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Von ihrer Lebensweise befriedigt, wollten sie ihr körperliches Befinden durch Turnen verbessern.
Und sie griffen zu dem Handbuch von Amoros und sahen die Illustrationen durch.
Alle diese jungen Kerle, die kauerten, sich nach hinten bogen, die Knie beugten, die Arme streckten, die Faust ballten, Gewichte hoben, auf Balken ritten, an Leitern emporkletterten, an Trapezen sich schwangen, diese ganze Entfaltung von Kraft und Geschicklichkeit erregte ihren Neid.
Zudem erfüllte sie die Pracht der Turnhalle, die im Vorwort beschrieben wird, mit Kummer. Denn nie würden sie sich einen Vorsaal für die Geräte, ein Hippodrom für die Wettläufe, ein Bassin zum Schwimmen, noch einen »Ruhmesberg«, einen künstlichen Hügel leisten können, der zweiunddreißig Meter Höhe hätte.
Ein hölzernes Pferd zum Üben wäre wegen der Polsterarbeiten kostspielig gewesen; sie verzichteten darauf; die gefällte Linde im Garten diente ihnen als Schwebebaum; und als sie gewandt genug waren, ihn von einem Ende bis zum andern abzulaufen, pflanzten sie, um eine senkrechte Stange zu besitzen, einen der Pfosten der Spaliere in den Boden. Pécuchet erklomm sie bis zur Spitze. Bouvard glitt, fiel stets zurück und verzichtete schließlich darauf.
Die »orthosomatischen Stäbe« sagten ihm mehr zu, das heißt zwei Besenstiele, die durch zwei Stricke verbunden waren, von denen der erste unter den Achseln durchgeht, der zweite über den Handgelenken liegt; – und ganze Stunden lang behielt er diesen Apparat an, das Kinn erhoben, die Brust herausgestreckt, die Arme am Leib entlang.
Als Ersatz für Hanteln mußte ihnen der Stellmacher vier Stücke aus Eschenholz drechseln, die Zuckerhüten glichen, welche in einen Flaschenhals auslaufen. Man muß diese Keulen nach rechts und links, nach vorn und hinten schwingen; doch da sie zu schwer waren, entglitten sie ihren Fingern und hätten ihnen leicht die Beine zerschlagen können. Gleichviel, sie waren von ihren »persischen Mils« begeistert, und sie rieben sie sogar jeden Abend mit Wachs und einem Stück Zeug, da sie fürchteten, sie möchten zerspringen.
Darauf suchten sie Gräben auf. Hatten sie einen ihnen zusagenden gefunden, so stützten sie eine lange Stange hinein, stießen mit dem linken Fuß ab, erreichten den anderen Rand, und fingen wieder von neuem an. Da das Gelände flach war, sah man sie von weither, – und die Dörfler fragten sich, was das für zwei sonderbare Gestalten seien, die am Horizont herumsprangen.
Als der Herbst gekommen war, machten sie sich an die Zimmergymnastik; sie langweilte sie. Wie schade, daß sie nicht einen Schaukelstuhl oder Postsessel hatten, wie ihn unter Ludwig XIV. der Abbé von Saint-Pierre erdacht hatte. Wie war er konstruiert, wo konnte man sich darüber unterrichten? Dumouchel ließ sich nicht einmal zu einer Antwort herbei.
Dann brachten sie im Backhaus eine Armschaukel an. Über zwei an der Decke festgeschraubte Rollen lief eine Schnur, die an jedem Ende einen Querbalken hatte. Sobald sie ihn ergriffen hatten, stieß der eine mit den Fußspitzen von der Erde ab, während der andere die Arme bis zum Boden senkte; der erste zog durch sein Gewicht den zweiten, der, dem Strick etwas nachgebend, seinerseits in die Höhe stieg; in weniger als fünf Minuten troffen ihre Glieder von Schweiß.
Um die Vorschriften des Handbuchs zu befolgen, suchten sie sich beider Hände zu bedienen, ja sogar sich der rechten Hand zeitweise zu enthalten. Sie taten mehr: Amoros gibt die Lieder an, die man bei den Übungen singen soll, und Bouvard und Pécuchet wiederholten beim Marschieren den Gesang Nr. 9:
Ein König, ein gerechter König ist ein Gut auf Erden,
Wenn sie sich die Brustmuskeln schlugen:
Freunde, die Krone und der Ruhm usw.
Im Laufschritt:
Uns gehört das scheue Tier!
Den hurtigen Hirsch erjagen wir!
Ja! Zum Sieg heran!
Voran! Voran! Voran!
Und heftiger keuchend als Hunde spornten sie einander durch den Klang ihrer Stimmen an.
Eine Seite der Gymnastik begeisterte sie: ihre Anwendung als Rettungsmittel.
Aber man hätte Kinder haben müssen, wollte man lernen, sie in Säcken zu tragen, – und sie baten den Schulmeister, ihnen einige zu stellen. Petit wandte ein, daß die Eltern böse werden würden. Sie hielten sich an der Hilfeleistung für Verwundete schadlos. Der eine stellte sich ohnmächtig, und der andere fuhr ihn in einer Schiebkarre mit jeder nur möglichen Vorsicht.
Was die militärischen Ersteigungen anlangt, so rühmt der Verfasser die Leiter Bois-Rosé, die ihren Namen von dem Hauptmann hat, der einst Fécamp überraschte, indem er an der Klippe emporkletterte.
Der Abbildung im Buche entsprechend, besetzten sie ein Tau mit Stäben und befestigten es unter dem Schuppen.
Sobald man rittlings auf dem ersten Querstab sitzt und den dritten erfaßt hat, schwingt man die Beine auswärts, damit der zweite Stab, der sich eben in Brusthöhe befand, gerade unter die Schenkel kommt. Man richtet sich auf, man faßt den vierten, und fährt so fort. Trotz der fabelhaftesten Verrenkungen war es ihnen unmöglich, auf die zweite Sprosse zu kommen.
Vielleicht macht es weniger Mühe, wenn man sich mit den Händen an die Steine klammert, wie die Soldaten Bonapartes beim Angriff auf das Fort Chambray es taten? – und um einen dazu fähig zu machen, hat Amoros in seiner Anstalt einen Turm.
Die zerfallene Mauer konnte ihn ersetzen. Sie versuchten, sie zu erklimmen.
Doch Bouvard, der seinen Fuß zu schnell aus einem Loche gezogen hatte, bekam Furcht und wurde schwindlig.
Pécuchet hielt ihre Methode für falsch: sie hatten die Vorschriften für die Fingerglieder vernachlässigt, so daß sie sich zunächst wieder an die Anfangsgründe machen mußten.
Seine Ermahnungen waren vergeblich; – und in seinem Dünkel und seiner Anmaßung machte er sich ans Stelzenlaufen.
Die Natur schien ihn hierzu bestimmt zu haben, denn er nahm sogleich das große Modell, das die Trittklötze vier Fuß über dem Boden hat, – und sich im Gleichgewicht darauf haltend durchmaß er den Garten in großen Schritten, einem riesigen daherspazierenden Storch ähnlich.
Bouvard sah ihn vom Fenster aus schwanken, dann wie einen Sack auf die Bohnen niederstürzen, deren Stangen zerbrachen und seinen Sturz abschwächten. Man hob ihn auf; er war mit Erde bedeckt, seine Nase blutete, er war leichenblaß, – und er glaubte, sich einen Bruch zugezogen zu haben.
Sicherlich, das Turnen paßte nicht für Leute ihres Alters; sie gaben es auf, wagten aus Furcht vor Unfällen sich nicht mehr zu bewegen, und sie saßen den lieben langen Tag über in ihrem Museum, auf anderen Zeitvertreib sinnend.
Dieser Wechsel in ihren Gewohnheiten wirkte auf Bouvards Gesundheit ein. Er wurde schwerfällig, prustete nach den Mahlzeiten wie ein Pottfisch, wollte mager werden, aß weniger, und seine Kräfte nahmen ab,
Auch Pécuchet hielt seine Gesundheit für »untergraben«, hatte Hautjucken und rote Stellen im Rachen. »Es will nicht mehr,« sagte er, »es will nicht mehr.«
Bouvard kam auf den Gedanken, ins Wirtshaus zu gehen und einige Flaschen spanischen Wein auszusuchen, um seine Maschine wieder in Gang zu setzen.
Als er wieder herauskam, brachten Marescots Notariatsgehilfe und drei Leute Beljambe einen großen Tisch aus Nußbaumholz; »ihr Herr« ließe ihm bestens dafür danken. Der Tisch habe sich ausgezeichnet bewährt.
Bouvard hörte auf diese Weise von der neuen Mode des Tischrückens. Er zog den Gehilfen damit auf.
Indessen verwendeten in ganz Europa, in Amerika, in Australien und in Indien Millionen von Sterblichen ihre Zeit darauf, Tische zum Drehen zu bringen, – und man entdeckte, wie man Zeisige zu Propheten machen könne, Konzerte ohne Instrumente geben, mit Hilfe von Schnecken korrespondieren. Die Presse bestärkte das Publikum in seiner Leichtgläubigkeit, indem sie ihm die Flausen in ernsthafter Form vorsetzte.
Die Klopfgeister waren im Schlosse von Faverges gelandet, von dort aus hatten sie sich im Dorfe verbreitet, – und besonders der Notar befragte sie.
Da er sich über Bouvards Skeptizismus ärgerte, lud er die beiden Freunde auf einen Abend zum Tischrücken ein.
War es eine Falle? Frau Bordin würde dort sein. Pécuchet ging allein hin.
Es waren dort als Teilnehmer der Bürgermeister, der Steuereinnehmer, der Hauptmann, andere Bürger mit ihren Frauen, Frau Vaucorbeil, Frau Bordin in der Tat; außerdem eine frühere Hilfslehrerin der Frau Marescot, ein Fräulein Laverrière, eine etwas zweideutige Person, deren graues Haar in Spiralen nach der Mode von 1830 auf die Schultern herabfiel. In einem Sessel lehnte ein Vetter aus Paris, der einen blauen Frack trug und von impertinentem Äußeren war.
Die beiden Bronzelampen, die Etagere mit den Kuriositäten, auf dem Klavier liegende Romanzen mit Titelvignetten und winzige Aquarelle in riesenhaften Rahmen bildeten stets das Erstaunen von Chavignolles. Doch an diesem Abend richteten sich alle Blicke auf den Mahagonitisch. Man wollte ihn sogleich versuchen, und er hatte die Wichtigkeit von Dingen, die ein Geheimnis umschließen.
Zwölf der Eingeladenen nahmen rings um ihn Platz, die Hände ausgestreckt, wobei die kleinen Finger aneinander lagen. Man hörte nur das Ticken der Stutzuhr. Die Gesichter verrieten eine tiefe Aufmerksamkeit.
Nach Verlauf von zehn Minuten klagten mehrere über Krimmeln in den Armen. Pécuchet fühlte sich unbehaglich.
»Sie drücken!« sagte der Hauptmann zu Foureau.
»Durchaus nicht!«
»Doch!«
»Bitte sehr, mein Herr!«
Der Notar beruhigte sie.
Durch übermäßige Anspannung des Gehörsinns glaubte man ein Knacken im Holze zu hören. – Es war Täuschung. Nichts regte sich.
Neulich, als die Familien Aubert und Lormeau von Lisieux gekommen waren und man eigens zu dem Zwecke Beljambes Tisch geliehen hatte, war alles so gut gegangen! Doch dieser da zeigte einen Eigensinn …Warum?
Zweifellos störte ihn der Teppich, – und man ging ins Eßzimmer.
Das gewählte Möbel war ein großer runder Tisch, an dem sich Pécuchet, Girbal, Frau Marescot und ihr Vetter, Herr Alfred, niederließen.
Der Tisch, der Rollen hatte, glitt nach rechts; die Teilnehmer folgten, ohne die Lage ihrer Finger zu ändern, seiner Bewegung, und er machte noch selbständig zwei Drehungen. Man war starr.
Da sagte Herr Alfred langsam und deutlich mit lauter Stimme:
»Geist, wie findest du meine Cousine?«
Der Tisch tat, langsam schwankend, neun Schläge.
Nach einem Verzeichnis, in dem die Anzahl der Schläge in Buchstaben übersetzt war, bedeutete das: »Entzückend«. Bravorufe ertönten.
Dann forderte Marescot, um Frau Bordin zu necken, den Geist auf, deren genaues Alter anzugeben.
Der Fuß des Tisches gab fünf Schläge.
»Wie? fünf Jahre!« rief Girbal.
»Die Zehner zählen nicht,« erwiderte Foureau.
Die Witwe lächelte, innerlich voll Ärger.
Die Antworten auf die übrigen Fragen waren Fehlschläge, so kompliziert war das Alphabet. Besser arbeitete die Planchette, eine schnell funktionierende Vorrichtung, deren Fräulein Laverrière sich sogar bedient hatte, um in ein Buch die direkten Mitteilungen Ludwigs XII., Clémence Isaures, Franklins, Jean Jacques Rousseaus und anderer niederzuschreiben. Diese Apparate wurden in der Rue d'Aumale verkauft; Herr Alfred versprach einen, dann wandte er sich an die Hilfslehrerin:
»Doch jetzt ein wenig Musik, nicht wahr? Eine Mazurka!«
Zwei Akkorde wurden angeschlagen und zitterten durch den Raum. Er faßte seine Cousine um die Taille, verschwand mit ihr, kam zurück. Man war durch den Luftzug des Gewandes erfrischt, das im Vorüberfliegen die Türen streifte. Sie legte den Kopf in den Nacken, er rundete seinen Arm. Man bewunderte ihre Grazie, seine elegante Haltung; und ohne auf die kleinen Kuchen zu warten, ging Pécuchet, ganz verblüfft über den Abend, heim.
