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V

Sie lasen zunächst Walter Scott.

Es war, als tue sich eine neue Welt vor ihnen auf.

Die Menschen der Vergangenheit, die für sie nur Schemen oder Namen gewesen waren, wurden nun lebende Wesen, Könige, Fürsten, Hexenmeister, Diener, Waldhüter, Mönche, Landstreicher, Kaufleute und Soldaten, die berieten, kämpften, reisten, Handel trieben, aßen und tranken, sangen und beteten, im Waffensaale der Schlösser, auf der schwarzen Bank der Herbergen, in den gewundenen Straßen der Städte, unter dem Schutzdache der Buden, im Kreuzgange der Klöster. Künstlerisch komponierte Landschaften bilden wie eine Theaterdekoration den Schauplatz der Szenen. Man verfolgt mit den Augen einen Reiter, der auf dem Strande galoppiert. Man atmet den frischen Wind inmitten der Ginstersträucher, der Mond erhellt Seen, auf denen ein Boot dahingleitet, die Sonne erglänzt auf Panzerhemden, der Regen fällt auf grüne Lauben. Ohne die Originale zu kennen, fanden sie diese Zeichnungen ähnlich, und die Illusion war vollkommen. So ging der Winter hin.

Wenn sie gefrühstückt hatten, ließen sie sich in dem kleinen Saale zu beiden Seiten des Kamins nieder; und mit einem Buche in der Hand einander gegenübersitzend, lasen sie still. Wenn der Tag sich neigte, gingen sie auf der Landstraße spazieren, nahmen in Eile ihr Mahl und setzten ihre Lektüre nach Tische fort. Um sich gegen das Lampenlicht zu schützen, trug Bouvard eine blaue Brille; Pécuchet zog den Schirm seiner Mütze tief in die Stirn.

Germaine war nicht fortgegangen, und Gorju kam von Zeit zu Zeit, um den Garten umzugraben, denn sie hatten aus Lässigkeit, aus Gleichgültigkeit gegen die materiellen Dinge nachgegeben.

Nach Walter Scott ergötzte sie Alexandre Dumas wie eine Zauberlaterne. Seine Personen, hurtig wie Affen, stark wie Stiere, fröhlich wie Buchfinken, kommen und sprechen unvermittelt, springen von den Dächern auf das Pflaster, erhalten schreckliche Wunden, von denen sie geheilt werden, werden für tot gehalten und erscheinen wieder. Es gibt Falltüren im Fußboden, Gegengifte, Vermummungen, und alles geht durcheinander, rennt und entwirrt sich, ohne dem Leser eine Minute Zeit zum Nachdenken zu lassen. Die Liebe bewahrt den Anstand, der Fanatismus ist fröhlich, die Blutbäder erregen ein Lächeln.

Nachdem sie durch diese beiden Meister anspruchsvoll geworden waren, konnten sie den Schwulst Belisars, die Einfalt des Numa Pompilius, Marchangys, des Vicomte d'Arlincourt nicht mehr ertragen.

Die Farbe erschien ihnen bei Frédéric Soulié (ebenso wie bei dem Bibliophilen Jakob) ungenügend, und Herr Villemain erregte ihr Ärgernis dadurch, daß er auf S. 85 seines Lascaris eine Spanierin einführt, die eine Pfeife raucht, »eine lange arabische Pfeife«, mitten im fünfzehnten Jahrhundert.

Pécuchet benutzte die allgemeine Biographie zum Nachschlagen und unternahm es, Dumas auf die wissenschaftliche Richtigkeit zu prüfen.

In den »Beiden Dianen« irrt sich der Verfasser bezüglich der Daten. Die Hochzeit des Dauphins François fand am 15. Oktober 1548 statt und nicht am 20. März 1549. Wie kann er wissen (vergl. den »Pagen des Herzogs von Savoyen«), daß Katharina von Medici nach dem Tode ihres Gatten den Krieg wieder beginnen wollte? Es ist wenig wahrscheinlich, daß man den Herzog von Anjou des Nachts in einer Kirche gekrönt hat, eine Episode, welche die »Dame von Montsoreau« ziert. Die »Königin Margot« im besonderen wimmelt von Irrtümern. Der Herzog von Nervers war nicht abwesend. Er stimmte vor Saint-Barthélemy im Rat ab, und Heinrich von Navarra folgte nicht der Prozession vier Tage später. Heinrich III. kam so schnell nicht aus Polen zurück. Zudem, wieviel Gewäsch. Das Wunder des Weißdorns, der Balkon Karls IX., die vergifteten Handschuhe der Jeanne d'Albert: Pécuchet hatte kein Vertrauen mehr zu Dumas.

Er verlor sogar alle Achtung vor Walter Scott wegen der Schnitzer in »Quentin Durward«. Die Ermordung des Bischofs von Lüttich ist um vierzehn Tage früher gelegt. Die Frau Roberts von Lamarck war Johanna von Arschel und nicht Hameline von Croy. Weit entfernt, von einem Soldaten getötet zu werden, wurde er vielmehr von Maximilian umgebracht, und das Antlitz des Kühnen drückte, als man seinen Leichnam fand, keineswegs eine Drohung aus, da die Wölfe es halb zernagt hatten.

Trotzdem setzte Bouvard die Lektüre Walter Scotts fort, langweilte sich jedoch schließlich bei der Wiederholung derselben Effekte. Gewöhnlich lebt die Heldin mit ihrem Vater auf dem Lande, und der Liebhaber, ein gestohlenes Kind, wird wieder in seine Rechte eingesetzt und triumphiert über seinen Nebenbuhler. Stets finden sich ein philosophischer Bettler, ein mürrischer Schloßherr, unschuldige junge Mädchen, spaßige Diener und endlose Dialoge, eine dumme Prüderie, ein vollständiger Mangel an Tiefe.

Aus Haß gegen den Plunder griff Bouvard zu George Sand.

Er begeisterte sich für die schönen Ehebrecherinnen und die edlen Liebhaber, hätte Jacques, Simon, Bénédict, Lélio sein und in Venedig wohnen mögen. Er seufzte, wußte nicht, was er hatte, fand sich selbst verändert.

