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Achtes Kapitel.
Bezahlte Schuld

Griffkins Meldung machte auf jede der drei anwesenden Personen einen verschiedenen Eindruck. Carsdale war offenbar verwundert. So sehr Frau Walsingham sich auch in der Gewalt hatte, konnte sie doch ein leises Zusammenzucken nicht vermeiden. Aber Richard sprang mit einem Ausruf knabenhafter Freude auf und eilte zu der Tür.

»Burgoyne ist da!« schrie er laut. »Burgoyne, Sie wissen doch, der Entdecker. Ich habe Ihnen von ihm erzählt, Frau Walsingham, er ist eher heimgekommen, als man annahm. Sie kennen ihn nicht, Carsdale? Darf ich ihn hereinbringen?«

»Nur immer zu«, sagte Carsdale und stand auf. »Ich habe zwar noch nicht das Vergnügen, ihn zu kennen, aber – was meint der Junge eigentlich?« fuhr er ungeduldig zu der Sekretärin fort, als Shrewsbury das Zimmer verlassen hatte. »Kennt er ihn?«

»Er hat ihn auf Trinidad kennengelernt«, antwortete Frau Walsingham hastig, »er war dort Gast seines Vaters. Ich denke«, setzte sie ganz leise hinzu, »Burgoyne wollte Leverton aufsuchen. Leverton hatte vor drei Jahren eine Unterredung mit ihm, als du nicht da warst. Vielleicht kannst du herausbekommen, was er will.«

Carsdale witterte in dem Ton, in dem die Frau sprach, ein Geheimnis. Er nickte.

»Gut. Geh nicht weg. Ist der Bursche nicht gerade von Südamerika zurückgekommen? Ich erinnere mich jetzt.«

Draußen schüttelte indessen Richard kräftig die Hand eines großen, dunkelgebrannten Mannes, der ihn mit launiger Überraschung anblickte und bei seinen stürmischen Freudenbezeugungen schließlich in Lachen ausbrach.

»Himmel, ist das nicht der junge Dick!« sagte er, als er endlich zu Worte kommen konnte. »Sie sind anständig gewachsen, Kerlchen. Aber wie kommen Sie hierher?«

»Natürlich wohne ich hier in London. Ich – aber das erzähle ich Ihnen alles nachher. Beim Zeus, ich freue mich, Sie zu sehen, Burgoyne. Ich wußte nicht, wann Sie landeten, ich wollte Sie eigentlich schon in Southampton begrüßen. Aber nun kommen Sie hinein.«

»Was, sind das Ihre Büros?« fragte Burgoyne. »Ich wollte Mr. Leverton besuchen.«

»Mr. Leverton ist tot, aber hier ist mein Freund Carsdale, der Ihnen jede Auskunft geben kann«, sagte Richard, indem er den Forscher durch das Vorzimmer führte, wo Fräulein Rouseby und Griffkin den Helden des Tages verehrungsvoll anstarrten. »Ich werde Sie ihm vorstellen, und auch meiner Freundin, Frau Walsingham.«

Kapitän Burgoyne ließ sich in Carsdales Zimmer schleppen und bekannt machen, setzte sich und sah sich dann lächelnd um.

»Das ist eine kleine Überraschung«, bemerkte er. »Ich war darauf nicht gefaßt, einen alten Freund hier zu treffen. Ich wollte Mr. Leverton aufsuchen und höre mit Bedauern, daß er gestorben ist. Ist das erst kürzlich geschehen?«

»Vor sechs Wochen«, erwiderte Carsdale. »Er war längere Zeit krank, aber sein Tod kam doch überraschend. Kann ich Ihnen irgendwie dienen, Herr Kapitän? Wir waren Kompagnons. Aber vielleicht hatten Sie Privatgeschäfte mit ihm.«

»Stimmt, Privatgeschäfte«, antwortete Burgoyne. »Die Sache ist die, ich hatte ihm ein Pfand gegeben, das ich zurückhaben möchte.«

»So?« sagte Carsdale. Er überlegte, worum es sich wohl handeln könnte, und kam zu keinem Ergebnis. »Mr. Leverton hatte natürlich Geschäfte, von denen ich nichts wußte.«

»Natürlich. Aber seine Testamentsvollstrecker –«

»Ja, an die werden Sie sich wenden müssen«, sagte Carsdale, der kein Bedenken hatte, eine Auskunft zu geben, die man vor dem Kapitän doch nicht geheim halten konnte. »Mr. Septimus Winch, New Square, Lincolns Inn, ist der Bevollmächtigte. Ich will Ihnen die Adresse aufschreiben. Mr. Winch hat die gesamte Privatkorrespondenz an sich genommen.«