Er mochte noch soviel wiederholen: »Aber ich habe es gesehen! ich habe es gesehen!« Bouvard bestritt die Tatsachen und willigte nichtsdestoweniger ein, selbst Versuche zu machen.
Vierzehn Tage lang verbrachten sie ihre Nachmittage, einander gegenübersitzend, die Hände auf einem Tisch, dann auf einem Hut, auf einem Korbe, auf den Tellern. Alle diese Gegenstände blieben regungslos.
Die Erscheinung des Tischrückens bleibt trotzdem unbestreitbar. Der große Haufe schreibt sie Geistern zu, Faraday der Übertragung der Nervenkraft, Chevreul unbewußter Anstrengung; oder vielleicht geht, wie Ségouin annimmt, von der Ansammlung von Menschen ein Antrieb, ein magnetischer Strom aus.
Diese Hypothese versetzte Pécuchet in träumerisches Nachsinnen. Er nahm den »Führer des Magnetiseurs« von Montacabère aus seiner Bibliothek, las ihn aufmerksam durch und weihte Bouvard in die Theorie ein.
Alle Lebewesen unterliegen dem Einfluß der Gestirne und vermitteln ihn. Ihre Einwirkung ähnelt der magnetischen Kraft. Hat man diese Kraft in der Gewalt, so kann man Kranke heilen, das ist die Grundlehre. Die Wissenschaft hat seit Mesmer Fortschritte gemacht, – doch ist es immer noch von Wichtigkeit, das magnetische Fluidum ausströmen zu lassen und Streichbewegungen vorzunehmen, die zunächst in Schlaf versetzen sollen.
»Nun gut, schläfere mich ein!« sagte Bouvard.
»Unmöglich,« erwiderte Pécuchet, »um der magnetischen Wirkung zu unterliegen und um sie zu übertragen, ist der Glaube daran unerläßlich.«
Dann, Bouvard betrachtend:
»Ach! wie schade.«
»Wieso?«
»Ja, wenn du wolltest, würde es mit ein wenig Übung keinen besseren Magnetiseur geben als dich!«
Denn er besitze alles, was nötig sei: ein einnehmendes Wesen, einen kräftigen Körper und einen starken Willen.
Diese Fähigkeit, die man soeben an ihm entdeckt hatte, schmeichelte Bouvard. Er vertiefte sich heimlich in Montacabère.
Als dann Germaine Ohrensausen hatte, das sie schwerhörig machte, sagte er eines Abends in nachlässigem Tone:
»Wenn man es mit Magnetismus versuchte?«
Sie hatte nichts dagegen. Er setzte sich vor sie hin, nahm ihre beiden Daumen in seine Hände und blickte sie starr an, als wenn er sein ganzes Leben nichts anderes getan hätte.
Die gute Frau, einen Wärmer unter den Füßen, begann den Nacken zu beugen; ihre Augen fielen zu, und ganz sacht begann sie zu schnarchen. Nach Verlauf einer Stunde, während welcher sie sie betrachteten, sagte Pécuchet mit leiser Stimme:
»Was fühlen Sie?«
Sie erwachte.
Später würde sich ohne Zweifel das Hellsehen einstellen.
Dieser Erfolg machte sie kühn; sie nahmen die Ausübung der Medizin mit sicherer Haltung wieder auf und behandelten Chamberlan, den Küster, der über Seitenschmerzen klagte; Migraine, einen Maurer, der an einem nervösen Magenübel litt; die Mutter Varin, deren krebsige Geschwulst unterhalb des Schlüsselbeins zu ihrer Ernährung Fleischpflaster verlangte; einen Gichtkranken, den Vater Lemoine, der sich bis vor die Kneipen zu schleppen pflegte; einen Schwindsüchtigen, einen einseitig Gelähmten und noch viele andere. Sie behandelten auch Schnupfen und Frostbeulen.
Nach der Untersuchung der Krankheit verständigten sie sich durch den Blick, welche Art des Bestreichens anzuwenden sei, ob mit starkem oder schwachem Fluidum, aufwärts oder abwärts gehend, longitudinal, transversal, zwei-, drei- oder gar fünffingerig. Wenn der eine genug davon hatte, ersetzte ihn der andere. Dann, nach Hause zurückgekehrt, schrieben sie die Beobachtungen in das tägliche Behandlungsbuch.
Ihre salbungsvollen Manieren bestachen die Leute. Doch gab man Bouvard den Vorzug, und sein Ruf drang bis nach Falaise, als er die Barbée geheilt hatte, die Tochter des alten Barbey, eines ehemaligen Kapitäns, der weit herumgekommen war.
Sie fühlte eine Art bohrenden Schmerz am Hinterkopf, sprach mit rauher Stimme, nahm oft mehrere Tage keine Nahrung zu sich, verschlang dann Gips oder Kohlen. Ihre nervösen Anfälle, die mit Schluchzen einsetzten, lösten sich in einen Tränenerguß; und man hatte alle Mittel angewandt, von den Aufgüssen bis zu den Moxen, so daß sie, aller Kuren müde, Bouvards Anerbietungen annahm.
Nachdem er die Magd fortgeschickt und die Riegel vorgeschoben hatte, begann er, der Barbée den Unterleib zu reiben und drückte dabei auf die Stelle, wo der Eierstock sitzt. Ein Wohlbehagen äußerte sich durch Seufzer und Gähnen. Er legte ihr einen Finger zwischen die Augenbrauen oberhalb der Nase; plötzlich wurde sie wie leblos. Wenn man ihre Arme emporhob, fielen sie zurück; ihr Kopf behielt die Stellungen, die man ihm gab, und während ihre halbgeschlossenen Augenlider in krampfartiger Bewegung zitterten, ließen sie die Augäpfel sehen, die langsam rollten; sie blieben verzerrt in den Winkeln stehen.
Bouvard fragte sie, ob sie Schmerzen habe; sie antwortete: nein; was sie jetzt wahrnähme? Sie unterscheide das Innere ihres Körpers.
»Was sehen Sie da?«
»Einen Wurm.«
»Was muß man tun, um ihn zu töten?«
Ihre Stirn furchte sich.
»Ich suche …; ich kann nicht, ich kann nicht.«
Bei der zweiten Sitzung verordnete sie sich einen Aufguß von Nesseln; bei der dritten Katzenkraut. Die Anfälle wurden schwächer, verschwanden. Es war wirklich wie ein Wunder.
Das Bestreichen der Nase hatte bei den anderen Kranken keinen Erfolg, und um den somnambulen Zustand herbeizuführen, gedachten sie eine mesmersche Wanne anzufertigen. Pécuchet hatte sogar schon Feilspäne gesammelt und etwa zwanzig Flaschen gereinigt, als ein Bedenken ihn anhielt. Unter den sich einstellenden Kranken würden Personen weiblichen Geschlechtes sein.
»Und was sollen wir machen, wenn sie Anfälle von Liebesraserei bekommen?«
Das hätte Bouvard nicht abgehalten; doch wegen des Klatsches und etwaiger Erpressungsversuche war es besser, davon abzustehen. Sie begnügten sich mit einer Harmonika und nahmen sie mit in die Häuser; die Kinder freuten sich darüber.
Eines Tages, als Migraine sich wieder schlechter befand, eilten sie zu ihm. Die kristallhellen Töne brachten ihn außer sich; doch Deleuze empfiehlt, über die Klagen nicht in Schrecken zu geraten; die Musik hielt an.
»Genug! Genug!« schrie er.
»Ein wenig Geduld,« wiederholte Bouvard.
Pécuchet klopfte schneller auf die gläsernen Plättchen, und das Instrument erzitterte, und der arme Mann heulte, als der Arzt erschien, durch den Lärm herbeigelockt.
»Wie, wieder Sie?« rief er, wütend, sie immer bei seinen Kranken zu finden.
Sie erklärten ihr magnetisches Mittel. Da wetterte er gegen den Magnetismus, diesen Wust von Spielerei, dessen Wirkungen auf Einbildung beruhten.
Man kann indessen auch Tiere magnetisieren. Montacabère bestätigt es, und Herrn Fontaine ist es gelungen, eine Löwin zu magnetisieren. Sie hatten keine Löwin, aber der Zufall bot ihnen ein anderes Tier.
Denn am folgenden Tage um sechs Uhr morgens kam ein Ackerknecht, um ihnen zu bestellen, daß man ihrer auf dem Pachthofe wegen einer in Lebensgefahr schwebenden Kuh bedürfe.
Sie eilten hin.
Die Apfelbäume standen in Blüte, und das Gras im Hof dampfte in der aufgehenden Sonne. Am Rande des Teiches brüllte, halb mit einem Tuche bedeckt, eine Kuh. Sie zitterte unter den Eimern Wassers, die man ihr über den Leib goß, und unförmig aufgetrieben, glich sie einem Nilpferd.
Ohne Zweifel hatte sie »Gift« gefressen, während sie im Klee weidete. Vater und Mutter Gouy waren untröstlich, denn der Tierarzt konnte nicht kommen, und ein Stellmacher, der Anschwellungen besprechen konnte, wollte sich nicht herbemühen; doch die Herren, die ja eine berühmte Bibliothek besäßen, wüßten jedenfalls ein Geheimmittel.
Nachdem sie ihre Ärmel aufgestreift hatten, stellte sich der eine vor die Hörner, der andere an das Kreuz, und mit gewaltigen Willensanstrengungen und wahnsinnigen Gebärden spreizten sie die Finger, um über das Tier Ströme des Fluidums auszugießen, während der Pächter, seine Gattin, ihr Knabe und die Nachbarn ihnen fast entsetzt zuschauten.
Knurren, das man im Bauche des Tieres hörte, verursachte Blähungen tief in den Eingeweiden. Die Kuh gab einen Wind von sich. Da sagte Pécuchet:
»Das ist ein Tor, das sich der Hoffnung öffnet, vielleicht eine Entladung.«
Die Entladung ging vor sich, die Hoffnung spritzte in einem Haufen gelber Masse heraus, die mit der Gewalt einer Granate hervorplatzte. Die Herzen wurden leichter, die Kuh nahm an Umfang ab. Eine Stunde später hatte sie wieder ihr gewöhnliches Aussehen.
Das war gewiß nicht die Wirkung der Einbildungskraft. Also enthält dieses Fluidum eine besondere Kraft. Sie läßt sich in Gegenstände einschließen, aus denen man sie hervorholen kann, ohne daß sie sich verringert. Ein solches Hilfsmittel erspart Wege. Sie nahmen es in Gebrauch, und sie sandten ihren Kunden magnetisierte Münzen, magnetisierte Taschentücher, magnetisiertes Wasser, magnetisiertes Brot.
Als sie dann ihre Studien fortsetzten, gaben sie das Bestreichen zugunsten des Systems von Puységur auf, der den Magnetiseur durch einen alten Baum ersetzt, um dessen Stamm sich ein Strick schlingt
Ein Birnbaum in ihrem Obsthof schien ihnen wie dazu geschaffen. Sie präparierten ihn, indem sie ihn zu wiederholten Malen fest umfaßten. Eine Bank wurde darunter gesetzt. Ihre Stammgäste reihten sich darauf, und sie erzielten so wunderbare Resultate, daß sie Vaucorbeil, um ihn hineinzulegen, mit den Honoratioren des Landes zu einer Sitzung einluden.
Nicht einer fehlte.
Germaine empfing sie in dem kleinen Saal, indem sie bat, »entschuldigen zu wollen«, ihre Herren würden gleich kommen.
Von Zeit zu Zeit hörte man es klingeln. Es waren die Kranken, die sie in einen anderen Raum führte. Die Eingeladenen stießen sich mit den Ellbogen an, um einander auf die staubigen Fenster, die Flecken auf dem Getäfel, auf den abblätternden Anstrich aufmerksam zu machen; und der Garten sah jämmerlich aus. Überall abgestorbenes Holz! Zwei Stöcke vor der Mauerbresche versperrten den Eingang zum Obstgarten.
Pécuchet erschien!
»Zu Ihren Diensten, meine Herren!«
Und man sah hinten unter dem Birnbaum Eduins mehrere Personen sitzen.
Chamberlan, wie ein Priester ohne Bart und in einer kurzen Sutane aus Lasting mit einem Lederkäppchen auf dem Kopfe, überließ sich einem Zittern, das seine Seitenschmerzen verursachten; Migraine, der noch immer am Magen litt, verzerrte neben ihm sein Gesicht. Die Mutter Varin trug einen mehrmals umgeschlungenen Schal, um ihre Geschwulst zu verbergen. Der alte Lemoine, dessen bloße Füße in Schlappen steckten, hatte seine Beine über seine Krücken gelegt, und die Barbée, die ihren Sonntagstaat angelegt hatte, war außerordentlich blaß.
Auf der anderen Seite des Baumes bemerkte man weitere Personen: eine Frau mit einem Albinokopf wischte die eiternden Drüsen an ihrem Halse ab. Das Gesicht eines kleinen Mädchens verschwand zur Hälfte unter blauen Brillengläsern. Ein Greis, dessen Rücken durch eine Verkrümmung verunstaltet wurde, stieß mit seinen unfreiwilligen Bewegungen Marcel, einen Idioten, der in einer zerlumpten Bluse und einer geflickten Hose steckte. Seine schlecht geflickte Hasenscharte ließ seine Schneidezähne sehen, und seine ungeheuerlich geschwollene Backe war dick in leinene Umschläge verpackt.