Pécuchet, der die historische Literatur bearbeitete, studierte die Theaterstücke.

Er verschlang zwei Pharamonds, drei Chlodwige, vier Karl der Große, mehrere Philippe-Auguste, eine Menge Jungfrauen von Orleans und sehr viele Marquisen von Pompadour und Verschwörungen von Cellamare.

Fast alle erschienen ihm noch dümmer als die Romane. Denn für das Theater gibt es eine konventionelle Geschichte, die nichts zu zerstören vermag. Ludwig XI. wird nicht verfehlen, vor den Figurinen seines Hutes niederzuknien; Heinrich IV. wird beständig jovial sein; Maria Stuart weinerlich, Richelieu grausam, kurz, alle Charaktere erscheinen aus einem Stück, aus Liebe zu einfachen Ideen und aus Achtung vor der Unwissenheit, so daß der Dramatiker, anstatt zu erheben, hinabzieht, anstatt zu belehren, verdummt.

Da Bouvard ihm George Sand gerühmt hatte, machte sich Pécuchet an die Lektüre von »Consuelo«, »Horace«, »Mauprat«, wurde durch die Verteidigung der Unterdrückten, die soziale und republikanische Seite, die Tendenz mitgerissen.

Nach Bouvards Ansicht verdarb sie die Fiktion, und er verlangte in der Leihbibliothek Liebesromane.

Mit lauter Stimme lasen sie abwechselnd »La Nouvelle Héloise«, »Delphine«, »Adolphe«, »Ourika«. Doch das Gähnen dessen, der zuhörte, steckte seinen Genossen an, der das Buch bald zur Erde fallen ließ.

Allen diesen Büchern machten sie den Vorwurf, daß sie nichts mehr über das Milieu, die Epoche, das Kostüm der Personen sagten; das Herz allein wurde behandelt; immer Gefühle! Als wenn die Welt aus nichts anderem bestände.

Dann versuchten sie es mit humoristischen Romanen, wie die »Reise durch mein Zimmer« von Xavier de Maistre, »Unter den Linden« von Alphonse Karr. Bei dieser Art von Büchern wird die Erzählung unterbrochen, damit der Autor von seinem Hunde, von seinen Pantoffeln oder von seiner Geliebten sprechen kann. Zuerst entzückte sie ein solches Sichgehenlassen, dann schien es ihnen dumm, denn der Verfasser schädigt sein Werk, indem er sich mit seiner Person darin breit macht.

Aus Hang zum Dramatischen vertieften sie sich in die Abenteuerromane; die Intrigue interessierte sie um so mehr, je verwickelter, außerordentlicher und unmöglicher sie war. Sie bemühten sich, die Lösung vorauszusehen, wurden darin sehr stark und verloren den Geschmack am spielerisch Leichten, der ernsthafter Geister unwürdig sei.

Balzacs Werk setzte sie in Staunen, denn es war ein Babylon und nahm sich zugleich wie Staubkörner unter dem Mikroskop aus. Von den alltäglichsten Dingen entstand ein neues Bild. Sie hatten nicht vermutet, daß das moderne Leben so tief sei.

»Welch ein Beobachter!« rief Bouvard aus.

»Ich finde, er ist ein Phantast,« sagte schließlich Pécuchet.

»Er glaubt an die okkulten Wissenschaften, an die Anarchie, den Adel, ist von den Schurken geblendet, rührt in Millionen herum, als wenn es Centimes wären, und seine Bürger sind keine Bürger, sondern Kolosse. Warum aufblasen, was platt ist, und soviel Dummheiten beschreiben! Er hat einen Roman über die Chemie geschrieben, einen anderen über das Bankwesen, einen dritten über Druckmaschinen. Gerade wie ein gewisser Ricard ›Der Droschkenkutscher‹, ›Der Wasserträger‹, ›Der Kokosnußhändler‹ geschrieben hatte. Wir würden Romane über alle Berufe und alle Provinzen bekommen, dann über alle Städte und die Etagen eines jeden Hauses und jedes Individuum, was keine Literatur mehr wäre, sondern Statistik oder Ethnographie.«

Bouvard zufolge hatte das Verfahren nur geringe Bedeutung. Er wollte sich unterrichten, in der Kenntnis der Sitten weiterkommen. Er las Paul de Kock wieder, durchblätterte alte Nummern der Zeitschrift: »Der Eremit der Chaussée d'Antin.«

»Wie kann man seine Zeit mit solchen Torheiten vergeuden,« sagte Pécuchet.

»Aber in der Folgezeit wird das als Dokument sehr interessant sein.«

»Geh zum Teufel mit deinen Dokumenten! Ich verlange etwas, das mich begeistert, das mich dem Elend dieser Welt entrückt!«

Und Pécuchet, dessen Gedanken auf das Ideale gerichtet waren, lenkte Bouvards Aufmerksamkeit, ohne daß dieser es merkte, auf die Tragödie.

Die Ferne, in der sie vor sich geht, die Interessen, die man darin behandelt, und der Rang der Personen gaben ihnen gleichsam ein Gefühl von Größe.

Eines Tages nahm Bouvard »Atalie« zur Hand und trug den Traum so ausgezeichnet vor, daß Pécuchet ihn seinerseits versuchen wollte. Gleich von den ersten Worten an verlor sich seine Stimme in einer Art Gemurmel. Sie war eintönig und trotz ihrer Stärke undeutlich.

Bouvard, der voller Erfahrung darin war, riet ihm, um sie geschmeidig zu machen, sie vom tiefsten bis zum höchsten Tone und umgekehrt zu entfalten – indem er zwei Tonleitern, eine steigende und eine fallende, übte – und er selbst gab sich dieser Übung morgens in seinem Bette hin, nach der Vorschrift der Griechen auf dem Rücken liegend. Pécuchet übte während jener Zeit auf dieselbe Weise: ihre Tür war geschlossen, und sie blökten jeder für sich.

Was ihnen an der Tragödie gefiel, war der Schwung, die Reden über Politik, die verderbten Grundsätze.

