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Traurige Tage begannen.
Aus Furcht vor Enttäuschungen studierten sie nicht mehr; die Einwohner von Chavignolles hielten sich von ihnen fern; die Zeitungen, soweit sie erscheinen durften, brachten keine Neuigkeiten, – und ihre Einsamkeit war tief, ihre Untätigkeit vollständig.
Zuweilen öffneten sie ein Buch und schlossen es wieder; wozu? An anderen Tagen kam ihnen der Gedanke, den Garten zu säubern; nach Verlauf einer Viertelstunde wurden sie von Müdigkeit ergriffen; oder ihren Gutshof zu besuchen; dann kamen sie, den Tod in der Seele, heim; oder sich um ihren Haushalt zu kümmern, dann fing Germaine an zu lamentieren; sie verzichteten darauf.
Bouvard wollte einen Katalog des Museums aufstellen; und erklärte den Krimskrams für stumpfsinnig.
Pécuchet lieh sich Langlois' Enten-Flinte, um Lerchen zu schießen; die Waffe platzte beim ersten Schuß und hätte ihn beinahe getötet.
Sie lebten also in jener ländlichen Langeweile, die so schwer lastet, wenn der weiße Himmel mit seiner Eintönigkeit ein hoffnungsarmes Herz umschmeichelt. Man horcht auf den Schritt eines Mannes in Holzschuhen, der an der Mauer entlang geht, oder auf die Regentropfen, die vom Dache auf die Erde fallen. Zuweilen streift ein abgefallenes Blatt die Scheibe, wirbelt umher und fliegt davon. Der Wind führt ein undeutliches Trauerläuten mit sich. Aus der Tiefe des Stalles brüllt eine Kuh.
Sie gähnten einander an, sahen in den Kalender, schauten auf die Uhr, erwarteten die Mahlzeiten; und der Horizont blieb immer der gleiche; geradeaus Felder, rechts die Kirche, links eine Reihe Pappeln; beständig wiegten sich ihre Wipfel im Nebel. Es war ein melancholischer Anblick.
Angewohnheiten, die früher jeder dem andern hingehen ließ, begannen, ihnen lästig zu werden. Pécuchets Vorliebe, sein Taschentuch auf das Tischtuch zu legen, war unausstehlich; Bouvard legte seine Pfeife nicht mehr aus der Hand und wiegte sich beim Sprechen hin und her. Hader entstand wegen der Gerichte oder der Qualität der Butter. Wenn sie zusammen waren, dachte jeder an etwas anderes.
Ein Ereignis hatte Pécuchet aus der Fassung gebracht.
Zwei Tage nach dem Aufstande in Chavignolles wollte er seinen politischen Verdruß spazieren fahren und geriet auf einen Weg, den dichtbelaubte Ulmen deckten; da hörte er hinter sich eine Stimme rufen: »Halt!«
Es war Frau Castillon. Sie rannte auf der anderen Seite, ohne ihn zu bemerken. Ein Mann, der vor ihr ging, wandte sich um. Es war Gorju; – und einen Klafter von Pécuchet entfernt, sprachen sie einander an, während die Baumreihe sie von ihm schied.
»Ist das wahr?« sagte sie, »du willst in den Kampf?«
Pécuchet glitt in den Graben, um das weitere Gespräch zu hören.
»Na ja!« erwiderte Gorju, »ich werde mich schlagen! Was geht dich das an?«
»Er fragt!« rief sie, die Hände ringend. »Aber wenn du getötet wirst, mein Schatz! O bleibe!« Und ihre blauen Augen flehten noch stärker als ihre Worte.
»Laß mich in Ruhe! Ich muß fort!«
Sie zeigte ein zorniges Hohnlächeln.
»Die andere hat es erlaubt, was?«
»Still davon!« Er erhob die geballte Faust.
»Nein, mein Freund! Nein! Ich schweige, ich sage nichts.« Und dicke Tränen liefen ihr die Wangen hinab bis in die Rüschen ihrer Halskrause.
Es war Mittag. Die Sonne strahlte über dem Gelände, das mit gelben Halmen bedeckt war. Ganz in der Ferne glitt langsam die Plane eines Wagens dahin. Eine schläfrige Stille lag in der Luft, – kein Vogelschrei, kein Insektensummen. Gorju hatte sich ein Spazierstöckchen geschnitten und schabte die Rinde davon ab. Frau Castillon erhob ihren Kopf nicht.