Alle hielten einen Bindfaden in der Hand, der vom Baume herabhing, und die Vögel sangen; der Duft des warm gewordenen Rasens wogte in der Luft. Die Sonne drang zwischen den Zweigen durch. Man schritt über Moos.
Indessen rissen die Medien, anstatt zu schlafen, die Augen weit auf.
»Bis jetzt ist die Sache recht langweilig,« sagte Foureau. »Fangen Sie an, ich entferne mich für einen Augenblick.«
Und er kam zurück, aus einem Abd-el-Kader rauchend, dem letzten Rest der Tür mit den Pfeifen.
Pécuchet erinnerte sich eines ausgezeichneten Mittels der Magnetisierung. Er brachte die Nasen aller Kranken in seine Mundöffnung und sog ihren Atem ein, um die Elektrizität an sich zu ziehen, und zu gleicher Zeit umfaßte Bouvard den Baum, um den Strom zu verstärken.
Der Maurer hörte auf zu schluchzen, der Küster zappelte weniger, der Mann mit der Verkrümmung regte sich nicht mehr. Man konnte sich ihnen jetzt nähern, alle Versuche mit ihnen anstellen.
Der Arzt stach mit einer Lanzette Chamberlan unter das Ohr, der ein wenig zitterte. Das Empfindungsvermögen war bei den andern zweifellos vorhanden. Der Gichtleidende stieß einen Schrei aus. Die Barbée jedoch lächelte wie im Traume, und ein dünner Faden von Blut floß unter ihr Kinn. Foureau wollte sie selbst auf die Probe stellen und die Lanzette nehmen, und als der Arzt sie ihm verweigerte, kniff er die Kranke tüchtig. Der Hauptmann kitzelte ihr die Nase mit einer Feder, der Steuereinnehmer wollte ihr eine Nadel unter die Haut stecken.
»Lassen Sie sie doch,« sagte Vaucorbeil, »es ist schließlich nichts Merkwürdiges! eine Hysterische! der Teufel würde mit seinem Witz an der zu Schanden werden!«
»Jene da,« sagte Pécuchet, indem er auf Victoire wies, »die skrofulöse Frau ist ein Arzt! Sie erkennt die Krankheiten und gibt Heilmittel an.«
Langlois brannte vor Verlangen, sie wegen seines Katarrhs zu befragen; er wagte es nicht; doch Coulon, der kühner war, stellte eine Frage wegen seines Rheumatismus.
Pécuchet legte Coulons rechte Hand in die Linke Victoires, und mit immer geschlossenen Lidern, leicht geröteten Wangen und zitternden Lippen verordnete die Somnambule, nachdem sie erst irre geredet, »Valum becum«.
Sie hatte bei einem Apotheker in Bayeux gedient. Vaucorbeil schloß daraus, daß sie sagen wolle: »Album graecum«, ein Wort, das sie vielleicht in der Apotheke flüchtig gelesen hatte.
Dann wandte er sich dem alten Lemoine zu, der, Bouvard zufolge, Dinge durch undurchsichtige Körper wahrnahm.
Er war ein ehemaliger Schulmeister, der sich dem Trunke ergeben hatte. Weißes Haar umflatterte sein Gesicht, und gegen einen Baum gelehnt, die Handflächen geöffnet, schlief er mitten in der Sonne mit majestätischer Miene.
Der Arzt band ihm eine doppelte Binde über die Augen, und Bouvard sagte gebieterisch, ihm eine Zeitung hinhaltend:
»Lesen Sie!«
Der Alte senkte die Stirn, bewegte die Gesichtsmuskeln, warf dann den Kopf zurück und buchstabierte schließlich: »Kon - sti - tu - tion - nel.«
Doch mit der nötigen Geschicklichkeit könne man jede Binde verschieben!
Dieser Zweifel des Arztes empörte Pécuchet. Er wagte sogar die Behauptung, daß die Barbée beschreiben könne, was gegenwärtig in Vaucorbeils Hause vorgehe.
»Gut,« antwortete der Doktor.
Und seine Uhr ziehend:
»Womit beschäftigt sich meine Frau?«
Die Barbée zögerte lange; dann sagte sie mit verdrießlicher Miene:
»Wie! was? Ach, jetzt verstehe ich! Sie näht Bänder an einen Strohhut.«
Vaucorbeil riß ein Blatt aus seinem Notizbuch und schrieb ein Billett, das der Gehilfe Marescots hinzutragen sich beeilte.
Die Sitzung war zu Ende. Die Kranken entfernten sich.
Bouvard und Pécuchet hatten, im ganzen genommen, nicht gut abgeschnitten. Lag das an der Temperatur oder am Geruch des Tabaks, oder am Schirm des Abbés Jeufroy, der einen Beschlag aus Messing hatte, einem Metall, das dem Ausströmen des Fluidums feindlich ist?
Vaucorbeil zuckte die Achseln.
Indessen könne er nicht den guten Glauben der Herren Deleuze, Bertrand, Morin, Jules Cloquet bezweifeln. Nun versichern diese Meister, daß Somnambulen Ereignisse vorausgesagt, grausige Operationen schmerzlos überstanden haben.
Der Abbé berichtete noch erstaunlichere Geschichten. Ein Missionar habe Brahmanen eine Wölbung mit dem Kopf nach unten durchlaufen sehen, der Groß-Lama in Tibet schlitze sich die Gedärme auf, um Orakel zu erteilen!
»Scherzen Sie?« sagte der Arzt.
»Keineswegs!«
»Gehen Sie doch! Welch ein Schwindel!«
Und während man von der eigentlichen Frage abkam, gab jeder Anekdoten zum besten.
»Ich,« sagte der Krämer, »ich hatte einen Hund, der immer krank war, wenn der Monat mit einem Freitag begann.«
»Wir waren vierzehn Kinder,« hob der Friedensrichter an. »Ich bin am 14. geboren, meine Hochzeit fand am 14. statt, und mein Namensfest fällt auf den 14.! Erklären Sie mir das.«
Beljambe hatte häufig die Zahl der Reisenden geträumt, die er am folgenden Tage in seinem Gasthaus haben würde, und Petit erzählte die Geschichte vom Souper Cazottes.
Da äußerte der Geistliche diesen Gedanken:
»Soll man darin nicht ganz einfach etwas erblicken wie …«
»Die bösen Geister, nicht wahr?« sagte Vaucorbeil.
Anstatt zu antworten, nickte der Abbé zustimmend.
Marescot sprach von der delphischen Pythia.
»Ohne allen Zweifel Miasmen.«
»Ach! nun sind es gar Miasmen.«
»Ich nehme ein Fluidum an,« erwiderte Bouvard.
»Nervoso-sideral.« fügte Pécuchet hinzu.
»Aber beweisen Sie es! Zeigen Sie es! Ihr Fluidum! Übrigens sind die Fluida aus der Mode gekommen; hören Sie mich an.«
Vaucorbeil schritt weiter, um in den Schatten zu kommen. Die wackeren Spießbürger folgten ihm.
»Wenn Sie zu einem Kinde sagen: ›Ich bin ein Wolf, ich werde dich fressen,‹ so bildet es sich ein, Sie seien ein Wolf, und es bekommt Angst; es handelt sich also um einen Traum, der durch Worte anbefohlen ist. Ebenso nimmt der Somnambule alle beliebigen Phantastereien auf. Er erinnert sich und denkt nicht, gehorcht stets und hat nur Empfindungen, wenn er zu denken glaubt. Auf diese Weise sind Verbrechen suggeriert, und tugendsame Leute können sich in wilde Tiere verwandelt sehen und zu Menschenfressern werden.«
Man blickte Bouvard und Pécuchet an. Ihre Wissenschaft barg Gefahren für die Gesellschaft.
Marescots Gehilfe erschien wieder im Garten, einen Brief von Frau Vaucorbeil schwenkend.
Der Doktor erbrach ihn, wurde blaß und las schließlich die Worte:
»Ich nähe Bänder an einen Strohhut.«
Die Verblüffung ließ kein Lachen aufkommen.
»Ein Zufall, zum Teufel! Das beweist nichts.«
Und da die beiden Magnetiseure eine triumphierende Miene aufsetzten, wandte er sich unter der Tür um, um ihnen zu sagen:
»Hören Sie damit auf! Es sind gefährliche Belustigungen!«
Der Pfarrer, der seinen Küster mitnahm, wusch ihm gehörig den Kopf:
»Sind Sie verrückt! ohne meine Erlaubnis! Handlungen, die von der Kirche verboten sind!«
Alle waren seit einem Augenblick gegangen; Bouvard und Pécuchet plauderten mit dem Lehrer auf dem künstlichen Hügel, als Marcel mit gelöster Kinnbinde aus dem Obstgarten hervorbrach; er stammelte:
»Geheilt! geheilt! Gute Herren!«
»Schön! genug! Laß uns in Ruhe!«
»Ach, gute Herren, ich liebe Sie! Ihr Diener!«
Petit, ein Mann des Fortschritts, hatte die Erklärung des Arztes banal, spießbürgerlich gefunden. Die Wissenschaft sei ein Monopol, das in den Händen der Reichen liege. Sie schließe das Volk aus: auf die alte Analyse des Mittelalters müsse nunmehr eine umfassende und mutig an die Dinge herangehende Synthese folgen! Die Wahrheit müsse gefühlsmäßig erkannt werden, und indem er sich als Spiritisten zu erkennen gab, führte er mehrere Werke an, die ohne Zweifel Lücken hätten, aber eine Morgenröte anzeigten.
Sie ließen sie sich zusenden.
Der Spiritismus stellt das Dogma einer vom Schicksal vorherbestimmten Veredelung des Menschengeschlechts auf. Die Erde wird eines Tages zum Himmel werden, und deshalb bezauberte diese Doktrin den Lehrer. Ohne rechtgläubig zu sein, geht sie auf Sankt Augustin und den heiligen Ludwig zurück. Allan Kardec veröffentlicht sogar Bruchstücke, die von ihnen diktiert und auf der Höhe der Anschauungen unserer Zeit sind. Sie ist nützlich, förderlich und entschleiert uns wie das Teleskop höhere Welten.
Nach dem Tode und in der Ekstase werden die Geister dorthin versetzt. Aber zuweilen steigen sie auf unsern Erdball herab, wo sie die Möbel knacken lassen, an unsern Belustigungen teilnehmen, die Schönheiten der Natur und die Vergnügen der Kunst genießen.
Indessen besitzen manche unter uns einen aromatischen Rüssel, das heißt hinten am Schädel eine lange Röhre, die von den Haaren bis zu den Planeten emporsteigt und uns erlaubt, mit den Geistern des Saturn zu sprechen; die übersinnlichen Dinge sind nicht weniger wirklich, und von der Erde zu den Sternen, von den Sternen zur Erde besteht ein Kommen und Gehen, ein Übertragen, ein beständiger Austausch.
Da schwoll Pécuchets Herz von unendlichem Sehnen, und als die Nacht gekommen war, überraschte ihn Bouvard an seinem Fenster bei Betrachtung jener leuchtenden Räume, die von Geistern bewohnt werden.
Swedenborg hat dort große Reisen gemacht. Denn in weniger als einem Jahre hat er Venus, Mars, Saturn und dreiundzwanzigmal Jupiter erforscht. Außerdem hat er in London Jesus Christus gesehen, er hat Sankt Paul gesehen, er hat Sankt Johannes gesehen, er hat Moses gesehen, und im Jahre 1736 hat er sogar das Jüngste Gericht gesehen.
Auch gibt er uns Beschreibungen des Himmels.
Man findet dort Blumen, Paläste, Märkte und Kirchen genau so wie bei uns.
Die Engel, die früher Menschen waren, legen ihre Gedanken auf Blättern nieder, plaudern von den Dingen der Wirtschaft oder auch von geistigen Angelegenheiten, und die geistlichen Ämter gehören denjenigen, die sich in ihrem irdischen Leben mit der Heiligen Schrift befaßt haben.
Die Hölle jedoch ist mit einem stinkenden Geruch erfüllt, mit schlechten Hütten, einem Haufen Unreinigkeiten, Schmutzlöchern, schlecht gekleideten Personen.
Pécuchet zerwühlte sich den Verstand, um zu begreifen, was diese Offenbarungen Schönes enthielten. Sie erschienen Bouvard als der Wahnsinn eines Einfaltspinsels. Alles das geht über die Grenzen der Natur hinaus! Wer kennt sie indessen? Und sie gaben sich folgenden Betrachtungen hin:
Schwindler vermögen die Menge zu täuschen; ein Mann, der starke Leidenschaften hat, wird damit andere hervorrufen; doch wie vermag der bloße Wille die leblose Materie zu beeinflussen? Ein Baier, sagt man, brachte Trauben zur Reife; Herr Gervais hat ein Heliotrop wieder belebt; ein stärkerer zu Toulouse vertreibt die Wolken.
Soll man eine Zwischensubstanz zwischen der Welt und uns annehmen? Das Od, ein neuer ätherischer Stoff, eine Art Elektrizität, ist vielleicht nichts anderes. Seine Ausströmungen erklären den Schimmer, den die Magnetisierten zu sehen glauben: die Irrlichter der Friedhöfe, die Gespenstererscheinungen.
Diese Bilder waren demnach keine Täuschung, und die außerordentlichen Gaben der Besessenen, die denen der Somnambulen ähnlich sind, hätten eine physische Ursache?