Sie lernten die berühmtesten Dialoge aus Racine und Voltaire auswendig, und sie sagten sie im Hausflur her. Gerade wie im Théâtre Français ging Bouvard, die Hand auf Pécuchets Schulter gelegt, indem er von Zeit zu Zeit stehen blieb, und er breitete, die Augen rollend, die Arme aus, klagte das Schicksal an. Er hatte im »Philoktet« von La Harpe wundervolle Schmerzensschreie, in »Gabrielle von Vergy« ein reizendes Schluchzen, und wenn er Dionys, den Tyrannen von Syrakus, darstellte, hatte er eine Art, seinen Sohn anzusehen, wenn er ihn: »Ungeheuer, meiner würdig!« anredete, die wirklich schrecklich war. Pécuchet geriet darüber aus seiner Rolle. Die Mittel fehlten ihm, nicht der gute Wille.

Einmal kam ihm in der »Kleopatra« von Marmontel der Gedanke, das Zischen der Natter wiederzugeben, so wie es der zu dem Zwecke von Vaucanson erfundene Automat hatte hervorbringen müssen. Es mißlang, und der verunglückte Versuch gab ihnen bis zum Abend zu lachen. Die Tragödie sank in ihrer Achtung.

Bouvard war ihrer zuerst müde, und indem er mit Freimut darüber sprach, zeigte er, wie künstlich und hinkend sie sei, wie dumm ihre Mittel und wie lächerlich die Vertrauten.

Sie machten sich an die Komödie, die Schule der feinen Nuancen. Man muß die Sätze zergliedern, die einzelnen Worte hervorheben, die Silben wägen. Pécuchet konnte nicht damit fertig werden und scheiterte vollständig in »Célimène«.

Zudem fand er die Liebenden sehr kühl, die Klugschwätzer langweilig, die Diener unausstehlich, Clitander und Sganarelle ebenso falsch wie Ägisth und Agamemnon.

Blieb die ernste Komödie oder bürgerliche Tragödie, in der man trostlose Familienväter, Diener, die ihre Herren retten, Reiche, die ihr Vermögen verschenken, unschuldige Näherinnen und elende Verführer sieht, ein Genre, das sich von Diderot bis zu Pixérécourt fortsetzt. Alle diese Tugend predigenden Stücke stießen sie durch ihre Trivialität ab.

Das Drama von 1830 entzückte sie durch seine Bewegung, seine Farbe, seine Jugendfrische.

Sie machten durchaus keinen Unterschied zwischen Victor Hugo, Dumas oder Bouchardy, und die Sprache durfte nicht mehr pomphaft oder fein, sondern mußte lyrisch, regellos sein.

Als Bouvard eines Tages versuchte, Pécuchet das Spiel Frédéric Lemaîtres beizubringen, erschien plötzlich Frau Bordin in ihrem grünen Schal, einen Band Pigault-Lebrun in der Hand, den sie zurückbrachte, denn die Herren hatten die Gefälligkeit, ihr zuweilen Romane zu leihen.

»Aber fahren Sie fort!« denn sie stand dort seit einer Minute und hörte ihnen mit Vergnügen zu.

Sie machten Ausflüchte. Sie wurde dringend.

»Lieber Gott!« sagte Bouvard, »nichts hindert uns!«

Pécuchet schützte aus falscher Scham vor, sie könnten nicht ohne Vorbereitung und ohne Kostüm spielen.

»In der Tat! wir müßten uns verkleiden!«

Und Bouvard suchte nach irgendeinem Gegenstand, fand nur die Zipfelmütze und setzte sie auf.

Da der Flur nicht breit genug war, gingen sie in den Salon hinab.

Spinnen liefen an den Wänden entlang, und die den Boden versperrenden geologischen Proben hatten weißen Staub über den Samt der Sessel gelegt. Über den am wenigsten schmutzigen breitete man ein Wischtuch, damit Frau Bordin sich setzen konnte.

Man mußte ihr etwas Ordentliches bieten. Bouvard war ein Verehrer des »Turms von Nesle«. Aber Pécuchet fürchtete sich vor den Rollen, die zu viel Spiel erfordern.

»Sie wird Klassisches vorziehen! Wie wär's mit Phädra?«

»Ausgezeichnet!«

Bouvard erzählte die Fabel. – »Es ist eine Königin, deren Gatte von einer anderen Frau einen Sohn hat. Sie ist toll verliebt in den jungen Mann, – bist du bereit? Dann also los!«

» Ja, Prinz, ich schmachte, ich bin entbrannt für Theseus. Ich liebe ihn.«

Und während er zu Pécuchet von der Seite sprach, bewunderte er dessen Haltung, Gesicht, »dies Haupt, das mich berückt,« jammerte, ihn nicht auf den griechischen Schiffen gesehen zu haben, hätte sich mit ihm ins Labyrinth verlieren mögen.

Die Quaste der roten Mütze neigte sich verliebt, – und seine zitternde Stimme und sein gutes Gesicht beschworen den Grausamen, mit seiner Liebesraserei Mitleid zu haben. Pécuchet ächzte, um Erregung zu zeigen, während er sich umwandte.

Frau Bordin, die regungslos zuhörte, riß die Augen auf wie vor Taschenspielern; Mélie horchte hinter der Tür. Gorju sah ihnen in Hemdsärmeln durch das Fenster zu.

Bouvard begann die zweite Tirade. Sein Spiel drückte die Raserei der Sinne aus, Gewissensbisse, Verzweiflung; und er stürzte sich mit solcher Gewalt auf das hinzugedachte Schwert Pécuchets, daß er, zwischen den Steinen stolpernd, beinahe hinfiel.

»Lassen Sie sich dadurch nicht stören! Dann kommt Theseus, und sie vergiftet sich!«

»Arme Frau!« sagte Frau Bordin.

Schließlich baten sie sie, ihr ein Stück anzugeben.

Die Wahl machte ihr Verlegenheit. Sie hatte nur drei Stücke gesehen: »Robert der Teufel« in der Hauptstadt, »Der junge Gatte« in Rouen, und ein drittes in Falaise, das sehr lustig war, und das man »Die Karre des Essigkrämers« nannte.

Endlich schlug ihr Bouvard die große Szene aus dem dritten Akt des »Tartufe« vor.