»Ah, danke, ich werde hingehen«, sagte der Kapitän und nahm den Zettel. Er stand auf und blickte Richard lächelnd an. »Wo sehe ich Sie wieder, Dick?«

»Ich begleite Sie. Natürlich gebe ich Ihnen zu Ehren ein Festessen unter uns vieren hier. Wann paßt es Ihnen?«

»Da muß ich meinen Terminkalender zu Rate ziehen«, sagte Burgoyne, indem er Carsdale zulächelte. »Ich habe jetzt einen Haufen zu tun.«

»Shrewsbury vergißt, daß Sie der Öffentlichkeit gehören, daß er nicht das alleinige Anrecht an Sie hat«, bemerkte Carsdale.

»Trotzdem soll er für eine Stunde das Monopol auf mich haben«, lachte Burgoyne. Er nahm Richards Arm, als sie hinausgingen, und drückte ihn freundschaftlich.

»Und was tun Sie hier, Jungchen? Ich dachte nicht, daß Sie mir an diesem Ort über den Weg laufen würden.«

»Mein Vater ist gestorben, und so ging ich nach England. Ich habe mir am Berkeley Square eine Wohnung gemietet, Sie müssen morgen bei mir frühstücken.«

»Ich denke, das wird gehen«, erwiderte Burgoyne. »Also Ihr guter Vater ist gestorben, Dick. Er war ein prachtvoller Mensch und ein freundlicher Gastgeber. Liegt Ihr riesiges Erbe auch in sicheren Händen?«

»So sicher wie auf der Bank von England. Carsdale hat es angelegt, und meine Bankiers sagen, daß er es gar nicht besser hätte tun können.«

»Recht«, sagte Burgoyne. »Auch ich habe geerbt, erhielt die Nachricht in Lima. Darum kam ich zu Leverton. Sie kannten ihn gar nicht?«

»Nein, er starb an dem Tag, als ich ankam. Aber mein Vater hat ihn gekannt, sie waren Schulkameraden.«

»Leverton war ein guter Kerl«, sagte der Kapitän. »Wir gehörten demselben Klub an, und er lieh mir fünftausend Pfund zu meiner Expedition, privatim, verstehen Sie. Als Sicherheit gab ich ihm ein Diamantenhalsband, ein altes Familienstück, das einmal Napoleons zweiter Frau gehört haben soll. Wo ich jetzt zu Geld gekommen bin, will ich es auslösen, obwohl ich für ein Halsband nicht soviel Interesse habe wie für einen weißen Elefanten. Aber Familienerbstücke soll man ja wohl nicht verbummeln. Kommen Sie mit zu dem Notar, Dick.«

Der Schreiber, der Kapitän Burgoynes Karte Mr. Winch gebracht hatte, kam augenblicklich zurück mit der Mitteilung, daß sein Chef sofort zu sprechen wäre, und er führte die Besucher ehrfurchtsvoll in das Zimmer. Richard, der dem großen Entdecker auf dem Fuß folgte, sah einen älteren Herrn und neben ihm eine junge Dame in tiefer Trauer, und er bemerkte, daß beide höchst interessiert auf den Kapitän blickten.

»Verehrter Herr!« rief Mr. Winch aus. »Ich bin entzückt, Sie kennenzulernen, und ich kann mir den Grund Ihres Besuches denken. Diese Dame, Herr Kapitän, ist die Tochter unseres verstorbenen Freundes Leverton.«

Richard horchte auf. Plötzlich fiel ihm zu seiner Beschämung ein, daß er der Familie weder kondoliert noch Blumen zum Begräbnis geschickt hatte. In dem Wirrwarr der ersten Tage hatte er alles vergessen, und er war die Hinterbliebenen betreffend, ganz in Unkenntnis. Denn Carsdale und die Sekretärin hatten nie von dem Verstorbenen und seinen Angelegenheiten gesprochen.

Inzwischen hatten die drei anderen mit dem geschäftlichen Teil begonnen.

»Verehrtester Kapitän«, begann der Notar, »gestatten Sie mir die Vorbemerkung, daß Fräulein Leverton und ich im Bilde sind. Außerdem hörte ich von Ihrer Erbschaft, so daß ich wohl mit Recht annehme, Sie wollen Ihr historisches Halsband haben.«

»Gewiß. Lieber hätte ich meine Schuld noch an Mr. Leverton bezahlt, – aber er wußte, wie verpflichtet ich ihm war.«

Franziska sah ihn dankbar an.