Welches auch immer ihr Ursprung sei, es gibt eine Urwesenheit, ein verborgenes und allgemein wirkendes Agens. Könnten wir es fassen, so brauchte man weder Kraft noch Zeitdauer. Was Jahrhunderte erfordert, würde sich in einer Minute abwickeln; jedes Wunder wäre ausführbar, und das Weltall stände zu unserer Verfügung.
Die Magie hat ihren Ursprung in dieser ewigen Begierde des menschlichen Geistes. Man hat zweifellos ihren Wert übertrieben, aber sie ist keine Lüge. Die Orientalen, welche sie besitzen, vollführen Wunder; alle Reisenden bestätigen es, und im Palais-Royal bringt Herr Dupotet die Magnetnadel mit seinem Finger aus ihrer Richtung.
Wie Magier werden? Dieser Gedanke schien ihnen zuerst wahnsinnig, doch er kam wieder, quälte sie, und sie gaben ihm nach, während sie sich zugleich stellten, als ob sie darüber lachten.
Eine vorbereitende Lebensweise war unerläßlich.
Um besser in Ekstase zu geraten, machten sie die Nacht zum Tage, fasteten, und da sie aus Germaine ein empfindlicheres Medium machen wollten, teilten sie ihr ihre Nahrung genau zu. Sie entschädigte sich am Getränk und nahm so viel Branntwein zu sich, daß sie bald vollständig veralkoholisiert war. Wenn sie durch den Gang gingen, wurde Germaine wach. Sie verwechselte das Geräusch ihrer Schritte mit ihrem Ohrensausen und den eingebildeten Stimmen, die sie aus den Wänden hervorkommen hörte. Eines Tages, als sie morgens eine Butte in den Keller gebracht hatte, bekam sie Angst, als sie den Fisch ganz mit Feuer bedeckt sah, befand sich von da an schlechter und glaubte schließlich, sie sei verhext.
In der Hoffnung, Visionen zu bekommen, drückten sie sich gegenseitig den Nacken, machten sich Säckchen aus Belladonna, nahmen die Zauberdose in Gebrauch: eine kleine Dose, aus der ein von Nägeln starrender Pilz hervorkommt, und die man vermittels eines um die Brust befestigten Bandes auf dem Herzen trägt. Alles schlug fehl; doch sie konnten mit dem Kreis Dupotets einen Versuch machen.
Pécuchet schmierte mit Kohle eine schwarze Rundung auf den Boden, um die Lebensgeister hineinzuschließen, welchen die Luftgeister helfen sollten, und glücklich, Bouvard in seiner Gewalt zu haben, sagte er mit priesterlicher Miene zu ihm:
»Ich wette, daß du nicht hinüberkommst!«
Bouvard betrachtete diese runde Stelle. Bald klopfte sein Herz, seine Augen trübten sich.
»Ach! machen wir ein Ende!«
Und er sprang hinüber, um einem unbeschreiblichen Gefühl des Mißbehagens zu entgehen.
Pécuchet, dessen Begeisterung im Wachsen war, wollte einen Toten erscheinen lassen.
Unter dem Direktorium zeigte ein Mann, Rue de l'Echiquier, die Opfer der Schreckensherrschaft. Die Beispiele von Gespenstererscheinungen sind zahllos. Ob das ein Schein sei, was tut das! es kommt darauf an, ihn zu erzeugen.
Je näher der Verstorbene uns steht, desto leichter erscheint er bei unserem Anruf; doch besaß Pécuchet kein Andenken von seiner Familie, weder einen Ring, noch ein Miniaturbild, nicht ein Haar, während Bouvard in der Lage war, seinen Vater zu beschwören; und da er Abneigung dagegen zeigte, fragte Pécuchet ihn:
»Was fürchtest du?«
»Ich? O, gar nichts! Mach, was du willst!«
Sie erkauften sich Chamberlans Dienste, der ihnen insgeheim einen alten Totenkopf verschaffte. Ein Schneider schnitt ihnen zwei weite schwarze Priesterröcke mit einer Kapuze wie an Mönchsgewändern zu. Der Wagen von Falaise brachte ihnen eine lange Rolle in einer Umhüllung. Dann machten sie sich ans Werk, der eine begierig auf die Ausführung, der andere furchterfüllt, daran zu glauben.
Das Museum hatte Behänge wie ein Katafalk. Drei Kerzen brannten am Rande des Tisches, der gegen die Wand unter das Porträt von Bouvards Vater geschoben war, über dem man den Totenkopf erblickte. Sie hatten sogar eine Kerze ins Innere des Schädels gesteckt, und Strahlen kamen aus den beiden Augenhöhlen hervor.
In der Mitte dampfte auf einer Kohlenpfanne Weihrauch. Bouvard stand dahinter; und Pécuchet, der ihm den Rücken wandte, warf Hände voll Schwefel in die Asche.
Bevor man einen Toten anruft, bedarf man der Einwilligung der Dämonen. Da nun dieser Tag ein Freitag war, – welcher Tag Bechet gehört, – so mußte man sich in erster Linie an Bechet wenden. Nachdem Bouvard nach rechts und links gegrüßt, das Kinn gesenkt und die Arme erhoben hatte, begann er:
»Bei Ethaniel, Anazin, Ischyros …«
Er hatte das übrige vergessen.
Pécuchet flüsterte ihm schnell die Worte zu, die er auf einem Stück Pappe aufgezeichnet hatte:
»Ischyros, Athanatos, Adonaï, Sadaï, Eloy, Messiasos (die Litanei war lang), ich beschwöre dich, ich beobachte dich, ich befehle dir, o Bechet!«
Dann die Stimme dämpfend:
»Wo bist du, Bechet? Bechet! Bechet! Bechet!«
Bouvard sank in einen Sessel, und er war recht froh, Bechet nicht zu sehen, denn eine innere Stimme warnte ihn vor diesem Beginnen als vor einem Frevel. Wo war die Seele seines Vaters? Konnte sie ihn hören? Wenn sie sich plötzlich einstellte?
Die Vorhänge bewegten sich langsam in der Zugluft, die durch eine zersprungene Scheibe hereinkam, – und die Kerzen warfen schwankende Schatten über den Totenkopf und das gemalte Antlitz. Eine erdige Farbe bräunte beide in gleicher Weise. Schimmel zerfraß die Wangen, die Augen waren glanzlos; doch in den Höhlungen des Schädels flackerte ein Licht. Es schien zuweilen auf das Bild des Vaters herabzugleiten, sich auf dessen Rockkragen niederzulassen, in seinem Backenbart zu sitzen; und die halb aus dem Rahmen gelöste Leinwand schwankte, zitterte.
Allmählich glaubten sie von einem Atem gestreift zu werden und die Annäherung eines unkörperlichen Wesens zu spüren. Schweißtropfen feuchteten Pécuchets Stirn, und jetzt fingen auch Bouvards Zähne an zu klappern, ein Krampf faßte ihn an der Herzgrube; der Fußboden entwich wie eine Woge unter seinen Füßen; der Schwefel, der im Kamin brannte, schlug sich in großen Wirbeln nieder; zugleich flatterten Fledermäuse umher; ein Schrei erscholl; – was war das?
Jeder zeigte dem andern in seiner Kapuze ein so verzerrtes Gesicht, daß ihr Entsetzen sich dadurch steigerte, und während sie weder eine Bewegung zu machen noch auch zu sprechen wagten, hörten sie hinter der Tür Seufzen, wie von einer in Not befindlichen Seele.
Endlich wagten sie sich hin.
Es war ihre alte Magd, welche ihnen, durch eine Wandspalte guckend, auflauerte und den Teufel zu sehen geglaubt hatte; und im Flur kniend, schlug sie ein Kreuz nach dem andern.
Alles Zureden war nutzlos; sie verließ noch denselben Abend das Haus, da sie bei solchen Leuten nicht im Dienst bleiben wolle.
Germaine plauderte die Sache aus. Chamberlan verlor seine Stelle, und es entstand eine stumme Koalition gegen sie, die durch den Abbé Jeufroy, Frau Bordin und Foureau gebildet wurde.
Ihre Lebensweise, die nicht die der anderen war, mißfiel. Sie wurden verdächtig und flößten sogar eine unbestimmte Angst ein.
Was ihnen vollends in der Meinung der anderen den Rest gab, das war die Wahl ihres Dienstboten. In Ermangelung eines andern hatten sie Marcel ins Haus genommen.
Seine Hasenscharte, seine Häßlichkeit und sein Kauderwelsch machten ihn abstoßend. Ein Findelkind, war er auf gut Glück in der freien Natur aufgewachsen und hatte von seinem langen Elend einen unersättlichen Hunger behalten. Krepierte Tiere, verdorbener Speck, ein überfahrener Hund, alles war ihm recht, wofern nur das Stück groß war, und er war sanft wie ein Lamm, doch vollständig stumpfsinnig.
Die Dankbarkeit hatte ihn getrieben, sich den Herren Bouvard und Pécuchet als Diener anzubieten; und dann hoffte er auf außerordentlichen Gewinn, da er sie für Hexenkünstler hielt.
Gleich während der ersten Tage vertraute er ihnen ein Geheimnis an. Unter der Heide von Poligny hatte ehemals ein Mann einen Goldbarren gefunden. Die Geschichte wird bei den Historikern von Falaise erzählt; sie kennen den Schluß nicht: zwölf Brüder hatten, bevor sie auf eine Reise gingen, zwölf gleiche Barren längs der Straße von Chavignolles bis Bretteville vergraben, – und Marcel bestürmte seine Herren mit Bitten, die Nachforschungen wieder aufzunehmen. Diese Barren, so sagten sie sich, waren vielleicht zur Zeit der Auswanderung verscharrt.
Hier mußte man die Wünschelrute anwenden. Ihre Kräfte sind zweifelhaft. Jedoch studierten sie die Frage, – und sie erfuhren, daß ein gewisser Pierre Garnier sie mit wissenschaftlichen Gründen stützt: die Quellen und Metalle sollten winzige Körperchen ausströmen, die dem Holze wahlverwandt seien.
Das ist keineswegs wahrscheinlich! Doch wer weiß? Machen wir einen Versuch!
Sie schnitten sich eine Gabel aus Haselnuß, – und eines Morgens machten sie sich auf die Suche nach dem Schatz.
»Man wird ihn herausgeben müssen,« sagte Bouvard.
»O nein! das wäre noch schöner!«
Nach einem Marsche von drei Stunden hielt ein Bedenken sie an: »Die Straße von Chavignolles nach Bretteville! – war das die alte oder die neue? Es mußte die alte sein!«
Sie rannten wieder zurück und durchliefen aufs Geratewohl die Umgegend, da die Spur der alten Straße nicht leicht zu erkennen war.
Marcel lief nach rechts und links, wie ein Jagdhund auf der Suche. Alle fünf Minuten mußte Bouvard ihn zurückrufen; Pécuchet ging schrittweise vor, die Rute an den beiden Sprossen haltend, mit der Spitze nach oben. Oft war es ihm, als ziehe eine Kraft gleichsam wie eine Klammer ihn zu Boden, und Marcel machte eiligst einen Einschnitt in den nächsten Baum, um die Stelle später wiederzufinden.
Indessen verlangsamte Pécuchet seinen Schritt. Sein Mund stand offen, seine Augen verdrehten sich. Bouvard rief ihn an, schüttelte ihn an den Schultern; er regte sich nicht und blieb regungslos, genau wie die Barbée.
Dann erzählte er, daß er um das Herz eine Art von Reißen gefühlt habe, einen sonderbaren Zustand, der ohne Zweifel von der Rute herrühre; – und er wollte sie nicht mehr anrühren.
Am folgenden Tage kehrten sie zu den mit Zeichen versehenen Bäumen zurück. Marcel grub mit einem Scheit Löcher, in keinem Falle förderte das Nachgraben etwas zutage; – und sie waren jedesmal äußerst kleinlaut. Pécuchet setzte sich an den Rand eines Grabens; und während er mit erhobenem Kopf träumte und sich dabei anstrengte, durch seinen aromatischen Rüssel die Stimme der Geister zu vernehmen, und sich sogar fragte, ob er einen besitze, heftete er seinen Blick auf den Schirm seiner Mütze; der ekstatische Zustand vom Abend vorher erfaßte ihn wieder. Er hielt lange an, wurde furchtbar.
Über den Haferfeldern erschien in der Richtung eines Fußpfades ein Filzhut: es war Herr Vaucorbeil, der auf seiner Stute dahertrabte. Bouvard und Marcel riefen ihn an.
Die Krise ging zu Ende, als der Arzt ankam. Um Pécuchet besser betrachten zu können, hob er dessen Mütze in die Höhe, – er sah nun eine mit kupferroten Stellen bedeckte Stirn und sagte:
»Aha! Fructus belli! Das ist syphilitischer Ausschlag, mein Lieber! Pflegen Sie sich! zum Teufel! Mit der Liebe ist nicht zu spaßen.«
Beschämt setzte Pécuchet seine Mütze wieder auf, eine Art flacher Kappe, die sich über einem halbmondförmigen Schirm bauschte, und zu der er das Modell in Amoros' Illustrationen gefunden hatte.
Die Worte des Doktors machten ihn starr. Er dachte darüber nach, die Augen in der Luft, – und plötzlich erfaßte ihn der Zustand wieder.
Vaucorbeil beobachtete ihn, dann stieß er Pécuchets Mütze mit dem geschnellten Finger an, daß sie herabfiel.
Pécuchet erlangte seine volle Besinnung wieder.
»Ich dachte es mir,« sagte der Arzt, »der lackierte Schirm hypnotisiert Sie wie ein Spiegel, und diese Erscheinung ist bei Leuten nicht selten, die einen glänzenden Körper mit zu viel Aufmerksamkeit betrachten.«
Er gab an, wie man den Versuch mit Hühnern machen könne, bestieg seinen Klepper und verschwand langsam.