Die arme Frau dachte an die Vergeblichkeit ihrer Opfer, an die Schulden, die sie bezahlt, die Verpflichtungen, die sie für die Zukunft eingegangen, an ihren vernichteten Ruf. Anstatt zu klagen, erinnerte sie ihn an die ersten Zeiten ihrer Liebe, als sie ihn jede Nacht in der Scheune aufgesucht hatte, – so daß einmal ihr Gatte, da er einen Dieb vermutete, mit der Pistole aus dem Fenster geschossen hatte. Die Kugel steckte noch in der Mauer. »Von dem Augenblicke an, da ich dich gekannt, bist du mir schön wie ein Prinz erschienen. Ich liebe deine Augen, deine Stimme, deinen Gang, deinen Geruch!« Leiser fügte sie hinzu: »Ich bin toll vor Liebe zu dir!«
Er lächelte, in seinem Stolze geschmeichelt.
Sie faßte mit beiden Händen seine Flanken und bog, wie in Anbetung, ihren Kopf zurück.
»Mein teures Herz, mein süßer Schatz! meine Seele! mein Leben! Laß sehen, sprich, was willst du? – Geld? Es wird sich auftreiben lassen. Ich war im Unrecht! ich ärgerte dich! verzeih! und bestell dir Kleider beim Schneider, trink Champagner, amüsiere dich, ich erlaube dir alles, – alles.« Sie murmelte mit höchster Überwindung: »Sogar sie! …wenn du nur zu mir zurückkehrst!«
Er neigte sich über ihren Mund, einen Arm um ihre Taille, um sie am Fallen zu hindern, und sie stammelte: »Teures Herz! Süßer Schatz! wie schön du bist! mein Gott, wie schön du bist!«
Regungslos und keuchend sah Pécuchet über den Grabenrand ihnen zu.
»Keine Schwäche!« sagte Gorju, »ich brauchte nur die Post zu versäumen! Es steht ein ordentlicher Putsch in Aussicht; ich bin dabei! – Gib mir zehn Sous, damit ich dem Postschaffner einen Kaffee mit Schnaps bezahlen kann.«
Sie zog ein Fünffrankstück aus ihrer Börse. »Du wirst sie mir bald zurückerstatten. Hab ein wenig Geduld! Wie lange schon ist er gelähmt! denke doch! – Und wenn du wolltest, könnten wir zur Kapelle von La Croix-Janval gehen – und da, mein Schatz, wollte ich vor der heiligen Jungfrau schwören, dich zu heiraten, sobald er tot ist!«
»Je nun! er stirbt nie, dein Gatte!«
Gorju hatte die Hacken gewandt. Sie holte ihn ein; – und sich an seine Schultern klammernd:
»Laß mich mit dir gehen! Ich will deine Magd sein! Du hast jemanden nötig. Aber geh nicht fort! Verlaß mich nicht! Lieber den Tod! Töte mich!«
Sie schleppte sich auf den Knien, versuchend, seine Hände zu fassen, um sie zu küssen; ihre Haube fiel zu Boden, dann ihr Kamm, und ihre kurzen Haare lösten sich. Hinter den Ohren waren sie weiß, – und als sie ihn, heftig schluchzend, von unten mit ihren roten Augenlidern und ihren geschwollenen Lippen ansah, packte ihn die Wut; er stieß sie zurück.
»Fort mit dir, alte Hexe! Jetzt ist's aus!«
Als sie sich erhoben hatte, riß sie das goldene Kreuz ab, das an ihrem Halse hing, und es ihm nachwerfend:
»Da! Du Lump!«
Gorju ging davon, mit seinem Stock auf die Blätter der Bäume schlagend.
Frau Castillon weinte nicht. Sie verharrte mit offenem Munde und erloschenen Augen, ohne eine Bewegung zu machen, in Verzweiflung versteinert; sie war kein Wesen mehr, sondern ein zertrümmerter Gegenstand.
