.«
»Natürlich mache ich mit«, sagte Richard. »Das heißt, wenn Carsdale einverstanden ist. Ich habe ihm freie Hand gelassen.«
Burgoyne lächelte.
»Er wird die glänzenden Aussichten begreifen, wenn ich mit ihm gesprochen habe. Ich muß einen Voranschlag machen, das wird mich die nächsten Tage in Anspruch nehmen.«
»Können Sie mir heute Vormittag noch eine Stunde schenken?« fragte Richard ein wenig zaghaft.
Burgoyne sah auf seine Uhr.
»Um zwölf muß ich in der Königlichen Geographischen Gesellschaft sein«, sagte er. »Jetzt ist es zehn. Was gibt's denn?«
Richard lachte verlegen.
»Ich möchte einen Verlobungsring kaufen. Ich dachte, Sie würden vielleicht mit mir zum Juwelier Levanter gehen.«
»Das liegt auf meinem Weg. Levanter ist doch ein sehr feines Geschäft? Vielleicht kann ich den Mann brauchen. Ich möchte mein Halsband abschätzen lassen. Ich verstehe von dem Wert nichts und will es verkaufen.«
»Verkaufen Sie es mir«, rief Richard eifrig, »ich nehme es.«
Burgoyne sah ihn verwundert an. Er kannte seine Vermögensverhältnisse nicht genau und nahm an, daß er nicht so ohne weiteres Diamanthalsbänder kaufen könnte.
»Was wollen Sie damit?« fragte er lächelnd.
»Sylvia schenken natürlich.«
»Ein hübscher Name«, sagte Burgoyne. »Gut, wollen sehen. Wenn Sie durchaus Diamanten kaufen wollen –«
»Alle Frauen lieben Diamanten«, warf Richard mit weiser Miene ein.
»Gewiß, mein Sohn«, sagte Burgoyne ernsthaft. Und er dachte: »Sie lieben auch junge Leute, die ihnen Diamanten schenken können. Schön«, setzte er hinzu, »wollen wir gehen.«
»Aber das Halsband?« sagte Richard.
Burgoyne lachte und klopfte sich auf den zugeknöpften Rock.
»Hier habe ich es, hier in einem Ledertäschchen. Seit gestern habe ich es immer bei mir getragen, nachts lag es sogar unter meinem Kopfkissen. Vermutlich habe ich sogar davon geträumt.«
Bei dem Juwelier zeigte es sich, daß Richard, der dem Mann durch zahlreiche Einkäufe schon bekannt war, schwer zu befriedigen war. Er fragte bald Burgoyne, bald Mr. Levanter um Rat. Er versuchte, ihren Geschmack mit dem seinen zu verbinden. Schließlich entschied er sich für einen Ring, der mit fünf kostbaren Steinen besetzt war. Burgoyne erschrak, als er den Preis hörte. Aber Richard zog sein Scheckbuch und zahlte, ohne eine Miene zu verziehen.
»Nun kommen Sie dran«, sagte er und blickte auf Burgoyne.
»Sie haben solange getrödelt, daß mir keine Zeit übrig geblieben ist«, entgegnete der Kapitän. Er nahm die Ledertasche aus ihrem Versteck und gab sie dem Juwelier.
»Ich möchte Sie um eine Gefälligkeit bitten, Mr. Levanter. In diesem versiegelten Paket ist ein Diamantenhalsband, ein alter Familienbesitz. Ich möchte gern seinen wirklichen Wert wissen. Sehen Sie es sich bitte an. Ich habe jetzt keine Zeit, aber ich komme in zwei Stunden wieder vor.«
Burgoyne wurde länger aufgehalten, als er gedacht hatte, so daß er erst am späten Nachmittag sich des Juweliers und des Auftrags, den er ihm gegeben hatte, wieder erinnerte. Mit sorglosem Lächeln trat er in den Laden.
»Nun, Mr. Levanter?« sagte er.
Der Juwelier führte ihn in das Zimmer, in dem Richard seinen Ring ausgesucht hatte, und schloß einen Geldschrank auf. Er nahm die Ledertasche heraus und sah den Kapitän mit sonderbarem Ausdruck an.
»Ich sollte diese Dinger als – als Diamanten abschätzen?« fragte er.
»Als Diamanten? Natürlich, als was sonst?«
»So hatte ich es verstanden, Herr Kapitän«, sagte der Geschäftsmann und nahm das Halsband heraus. »Aber das sind hier keine Diamanten, das sind nachgemachte Steine!«