»Meinem Vater lag viel daran«, sagte sie, »daß Sie Ihr Halsband unversehrt zurückbekommen sollten. Noch kurz vor seinem Tode äußerte er zu mir seine diesbezüglichen Wünsche. Ich denke, wir zeigen Kapitän Burgoyne die Anweisungen«, bemerkte sie zu dem Notar.

»Natürlich«, bestätigte der alte Mann. »Sie werden daraus ersehen, daß Ihr Eigentum noch ein Jahr unberührt geblieben wäre, obgleich die Frist fast abgelaufen war. Hier ist das Papier. Sehen Sie, was mein Klient beabsichtigte?«

Burgoyne sah und bedankte sich bei des Verstorbenen Tochter. Dann gab er Mr. Winch einen Scheck, und bald darauf kam der Schreiber mit dem versiegelten Paket von der Bank. Burgoyne wollte es nachlässig in die Tasche stecken, aber der Notar protestierte, und so mußte Burgoyne das Päckchen öffnen und sich überzeugen, daß sein Inhalt unversehrt war. Mr. Winch bestand darauf, daß der Kapitän es alsdann in die innere Rocktasche steckte, damit nicht einer aus der Zunft der Langfinger es ihm unterwegs abnehmen könne.

»Denn ich bin überzeugt«, sagte er, »daß der Schmuck sehr viel mehr wert ist, von seinem historischen Wert ganz abgesehen.«

»Das glaube ich«, antwortete Burgoyne, »man hat es mir wenigstens gesagt.«

Dann wollten sie sich verabschieden. Es traf sich aber, daß Franziska und der Notar gleichfalls aufbrachen, und so gingen sie miteinander die Treppe hinunter, Richard neben dem jungen Mädchen. Er überwand gewaltsam seine Schüchternheit und sprach sie an.

»Ich war sehr betrübt über den Tod Ihres Vaters.«

Verwundert sah Franziska ihn an.

»Kannten Sie denn meinen Vater?«

»Nein, aber er und mein Vater waren Schulfreunde. Als ich nach England kam, schrieb ich gleich nach meiner Landung in Southampton an Ihren Vater, und am anderen Morgen sprach ich vor – es war der Morgen, an dem er starb. So traf ich ihn nicht mehr an, und das tat mir natürlich sehr leid.«

Immer erstaunter sah Franziska ihn an.

»Sie schrieben an meinen Vater? Aber – wer hat denn den Brief bekommen?«

»Oh«, erwiderte der junge Mann, »Carsdale bekam das Schreiben. Natürlich war es mehr ein Geschäftsbrief, in dem ich wegen Kapitalsanlage und ähnlichen Dingen Rat erbat. Und Carsdale war sehr liebenswürdig, über die Maßen liebenswürdig – Sie kennen ihn natürlich? Er erbot sich sofort, alles für mich zu tun, was Ihr Vater getan haben würde, wo es sich um den Sohn seines alten Freundes handelte, und er hat sein Versprechen ehrlich gehalten. Ich wüßte nicht, was ich ohne Carsdale hätte beginnen sollen. Und ohne Frau Walsingham. Ich vermute, Sie kennen die Dame auch. Aber trotzdem war ich natürlich furchtbar enttäuscht, Ihren Vater nicht mehr am Leben zu finden, und – ich bin sehr ungeschickt, wenn es gilt, zu reden, Fräulein Leverton – aber, darf ich nicht bei Ihnen vorsprechen, Ihrer Frau Mutter meine Aufwartung zu machen. Mein und Ihr Vater waren doch Schulkameraden – sicher haben Sie ihn manchmal von Martin Shrewsbury sprechen hören?«

Er hatte die letzten Worte in atemloser Eile sprechen müssen, denn unten wartete Mr. Winch auf das junge Mädchen. Und Franziska zeigte deutliche Spuren von Betroffenheit, wenn nicht Verwirrung, und ihr Gesicht war gerötet, als sie es plötzlich Richard zuwandte.

»Ich – nun gut – kommen Sie, ich wohne Acacia Mansions, Maida Vale Nr. 7«, sagte sie endlich. »Kommen Sie heute nachmittag um vier Uhr, wenn es Ihnen paßt. Wenn nicht, dann morgen oder an einem anderen Tag.«

»Heute natürlich«, sagte Richard, »heute um vier Uhr.«

Dann trennten sie sich, und Kapitän Burgoyne klopfte seinem jungen Freund auf die Schulter und nahm ihn mit in das Carlton Hotel zum Frühstück.


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