Was Pécuchet soeben belauscht hatte, war für ihn gleichsam wie die Entdeckung einer Welt, – einer ganzen Welt! – sie hatte einen blendenden Schimmer, eine üppige Blütenpracht, Ozeane, Stürme, Schätze, – und Abgründe von unendlicher Tiefe; – sie strömte Schrecken aus, was tat's! Er träumte von Liebe, wünschte sich sehnlichst, sie so zu fühlen wie sie, sie einzuflößen wie er.
Doch verabscheute er Gorju, – und auf der Wache kostete es ihm Mühe, ihn nicht zu verraten.
Der Liebhaber der Frau Castillon demütigte ihn durch seine schlanke Figur, seine gleichmäßigen Locken, seinen krausen Bart, seine erobernde Miene, während sein eigenes Haar wie eine feuchte Perücke an seinem Schädel klebte; er sah in seinem Rock aus wie eine lange Schlummerrolle, zwei Eckzähne fehlten ihm, und sein Gesichtsausdruck war unfreundlich. Er fand den Himmel ungerecht, kam sich vor wie ein Enterbter, und sein Freund liebte ihn nicht mehr.
Bouvard verließ ihn jeden Abend. Nach dem Tode seiner Frau hätte nichts ihn gehindert, sich wieder zu verheiraten; – wer sollte ihn jetzt verhätscheln, sein Haus besorgen? Er war zu alt, um an dergleichen zu denken.
Doch Bouvard betrachtete sich im Spiegel. Seine Backen hatten ihre Farbe behalten, seine Haare lockten sich wie früher; nicht ein einziger Zahn war lose geworden, – und bei dem Gedanken, daß er gefallen könne, kam ihm das Gefühl der Jugend zurück. Frau Bordin tauchte in seiner Erinnerung auf. Sie hatte sich ihm gegenüber entgegenkommend gezeigt, zuerst bei dem Brande der Schober, dann bei ihrem Diner, schließlich während der Deklamation im Museum, und letzthin war sie, ohne ihm etwas nachzutragen, drei Sonntage nacheinander gekommen. Er machte ihr also einen Besuch, fand sich öfter ein und nahm sich vor, sie zu verführen.
Seit dem Tage, an welchem Pécuchet die kleine Magd beim Wasserpumpen beobachtet hatte, sprach er öfter mit ihr; – und mochte sie nun den Flur fegen oder Wäsche ausbreiten oder in den Kochtöpfen rühren, er konnte sich an dem Glücke, sie anzusehen, nicht genug tun, – selbst überrascht über seine Erregung, wie in der Jugend. Sie verursachte ihm Fieber und Sehnen, – und die Erinnerung an Frau Castillon, die Gorju herzte, verfolgte ihn.
Er fragte Bouvard, wie die Lüstlinge es anstellten, die Frauen zu verführen.
»Man macht ihnen Geschenke, man hält sie im Restaurant frei.«
»Gut! Aber wie weiter?«
»Einige stellen sich, als ob sie ohnmächtig würden, damit man sie auf ein Sofa trägt, andere lassen ihr Taschentuch zur Erde fallen. Die brauchbarsten bestellen einen einfach zum Stelldichein.« Und Bouvard erging sich in Beschreibungen, die Pécuchets Phantasie entzündeten wie obszöne Stiche. »Vor allem darf man nicht glauben, was sie sagen. Ich habe welche gekannt, die sich den Anschein von Heiligen gaben und dabei wahre Messalinen waren! Vor allem muß man kühn sein.«
Doch die Kühnheit läßt sich nicht befehlen. Pécuchet schob täglich seinen Entschluß hinaus; und zudem schüchterte ihn Germaines Gegenwart ein.
In der Hoffnung, sie werde kündigen, verlangte er von ihr ein Übermaß von Arbeit, merkte sich jedesmal, wenn sie betrunken war, tadelte ganz laut ihre Unsauberkeit, ihre Faulheit und richtete es so ein, daß sie entlassen wurde.
Nun war Pécuchet frei!
Mit welcher Ungeduld erwartete er Bouvards Fortgehen! Wie schlug sein Herz, sobald die Tür sich geschlossen hatte!
Mélie arbeitete an einem kleinen runden Tisch in der Nähe des Fensters beim Scheine einer Kerze; von Zeit zu Zeit biß sie ihren Faden mit den Zähnen ab, kniff dann die Augen ein, um ihn durch das Öhr der Nadel zu ziehen.