Eine halbe Stunde weiter bemerkten sie einen pyramidenförmigen Gegenstand, der sich am Horizont im Hofe eines Pachtgutes erhob. Man hätte das für eine ungeheure Dolde schwarzer Trauben halten können, die hier und dort rote Punkte zeigten. Es war, normannischem Brauch folgend, ein langer Mast mit Querstäben, auf denen Puten saßen und sich in der Sonne blähten.
»Laß uns hineingehen.« Und Pécuchet sprach den Pächter an, der in ihren Wunsch willigte.
Mit Kreide zeichneten sie eine Linie in die Kelter, fesselten einem Puter die Pfoten, legten ihn dann lang hin, den Schnabel in der Richtung des Strichs. Das Tier schloß die Augen und schien bald wie tot. Mit den anderen ging es ebenso. Bouvard langte sie behende Pécuchet hin, welcher sie nebeneinanderlegte, sobald sie starr waren. Die Leute von dem Pachthofe bekundeten Unruhe. Die Herrin schrie, ein kleines Mädchen weinte.
Bouvard befreite das ganze Geflügel. Die Tiere belebten sich nach und nach, aber man konnte nicht wissen, was für Folgen das haben würde. Bei einer etwas abweisenden Entgegnung Pécuchets faßte der Pächter seine Mistgabel.
»Schert Euch zum Teufel! Oder ich renne Euch das Ding in den Bauch.«
Sie machten sich davon.
Einerlei! Das Problem war gelöst; der Ekstase liegt eine materielle Ursache zugrunde.
Was ist denn die Materie? Was ist der Geist? Woher kommt die Wirkung des einen auf das andere; – und wechselweise?
Um sich darüber klar zu werden, suchten sie bei Voltaire, bei Bossuet, bei Fénelon, – und nahmen sogar wieder ein Abonnement auf eine Leihbibliothek.
Die alten Meister waren durch die Länge ihrer Werke oder durch die Schwierigkeit ihres Idioms für sie unzugänglich, aber Jouffroy und Damiron weihten sie in die moderne Philosophie ein, – und sie verschafften sich Bücher über die Philosophie des verflossenen Jahrhunderts.
Bouvard nahm seine Argumente aus Lamettrie, Locke, Helvetius; Pécuchet aus Herrn Cousin, Thomas Reid und Gérando. Der erstere hielt sich an die Erfahrung; das Gedankliche war alles für den letzteren. In dem einen steckte etwas von Aristoteles, der andere fühlte sich Plato verwandt, – und sie diskutierten.
»Die Seele ist unkörperlich!« sagte der eine.
»Keineswegs!« sagte der andere. »Wahnsinn, Chloroform, ein Aderlaß werfen sie um, und da sie nicht immer denkt, so ist sie durchaus keine Substanz, die aus reinem Denken besteht.«
»Indessen«, wandte Pécuchet ein, »habe ich in mir selbst etwas, das meinem Körper überlegen ist und ihm zuweilen widerstreitet.«
»Ein Wesen im Wesen? Der homo duplex! geh doch! Verschiedene Tendenzen zeigen entgegengesetzte Motive an. Das ist alles.«
»Doch dieses Etwas, diese Seele bleibt identisch bei allen Veränderungen im Äußeren. Also ist sie einfach, unteilbar und folglich unkörperlich.«
»Wenn die Seele einfach wäre,« erwiderte Bouvard, »so müßte das Neugeborene Erinnerung haben, denken wie der Erwachsene. Das Denken kommt dagegen mit der Entwicklung des Gehirns. Was die Unteilbarkeit anlangt, so lassen sich der Duft einer Rose oder der Hunger eines Wolfes ebensowenig in zwei Teile zerlegen wie das Wollen oder eine Behauptung.«
»Das schadet nichts!« sagte Pécuchet, »die Seele ist frei von den Eigenschaften der Materie!«
»Glaubst du an die Schwerkraft?« fuhr Bouvard fort. »Wenn nun die Materie fallen kann, so kann sie auch denken. Da unsere Seele einen Anfang genommen hat, muß sie auch ein Ende nehmen und, da sie von den Organen abhängt, mit ihnen verschwinden.«
»Ich dagegen behaupte, daß sie unsterblich ist! Gott kann nicht wollen …«
»Aber wenn Gott nicht existiert?«
»Wie?« Und Pécuchet führte die drei cartesianischen Beweisgründe an: »Primo, Gott ist in der Idee einbegriffen, die wir von ihm haben; secundo, seine Existenz ist möglich; tertio, da ich begrenzt bin, wie könnte ich eine Idee vom Unbegrenzten haben? – und da wir diese Idee haben, so kommt sie mir von Gott, also existiert Gott!«
Er ging zum Zeugnis aus dem Gewissen, zur Überlieferung der Völker, zur Notwendigkeit eines Schöpfers über.
»Wenn ich eine Uhr sehe …«
»Ja! ja! kennen wir! doch wo ist der Vater des Uhrmachers?«
»Es muß doch eine Ursache vorhanden sein!«
Bouvard setzte Zweifel in die Kausalität. »Daraus, daß eine Erscheinung auf die andere folgt, schließt man, daß sie deren Folge ist. Beweise es!«
»Doch der Anblick des Weltalls läßt eine Absicht, einen Plan erkennen.«
»Wieso? Das Übel ist gerade so vollkommen organisiert wie das Gute. Der Wurm, der im Kopfe des Hammels entsteht und seinen Tod verursacht, hat, anatomisch genommen, denselben Wert wie der Hammel. Die Monstruositäten sind den normalen Bildungen überlegen. Der menschliche Körper könnte besser eingerichtet sein. Drei Viertel des Erdballs sind unfruchtbar. Der Mond, diese große Leuchte, zeigt sich nicht immer. Glaubst du, daß der Ozean für die Schiffe und das Holz der Bäume zur Heizung unserer Häuser bestimmt sei?«
Pécuchet antwortete:
»Indessen ist der Magen zum Verdauen da, das Bein zum Gehen, das Auge zum Sehen, wenn es auch Verdauungsschwäche, Brüche und grauen Star gibt. Keine Anordnungen ohne Zweck! Die Wirkungen zeigen sich gleich oder später. Alles beruht auf Gesetzen. Also gibt es Endursachen.«
Bouvard dachte, Spinoza könne ihm vielleicht Argumente liefern, und er bat Dumouchel um die Übersetzung von Saisset.
Dumouchel schickte ihm ein Exemplar, das seinem Freunde, dem Professor Varelot gehörte, der am zweiten Dezember verbannt war.
Die Ethik mit ihren Axiomen, ihren Folgesätzen erschreckte sie. Sie lasen nur die Stellen, die mit Bleistift angestrichen waren, und sie begriffen dieses:
Substanz ist das, was aus sich selbst, durch sich selbst, ohne Ursache, ohne Ursprung ist. Diese Substanz ist Gott.
Er allein ist Ausdehnung, – und die Ausdehnung hat keine Grenzen. Wodurch sollte sie begrenzt sein?
Doch obwohl sie unbegrenzt ist, ist sie nicht das Absolut-Unendliche, denn sie enthält nur eine Art der Vollkommenheit, und das Absolute enthält sie alle.
Oft hielten sie ein, um den Gedanken fester zu fassen. Pécuchet nahm eine Prise nach der andern, und Bouvard war rot vor Aufmerksamkeit.
»Findest du das lustig?«
»Ja, gewiß! lies nur weiter!«
Gott entwickelt sich in einer Unzahl von Attributen, die jedes auf seine Weise die Unendlichkeit seines Wesens ausdrücken. Wir kennen ihrer nur zwei: die Ausdehnung und das Denken.
Vom Denken und von der Ausdehnung sind die unzähligen Modi abgeleitet, die wieder andere enthalten.
Der, welcher auf einmal alle Ausdehnung und alles Denken umfaßte, würde darin keine Zufälligkeit, nichts Grundloses, sondern eine geometrische Folge von Gliedern sehen, die untereinander durch notwendige Gesetze verbunden sind.
»Ach, das wäre schön!« sagte Pécuchet.
Also gibt es Freiheit weder für den Menschen noch für Gott.
»Da hörst du's!« rief Bouvard.
Wenn Gott einen Willen, einen Zweck hätte, wenn er aus einem Grunde handelte, dann hätte er ein Bedürfnis, ermangelte er einer Vollkommenheit. Er wäre nicht Gott.
So ist unsere Welt nur ein Punkt in der Gesamtheit der Dinge, – und das unserm erkennenden Geiste verschlossene Weltall ist ein Teil einer unendlichen Zahl von Welten, die neben der unserigen unendlich viele verschiedengestaltete Welten bilden. Die Ausdehnung schließt unsere Welt in sich und wird ihrerseits von Gott umschlossen, welcher in seinem Denken alle möglichen Welten enthält, und sein eigenes Denken ist in seiner Substanz eingeschlossen.
Es war ihnen, als würden sie nächtlicherweile bei eisiger Kälte in einem Ballon in endloser Fahrt gegen eine grundlose Tiefe fortgerissen, – ohne etwas anderes als das Unfaßbare, Unbewegliche, Ewige um sich herum. Es war zu viel für sie. Sie gaben es auf.
Und von dem Wunsche nach etwas weniger Schwierigem beseelt, kauften sie den Lehrgang der Philosophie von Guesnier, der für den Schulgebrauch bestimmt ist
Der Verfasser wirft die Frage auf, welches die beste Methode sei, die ontologische oder die psychologische.
Die erste ist der Kindheit der menschlichen Gesellschaft angemessen, als der Mensch seine Aufmerksamkeit auf die äußere Welt richtete. Doch gegenwärtig, wo er sich auf sich selbst besinnt, »halten wir die zweite für wissenschaftlicher«, und Bouvard und Pécuchet entschieden sich für diese.
Der Zweck der Psychologie ist, die Tatsachen zu studieren, die »im Busen des Ich« vor sich gehen; man entdeckt sie durch Beobachtung.
»Beobachten wir!« Und vierzehn Tage lang suchten sie regelmäßig nach dem Frühstück in ihrem Bewußtsein auf gut Glück, in der Hoffnung, große Entdeckungen darin zu machen, und machten keine, was sie sehr in Staunen setzte.
Ein Phänomen erfüllt das Ich, nämlich die Idee. Welcher Natur ist sie? Man hat vermutet, die Dinge spiegelten sich im Gehirn und das Gehirn schicke diese Bilder unserem Geiste, der uns die Kenntnis davon mitteilt.
Doch wenn die Idee geistig ist, wie kann man die Materie vorstellen? Daher Zweifel, was die von außen kommenden Wahrnehmungen betrifft. Wenn sie materiell ist, so würden die geistigen Dinge nicht vorgestellt werden können. Daher Zweifel in Hinsicht auf unsere inneren Wahrnehmungen.
»Übrigens gebe man acht! Diese Hypothese würde uns zum Atheismus führen.«
Denn da ein Bild ein begrenztes Ding ist, ist es ihm unmöglich, das Grenzenlose darzustellen.
»Indessen«, wandte Bouvard ein, »wenn ich an einen Wald, an eine Person, an einen Hund denke, sehe ich diesen Wald, diese Person, diesen Hund. Also stellen die Ideen diese Dinge dar.«
Und sie machten sich an den Ursprung der Ideen.
Nach Locke haben sie zwei Quellen, die sinnliche Wahrnehmung und die Reflexion, – und Condillac führt alles auf die sinnliche Wahrnehmung zurück.
Doch dann wird der Reflexion die Grundlage fehlen. Sie bedarf eines Subjektes, eines empfindenden Wesens; und sie ist unvermögend, uns die großen, fundamentalen Wahrheiten zu geben: Gott, gute und böse Werke, das Gerechte, das Schöne und so weiter, Vorstellungen, die man als angeboren bezeichnet, das heißt als solche, die den Tatsachen und der Erfahrung vorausgehen und allgemein sind.
»Wenn sie allgemein wären, würden wir sie gleich bei unserer Geburt haben.«
»Man meint mit diesem Worte Veranlagungen, und Descartes …«
»Dein Descartes quatscht! Denn er behauptet, der Fötus sei ihrer teilhaftig und an einer anderen Stelle gibt er zu, es sei nur implicite der Fall.«
Pécuchet war erstaunt.
»Wo findet sich das?«
»Bei Gérando!« Und Bouvard gab ihm einen leichten Schlag auf den Bauch.
»Laß mich in Ruhe!« sagte Pécuchet. Dann sich Condillac zuwendend: »Unsere Gedanken sind nicht Metamorphosen der sinnlichen Wahrnehmung. Sie verursacht sie, setzt sie in Bewegung. Um sie in Bewegung zu setzen, ist ein Antrieb nötig. Denn die Materie kann aus sich selbst die Bewegung nicht hervorbringen, – und das habe ich in deinem Voltaire gefunden,« fügte Pécuchet hinzu, indem er Bouvard eine tiefe Verbeugung machte.
So kauten sie dieselben Argumente wieder, – jeder voll Verachtung für die Ansicht des andern, und ohne ihn von der seinigen überzeugen zu können.
Doch die Philosophie hob sie in ihrer eigenen Achtung. Mitleidig gedachten sie ihrer Beschäftigung mit Ackerbau und Politik.
Gegenwärtig widerte das Museum sie an. Am liebsten hätten sie den alten Kram verkauft, – und sie machten sich an das zweite Kapitel: von den Fakultäten der Seele.
Man zählt ihrer drei, nicht mehr! Diejenige zu empfinden, die zu erkennen und die zu wollen.