Pécuchet hielt eine Erklärung für nötig:

»Man muß wissen, daß Tartufe …«

Frau Bordin unterbrach ihn: »Das ist bekannt, was ein Tartufe ist!«

Bouvard hatte wegen einer bestimmten Stelle ein Kostüm gewünscht.

»Ich sehe nur das Mönchsgewand,« sagte Pécuchet.

»Einerlei! nimm es!«

Er kam damit zurück, einen Molière in der Hand.

Der Anfang war mittelmäßig. Doch als Tartufe wagt, Elmirens Knie zu streicheln, sagte Pécuchet im Ton eines Gendarmen:

» Was will da Ihre Hand?«

Bouvard erwiderte sehr schnell mit süßer Stimme:

» Ich befühle Ihr Gewand, sein Stoff ist seidenweich.«

Seine Augen flammten, er bot den Mund dar, schnob, sah äußerst sinnlich aus, wandte sich schließlich Frau Bordin zu.

Die Blicke dieses Mannes setzten sie in Verlegenheit, – und als er einhielt, unterwürfig und zitternd, suchte sie fast nach einer Antwort.

Pécuchet nahm seine Zuflucht zum Buch: »Die Erklärung ist höchst galant.«

»Ah, ja!« rief sie, »das ist ein hübscher Verführer.«

»Nicht wahr?« erwiderte stolz Bouvard. »Doch hier ist etwas anderes von modernerem Zuschnitt. Und nachdem er seinen Rock abgelegt hatte, kauerte er auf einem Bruchsteine nieder und rezitierte mit zurückgelehntem Kopf:

Laß deiner Augen Flammen versengen meine Wimpern,
Sing mir ein Lied, wie zuweilen am Abend
Du mir es sangst, mit Tränen im dunklen Aug'.

»Das ähnelt mir,« dachte sie.

Laß uns glücklich sein und trinken, denn der Becher ist gefüllt.
Denn die Stunde ist unser und der Rest ist Torheit!

»Wie komisch Sie sind!«

Und sie lachte mit kurzem Lachen, das ihren Busen hob und ihre Zähne entblößte.

          Ist's nicht süß,
Zu lieben und zu wissen, daß kniend man Euch liebt?

Er kniete nieder.

»Bringen Sie es doch zu Ende!«

O, laß mich schlafen und träumen an Deiner Brust,
Dona Sol, meine Schönheit, meine Liebe.

»Hier hört man die Glocken, ein Mann aus dem Gebirge stört sie.«

»Glücklicherweise! denn sonst …!« Und Frau Bordin lächelte, anstatt ihren Satz zu beenden. Die Dämmerung fiel. Frau Bordin erhob sich.

Es hatte eben geregnet, und der Weg durch den Buchengang war nicht bequem; es war besser, über die Felder nach Hause zu gehen. Bouvard begleitete sie in den Garten, um ihr die Tür zu öffnen.

Zuerst gingen sie an den Pyramiden-Bäumchen entlang, ohne zu reden. Er war noch von seiner Rezitation erregt, – und sie empfand auf dem Grunde der Seele etwas wie eine Überraschung, einen Zauber, der von der Literatur herrührte. Die Kunst erschüttert bei gewissen Anlässen die mittelmäßigen Geister, – und durch die plumpsten Interpreten können Welten geoffenbart werden.

Die Sonne war wieder hervorgekommen, ließ die Blätter erglänzen, warf hier und dort leuchtende Flecke durch das Dickicht. Drei Sperlinge hüpften zirpend auf dem Stumpf einer gefällten alten Linde. Ein blühender Dorn breitete seine rote Garbe aus, schwerer Flieder neigte sich herab.

»Ach! das tut gut!« sagte Bouvard, indem er die Luft in vollen Zügen einsog.

»Sie strengen sich aber auch dabei an!«

»Ich will nicht sagen, daß ich Talent habe, aber was das Feuer betrifft, das besitze ich.«

»Man sieht …,« fuhr sie fort, indem sie zwischen den Worten einhielt, »daß Sie …geliebt haben …früher!«

»Früher nur, glauben Sie!«

Sie blieb stehen.

»Das kann ich nicht wissen!«

Was wollte sie damit sagen? Und Bouvard fühlte sein Herz klopfen.

Eine Wasserlache inmitten des Sandes, die sie zu einem Umwege zwang, nötigte sie, unter den Laubengang zu gehen.

Dann plauderten sie von der Vorstellung.

»Wie heißt Ihr letztes Stück?«

»Es ist aus ›Hernani‹, einem Drama.«

»Ach!« dann langsam und wie zu sich selbst: »Es muß recht angenehm sein, wenn ein Herr einem derartige Sachen sagt, – im Ernst.«

»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung,« antwortete Bouvard.

»Sie?«

»Ja! Ich!«

»Welch ein Scherz!«

»Nicht im allergeringsten!«

Und nachdem er einen Blick umhergeworfen hatte, faßte er sie um die Taille und küßte sie kräftig auf den Nacken.

Sie wurde sehr bleich, als wenn sie ohnmächtig werden wollte, – und sie suchte mit einer Hand einen Halt an einem Baum; dann schlug sie die Augen auf und schüttelte den Kopf.

»Das ist vorbei!«

Er sah sie verdutzt an.

Als das Tor geöffnet war, trat sie auf die Schwelle der kleinen Pforte. Ein Wassergraben strömte auf der anderen Seite. Sie raffte ihren faltigen Rock in die Höhe und stand unentschlossen am Rande.

»Soll ich Ihnen helfen?«

»Nicht nötig.«

»Warum?«

»Ach! Sie sind zu gefährlich!«

Und bei dem Sprunge, den sie machte, zeigte sich ihr weißer Strumpf.

Bouvard machte sich Vorwürfe, die Gelegenheit nicht benutzt zu haben. Bah, sie würde sich wiederfinden, – und dann sind die Frauen nicht alle gleich. Diesen muß man schnell zusetzen, mit jenen verdirbt man es, wenn man sich kühn zeigt. Im ganzen war er mit sich zufrieden – und wenn er seine Hoffnung Pécuchet nicht anvertraute, so geschah es aus Furcht vor Bemerkungen, und keineswegs aus Zartgefühl.