Zuerst wollte er wissen, was für Männer ihr gefielen. Waren es zum Beispiel die von Bouvards Art? Keineswegs; sie gab den mageren den Vorzug. Er wagte die Frage, ob sie schon einen Schatz gehabt habe. »Niemals!«
Sich nähernd, betrachtete er ihre feine Nase, ihren schmalen Mund und die Umrisse ihres Gesichts. Er machte ihr Komplimente und ermunterte sie zu einem ehrbaren Wandel.
Während er sich über sie beugte, bemerkte er in ihrem Mieder weiße Formen, von denen ein lauer Duft emporstieg, der ihm die Wange wärmte. Eines Abends berührte er die kurzen Löckchen ihres Nackens mit den Lippen, und er fühlte eine Erschütterung bis ins Mark der Knochen. Ein anderes Mal küßte er sie auf das Kinn, wobei er an sich halten mußte, nicht in ihr Fleisch zu beißen, so wonnig war es. Sie erwiderte seinen Kuß. Das Zimmer drehte sich. Er sah nicht mehr.
Er schenkte ihr ein Paar Stiefel und traktierte sie oft mit einem Glase Anislikör …
Um ihr Arbeit zu ersparen, erhob er sich frühzeitig, spaltete Holz, zündete Feuer an, trieb die Aufmerksamkeit so weit, Bouvards Schuhwerk zu reinigen.
Mélie wurde nicht ohnmächtig, sie ließ auch nicht ihr Taschentuch fallen, und Pécuchet wußte nicht, wozu er sich entschließen sollte, während sein Begehren durch die Furcht, es zu befriedigen, stieg.
Bouvard machte Frau Bordin beharrlich den Hof.
Sie empfing ihn, ein wenig zu fest in ihr buntschillerndes Seidenkleid eingeschnürt, das wie das Zaumzeug eines Pferdes knirschte, während sie, um sich Haltung zu geben, mit der langen goldenen Kette spielte.
Ihre Gespräche befaßten sich mit den Leuten in Chavignolles oder mit »ihrem verewigten Gatten«, der früher Gerichtsvollzieher in Livarot gewesen war.
Dann fragte sie nach Bouvards Vergangenheit, neugierig, »die Streiche seiner Jugend« kennenzulernen, erkundigte sich beiläufig nach seinem Vermögen, welche Interessen ihn mit Pécuchet verknüpften.
Er bewunderte die Ordnung in ihrem Haushalt, und, wenn er bei ihr speiste, die Sauberkeit des Tafelgeschirres, die Vorzüglichkeit ihrer Küche. Eine Folge von Gerichten von großer Schmackhaftigkeit, die in gleichen Zwischenräumen von einem alten Pomard unterbrochen wurden, brachte sie bis zum Nachtisch, bei dem sie lange saßen und langsam den Kaffee schlürften; – und Frau Bordin tauchte ihre fleischige Lippe, die leicht von einem dunklen Flaum beschattet war, in die Untertasse, während sie die Nasenflügel blähte.
Eines Tages erschien sie ausgeschnitten. Ihre Schultern fesselten Bouvard. Da er auf einem niedrigen Stuhle vor ihr saß, begann er, mit beiden Händen an ihren Armen entlang zu fahren. Die Witwe wurde böse. Er machte keinen neuen Versuch, aber malte sich Rundungen von wunderbarer Fülle und Festigkeit aus.
Eines Abends, als Mélies Küche ihn angewidert hatte, wurde ihm freudig ums Herz, als er in Frau Bordins Salon trat. Da hätte er leben mögen!
Die Glocke der Lampe, die mit rosigem Papier umhüllt war, verbreitete ein ruhiges Licht. Sie saß am Feuer! und ihr Fuß sah unter dem Saum ihres Kleides hervor. Gleich nach den ersten Worten versiegte die Unterhaltung.
Indessen schaute sie ihn mit halbgeschlossenen Lidern in schmachtender Weise hartnäckig an.
Bouvard hielt es nicht länger aus! – und auf das Parkett niederkniend, stammelte er: »Ich liebe Sie! Heiraten wir uns!«
Frau Bordin holte tief Atem, dann sagte sie mit unbefangener Miene, er scherze; sicher würde man sich über sie lustig machen, es sei nicht vernünftig. Diese Erklärung verwirrte ihn.