Bei dem Empfindungsvermögen unterscheiden wir die physische und die seelische Empfindung.
Die physischen Eindrücke zerfallen naturgemäß in fünf Arten, da sie durch die Sinneswerkzeuge vermittelt werden.
Die Vorgänge bei den seelischen Eindrücken dagegen haben nichts mit dem Körper zu tun. »Was gibt es Gemeinsames zwischen der Freude eines Archimedes, als er die Gesetze der Schwere fand, und der unreinen Lust eines Apicius, als er einen Eberkopf verzehrte!«
Die seelische Empfindung hat vier Gattungen, und ihre zweite Gattung, »moralische Wünsche«, zerfällt in fünf Arten, und die Erscheinungen der vierten Gattung, »Affektion«, zerfallen wieder in zwei neue Arten, unter ihnen die Eigenliebe, »ohne Zweifel ein berechtigter Hang, der jedoch, wenn ausgeartet, den Namen Egoismus annimmt«.
In der Fähigkeit zu erkennen findet sich die rationelle Perzeption, bei der man zwei Hauptrichtungen und vier Grade unterscheiden kann.
Die Abstraktion kann für phantastische Intelligenzen Klippen bilden.
Das Gedächtnis stellt den Zusammenhang mit dem Vergangenen her wie das Voraussehen den mit dem Zukünftigen.
Die Phantasie dagegen ist eine besondere Fähigkeit sui generis.
So viel Umstände, Binsenwahrheiten zu beweisen, der pedantische Ton des Verfassers, die Eintönigkeit der Wendungen: »Wir sind bereit anzuerkennen, – Fort mit dem Gedanken. – Befragen wir unser Gewissen«, das ewig wiederkehrende Lob Dugald-Stewarts, kurz, der ganze Wortschwall ekelte sie so an, daß sie über das Willensvermögen hinweggingen und sich gleich an die Logik machten.
Und sie belehrte sie über Analyse, Synthese, Induktion, Deduktion und die hauptsächlichen Gründe unserer Irrtümer.
Fast alle rühren vom schlechten Gebrauch der Worte her.
»Die Sonne geht unter, das Wetter wird trübe, der Winter naht«, fehlerhafte Ausdrucksweisen, die den Glauben an persönliche Wesen hervorrufen müssen, wo es sich nur um ganz einfache Ereignisse handelt. »Ich erinnere mich jenes Gegenstandes, jenes Axioms, jener Wahrheit«, – Täuschung! Es sind die Ideen und nicht die Dinge, die im Ich bleiben, und ein genauer Sprachgebrauch verlangte: »Ich erinnere mich eines bestimmten Vorganges in meinem Geiste, durch welchen ich das Objekt wahrgenommen, aus welchem ich das Axiom abgeleitet habe, durch welches ich zur Annahme dieser Wahrheit gekommen bin.«
Da der Ausdruck, der einen Vorgang bezeichnet, diesen nie in allen seinen Modifikationen umfaßt, so versuchten sie, nur abstrakte Wörter zu verwenden, – so daß sie, anstatt zu sagen: »Laß uns ausgehen, – es ist Zeit zum Essen, – ich habe Koliken«, folgende Phrasen zutage förderten: »Ein Spaziergang wäre heilsam. – Die Stunde, Nahrung einzunehmen, ist da. – Ich verspüre ein Bedürfnis nach Ausleerung.«
Als sie mit der Logik vertraut geworden waren, prüften sie die verschiedenen Kriterien, zuerst dasjenige des gesunden Menschenverstandes.
Wenn der einzelne nichts wissen kann, warum sollten alle zusammen mehr wissen? Ein Irrtum, wäre er auch hundert Jahre alt, begründet deswegen, daß er alt ist, nicht eine Wahrheit! Die große Menge folgt immer dem alten Herkommen! Die Minderheit dagegen führt den Fortschritt herbei.
Soll man dem Zeugnis der Sinne Glauben schenken? Sie täuschen zuweilen, und sie belehren immer nur über den Schein. Der Kern der Dinge entgeht ihnen.
Die Vernunft bietet größere Sicherheit, da sie unwandelbar und unpersönlich ist, – doch um in Erscheinung zu treten, muß sie Fleisch werden. Da wird die Vernunft meine Vernunft; eine Regel hat wenig Bedeutung, wenn sie falsch ist. Nichts beweist, daß jene da richtig ist.
Man empfiehlt, sie durch die Sinne zu überwachen; doch die können die Finsternis verstärken. Aus einer undeutlichen Wahrnehmung wird ein mangelhaftes Gesetz gefolgert, das später die klare Anschauung von den Dingen stört.
Bleibt noch die Moral. Damit wird Gott auf die Stufe der Nützlichkeit herabgedrückt, als ob unsere Bedürfnisse der Maßstab des Absoluten wären!
Was die Evidenz betrifft, die von dem einen geleugnet, von dem anderen behauptet wird, so ist sie ihr eigenes Kriterium. Herr Cousin hat es bewiesen.
»Ich sehe nur noch die Offenbarung,« sagte Bouvard. »Doch um an sie zu glauben, muß man eine vorausgehende doppelte Erkenntnis annehmen: die des Körpers, welcher empfunden hat, und die des Geistes, welcher wahrgenommen hat; man muß Empfindung und Vernunft annehmen, menschliche und infolgedessen verdächtige Zeugnisse.«
Pécuchet sann nach, legte die Arme übereinander. »Aber wir geraten in den schrecklichen Abgrund des Skeptizismus.«
Bouvard meinte, er sei nur schwachen Hirnen schrecklich.
»Danke für das Kompliment,« erwiderte Pécuchet. »Indessen gibt es unbestreitbare Tatsachen. Man kann die Wahrheit bis zu einem gewissen Grade erlangen.«
»Bis zu welchem? Ergeben zwei und zwei immer vier? Ist der Inhalt in irgendeiner Hinsicht geringer als das Enthaltende? Was heißt ein annähernd Wahres, ein Bruchteil von Gott, der Teil einer unteilbaren Sache?«
»Ach! das sind nur Sophistereien!« Und Pécuchet, verärgert, maulte drei Tage lang.
Sie verbrachten sie damit, die Inhaltsverzeichnisse mehrerer Bände durchzugehen. Bouvard lächelte von Zeit zu Zeit, – und, die Unterhaltung wieder anknüpfend:
»Es ist eben schwierig, keine Zweifel zu hegen: So sind die Beweise für das Dasein Gottes bei Descartes, Kant und Leibniz nicht dieselben und vernichten sich gegenseitig. Die Entstehung der Welt durch die Atome oder durch einen Geist bleibt unfaßbar.
Ich fühle mich zugleich als Materie und Denken, ohne doch zu wissen, was das eine und was das andere sei.
Undurchdringlichkeit, Festigkeit, Schwere scheinen mir gerade so große Geheimnisse wie meine Seele, – und um so mehr die Vereinigung von Seele und Körper.
Um sie zu erklären, hat Leibniz seine prästabilierte Harmonie erdacht, Malebranche die göttliche Bestimmung des menschlichen Willens, Cudworth einen Mittler, und Bossuet sieht darin ein beständiges Wunder, was eine Dummheit ist: ein beständiges Wunder wäre kein Wunder mehr.«
»In der Tat!« sagte Pécuchet.
Und beide gestanden, daß sie der Philosophen überdrüssig wären. So viele Systeme verwirren. Die Metaphysik ist zwecklos. Man kann ohne sie leben.
Zudem wuchs ihre Geldverlegenheit. Sie schuldeten Beljambe drei Fässer Wein, Langlois zwölf Kilogramm Zucker, ihrem Schneider hundertundzwanzig Franken, dem Schuster sechzig. Neue Ausgaben stellten sich ständig ein, und Meister Gouy zahlte nicht.
Sie begaben sich zu Marescot, damit er ihnen Geld verschaffen sollte, sei es durch den Verkauf der Ecalles oder durch eine Hypothek auf ihren Pachthof oder durch Veräußerung ihres Hauses, das mit lebenslänglichen Renten bezahlt werden sollte und dessen Nutznießung sie behalten würden. – Ein ungangbarer Weg, sagte Marescot, doch ein besseres Geschäft bereite sich vor und man würde sie benachrichtigen.
Dann fiel ihnen ihr armer Garten ein. Bouvard übernahm das Ausputzen des Laubenganges, Pécuchet den Schnitt des Spaliers. – Marcel mußte die Beete umgraben.
Nach Verlauf einer Viertelstunde hielten sie an; der eine schloß sein Gartenmesser, der andere legte die Schere hin, und ganz sachte begannen sie auf- und abzugehen: Bouvard ohne Weste mit vorgestreckter Brust und bloßen Armen im Schatten der Linden; Pécuchet mit gesenktem Kopf, die Hände auf dem Rücken, den Schirm der Mütze aus Vorsicht in den Nacken gedreht, an der Mauer entlang; und sie gingen so in derselben Richtung, ohne auch nur Marcel zu sehen, der an der Hütte lehnend sich ausruhte und dabei eine Brotschnitte verzehrte.
In dieser nachdenklichen Stimmung stellten sich Gedanken ein; sie redeten einander an, um sie nicht zu vergessen; und die Metaphysik kam wieder aufs Tapet.
Sie stellte sich bei Gelegenheit des Regens und des Sonnenscheins, eines Kieselsteins in ihrem Schuh, einer Blume auf dem Rasen, bei allem und jedem wieder ein.
Wenn sie eine Kerze brennen sahen, fragten sie sich, ob das Licht im Objekte oder in unserem Auge sei. Da die Sterne verschwunden sein können, wenn ihr Glanz zu uns gelangt, so bewundern wir vielleicht Dinge, welche nicht vorhanden sind.
Als sie in einer Weste eine Raspailzigarette wiederfanden, zerbröckelten sie diese auf dem Wasser, und der Kampfer drehte sich.
Es gibt also Bewegung in der Materie! Ein höherer Grad von Bewegung würde das Leben hervorrufen.
Doch wenn die sich bewegende Materie genügte, um Wesen zu schaffen, so würden diese nicht so verschieden sein. Denn am Uranfang gab es weder Erde, noch Wasser, noch Menschen, noch Pflanzen. Was ist also diese ursprüngliche Materie, die man niemals gesehen hat, die nicht identisch ist mit den Dingen dieser Welt und sie alle hervorgebracht hat?
Manchmal hatten sie ein Buch nötig. Dumouchel, der müde war, sie zu bedienen, antwortete ihnen nicht mehr, und sie verbissen sich in das Problem, besonders Pécuchet.
Sein Wahrheitsbedürfnis wurde zum brennenden Durste.
Unter dem Eindruck von Bouvards Reden ließ er vom Spiritualismus ab, nahm ihn bald wieder auf, um ihn dann wieder fallen zu lassen, und rief, den Kopf in den Händen: »O! Der Zweifel! der Zweifel! Lieber wäre mir das Nichts!«
Bouvard bemerkte die Unzulänglichkeit des Materialismus und versuchte daran festzuhalten, wobei er übrigens erklärte, daß er den Kopf darüber verlöre.
Sie begannen Vernunftschlüsse auf einer festen Basis; sie brach zusammen; – und plötzlich waren alle Gedanken fort, wie eine Fliege davonfliegt, sobald man sie fangen will.
Während der Winterabende plauderten sie im Museum am Feuer, den Blick auf die Kohlen gerichtet. Der Wind, der im Flur pfiff, ließ die Scheiben erzittern, die schwarzen Massen der Bäume wiegten sich, und die Melancholie der Nacht verstärkte den Ernst ihrer Gedanken.
Von Zeit zu Zeit ging Bouvard bis ans Ende des Gemaches; dann kam er zurück. Die Kerzen und die Metallgeschirre an der Wand warfen schräge Schatten auf den Boden; und der Sankt Peter, den man im Profil sah, breitete über die Decke den Schattenriß seiner Nase, der einem ungeheueren Jagdhorn glich.
Nur mit Mühe konnte man zwischen den Gegenständen durchkommen, und oft stieß sich Bouvard, wenn er nicht acht gab, an der Statue. Mit ihren großen Augen, der herabhängenden Lippe und ihrer Trunkenboldsphysiognomie war sie auch Pécuchet im Wege. Seit langer Zeit wollten sie sich ihrer entledigen, doch aus Lässigkeit verschoben sie es von einem Tage zum andern.
Eines Abends stieß Bouvard inmitten eines Streites über die Monade mit seiner großen Zehe gegen die Sankt Peters, – und seinen Zorn gegen ihn entladend:
»Der Kerl ist mir gräßlich, wir wollen ihn an die Luft setzen!«
Es war zu schwierig, ihn die Treppe hinunterzuschaffen. Sie öffneten das Fenster und neigten ihn sachte gegen den Rand. Pécuchet versuchte kniend, ihn an den Fußsohlen in die Höhe zu heben, während Bouvard gegen die Schultern drückte. Der steinerne Biedermann wankte nicht; sie mußten die Hellebarde als Hebel zu Hilfe nehmen, – und endlich kamen sie so weit, ihn ganz niederzulegen. Dann stürzte er, nachdem er hin- und hergependelt hatte, ins Leere, die Tiara voran, – ein dumpfes Geräusch erscholl, – und am folgenden Morgen fanden sie ihn in zwölf Stücke zerbrochen in dem ehemaligen Kompostloch.