Von jenem Tage an rezitierten sie vor Mélie und Gorju, während sie zugleich bedauerten, kein Salontheater zu haben.

Die kleine Magd belustigte sich dabei, ohne etwas zu verstehen, verdutzt über die Sprache, gefesselt durch das Summen der Verse. Gorju äußerte seinen Beifall bei den philosophischen Stellen der Tragödie und bei allem, was es für das Volk in den Melodramen gab! – derart, daß sie, über seinen Geschmack entzückt, daran dachten, ihm Stunden zu geben, um ihn später Schauspieler werden zu lassen. Diese Aussicht blendete den Handwerker.

Das Gerede von ihrer Betätigung hatte sich verbreitet. Vaucorbeil erzählte es ihnen in spöttelnder Weise. Allgemein verachtete man sie.

Sie stiegen dadurch in ihrer Selbstachtung. Sie weihten sich der Kunst. Pécuchet trug einen Schnurrbart, und Bouvard wußte nichts Besseres bei seiner runden Physiognomie und seiner Kahlheit, als »einen Bérangerkopf« abzugeben.

Schließlich faßten sie den Plan, ein Stück zu schreiben.

Das schwierige war, einen Stoff zu finden.

Sie suchten während des Frühstücks darnach, und sie tranken Kaffee, die für das Hirn unentbehrliche Flüssigkeit, dann zwei bis drei Gläschen Schnaps. Sie legten sich auf ihrem Bette schlafen; darauf stiegen sie in den Obstgarten, schritten auf und ab, gingen schließlich aus, um draußen die Inspiration zu suchen, wanderten Seite an Seite und kehrten erschöpft heim.

Oder sie schlossen sich ein. Bouvard säuberte den Tisch, legte Papier vor sich hin, tauchte die Feder ein, und seine Augen blieben an der Decke kleben, während Pécuchet sinnend, mit ausgestreckten Beinen und gesenktem Haupte, im Sessel saß.

Zuweilen spürten sie ein Erschauern und etwas wie das Wehen eines Gedankens; im Augenblick, wo sie ihn fassen wollten, war er verschwunden.

Doch gibt es Methoden, um Stoffe zu entdecken. Man wählt aufs Geratewohl einen Titel, und ein Ereignis ergibt sich daraus; man entwickelt ein Sprichwort; man verschmilzt mehrere Abenteuer zu einem einzigen. Keines dieser Mittel führte zum Ziele. Sie durchblätterten vergeblich die Anekdotensammlungen, mehrere Bände berühmter Kriminalfälle, eine Menge Geschichten.

Und sie träumten davon, im Odeon aufgeführt zu werden, dachten ans Schauspiel, sehnten sich nach Paris.

»Ich war zum Schauspieler geboren und nicht dazu, mich auf dem Lande zu vergraben!« sagte Bouvard.

»Ich desgleichen,« antwortete Pécuchet.

Es kam ihnen eine Erleuchtung; wenn es ihnen so schwer wurde, so lag das daran, daß sie die Regeln nicht kannten.

Und sie studierten sie in der »Praxis des Theaters« und einigen anderen weniger aus der Mode gekommenen Werken.

Wichtige Fragen werden darin behandelt: ob die Komödie in Versen abgefaßt werden kann; – ob die Tragödie nicht die Grenzen überschreitet, wenn sie ihren Stoff der modernen Geschichte entlehnt; – ob die Helden tugendhaft sein sollen; – welche Art von Schurken sie verträgt; – bis zu welchem Grade das Schreckliche darin erlaubt ist; – daß die Einzelheiten einen einzigen gemeinsamen Endzweck haben, daß das Interesse sich steigere, daß der Schluß dem Anfang entspreche, natürlich!

Erfindet Motive, die mich zu fesseln vermögen, sagt Boileau.

Wie Motive erfinden?

Bei allem, was ihr sagt, muß Leidenschaft sich regen, zu Herzen gehn, es rühren und erwärmen.

Wie das Herz erwärmen?

Also genügen die Regeln nicht; es ist außerdem Genie nötig.

Und auch das Genie genügt nicht. Corneille verstand der französischen Akademie zufolge nichts vom Theater. Geoffroy verunglimpfte Voltaire. Racine wurde von Subligny verhöhnt. La Harpe brüllte beim Namen Shakespeares.

Da die alte Kritik sie anwiderte, wollten sie die moderne kennen lernen, und sie ließen sich die Theaterberichte der Zeitungen kommen.

Welche Sicherheit! Welches Voreingenommensein! Welche Unredlichkeit! Meisterwerke werden verunglimpft, Plattheiten in den Himmel gehoben – und die Eseleien jener, die für bedeutend gelten, und die Dummheiten dieser, die man als geistreich hinstellt!

Doch vielleicht muß man sich auf das Publikum verlassen.

Aber manchmal mißfielen ihnen Werke, die beklatscht worden waren, und an den ausgepfiffenen behagte ihnen manches.

So ist die Meinung der Leute von Geschmack unzuverlässig und das Urteil der Menge unverständlich.

Bouvard stellte Barberou vor das Dilemma. Pécuchet wiederum schrieb an Dumouchel.

Der ehemalige Handlungsreisende war erstaunt über die Verstumpfung, die die Provinz bewirkt hätte, sein alter Bouvard zähle zum alten Eisen, kurz, »sei nicht wiederzuerkennen«.

Das Theater sei eine Absatzware wie eine andere. Das gehöre zum Artikel Paris. – Man geht ins Schauspiel, um sich zu zerstreuen. Dasjenige ist gut, welches belustigt.

»Einfaltspinsel,« rief Pecuchet, »was dich belustigt, ist nicht das, was mich belustigt, und die andern und du selber, ihr werdet seiner später müde werden. Wenn die Stücke durchaus geschrieben sind, um aufgeführt zu werden, wie kommt es, daß die besten immer nur gelesen werden?« Und er wartete auf Dumbuchels Antwort.