Bouvard wandte ein, daß sie keines Menschen Einwilligung bedürften. »Was hält Sie ab? Die Aussteuer? Unser Leinen hat dieselbe Zeichnung, ein B! Wir werden unsere Initialen vereinigen!«
Der Schluß gefiel ihr. Doch eine wichtige Angelegenheit hinderte sie, sich vor Ende des Monats zu entscheiden. Und Bouvard seufzte.
Sie erwies ihm die Aufmerksamkeit, ihn zurückzubegleiten, – unter dem Schutze von Marianne, die eine Stocklaterne trug.
Die beiden Freunde hatten ihre Leidenschaft voreinander verborgen.
Pécuchet gedachte, seinen Liebeshandel mit der Magd immer geheim zu halten. Sollte Bouvard sich dem entgegensetzen, so wollte er mit ihr davongehen, wäre es selbst nach Algier, wo das Leben nicht teuer ist! Doch gab er sich selten solchen Vermutungen hin, er war ganz von seiner Liebe erfüllt und dachte nicht an die Folgen.
Bouvard beabsichtigte, aus dem Museum das eheliche Schlafzimmer zu machen, wofern Pécuchet es ihm nicht abschlüge; sollte das der Fall sein, so wollte er die Besitzung seiner Gattin bewohnen.
Es war an einem Nachmittage der folgenden Woche bei ihr in ihrem Garten; die Knospen begannen zu springen, und zwischen den Wolken standen weite blaue Zwischenräume. Sie bückte sich, um Veilchen zu pflücken, und sagte, sie ihm überreichend:
»Grüßen Sie Frau Bouvard!«
»Wie! So ist es wahr?«
»Durchaus wahr.«
Er wollte sie in seine Arme pressen, sie wies ihn zurück. »Welch ein Mann!« – Dann wurde sie ernst und teilte ihm mit, daß sie ihn bald um eine Gunst bitten würde.
»Sie ist bewilligt.«
Sie setzten die Unterzeichnung ihres Ehekontraktes auf den nächsten Donnerstag fest.
Bis zum letzten Augenblicke sollte niemand etwas davon erfahren.
»Einverstanden.«
Und er ging heim, die Augen in den Wolken, leichtfüßig wie ein Reh.
Pécuchet hatte sich am Morgen desselben Tages geschworen, zu sterben, wenn er nicht die Gunst seiner Magd erlange, und er hatte sie in den Keller begleitet in der Hoffnung, die Dunkelheit würde ihm Mut machen.
Mehrere Male hatte sie weggehen wollen; doch er hielt sie zurück unter dem Vorwande, die Flaschen zu zählen, Latten auszuwählen oder den Boden der Tonnen nachzusehen; das währte schon lange.
Sie stand ihm gegenüber im Lichte des Kellerfensters, aufrecht, die Wimpern gesenkt, die Mundwinkel etwas in die Höhe gezogen.
»Liebst du mich?« sagte plötzlich Pécuchet.
»Ja! Ich liebe Sie!«
»Nun gut, dann beweise es mir!«
Und sie mit dem linken Arm umfassend, begann er mit der anderen Hand ihr Korsett aufzunesteln.
»Sie werden mir weh tun?«
»Nein! mein kleiner Engel! Hab keine Furcht!«
»Wenn Herr Bouvard …«
»Ich werde ihm nichts sagen! Sei unbesorgt!«
Ein Haufen Reisig lag hinter ihr. Sie ließ sich darauf fallen, die Brüste außerhalb des Hemdes, den Kopf zurückgelehnt; – dann verbarg sie ihr Gesicht unter einem Arm, – und ein anderer hätte gemerkt, daß es ihr nicht an Erfahrung fehlte.
Bald kam Bouvard zum Essen.
Das Mahl wurde schweigend eingenommen, da jeder fürchtete, sich zu verraten; Mélie bediente sie teilnahmlos, wie gewöhnlich; Pécuchet wandte den Blick ab, um dem ihrigen auszuweichen, während Bouvard die Wände betrachtete und an Verschönerungen dachte.
Acht Tage später, am Donnerstag, kam er wütend nach Hause.
»Das verdammte Luder!«
»Wer denn!«
»Frau Bordin.«
Und er erzählte, daß er die Torheit so weit getrieben habe, sie heiraten zu wollen; aber jetzt sei alles aus, seit einer Viertelstunde bei Marescot.