Eine Stunde später trat der Notar herein mit einer guten Nachricht für sie. Jemand aus dem Orte würde für eine Hypothek auf ihren Pachthof tausend Taler vorschießen; und da sie sich freuten: »Verzeihen Sie! Man macht eine Bedingung dabei: daß Sie nämlich dem Geldgeber die Ecalles für fünfzehnhundert Franken verkaufen. Der Vorschuß wird noch heute bezahlt werden. Das Geld liegt bei mir im Bureau.«
Sie waren nicht abgeneigt, die beiden Vorschläge anzunehmen. Bouvard sagte schließlich: »Lieber Gott …meinetwegen!«
»Abgemacht!« sagte Marescot. Und er teilte ihnen den Namen der Person mit. Es war Frau Bordin.
»Das dachte ich mir!« rief Pécuchet.
Bouvard schwieg gedemütigt.
Sie oder jemand anders, was lag daran! Die Hauptsache war, aus der Verlegenheit herauszukommen.
Nachdem das Geld erhoben war (das für die Ecalles würde später folgen), bezahlten sie sämtliche Rechnungen und waren auf dem Heimwege, als sie um die Markthallen biegend vom Vater Gouy angehalten wurden.
Er war auf dem Wege zu ihnen, um ihnen ein Unglück anzuzeigen. In der vergangenen Nacht hatte der Wind zwanzig Apfelbäume in den Höfen umgeworfen, die Branntweinbrennerei niedergelegt, das Dach der Scheune fortgerissen. Sie verbrachten den Rest des Nachmittags damit, den Schaden festzustellen, und der folgende Tag verging mit Verhandlungen mit dem Zimmermann, dem Maurer und dem Dachdecker. Die Ausbesserungen würden sich zum mindesten auf achtzehnhundert Franken belaufen.
Abends fand sich dann Gouy ein. Marianne habe ihm eben selbst von dem Verkaufe der Ecalles erzählt. Ein Stück Land von prächtigem Ertrag, das ihm sehr bequem gelegen sei und fast keine Bearbeitung erfordere, das beste Stück des ganzen Gutes! – und er verlangte einen Nachlaß.
Die Herren beschieden ihn abschlägig. Man unterbreitete den Fall dem Friedensrichter, und er entschied zugunsten des Pächters. Wenn man den Acker auf zweitausend Franken schätzte, so brachte ihm der Verlust der Ecalles einen jährlichen Schaden von siebzig, und vor Gericht würde er sicher gewinnen.
Ihr Besitz war geschmälert. Was tun? Und wie bald leben?
Sie setzten sich beide voller Entmutigung zu Tisch. Marcel verstand nichts von der Küche; dieses Mal war sein Diner noch schlechter als sonst. Die Suppe glich Spülwasser, das Kaninchen schmeckte verdorben, die grünen Bohnen waren nicht gargekocht, die Teller schmutzig, und beim Nachtisch platzte Bouvard los, indem er drohte, er wolle ihm das Ganze an den Kopf werfen.
»Seien wir Philosophen,« sagte Pécuchet. »Etwas weniger Geld, die Intrigen einer Frau, das Ungeschick eines Dienstboten, was bedeutet das alles? Du steckst zu tief in der Materie!«
»Aber wenn sie mich doch quält,« sagte Bouvard.
»Ich, ich bestreite ihr Dasein!« erwiderte Pécuchet.
Er hatte letzthin eine Darstellung der Philosophie Berkeleys gelesen und fügte hinzu:
»Ich leugne die Ausdehnung, die Zeit, den Raum, sogar die Substanz! Denn die wahre Substanz ist der Geist, der die Qualitäten perzipiert.«
»Ausgezeichnet,« sagte Bouvard. »Doch wenn man die Welt unterdrückt, so werden die Beweise für das Dasein Gottes fehlen.«
Pécuchet widersprach lebhaft und ausführlich, obgleich er an einem Schnupfen litt, den das Jodkalium verursacht hatte, – und ständiges Fieber steigerte seine Erregung. Bouvard, der sich seinetwegen beunruhigte, ließ den Arzt rufen.
Vaucorbeil verschrieb Orangensirup mit Jod und für später Sublimatbäder.
»Wozu?« erwiderte Pécuchet. »Den einen oder andern Tag wird die Form vergehen. Die Essenz geht nicht unter!«
»Ohne Zweifel,« sagte der Arzt, »ist die Materie unzerstörbar! Indessen …«
»Aber nein! Aber nein! Das Unzerstörbare ist das Wesen. Dieser Leib, der da vor mir steht, der Ihrige, Doktor, hindert mich, Ihre Persönlichkeit zu kennen, ist sozusagen nur eine Verkleidung, oder vielmehr eine Maske.«
Vaucorbeil glaubte, Pécuchet sei verrückt geworden.
»Guten Abend! Pflegen Sie Ihre Maske!«
Pécuchet ließ nicht ab. Er verschaffte sich eine Einführung in die Hegelsche Philosophie, wollte sie Bouvard auseinandersetzen.
»Alles, was vernünftig ist, ist wirklich. Das einzig Wirkliche ist die Idee. Die Gesetze des Geistes sind die Gesetze des Weltalls, die Vernunft des Menschen ist identisch mit derjenigen Gottes.«
Bouvard stellte sich, als ob er verstehe.
»Also ist das Absolute zugleich das Subjekt und das Objekt, die Einheit, in der sich alle Unterschiede zusammenfinden. So werden die Gegensätze überwunden. Der Schatten macht das Licht möglich, das mit dem Warmen vermischte Kalte bringt die Temperatur hervor, der Organismus erhält sich nur durch die Zerstörung des Organismus, überall gibt es ein Prinzip, das trennt, ein Prinzip, das vereint.«
Sie waren auf dem künstlichen Hügel, und der Geistliche ging am Zaune vorbei, das Brevier in der Hand.
Pécuchet bat ihn, einzutreten; er wollte in seiner Gegenwart den Vortrag über Hegel zu Ende führen, um einmal zu sehen, was der Abbé dazu sagen würde.
Der Mann im Priesterrock setzte sich zu ihnen, und Pécuchet wandte sich dem Christentum zu.
»Keine Religion hat so fest die Wahrheit begründet, daß die Natur nur ein Moment der Idee ist!«
»Ein Moment der Idee!« murmelte der Priester verdutzt.
»Ja doch! Indem Gott eine sichtbare Einkleidung annahm, hat er seine konsubstantielle Einheit mit ihr gezeigt.«
»Mit der Natur? O! O!«
»Durch sein Hinscheiden hat er die Wesenheit des Todes bezeugt; also war der Tod in ihm, bildete, bildet einen Teil von Gott.«
Der Geistliche runzelte die Stirn.
»Keine Gotteslästerung! Nur zum Heile der Menschheit hat er die Leiden erduldet.«
»Irrtum! Man betrachtet den Tod im Individuum, wo er ohne Zweifel ein Übel ist. Doch in bezug auf die Dinge ist das anders. Sie dürfen nicht Geist und Materie trennen!«
»Indessen, mein Herr, vor der Schöpfung …«
»Es hat keine Schöpfung stattgefunden. Sie ist immer dagewesen. Sonst wäre das ein neues Wesen, das zu dem göttlichen Gedanken hinzukommt, was widersinnig wäre.«
Der Priester erhob sich, Amtsgeschäfte riefen ihn.
»Ich schmeichle mir, ihn hineingelegt zu haben!« sagte Pécuchet. »Noch ein paar Worte! Da die Existenz der Welt nur ein beständiger Durchgang des Lebens zum Tode und des Todes zum Leben ist, so ist, weit entfernt, daß alles sei, vielmehr nichts. Aber alles wird, begreifst du?«
»Ja! ich begreife, oder vielmehr nein!«
Der Idealismus brachte Bouvard schließlich zur Verzweiflung.
»Ich will nichts mehr davon hören; das berühmte cogito macht mich rasend. Man nimmt die Ideen der Dinge für die Dinge selbst. Man setzt auseinander, wovon man sehr wenig versteht, mit Hilfe von Worten, die man überhaupt nicht versteht! Substanz, Ausdehnung, Kraft, Materie und Seele. Lauter Abstraktionen, Phantastereien. Was Gott betrifft, unmöglich zu wissen, wie er ist, ob er überhaupt ist! Ehemals war er der Urheber des Windes, des Blitzes, der Revolutionen. Gegenwärtig nimmt seine Macht ab. Übrigens sehe ich seinen Nutzen nicht ein.«
»Und wo bleibt bei alledem die Moral?«
»Ja, da ist nichts zu machen!«
»Ihr fehlt die tatsächliche Grundlage,« sagte sich Pécuchet im stillen.
Und er versank in Schweigen, denn er war in eine Sackgasse geraten, eine Folge der Prämissen, die er selbst aufgestellt hatte. Es war für ihn wie eine Überraschung, wie ein vernichtender Stoß.
Bouvard glaubte nicht einmal mehr an die Materie.
Die Gewißheit, daß nichts existiert (so jammervoll sie auch ist), ist darum nicht weniger eine Gewißheit. Wenige Menschen sind fähig, sie zu ertragen. Diese geistige Überlegenheit erfüllte sie mit Stolz, und sie hätten sie öffentlich bekunden mögen: eine Gelegenheit bot sich.
Als sie eines Morgens Tabak holten, sahen sie eine Menschenansammlung vor Langlois' Tür. Man umringte die Post von Falaise, und man sprach von Touache, einem Sträfling, der in der Gegend vagabundierte. Der Wagenführer hatte ihn bei Croix-Verte zwischen zwei Gendarmen getroffen, und die Einwohner von Chavignolles stießen einen Seufzer der Erleichterung aus.
Girbal und der Hauptmann blieben auf dem Platze; dann kam der Friedensrichter, der neugierig war, etwas zu erfahren, und Herr Marescot in Samtbarett und schafledernen Pantoffeln.
Langlois lud sie ein, seinen Laden mit ihrer Gegenwart zu beehren. Sie würden es dort gemütlicher haben, und trotz der Kunden und des Geräusches der Klingel fuhren die Herren fort, die Schandtaten des Touache zu besprechen.
»Lieber Gott!« sagte Bouvard, »er hatte schlechte Triebe, das erklärt alles!«
»Man bezwingt sie durch die Tugend,« erwiderte der Notar.
»Aber wenn man keine Tugend hat?«
Und Bouvard bestritt mit Bestimmtheit die Willensfreiheit.
»Indessen«, sagte der Hauptmann, »kann ich tun, was ich will! Es steht mir zum Beispiel frei, mein Bein zu bewegen.«
»Nein, mein Herr, denn Sie haben einen Beweggrund, es zu bewegen!«
Der Hauptmann suchte eine Antwort, fand keine. Doch Girbal schoß diesen Pfeil ab:
»Ein Republikaner, der gegen die Freiheit spricht, das ist komisch!«
»Das ist zum Lachen!« sagte Langlois.
Bouvard stellte ihm die Frage:
»Weshalb geben Sie Ihr Vermögen nicht den Armen?«
Der Krämer überflog unruhigen Blicks seinen ganzen Laden.
»Ei ja! bin nicht so dumm! Ich behalte es für mich!«
»Wenn Sie der heilige Vinzenz von Paul wären, würden Sie anders handeln, da Sie dann seinen Charakter hätten. Sie gehorchen dem Ihrigen. Also sind Sie nicht frei!«
»Das ist Wortklauberei,« antwortete die Versammlung im Chore.
Bouvard ließ sich nicht stören, und auf die Wage auf dem Ladentisch weisend:
»Die bleibt regungslos, solange eine der Wagschalen leer ist. Ebenso der Wille; und das Schwanken der Wage zwischen zwei Gewichten, die gleich scheinen, gibt ein Bild der Arbeit unseres Geistes, wenn er über die Beweggründe mit sich zu Rate geht, bis zu dem Augenblicke, wo der stärkere den Sieg davonträgt, ihn bestimmt.«
»Alles das,« sagte Girbal, »beweist nichts für Touache und hindert nicht, daß er ein recht lasterhafter Schurke ist.«
»Die Laster sind Eigenheiten der Natur, wie die Überschwemmungen, die Stürme.«
Der Notar hielt ihn an, und sich bei jedem Wort auf den Zehenspitzen in die Höhe hebend:
»Ich finde Ihr System vollkommen unmoralisch. Es läßt allen Zügellosigkeiten freien Lauf, entschuldigt die Verbrechen, wäscht die Schuldigen rein.«
»Ganz recht,« sagte Bouvard. »Der Unglückliche, welcher seinen Begierden folgt, ist ebenso in seinem Recht, wie der ehrbare Mann, der der Vernunft Gehör gibt.«
»Verteidigen Sie nicht die Ungeheuer!«
»Warum Ungeheuer? Wenn ein Blinder, ein Idiot, ein Mörder geboren wird, so scheint uns das gegen die Ordnung, als ob uns die Ordnung bekannt wäre, als wenn die Natur zu einem Endzweck handelte!«
»Dann leugnen Sie die Vorsehung?«
»Ja, ich leugne sie!«
»Sehen Sie vielmehr auf die Geschichte,« rief Pécuchet. »Gedenken Sie der Königsmörder, der Hinmetzelungen der Völker, der Zwistigkeiten in den Familien, des Kummers der einzelnen.«
»Und zu gleicher Zeit,« fügte Bouvard hinzu – denn sie erhitzten sich aneinander – »sorgt diese Vorsehung für die kleinen Vögel und läßt die Scheren der Krebse wieder wachsen. Ja, wenn Sie unter Vorsehung ein Gesetz verstehen, das alles ordnet, so will ich es gelten lassen, und auch nur unter Vorbehalt!«
»Indessen, mein Herr,« sagte der Notar, »gibt es Prinzipien!«
»Was schwatzen Sie da! Eine Wissenschaft ist nach Condillac um so größer, als sie ihrer nicht bedarf! Sie resümieren nur die erworbenen Erkenntnisse und verweisen uns auf solche Erkenntnisse, die gerade bestreitbar sind.«
»Haben Sie wie wir«, fuhr Pécuchet fort, »die Geheimnisse der Metaphysik erforscht, durchwühlt?«
»Allerdings nicht, meine Herren, allerdings nicht!«
Und man ging auseinander.