Dem Professor zufolge bewies die erste Aufnahme eines Stückes nichts. Der »Misanthrop« und »Athalie« wären durchgefallen. »Zaïre« werde nicht mehr verstanden. Wer spricht heute von Ducange und von Picard? Und er erinnerte sie an alle großen Erfolge der Zeit von »Fanchon la Vielleuse« bis zu »Gaspardo le Pêcheur«, beklagte den Verfall unserer Bühne. Der Grund desselben ist die Mißachtung der Literatur oder vielmehr des Stils.

Da fragten sie sich, worin eigentlich der Stil bestehe, und sie erfuhren das Geheimnis aller seiner Arten dank den von Dumouchel angegebenen Autoren.

Wie man den majestätischen, den temperierten, den naiven erhält, die Wendungen, die edel, und die Worte, die gemein sind. »Hunde« wird durch »gefräßig« gehoben. »Speien« gebraucht man nur in figürlichem Sinne. »Fieber« wird für Leidenschaften verwandt. »Tapferkeit« nimmt sich schön im Verse aus.

»Wenn wir Verse machten?« sagte Pécuchet.

»Später! Halten wir uns zunächst an die Prosa.«

Es wird ausdrücklich empfohlen, einen Klassiker zum Muster zu nehmen, aber alle haben ihre Gefahren, und nicht nur ihr Stil ist fehlerhaft, sondern auch ihre Sprache.

Eine solche Behauptung brachte Bouvard und Pécuchet aus der Fassung, und sie machten sich an das Studium der Grammatik.

Haben wir in unserer Sprache den bestimmten und den unbestimmten Artikel wie im Latein? Die einen sagen ja, die anderen nein. Sie wagten nicht, sich zu entscheiden.

Das Subjekt stimmt stets mit dem Verb überein, ausgenommen in den Fällen, wo das Subjekt nicht mit ihm übereinstimmt.

Früher unterschied man nicht zwischen dem Verbaladjektiv und dem Partizip des Präsens; doch die Akademie stellt eine Unterscheidung auf, die wenig bequem zu erfassen ist.

Sie waren glücklich, zu erfahren, daß »leur« als Pronomen von Personen, aber auch von Sachen gebraucht wird, während »où« und »en« von Sachen und zuweilen von Personen gebraucht werden.

Soll man sagen »Cette femme a l'air bon« oder »l'air bonne«? – »une bûche de bois sec« oder »de bois sèche«, – »ne pas laisser de« oder »que de«, – »une troupe de voleurs survint« oder »survinrent«?

Weitere Schwierigkeiten: »Autour« und »à l'entour«, zwischen denen Racine und Boileau keinen Unterschied machten; – »imposer« oder »en imposer«, Synonyme bei Massillon und Voltaire; »croasser« und »coasser«, die von Lafontaine verwechselt werden, der doch einen Raben von einem Frosch unterscheiden konnte.

Die Grammatiker sind sich allerdings nicht einig. Diese sehen eine Schönheit, wo jene einen Fehler entdecken. Sie stellen Prinzipien auf, deren Folgen sie nicht gelten lassen wollen, und sie erkennen Folgen an, deren Prinzipien sie ablehnen, stützen sich auf die Überlieferung, verwerfen die Meister und haben sonderbare Feinheiten. Manage gibt »nentilles« und »castonade« den Vorzug vor »lentilles« und »cassonade«. Bouhours verlangt »jérarchie« und nicht »hiérarchie« und Herr Chapsal »les œils de la soupe«.

Pécuchet besonders war über Jénin erstaunt. Wie? »des z'annetons« sollte besser sein als »des hannetons«, »des z'aricots« als »des haricots«, – und unter Ludwig XIV. sprach man »Roume« und Herr von »Lioune« aus, anstatt »Rome« und Herr von »Lionne«!

Littré gab ihnen den Gnadenstoß durch die Versicherung, daß es niemals eine wirkliche Rechtschreibung gegeben habe, und daß es niemals eine geben werde.

Sie schlossen daraus, daß die Syntax Phantasie und die Grammatik Täuschung sei.

Übrigens verkündete zu jener Zeit eine neue Rhetorik, man solle schreiben wie man spricht, und alles werde sich gut ausnehmen, wofern man nur empfunden, beobachtet habe.

Da sie empfunden und ihrer Ansicht nach auch beobachtet hatten, hielten sie sich der Schriftstellerei für fähig; ein Theaterstück wird durch die Enge des Rahmens schwierig, doch der Roman hat größere Freiheit. Sie suchten, um einen zu schreiben, nach Stoff in ihren Erinnerungen.

Pécuchet erinnerte sich eines seiner Bureauchefs, eines ganz niederträchtigen Menschen, und der Ehrgeiz packte ihn, sich an ihm durch ein Buch zu rächen.

Bouvard hatte in der Kneipe einen alten Schreiblehrer gekannt, einen Trunkenbold und heruntergekommenen Menschen. Nichts wäre spaßiger als diese Persönlichkeit.

Nach Verlauf einer Woche gedachten sie, diese Vorwürfe in einen zu verschmelzen, – und dabei blieben sie stehen, gingen zu den folgenden über: eine Frau, die das Unglück einer Familie verursacht, – eine Frau, ihr Gatte und ihr Liebhaber, – eine Frau, die infolge fehlerhafter Bildung tugendhaft ist, ein Ehrgeiziger, ein schlechter Priester.

Sie versuchten mit diesen unbestimmten Konzeptionen Dinge zu verbinden, die ihr Gedächtnis ihnen lieferte, kürzten, fügten hinzu.

Pécuchet war für Empfindung und Gedanken, Bouvard für das Bild und die Farbe, – und sie fingen an, einander nicht mehr zu verstehen; jeder war erstaunt, den andern so beschränkt zu finden.

Die Wissenschaft, welche man Ästhetik nennt, würde vielleicht ihre Meinungsverschiedenheiten beseitigen. Ein Freund Dumouchels, Professor der Philosophie, schickte ihnen ein Verzeichnis von Werken über die Materie. Sie arbeiteten jeder für sich und teilten einander ihre Betrachtungen mit.

Zunächst, was ist das Schöne?

Für Schelling ist es das Unendliche, das sich im Endlichen ausdrückt; für Reid eine okkulte Eigenschaft; für Jouffroy ein unteilbares Etwas; für De Maistre das, was der Tugend gefällt; für den Pater André das, was der Vernunft entspricht.