Sie hatte verlangt, als Morgengabe die Ecalles zu erhalten, über die er nicht verfügen konnte, da er sie wie den Pachthof zum Teil mit dem Gelde eines anderen bezahlt hatte.
»In der Tat!« sagte Pécuchet.
»Und ich! der ich dumm genug war, ihr zu versprechen, sie dürfe sich etwas von mir wünschen! Das war's also, was sie wollte! Ich habe mich entschieden geweigert. Wenn sie mich liebte, hätte sie nachgegeben!« Doch die Witwe hatte sich zu Beleidigungen hinreißen lassen, hatte sein Äußeres schlecht gemacht, über seinen dicken Bauch gespottet. »Meinen dicken Bauch, ich bitte dich!«
Indessen war Pécuchet mehrere Male hinausgegangen, mit gespreizten Beinen gehend.
»Leidest du?« sagte Bouvard.
»O! ja! ich leide!«
Und nachdem Pécuchet die Tür geschlossen, gestand er nach langem Zögern, er habe soeben entdeckt, daß er geschlechtskrank sei.
»Du?«
»Ja, ich!«
»Ach! mein armer Junge! wer hat dir das geschenkt?«
Er errötete noch mehr und sagte mit noch leiserer Stimme:
»Das kann nur Mélie sein!«
Bouvard war starr über die Eröffnung.
Das erste war, das junge Mädchen zu entlassen.
Sie protestierte mit unschuldiger Miene.
Pécuchets Fall war jedoch schwer; doch aus Scham über seine Schande wagte er nicht, den Arzt aufzusuchen.
Bouvard kam auf den Gedanken, sich an Barberou zu wenden.
Sie sandten ihm eine eingehende Beschreibung des Leidens, damit er sie einem Arzt zeige, der die Krankheit brieflich behandeln sollte. Barberou nahm sich der Sache eifrig an, in dem festen Glauben, es handele sich um Bouvard, und er nannte diesen einen alten geilen Bock, beglückwünschte ihn aber zugleich.
»In meinem Alter,« sagte Pécuchet, »ist das nicht traurig! Doch warum hat sie mir das angetan?«
»Du gefielst ihr.«
»Sie hätte mich warnen sollen.«
»Ist die Leidenschaft vernünftig?« Und Bouvard beklagte sich über Frau Bordin.
Oft hatte er sie überrascht, wenn sie vor den Ecalles stand, in Marescots Gesellschaft und im Gespräch mit Germaine, – so viel Schliche um ein Stückchen Land!
»Sie ist habsüchtig! Das erklärt alles!«
So grübelten sie über ihre getäuschten Hoffnungen, während sie im kleinen Saal am Feuer saßen.
Pécuchet schluckte dabei seine Arzneien, Bouvard rauchte seine Pfeife, – und sie ergingen sich in Betrachtungen über die Frauen.
»Seltsames Bedürfnis; ist es ein Bedürfnis? Sie verleiten zum Verbrechen, zum Heldentum und zur Vertierung. Die Hölle unter einem Unterrock, das Paradies in einem Kuß, – Turteltaubengirren, schlangenhafte Geschmeidigkeit, Katzenkrallen, – Tücke des Meeres, Veränderlichkeit des Mondes,« – sie sagten alle Gemeinplätze, die man über die Frauen in die Welt gesetzt hat.
Der Wunsch nach Frauen hatte ihre Freundschaft ins Stocken gebracht. Gewissensbisse faßten sie. Keine Frauen mehr, nicht wahr? Leben wir ohne sie! – Und gerührt umarmten sie einander.
Eine Gegenwirkung war nötig; – und Bouvard erachtete, nachdem Pécuchet geheilt war, eine Kaltwasserbehandlung für sie von Vorteil.
Germaine, die sogleich bei dem Fortgang der andern wiedergekommen war, schleppte jeden Morgen die Badewanne in den Hausflur.
Die beiden Biedermänner, nackt wie die Wilden, übergossen sich mit tüchtigen Eimern Wassers, – dann rannten sie, ihr Zimmer wieder zu erreichen. Man sah sie durch das Gitter; – und es gab Leute, die darüber entrüstet waren.