Doch Coulon zog sie beiseite und sagte ihnen in väterlichem Tone, daß er sicherlich nicht fromm sei und sogar die Jesuiten verabscheue. Indessen gehe er nicht so weit wie sie! O nein! sicherlich nicht; – und an der Ecke auf dem Platze kamen sie an dem Hauptmann vorbei, der sich seine Pfeife wieder anzündete, wobei er brummte:
»Ich tue doch, was ich will, in Teufels Namen!«
Bouvard und Pécuchet gaben auch bei andern Gelegenheiten ihre scheußlichen Paradoxe zum besten. Sie zogen die Redlichkeit der Menschen, die Keuschheit der Frauen, die Einsicht der Regierung, den gesunden Verstand des Volkes in Zweifel, kurz, sie untergruben die Grundlagen.
Foureau geriet darüber in Erregung und bedrohte sie mit Gefängnis, wenn sie derartige Reden fortsetzten.
Ihre augenscheinliche Überlegenheit verletzte. Da sie unmoralische Thesen verteidigten, mußten sie unmoralisch sein; Verleumdungen wurden erfunden.
Da entwickelte sich eine bedauerliche Fähigkeit in ihrem Geiste, nämlich die, die Dummheit zu sehen und sie nicht zu ertragen.
Unbedeutende Dinge betrübten sie: die Reklamen der Zeitungen, das Profil eines Spießbürgers, eine dumme Bemerkung, die sie zufällig gehört.
Wenn sie daran dachten, was man in ihrem Dorfe redete, und sich vorstellten, daß es bis zum andern Ende der Welt nur neue Coulons, neue Marescots, neue Foureaus gäbe, fühlten sie gleichsam das ganze Gewicht der Erde auf sich lasten.
Sie gingen nicht mehr aus, sahen niemand mehr bei sich.
Eines Nachmittags hörten sie in ihrem Hofe ein Zwiegespräch zwischen Marcel und einem Herrn in breitkrämpigem Hut und schwarzer Schutzbrille. Es war der Akademiker Larsoneur. Es konnte ihm nicht entgehen, daß man einen Vorhang zurückzog, daß Türen geschlossen wurden. Sein Besuch bedeutete einen Aussöhnungsversuch, und er ging wütend davon, indem er den Diener beauftragte, er solle seinen Herren sagen, sie seien ungezogene Menschen.
Bouvard und Pécuchet war es gleich. Die Welt verlor an Bedeutung für sie; sie sahen sie wie durch einen Nebel, der aus ihrem Gehirn kam und sich auf ihre Augen herabließ.
Ist übrigens nicht alles eine Illusion, ein böser Traum? Vielleicht halten sich, im ganzen genommen, Glück und Unglück die Wage! – Doch das Wohlergehen der Menschheit ist für den einzelnen kein Trost.
»Was sind mir die andern!« sagte Pécuchet.
Seine Verzweiflung betrübte Bouvard. Er hatte ihn dahin gebracht, und der Verfall ihres Heims stachelte ihren Kummer mit täglichem Ärger neu an.
Um sich wieder Mut zu machen, redeten sie einander mit Vernunftgründen zu, schrieben sich Arbeiten vor und verfielen bald wieder in größere Untätigkeit, in tiefere Entmutigung.
Am Ende der Mahlzeiten blieben sie, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, sitzen und seufzten mit betrübter Miene. Marcel riß die Augen auf, dann kehrte er in die Küche zurück, wo er sich einsam vollfraß.
In der Mitte des Sommers erhielten sie die Anzeige von der Verheiratung Dumouchels mit der verwitweten Frau Olympe-Zulma Poulet.
»Möge Gott ihn segnen!«
Und sie gedachten der Zeit, da sie glücklich waren.
Warum gingen sie nicht mehr hinter den Schnittern her? Wo waren die Tage, an denen sie in die Höfe eintraten, überall nach Altertümern suchend? Nichts vermochte jetzt mehr die so angenehmen Stunden zurückzubringen, welche das Destillieren oder die Literatur ausgefüllt hatten. Ein Abgrund trennte sie davon. Etwas Unwiderrufliches war eingetreten.
Sie wollten wie ehemals einen Spaziergang durch die Felder machen, gingen sehr weit, verirrten sich. Der Himmel war voller Schäfchen, die Glöckchen des Hafers schwankten im Winde, längs einer Wiese murmelte ein Bach, als plötzlich ein pestilenzialischer Geruch sie anhielt, und sie erblickten auf Kieseln zwischen Dornengestrüpp den Kadaver eines Hundes.
Seine vier Glieder waren vertrocknet. Der weitgeöffnete Rachen zeigte unter bläulichen Lefzen elfenbeinweiße Fangzähne; die Stelle des Bauches nahm ein Haufen von erdiger Farbe ein, der zu zittern schien, so viel Ungeziefer krimmelte darauf. Es bewegte sich, vom Sonnenlichte getroffen, unter den summenden Fliegen in diesem unerträglichen Geruch, – einem scharfen und gleichsam verzehrenden Geruch.
Indessen faltete Bouvard die Stirn, und Tränen feuchteten seine Augen.
Pécuchet sagte stoisch: »So werden wir eines Tages sein.«
Der Gedanke an den Tod hatte sie gepackt. Auf dem Heimwege sprachen sie davon.
Letzten Endes ist er nicht vorhanden. Man entschwindet in den Tau, in die Brise, in die Sterne. Man wird etwas vom Saft der Bäume, vom Glanz der Edelsteine, vom Gefieder der Vögel. Man gibt an die Natur zurück, was sie uns geliehen hat, und das Nichts, das wir vor uns haben, hat nichts Schrecklicheres, als das Nichts, das hinter uns liegt.
Sie versuchten, es sich unter der Form einer undurchdringlichen Nacht, eines grundlosen Loches, einer dauernden Ohnmacht vorzustellen; alles andere war diesem eintönigen, widersinnigen und hoffnungslosen Dasein vorzuziehen.
Dann ließen sie ihre ungestillten Sehnsüchte an sich vorüberziehen. Bouvard hatte sich immer Pferde, Equipagen, edle Burgundergewächse und schöne, willfährige Frauen in glänzender Wohnung gewünscht. Pécuchets Ehrgeiz stand nach philosophischem Wissen. Nun kann das größte der Probleme, dasjenige, das alle andern umschließt, innerhalb einer Minute gelöst sein. Wann denn wird sie kommen? – »Man kann geradesogut gleich ein Ende machen.«
»Wie du willst,« sagte Bouvard.
Und sie prüften die Frage des Selbstmordes.
Was ist Schlimmes dabei, eine Last abzuwerfen, die einen erdrückt? und eine Handlung zu begehen, die niemand Schaden bringt? Wenn sie Gott beleidigte, würden wir dann die Macht dazu haben? Sie ist keineswegs Feigheit, was man auch sage, – und die Vermessenheit, das, was die Menschen am höchsten schätzen, sogar zum eigenen Nachteil zu verhöhnen, ist schön.
Sie beratschlagten über die Todesart.
Vergiftungen sind mit Schmerzen verbunden. Es gehört viel Mut dazu, sich die Kehle abzuschneiden. Die Erstickungsversuche führen oft nicht zum Ziel.
Schließlich trug Pécuchet zwei Taue von ihren gymnastischen Übungen auf den Boden. Nachdem er sie dann an denselben Querbalken des Daches geknüpft, ließ er einen Henkersknoten herabhängen und schob zwei Stühle darunter, damit man die Stricke erreichen konnte.
Man entschloß sich zu dieser Todesart.
Sie fragten sich, welch einen Eindruck das im Orte machen würde, wo dann ihre Bücher, ihr Geschreibsel, ihre Sammlungen bleiben würden. Der Gedanke an den Tod bewirkte bei ihnen eine Rührung, die ihrer eigenen Person galt. Jedoch gaben sie ihren Vorsatz nicht auf, und dadurch, daß sie davon sprachen, gewöhnten sie sich an den Gedanken.
Am Abend des 24. Dezember, zwischen zehn und elf Uhr, gaben sie sich im Museum, jeder in verschiedener Kleidung, ihren Gedanken hin. Bouvard hatte über seine Trikotweste eine Bluse gezogen; und Pécuchet trug seit drei Monaten aus Sparsamkeit beständig das Mönchsgewand.
Da sie heftigen Hunger hatten (denn Marcel, der mit Tagesanbruch fortgegangen war, war nicht zurückgekehrt), hielt es Bouvard aus Gesundheitsrücksichten für angebracht, ein Fläschchen Branntwein zu leeren, und Pécuchet, Tee zu nehmen.
Als er den Teekessel emporhob, verspritzte er Wasser auf das Parkett.
»Wie ungeschickt!« rief Bouvard.
Dann wollte er, da er den Aufguß zu schwach fand, ihn noch durch zwei Löffel verstärken.
»Das wird ungenießbar werden,« sagte Pécuchet.
»Durchaus nicht!«
Und da jeder die Dose zu sich zog, fiel das Präsentierbrett zur Erde; eine der Tassen war zerbrochen, die letzte des schönen Porzellanservices.
Bouvard erblich. – »Nur zu! Zerstöre! Lege dir keinen Zwang auf!«
»In der Tat, ein großes Unglück!«
»Ja, ein Unglück! Ich hatte sie von meinem Vater!«
»Deinem unehelichen,« fügte Pécuchet höhnisch hinzu.
»Ah! Du willst mich beleidigen!«
»Nein, aber ich bin dir zur Last! ich sehe es wohl! gestehe es!«
Und Pécuchet wurde von Zorn oder vielmehr von Tobsucht erfaßt. Bouvard ebenfalls. Sie schrien beide zu gleicher Zeit, der eine wütend vor Hunger, der andere durch den Alkohol gereizt. Pécuchets Kehle brachte nur noch ein Röcheln hervor.
»Solch ein Leben ist die Hölle; ich ziehe den Tod vor. Lebe wohl!«
Er nahm den Leuchter, wandte die Hacken, schlug die Tür zu.
Bouvard hatte in der Finsternis Mühe, die Tür zu finden, lief hinter ihm her, kam auf den Speicher.
Die Kerze brannte am Boden und Pécuchet stand aufrecht auf einem der Stühle, den Strick in der Hand.
Bouvard wurde vom Nachahmungstrieb gepackt.
»Warte auf mich!«
Und er stieg auf den andern Stuhl, doch plötzlich einhaltend:
»Aber …wir haben unser Testament noch nicht gemacht.«
»Ei ja! das ist richtig!«
Schluchzen hob ihre Brust. Sie traten an die Luke, um zu verschnaufen.
Die Luft war kalt, und zahllose Sterne glänzten am Himmel, der schwarz wie Tinte war.
Die weiße Schneedecke, welche auf der Erde lag, verlor sich in den Nebeln des Horizontes.
Sie bemerkten kleine Lichter am Erdboden; sie wurden größer, näherten sich und liefen alle auf die Kirche zu.
Neugierde trieb sie dorthin.
Es war die Mitternachtmesse der Weihnacht. Die Lichter rührten von den Laternen der Hirten her. Einige schüttelten in der Vorhalle ihre Mäntel ab.
Das Serpent summte, der Weihrauch bildete Wolken. Gläser, die in der ganzen Länge des Schiffes aufgehängt waren, bildeten drei Girlanden buntfarbiger Lichter, und im Hintergrunde, zu beiden Seiten des Sakramenthäuschens, sandten Riesenkerzen rote Flammen empor. Über die Köpfe der Menge und die Kapuzen der Frauen hinweg, jenseits der Sänger, sah man den Priester in seinem goldenen Meßgewande; seiner hellen Stimme antworteten die kraftvollen Stimmen der Männer, welche die Emporen füllten, und die hölzerne Wölbung erzitterte auf ihren Steinbögen. Bilder, die den Kreuzesweg darstellten, schmückten die Mauern. Mitten im Chor vor dem Altar lag ein Lamm, die Pfoten unter dem Leibe, die Ohren aufgerichtet.
Die warme Luft verursachte ihnen ein merkwürdiges Wohlbehagen, und ihre Gedanken, die eben noch stürmisch gewesen waren, wurden linde, wie Wogen, die sich glätten.
Sie hörten das Evangelium und das Credo an, folgten den Bewegungen des Priesters. Die Alten indessen wie die Jungen, die Bettelweiber in ihren Lumpen, die Pächtersfrauen in hoher Haube, die kräftigen Burschen mit blonden Backenbärten, sie alle beteten, in die gleiche tiefe Freude versunken, und sie sahen auf dem Stroh eines Stalles den Leib des Gottesknaben wie eine Sonne leuchten. Dieser Glaube der andern rührte Bouvard trotz seiner Vernunft und Pécuchet trotz der Verstocktheit seines Herzens.
Dann wurde es still; alle Rücken beugten sich, und beim Klange eines Glöckchens begann das kleine Lamm zu blöken.
Der Priester zeigte die Hostie, er hielt sie mit ausgestreckten Armen empor, so hoch er konnte. Und Jubelgesang erscholl und rief die Welt zu den Füßen des Königs der Engel. Unwillkürlich fielen Bouvard und Pécuchet ein, und es war ihnen, als ob eine Morgenröte heraufzöge in ihrer Seele.