Und es gibt mehrere Arten des Schönen: ein Schönes in den Wissenschaften, die Geometrie ist schön; ein Schönes in den Sitten, man kann nicht bestreiten, daß der Tod des Sokrates schön sei. Ein Schönes im Tierreich. Die Schönheit des Hundes besteht in seinem Geruch. Ein Schwein kann nicht schön sein in Anbetracht seiner unreinen Gewohnheiten; eine Schlange ebenfalls nicht, denn sie erweckt in uns Gedanken von Niedertracht.

Blumen, Schmetterlinge, Vögel können schön sein. Schließlich ist die erste Bedingung des Schönen die Einheit in der Mannigfaltigkeit; das ist das Prinzip.

»Indessen,« sagt Bouvard, »sind zwei schielende Augen abwechslungsreicher als zwei gerade blickende und machen doch einen weniger guten Eindruck – gewöhnlich wenigstens.«

Sie machten sich an die Frage des Erhabenen.

Gewisse Dinge sind an und für sich erhaben, das Getöse eines Stromes, tiefe Finsternis, ein durch einen Sturm umgerissener Baum. Ein Charakter ist schön, wenn er triumphiert, und erhaben, wenn er kämpft.

»Ich verstehe,« sagte Bouvard, »das Schöne ist das Schöne und das Erhabene das Sehr schöne.« – Wie die beiden unterscheiden?

»Vermittels des Takts,« sagte Pécuchet.

»Und der Takt, woher kommt der?«

»Vom Geschmack!«

»Worin besteht denn der Geschmack?«

Man definiert ihn als eine besondere Unterscheidungsfähigkeit, ein schnelles Urteilsvermögen, die Überlegenheit, gewisse Beziehungen zu durchschauen.

»Schließlich ist der Geschmack der Geschmack, – und alles das sagt nicht, wie man dazu kommt.«

Man soll das Wohlanständige beobachten, – aber das Wohlanständige zeigt Unterschiede, – und wie vollkommen auch ein Werk sei, es wird niemals einwandfrei sein. Es gibt indessen ein unvergängliches Schönes, über dessen Gesetze wir in Unkenntnis sind, denn seine Entstehung ist von Geheimnissen umhüllt.

Da eine Idee nicht durch alle Formen ausgedrückt werden kann, so müssen wir Grenzen zwischen den Künsten anerkennen, und in jeder Kunst wieder mehrere Unterarten; doch entstehen Mischarten dort, wo man den Stil der einen in die andere übergehen läßt aus Furcht, vom Endzweck abzugeraten, nicht wahr zu sein.

Die zu getreue Anwendung des Wahren schadet der Schönheit; und die Bevorzugung der Schönheit ist dem Wahren hinderlich; indessen, ohne Ideal keine Wahrheit; – deshalb ist der Typus von dauerhafterer Realität als ein Porträt. Zudem geht die Kunst nur auf wahrscheinliche Ähnlichkeit aus, diese jedoch hängt vom Beobachter ab, ist etwas Relatives, Vergängliches.

So verloren sie sich in Spitzfindigkeiten. Bouvard glaubte immer weniger an die Ästhetik.

»Wenn sie kein Schwindel ist, so muß ihre Gesetzmäßigkeit sich an Beispielen erweisen lassen. Nun höre!«

Und er las eine Notiz, die er nach langem Suchen gefunden hatte.

»Bouhours wirft Tacitus vor, er lasse die Schlichtheit vermissen, welche die Geschichte verlangt.«

»Herr Droz, ein Professor, tadelt Shakespeare, weil er Ernstes und Komisches durcheinander mischt. Nisard, ebenfalls Professor, findet, daß André Chénier als Poet unter dem Niveau des siebzehnten Jahrhunderts stehe. Blair, ein Engländer, beklagt bei Virgil das Bild der Harpyen. Marmontel seufzt über die Freiheiten, die Homer sich erlaubt. Lamotte läßt die Unsterblichkeit seiner Helden nicht gelten. Vida entrüstet sich über seine Vergleiche. Kurz, alle diese Verfertiger von Rhetoriken, Poetiken und Ästhetiken scheinen mir Einfaltspinsel zu sein!«

»Du übertreibst!« sagte Pécuchet.

Zweifel quälten ihn, – denn wenn die mittelmäßigen Geister (wie Longin bemerkt), unfähig sind, Fehler zu machen, so sind die Fehler Sache der Meister, und man sollte sie bewundern? Das ist zu stark! Die Meister sind doch die Meister! Er hätte die Doktrinen mit den Werken, die Kritiker mit den Dichtern in Einklang setzen wollen, die Wesenheit des Schönen erfassen, – und diese Fragen setzten ihm so zu, daß seine Galle davon in Fluß kam. Er bekam eine Gelbsucht.

Sie war in ihrem höchsten Stadium angelangt, als Marianne, die Köchin der Frau Bordin, kam, um Bouvard um eine Unterredung zu bitten.

Seit der dramatischen Sitzung hatte die Witwe sich nicht wieder blicken lassen. – Sollte das ein Annäherungsversuch sein? Doch wozu Mariannens Vermittlung? Und die ganze Nacht hindurch kam seine Phantasie nicht zur Ruhe.

Am folgenden Morgen ging er gegen zehn im Hausflur auf und ab und schaute von Zeit zu Zeit durchs Fenster; die Schelle ertönte. Es war der Notar.

Er durchschritt den Hof, stieg die Treppe empor, setzte sich in den Sessel, und nachdem die ersten Höflichkeiten ausgetauscht, sagte er, daß er vorangegangen sei, müde, Frau Bordin zu erwarten. Sie wünsche Bouvard die Ecalles abzukaufen.

Bouvard überlief es kalt, und er ging in Pécuchets Zimmer hinüber.

Pécuchet wußte nicht, was er antworten sollte. Er war in Aufregung, – da Herr Vaucorbeil jeden Augenblick kommen mußte.

Endlich kam sie. Ihre Verspätung erklärte sich aus der Sorgfalt ihrer Toilette: ein Kaschmir, ein Hut, Glacéhandschuhe, der Anzug, der zu feierlichen Gelegenheiten gehört.

Nach vielen Umschweifen fragte sie, ob tausend Taler nicht genug sein würden.

»Ein Acker für tausend Taler? Unmöglich!«

Sie blinzelte mit den Augen: »Ach! für mich!«

Und alle drei verstummten. Herr von Faverges trat ein.

Er trug wie ein Advokat eine Mappe aus Saffianleder, – und indem er sie auf den Tisch legte:

»Da sind Flugblätter! Sie beziehen sich auf die Reform, – eine brennende Frage; doch hier ist etwas, das ohne Zweifel Ihnen gehört!« Und er reichte Bouvard den zweiten Band der »Memoiren des Teufels«.

Mélie habe ihn gerade eben in der Küche gelesen; und da man die Gewohnheiten dieser Leute überwachen müsse, habe er recht daran zu tun geglaubt, ihr das Buch fortzunehmen.

Bouvard hatte ihn seiner Magd geliehen. Man plauderte über Romane.

Frau Bordin liebte sie, wenn sie nicht traurig waren.

»Die Schriftsteller,« sagte Herr von Faverges, »stellen uns das Leben in schmeichlerischen Farben dar!«

»Das Darstellen ist notwendig!« wandte Bouvard ein.

»Dann also braucht man nur dem Beispiel zu folgen!«

»Es handelt sich nicht um ein Beispiel!«

»Jedenfalls werden Sie zugeben, daß sie in die Hände eines jungen Mädchens geraten können. Ich habe eine Tochter.«

»Eine reizende Tochter!« sagte der Notar, wobei er das Gesicht machte, das er aufsetzte, wenn er Verlobten ihren Heiratskontrakt vorlas.

»Nun wohl! ihretwegen, oder vielmehr wegen der Personen ihrer Umgebung, verbiete ich die Bücher in meinem Hause, denn das Volk, verehrter Herr …!«

»Was hat das Volk verbrochen?« fragte Vaucorbeil, der plötzlich auf der Schwelle erschien.

Pécuchet, der ihn an seiner Stimme erkannt hatte, trat zu den Anwesenden.

»Ich behaupte, daß man eine gewisse Lektüre von ihm fernhalten muß.«

Vaucorbeil gab eine Erwiderung. – »Sie sind also nicht für die Bildung?«

»Aber durchaus! Erlauben Sie!«

»Wenn man alle Tage die Regierung angreift!« sagte Marescot.

»Was ist schlimmes daran?«

Und der Edelmann und der Arzt begannen, auf Louis Philippe zu schimpfen, indem sie auf die Affäre Pritchard, die Septembergesetze gegen die Freiheit der Presse wiesen.

»Und die des Theaters!« fügte Pécuchet hinzu.

Marescot hielt nicht mehr an sich. »Es erlaubt sich zu viel, Ihr Theater!«

»Darin gebe ich Ihnen recht!« sagte der Graf, »Stücke, die den Selbstmord verherrlichen!«

»Der Selbstmord ist schön! Beweis Cato,« wandte Pécuchet ein.

Ohne auf das Argument zu antworten, brandmarkte Herr von Faverges jene Werke, in denen die heiligsten Dinge, Familie, Eigentum, Ehe, verhöhnt werden!

»Nun, und Molière?« sagte Bouvard.

Marescot, als Mann von Geschmack, erwiderte, daß Molière nicht mehr gespielt werde und etwas überschätzt worden sei.

»Schließlich,« sagte der Graf, »war Viktor Hugo ohne Erbarmen, ja ohne Erbarmen für Marie Antoinette, indem er die Gestalt der Königin in der Person Marie Tudors durch den Schmutz zog!«

»Wie!« rief Bouvard, »ich habe als Autor nicht das Recht …«

»Nein, mein Herr, Sie haben nicht das Recht, uns das Verbrechen zu zeigen, ohne ihm die Moral gegenüberzustellen, ohne uns eine Belehrung zu bieten.«

Vaucorbeil fand ebenfalls, die Kunst müsse einen Zweck haben: sie solle die Besserung der Massen im Auge haben! »Man besinge die Wissenschaft, unsere Entdeckungen, den Patriotismus,« und er bewunderte Casimir Delavigne.

Frau Bordin rühmte den »Marquis von Foudras«. Der Notar fuhr fort:

»Doch vergessen Sie nicht die Sprache!«

»Wieso, die Sprache?«

»Man meint den Stil!« schrie Pécuchet. »Finden Sie, daß seine Werke gut geschrieben seien?«

»Gewiß, sie sind sehr interessant!«

Er zuckte die Achseln, – und sie errötete über die Impertinenz.

Mehrere Male hatte Frau Bordin versucht, auf ihre Angelegenheit zurückzukommen. Es war zu spät, um den Handel abzuschließen. Sie verließ das Haus am Arme Marescots.

Der Graf verteilte seine Pamphlete und empfahl, sie unter die Leute zu bringen.

Vaucorbeil wollte aufbrechen, als Pécuchet ihn festhielt.

»Sie vergessen mich, Doktor.«

Sein gelbes Gesicht mit dem Schnurrbart und den schwarzen Haaren, die unter einem schlecht umgebundenen Tuche herabhingen, sah jammervoll aus.

»Purgieren Sie sich,« sagte der Arzt. Und indem er ihm wie einem Kinde zwei leichte Schläge gab: »Zu viel Nerven, zu viel Künstler!«

Diese Vertraulichkeit machte Pécuchet Vergnügen. Sie beruhigte ihn, – und sobald sie allein waren: »Du meinst, es sei nicht ernst?«

»Nein, wahrhaftig!«

Sie besprachen noch einmal, was sie soeben gehört hatten. Der Wert der Kunst besteht für jeden in der Seite, die seinen Interessen entspricht. Man liebt die Literatur nicht.

Dann durchblätterten sie die Druckschriften des Grafen. Alle verlangten das allgemeine Stimmrecht.

»Mir scheint,« sagte Pécuchet, »wir werden bald Krawall bekommen.« Denn er sah alles schwarz, vielleicht wegen seiner Gelbsucht.


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